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Georges Perecs erstaunlicherweise bislang nicht ins Deutsche übersetztes »Traumbuch«, das die höchst produktiven Jahre zwischen 1968 und 1972 umfasst, offenbart einen sehr direkten und zugleich neuen Zugang zu Literatur und Leben des französischen Kultautors. Mal lapidar und scheinbar unbedeutend, mal monströs und unergründlich, teils komisch und sonderbar faszinieren die Notate durch eine Vielfalt und Intensität kleiner Formen und unterstreichen einmal mehr die intime Komplizität von Literatur und Unbewusstem. Dabei entpuppen sich die aus nächtlicher Werkstatt zu Tage geförderten Fragmente in ihrer rätselhaften Konkretion, ihrem Witz und tragischem Spiel als reicher Vorrat kreativer Möglichkeitsformen: Drehbuchentwürfe, Skizzen für Erzählungen, veritable Romananfänge. Ergänzt durch ein Glossar des Autors sowie mit einem Nachwort von Jürgen Ritte ist das Buch nicht nur ein Vademecum für biografische Fährtenleser und Perec-Fans, sondern auch ein literarisches Kaleidoskop zwischen Traum und Wirklichkeit.
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Seitenzahl: 203
Georges Perec
Die dunkle Kammer
124 Träume
Aus dem Französischen übersetzt
und mit einem Nachwort von Jürgen Ritte
diaphanes
Cover
Titel
Widmung
Jeder Mensch träumt.
N° 1 Die Messung
N° 2 Die Tabletts
N° 3 Weg
N° 4 Die Illusion
N° 5 Die Zahnärztin
N° 6 Adieu
N° 7 Auf meine alten Tage
N° 8 In der Metro
N° 9 Sinusitis
N° 10 Die Schriftsteller
N° 11 Helmlés Tod
N° 12 Go
N° 13 Das Hotel
N° 14 Die Jagd auf Skiern
N° 15 Die Rue de Quatrefages
N° 16 Die Festnahme
N° 17 Die Gerte
N° 18 Der Vergelesse
N° 19 Das Geldbündel
N° 20 C.
N° 21 S/Z
N° 22 Initialen
N° 23 Richtung Süden
N° 24 Die Katzen
N° 25 Die zwei Stücke
N° 26 Die S-förmige Bar
N° 27 Der Wechsel
N° 28 Die Epidemie
N° 29 London
N° 30 Gaba
N° 31 Die Gruppe
N° 32 Ein Abend im Theater
N° 33 Die Esplanade
N° 34 Die Doppelwohnung
N° 35 Im Café
N° 36 Im Kaufhaus
N° 37 Der Stuckateur
Drei Träume von J.L.
N° 38 Das Palais de la Défense, I
N° 39 Die steinerne Brücke
N° 40 Das Palais de la Défense, II
N° 41 Auf Jagd in Dublin
N° 42 Die Zubereitung des Mahls
N° 43 Die Wohnung
N° 44 High fidelity
N° 45 Der Panzer
N° 46 Konzentrationslager im Schnee oder Wintersport im Lager
N° 47 Das chinesische Restaurant
N° 48 Der batteriebetriebene Wecker
N° 49 M/W
N° 50 Der ungebetene Gast
N° 51 Der große Hof
N° 52 Am Meer
N° 53 Renshaw
N° 54 Die Diplomarbeit
N° 55 Der Gleichgewichtspunkt
N° 56 Sperma und Theater
N° 57 Die Rückkehr
N° 58 Der Schnee
N° 59 Der Rächer
N° 60 Die Befreiung des Brotes
N° 61 Im Rougeot
N° 62 Traum B.
N° 63 Der städtische Western
N° 64 Der Knochen
N° 65 Die Bretter
N° 66 Das Dreieck
N° 67 Der entwendete Brief
N° 68 Wörter, die mit »I« beginnen
N° 69 Othon
N° 70 Der Wechselverkehr
N° 71 Der Autobus
N° 72 Karneval
N° 73 P. singt
N° 74 Auf der Suche nach Kalifornien
N° 75 Die Anstreicher
N° 76 Die Renovierung
N° 77 Der Vertreter
N° 78 Die Reise
N° 79 Die Schauspielerin, I
N° 80 Die Probe
N° 81 Der Mann mit dem Hund
N° 82 Die drei M
N° 83 Die Notiz
N° 84 Die verweigerte Zeugenschaft
N° 85 Bälle und Masken
N° 86 Mit Ehren überhäuft
N° 87 Acht Fragmente, vielleicht einer Oper
N° 88 Das Thermalbad
N° 89 Das Kreuzworträtsel
N° 90 Meine Größe
N° 91 25 Stockschläge
N° 92 Die Schauspielerin, 2
N° 93 Der Schneepflug
N° 94 Das Gasthaus
N° 95 Der Hypothalamus
N° 96 Das Fenster
N° 97 Die Bootsfahrer
N° 98 Die Seilschaft
N° 99 Die Résistance
N° 100 Finnland
N° 101 Die Unordnung
N° 102 Die Türme
N° 103 Das Grab
Einer von P.s Träumen:
N° 104 Die dritte Person
N° 105 Das Urteil
N° 106 Die Bibliothèque nationale
N° 107 Im Restaurant Kuntz
N° 108 Das Theaterstück
N° 109 Die Spelunken
N° 110 Meine Schuhe
N° 111 Rekonstruktion einer Wahl
N° 112 Die Bücher
N° 113 Der Bericht
N° 114 Das Puzzle
N° 115 Fragment einer allgemeinen Geschichte des Transportwesens
N° 116 Der Affe
N° 117 Der Joint
N° 118 Die doppelte Feier
N° 119 Rue de l’Assomption
N° 120 Hypothesen
N° 121 Die Miete
N° 122 Die Hochzeit
N° 123 Das Atelier
N° 124 Die Denunziation
Pisten und Listen
Anmerkungen des Übersetzers
Jürgen Ritte Traum und Trauma. Über Georges Perecs Dunkle Kammer
Impressum
für Nour
da ich denke
dass das Wirkliche
in nichts wirklich ist
wie sollte ich da glauben
dass die Träume Träume sind
Jacques Roubaud und der Mönch Saigyo
Jeder Mensch träumt. Manche erinnern sich an die Träume, sehr viel weniger erzählen von ihnen, und noch weniger schreiben sie auf. Warum sollte man sie auch aufschreiben, wo man doch weiß, dass man sie nur verraten würde (und sich gleichzeitig wohl auch selbst verrät?).
Ich glaubte die Träume, die ich machte, zu notieren: Sehr schnell wurde mir klar, dass ich längst schon nur noch träumte, um von meinen Träumen zu schreiben.
Was konnte ich mit diesen zu sehr geträumten, zu oft wieder gelesenen, zu sehr geschriebenen Träumen jetzt noch anderes anfangen als Texte aus ihnen zu machen, ein Textgebinde, eine Opfergabe, niedergelegt an der Pforte zu jenem »Königsweg«, den ich noch zu durchlaufen habe, und dies offenen Auges?
Soweit mir an einer gewissen Homogenität bei der Transkription und dann der Redaktion dieser Träume gelegen war, scheint es mir angebracht, folgende Hinweise zu Typographie und Satzspiegel zu geben:
– ein neuer Absatz entspricht einem Wechsel von Zeit, Ort, Gefühl, Stimmung usw., wie er im Traum empfunden worden ist;
– der Gebrauch der Kursiven, zu dem es nur ausnahmsweise kommt, deutet auf ein besonders markantes Element des Traumes hin;
– die mehr oder weniger großen weißen Flächen zwischen den Absätzen sollen den mehr oder weniger langen Passagen entsprechen, die beim Erwachen verloren gegangen sind oder unentzifferbar waren;
– das Zeichen // signalisiert eine freiwillige Auslassung.
N° 1
Mai 1968
Die Messung (der Name entfällt mir: Metronom, Rute) bei der man ad.lib. mehrere Stunden bleiben muss. Wie selbstverständlich. Der Schrank (die beiden Verstecke). Die Theateraufführung. Die Demütigung. ? . Die Willkür.
Es ist eine Szene mit mehreren Personen. In einer Ecke ist eine Messlatte angebracht. Mir droht, wie ich weiß, dass ich mehrere Stunden darunter zu verbringen habe; es ist eher eine Schikane als eine wirkliche Folter, aber dennoch äußerst unangenehm, denn nichts hält das Messholz in der Höhe fest, und so droht man zwangsläufig zusammengepresst zu werden.
Selbstverständlich träume ich, und ich träume selbstverständlich, dass ich in einem Lager bin. Es handelt sich selbstverständlich nicht wirklich um ein Lager, es ist ein Bild von einem Lager, ein Traum von einem Lager, ein metaphorisches Lager, ein Lager, von dem ich weiß, dass es nicht mehr als ein vertrautes Bild ist, als ob ich unablässig denselben Traum träumte, als ob ich niemals etwas anderes täte, als von diesem Lager zu träumen.
Es ist einsichtig, dass dieses bedrohliche Messholz zunächst reicht, um den ganzen Schrecken des Lagers auf sich zu konzentrieren. Ich entkomme übrigens dieser Drohung, sie verwirklicht sich nicht. Aber es ist eben genau diese umgangene Bedrohung, die den schlagendsten Beweis für das Lager darstellt: Was mich rettet, ist lediglich die Gleichgültigkeit des Folterers, seine Freiheit, etwas zu tun oder zu lassen; ich bin ganz seiner Willkür ausgeliefert (ganz genauso, wie ich diesem Traum ausgeliefert bin: Ich weiß, dass es nur ein Traum ist, aber ich kann diesem Traum nicht entrinnen).
Die zweite Sequenz nimmt diese Themen wieder auf, indem sie sie nur geringfügig modifiziert. Zwei Personen (von denen eine mit Gewissheit ich selbst bin) öffnen einen Schrank, in den zwei Verstecke eingebaut sind, in die man die Reichtümer der Deportierten gestopft hat. Unter »Reichtümer« hat man alle jene Gegenstände zu verstehen, die dazu geeignet sind, die Sicherheit und die Überlebensmöglichkeiten ihrer Besitzer zu verbessern, ob es sich dabei nun um unentbehrliche Gegenstände handelt oder um Gegenstände, die einen Tauschwert haben. Das erste Versteck enthält Wollsachen, alte, schäbige Wollsachen in tristen Farben. Das zweite Versteck, in dem sich das Geld befindet, besteht aus einer Klappvorrichtung: Eines der Fächer im Schrank ist innen ausgehöhlt, und seine Klappe öffnet sich auf ähnliche Weise wie bei einem Pult in der Schule. Dennoch gilt dieses Versteck als wenig sicher, und ich bin gerade dabei, den Mechanismus zu betätigen, der es freilegt, um das Geld herauszunehmen, als jemand eintritt. Es ist ein Offizier. Wir begreifen umgehend, dass ohnehin alles unnütz ist. Gleichzeitig wird klar, dass sterben und diesen Raum verlassen dasselbe bedeutet.
Die dritte Sequenz hätte diesem Lager, hätte ich sie nicht annähernd vollständig vergessen, gewiss einen Namen geben können: Treblinka oder Terezienbourg oder Katowicze. Das Theaterstück war vielleicht das »Requiem de Terezienbourg« (Les Temps modernes, 196, n°., S. …–…). Die Moral dieser verblassten Episode scheint sich auf ältere Träume zu beziehen: Man rettet sich (manchmal), indem man spielt… .
N° 2
November 1968
Mit einem Lächeln, das man nicht anders als »sardonisch« bezeichnen kann, hat sie es in meiner Gegenwart unternommen, einem Unbekannten Avancen zu machen. Ich habe nichts gesagt. Angesichts ihrer Beharrlichkeit habe ich den Raum verlassen.
Ich bin mit A. in meinem Zimmer – und mit einem Zufallsbekannten, dem ich das Go-Spiel beizubringen versuche. Er scheint das Spiel zu begreifen, bis zu dem Augenblick, da mir bewusst wird, dass er glaubt, gerade die Bridge-Regeln zu erlernen. Tatsächlich besteht das Spiel darin, Buchstabentabletts zu verteilen (eher eine Art Lotto als eine Art Scrabble).
N° 3
November 1968
: Labyrinth aus bekannten Geheimgängen, Tresortüren (rund, gepanzert), Korridore, sehr langes Umherirren auf dem Weg zur Begegnung
dann dieser Weg, den inzwischen jeder kennt.
N° 4
Dezember 1968
Ich träume
Sie liegt neben mir
Ich sage mir, dass ich träume
Aber der Druck ihrer Hand auf die meine erscheint mir zu fest
Ich wache auf
Sie liegt wahrhaftig und tatsächlich neben mir
Wahnsinniges Glücksgefühl
Ich schalte das Licht an
Das Licht scheint eine Hundertstel Sekunde auf und erlischt
(eine geplatze Birne)
Ich umarme sie
(ich wache auf: ich bin allein)
N° 5
Dezember 1968
Tief im Inneren eines Labyrinths von überdachten Passagen, ähnlich wie in einem Bazar, lande ich bei einem Zahnarzt.
Die Zahnärztin ist nicht da, aber ich treffe ihren Sohn an, einen jungen Burschen, der mich bittet, später wiederzukommen, sich dann eines anderen besinnt und mir sagt, dass seine Mutter von einem Augenblick auf den anderen zurückkommen wird.
Ich gehe wieder fort. Ich rempele eine sehr kleine, hübsche Frau mit lächelndem Gesichtsausdruck an. Es ist die Zahnärztin. Sie zerrt mich ins Wartezimmer. Ich sage ihr, dass ich keine Zeit habe. Sie sperrt mir den Mund ganz weit auf und sagt mir, indem sie in Tränen ausbricht, dass alle meine Zähne verfault seien, aber dass es sich nicht lohne, mich zu behandeln.
Mein weit geöffneter Mund ist riesig groß. Ich habe das fast schon konkrete Gefühl einer totalen Fäulnis.
Mein Mund ist so groß, und die Zahnärztin so klein, dass mir so ist, als wolle sie ihren ganzen Kopf in meinen Mund schieben.
Später laufe ich durch die Einkaufspassagen. Ich kaufe einen Gasherd mit drei Flammen, der 26000 Francs kostet, und einen Kühlschrank mit 103 Liter Volumen.
N° 6
Januar 1969
Eines Tages werde ich ihr sagen, dass ich sie verlasse. Sie wird geradezu umgehend ihre Tochter anrufen, um ihr zu sagen, dass sie nicht nach Dampierre kommen wird.
Während des Telefongesprächs wird ihr schönes Gesicht sich auflösen.
N° 7
Januar 1969
Obwohl Du in der Gewissheit lebst, noch jung zu sein, dürfte dies schon etwas weniger der Fall sein, denn zwei Deiner liebsten Freunde sind bereits tot und ein dritter liegt im Sterben…
Es war in etwa so wie in bestimmten Briefen Flauberts: »Wir haben Jules beerdigt…« (oder war’s Edmond?).
Wer waren die beiden Toten? Ist einer von beiden nicht Claude? Régis?
N° 8
September 1969
Nach möglicherweise unzähligen Abenteuern gelingt es mir, noch auf den abfahrbereiten Zug zu springen, während die mattschwarzen Portale sich bereits automatisch schließen.
Das Abteil ist lang und schmal. Es ist fast leer. Auf der anderen Seite des Wagons befindet sich lediglich eine unglaublich große Frau, die sich über mehrere Sitze gelegt hat, nicht quer zum Wagon, sondern der Länge nach, wobei ihre Füße sich in etwa auf meiner Höhe befinden und ihr Kopf fast schon am anderen Ende des Abteils.
Ich spüre (plötzlich) wie etwas (irgendjemand) mir sanft (mit der Hand) übers Haar streift.
Ich erschrecke.
Ich brülle.
Gewiss war das nicht die Frau, die noch aufgeschreckterweckter wirkt als ich.
N° 9
September 1969
Ich habe einem Arzt lange von meinen Stirnhöhlenentzündungen erzählt.
N° 10
Oktober 1969
In einem Kaufhaus oder auf einer großen Kirmes, etwa in der Art der »Fête de l’Humanité«. Sehr viele Leute. Wir verabreden uns von einem Stand zum nächsten.
Ich gehe hin, »um sowjetischen Schriftstellern vorgestellt zu werden«. Man wünscht mir einen guten Tag, aber zu meiner großen Enttäuschung achtet niemand weiter auf mich; alle hören Armand Lanoux zu (es ist das erste Mal, das ich ihn sehe, er ähnelt in keiner Weise dem Bild, das ich mir von ihm gemacht hatte), der auf Russisch (ich verstehe ihn ohne die geringste Schwierigkeit) über seine zehn Bücher spricht, die in der UdSSR übersetzt worden sind. Ich bin empört über die Zahl Zehn und verbessere das, für mich, in »zehn Mal dasselbe«.
Ich gehöre zu einer Gruppe Hippies. Auf einer Landstraße stoppen wir den Verkehr. Wir umzingeln eine Luxuskarosse und rücken ihr bedrohlich näher.
N° 11
Oktober 1969
Aus Deutschland erhalte ich einen Brief, der mir mitteilt, dass Eugen Helmlé gestorben ist. Ich hatte ihm noch am Vortag geschrieben.
Nach und nach wird mir klar, dass ich träume und dass Eugen Helmlé nicht tot ist.
N° 12
Oktober 1969
Ich spiele mit einem Schriftsteller namens Bourgoin, den ich im Übrigen unsympathisch finde, eine Partie Go (aber es ist eher ein Puzzle, dessen Steine sich am Ende zu einer Art Kugel zusammenfügen).
Ich beschließe, nach Dampierre zu fahren, noch während ich in der Rue de l’Assomption bin. Ich bewege mich auf ein Café am oberen Ende der Straße zu, dann biege ich ab Richtung La Muette. Ich bin wütend.
Vielleicht spielt es in Dampierre oder ist es noch die Rue de l’Assomption? Die Räumlichkeiten werden gerade restauriert, auch wenn dort ein Empfang stattfindet, was die – auf den ersten Blick überraschende – Anwesenheit von Arbeitern mitten im Salon erklärt. Ein Schriftsteller tritt ein, ich merke, dass ich sein Buch in der Hand halte und damit spiele (mir damit Luft zufächele?).
J. und M.L. scheinen sich wieder versöhnt zu haben. Sie spielen zusammen eine Partie Go. Etwas später überrasche ich sie dabei, wie sie sich in einem staubigen Zimmer küssen, das dem Büro ähnelt, das ich in der Rue du Bac hatte. Ein Arbeiter kommt und reißt den Türrahmen heraus, wobei er in sehr technischer Manier erklärt:
– Die Kanten sind abgeschrägt.
Über den Rahmen laufen die Stromleitungen, weswegen jetzt alles kurz in Dunkelheit getaucht ist. Ich sage mir, dass er ein hervorragender Elektriker ist, und dass es auf diese Weise einfacher sein wird, die Möbel hinauszutragen.
Drei Arbeiter (einer von ihnen ist der Gärtner aus Dampierre) bauen eine Salonterrasse.
Ich habe eine Szene mit
N° 13
Februar 1970
Ich suche nach einer Wohnung, die ich auf einen Monat mieten will. Jemand, dessen Beruf es just ist, Wohnungen zu verkaufen oder zu vermieten, rät mir, lieber ins Hotel zu gehen und empfiehlt mir das La Boule Blanche mitten in Saint-Germain. Tatsächlich kannte ich das Hotel schon dem Namen nach, aber ich bin noch nie dort gewesen.
La Boule Blanche liegt an einem ganz ruhigen Platz, ähnlich wie der Square Louis-Jouvet in der Nähe der Oper (dort, wo sich die Cintra Bar befindet). Es erinnert mich an ein anderes, ganz in der Nähe gelegenes Hotel, in das eine meiner Freundinnen gegangen sein muss oder in das zu gehen sie P. (oder vielleicht mir) geraten haben muss.
Ein Kongress ganz im Fin-de-Siècle-Stil findet in diesem Hotel statt. Die Lesesäle sind überfüllt, auf den Tischen häufen sich die ausliegenden Zeitungen.
Ich drehe mich im Kreis herum, suche nach der Hotelrezeption und frage schließlich jemanden, wo sie sich befindet, und bekomme zur Antwort:
– Aber da ist sie doch.
Da ist sie, in der Tat. Sie ähnelt ein wenig meinem großen Schreibpult, aber sie ist geschwungen. Drei junge Frauen tun hier Dienst.
Man flüstert mir zu, dass viele Leute abreisen und dass ich ohne Probleme ein Zimmer bekommen werde. Außerdem geben gerade drei oder vier Herren ihre Schlüssel zurück.
Ich möchte nach einem Zimmer fragen, aber ich vertue mich und frage nach einer Suite. Man fragt mich, warum. Ich erkläre, dass ich gerade meine Wohnung wechsle und mich hier gerne für einen Monat einquartieren will.
Zwei der drei Angestellten diskutieren untereinander und beschließen, mir das Hochzeitszimmer zu zeigen.
Es liegt ganz oben. Wir steigen zu Fuß hoch. In dem kleinen Eingangsraum steht eine Lampe mit einer Skulptur als Ständer, welche eine nackte, kopflose Frau darstellt, die mit ihren Armen eine Boa umklammert oder erstickt, die sich um sie herum gewunden hat. Die Frau und die Schlange sind aus Holz, aber die Imitation ist so perfekt, dass man einen Augenblick lang glauben könnte, es mit lebendigen Wesen zu tun zu haben.
Ich besichtige die Suite. Sie besteht aus zwei Zimmern, die untereinander über eine kleine Treppe kommunizieren.
Ich versuche zu erklären, dass mir ein Zimmer, ein großes Zimmer reichen würde. Dann frage ich sie, in dem ich das Thema wechsle, wie viele Whisky-Marken sie in der Bar haben. Ich erhalte eine Reihe von Wörtern zur Antwort (etwas in der Art von »long john«, »glen…«, »mac…«), dann das Wort »Chivas«, das sie mehrfach wiederholen und dabei deformieren (Chavasse, Shiwa usw.).
Danach frage ich, was es an Wodka gibt. Man antwortet mir mit einem Wort, das auf »ja« endet; ich verstehe »Denitskaja« oder »Baltiskaja«. Ich freue mich, dass es ein echter Wodka ist…
N° 14
Februar 1970
Es ist ein Film, bei dem ich a) den Dreharbeiten beiwohne, b) nach dem Schnitt der Vorführung beiwohne, c) einer der Darsteller wäre.
Irgendwo im Wald. Eine Jagdszene. Wir stehen mitten im Gehölz. Es liegt möglicherweise Schnee.
Die Jäger fluchen über die Wilderer, die ihnen stets kurz zuvorkommen und ihnen das Wild wegschnappen, das sie auftreiben.
Neues Bildfeld (seitliches Panorama). Ich finde mich sehr weit außerhalb.
Es kommen vier struppige, bärtige, in Pelze gehüllte Gestalten vorbei: die Wilderer.
Dann, auf Skiern, der »Chef de Chasse«, dann der Kameramann mit einer unglaublichen Ausrüstung auf dem Rücken, dann der Tontechniker, auch er sehr beladen, dann, usw., der Rest der Equipe.
Sie bringen, im Rückwärtsgang und auf Skiern, die Wilderer mit. Zoom auf ihre Skier: Sie sehen sehr komisch aus, man könnte meinen, sie haben Absätze.
Unter den Schmugglern eine alte Jüdin, sehr hässlich, äußerst unsympathisch (wie auf einer antisemitischen Karikatur).
Sie trägt einen sehr teuren Pelzmantel.
Ich spreche mit ihr auf dem Weg zurück ins Dorf: Im Prinzip könnte sie es sich leisten, an einer richtigen Jagd teilzunehmen (sie hätte sogar genug, um sich eine eigene zu leisten), aber sie jagt lieber das Wild der anderen.
Ich sage ihr, dass sie riskiert, belangt zu werden und ihren Namen zu entehren.
Was folgt, ist konfus: Es ist die Rede von Diffamierung, von Bußgeld.
Der Skandal sollte im Keim erstickt werden.
N° 15
Mai 1970
Wir wohnen, P. und ich, in der Rue de Quatrefages, ganz hinten im Garten und nicht mehr auf dem vierten Stock, sondern im Erdgeschoss. Wir leben getrennt, das heißt, wir haben unsere Wohnung aufgeteilt und separiert. Nach komplizierten Bauarbeiten kommt es sogar noch so weit, dass wir diese Wohnung mit unserer Nachbarin teilen.
Ich besichtige die Wohnung. Die ersten beiden Zimmer sind mir vertraut; es handelt sich in der Tat um unsere alte Wohnung in der Rue de Quatrefages. Danach gerät man in einen kuriosen Teil: Es handelt sich um eine sehr bizarr eingerichtete Küche. Dort befindet sich ein winziges Waschbecken (ein »Spülstein«) aus Email mit laufendem Wasserhahn über einem Kochtopf (eine Kasserole), der größer ist als das Becken (was nur die Vorstellung auslösen kann, dass es bald zum Überlaufen kommt…); über dem Becken findet sich eine riesige Abzugshaube aus Glas (eine »Kapelle«); sie ist aus Glas, aber man kann kaum hindurchsehen, es ist »satiniertes« (geriffeltes) Glas; ein weiteres bemerkenswertes Detail: Die Abzugshaube hat keine Verankerung in der Wand, auf der die Gas- und Wasserleitungen liegen; sie dürfte also von der Decke herunterhängen. Es gibt dort auch einen Gasherd, auf dem ein paar Gerichte köcheln.
Hinter der Küche befindet sich ein großes Badezimmer mit einer trapezförmigen Badewanne. Danach kommt ein Flur, und ganz am Ende eine Tür aus leicht wurmstichigem Holz. Ich stelle auf diese Weise zum ersten Mal in meinem Leben fest, dass meine Wohnung über zwei Zugänge verfügt; ich hatte bereits eine vage Ahnung, aber jetzt habe ich (endlich?) den handfesten Beweis.
Ich öffne diese Türe. Und gleich entwischen unsere drei Hauskatzen. Es handelt sich um eine weiße und zwei graue Katzen, wobei die eine mit Gewissheit die meine ist. Das ist nicht weiter schlimm, sie werden gewiss zurückkommen; ganz offenbar lässt P. die Katzen immer durch diese Tür – und nicht durch die andere – aus dem Haus.
Ich schaue durchs Schlüsselloch (es ist ein rundes Loch von der Größe eines Auges). Ich sehe die breite, mit Bäumen bewachsene Allee und ein paar Geschäfte, darunter ein Restaurant.
P. hat sich in der Wohnung schlafen gelegt. Sie hat nur eine der Katzen wiedergefunden. Sie war in der Rue Mortimer.
Mir wird zunächst klar, dass das erste Zimmer der Wohnung P. und der Nachbarin gemeinsam gehört, sodann, dass es sich nicht um meine Wohnung handelt, dass ich hier niemals gewohnt habe.
Im ersten Zimmer sind P.s Bereich und der Bereich der Nachbarin durch einen Bücherstapel getrennt. Die Nachbarin – eine ziemlich alte und eher gewöhnliche Frau – weiß nicht mehr so recht, welche Bücher sie sich bei P. ausgeborgt hat, noch welche genau sie gelesen hat und sie ihr wieder zurückgeben will.
Sie reicht mir ein sehr schönes Buch, ein wenig in der Art der Jules Vernes aus der Edition Hetzel. Vor Freude zucke ich zusammen: Das Buch trägt den Titel
DIE BRONCHIEN
Es ist ein seltenes Buch, ein Klassiker der Physiologie der Atmungsorgane, über das, wie ich mich erinnere, G. einmal gesprochen hat. Ich schlage es auf. Es ist auf Deutsch geschrieben (mit gotischen Lettern).
Ich erkenne in dem Bücherstapel mehrere mir vertraute Bildbände wieder (die Stilübungen von Queneau-Massin-Carelman, mehrere Steinbergs usw.).
Der Ehemann der Nachbarin tritt ein. Ein schlaffer, alter Mann. Er trägt keinen Schnurrbart. Oder aber, im Gegenteil, er trägt einen. Er hat ein wenig Ähnlichkeit mit dem Schauspieler André Julien oder vielleicht mit André R., dem Vater eines meiner ehemaligen Klassenkameraden. In der Hand hält er eine Art Mäppchen in der Form eines dicken Kugelschreibers, das entweder mit mehreren Kugelschreibern oder nur mit einem einzigen, enormen Kugelschreiber mit, sagen wir, zwölf Farbminen prall gefüllt ist. Er schüttelt unzufrieden den Kopf.
Später: Ich liege auf einem Bett neben dem Bücherstapel. Vor mir, zu meiner Linken, liegt P. auf einem anderen Bett, das rechtwinklig zu meinem steht. In der Verlängerung von P.s Bett steht, mir gegenüber, ein langer Tisch, hinter dem (mir genau gegenüber) der Ehemann und (zu meiner Rechten) mit einer winzigen Batterie vor sich die Nachbarin sitzen.
Lange Zeit davor befanden wir uns, P. und ich, auf der Straße. Wir gingen an einem sehr schönen Park vorbei, genauso schön wie der Jardin des Missions étrangères in der Rue de Varenne.
N° 16
Juli 1970
Ich bin in Tunis. Eine Stadt, die sich ganz in die Höhe streckt. Ich mache einen langen Spaziergang: Straße in Serpentinen, Vorhang aus Bäumen, Hell-Dunkel-Schraffuren, Panoramen. Es ist, als ob die Landschaft sich in ihrer Ganzheit darböte wie der Hintergrund eines italienischen Gemäldes.
Am nächsten Tag kommt die Polizei und nimmt mich fest. Ich habe vor langer Zeit eine winzige Kleinigkeit verbrochen. Ich habe überhaupt keine Erinnerung mehr daran, aber ich weiß, dass mich das heute zwanzig Jahre kosten kann.
Ich entkomme, mit einem Revolver bewaffnet. Die Gegenden, die ich durchquere, kenne ich nicht. Es besteht keine unmittelbare Gefahr, aber ich weiß schon jetzt, dass die Flucht keine Lösung ist. Ich kehre an vertrautere Orte zurück, dorthin, wo ich am Vortag spazieren gegangen bin. Drei Seeleute fragen mich nach ihrem Weg. Hinter einer Baumreihe waschen verschleierte Frauen ihre Wäsche.
Ich gehe über eine Straße in Serpentinen wieder in die Stadt hinunter. Überall Bullen, Hundertschaften. Sie halten jeden an und durchsuchen die Autos.
Ich gehe zwischen den Bullen hindurch. Solange sich unsere Blicke nicht begegnen, habe ich eine Chance davonzukommen.
Ich betrete ein Café, in dem ich Marcel B. vorfinde. Ich setze mich neben ihn.
Drei Typen betreten das Café (das sind natürlich Bullen!); sie schlendern ganz nachlässig durch den Saal. Vielleicht haben sie mich ja nicht gesehen? Ich atme geradezu auf, aber einer von ihnen setzt sich zu mir an den Tisch.
– Ich habe keine Papiere bei mir, sage ich.