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Er ist gezwungen, seinem schlimmsten Feind zu helfen – und würde lieber sterben, als diesen triumphieren zu sehen. Der 15. dunkle Fall des Harry Dresden.
Mein Name ist Harry Blackstone Copperfield Dresden, und ich bin der Winterritter der Herrscherin des Winterhofs der Elfen. Aber nur, weil ich in dieses Amt gezwungen worden war, musste ich ja nicht so grausam werden wie meine Vorgänger. Was ich allerdings nicht verhindern konnte, war, dass Königin Mab meine Dienste an meinen schlimmsten Feind auslieh: Nicodemus vom schwarzen Denar. Mit ihm und seinen Schergen musste ich in die am besten gesicherte Schatzkammer der Welt eindringen. Zum Glück war ich nicht auf mich selbst gestellt, sondern hatte Freunde, auf die ich mich verlassen konnte. Denn lieber würde ich sterben, als Nicodemus triumphieren zu sehen!
Die dunklen Fälle des Harry Dresden: spannend, überraschend, mitreißend. Lassen Sie sich kein Abenteuer des besten Magiers von Chicago entgehen!
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Buch
Mein Name ist Harry Blackstone Copperfield Dresden, und ich bin der Winterritter der Herrscherin des Winterhofs der Elfen. Aber nur, weil ich in dieses Amt gezwungen worden war, musste ich ja nicht so grausam werden wie meine Vorgänger. Was ich allerdings nicht verhindern konnte, war, dass Königin Mab meine Dienste an meinen schlimmsten Feind auslieh: Nikodemus vom Schwarzen Denar. Mit ihm und seinen Schergen musste ich in die am besten gesicherte Schatzkammer der Welt eindringen. Zum Glück war ich nicht auf mich allein gestellt, sondern hatte Freunde, auf die ich mich verlassen konnte. Denn lieber würde ich sterben, als Nikodemus triumphieren zu sehen!
Autor
Jim Butcher ist der Autor der Dresden Files, des Codex Alera und der Cinder-Spires-Serie. Sein Lebenslauf enthält eine lange Liste von Fähigkeiten, die vor ein paar Jahrhunderten nützlich waren – wie zum Beispiel Kampfsport –, und er spielt ziemlich schlecht Gitarre. Als begeisterter Gamer beschäftigt er sich mit Tabletop-Spielen in verschiedenen Systemen, einer Vielzahl von Videospielen auf PC und Konsole und LARPs, wann immer er Zeit dafür findet. Zurzeit lebt Jim in den Bergen außerhalb von Denver, Colorado.
Jim Butcher
BLENDWERK
DIE DUNKLEN FÄLLE DES HARRY DRESDEN
Roman
Deutsch von Dominik Heinrici
Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel »Skin Game (The Dresden Files 15)« bei Penguin RoC, New York.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
Copyright der Originalausgabe © 2014 by Jim Butcher
Published by Arrangement with IMAGINARY EMPIRE LLC.
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2024 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Peter Thannisch
Umschlaggestaltung- und motiv: www.buerosued.de
Illustrationen: © www.buerosued.de
HK · Herstellung: sam
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-31216-9V001
www.blanvalet.de
Für Lori, Julie und meine Mutter.
Ihr habt euch wirklich für mich eingesetzt. Danke.
In meinem Kopf tickte eine Zeitbombe, und die einzige Person, der ich weit genug über den Weg traute, um in meinen Kopf zu spazieren und sie herauszuholen, hatte sich mehr als ein Jahr lang weder blicken lassen noch mit mir gesprochen.
Das war eine ganze Menge Zeit, um sich allerlei Fragen zu stellen. Wer war ich? Was hatte ich mit meinem Leben eigentlich angefangen? Wem konnte ich trauen?
Die letzte dieser Fragen war ein Prachtexemplar. Sie plagte mich in Momenten des Zweifels. Manchmal wachte ich mitten in der Nacht auf und fragte mich, ob ich mein Vertrauen in die richtigen Leute gesetzt hatte. Manchmal, wenn ich mich aus welchen Gründen auch immer mutterseelenallein fühlte, nahm ich jede noch so kleine Kleinigkeit, die ich über jemand anderen wusste, ganz genau in Augenschein. Ich durchforstete jede Erinnerung auf winzige, subtile Hinweise darauf, ob mir etwas am Wesen des anderen entgangen war.
Das machte mir Angst und veranlasste mich, mir vorzuwerfen, in der letzten Zeit einige schreckliche Fehler gemacht zu haben. Es trieb mich dazu, etwas zu tun, zu handeln – nur ist man, wenn man auf einer Insel in der Mitte des Michigansees festsitzt, hinsichtlich der Möglichkeiten, etwas zu unternehmen, um Dampf abzulassen, ein wenig eingeschränkt.
Ich hatte mich für meine übliche Vorgehensweise entschieden. Ich rannte durch die langen Tunnel, die mit Dämonen, Monstern und anderen Wesen aus Albträumen bevölkert waren, weil diese verfügbarer waren als ein Fitnessstudio.
Diese Tunnel sind so breit wie die unterirdischen Straßen für den regen Pendlerverkehr unter Chicago, mit Wänden aus Erdreich und Gestein, durch die sich Dinge winden, die wie Wurzeln aussehen, doch unmöglich zu einem Baum gehören können, da sie sich einfach zu tief unter der Erdoberfläche befinden. Alle paar Meter ist da eine Ansammlung leuchtender, blassgrüner Quarzkristalle. In einigen dieser Haufen sind Gestalten eingeschlossen, die kaum größer sind als ein durchschnittlicher Hund, andere haben die Größe von Häusern.
Ich war gerade über einen der riesigen Quarzhaufen gekraxelt und schickte mich an, auf den nächsten zuzusprinten. Es war einer von dreien, eine Kristallansammlung von der ungefähren Größe meines verblichenen Volkswagens.
»Parkour!«, brüllte ich dem nächsten Haufen entgegen, stieß mich mit einer Hand ab, um mit meinem Körper auf Kopfhöhe über den Kristall zu gleiten, brachte auch den nächsten Kristallberg hinter mich, landete wieder auf den Füßen und blieb in Bewegung.
»Parkour!«, johlte ich dem dritten zu und hechtete in einem langen Satz darüber hinweg. Der Gedanke dahinter war völlig klar. Auf den Händen landen, geschmeidig abrollen und elegant im Laufen wieder auf die Beine kommen. Aber es sollte nicht so kommen. Ich hatte den Sprung falsch eingeschätzt, mein Fuß blieb am Kristall hängen, ich legte eine wunderschöne Bauchlandung hin und knallte auf der anderen Seite des Hügels mit der Visage voran in den Dreck.
Ich lag einige Zeit einfach nur da und rang nach der Luft, die es mir gerade aus der Lunge getrieben hatte. Auf die Nase zu klatschen, war beileibe nicht schlimm. Weiß Gott, das hatte ich in der Vergangenheit schon oft getan. Ich rollte mich auf den Rücken und stöhnte: »Du hast einfach viel zu viel Freizeit!«
Meine Stimme hallte durch Tunnel sieben von dreizehn.
»Parkour!«, antwortete ein entferntes Echo.
Ich schüttelte den Kopf, stemmte mich hoch und machte mich wieder auf den Weg. Sich durch einen der Tunnel unter der Insel Demonreach zu bewegen, ist immer wieder ein Erlebnis. Wenn ich rannte, kam ich recht schnell an den Kristallhügeln vorbei. Wenn ich aber ging, verschaffte es den Gefangenen darin genug Zeit, zu mir zu sprechen.
»Lass mich jede deiner Begierden befriedigen«, gurrte eine seidige Stimme in meinem Kopf, als ich an einem vorbeimarschierte.
»Blut und Macht, Reichtum und Stärke, all dies kann ich dir schenken«, versprach die nächste.
»Eines Tages, Sterblicher, werde ich frei sein und dir das Mark aus den Knochen saugen«, knurrte eine weitere.
»Wirf dich in Angst und Schrecken vor mir in den Staub!«
»Verachte mich, lass mich dich verschlingen, und ich werde deine Träume wahr werden lassen.«
»Befreie mich, oder ich werde dich zerschmettern!«
»Schlaf ein. Schlaf ein. Schlaf ein, und lass mich in dich hinein …«
»Blutgehirnmassakerblutgehirnmassakerblutgehirnmassaker …«
»Blräg Slorg Noth Harghll Fthagn!«
Das Übliche eben.
Ich umkurvte einen eher kleinen Kristall, dessen Insasse mir bei meinem letzten Besuch so mir nichts, dir nichts ein einfaches Bild in den Kopf gesetzt hatte, das mich einige Nächte lang wachgehalten hatte, und trabte an einem der letzten Hügel vor dem Ausgang vorüber.
Als ich vorbeilief, stieß der Bewohner des Kristallhügels einen mentalen Seufzer aus, und durch meine Gedanken geisterte das Bild, wie er seine Augen verdrehte. Ah, ein Neuer.
Ich blieb stehen und musterte den Kristallhügel. In der Regel kommuniziere ich nicht mit den Gefangenen. Wer in Demonreach hinter Schloss und Riegel sitzt, ist einem Albtraum entsprungen, den sich nur die wenigsten Sterblichen auch nur ansatzweise vorstellen können – wild und wahrscheinlich mit Schaum vor dem Mund und bis in die letzte Gehirnwindung durchgeknallt.
Andererseits … war ich fast ebenso wie die Gefangenen über Monate auf der Insel und in den Höhlen darunter eingesperrt gewesen. Mir blieb kaum eine Wahl, bis ich das Ding wieder aus meinem Kopf bekam, denn nur die Insel hatte die Macht, es in Schach zu halten. Manchmal bekam ich Besuch, doch in den Wintermonaten war der Michigansee aufgrund des Wetters und des Eises mordsgefährlich, und der Frühling hatte erst zaghaft begonnen, die Welt wieder zu streifen. Es war schon eine ganze Weile her, dass ich zum letzten Mal jemand gesehen hatte.
Also beäugte ich den etwa sarggroßen Hügel und fragte: »Was ist denn dein Problem?«
»Sie ganz offensichtlich«, erwiderte der Insasse. »Haben Sie überhaupt die geringste Vorstellung davon, was das Wort Stasis bedeutet? Es bedeutet, dass nichts passiert. Wenn Sie hier herumstehen, vorbeischleichen oder mit mir sprechen, ruiniert das die Grundstimmung vollständig. Um Gottes willen! Aber so ist es bei Novizen doch immer. Wie war die Phrase doch noch gleich? Ah ja. Verpissen Sie sich.«
Ich zog eine Augenbraue hoch. Bis jetzt hatte jeder Gefangene, der mit mir in Verbindung getreten war, alles versucht, um mich gewogen zu stimmen, ihn herauszulassen. Wenn es sich nicht um sabbernde Irre gehandelt hatte. Aber dieser Kerl hörte sich so … britisch an.
»Hm«, sagte ich.
»Haben Sie mich nicht verstanden, Wächter? Verpissen. Sie. Sich.«
»Wer sind Sie?«, fragte ich stattdessen.
Lange herrschte Stille. Dann erfüllte mich ein Gedanke mit einer schrecklichen Erschöpfung und purer seelischer Pein, wie ich sie nur an den absoluten Tiefpunkten meines bisherigen Lebens durchgemacht hatte. Doch für dieses Wesen war solcher Schmerz beileibe kein Tiefpunkt – er war ein Dauerzustand. »Jemand, der sich hier befinden muss«, antwortete das Wesen. »Verschwinde endlich, Junge!«
Eine Welle aus Übelkeit schlug über mir zusammen. Es war plötzlich viel zu hell, und das sanfte Glimmen der Kristalle stach mir in den Augen. Ich ertappte mich, wie ich einige Schritte zurücktaumelte, bis sich diese schreckliche Sturzflut aus reiner Emotion wieder gelegt hatte, doch die Kopfschmerzen, die diese Gefühle hervorgerufen hatten, sprangen mir gnadenlos in den Nacken, und ich hatte für einen kurzen Moment zu starke Schmerzen, um mich auf den Beinen zu halten.
Ich sackte auf ein Knie und versuchte mit zusammengebissenen Zähnen, einen Schrei zu ersticken. Trotz meiner lebenslangen Übung darin, mit Schmerzen umzugehen, doch trotz des Amts des Winterritters waren meine Kopfschmerzen beständig schlimmer geworden, und seit ein paar Wochen gab es Phasen, da sie mich regelrecht aus den Latschen kippen ließen.
Eine Zeitlang bestand meine Welt nur aus Schmerz und einer qualvollen Übelkeit, unter der sich mein Magen zusammenkrampfte.
Schließlich ließ der Schmerz nach, und ich blickte auf, nur um zu sehen, wie sich eine riesenhafte Gestalt in einem dunklen Umhang vor mir auftürmte. Sie war drei bis vier Meter hoch und erinnerte von den Proportionen her an einen muskelbepackten Menschen, auch wenn ich keinen Blick auf das Wesen unter dem Kapuzenumhang erhaschen konnte. Die Gestalt starrte auf mich herab, und ein Paar flackernder grünlicher Lichter, die dem Wesen als Augen dienten, strahlten mich wie zwei Stecknadeln aus den Tiefen seiner Kapuze heraus an.
»WÄCHTER«, sagte es mit einer tiefen, grollenden Stimme, »ICH HABE DEN PARASITEN FÜR DEN AUGENBLICK UNTERDRÜCKT.«
»War auch Zeit, Alfred«, murmelte ich. Ich setzte mich auf und machte erst mal Bestandsaufnahme. Ich hatte wohl eine ganze Weile dagelegen, denn der Schweiß auf meiner Haut war inzwischen getrocknet. Das war schlecht. Der uralte Geist der Insel hatte das Ding in meinem Schädel über ein Jahr lang daran gehindert, mich umzubringen. Noch ein paar Wochen zuvor hatte er, wenn mein Kopf zu schmerzen begann, nur auftauchen und ein Wort sagen müssen, und die Qualen waren wie fortgeblasen gewesen.
Diesmal hatte es über eine Stunde gedauert.
Was auch immer in meinem Kopf war, irgendeine psychische Kreatur oder ein Geistwesen, das mich als Wirt benutzte, es machte sich daran, mich zu töten.
»ALFRED«, sagte der Geist nüchtern. »SOLL DAS MEIN NEUER NAME SEIN?«
»Bleiben wir doch bei Demonreach«, sagte ich.
Der riesenhafte Geist grübelte einen Augenblick lang. »ICH BIN DIE INSEL.«
»Nun ja«, pflichtete ich bei und rappelte mich auf, »ihr Geist. Ihr genius loci.«
»DENNOCH BIN ICH AUCH VON DER INSEL GETRENNT. EIN GEFÄSS.«
Ich beäugte den Geist. »Dir ist bewusst, dass es sich bei dem Namen ›Alfred‹ um einen Scherz handelt, oder?«
Er starrte mich an. Ein Luftzug, der nicht existierte, zupfte am Saum seines Umhangs.
Ich hob beschwichtigend die Hände und meinte: »Schon gut. Ich schätze, du brauchst auch einen Vornamen. Alfred Demonreach also.«
Seine Augen leuchteten kurz auf, und er neigte vor mir den Kopf unter der Kapuze. Dann sagte er: »SIE IST HIER.«
Ich riss den Kopf hoch, und mein Herz begann urplötzlich wild zu klopfen. Das ließ kleine Echos von Schmerz durch meinen Kopf hallen. Hatte sie endlich auf meine Nachrichten geantwortet? »Molly?«
»NICHT GRASHÜPFER. GRASHÜPFERS NEUE MUTTER.«
Meine Schultern und mein Nacken verspannten sich. »Mab«, sagte ich mit leiser, harter Stimme.
»JA.«
»Fantastisch«, murmelte ich. Mab, die Königin der Luft und Finsternis, Monarchin des Winterhofes der Sidhe, Gebieterin und Patin aller bösartigen Wesenheiten in der Feenwelt – meine Chefin – hatte mich über Monate hinweg ignoriert. Ich hatte in immer kürzeren Abständen vergebens Boten zu ihr geschickt.
Aber warum gerade jetzt? Warum sollte sie nach Monaten des Schweigens gerade jetzt auftauchen?
»Weil sie etwas will, du Depp«, murmelte ich, dann wandte ich mich wieder an Demonreach. »Gut, Alfred. Wo?«
»ANLEGESTEG.«
Was klug war. Demonreach war wie fast jedes andere Gefängnis ebenso dafür geeignet, Besucher draußen wie Insassen drinnen zu halten. Als ein Fremdwandler aus der Sphäre des Außerhalb mit seinen Kumpanen hier aufgekreuzt war, um einen gigantischen Befreiungsversuch für die Gefangenen der Insel zu veranstalten, waren er und seine Spießgesellen dank der Verteidigungsmechanismen der Insel und einiger wichtiger Verbündeter an seinem Vorhaben gehindert worden.
Ich hatte das letzte Jahr damit zugebracht, mich mit den Geheimnissen der Insel vertraut zu machen, mit Verteidigungsmaßnahmen, von deren Existenz ich nicht einmal zu träumen gewagt hatte und die nur der Wächter der Insel auslösen konnte. Falls der Fremdwandler Lust hatte, auf eine zweite Runde vorbeizuschauen, konnte ich ihm eigenhändig einen Riegel vorschieben. Selbst Mab war trotz all ihrer Macht gut beraten, Vorsicht walten zu lassen, falls sie vorhatte, auf Demonreach Ärger vom Zaun zu brechen.
Warum sie jetzt auch auf dem Anlegesteg stand.
Sie erwartete, dass ich mich aufregen würde. Sie wollte also bestimmt etwas von mir.
Meiner Erfahrung nach ist es klug, sich in ein Loch zu verkriechen und den Eingang zu verbarrikadieren, wenn die Königin der Luft und Finsternis etwas von einem will.
Da sich aber Mab wohl endlich dazu herabgelassen hatte, auf meine Nachrichten zu reagieren, blieb mir wohl kaum eine andere Wahl, als ihr gegenüberzutreten. Meine Kopfschmerzen waren mit der Zeit immer schlimmer geworden, und ich hatte erst vor Kurzem ihre Ursache entdeckt, und um die musste ich mich kümmern, bevor sich das, was auch immer sich da in meiner Birne eingenistet hatte, seinen Weg aus meinem Schädel bahnte. Bis dahin aber wagte ich es nicht, die Insel zu verlassen.
Was wahrscheinlich der Grund dafür war, dass sich Mab bisher nicht hatte blicken lassen, um mit mir zu sprechen. Ich konnte hier nicht weg, und sie hatte mich bis jetzt zappeln lassen.
»Drecksmanipulative Feen«, maulte ich, dann stapfte ich zur Treppe, die aus dem Brunnen hinaus zur Oberfläche der Insel führte. »Bleib in der Nähe und pass auf«, wies ich Demonreach an.
»HEGST DU DEN VERDACHT, DASS SIE DIR SCHADEN WILL?«
»Auf die eine oder andere Weise sicher«, sagte ich und machte mich an den Aufstieg. »Gehen wir.«
Thomas und ich hatten den Anlegesteg an einem der drei kleinen Strände Demonreachs errichtet. Er lag der Bresche in den Steinriffen, die die Insel umgaben, am nächsten. Vor rund hundert Jahren hatte sich an der Hügelflanke oberhalb des Strandes einmal eine kleine Ansiedlung befunden, die jedoch zerfallen war, nachdem die dunklen Energien der garstigen Dinge, die unter der Insel eingesperrt waren, die Bewohner langsam, aber sicher in den Wahnsinn getrieben hatten.
Die Ruinen der Ansiedlung befanden sich halb vom Wald verschluckt immer noch dort, eine Lichtung, die stetig von Moos und Pilzen verschlungen wurde. Manchmal fragte ich mich, wie lange ich auf der Insel wohl durchhalten würde, ehe sich auch mein Verstand heimlich durch die Hintertür aus dem Staub machte.
Eine sauteure Motorjacht mit jeder Menge Chrom und Weiß, die so fehl am Platz wirkte wie ein Ferrari in einem Kuhstall, lag an der Anlegestelle. Ein paar Matrosen befanden sich in Sichtweite. Die Bügelfalten ihrer Uniformen waren viel zu scharf, die Kleidung zu sauber und saß wie angegossen. Als ich sie beobachtete, hegte ich nicht den geringsten Zweifel, dass sie bewaffnet und im Töten allzu erfahren waren. Es handelte sich um Sidhe, Adelige unter den Feen, hochgewachsen, schön und gefährlich. Sie beeindruckten mich nicht im Mindesten.
Vor allem, weil sie bei Weitem nicht so hübsch oder brandgefährlich waren wie die Frau, die am Aufgang des Landungssteges stand, die Spitzen ihrer teuren Schuhe kaum einen Zentimeter von Demonreachs Ufer entfernt. Wenn ein großer Weißer Hai im selben Wasser wie man selbst herumplantscht, macht man sich wegen ein paar Barrakudas im Hintergrund keine allzu großen Sorgen.
Mab, die Königin der Luft und Finsternis, trug einen maßgeschneiderten Anzug, dessen Farbe irgendwo zwischen verschmierter Holzkohle auf Papier und gefrorenem Immergrün lag. Die Bluse darunter war weiß wie ihr Haar, das sie zu einem eleganten Dutt hochgesteckt hatte, der in den Vierzigern der letzte Schrei gewesen sein muss. Opale blitzten an ihren Ohren und ihrem Hals tiefgrün und dunkelblau in völliger Übereinstimmung zu den Farbwechseln ihrer kalten, gefühllos blickenden Augen. Sie war bleich, auf eine Art schön, der keine Beschreibung jemals gerecht werden kann, und jagte mir eine gesunde Portion Entsetzen ein.
Ich stieg die alten Steinstufen, die in die Hügelflanke gemeißelt waren, zur Anlegestelle hinunter und blieb eine Armlänge vor Mab stehen. Ich verbeugte mich nicht, doch ich neigte förmlich den Kopf. Es waren andere Sidhe vor Ort, auf dem Boot, die Zeugen unseres Treffens waren, und auch wenn ich schon vor einiger Zeit herausgefunden hatte, dass ich für Mabs Stolz nicht die geringste Gefahr darstellte, würde sie Respektlosigkeit vor ihrem Amt niemals tolerieren. Ich war ziemlich sicher, dass es einer Kriegserklärung gleichgekommen wäre, hätte ihr der Winterritter offen vor ihrem Hof getrotzt, und mir stand nicht der Sinn danach, irgendwelche Feindseligkeiten mit Mab vom Zaun zu brechen.
»Meine Königin«, sagte ich umgänglich, »wie läuft’s denn so?«
»Ganz ausgezeichnet, mein Ritter«, antwortete sie. »Wie immer. Komm an Bord.«
»Warum?«, fragte ich.
Ihre Mundwinkel sackten missbilligend nach unten, doch im selben Moment leuchteten ihre Augen erfreut auf. »Soll ich deine Frage unumwunden beantworten?«
»Das fände ich gut.«
Mab nickte. Dann beugte sie sich fast unmerklich vor, und ich versank schier in ihren unergründlichen Augen, während sie mit einer Stimme sagte, die kälter und härter war als gefrorener Fels: »Weil ich es dir aufgetragen habe.«
Ich schluckte, und eine Achterbahn brauste durch meinen Magen. »Was geschieht, wenn ich es nicht tue?«, krächzte ich.
»Du hast mir schon erläutert, dass du dich mir widersetzen wirst, wenn ich dich direkt dazu zwinge, meinen Befehlen zu gehorchen«, sagte Mab. »Doch das würde dich für mich absolut nutzlos machen, und zumindest für den Augenblick wäre es mir lästig, Ersatz für dich einzulernen. Daher würde ich überhaupt nichts tun.«
Das ließ mich verblüfft blinzeln. »Nichts? Ich könnte einfach so Nein sagen, und du würdest nur … den Abgang machen?«
»In der Tat«, erwiderte Mab und drehte sich auf dem Absatz um. »Du wirst in drei Tagen tot sein, was mir ausreichend Zeit bietet, alles in die Wege zu leiten, um dich zu ersetzen.«
»Äh …«, sagte ich. »Was?«
Mab blieb stehen und warf mir über die Schulter einen Blick zu. »Der Parasit in deinem Inneren wird zu diesem Zeitpunkt aus dir herausbrechen. Du hast doch sicher bemerkt, dass deine Schmerzen immer stärker werden.«
Junge, Junge, das hatte ich.
»Verdammt«, brummte ich, wobei ich mich aber bemühte, leise genug zu sprechen, dass mich die Schläger auf dem Boot nicht verstehen konnten, »du hast mich reingelegt.«
Mab drehte sich zu mir um und schenkte mir ein verhaltenes Lächeln.
»Ich habe Toot-toot und Lacuna jeden verdammten Tag mit Nachrichten an dich und Molly ausgeschickt. Was ist mit denen geschehen, die für Molly bestimmt waren? Keine davon hat ihr Ziel erreicht, nicht wahr?«
»Ich habe Netze gewebt, um jegliche Zauber abzufangen, die die Insel verlassen, mein Ritter«, entgegnete sie, »und ich habe die Botschaften, die du ihr durch deine Freunde hast zukommen lassen, so verändert, dass sie meinen Absichten dienten. Ist es nicht praktisch, wie selbst die kleinste Prise Argwohn den Samen für großartige Missverständnisse legen kann? Deine Freunde versuchen dich schon seit Wochen zu besuchen, doch das Eis auf dem See hält sich dieses Jahr besonders lang. Wie schade.«
»Du wusstest, dass ich ihre Hilfe brauche.«
»Die brauchst du immer noch«, sagte sie.
Drei Tage.
Herrjemine!
»Hast du eigentlich je in Betracht gezogen, mich einfach zu fragen, ob ich dir helfe«, wollte ich wissen, »und vielleicht einmal bitte zu sagen?«
Sie musterte mich mit hochgezogener Braue. »Ich bin nicht deine Klientin.«
»Also ziehst du nicht über Los, sondern gehst gleich auf das Feld ›Erpressung‹?«
»Ich kann dich nicht zwingen«, sagte sie einsichtsvoll. »Daher muss ich dafür sorgen, dass es die Umstände tun. Du kannst Demonreach nicht verlassen, ohne dass dich deine Schmerzen außer Gefecht setzen. Und du kannst nur um Hilfe rufen, wenn ich es erlaube. Deine Zeit ist fast abgelaufen, mein Ritter.«
Ich ertappte mich dabei, wie ich mit zusammengebissenen Zähnen sprach. »Warum? Warum drängst du mich so in die Ecke?«
»Vielleicht, weil es erforderlich ist. Vielleicht, um dich vor dir selbst zu schützen.« In ihren Augen flackerte plötzlich Zorn wie ein näher kommendes Unwetter am Horizont auf. »Oder vielleicht einfach, weil ich es kann. Am Ende ist das völlig egal. Das Einzige, was zählt, ist, dass die Dinge sind, wie sie nun einmal sind.«
Ich atmete einige Male tief durch, um den Zorn aus meiner Stimme zu verbannen. Wenn Mab sagte, dass ich nur noch drei Tage zu leben hatte, dann meinte sie das auch so. Sie verfügte weder über die Fähigkeit noch sah sie die Notwendigkeit, direkt zu lügen, und wenn das alles der Wahrheit entsprach, wovon ich mit deprimierender Gewissheit ausging, dann hatte sie mich im Schwitzkasten.
»Was willst du?«, fragte ich, und es klang fast höflich.
Die Frage zauberte ein erfreutes Lächeln auf ihre Lippen, und sie bedachte mich mit einem leichten Nicken, das mir verdächtig anerkennend schien. »Du sollst eine Aufgabe für mich erfüllen.«
»Diese Aufgabe«, sagte ich, »würde die mich zufälligerweise von der Insel führen?«
»Das ist doch klar.«
Ich tippte mir mit einem Finger an die Schläfe. »Dann haben wir ein Problem mit dem außer Gefecht setzenden Schmerzdingens. Du wirst mich zuerst wiederherstellen müssen.«
»Falls ich das täte, würdest du dich nie dazu bereit erklären«, sagte Mab gelassen, »und dann wäre ich gezwungen, dich zu ersetzen. Um deiner Gesundheit und Sicherheit willen wirst du daher stattdessen dies hier tragen.« Sie hob die Hand und streckte sie mir mit der Handfläche nach oben hin.
Darauf blitzte ein Steinchen, ein tiefblauer Opal. Ich beugte mich ein wenig vor und beäugte ihn neugierig. Er war in einen silbernen Stecker eingefasst – ein Ohrring.
»Das sollte reichen, um den Parasiten in der verbliebenen Zeit in seine Schranken zu verweisen«, sagte Mab. »Leg ihn an.«
»Ich hab keine Ohrlöcher«, gab ich zu bedenken.
Mab zog eine Braue hoch. »Bist du der Winterritter oder ein wimmerndes Kind?«
Ich blitzte sie böse an. »Komm doch her und sag mir das ins Gesicht.«
Nach diesen Worten trat Mab in aller Ruhe auf den Strand von Demonreach und stellte sich direkt vor mich. Sie war etwas über eins achtzig groß und musste sich kaum strecken, um mein Ohrläppchen mit den Fingern zu berühren.
»Warte«, sagte ich. »Warte.«
Sie hielt inne.
»Links.«
Sie legte den Kopf zur Seite. »Warum?«
»Das ist … schau, das ist so eine Sterblichenmarotte. Nimm bitte einfach das linke Ohr, ja?«
Sie atmete kurz durch die Nase aus. Dann schüttelte sie den Kopf und nahm mein anderes Ohr.
Eine Nadel aus weißglühendem Schmerz bohrte sich durch mein linkes Ohrläppchen und wich dann einer Welle träger, fast verführerischer Kälte, wie ein Lufthauch, der in einer Herbstnacht durch das offene Schlafzimmerfenster hereindringt und einen wie einen Stein schlafen lässt.
»So«, sagte Mab und schraubte das Fixierungskügelchen an. »War das jetzt wirklich so schlimm?«
Ich bedachte sie mit einem giftigen Blick und tastete mit der linken Hand nach dem Stecker. Meine Finger bestätigten, was mir mein Ohr bereits pflichtschuldig berichtet hatte – der Stein fühlte sich kalt an.
»Jetzt, da mich das hier außerhalb der Insel schützt«, wandte ich mich leise an sie, »was hindert mich daran, Alfred aufzutragen, dich in eine Zelle zu werfen und meine Probleme selbst zu lösen?«
»Ich«, entgegnete Mab. Sie warf mir ein sehr schwaches, äußerst frostiges Lächeln zu und hob einen Finger. Auf der Fingerkuppe blitzte scharlachrot auf ihrer bleichen Haut ein winziger Blutstropfen. »Die Konsequenzen für deine sterbliche Welt wären äußerst schwerwiegend, sollte es keine Mab mehr geben, und die für dich wären noch bei Weitem finsterer, solltest du es nur versuchen.«
Eine Sekunde zog ich es dennoch in Erwägung. Sie setzte mich derart unter Druck, dass ich mir absolut sicher war, dass ich mit Inbrunst hassen würde, was immer sie von mir verlangte. Die Chefin konnte nur schwerlich die Chefin bleiben, wenn ich sie Hunderte Meter unter den Wassern des Michigansees in einem Kristall einsperrte, und es war auch nicht gerade so, als hätte sie sich die Zeit im Gefrierschrank nicht redlich verdient. Mab war eine echte Schurkin.
Aber … so erbarmungslos und unausstehlich sie auch sein kann, ist sie doch die Bewahrerin der Welt, die diese vor noch viel schlimmeren Dingen schützt. Sie einfach so mir nichts, dir nichts aus dem Gleichgewicht der Macht zu entfernen, würde katastrophale Folgen nach sich ziehen.
Gesteh es dir doch ein, Dresden, sagte ich mir, du hast Schiss. Was, wenn du sie zur Stecke zu bringen versuchst und es in den Sand setzt? Erinnerst du dich an den letzten Typen, der Mab hintergangen hat? Du hast sie noch kein einziges Mal geschlagen, nicht einmal ansatzweise.
Ich unterdrückte ein Zittern. Sie hätte es als Schwäche ausgelegt, und es war nicht gerade schlau, vor welcher Fee auch immer Schwäche zu zeigen.
Ich atmete aus und wandte den Blick von diesen kalten Augen ab.
Mab neigte den Kopf kaum wahrnehmbar. Sie erkannte ihren Sieg an und zollte mir dennoch Respekt. Dann drehte sie sich um und trat auf den Steg zurück. »Hol alles, was du unter Umständen benötigst. Wir legen umgehend ab.«
Mabs Jacht brachte uns nach Belmont Harbor, wo das Eis des späten Februars offensichtlich einem untypisch warmen Morgen gewichen war. Hin und wieder durchzuckte Kälte mein Ohr, doch mein Kopf schien in Ordnung zu sein, und als wir anlegten, sprang ich mit einem Seesack in einer und meinem neuen Magierstab in der anderen Hand über die Reling auf den Kai.
Mab schritt würdevoll den Steg herunter und beäugte mich misstrauisch.
»Parkour«, erklärte ich ihr grinsend.
»Termin«, antwortete sie und glitt an mir vorbei.
Eine Limousine erwartete uns, darin zwei weitere Sidhe in Leibwächterkostümen. Wir wurden von den Außenbezirken in die Innenstadt chauffiert, brausten den Lake Shore Drive hinunter zum Loop, bogen ab und blieben schließlich vor dem Carbon and Carbide Building stehen, einem riesigen, anthrazitfarbenen Gebäude, das mich mit Ausnahme des filigranen Kupferwerks immer ein wenig an den Monolithen aus 2001: Odyssee im Weltraum erinnert. Ich habe es immer als besonders barock und eindrucksvoll empfunden, und dann haben sie ein Hard Rock Hotel daraus gemacht, die Ketzer.
Zwei weitere Sidhe-Leibwächter, hochgewachsen und unmenschlich schön, erwarteten uns, als wir in die Einfahrt einbogen. Zwischen zwei Schritten verwandelten sie sich urplötzlich von Cover-Models in ungeschlachte Schläger mit kantigem Kinn, Bürstenhaarschnitt und Knopf im Ohr – Glamour, die legendäre Macht hinter den Illusionen der Feen.
Mab gab sich keine Mühe, ihr Äußeres zu verändern, mit Ausnahme einer Designersonnenbrille, die sie sich auf die Nase schob. Die vier Schlägertypen bildeten einen Kordon um uns, als wir das Hotel betraten, und gemeinsam marschierten wir auf den wartenden Aufzug zu.
Die Nummern auf der Anzeigetafel rasten in atemberaubender Geschwindigkeit hoch ins oberste Geschoss – und wir stiegen noch einen Stock darüber aus dem Lift.
Die Türen öffneten sich zu einem extravaganten Penthouseloft. Mozart schwebte in einer derartigen Qualität aus Lautsprechern durch die Luft, dass ich kurz vermutete, es befänden sich tatsächlich Musiker vor Ort. Panoramafenster vom Boden bis zur Decke in fünf Metern Höhe boten uns einen überwältigenden Blick auf den See und das Ufer südlich des Hotels. Die Böden bestanden aus hochglanzpoliertem Hartholz. Überall im Raum waren tropische Bäume gepflanzt, und die damit einhergehenden grellbunt blühenden Pflanzen begingen das olfaktorische Äquivalent schwerer Körperverletzung. Möbelstücke waren im ganzen Raum verteilt, einige auf dem Fußboden, wieder andere auf diversen Plattformen in den verschiedensten Höhen. Es gab auch eine Bar und eine kleine Bühne mit einem Soundsystem, und am anderen Ende des Lofts führte eine Treppe zu einer Plattform empor, die wohl als Schlafzimmer fungierte, wenn man das Bett darauf als Hinweis heranzog.
Vor den Lifttüren warteten fünf weitere Schlägertypen in schwarzen Anzügen und mit identischen Schrotflinten auf uns. Als wir aus dem Aufzug traten, betätigten die Schläger wie auf Kommando die Repetiermechanismen ihrer Waffen, auch wenn sie nicht direkt auf uns zielten.
»Ma’am«, sagte einer von ihnen, der viel jünger als die anderen war, »wenn Sie sich bitte identifizieren würden?«
Mab starrte sie ungerührt durch ihre Sonnenbrille an. Dann zuckte sie so schnell mit einer Braue, dass ich mir sicher war, dass die Schläger es nicht mitbekommen hatten.
Ich stieß einen Grunzlaut aus, fuhr mit der Hand durch die Luft und murmelte: »Infriga.«
Ich hatte nicht besonders viel Macht in den Spruch fließen lassen, aber genug, um ein Zeichen zu setzen: Urplötzlich legte sich eine dicke Schicht Raureif knackend über die unteren zwei Körperdrittel der Schläger und bedeckte ihre Stiefel und Knarren und die Hände, die die Waffen hielten. Die Männer zuckten überrascht zusammen und stießen vor Unbehagen ein Zischen aus, doch sie hielten ihre Waffen auch weiterhin fest umklammert.
»Meine Lady katzbuckelt vor niemandem«, richtete ich ihnen aus, »und Sie wissen ganz genau, wen Sie vor sich haben. Wer auch immer von Ihnen derjenige mit dem Hirn im Schädel ist, sollte wahrscheinlich jetzt Ihren Boss verständigen, dass sie hier ist, ehe sie auf den Gedanken kommt, man würde sie nicht entsprechend gut behandeln.«
Der Jungschläger, der uns angesprochen hatte, taumelte tiefer in das Loft, während uns die anderen ein wenig unbehaglich anfunkelten.
Mab warf mir einen Blick zu und wandte sich mit einem Flüstern an mich: »Was war das denn?«
Ich antwortete ihr auf die gleiche Weise. »Ich bringe keine Sterblichen um, nur um etwas klarzustellen.«
»Du warst nur zu bereit, meine Sidhe aus genau diesem Grund zu töten.«
»Ich spiele für deine Mannschaft«, steckte ich ihr, »aber ich komm nicht aus deiner Stadt.«
Sie sah mich über den Rand ihrer Sonnenbrille hinweg an. »Skrupel stehen dem Winterritter nicht besonders an.«
»Hier geht es nicht um Skrupel«, erwiderte ich.
»Nein«, sagte sie, »es geht um Schwäche.«
»Na ja, ich bin auch nur ein Mensch.«
Mabs Blick ruhte kalt und schwer wie eine Schneedecke auf mir. »Zumindest im Augenblick noch.«
Ich zitterte nicht. Ich hatte nur manchmal diese Muskelzuckungen, das war alles.
Der Schläger, der der menschlichen Sprache mächtig war, kehrte zurück und gab sich alle Mühe, direkten Blickkontakt mit sämtlichen Anwesenden zu vermeiden, als er sich von der Taille ab in Mabs Richtung verneigte. »Eure Majestät, bitte kommen Sie. Ihre vier Wachen werden hier bei diesen anderen vier warten, während ich Sie zu ihm führe.«
Mab zuckte nicht einmal mit der Wimper, um zu zeigen, dass sie die Worte des Schlägers überhaupt vernommen hatte. Sie setzte sich forsch in Bewegung, und ihre Absätze klickten einen Rhythmus auf den Holzboden wie ein Metronom, während der Schläger und ich hinter ihr hereilten, um Schritt zu halten.
Wir fanden uns vor einer eleganten Plattform wieder, zu der drei breite Stufen emporführten. Das Ganze war an drei Seiten von Pflanzen umgeben, wodurch es den heimeligen Eindruck einer Laube erweckte. Teure Wohnzimmermöbel waren darin arrangiert, um eine perfekte Atmosphäre für eine Unterhaltung zu schaffen, und hier wartete auch Mabs Termin auf uns.
»Sir«, sagte der Schläger, »Ihre Majestät, Königin Mab, und der Winterritter.«
»Der wiederum keiner Vorstellung bedarf«, vernahm ich eine tiefe, klangvolle Stimme, die ich sofort erkannte. Diese Stimme war einmal glatt und melodiös gewesen, aber nun lag eine Art Kratzen in ihr, eine Rauheit wie Seide, die über Kies streicht.
Ein Mann mittlerer Größe und von normalem Körperbau erhob sich von seinem Stuhl. Er trug einen dunklen Seidenanzug, ein schwarzes Hemd und eine abgewetzte graue Krawatte und hatte schwarzes, von Silber durchzogenes Haar und dunkle Augen. Er bewegte sich mit der Eleganz einer zum Stoß ansetzenden Schlange, und das Lächeln, mit dem er sich mir zuwandte, erreichte seine Augen nicht. »Soso, Harry Dresden.«
»Nikodemus Archleone.« Ich sprach mit Connery-Akzent. »Wie ich sehe, habe ich mein Scherflein beigetragen, um Ihre Stimme zu verbessern!«
Etwas Hässliches flackerte tief in seinen Augen, und seine Stimme schien mir noch ein wenig rauer zu werden, doch sein Lächeln kam nicht ins Wanken. »Sie sind weiter gekommen als jeder andere in einer sehr, sehr langen Zeit.«
»Vielleicht lassen Sie auf Ihre alten Tage nach«, meinte ich. »Sie haben zum Beispiel vergessen, einem Ihrer Schläger die Zunge herauszuschneiden. Der fühlt sich doch außen vor, wenn er der Einzige ist, der reden kann.«
Nikodemus’ Lächeln wurde breiter. Ich hatte in der Vergangenheit bereits die Bekanntschaft mit seinen Anhängern gemacht. Man hatte ihnen samt und sonders die Zungen herausgeschnitten.
Er wandte sich Mab zu und verneigte sich von der Körpermitte aufwärts. Die Geste war weit eleganter als alles, was ich je zustande bringen würde, die Manieren eines vergangenen Zeitalters. »Majestät.«
»Nikodemus«, antwortete Mab frostig. Dann fuhr sie in neutralerem Tonfall fort: »Anduriel.«
Nikodemus verharrte regungslos, doch sein verdammter Schatten neigte dennoch den Kopf. Egal, wie oft ich das schon gesehen habe, es macht mich noch immer höllisch nervös.
Nikodemus war ein Ritter des Schwarzen Denars, oder vielleicht war es auch zutreffender zu sagen, dass es sich bei ihm um den quintessenziellen Ritter des Schwarzen Denars handelte. Er besaß einen von dreißig Silberlingen, in dem sich die Essenz des gefallenen Engels Anduriel befand. Die Verwicklung der Denarier in die Angelegenheit verhieß nichts Gutes, im Gegenteil – auch wenn den gefallenen Engeln enge Grenzen gesetzt sind, wenn sie sich an einen sterblichen Partner binden, sind sie immer noch mindestens genauso gefährlich wie alles andere, was in den Schatten lauert, und wenn sie sich mit einem Weltklasseverrückten wie Nikodemus zusammentun, ist die Lage noch um einiges schlimmer. Meine Nachforschungen hatten ergeben, dass Nikodemus bereits seit Jahrtausenden Gräueltaten begeht. Er ist gerissen, skrupellos und zäh, und einen Menschen umzubringen geht ihm etwa so nahe, wie eine ausgetrunkene Bierdose wegzuwerfen.
Ich hatte eine Begegnung mit ihm überlebt. Er hatte eine mit mir überlebt. Keiner von uns war in der Lage gewesen, den anderen endgültig zur Strecke zu bringen.
Noch nicht.
»Wenn ich um einen Augenblick Ihrer Geduld bitten dürfte«, sagte Nikodemus. »Nur eine winzige Angelegenheit das innere Protokoll betreffend, der ich mich widmen muss, ehe wir fortfahren.«
Ein frostiger Mikromoment von Erbostheit lag in der Luft, ehe Mab antwortete. »Selbstverständlich.«
Nikodemus verneigte sich erneut, entfernte sich einige Schritte von uns und wandte sich an den Schläger, der uns hergeführt hatte. »Bruder Jordan, komm näher.«
Jordan nahm Haltung an, schluckte und schritt dann förmlich wie ein Soldat auf Nikodemus zu, ehe er direkt vor seinem Herrn und Meister wieder Haltung annahm.
»Du hast alle Prüfungen der Bruderschaft hinter dich gebracht«, sagte Nikodemus mit warmer Stimme. »Deine Kameraden haben für dich die höchsten Empfehlungen ausgesprochen, und du hast dich einem gefährlichen Feind mit unerschütterlicher Tapferkeit entgegengestellt. Meiner Beurteilung nach hast du eine Treue und Entschlossenheit an den Tag gelegt, die weit über die Verpflichtungen eines Schwurs hinausgehen.« Er hob die Hand und legte sie dem jungen Mann auf die Schulter. »Hast du noch etwas zu sagen?«
In den Augen des Jungen glänzte es plötzlich vor schierer Erregung, und sein Atem wurde schneller. »Danke, mein Herr.«
»Trefflich gesprochen«, brummte Nikodemus schmunzelnd. Dann rief er: »Deirdre!«
Die zweite Person in der Laube, die zuvor nur schweigend im Hintergrund gesessen hatte, erhob sich. Es handelte sich um eine junge Frau in einem einfachen dunklen Kleid. Nikodemus’ Tochter hatte längliche, strenge Gesichtszüge, und ihr Körper war mit denselben eleganten Kurven gesegnet wie ein Rasiermesser. Ihr langes dunkles Haar harmonierte hervorragend mit ihren Augen, die Nikodemus’ eigene hätten sein können. Als sie sich Jordan näherte, umspielte ein fast schon arglistiges Lächeln ihre Lippen.
Dann verwandelte sie sich.
Zunächst veränderten sich ihre Augen, die sich von dunklen Sphären in Höllengruben roten Feuers verwandelten. Ein zweites, grünlich leuchtendes Augenpaar öffnete sich blinzelnd über dem ersten. Dann verzog sich ihr Gesicht, und ihre Knochen wurden länger. Ihre Haut schien Wellen zu werfen und sich danach zu verhärten, wurde immer dunkler, wie ein frischer Bluterguss, und nahm schließlich die Konsistenz dicken Leders an. Ihr Kleidchen löste sich in Luft auf und gab den Blick auf ihre Beine frei, die sich zu krümmen begannen. Ihre Füße verlängerten sich dramatisch, bis der Eindruck entstand, hinten an ihren Beinen sei ein weiteres Gelenk entstanden, dann verwandelte sich ihr Haar – es wuchs und wand sich aus ihrem Schädel wie ein Dutzend sich windender Vipern. Es verhärtete sich zu glatten, mitternachtsschwarzen Metallbändern, die sich, wie von einem eigenen Willen beseelt, regten und zuckten.
Während dies geschah, wuchs Nikodemus’ Schatten an, ohne dass sich an den Lichtquellen auch nur das Geringste geändert hätte. Er streckte sich hinter Nikodemus aus, kroch über die Wand und wuchs immer weiter, bis er sich schließlich über eine gesamte Wand des riesigen Lofts zog.
»Werdet Zeuge«, sagte Nikodemus leise, »wie Bruder Jordan zum Knappen Jordan wird.«
Die grünen Augen über Deirdres eigenen loderten grell auf, als sie die krallenbewehrten Hände hob, um sie äußerst sanft auf Jordans Wangen zu legen. Dann beugte sie sich vor und küsste ihn mit offenem Mund.
Mir drehte sich der Magen um, doch ich ließ es mir nicht anmerken.
Deirdres Kopf schoss plötzlich ruckartig vor, und Jordans Körper wurde ganz steif. Ein erstickter Schrei entwich seinem von Deirdres Lippen versiegelten Mund, doch er verstummte sofort wieder. Ich sah, wie Deirdres Kiefer zuschnappten; sie riss den Kopf mit einer plötzlichen, abgehackten Bewegung herum wie ein Hai, der einen Brocken Fleisch aus seinem Opfer beißt. Dann warf sie ihn in schrecklicher Ekstase in den Nacken, und ich sah das blutige Fleisch von Jordans Zunge zwischen ihren Zähnen.
Blut schoss aus dem Mund des jungen Mannes. Er stieß einen leisen Laut aus und brach auf ein Knie nieder.
Deirdres Kopf ruckte vor und zurück wie der eines Seevogels, der gerade einen Fisch verschlingt, und ich hörte sie schlucken. Dann erschauderte sie und öffnete langsam die lodernden Augen.
Sie trat bedächtig an Nikodemus’ Seite, die purpurnen Lippen vor Blut ganz schwarz, und raunte: »Es ist getan, Vater.«
Nikodemus küsste sie auf den Mund, und, bei Gott, zu sehen, wie er ihr gerade jetzt einen Zungenkuss gab, war diesmal sogar noch verstörender als beim ersten Mal.
Einen Augenblick später trennten sich ihre Lippen, und er sagte: »Erhebe dich, Knappe Jordan.«
Der junge Mann rappelte sich taumelnd auf. Die untere Hälfte seines Gesichts war verschmiert mit Blut, das über sein Kinn und seine Kehle troff.
»Besorge dir Eis und geh zum Arzt, Knappe«, befahl Nikodemus. »Herzlichen Glückwunsch.«
Jordans Augen leuchteten erneut auf, und sein Mund verzog sich zu einem makabren Lächeln. Er wandte sich um und eilte davon, wobei er eine Blutspur hinter sich herzog.
Mein Magen rebellierte. Eines Tages würde ich wahrscheinlich wirklich lernen müssen, die Klappe zu halten. Nikodemus hatte ganz nebenbei einen jungen Mann verstümmelt, nur um mir etwas zu beweisen, weil ich ihn deswegen aufgezogen hatte. Ich biss die Zähne zusammen und beschloss, mir diesen Vorfall eine Warnung sein zu lassen, mit was für einem Ungeheuer ich es hier zu tun hatte.
»So«, meinte Nikodemus und drehte sich wieder zu Mab um. »Ich entschuldige mich für die Unannehmlichkeiten.«
»Sollen wir zum Geschäftlichen kommen?«, fragte Mab völlig ungerührt. »Meine Zeit ist kostbar.«
»Zweifelsohne«, sagte Nikodemus. »Sie wissen, warum ich an Sie herangetreten bin?«
»Natürlich«, sagte Mab. »Anduriel stellte mir einst die Dienste seines … Geschäftspartners zur Verfügung. Ich begleiche nun meine Schuld, indem ich Ihnen die Dienste des meinen anbiete.«
»Moment«, keuchte ich. »Was?«
»Hervorragend«, sagte Nikodemus. Er zog eine Visitenkarte hervor und gab sie Mab. »Unsere kleine Gruppe wird sich hier bei Sonnenuntergang einfinden.«
Mab nickte und streckte die Hand aus. »Abgemacht.«
Ich fing ihre Hand ab und schnappte mir die Karte, ehe Mab sie entgegennehmen konnte. »Gar nichts ist abgemacht«, sagte ich. »Ich arbeite nicht mit diesem Psychopathen zusammen.«
»Eigentlich Soziopath«, korrigierte Nikodemus. »Auch wenn man in der Praxis beide Begriffe beinahe deckungsgleich verwendet.«
»Sie sind ein Fiesling, und ich traue Ihnen nicht weiter, als ich Sie treten kann!«, blaffte ich. »Und im Augenblick bin ich sehr versucht herauszufinden, wie weit das nun genau ist!« Ich wandte mich an Mab. »Sag mir, dass das nicht dein Ernst ist.«
»Ich«, sagte sie mit harter Stimme, »meine es todernst. Du wirst mit Archleone gehen. Du wirst ihm, bis er sein Ziel erreicht hat, all deine Hilfe und Unterstützung zukommen lassen.«
»Was für ein Ziel?«, wollte ich wissen.
Mab sah ihn an.
Nikodemus lächelte mich an. »Nichts Kompliziertes. Schwierig mit Sicherheit, aber nicht kompliziert. Wir werden einen Tresorraum ausrauben.«
»Um das zu bewerkstelligen, brauchen Sie keine Hilfe«, warf ich ein. »Sie werden mit jedem Tresor dieser Welt fertig.«
»Stimmt«, pflichtete Nikodemus mir bei. »Aber er ist nicht von dieser Welt. Tatsächlich befindet er sich in der Unterwelt.«
»In der Unterwelt?«, fragte ich.
Mich beschlich ein ungutes Gefühl.
Nikodemus schenkte mir ein eisiges Lächeln.
»Wer?«, fragte ich ihn. »Wessen Tresorraum wollen Sie plündern?«
»Den eines uralten Wesens von außerordentlicher Macht«, erwiderte er mit rauer Stimme und immer breiter werdendem Lächeln. »Ihnen ist es höchstwahrscheinlich unter dem Namen Hades, Herr der Unterwelt, bekannt.«
»Hades«, sagte ich. »Der Hades? Der griechische Gott?«
»Genau der.«
Mein Blick wanderte langsam von Nikodemus zu Mab.
Ihr Gesicht war schön und ausdruckslos. Die Kälte des kleinen Ohrrings, der mich am Leben erhielt, pulsierte gleichmäßig auf meiner Haut.
»Oh«, sagte ich leise. »O herrjemine.«
Mein Hirn schaltete auf Turbo.
Ich mochte mit dem Rücken zur Wand stehen, aber das war wahrlich nichts Neues. Eine Sache, die mir meine Rückgrat-schrammt-an-Ziegeln-Erfahrungen beigebracht haben, ist, dass jede Kleinigkeit, die mir etwas Raum, Zeit und Unterstützung verschaffen kann, ihr Geld wert ist.
Ich erwiderte Mabs unerbittlichen Blick und sagte: »Es ist unumgänglich, eine Bedingung zu stellen.«
Ihre Augen verengten sich. »Was für eine Bedingung?«
»Rückendeckung«, antwortete ich. »Ich will ein weiteres Augenpaar. Jemanden meiner Wahl.«
»Warum?«
»Weil Nikodemus ein mörderischer mordender Mörder ist«, erklärte ich, »und wenn er ein Team zusammenstellt, sind dessen Mitglieder sicher genauso schlimm. Ich benötige ein zweites Paar Augen, um sicherzustellen, dass mir niemand in den Rücken fällt, wenn ich gerade nicht hinsehe.«
Mab hob eine Braue. »Hmmm.«
»Ich fürchte, das kommt nicht infrage«, schaltete sich Nikodemus ein. »Die Pläne sind bereits erstellt und sehen keinen Raum für zusätzliches Personal vor.«
Mab drehte den Kopf äußerst langsam in Nikodemus’ Richtung. »Wenn ich mich richtig erinnere«, sagte sie in arktischem Tonfall, »haben Sie ebenfalls Ihre Brut mitgebracht, als Sie mir Ihre Dienste boten. Ich denke, diese Forderung schafft Symmetrie.«
Nikodemus’ Augen verengten sich zu Schlitzen. Dann atmete er tief ein und nickte leicht. »Ich verfüge nicht über direkte Befehlsgewalt über alle, die in diese Angelegenheit involviert sind. Ich kann keinerlei Zusagen hinsichtlich der Sicherheit Ihres Ritters oder seines … zusätzlichen Assistenten geben.«
Mabs Lippen umspielte ein Beinahelächeln. »Ich kann auch keine die Ihren betreffend geben, Mister Archleone, falls Sie eine Abmachung brechen, auf die ich mich in gutem Glauben eingelassen habe. Aber wir sollten uns gegenseitig vertrauen und Waffenstillstand schließen, bis der Auftrag abgeschlossen ist.«
Nikodemus ließ sich das für einige Augenblicke durch den Kopf gehen und nickte dann. »Abgemacht. Waffenstillstand bis zum Abschluss der Mission.«
»Ja, abgemacht«, sagte Mab offensichtlich zufrieden und pflückte die Visitenkarte aus meinen Fingern. »Gehen wir, mein Ritter?«
Ich funkelte Nikodemus und seine Tochter, die mit blutverschmiertem Mund dastand, einen Moment lang unverwandt an. Deirdres Haar raschelte leise metallisch, da die Strähnen wie lange, gewundene Stahlstreifen aneinanderrieben.
Eher fror die Hölle ein, als dass ich diesem Irren helfen würde!
Aber dies war nicht die richtige Zeit und nicht der richtige Ort, um meine Einstellung in aller Öffentlichkeit kundzutun.
»Ja, gehen wir«, flüsterte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
Ohne den Denariern gänzlich den Rücken zuzudrehen, folgte ich Mab zurück in den Aufzug.
Als der Lift uns wieder nach unten gebracht hatte, wandte ich mich an Mabs Bodyguards. »Los, holt den Wagen!« Als keiner von ihnen Anstalten machte, sich in Bewegung zu setzen, sagte ich: »Na gut, ihr habt augenscheinlich die Formulare ausgefüllt, wie ihr eure sterblichen Überreste entsorgt haben wollt. Schon klar.«
Das entlockte den Sidhe doch ein unsicheres Blinzeln, und sie warfen Mab scheele Blicke zu.
Mab sah eisig geradeaus. Ich habe schon Statuen gesehen, die ihre Absichten emotionaler kommunizierten.
Ihre Leibwächter verließen den Aufzug.
Ich wartete, bis sich die Lifttüren hinter ihnen geschlossen hatten, schnippte mit den Fingern und murmelte: »Hexus.« Im gleichen Moment schleuderte ich ein Quäntchen meines Willens in meine Umgebung. Magier und Technologie vertragen sich einfach nicht. Eine ganze Menge Elektronik gibt den Geist auf, wenn sie sich nur in der Nähe eines Magiers befindet, der einen Zauber wirkt. Noch ärger ist es natürlich, wenn ein Magier ganz bewusst technische Spielzeuge kaputt machen will.
Aus der Kontrolltafel des Aufzugs ergoss sich ein Funkenregen, die Glühbirnen verabschiedeten sich mit einem leisen Ploppen, gefolgt von der Notfallbeleuchtung, und plötzlich herrschte Finsternis im Fahrstuhl, nur durchschnitten von einem Streifen Tageslicht, der unter der Tür hereinsickerte.
»Bist du wahnsinnig?«, verlangte ich von Mab zu wissen.
Es war gerade hell genug, um das Glitzern in ihren Augen auszumachen, als sie sich zu mir umdrehte.
»Ich werde diesem Sackgesicht nicht helfen«, knurrte ich.
»Du wirst tun, was ich dir befehle.«
»Bestimmt nicht«, fauchte ich. »Ich weiß, wie der tickt. Was auch immer er vorhat, es ist bestimmt nichts Gutes. Menschen werden zu Schaden kommen – und ich werde nicht daran teilhaben. Ich werde ihm nicht helfen.«
Mab seufzte. »Offenbar hast du mir nicht zugehört.«
»Und offenbar kapierst du etwas ganz und gar nicht«, konterte ich. »Es gibt ein paar Dinge, die tut man einfach nicht, Mab, und dieses Ungeheuer zu unterstützen, gehört dazu.«
»Selbst wenn dich deine Weigerung das Leben kosten wird?«, fragte sie.
»Kennst du mich denn so wenig? Hast du den geringsten Zweifel, dass ich eher sterben würde, als bei dieser Sache mitzumachen?«
Ihre Zähne gleißten weiß in der Dunkelheit. »Dennoch bist du hier.«
»Willst du es wirklich darauf ankommen lassen?«, fragte ich. »Willst du deinen brandneuen Glitzerritter jetzt schon verlieren?«
»Es wäre kaum ein Verlust, wenn er nicht einmal den einfachsten Befehlen nachkommt«, antwortete Mab.
»Ich werde Befehle ausführen. Das habe ich schon früher getan.«
»Auf deine eigene, inkompetente Weise, ja«, pflichtete Mab mir bei.
»Nur diesen nicht.«
»Du wirst genau das tun, was ich dir befehle.« Sie trat einen ganz kleinen Schritt näher an mich heran. »Sonst hat das Folgen.«
Ich schluckte. Der letzte Ritter, der Mab verärgert hatte, hatte mich am Ende angefleht, sein Leben zu beenden.
»Was für Konsequenzen?«, fragte ich.
»Der Parasit«, sagte Mab. »Wenn er dich umbringt und aus dir herausbricht, wird er jeden, den du kennst, aufsuchen. Jeden, den du liebst. Und er wird sie alle vernichten, beginnend mit einem ganz besonderen Kind.«
Gänsehaut zog sich meine Arme hoch. Sie sprach von Maggie. Meiner Tochter.
»Sie hat damit nichts zu tun«, flüsterte ich. »Und sie ist geschützt.«
»Davor nicht«, sagte Mab ungerührt. »Nicht vor einer Kreatur aus deiner Essenz, so wie sie selbst eine ist. Dein Tod wird eine heimtückische Kreatur in dieser Welt freisetzen, mein Ritter – ein Geschöpf, das alles weiß, was auch du weißt. Über deine Verbündeten. Deine Geliebten. Deine Familie.«
»Nein«, sagte ich, »ich werde auf die Insel zurückkehren. Ich werde Alfred auftragen, sie gefangen zu setzen, sobald sie sich von mir befreit.«
Mab schenkte mir ein Lächeln. Das war um einiges unheimlicher als ihr unverwandter Blick. »O mein süßes Kind.« Sie schüttelte den Kopf. »Was lässt dich denken, dass ich dir gestatte zurückzukehren?«
Ich ballte die Fäuste und biss die Zähne zusammen. »Du … du Schlampe.«
Mab ohrfeigte mich.
Na gut, das wurde der Sache nicht wirklich gerecht. Ihr Arm bewegte sich, ihre Handfläche traf meine linke Wange, und mein Schädel knallte gegen die Fahrstuhltür, woraufhin meine Knie weich wie Gummi wurden und ich Gelegenheit bekam, das Fliesenmuster des Aufzugbodens wirklich, wirklich gut in Augenschein zu nehmen. Erst nach einigen Minuten gelang es mir, mich langsam auf den Rücken zu drehen.
»Ich schätze durchaus Anregungen, Fragen, Gedanken und handfeste Argumente, mein Ritter«, sagte Mab mit ruhiger Stimme. Sie hob graziös einen Fuß und drückte mir die Spitze ihres Absatzes gegen die Kehle. Es tat höllisch weh. »Aber ich bin Mab, Sterblicher. Dir steht es nicht zu, mich zu beurteilen. Verstanden?«
Da ihr Absatz meinen Kehlkopf liebkoste, konnte ich nicht antworten, sondern nur schwach nicken.
»Widersetze dich mir ruhig«, sagte sie, »wenn du bereit bist, den Preis dafür zu bezahlen.«
Damit nahm sie den Fuß von meiner Kehle.
Ich setzte mich auf und rieb mir den Hals. »Das ist … keine besonders schlaue Art … berufliche Beziehungen mit mir zu pflegen«, krächzte ich.
»Hältst du mich wirklich für töricht, mein Ritter?«, fragte sie.
Ich musterte sie. Mab wirkte absolut ruhig. Nach allem, was ich ihr an den Kopf geworfen hatte, und nach all dem Widerstand, den ich ihr geboten hatte, hatte ich das als Letztes erwartet. Sie scheut sich normalerweise nicht, ihren Zorn offen zu zeigen. Diese perfekte Gelassenheit … die widersprach genau genommen nicht ihrem Charakter, doch ich hatte damit gerechnet, dass sie weit heftiger reagieren würde, als sie es tat. Meine Starrköpfigkeit gefährdete ihre Pläne, und das hatte noch nie ihre Laune gehoben.
Außer …
Ich schloss die Augen und lauschte noch einmal ihren Worten in meinem Kopf.
»Deine Anweisungen«, sagte ich langsam, »waren, mit Nikodemus zu gehen und ihn zu unterstützen bis zu dem Zeitpunkt, an dem er sein Ziel erreicht.«
»So ist es«, bestätigte Mab, »und dieses Ziel hat er klar damit definiert, bis er in den Händen hält, was er begehrt.« Sie bückte sich, packte mich am Hemd und zog mich mit der gleichen Anstrengung hoch, mit der sie einen Chihuahua vom Boden aufgehoben hätte. »Ich habe mit keinem Sterbenswort erwähnt, was du danach zu tun hast.«
Ich blinzelte sie an. »Du willst …« Ich senkte die Stimme. »Du willst, dass ich ihn übers Ohr haue?«
»Ich will, dass du meine Schuld vollständig begleichst, indem du meinen Anweisungen nachkommst«, entgegnete sie. »Danach …« Ihr selbstzufriedenes Lächeln blitzte erneut in der Dunkelheit auf. »Danach kannst du ganz du selbst sein.«
»Was auch immer Nikodemus vorhat … du willst ihn ebenfalls aufhalten«, keuchte ich.
Sie neigte den Kopf fast unmerklich.
»Du weißt, dass er den Waffenstillstand missachten wird«, fuhr ich leise fort. »Irgendwann im Verlauf der Geschehnisse wird er versuchen, mich auszuschalten. Er wird mich verraten.«
»Natürlich«, sagte sie. »Ich erwarte einen überlegenen und weitaus kreativeren Verrat deinerseits.«
»Während ich dein Wort nicht breche und ihm helfe?«
Ihr Lächeln wurde breiter. »Ist das nicht ein zauberhaftes Spiel? In jüngeren Jahren hätte ich eine solche Herausforderung überaus genossen.«
»Klar doch«, sagte ich. »Toll. Danke.«
»Trotz steht dem Winterritter nicht besonders«, erwiderte Mab. Sie wandte sich zur Fahrstuhltür um, die eine riesige Delle in Form einer Magierbirne aufwies. Mit einem Knarren protestierenden Metalls glitt sie auf. »Wenn du das für mich bewerkstelligst, garantiere ich die sichere Entfernung des Parasiten, sobald du deine Aufgabe erfüllt hast.«
»Nikodemus, seine Tochter und weiß der Geier, wen er sonst noch an Bord hat«, sagte ich. »Ich arbeite mit verbundenen Augen, und du erwartest tatsächlich, dass ich dieses Spielchen überlebe?«
»Wenn du am Leben hängst und wenn du verhindern willst, dass deine Freunde und deine Familie dem Tod anheimfallen, erwarte ich weit mehr als dein blankes Überleben«, antwortete Mab und stolzierte aus dem Aufzug. »Ich erwarte, dass du ihnen bei lebendigem Leib die Haut abziehst.«
»Das muss man zu Mabs Gunsten sagen«, meinte Karrin Murphy. »Sie verlangt nichts von dir, was du nicht gut kannst.«
Ich blinzelte. »Was soll das denn jetzt heißen?«
»Du hast so eine Begabung, dich aus Zwickmühlen, in die du dich selbst hineinmanövrierst, auch wieder herauszuwinden, Harry«, antwortete sie. »Du hast dir einen gewissen Ruf erarbeitet.«
»Dann soll ich mich also nicht wehren?«.
»Du solltest dich wahrscheinlich darauf konzentrieren, überhaupt nicht in so eine Lage zu kommen«, sagte sie, »aber das ist nur die bescheidene Meinung einer Ex-Polizistin.«
Wir saßen in Karrins Wohnzimmer in dem winzigen Haus mit Rosengarten, das sie von ihrer Großmutter geerbt hatte. Sie nippte an ihrer Teetasse und hatte ihren sehnigen Körper an einem Ende des Sofas zu einem gemütlichen Ball eingerollt. Ich saß ihr gegenüber in einem Sessel. Mein großer, grauer Kater Mister hatte sich auf meinem Schoß ausgestreckt, ließ sich verwöhnen und schnurrte, während ich sein Fell streichelte.
»Du hast gut auf ihn aufgepasst«, sagte ich. »Danke.«
»Er ist eine angenehme Gesellschaft«, antwortete sie. »Auch wenn ich nicht sicher bin, ob er nicht lieber bei dir wäre.«
Ich wechselte von Misters Rücken zu seinem Kopf, um ihn hinter den Ohren zu kraulen, wie er es am liebsten hatte. Sein Schnurren hörte sich an wie ein Mini-Motorboot. Mir war nicht klar gewesen, wie sehr ich das kleine Pelzknäuel vermisst hatte, bis es angewetzt gekommen war, um mit der Schulter voran mein Schienbein zu rammen. Mister wog um die fünfzehn Kilo. Ich fragte mich, wie die zierliche Karrin es jedes Mal, wenn sie heimkam, geschafft hatte, von seinen Liebesbekundungen nicht von den Beinen gefegt zu werden. Vielleicht hatte sie ja zum reinen Selbstschutz irgendeinen Aikido-Kniff angewandt.
»Möglich«, stimmte ich zu. »Ich bin ja auch wieder sesshaft geworden, und auf der Insel gibt es nichts, was groß genug wäre, ihm gefährlich zu werden. Aber im Winter ist es dort ganz schön kalt, und er wird auch nicht jünger.«
»Wir werden alle nicht jünger«, antwortete Murphy. »Trotzdem, sieh ihn dir an.«
Mister rollte sich auf den Rücken, knabberte glücklich an meinen Fingerspitzen und hieb mit seinen Pfoten nach meinen Händen und Armen, ohne jedoch seine Krallen auszufahren. Zugegeben, es handelte sich um einen kampfgezeichneten Kater mit Stummelschwanz und einem eingekerbten Ohr, aber er war trotzdem verdammt süß.
»Ja«, sagte ich. »Er ist und bleibt mein Kumpel, nicht wahr?«
Karrins himmelblaue Augen strahlten mich über den Rand ihrer Teetasse an. Nur ihre unnachgiebige Einstellung hinderte sie daran, in die Kategorie knuffelig-schnuffeliges Persönchen abzugleiten. Sie hatte ihr goldbraunes Haar wachsen lassen und zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst, trug eine Yogahose, ein Trägertop und darüber ein Flanellhemd. Als ich eingetroffen war, hatte sie einen obskuren Kampfsport geübt.
»Natürlich«, sagte sie, »könntest du es auch anders haben.«
»Was meinst du damit?«
»Du könntest auch hier leben«, erklärte sie. Dann fügte sie einen Tick zu schnell hinzu: »In Chicago, meine ich. Du könntest … du weißt schon, zurück in die Stadt ziehen.«
Ich spielte weiter mit Mister, runzelte aber die Stirn. »Ich weiß nicht … Wenn mir der nächste Irre die Bude abfackelt, habe ich vielleicht nicht so viel Glück wie das letzte Mal.«
»Das letzte Mal endete damit, dass du dir das Rückgrat gebrochen und für ein Monster zu arbeiten begonnen hast«, sagte Karrin.
»Ganz genau«, pflichtete ich bei, »und es ist nur dem Eingreifen einer nahezu gottgleichen Gestalt zu verdanken, dass keiner meiner Nachbarn ums Leben gekommen ist.« Ich schüttelte den Kopf. »Die Insel ist kein besonders netter Ort, aber dort versucht man mich zumindest nicht ständig umzubringen.«
»Nur mache ich mir Sorgen, was aus dir wird, wenn du zu lange allein da draußen bleibst«, sagte sie sanft. »Diese Art von Isolation tut dir nicht gut.«
»Es ist sicherer für mich. Es ist sicherer für jeden in meiner Umgebung.«
»Was für ein Haufen gequirlter Scheiße!«, sagte sie ohne jegliche Wut in der Stimme. »Du hast einfach Angst.«
»Da hast du verdammt recht«, gab ich zu. »Ich habe eine Scheißangst, dass irgendein sabbernder Irrer daherkommt und irgendwelche Leute umbringt, nur weil sie sich in meinem Verwüstungsradius aufhalten.«
»Nein«, sagte sie, »das ist nicht, was dir Angst macht.« Sie wedelte mit der Hand. »Du willst nicht, dass so etwas passiert, doch wenn es passiert, wirst du dagegen vorgehen. Aber das ist nicht, was dir Angst macht.«
Ich sah stirnrunzelnd auf Mister hinunter. »Mir ist … mir ist es etwas unangenehm, darüber zu sprechen.«
»Damit musst du fertigwerden«, sagte Karrin noch sanfter. »Harry, als die Vampire Maggie entführt haben … ist dein Leben vollkommen aus den Fugen geraten. Sie haben dir alles genommen, was dir vertraut war. Dein Büro. Deine Wohnung. Sogar deine lächerliche alte Clownkarre.«
»Der Käfer war keine Clownkarre«, widersprach ich voller Ernst. »Er war ein Gefährt der Gerechtigkeit.«
Auch wenn ich sie nicht ansah, hörte ich doch das Lächeln in ihrer Stimme – und etwas, das ich für Mitgefühl hielt. »Du bist ein Gewohnheitstier, Harry, und sie haben dir alle vertrauten Orte und Dinge in deinem Leben genommen. Sie haben dir wehgetan.«
Etwas Dunkles, Zorniges tobte kurz in meinem Inneren und drohte hervorzubrechen. Ich schluckte es hinunter.
»Also gefällt dir im Augenblick der Gedanke einer Festung, eines vertrauten Ortes, den dir niemand nehmen kann«, fuhr Karrin fort. »Selbst wenn das bedeutet, dass du die Verbindung zu allen anderen abbrichst.«
»So ist das nicht«, sagte ich.
So war es tatsächlich nicht.
Oder?
»Mir geht’s gut«, setzte ich hinzu.
»Dir geht es nicht gut«, stellte Karrin fest. »Du bist weit, weit davon entfernt, dass es dir gut geht, und das solltest du auch wissen.«
Misters Fell unter meinen Fingern war weich und sehr warm, seine Pfoten schlugen sanft nach meiner Hand, und ich spürte seine scharfen Zähne zärtlich an meinem Handgelenk. Ich hatte vergessen, wie nett es war, das Gewicht der Pelzbestie auf dem Schoß zu spüren und zu fühlen, wie sie sich an mich drückte.
Wie konnte ich das nur vergessen?
(»Nun ja, ich bin auch nur ein Mensch.«)
(»Zumindest im Augenblick noch.«)
Ich schüttelte langsam den Kopf. »Jetzt ist ein wirklich mieser Augenblick, um mich meinen Gefühlen zu stellen.«
»Das weiß ich«, sagte sie. »Aber es ist das erste Mal seit Monaten, dass ich dich zu Gesicht bekomme.« Sie stellte die Tasse auf einem Untersetzer auf dem Couchtisch ab und sagte: »Ich weiß, da gibt es geschäftliche Dinge, um die du dich kümmern musst. Aber du musst verstehen, dass sich deine Freunde um dich sorgen, und das ist auch wichtig.«
»Meine Freunde«, sagte ich. »Das ist also ein … Gemeinschaftsprojekt?«
Karrin starrte mich einen Augenblick lang an. Dann stand sie auf und trat neben meinen Sessel, musterte mich nachdenklich, strich mir dann mit einer Hand das Haar aus der Stirn und sagte: »Ich bin’s, Harry.«
Ich schloss die Augen, lehnte mich der Berührung entgegen. Ihre Hand war warm, fast fiebrig heiß, ein gewaltiger Kontrast zu der Berührung durch Mabs eiskalte Finger. So verharrten wir eine Zeitlang, und nur Misters kehliges Schnurren drang durch den Raum.
In der Berührung der Hand eines anderen Menschen liegt eine gewisse Macht. Das gestehen wir uns auch die ganze Zeit über unbewusst ein. Es hat einen Grund, dass die Leute einander die Hand geben, Händchen halten, Dinge per Handschlag besiegeln oder einander abklatschen. Das hat seinen Ursprung in unseren frühesten Erinnerungen, wenn wir in eine Welt kommen, die uns mit Farben und Licht blendet, uns mit wilden Geräuschen taub macht. Wild mit den Armen rudernd landen wir in einer gewaltigen Leere, in der wir uns nicht orientieren können, und sind verwirrt und verängstigt. Und was vertreibt diesen ersten Schrecken, diesen ursprünglichen Zustand blanken Entsetzens?
Die Berührung durch die Hände eines anderen Menschen.
Hände, die uns mit Wärme umhüllen, die uns Nähe vermitteln. Hände, die uns Schutz, Trost und Nahrung bieten. Hände, die uns halten und berühren und uns in unseren ersten Lebenskrisen Zuversicht spenden. Das Erste, was wir im Leben lernen, ist, dass die Berührung eines anderen Menschen Schmerz lindern und Dinge für uns besser machen kann.
Das ist Macht. Eine so grundlegende Macht, dass die meisten Menschen nicht einmal bemerken, dass es sie gibt.
Ich schmiegte den Kopf an Karrins Hand und zitterte. »Ja«, stammelte ich leise. »Ja, das ist auch wichtig.«