Die drei Golems von Prag - Franz Spichtinger - E-Book

Die drei Golems von Prag E-Book

Franz Spichtinger

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Beschreibung

Wir schreiben das Jahr AD 1800. Seine Majestät, der Hochgeachtete Kaiser Franz I. und Imperator der Altehrwürdigen Kaiserlichen Monarchie Österreich-Böhmen-Ungarn, regiert in Wien. In der Heiligen Stadt Prag leben die drei Freunde Jakob, Samuel und Benjamin. Eines Tages beschließen die Handwerker, drei Golems zu erschaffen: Mit Lehm von den Ufern der Moldau formen sie die drei Geschöpfe und blasen ihnen mit geheimen Worten vorläufiges Leben ein. Die Golems sind stark und loyal. Wenn sie gefragt werden, sagen sie: "Uns bewohnt ein realer Geisthauch und der haust tief in uns und ist vom Rabbi Jesaja persönlich eingehaucht. Darüber hinaus wirkt toujours der Zauberspruch der weisen Theobroma in uns, der uns Kraft und Gelenkigkeit gebracht hat." Die Golembrüder helfen den Witwen und Waisen von Prag, reinigen die Stuben, holen Wasser, richten die Kinder ins Bett. Sie wandern gerne durch die Heilige Stadt, Zentrum von Wissenschaft, Kunst und Kultur. Auf diese drei massigen Ehrenmänner kommen grobe Auseinandersetzungen zu: Die angreifenden Hunnen zerschlagen sie. Aber der Kaiserliche Adjutant Dr. Ferdinand Freiherr von Pilowatzl, ein heimtückischer Defraudant, reißt in hinterhältiger Manier die Situation an sich und lange weiß niemand, dass er mit dem berüchtigten Schlächter von Prag zusammenarbeitet, um die Golembrüder zu vernichten. Im Hintergrund agieren der sehr freundliche Herr Oberbürgermeister von Prag und der Herr Kommerzienrat Dr. Karl Emil Franz von Heißler. Der Autor, selber ein ökonomischer Humanist der damaligen Heiligen Stadt Prag, begleitet die drei Golems und weiß natürlich, wie sich der Fortgang der Chose entwickelt.

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FRANZ SPICHTINGER wurde 1941 in Plöss, einem Dorf an der böhmisch-bayerischen Grenze, geboren. Nach der Vertreibung und Flucht aus der Heimat ließ sich die Familie in der benachbarten Oberpfalz nieder. Der Neuanfang, der Aufbau neuer Beziehungen und Lebensverhältnisse und die Vielfalt persönlicher Ereignisse in den Wirren der Nachkriegszeit haben sich auch in seinem Leben niedergeschlagen. Der Autor studierte Erziehungswissenschaften und Religionspädagogik an der Katholischen Pädagogischen Hochschule Eichstätt. Danach war er als Volksschullehrer und schließlich als Schulleiter tätig. Ein Schwerpunkt ist seit Jahrzehnten im Rahmen der Erwachsenenbildung die Auseinandersetzung mit Fragen der Gesellschaftspolitik und der Religionen. Franz Spichtinger ist verheiratet und hat zwei Töchter.

Informationen zu den bereits veröffentlichten Romanen des Autors finden Sie am Ende dieses Buches.

Prolog

La mort de Napoléon und Metternich müht sich um eine Nachkriegsordnung

Anfang des 19. Jahrhunderts wird in Europa eine Epoche fortwährender kriegerischer Auseinandersetzungen beendet. Den Maßgebenden der neuen Generation schwebt ein Frieden im Rahmen des Althergebrachten vor. Konkret: Die politischen Sachverhalte und Strukturen, also eine königliche Herrschaft, wie bisher lange Jahrhunderte demonstriert, bleiben bestehen und die Regierenden erachten dergleichen bewährte und ausbalancierte Sicherheiten allemalen trefflicher als Rebellionen, Anarchie und Bürgerkriege. Die bourgeoise Bevölkerung des Kontinents erfährt mehr und mehr Bildung, interessiert sich zunehmend für die Politik. Signifikant bleibt die Armut und Drangsal weiter Gesellschaftsschichten. Die Probleme auf dem Land waren nicht weniger groß als in der Stadt und das Proletariat hatte unter den Regressionen der Fürsten zu kleiden.

Die Europäer dringen immer mehr in ferne Weltregionen vor. Global verschieben sich die generellen Konstellationen: Europa trachtet nach dem Weltmonopol und weite Teile von Afrika und Asien und Amerika werden kolonisiert und unterdrückt.

Frankreich wurde durch die Machthaber im 18. Jahrhundert, König Ludwig XIV., König Ludwig XV. und König Ludwig XVI. in eine katastrophale Situation gebracht. Des Letzteren Gemahlin Marie Antoinette, kaiserliche Österreicherin, wie auch die Namen von Danton, Robbespierre, bleiben in Erinnerung. Die Jakobiner waren im Wesentlichen verantwortlich für Mord und Totschlag, auch für die Guillotine. Die Sansculotten, die aufbegehrenden Proleten, erwiesen sich als eine immer dominierender werdende politische Kraft mit zunehmender Bedeutung und Gewicht. Aber auch der Journalist Hébert, Louis-Antoine-Léon de Saint-Jus, bleiben in Erinnerung. Die Tricoteuses, die sogenannten Strickerinnen, erwiesen sich als kämpferische und militante Revolutionärinnen. Dann übernimmt der korsische Offizier Napoléon Bonaparte als General und dann als Erster Konsul die Regie in Frankreich. Der Konsul Napoléon Bonaparte, die Konsuln Emmanuel Joseph Sieyès und Roger Ducos wurden als Regierende ernannt. Entgegen jeder Erwartung blieb die Pariser Stadtbevölkerung recht brav und gelassen.

Napoléon beginnt seinen Feldzug gegen ganz Europa. Napoléon Bonapartes heftige und virulente Machtbesessenheit hinterlässt den Franzosen Hunderttausende eigene tote Soldaten, die vor allem auf den Schlachtfeldern im russischen Land des Zaren gefallen sind. Die Angst geht um. Quelle grande misère. Welches Land wird das nächste sein? Auch die Schlacht bei Austerlitz sieht Napoleon in der Pose des Kaisers. Der Franzose siegt also grandios am Pratzeberg zwischen Brünn und Austerlitz. In einem Schreiben an seine Soldaten lässt er wissen, Soldats, je suis content de vous. Soldaten, ich bin mit Euch zufrieden. Na also, er ist‘s zufrieden. Zehn Jahre dauert seine Macht und 1815, die verlustreiche Schlacht nahe Waterloo, geht Monsieur Napoléons Ablösung in die Geschichte ein und sein Untergang ist besiegelt. Fünf Jahre lebt er verbannt auf St. Helena und stirbt dort. Une évolution tragique pour M. Napoléon, une grande joie pour la plupart des habitants du monde européen.

Aber die Völker vergessen schnell und so ziehen wieder die Jahre ins Land und eine europäische Nachkriegsordnung entwickelt sich. Mitten in den politischen Auseinandersetzungen steht der österreichische Fürst von Metternich. Der Aristokrat Metternich sagt den europäischen Königen und Fürsten, wo‘s langgeht, und er macht sich damit auch nicht nur Freunde.

In allen europäischen Ländern erfinden kluge Köpfe neue Maschinen, die Physiker und Chemiker wie die Biologen sind schöpferisch tätig und was sie kreieren, darauf bauen die nachkommenden Generationen von Forschern. In der Literatur gehen im deutschen Land zwei Sterne auf, ein gewisser Herr Johann Wolfgang von Goethe und ein Herr Friedrich von Schiller, seines Zeichens ehemaliger Lazarettarzt. In der Musik ist lange schon der Name des Österreichers Wolfgang Amadeus Mozart ein Begriff und die Herren Brahms, Beethoven und Bach lassen die Saiten, die Tasten des Pianos und die Kehlen erklingen.

In der alten Stadt Prag, die der junge Mozart auf einer seiner Reisen besucht, umschwärmen ihn die musikalischen Pragerinnen und die Prager. Die feinen Leute sind glücklich ob der erhabenen Musikalität dieses jungen Genies und die Hilfsbedürftigen und die Ausgehungerten sagen, den kennen wir nicht und was haben wir davon. Arbeit bringt er keine und unser Topf ist keinen Tag gefüllt und nach uns die Sintflut.

Der Komponist Wolfgang Amadeus Mozart fährt in der Kutsche mit seiner Gattin Konstanze den gefahrvollen Weg von Wien nach Prag. Dort soll die Uraufführung seiner neuen Oper Don Juan stattfinden. Auf dem Land, nahe dem Schloss des Grafen von Schinzberg, gebietet der Kutscher auf Geheiß des Herrn Mozart den Pferden Einhalt. Herr Mozart schlendert durch den Park vor dem Palais und pflückt nachdenklich eine Orange vom schönen Pomeranzenbäumchen des Gartens. Der Herr Gartenmeister des Hauses derer von Schinzberg zeigt sich überrascht und gar sehr erstaunt. Ist das etwa der Herr Mozart? Ja, er ist‘s und der Herr Gärtner läuft ins herrschaftliche Anwesen. und meldet den ausgesprochen auserlesenen Stipp Visite. Mozart wird gebeten, dem Hausherrn im Palais die Ehre zu schenken. Das nur nebenbei, aber Musik, Kunst und Kultur, Politik und Guillotine stehen recht nahe beieinander. Milý princi, říká, pan Mozart a jeho žena jsou u dveří.

Poslyšte, pozvu paní a pana Mozartovy do předsíně a pak se dobře najíme a napijeme. Naja, und sie essen und trinken und dann auch drei oder vier kleine Sliwowitz und die Damen einen oder drei Kirschlikörchen und dann fahren‘s in der Kutsche wieder weiter hinauf ins Prag.

Nun, in Prag zu dieser Zeit, fließt die Moldau immer noch breit und zuverlässig und bedachtsam nach Norden, um sich mit der Elbe zu vereinigen. Auf diesem herrlichen Gewässer werden keine Schlachten entschieden, damit die Menschen in Böhmen, Österreich oder ganz Europa den frischen Wind fühlen. Die Prager wiegen sich in Sicherheit. Während der Woche sind sie von Sonnenaufgang bis zur beginnenden Nacht rastlos bei der Arbeit, um sich an einfachen Speisen einigermaßen satt essen zu können. Der gut situierte Mensch bekommt am Sonntag přírodní seinen Krustenschweinebraten mit einem gekochten Kraut und Knedlik. Der arme, hart arbeitende Hanswurst freut sich über die Maßen an der alltäglichen Haferflockensuppe in seinem hölzernen Teller und der Narr der Welt löffelt die so gute Suppe mit einem alten und manches Mal mit einem neuen hölzernen Löffel. Am Sonntag freut er sich über irgendein delikates Wurzelgeheimnis, das in der Suppe schwimmt und über einen Kartoffel mehr, zu viel zum Sterben, zu wenig zum Leben. Aber wer will denn schon älter als fünfzig Jahre werden, krumm, ausgehungert und keine Zähne im Mund. Wer auf seine vielköpfige Familie hält, geht beizeiten an einer Lungenentzündung ins Grab.

Der Herr Mozart, der zeitlebens eine wirklich meisterliche, eine angenehme Musik produziert hat, freute sich sehr über die vier Wochen, die er in Prag zubringen durfte. Er ergötzte sich auch an der Begeisterung, die er und seine Musik auslösten und sogar die seinerzeit gegründeten Prager Symphoniker spielten auf.

Kaiser Franz I. von Österreich regiert auch zu Prag, der Prager Kardinal fährt in der Kutsche durch die Heilige Stadt

Zu Prag leben drei handwerklich begabte junge Facharbeiter und sie fragen, worauf bauen wir in diesem Leben, in dieser Stadt? Bauen wir auf Granit, auf Sand oder auch den Lehm an den Uferseiten der Moldau? Oder: Was ist wichtig, worüber reden die Prager Philosophen und Theologen? Die drei jungen Männer sind klug und sie verwechseln das Vordergründige nicht mit dem Echten und nich ist Prag für sie der rechte Ort, um glücklich zu werden. In dieser Stadt trifft man Fremde und Fremdartiges. Sie haben sich eingefügt in das Großstadtleben, so wie ihre Eltern sich ehedem eingewöhnten und hier arbeiteten, schafften, litten und sich auch gefreut haben. In der böhmischen Metropole Prag leben also die drei Freunde Jakob, Samuel und Benjamin. Für manchen aufstrebenden Bürgerlichen gibt es in der Kaiserlichen Stadt nicht immer eine passable Zukunft. Sie aber gehören zur ärmeren Schicht und fühlen sich allein, aber sie haben einander, sie konnten sich aufeinander verlassen und das war ihre größte Stärke. Alle drei in Freundschaft verbundenen Kameraden gehörten zur Zunft der anerkannten und zuverlässige Tischler, Schreiner, Maurer. Sie waren künstlerisch sehr begabt, galten als arbeitsame und solide Menschen mit viel Tatkraft. Zudem besaßen sie einen klaren Kopf, einen schnellen Verstand und eine außergewöhnliche Phantasie. Trotzdem reifte in ihnen nach eingehender Überlegung die Überzeugung, eines Tages irgendwo in Böhmen ein neues Leben zu beginnen. Aber da war guter Rat teuer. Sie verstanden sich als geschätzte Bürger der heiligen Stadt Prag und als treue Untertanen Seiner Majestät des Hochgeachteten Kaisers Franz I. in Wien und allemalen Imperator der Heiligen Kaiserlichen Monarchie Österreich-Böhmen-Ungarn. Allerorts waren die drei Experten angesehen und anerkannt, aber sie konnten sich nicht zu den wohlhabenden Autoritäten zählen. Einen eigenen Betrieb aufzubauen, dazu fehlte das Geld und so blieb ihnen nur die abhängige Beschäftigung eines Gesellen. Der eine, der Jakob schlief derzeit noch auf dem Dachboden seines Meisters. Der Samuel durfte in der Scheune neben der Werkstatt schlafen. Und der Benjamin hatte einen Bretterverschlag in den Räumen des Meisters für sich. Sie standen um sieben Uhr am frühen Morgen an ihren Arbeitsstelle und der Arbeitstag endete in den Abendstunden. Viele junge Leute in ihrem Alter trugen sich mit dem Gedanken ins Amerika auszuwandern, aber die drei jungen Burschen wollten es in der böhmischen Heimat zu was bringen.

Die Glocken der Kathedrale oben am Hradschin läuteten, als der Kardinal aus seiner Kutsche stieg. Er war ein mächtiger Mann, der den Kaiser persönlich kannte und ihn oft in diplomatischen Angelegenheiten beriet. Heute nun war er von seiner Heimstatt, einem prächtigen Palais oben auf dem Berg, nach unten über die Karlsbrücke gefahren und hinein in der Kaiserlichen Stadt Prag. In seiner auserlesenen Kutsche sitzend, und aus der Kutsche jovial rauswinkend, war er nun unten im Moldautal in der Neuen Stadt angekommen, um die Leute in der Hauptstadt wieder einmal zu besuchen und die Loyalität der Bürger zu überprüfen. Jakob, Samuel und Benjamin reihten sich ein in die doch recht passable Menge der Zuschauer am Straßenrand und die Leute riefen Hoch der Herr Kardinal und der liebe Herrgott segne ihn und uns.

Der Herr Kardinal, seine Hochwohlgeborene Eminenz, hob da gerne seine rechte Segenshand und teilte seinen Segen aus über diese kleinen Leute da draußen und er lächelte und er meinte es ja gut. Der Herr Kardinal hatte eine recht angenehme und richtig zivilisierte Sommerfrische in der Bischöflichen Sommerresidenz in Horšovský Týn verbracht. In so einem kurzen, knappen Vierteljahr wollte er dort zum einen wieder zu sich kommen, einen gewissen Abstand finden zur alltäglichen, harten Arbeit. Aber auch während dieser freien Tage hier im dichten böhmischen Wald hatte er die feste Absicht, gar manche Knacknuss aufzuschlagen. So arbeitete er hier im Wald sehr viel gedanklich, um dann, wenn er wieder daheim in seinem Bureau sitzt, sein Volk mit der Predigt und außerdem mit guten Worten, jedoch echter Deutlichkeit zu geleiten und auf diese Weise sein katholisches böhmisches Volk ins weitere Leben hineinzuführen.

So etwas muss man durchdenken, denn die Zeiten ändern sich und jeden Tag hast was Neues zu eruieren, pflegte der Herr Kardinal zu plaudern. Und auf die Hirschjagd ist er mit einigen seiner Jäger hinaus in den dichten Wald geschritten und abends hat er im Forsthaus ein Stück von einem wohl gar von ihm selber niedergeschossenen Hirsch braten lassen. Dazu kredenzte Frau Ulla Rezinak böhmische Knedlik und einen guten und sehr frischen Feldsalat und auch noch schöne, rote Preiselbeeren zum Drauflegen aufs Fleisch. Und nachdem sie gespeist hatten, tischte die Ulla, so nannte er sie seit vier Jahren, seitdem er also als der Herr Kardinal von Prag installiert worden war, was Süßes auf. Das was sie gerne hinstellte, war einmal ein echter Prager Pudding, dann auch wieder süße Plätzerl. Auch einen Gugelhupf kredenzte Ulla und der war wertvoll und dann und wann und je nach gegebener Jahreszeit was von den Äpfeln oder den Birnen oder den Äpfeln, reingebacken in einen fein und gründlich gekneteten Teig und schließlich rausgebacken in einer sauberen Backröhre.

Von dir, meine liebe Ulla, sagte der Hochwürdigste Herr Kardinal und sie waren einander sehr nahe vertraut geworden, kriegt man halt was Gescheites und da darf sich meine Emma Stepanova im Erzbischöflichen Palais zu Prag recht warm anziehen, denn so etwas Phänomenales wird sie wohl kaum auf den Tisch kredenzen können. Der Herr Kardinal war der lieben Ulla aber schon sehr verbunden und dankte herzlichst und hat dann auch dem Hirsch recht adäquat zugesprochen. Gesagt hat er dann beim Abschied, dass man hier recht menschlich, recht regierend und würdevoll leben könnte, aber es wäre halt ein weiter Weg da von diesem Prag her in den Böhmischen Urwald. Dann noch tatschelte er ihr rotes Gesicht und auch drüber streichelte er und sagte dann noch, dass es schon ein Verzicht wäre.

Der Herr Kardinal hat zu viel gegessen, so dass ihm speiübel war

Die Heilige Stadt Prag war eine lebendige Stadt, Böhmens Juwel, die von dem Böhmischen Wald im Westen und durch die Böhmische Senke in der Landesmitte zu erreichen war und wer weiterfahren wollte, kam ins Isergebirge oder ins Altvatergebirge im Osten. Sie war reich an Handel und Kunst und Kultur und Wissenschaften, aber auch an Spannungen und Konflikten. Die Stadt war in zwei Teile geteilt. In die Oberstadt oder auch die Kleine Seite genannt, wo zumeist die Adligen und die reichen Bürger lebten. In der Neuen Stadt, auch geheißen die Unterstadt, wo die Bürger, die Arbeiter und die Armen und auch die Handwerker lebten lebt sich gut, sagen die Leute und selbst der Herr Oberbürgermeister lebt in der Neuen Stadt. Am Altstädter Ring fand sich das doch äußerst respektable und nichtsdestoweniger sehr imponierende städtische Palais des Herrn Oberbürgermeisters von Prag Dr. Wenzel Lukáš David Krpálek. Dorthin gelangte er in einer halben Stunde jeden Morgen und er ging zu Fuß, grüßte die Leute und man redete sogar manchmal miteinander. An den Abenden, wenn es länger wurde und zumeist wurde es länger, weil die Politik nichts von einer genauen Stunde hielt, fuhr er dann mit der Kutsche. Er hielt wenig davon, wenn der Heinrich schnupfte. »Nicht in der Kutsche, sagte er ihm, auf der Heimfahrt bist auch noch im Dienst, also schnupf daheim, und naja, dann hat deine Frau das braune Schnupftabaktüchel zum Waschen und wird eine Freud haben, Heinrich.

Die beiden Sektoren der Stadt Prag waren durch eine hohe Mauer getrennt, die nur durch wenige Tore verbunden war. Vor allen Dingen aber zog sich die Moldau durch die große Hauptstadt Prag. Viele Brücken verbanden die beiden Stadtteile, die bekannteste davon war die Karlsbrücke. Und auf der schönen Karlsbrücke trieben die Kaufleute einen gewissen Handel. Aber auch Fremde aus aller Herren Länder flanierten gerne überdies mit ihren Frauen auf und ab und die Herren schwangen da ein schlankes Stöckerl und die Frauen trugen einen leichten Schirm, einen sogenannten Paravent. Einige der so dahin stolzierenden Damen hatten gar drei oder vier Paravents daheim. Je nach Lust und Laune nahmen sie einmal einen zart-roten, dann einen mit Blumen bedruckten oder einen gelben, gestreiften oder mit farbigen Tüpferln einen oder was ihnen halt zu Gesicht stand und ins Wetter reinpasste.

Der Oberbürgermeister von Prag war ein guter Mann, der sich um das Wohl seiner Stadt kümmerte. Er stand in gewisser Verbindung mit dem Kardinal und empfing ihn heute also bereits an der Karlsbrücke mit großer Ehre. Er führte ihn durch die Stadt, und verwies auf die neugebauten prächtigen Paläste. Der Palais vom Fürst Karl-Franz von Lobkowitz wäre neu angestrichen mit einer Ockerfarbe und das Schloss vom General Hermann von Podwilegg trage nun einen helles Ocker und das Herrenhaus des Herrn Botschafters i. R. Dr. Wenzel von Brianger-Laumingen leuchte in hellem Blau.

Der Kardinal sagte, dass es ihn freut, seine Kirchen, die Kunstwerke und die Bibliotheken wieder besuchen zu können und es waren lange Tage in Horšovský Týn gewesen. Aber er hätte es dringend erforderlich gehabt und er hätte in der erzbischöflichen Kanzlei droben am Berg wieder einmal den Haufen Arbeit beiseite geräumt und dann hätte er sich in seine Kutsche gesetzt und dann ging es rüber in den Wald. Der Herr Oberbürgermeister lud ihn zu einem Essen ein, wäre er doch gleich wieder recht eingedeckt mit ausgiebigen und wichtigen Arbeiten und dann die gar so vielen Besuche prominenter Gäste aus dem ganzen Kontinent.

Dann saßen sie da auf der Terrasse eines prächtigen Restaurants, das Palasthotel, wo er dem Herrn Kardinal gar gute Speisen und Weine anbot. Es lobte dann Seine Eminenz, der Hochwürdigste Herr Kardinal allenthalben das Prager Volk und vor allem ihn, den sehr verehrten Herrn Oberbürgermeister Dr. Wenzel Lukáš David Krpálek. Der Herr Kardinal meinte, dass hätte es ja nicht gebraucht, solch eine Speisenfolge und so ein gutes Weinerl, und er wäre auf Verzichten eingestellt, wäre er doch ein Diener seines Herrn. Der Herr Oberbürgermeister lachte und sagte, heute ist ein Festtag Euer Gnaden und hochverehrteste Eminenz und da schaut der liebe Gott mit Freude zu, wenn wir in der Heiligen Stadt Prag miteinander speisen. Na, wenn das so ist, lachte der Herr Kardinal, dann wollen wir einmal etwas zulangen. Das Festmahl dauerte weit über den Mittag hinaus und der Kardinal sagte, er hätte wohl tatsächlich zu viel gegessen und er würde das gar büßen müssen. Der Herr Oberbürgermeister, der innen drinnen in seinem Herzen und seiner Seele meinte, dass der Kardinal entschieden zu viel und zu lang Ausgiebiges verzehrt hat, wünschte ihm dann auch in diesem seinem Innersten, dass Seine Eminenz lang und ausgiebig wieder alles erbricht. Und dass der Herr Kardinal zu viel speist, naja, mag sein, aber nur gutes Essen hält Leib und Seele zusammen.

Obwohl dem Herrn Kardinal also bald arg elend war, setzte er sich in seine feine erzbischöfliche Kutsche und er bat auch den Herrn Oberbürgermeister Platz zu nehmen. Denn er wollte die ganze Stadt sehen, käme er doch nur ganz selten runter unters Volk und eben die viele, viele Arbeit und die Gäste aus eben allen Ländern, wie bereits angesprochen. Und jeder Tag wäre reich an Verpflichtungen und dieses wäre eben seine Last, jedoch auch seine löbliche Pflicht und Schuldigkeit und manchmal käme er vor Mitternacht nicht zur Ruhe.

Der Kardinal war beeindruckt von der Schönheit und dem Reichtum der Oberstadt, wie der Unterstadt. Er freute sich, dass ihn die Leute aber auch schon dermaßen hochleben ließen, aber er plauderte so, dass alles vergehen würde. Er bat den Oberbürgermeister, ihn dorthin zum schönen Graben rüber zu begleiten. Und er deutete mit seiner linken Hand in Richtung der belebten Straße im Graben. Draußen schrien auch gar einige Menschen irgendwas, nur konnte er es nicht verstehen.

Der Herr Oberbürgermeister zögerte, denn er wusste, dass der Graben in der Unterstadt nicht so glanzvoll war wie die Oberstadt. Er wusste auch, dass es dort viele Unzufriedene gab, die sich gegen die Herrschaft des Kaisers auflehnten und er fürchtete, dass der Kardinal die Leute, die da sich gar sehr gewöhnlich äußern möchten, bestrafen könnte. Aber wenn er die Wahrheit hört und sieht, kanns nicht schaden, dachte der Herr Oberbürgermeister, der in gewissem Maße auch als ein Schelm galt.

Und sie soll in Flammen aufgehen, rief der Rebell, der Piroska Waldemar Vaclav, ein ganz Wilder

Der Kardinal bestand darauf, in den Graben rüberzufahren und so kutschierten sie gemeinsam durch eines der Tore in die Unterstadt rein und hinüber zum Graben, was also eine lange Straße mit vielen Häusern war, aber denen sah man auch das Alter an. Dort erblickten sie ein anderes Bild: Schmutzige Straßen, enge Anwesen, den stickigen Rauch, der aus den Schornsteinen rein in die Straße quoll, mussten sie einatmen, ein Qualm, der sich dann durch die Gassen und in jeden Winkel in der Stadt schob und den Leuten die Luft nahm. Viele arme Menschen leben da, sagte der Herr Oberbürgermeister, die um ihr tägliches Brot kämpfen. Man erblickte auch Schmierereien an den Wänden, die den Kaiser und den Kardinal verhöhnten. Dann halt dazu das abschreckende Geschrei der Leute und sie hörten Flüche und Spott. Der Herr Oberbürgermeister und der Herr Kardinal spürten die Feindseligkeit und den Hass in der Luft. Der Kardinal war aber gar sehr erschrocken und empört von dem, was er sah und hörte. Er fragte den Oberbürgermeister, wie er solche Zustände zulassen kann. Der Herr Oberbürgermeister berichtete ihm, dass er mit dem verehrlichen Stadtrat dabei ist, die Stadt zu reformieren.

»Und die Rebellen müssen Sie unnachsichtig bestrafen, Herr Oberbürgermeister, aber gescheit hart, das sag ich Ihnen in Freundschaft, Herr Oberbürgermeister.« Er, der Kardinal habe in Bälde einen Termin zu Wien, so dass er dem Kaiser Bericht erstatten und seine Hilfe anfordern wird, wenn sich das hier in der heiligen Stadt Prag nicht ändert und zwar zum Guten hin umgestaltet, Herr Oberbürgermeister.

Der Oberbürgermeister war nun zwar leicht echauffiert, aber er dachte sich, bis der Kardinal da heute Nacht recht gschlafen hat, wird er sich am nächsten Tag etwas bedächtiger äußern, vielleicht. Er wünschte dem Herrn Kardinal mit Anstand natürlich, dass er überhaupt nicht schlafen kann und sich richtig ausspeien muss. Und er versuchte ein wenig, den Kardinal zu beschwichtigen. Er sagte ihm, dass er sein Bestes tut, um die Stadt zu regieren und die Ordnung aufrechtzuerhalten und dass er die Unterstadt nicht vernachlässige, sondern versuche, sie zu modernisieren. Aber die Leute wären ausgehungert und sterben möchten gar zu viele und dass die Rebellen sehr unzufrieden wären und die österreichische Herrschaft bekämpfen möchten sie und sein Geheimdienst schreibe noch mehr auf. Aber er versuche, sie zu beruhigen. Er bat ihn, die Angelegenheit mit ihm zu bereden und er käme gerne rauf in sein Palais und die Stadt möge er nicht verurteilen.

Aber der Kardinal war ein recht harter Knochen und nicht bereit, ihm länger zuzuhören. Er war fest entschlossen, die Stadt total umzuformen, aber auch zu kujonieren, und die Rebellen zu bestrafen. Er sagte ihm, dass er keine Gnade zeigen würde, sondern nur Gerechtigkeit an die Herren Revolutionäre abgebe. Und so einen Zeugs wie da drüben bei den Franzosen, mag er und wird er nicht zulassen, dann eher schon im Vorfeld dreinschlagen. Und er würde Seiner Erlauchtesten Majestät, dem Herrn Kaiser Franz I. ein Bulletin überreichen und seine Hilfe anfordern, egal was er, der Herr Oberbürgermeister sagt. Der Oberbürgermeister sah ein, dass er den Kardinal nicht überzeugen konnte. Er würde demnach die Angelegenheiten seinem Rat vorlegen, was er ja bereits zweimal in der Woche tue und man bräuchte eine bessere Gendarmerie und er lasse Unrecht nicht durchgehen und darauf könne man sich verlassen. Der Kardinal ließ sich in seiner Kutsche rauf in sein Palais fahren und möglichenfalls pressierts ihm, muss er vielleicht speien.

Der Herr Oberbürgermeisters Wenzel Lukáš David Krpálek stieg dann aus der Kutsche des Herrn Kardinals und appellierte an die Leute im Graben, dass halt eine Friedlichkeit besser ist, als ein erzbischöfliches Dreinschlagen und bat, dass sie die Aufwiegler nicht unterstützen, sonst bringt sich der Kardinal mit seiner bekannten und berüchtigten Hartherzigkeit ein und weil er eben der Herr Kardinal ist. Er, der Oberbürgermeister, würde besonders für die Nacht patrouillierende Soldaten von der Regierung anfordern, denn so könnte es wirklich nicht weitergehen und schlussendlich schickt der Herr Kaiser Franz I. noch weitere Soldaten und dann möchte er nicht in ihrer Haut stecken. Und der Herr Kaiser Franz I. lebe Hoch, Hoch, Hoch, rief er auch noch, recht halbherzig. Die Leute im Graben jubelten ihrem Herrn Oberbürgermeisters Wenzel Lukáš David Krpálek recht ehrerbietig zu und folgten seinem Rat und seiner Empfehlung.

Einige Prager, arge Stänkerer und Querulanten, griffen übrigens auf der Fahrt auf den Hradschin rauf die Wachen des Kardinals an und überwältigten sie. Und der Kutscher Seiner Eminenz, des Herrn Kardinals, schlug seine zwei Pferde im Gespann mit der Peitsche und es wäre ja auch ein Zeichen der erzbischöflichen Würde, was da angegriffen wurde. Die Leute brüllten, sie würden jetzt hinaufziehen in die Oberstadt und die Tore öffnen und sie würden die Paläste und Kirchen, die Kunstwerke und die Bibliotheken plünderten und anzünden.

»Und den allererlauchtigsten und allerdurchlauchtigsten Herrn Regierungspräsidenten werden wir an einem Ast aufhängen und die Oberstadt wird in Flammen aufgehen«, rief der rasende Piroska Waldemar Vaclav, der ein Rebell und ein ganz Wilder war. Die Leute aber fassten ihn, den irren Piroska, vermutlich war er aus Ungarn zugezogen, aber was Gewisses weiß man nicht. Aber sie nannten ihn ängstlich und verächtlich den hitzigen Ungarn. Da drehte sich die Stimmung und die Prager schlugen den hitzigen Ungarn auf der Straße zusammen, wollten sie doch wegen dem dummen Gesellen nicht eingekerkert werden. Aufmucken um den Preis, sagten sie sich, machen wir nicht mit, nicht in unserer schönen und heiligen Stadt Prag.

Die Glocken der Kathedrale des Sankt Veit läuteten, als der Kardinal am Tag drauf, am Sonntagvormittag um zehn Uhr, wieder von seinem Palais aus in einer feierlichen Prozession in den Hohen Dom einzog und er ahnte nicht einmal, dass die Prager Bürger den Piroska Waldemar Vaclav niedergeschlagen hatten und er von der Polizei eingekerkert wurde. Die Glocken am Hohen Prager Dom läuteten demnach das Ende der Ära des Piroska Waldemar Vaclav ein und den Beginn einer neuen Zeit ein. Sie läuteten für Prag, für den Frieden, die Freiheit und die kaiserliche Monarchie. Für den Tod der Obrigkeiten läuten sie, meinten so manche, die sehr unzufrieden waren.

Dem Bäcker seine Anna überlebt den Rotlauf nicht

Jakob war also ein Maurer, der in Prag auf der kleinen Seite wohnte. Er hatte keine Familie mehr, seit sein Vater an der Lungenentzündung und seine Mutter an der Schwindsucht gestorben waren. Seine einzige Schwester hatte einen reichen Kaufmann aus Reichenberg geheiratet und war mit ihm dorthin gezogen. Jakob fühlte sich einsam und verlassen in der großen Stadt, die derzeit von den kaiserlichen Soldaten belegt war. Er arbeitete ausgiebig, um für sein Leben den Unterhalt zu verdienen, aber er hatte keine Freude mehr an seiner Arbeit. Er sehnte sich nach einem anderen Leben, nach einem Ort, wo er frei und glücklich sein konnte. Eines Tages, als er gerade eine Mauer reparierte, hörte er eine Stimme hinter sich. Er drehte sich um und sah eine junge Frau, die ihn anlächelte. Sie hatte langes, blondes Haar und ein hübsche Gesicht. Sie trug ein einfaches Kleid und in der Hand einen Korb. Sie wäre die Anna, und sie wäre die Tochter des Bäckers, der in der Nähe wohnt. Sie fragte ihn, ob er etwas von ihrem frischen Brot probieren wolle. Jakob war erstaunt und bewegt von ihrer Freundlichkeit. Er nahm ein Stück Brot aus dem Korb und bedankte sich. Das Brot wäre köstlich, sagte er ihr und er lachte und fragte sie, ob sie öfter hier vorbeikäme. Sie nickte, sie müsse jeden Tag zum Markt gehen, um Brot zu verkaufen. Sie fragte ihn, ob er ihre Gesellschaft möchte. Jakob zögerte einen Augenblick und dann stimmte er zu. Er legte seine Arbeitsgeräte beiseite und schritt ein paar Meter mit ihr und er spürte, dass sein Herz schneller schlug. Mein lieber Jakob, dachte er, da wennst nicht aufpasst, bist geliefert. Das Gefühl, dass sie, diese Anna, einiges in seinem Leben ändern könnte, keimte in ihm auf. Er gewann den Eindruck, während sie nebeneinander gingen und plauderten, er könnte vielleicht eine neue Chance bekommen hatte.

Aber das Unglück sorgte allerdings heftig dafür, dass der Jakob dieses Glück nicht wahrnehmen konnte, dass es ihm durch die Finger rann, die der trockene Sand am Moldauufer. Am nächsten Morgen kam sie nicht mehr. Ihr Vater, der Bäcker Polydor Broceny sagte ihm, die Anna hätte sich an irgendwas gerissen und sie hätte den Rotlauf bekommen und der Arzt hätte gestern Abend gesagt, sie würde die Nacht nicht überleben. Der Pfarrer der Nikolauskirche sagte dem Jakob, die Anna würde jetzt vom Himmel rausschauen und auf ihn aufpassen.

Die Anna hatte eine schöne Beerdigung und Jakob sagte sich, ich stelle mir jetzt eine Hütte in den Friedhof und ich werde der Nächste sein, sind ja auch die Mutter und der Vater schon gestorben. Die Freunde Samuel und Benjamin trösteten ihn und er sagte, er sehe keinen Sinn mehr im Leben und würde aus Prag wegziehen, er sehe keinen Grund mehr, hier weiter wohnen zu bleiben.

Im Domkapitel oben auf dem Handschin bemerkten sie, die Herren Domkapitulare, wieder, dass der Herr Kardinal Dr. Dr. Bohuslav von Beserlmaycyk-Rundegg nach einem Vierteljahr Erholung und Sommerfrische wieder wie ein eiserner Besen kehren möchte und wünschten ihm Gottes Segen, aber auch Tod und Teufel, weil sie wie die Mäuse im Speck gelebt hatten und der Kardinal wäre ein Unglück, wäre er doch hart wie böhmischer Granit.

»Audi, vide, tace, si vis vivere in pace«, sagte der Herr Domvikar Dr. Frederik Tschernylav. »Bist noch jung und dumm, Frederik«, sagte der Herr Generalvikar und neben dem Schweigen und dem Zuhören, brauchst auch noch immer wieder einen guten Wein.

Der Graf begrüßte Samuel freundlich und bat ihn, ihm das Schachspiel zu zeigen

Samuel liebte seinen Beruf als Tischler, denn er konnte mit seinen Händen schöne und nützliche Dinge erschaffen. Er arbeitete in einer kleinen Werkstatt in der Altstadt, wo er vor allem Möbel und Spielzeug für die reichen Bürger von Prag herstellte. Er war stolz auf seine Arbeit und hatte viele zufriedene Kunden. Seine Mutter war glücklich und auch der Vater freute sich, der nur alle acht Wochen heim nach Prag kam, er arbeitete im Inneren des Landes, in der Tischlerei in Pibrans.

Eines Tages bekam er einen besonderen Auftrag von einem Grafen, der in einem prächtigen Palast am Fluss wohnte. Der Graf von und zu Woroncseck wollte, dass Samuel ihm ein neues Schachspiel aus Holz anfertigt, mit kunstvoll geschnitzten Figuren und einem eleganten Brett. »Kannst mit Intarsien umgehen?«, fragte er ihn und der Samuel lachte und das wäre eine liebste Arbeit. Samuel nahm die Herausforderung an und machte sich sofort an die Arbeit. Er wählte das beste Holz aus, das er finden konnte, er gab der böhmischen Buche den Vorrang, und schnitt, hobelte, bohrte und polierte es mit großer Sorgfalt. Er verzierte die Figuren mit feinen Details und bemalte sie mit Gold und Silber. Für die einzelnen Felder verwendete er feinste unterschiedliche Hölzer, schob sie zurecht und klebte sie auf die Unterlage. Er fertigte auch das Brett aus zwei verschiedenen Holzarten an, die einen schönen Kontrast bildeten. Er arbeitete Tag und Nacht an diesem Schachspiel, bis es fertig war. Der Meister sagte ihm, er, Samuel, möge das Schachspiel persönlich dem Grafen übergebe, denn der Graf von und zu Woroncseck wäre als Meister des Schachspiels in Prag und im Umland bekannt und er, der Herr Rosnitcseck wäre nur der Tischlermeister. Der Tischlermeister hatte eine Tochter und der Herr Rosnitcseck konnte sich nichts Besseres wünschen, als dass seine Tochter mit dem Samuel die Ehe einginge.

Samuel packte das Schachspiel in eine Kiste und machte sich auf den Weg zum Palast des Grafen. Er hinkte durch die engen Gassen der Stadt, vorbei an den bunten Häusern, den Kirchen und den Brücken. Er bewunderte die Schönheit von Prag, die er schon als Kind geliebt hatte, als er mit seinen Eltern aus dem Altvatergebirge hierher nach Prag gekommen war. Er erinnerte sich an die schwere Krankheit, die er damals bereits im ersten Jahr in Prag gehabt hatte, und die ihm sein Hinken eingebracht hatte. Er war dankbar, dass er überlebt hatte, und dass er trotz seiner Behinderung ein erfülltes Leben führen konnte.

Am Palast des Grafen wurde er von einem Hausdiener empfangen, der ihn in einen großen Saal führte. Dort wartete der Graf auf ihn, umgeben von seinen Gästen, die alle in feine Kleidern gekleidet und mit Schmuck behängt waren. Der Graf begrüßte Samuel freundlich und bat ihn, ihm das Schachspiel zu zeigen. Samuel öffnete die Kiste und präsentierte ihm sein Meisterwerk. Der Graf von und zu Woroncseck und seine Gäste waren begeistert von dem Schachspiel, das in der Sonne glänzte. Sie lobten Samuel für seine Kunstfertigkeit und seinen Geschmack. Ein alter Baron, der an einem Stock ging und den sie Wladimir von Kolomany nannten, sagte, er hätte schon viele Schachbretter gesehen und auch herrliche Figuren, aber dieses Schachspiel übertreffe alle anderen. Der Graf von und zu Woroncseck bedankte sich bei Samuel und gab ihm eine große Summe Geld als Entlohnung. Er lud ihn auch ein, an seinem Tisch zu speisen und mit ihm eine Partie Schach zu spielen. Samuel war überglücklich und nahm die Einladung an. Er setzte sich neben den Grafen und nach dem Essen begann er, das Spiel zu eröffnen. Er spürte, dass dies der Beginn einer neuen Freundschaft war, und dass sein Leben noch viele Überraschungen für ihn bereithielte.

Eine feine Dame reichte ihm die Hand und sie bedauerte, dass er ein Krüppel ist. Und der Samuel sagte ihr, wenigstens hat der Krüppel einen Geist und er redet die Leute nicht albern an. Da ärgerte sich die gräfliche Dame und nannte ihn noch einen billigen Hund, den man in die Moldau jagen sollte. Und Samuel wusste, er hätte die Dame zur Feindin.

Es war Abend geworden und er musste durch eine Gasse heimwärts hinken. Da schlug ihm ein Unbekannter einen Stein auf den Kopf und riss ihm sein Geld und die Kiste aus den Händen und lief davon. Samuel wurde ohnmächtig. Fremde Leute fanden ihn, fragten ihn, woher er kommt und sie brachten ihn nach Hause. Seine Mutter versorgte ihn und am nächsten Tag ging sie zum Schreinermeister und meldete ihm den Vorfall. Und die Mutter sagte, in Prag hier hätte er das Unglück gepachtet und er solle anderswo sein Glück suchen.

Seine Mutter sagte zum Tischlermeister, der Samuel, hätte überall in der Stadt Anerkennung und Respekt erfahren und es gäbe eine Gerechtigkeit und die gräfliche Madama da, wird auch noch der Unglücksrabe erwischen und wenn er kräht, wäre es soweit. Sorg dich nicht, Samuel, sagte sie, du wirst noch Großes schaffen.

Er schwor, dass er die Rebellen alle zur Rechenschaft ziehen würde und dann Gnade ihnen

Die Rede des Herrn Oberbürgermeisters Wenzel Lukáš David Krpálek, die er am nächsten Tag im Stadtrat hielt, war voller Stolz und Triumph. Er lobte die Bürger für ihren Mut und ihre Loyalität, und die Polizei für ihre Effizienz. Die Rebellen schalt er und ihre Niederlage wäre ein Zeichen, dass die Prager Menschen keine Anarchisten wären. Er versprach, dass in die Stadt bald wieder Frieden und Ordnung einkehren würden, und dass der Anführer der Rebellen, der als gefährlicher Verbrecher und Verräter bekannt war, vor Gericht gestellt und hart bestraft werden würde. Er redete aber auch davon, dass der Herr Kardinal Dr. Dr. Bohuslav von Beserlmay-Rundegg die Soldaten des Kaisers Franz I., einholen würde, wenn sich keine Frieden herstellen lässt. Einige Räte schrien, dass das den Herrn Kardinal Dr. Dr. Bohuslav von Beserlmay-Rundegg aber schon gar nichts angeht und er solle droben auf seinem Bergerl bleiben oder noch besser ganz in Horšovský Týn im Urwald. Und in Frankreich hätten sie die Pfaffen alle auf Schafott gelegt und dann folgte ein lautes Bravo, bravo et vive Napoléon Bonaparte. Wieder andere schrien, sie, die Schreier im Rat der Stadt Prag, wären Vaterlandsverräter und man sollte sie einsperren und Hoch, Hoch, Hoch, seine Exzellenz und Majestät unserer Herr Kaiser von Böhmen und Österreich Franz I. Der verehrte und sehr kluge und besonnene Herr Oberbürgermeisters Dr. Wenzel Lukáš David Krpálek ersuchte die Fraktionen um Anstand und Ruhe und man müsst sich ja vor allen Böhmen im Land schämen.

Doch während er sprach, geschah etwas Unerwartetes. Eine laute Explosion erschütterte das Rathaus, und Rauch stieg aus dem Keller auf. Die Menschen auf der Straße gerieten in Panik und rannten in alle Richtungen. Der Oberbürgermeister wurde von seinen Leibwächtern in Sicherheit gebracht, aber nicht bevor er mit einem Blick die Situation auf der Straße erfasste. Die Herren Stadträte liefen durch den hinteren Ausgang aus dem Bürgermeisteramt und ab in Richtung Heimat, weil sie nicht unbedingt erschossen werden wollten. Der Oberbürgermeister sah, wie eine Gruppe von Bewaffneten das Gefängnis stürmte, in dem der Anführer der Rebellen gefangen gehalten wurde. Sie schossen auf die Wachen, sprengten die Zellentür auf und befreiten ihren Anführer. Dann verschwanden sie auf mehreren Pferden.

Der Oberbürgermeister war fassungslos. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die scheußlichen Rebellen noch so viel Kraft und Unterstützung hatten. Er fragte sich, wer hinter diesem Anschlag stecke, und ob er doch mehr Feinde hätte, als er dachte. Er wusste, dass er schnell handeln musste, um die Situation unter Kontrolle zu bringen, bevor es zu spät war. Er schickte einen Boten zu seinem Polizeichef an und befahl ihm, die Stadt abzuriegeln und die Rebellen zu verfolgen. Er schwor, dass er sie alle zur Rechenschaft ziehen würde, und dass er nicht rasten würde, bis Prag wieder sicher wäre. Und er ärgerte sich wie ein Fuchs, dem man in letzter Minute die gestohlene Gans wieder entrissen hatte, weil der Herr Kardinal sich bestätigte sah.

Dann war urplötzlich Stille in der Stadt und man ging wieder des üblichen Weges, als wäre nichts geschehen und der Herr Oberbürgermeister Dr. Wenzel Lukáš David Krpálek sagte zu seiner Maria, dass da noch was Größeres auf die Stadt und auf ihn den Herrn Oberbürgermeisters Wenzel Lukáš David Krpálek und die Stadt Prag zukommen wird.

Er hörte das rhythmische Hämmern, das Klirren der Zange, das Zischen des Wassers

Jeden Morgen um sieben Uhr hatte der Benjamin in der Schmiede seines Meister Ottokar Lipinsky zu stehen, dann trank er Wasser, viel Wasser, er würde schwitzen, schwitzen und nochmals schwitzen, stand er doch in der Schmiede an der Esse und am Amboss. Sein Meister erachtete ihn, der Benjamin als einen guten Menschen und er könnte ein guter Schmied werden.

Benjamin sah auch fasziniert zu, wie der Schmiedemeister das glühende Eisen auf dem Amboss bearbeitete. Er hörte das rhythmische Hämmern, das Klirren der Zange, das Zischen des Wassers. Er roch den Rauch, den Schweiß, das Metall. Er spürte die Hitze, die von der Esse ausging, die seine Wangen röteten. Er wollte nichts lieber, als selbst dort zu stehen, das Eisen zu formen, seine eigenen Werke zu schaffen. Er wusste, dass er Talent hatte, dass er etwas Besonderes schaffen konnte. Er hatte es schon oft bewiesen, wenn er heimlich kleine Figuren aus Draht oder Blech bastelte, die er dann stolz seinen Großeltern zeigte. Sie lobten ihn zwar, aber sie ermahnten ihn auch, nicht zu hoch zu greifen. Er sollte lieber einen soliden Beruf erlernen, wie Schuster oder Schneider, sagten sie. Sie wollten ihn beschützen, das wusste er. Sie hatten ihn aufgenommen, als seine Mutter gestorben war, als er noch ein kleines Kind war. Sie hatten ihm ein Zuhause gegeben, Essen, Kleidung, Liebe. Sie hatten ihm auch erzählt, wer sein Vater war: Kamil Okomitzler, ein reicher und mächtiger Mann, ein Stadtrat von Prag. Er hatte seine Mutter geschwängert, als sie als Magd in seinem Haus arbeitete, aber er hatte sie nie geheiratet, nie anerkannt, auch nie nach ihm gefragt. Benjamin hasste ihn dafür, hasste ihn dafür, dass er ihn im Stich gelassen hatte, dass er ihm sein Erbe vorenthalten, ihm sein Glück verwehrt hatte. Er schwor sich, dass er ihm eines Tages zeigen würde, was er konnte, dass er ihm beweisen würde, dass er sein Sohn war, dass er mehr war als ein Bastard. Manchmal sah er einen der Stadträte, wenn sie am abend nachhause gingen. Den Okomitzler hat er einmal gesehen. Er, Benjamin, war von ähnlicher Statur, groß, kräftig breitschultrig. In de Stadt war es bekannt, dass er der uneheliche Sohn des Stadtrates war. Auch Benjamin wollte irgendwann weg aus Prag. Den Herrn Okomitzler, sollte der sich erinnern, dass er sein Vater wäre, als Vater ablehnen. Und mit einem denkbaren schlechten Gewissen, soll er sich abmühen, sein Leben lang.

Sie hatten mit der weisen Theobroma gesprochen und eines Tages beschlossen sie, drei Golems zu erschaffen

Daher besuchten alle drei Freunde die alte Theobroma. Der weisen Frau wurde zugeschrieben, sie wüsste mehr über die Wirklichkeit, aber auch über die Geheimnisse der Menschen als andere und sie begreife sich als eine der Wenigen die großen Fragen der Welt und sie durchschaue die Menschen und sie wüsste auch, wie die Zukunft aussieht. Sie vertrauten sich mit all ihren Gedanken und Sorgen der weisen Alten an. Nach längerem Bedenken und Abwägen und ausführlichem Beraten mit Theobroma gingen sie dem Impuls der geheimnisvollen Frau nach. Sie sollten Neues denken, raunte die betagte Dame, etwas, was andere nie kreieren könnten, neue Ideen in der Tat umsetzen. Sie überlegten, bedachten und erwogen diese Gedanken.

Dann beschlossen sie eines Tages, drei Golems zu erschaffen, die ihnen bei ihren täglichen Aufgaben helfen würden. Mit Lehm aus dem Fluss Moldau formten sie die Golems und hauchten ihnen nach Anweisung mit geheimen Worten Leben ein. Dieser sogenannte Erste Hauch der Schöpfer würde sie am Leben erhalten. Sie sollten sich späterhin beim Rabbi Jesaja einfinden, wegen dem sogenannten spezifischen Geist und auch bei ihr zwecks neuer Geistigkeiten, aber mehr auf Physische gehend. Erst diesem Prozedere folgend, könnte man sagen, hier handelt sich‘s um echte Golems.

Schön sind‘s gwordn, sagten die drei Kameraden und eigentlich kanntat ma sie verwechseln mit Menschenmanner. Die drei Golems wurden stark und loyal, halfen den Brüdern, ihr Leben in Prag zu verbessern. Trotz aller Fähigkeiten fehlte den drei Golems tatsächlich und faktisch dieser spezifische Geist vom Rabbi Jesaja. Aber kommt Zeit, kommt Rat. Die Golembrüder lebten im Haus der drei Freunde, das sie sich mit eigener Kraft in der Nähe der Letnawiese im Prags Norden erbaut hatten. Die Golems trugen eine grobschlächtige Kleidung, die der Benjamin genäht hatte.

Der Jakob sagt, das Redn könnens etztat auch schon a wengerl besser und sauber haltn sie sie auch. Der frisch gebrannte Lehm nach dem bekannt guten Brand beim Köhler Severin lässt sich nämlich sehr gut an und es passt alles und man kanntat se amol a wengerl auße lassn in die Stadt. Der Samuel meinte, nix Gewisses woars ma net und wann de Prager unsane drei Buama zsammschlagn, machma uns drei neie, wos sagt‘s? Dass es passt, sagn die zwei Freunde und lass mas alle drei mitananda auße. Und wia gsagt, schau ma amol.

Sie erinnerte an den Aufstand 1617/1618

Theobroma spricht in ihrem Hinterhofzimmerchen in Prag über den Andrang draußen, der ihr Sorgen macht, dass sie Gegner hätte, wüsste man doch, sie stehe auf Seiten der GolemGolem. Sie ist alles andere als begeistert, den gegeistert zu sein, setze in Prag um diese wilde Napoleonische Zeit und die Zeit des so weit entfernten Kaisers Franz I. zu Wien, Gottvertrauen voraus und das hätten ihr die Prager Umstände und Zustände genommen. Und ihr genügen am Morgen ein Brot und ein Teller Haferlockensuppe und zu Mittag wieder Haferlockensuppe und zwei Kartoffeln und eine Handvoll Kresse, den sie sich aus dem feuchten Garten holt. Zum Abend liegen dann Wurzeln aus dem Garten und ein älteres Stück harte Wurst auf dem Tisch, das hätte ihr der Metzger Leitseiler, ein Jugendfreund, gespendet und Vergelte es ihm Gott.

Während im Graben, am Viehmarkt und drunten an der Moldau wieder wie seit zwei Wochen über hundert Bürger auf der Straße um Brot und Kraut schrien, hätte sie gebetet, nur gebetet, ach, ja, was bleibt denn noch anderes als beten. Einige demonstrierten auf dem Aufmarsch wieder einmal gegen diesen Kardinal, andere gegen den Kaiser Franz I., dritte gegen oder auch für diesen Räuber und Rebellen, der sich irgendwo mit seinen Vasallen rumtreibt. Und andere brüllen nur, um Arbeit und Brot zu kriegen. Andere Prager schreien aber die GolemGolem an und das wird noch was, heißt es, wenn da Leute rumlaufen, die keine Leute sind, gemacht aus Lehm, gebrannt beim Köhler draußen, und zur Geisterstunde auch noch, und man soll sich hüten. Ein solch gutes und braves Verhalten und sie spreche jetzt von den Golembrüdern, sagte die Theobroma, da könnten die Leute sich was abschauen, nur freundlich sie die Golemmanner und sie hacken Holz, tragen Wasser in die Stube und den Mist fahren sie auf die Äcker vor der Stadt, gehen zu den alten, den Witwen und Waisen und helfen aus.

Nun ja, die Menschen waren außerdem wegen der Zustände in der Heimat besorgt. Die Menschen in Prag und in Böhmen waren enttäuscht von denen da oben, die drauflos regierten und nicht an die kleinen Leute dachten, die nur für sich lebten und sich um ihre Pfründe kümmerten. Trotzdem geht es ihnen besser als den Preußen und den Bayern. Aber der Kaiser Franz I. hat kaum Anhänger bei uns und er müsste beileibe erst nachfragen, ob er überhaupt reindarf ins schöne heilige Prag und die weise Theobroma erinnerte an den Aufstand 1617/1618 und dann noch an den Dreißigjährigen Krieg. Da hätten die Prager die Kaiserlichen aus dem Fenster geworfen, aber gut, dass die einen großen Misthaufen unter dem Fenster liegen hatten.

Die drei Freunde Samuel, Benjamin und Jakob blieben noch eine Weile, sie hatten der Theobroma ein Brot mitgebracht und drei Eier und die Theobroma sagte, dadurch kämen sie in den Himmel oder könnten viele Jahre Fegefeuer abbüßen, denn man soll die Nächsten lieben wie sich selber. Und die Oberen würden unverkennbar die Not und den Kummer der armen Prager unterschätzen und wenig dagegen tun und vielleicht kann es der Herr Oberbürgermeister Wenzel richten.

Die Freunde nickten, wussten nur wenig zu sagen und trotzdem sahen sie es ebenso, weil die Theobroma alles gut erzählt und erklärt hat. Aber der Untergang würde sich hinziehen, noch hundert Jahre. Dann wird der große Sturm kommen, das Übermaß an Lumpereien und Verbrechen ist dann voll und es kommt zu einem noch größeren Krieg, als der Napoleonische, der Europa übernommen hat, sagte sie und wegen dene Golemmanner solln sie sich beizeiten sehen lassen, bevor sie ins Böhmischen reinwandern.

Und die drei Freunde bereuten manchmal, dass sie die Golembrüder aus Ton erschaffen hätten. Und dass der Hauch vom Juden wirklich bald nötig wäre, weil unsane Golemmanner nur spärliche Haare wachsen tatn und beweglich waratn sie noch nicht recht und wenn sie sich bücken, dann krachts noch und sie bräuchten schon noch einen echten geistlichen Zuspruch und das sagten sie der Theobroma. Die Theobroma sagte, den Zuspruch kann sie den Golembrüdern freilich geben und sie, die drei Freunde, müssten dabei sein. Und dass es nichts kostet, sagte sie und höchstens ein Brot und ein Kraut und gelbe Rüben und eine Gurke und da käme sie dann durch die Woche und ein geistlicher Zuspruch koste sie innerliche Kraft.

Kraft, Geschmeidigkeit, Geist und Hauch, ihr nun gehört zusammen, sollen sie sagen

Die Theobroma verabreicht nun den drei Golems ihren besten Geisthauch. Die Golems hatten derweil draußen vor der Tür gewartet und nun wurden sie hereingebeten. Die Theobroma sagte, der Hauch vom Rabbi Jesaia nützt wenig zum Haare wachsen lassen, nicht zur Gelenkigkeit und sie würden weiterhin wie Lehmklötze ausschauen. Der Adamsch, der Matyáš und der Nepomucký nickten mit ihrem brockigen Köpfen und weil die Theobroma sagte, sie möchten sich vor sie hinstellen, taten sie das auch. Und die drei Freunde stellte sich auch daneben und dahinter. Dann sagte Theobroma zu den drei Golems, sie sollen jetzt gemeinsam dreimal hintereinander das Wort Mittendrin sagen. Und der Adamsch, der Matyáš und der Nepomucký sagten dreimal Mittendrin.

Dann sagte sie zu den drei Golems, sie sagen Immer dabei dreimal hintereinander sagen und die drei Golems sprachen dreimal Immer dabei. Jetzt müssten sie bald wahrnehmen, dass es prickelt und kitzelt auf der tönernen Haut und tatsächlich, gleich fing es zu prickeln und zu kitzeln an und die Theobroma lachte und griff dreimal jedem Golem an die Stirn und die Schädeldecke deckte sie dann mit beiden Händen zu und über die Arme vom Nepomucký, Matyáš und Adamsch strich sie mit beiden Händen.

Zum Benjamin, zum Jakob und zum Samuel, als den Erbauern und Schöpfern der drei Golembrüder sagte sie, sie sollten sich jetzt dreimal verneigen vor ihr und dreimal vor den Geschöpfen aus ihrer Hand und sagen, wachst ihr Haare, dann Haut werde geschmeidig und dann Kraft, Geschmeidigkeit, Geist und Hauch nun gehört ihr zusammen sagen und sie taten wie ihnen geheißen. Dann auf einmal lachten die drei Golembrüder nahezu wie Menschen und sie beugten sich und streckten sich und redeten fast wie Menschen, nur etwas kehlig und sie sagten, dass das gut wäre und dass sie spürten fundamental wie Kraft und Geschmeidigkeit, Geist und Hauch zusammenfinden.

Man redet dann von der kaiserlichen und erfolgreichen Stadt und derweil geht Böhmen unter

Die Prager Proleten und andere Zugezogene und lange schon hier die Heilige Stadt Prag Bewohnende, die man das Gschwerl nannte, schrien wieder einmal, wir haben das jetzt genug, es reicht schon, wenn die Reichen mit ihren Kutschen durch die Stadt fahren und wir hungern und dann kommen noch drei Golems und nehmen uns die schwere Arbeit weg und sie verlangen kein Geld, wie muss man sich denn da schämen. Und erst die vielen Toten wegen der Pest oder was das war im Frühjahr und die Welt ist unversehens angehalten worden oder gar zum Endpunkt gebracht worden. Wovon man die Kinder ernähren soll, wenn die starken Golembrüder alles mitnehmen und es verkaufen am Viehmarkt. Und die Kinder und die Weiber sterben wie die Fliegen und was ist, wenn die Weiber tot sind, kein Mensch kümmert sich um die übrigen Kinder und dann sollen die Männer wieder ein Weib nehmen, kostet ja was. Man redet dann von der kaiserlichen und erfolgreichen Stadt und derweil geht Böhmen unter.

Lange Zeit hätte es gepasst, aber dann kamen die Golembrüder und alle Leute sind Unbändige und die Angewohnheiten von ehedem, wo sind die und keiner tanzt mehr oder macht Musik. Sind sie doch alle zu müde und ausgehungert. Früher wären die Straßen recht belebte Alleen gewesen, heute sind sie von einer Woche zur anderen hin mehr ausgestorben. Am Viehmarkt von Prag hätten die Bauern frische Kartoffel, Rüben Äpfel und Birnen, Zwetschgen, Gurken, Tomaten und ein Sauerkraut verkauft und heut gibt es an den Ständen nur mehr altes und verwelktes Zeug und es bräuchte wieder einen Rebellen und den Piroska Waldemar Vaclav haben die Oberen sehr wahrscheinlichst hingemacht. Und bei uns läuft jede Hoffnung fehlt und es geht so weiter und wie viele Weibsleut sind schon in die Moldau gehupft. Und der Herr Kardinal hat bei der Beerdigung von der Baronesse von Tuschky gepredigt, da tuet sich nun ein Tor auf, derweil ein anderes zugetan wurde, aber hunderte wären noch offen. Aber die Tuschkys ham ja as Geld und können sich leicht ein Tor oder hundert Tore aufmachen lassen und das wäre alles nur ein erzbischöfliches Gerede.

Andere schrien, dass es gut und billig wäre, wenn die Golem zulangen, fehlten doch starke Männer, weil die Prager Mannsbilder vor lauter Hunger schon beim Bücken umfallen und liegenbleiben. So gab ein Wort das andere. Aber es ließ sich kein Rebell mehr sehen und so griffen die Golembrüder wieder zu und nur dort, wo man sie brauchte.

Die drei Freunde hatten nun wieder ein Argument, sich neuen Gedanken hinzugeben und der Benjamin sagte, man könnte runterwandern nach Ostrau oder gar nach Troppau gehen oder rüber nach Karlsbad oder Marienbad oder ins Bayerische.

Dann gingen die an allem und vielem interessierten drei Golembrüder an die gedankliche Arbeit ran und debattierten über andere Flüsse, Wege, Städte und deren Sehenswürdigkeiten und Annehmlichkeiten und ob die auch so schöne Brücken und Kirchen und Kapellen und Straßen und Palais haben, die zu Ostrau oder die zu Marienbad, und dass man auch dort den Alten und Kranken, als so dem Nächten allgemein dienen und helfen könnte. Dass viele ihren Zukunftsglauben aufgegeben hätten, dass sie unverschuldet in Not gekommen wären, dass die Golembrüder sie aus Zwangslagen befreien würden. Sie stellten dem gegenüber die jeweiligen und individuellen Impressionen, Gemütsbewegungen und Erfahrungen der Golembrüder und sie waren gespannt. Alle waren sie gespannt wie ein Regenschirm oder ein Paravent, den die Damen lieben.

Adamsch prägte die Unterhaltung mit seiner reichen philosophischen und theologischen Phantasie und mit der gar surrealen Bilderfauna und Bilderflora und er erzählte zahlreiche Beispiele aus seiner Traumwelt, gestaltete damit sozusagen eine Art Schlachtengemälde, wie Nepomucký sagte. Der Matyáš meinte, dergleichen werde er morgen auf der Letna, wenn er mit seinen Anhängern spricht, noch weit hinaus ausweiten. Da lässt sich viel mit bunten Farben und Smaragden, Türkisen und Opalen einfärben und das je Situative eben connected mit Gedanken, viralen und omnipotenten Redefiguren und Bildern, immer wieder Bilder, denn die Menschen leben von Bildern.

Ja, ja, sagte Adamsch und immer wieder eines: Philosophie und Theologie müssen harmonieren, sowie Geben und Nehmen, Suchen und Finden, Trauern und Lachen, Schlafen und Wachen harmonieren müssen. Er sagte: Dum vita est, spes est, was so viel bedeutet, wie, solange es Leben gibt, gibt es Hoffnung.

Quod tibi fieri non vis, alteri ne feceris. Ist gleich: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu. So sprach Matyáš und die Brüder sollen sich‘s merken und die Brüder sagten, wir merken uns das.

So kamen sie wohl oder auch übel an ein Ende.

Nepomucký lachte und er könnte jetzt dem Kaiser Franz I. einen Brief schreiben lassen

Die drei Freunde aber fühlten sich trotz ihrer neuen Helfer immer noch außerhalb der Prager Gesellschaft und unerfüllt in der großen Stadt. So beschlossen sie, einen Neuanfang zu wagen und zogen nach Karlovy Vary. Der Jakob nahm den Adamsch zur Hand und dann verließen sie gemeinsam noch bei Nacht die Stadt, dahinter schritten der Samuel, der den Matyáš führte und schließlich wurde der Nepomucký vom Benjamin begleitet. Bald hatten sie Stadt hinter sich gelassen. Sie waren demnach über die Karlbrücke hinauf zum Hradschin gegangen und setzen ihren Weg in Richtung Trebitz fort. Sie waren drei Tage unterwegs und sie schritten weiter nach České Kopisty. Dort und wie‘s der Zufall halt so will, sagte der Benjamin, lebt irgendeine Tante und die ist alt und wird mir‘s wenige Geld vielleicht vererben. Bei der Tante Emma Fondravilova lebten sie und die drei Golem waren auf dem Dachboden und im Keller untergebracht. Sie waren seelengut, redeten eigentlich nichts und arbeiteten, was man ihnen auftrug. Die Tante, eine Emma, sagte, die Golembrüder wären aber seltsame Leute und wenigstens essen die nicht viel. Nach České Kopisty hielten sich dann nach links unten, wo der Weg nach Chomutova reingeht und dann hätten sie noch zwei Wochen bis Karlovy Vary. In Chomutova hatten die Leute ein Schloss stehen und wie es der Zufall will, sagte der Jakob, lebt da ein entfernter Verwandter nahe dem Schloss. Das war ein entfernter Cousin vom Jakob und der war ein angestellter Reiter. Er brachte die drei Freunde und die drei Golembrüder in einem alten und ausgedienten Pferdestall unter. Die Golems misteten alle Ställe aus, soweit ihnen geheißen wurde. Sie putzten und striegelten die Pferde und trugen deren Mist in den Garten. Der Verwandter, ein Branko, sagte, solche Leute könnte er brauchen, die arbeiten fest, essen nicht viel, aber dass sie seltsam ausschauten und die Kleider würden ihnen runterhängen. Dann gings wieder weiter nach Westen, denn sie wollten die Eger entlanglaufen. Die Brüder, der Samuel, der Benjamin und der Jakob sagten, dass die Strecke lange wäre und die Schuhe werden‘s gar durchgelaufen und man müsste jetzt schauen, ob man ein Essen erwischt und vielleicht lebt da wiederum irgendwo ein entfernter Verwandter. Der entfernte Verwandte lebte bedauerlicherweise nimmer, er hätte zuletzt im Keller gehaust. Man hätte ihn ins Armengrab gelegt, hieß es in der Nachbarschaft, weil er kein Geld hatte. Das Haus stand jedoch noch und da war ein Marschall vom Baron von Brauchmühl, der mit Getreide und Pferden und Ochsen handelte, einquartiert. Ein angesehener Bürger mit drei Töchtern war er und die Frau war schon lange verstorben. Die drei Töchter sagten sich, mit den drei feschen Buben könnte es eventuell was werden. Und er, der Marschall, würde sie alle zum Arbeiten brauchen können, aber mit der Kost da hätt‘s was. Dann überlegten sie und man einigte sich. Aber sie wären halt nicht von Adel.

Es ließ sich alles trotzdem recht gut und die jungen Leute, der Jakob, der Samuel und der Benjamin verstanden sich gut mit der Eva, der Adéla und der Bozena. Karlovy Vary gefiel ihnen und auch den Golembrüdern gefiel es, nach Nachfrage. Mit den Golembrüdern an ihrer Seite bauten die Brüder ein neues Leben auf, voller Hoffnung und Möglichkeiten. Die Golembrüder saßen in einem Stall, redeten kaum und warteten vor sich hin. Die Nachbarn zeigten mit den Fingern auf sie und sagten, dass das die Teufel wären, bei dem Gschau. Andere baten die drei Golem, bei ihnen zu arbeiten und diese Leute sagten, die Golembrüder wären gute und anständige Leute, ein wenig seltsam, aber wahrscheinlich aus der Slowakei oder aus Polen. Und so lebten die drei Freunde glücklich und zufrieden in Karlovy Vary und die von ihnen aus Lehm geformten Golems an ihrer Seite schienen zufrieden. Der Jakob, der Samuel und der Benjamin fanden endlich den Frieden, den sie so lange gesucht hatten. Und obwohl sie immer noch recht wenig Reichtum besaßen, lebten sie zufrieden und reich an Liebe und Zusammenhalt, und das war das Wichtigste für sie. Und sie würden glücklich bis an ihr Lebensende sein und in Karlovy Vary ihr Leben aufbauen.

Nach langen Monaten bauten sie den Golembrüdern eine eigene Hütte und man nannte einander neu beim Namen, denn die drei Golem besaßen nun neben dem Geist und dem Hauch auch die Kraft und die Geschmeidigkeit und Haare wuchsen ihnen auch am ganzen Körper. Der GOLEM-JEDNA nannte sich nun mit all diesen vier Eigenschaft gerne und mit glänzenden Augen selber den Adamsch, der GOLEM-DVA nannte sich mit ebenso leuchtenden Augen Matyáš und der GOLEM-TRI, der Nepomucký lachte und das wäre ganz was anderes und er könnte jetzt dem Kaiser Franz I. einen Brief schreiben lassen. Und die drei geheimnisvollen Golembrüder erstaunten nach diesen nicht einfachen ersten Jahren, dass aus einer formlosen Masse gebranntem Lehm drei Menschähnliche, wenn auch sehr grobschlächtige Individuen entstanden waren.

Eines Abends saßen die sechs Freunde beisammen und die drei Töchter waren anwesend und Adamsch erzählte eine Geschichte aus alter, alter Zeit: Dass nach der jüdischen Sage aus Lehm oder Ton künstlich erschaffene, stumme menschenähnliche Wesen, die oft größer als die echten Menschen und kräftiger waren, als Retter der Juden in Zeiten der Verfolgung in Erscheinung treten würden. Er hätte die Erzählung in der Stadtbibliothek von Karlovy Vary gelesen. Und das Leben dieses Golems wurde bekannt vor allem durch die Legende von Rabbi Löw, der um 1580 in Prag eine von ihm geknetete Tonfigur für einige Zeit belebt haben soll. Und Adamsch fragte, ob er denn weitererzählen sollte.

Die drei menschlichen Brüder baten, dies für später zu bedenken, sie sollten sich jetzt um die Pferde kümmern und den nächsten Tag vorbereiten und die moderne Zeit in Karlovy Vary fordert sie, wären doch die Menschen hier in Karlovy Vary noch sehr altmodisch. Allerdings würden besondere Menschen in den Hotels verkehren unter anderem der österreichische Kaiser und auch ein gewisser Schreiber, den sie alle Goethe nennen. Die würde Geschichten schreiben wie der Rabbi Löw von anno dazumal. Adamsch merkte zudem an, ihm wachsen Haare unter den Achseln und auf dem Kopf spürte er das Seidiges. Mehr wisse er nicht, könnte sich auch kein rechtes Bild darüber machen. Und ihr Brüder, fragte er. Und die Brüder sagten, wir auch nicht.

So hatten sie recht besondere Erfahrungen zu durchlaufen. Sie setzten sich gemeinsam in den Klostergarten und kehrten zur großen Freude der Mönche die Wege da drinnen. Dann stelzten sie auch einmal in die schöne Friedhofskirche oder sie gingen in die alte Felsenhöhle hinüber, um einfach eine Ruhe haben, sagten sie. Jeder hat seine Lebensprobleme, sagte dann der kluge Jakob und da braucht er eine Hoffnung und eine Zuversicht, sonst bricht er zusammen. Und der Benjamin sagte, er möchte mit den anderen Leuten singen und beten, so wie er es von der Mama und der Großmutter gelernt hat. Sie freuten sich über die schönen Statuen und an den Bildern an den Wänden hatten sie Freude, sie schauten hinauf an die Decke und freuten sich über die Gemälde und so manches der Bilder gab ihnen schon auch Rätsel auf. Hätte man sie gefragt, könnten sie sich heute vorstellen, auch einmal eine Kirche mit aufzubauen.

Die Theobroma, sagte der Benjamin, könnte im Recht sein, wenn sie sagt, als junge Menschen müsste man die Welt kennenlernen.

Die drei Golems lachten und grölten vor Freude

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