Die dunklen Fälle des Harry Dresden - Bluthunger - Jim Butcher - E-Book

Die dunklen Fälle des Harry Dresden - Bluthunger E-Book

Jim Butcher

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Beschreibung

Mord an einem Filmset – kein Wunder: die Hauptdarsteller sind Vampire! Der sechste dunkle Fall für Harry Dresden.

Mein Name ist Harry Blackstone Copperfield Dresden, und ich bin der einzige öffentlich praktizierende Magier Chicagos. So kam es auch, dass ich den Filmproduzenten Arturo Genosa beschützen sollte. Der Mann war davon überzeugt, dass irgendjemand es mit einem magischen Fluch auf ihn abgesehen hatte – und er hatte recht! Das konnte doch nur etwas mit den Vampiren zu tun haben, die an seinem Filmset auftauchten. Oder waren Arturos drei Exfrauen und seine Verlobte, die sich alle vier ebenfalls am Set befanden, in den Fall verwickelt? Die Wahrheit war noch viel komplizierter – und tödlicher –, als ich befürchtet hatte.


Die dunklen Fälle des Harry Dresden:
1. Sturmnacht
2. Wolfsjagd
3. Grabesruhe
4. Feenzorn
5. Silberlinge
6. Bluthunger
weitere Titel in Vorbereitung

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Seitenzahl: 494

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Buch

Mein Name ist Harry Blackstone Copperfield Dresden, und ich bin der einzige öffentlich praktizierende Magier Chicagos. So kam es auch, dass ich den Filmproduzenten Arturo Genosa beschützen sollte. Der Mann war davon überzeugt, dass irgendjemand es mit einem magischen Fluch auf ihn abgesehen hatte – und er hatte recht! Das konnte doch nur etwas mit den Vampiren zu tun haben, die an seinem Filmset auftauchten. Oder waren Arturos drei Exfrauen und seine Verlobte, die sich alle vier ebenfalls am Set befanden, in den Fall verwickelt? Die Wahrheit war noch viel komplizierter – und tödlicher –, als ich befürchtet hatte.

Autor

Jim Butcher ist der Autor der Dresden Files, des Codex Alera und der Cinder-Spires-Serie. Sein Lebenslauf enthält eine lange Liste von Fähigkeiten, die vor ein paar Jahrhunderten nützlich waren – wie zum Beispiel Kampfsport –, und er spielt ziemlich schlecht Gitarre. Als begeisterter Gamer beschäftigt er sich mit Tabletop-Spielen in verschiedenen Systemen, einer Vielzahl von Videospielen auf PC und Konsole und LARPs, wann immer er Zeit dafür findet. Zurzeit lebt Jim in den Bergen außerhalb von Denver, Colorado.

Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlag und www.facebook.com/blanvalet.

Jim Butcher

BLUTHUNGER

DIE DUNKLEN FÄLLE DES HARRY DRESDEN

Roman

Deutsch von Jürgen Langowski

Die Originalausgabe erschien 2000 unter dem Titel »Blood Rites (The Dresden Files 6)« bei Penguin RoC, New York.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2004 by Jim Butcher

Published by Arrangement with IMAGINARY EMPIRE LLC

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2023 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Peter Thannisch

Umschlaggestaltung und -motiv: www.buerosued.de

Illustrationen: © www.buerosued.de

HK · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-29106-8V001

www.blanvalet.de

Für meine Nichten und Neffen Craig, Emily, Danny, Ellie, Gabriel, Lori, Anna, Mikey, Kaitlyn, Greta, Foster und das noch ungeborene Baby. Hoffentlich habt ihr alle später einmal so viel Freude am Lesen wie euer Onkel.

1. Kapitel

Das Gebäude brannte, aber das war nicht meine Schuld. Als ich um eine Ecke zum Ausgang des verlassenen Schulgebäudes im Südwesten von Chicago sprintete, rutschte ich beinahe auf den Fliesen aus. Einige ferne Straßenlaternen waren die einzigen Lichtquellen, auf dem staubigen Flur und in den alten Klassenzimmern gähnten große, stockfinstere Löcher.

Ich trug eine mit schönen Schnitzereien verzierte Holzkiste in der Größe eines Wäschekorbes, unter deren Gewicht mir die Schultern wehtaten. Die verdammte Kiste war schwer, mal ganz zu schweigen vom Inhalt.

Ein Wurf schlappohriger grauer und schwarzer Welpen winselte und fiepte darin. Die Tiere wuselten durcheinander, während ich rannte. Ein Hündchen, das aufgrund eines kleinen Unfalls eine Scharte im Ohr hatte, war mutiger oder dümmer als seine Geschwister. Es tappte umher, bis es die Pfoten auf den Rand der Kiste stemmen konnte, und stieß ein schrilles Bellen, gefolgt von einem quiekenden Knurren aus, während es mit großen dunklen Augen in den Flur hinter mir blickte.

Ich rannte schneller, und mein knielanger schwarzer Ledermantel schlug um meine Beine. Als ich ein Rascheln und Zischen hörte, wich ich, so gut ich konnte, nach links aus.

Eine Kugel aus irgendeiner giftig riechenden Substanz zischte, in gelbweiße Flammen gehüllt, an mir vorbei und prallte ein paar Schritte vor mir auf den Boden. Sofort schossen Flammen empor.

Meine Stiefel waren anscheinend nur zum Schreiten gemacht und nicht dazu da, über staubige Fliesen zu rennen. Als ich die Flammen umgehen wollte, glitt ich endgültig aus und fiel hin. Ich versuchte, den Sturz so gut wie möglich abzufangen, und rutschte schließlich, mit den Flammen im Rücken, auf dem Hinterteil weiter. Einen Augenblick lang wurde es heiß, aber die Schutzsprüche, die ich in meinen Mantel gewirkt hatte, bewahrten mich vor Verbrennungen.

Ich konnte mich gerade noch rechtzeitig wegdrehen, als eine weitere Feuerkugel angeflogen kam. Die Substanz, was immer es auch war, klebte wie Napalm und brannte mit übernatürlicher Heftigkeit. In den düsteren Fluren hinter mir hatten sich bereits ein Dutzend Metallspinde in Schlacke verwandelt.

Die Ladung traf mich an der linken Schulter, prallte jedoch von der magischen Barriere ab und spritzte neben mir an die Wand. Dennoch verlor ich das Gleichgewicht und kippte dabei die Kiste aus. Die pummeligen kleinen Hündchen purzelten wimmernd und jaulend heraus. Ich sah mich um.

Die Wachdämonen erinnerten an besessene purpurne Schimpansen, wenn man mal von den rabenschwarzen Flügeln an ihren Schultern absah. Drei von ihnen waren meinem ausgeklügelten Betäubungsspruch entgangen und verfolgten mich. Mit großen Sprüngen und getragen von den schwarzen Flügeln, kamen sie den Flur herunter.

Einer von ihnen griff zwischen seine krummen Beine und … ich will es nicht allzu bildhaft beschreiben. Jedenfalls wählte er genau die Munition, die Primaten im Zoo bevorzugen. Der Affendämon stieß einen zwitschernden Schrei aus und schleuderte die Ladung, die mitten im Flug zündete. Ich musste mich hastig ducken, damit mich die giftige, brennende Pampe nicht im Gesicht traf.

Eilig sammelte ich die kleinen Hunde ein und schob sie zurück in die Kiste, dann rannte ich weiter. Hinter mir kreischten die Affendämonen.

Ein quiekendes Bellen ließ mich innehalten. Der kleine Hund mit der Scharte im Ohr stemmte die dicken Pfötchen fest in den Boden und kläffte trotzig unsere Verfolger an.

»Verdammt!«, fluchte ich und lief zurück, als der erste Affe auf den Hund herabstoßen wollte. Ich rutschte mit den Füßen voran dem Dämon entgegen und trat ihn mit der Hacke meines Stiefels kräftig auf die Nase. Zwar bin ich kein Schwerathlet, aber ich bin weit über einen Meter achtzig groß, und ein Leichtgewicht bin ich ganz sicher auch nicht. Der Tritt reichte aus, um den Dämon aufschreien und abdrehen zu lassen. Er prallte gegen einen Spind und hinterließ eine zentimetertiefe Delle.

»Dummer kleiner Sargnagel«, murmelte ich und schnappte mir das Hündchen. »Deshalb hab ich ’ne Katze.«

Der Welpe bellte unverdrossen und wütend weiter. Ich steckte ihn etwas unsanft in die Kiste, wich zwei weiteren Feuerbällen aus und trat im dichter werdenden Rauch hustend den Rückzug an. Wo ich gerade noch gewesen war, wurde es allmählich heller, weil die brennenden Geschosse der Dämonen überall an den alten Wänden und auf dem Boden kleben blieben.

Ich rannte weiter zur Vordertür, drückte mit der Hüfte gegen den Riegel und wurde dabei zwangsläufig erheblich langsamer.

Auf einmal sprang mir ein Dämon in den Rücken, zerrte an meinen Haaren und biss mich in den Hals und ins Ohr. Es tat weh. Ich versuchte, mich rasch zu drehen und ihn abzuschütteln, doch er hielt eisern fest. Dabei bemerkte ich einen zweiten Dämon, der es auf mein Gesicht abgesehen hatte, und duckte mich, um ihm zu entgehen.

Ich ließ die Kiste los, um den Affen auf meinem Rücken zu packen. Er heulte und biss mich in die Hand. Mit einem wütenden Knurren drehte ich mich um und warf mich mit dem Rücken gegen die Wand. Der Angreifer kannte diesen Trick offenbar schon, denn er sprang im letzten Augenblick von meiner Schulter, woraufhin ich mit dem Hinterkopf schmerzhaft gegen einen Metallspind prallte.

Einen Augenblick lang sah ich Sterne, und als ich die Benommenheit abgeschüttelt hatte, sprangen bereits zwei Dämonen herbei und schleuderten brennende Kleckse auf die Holzkiste, die sofort Feuer fing.

Gleich neben mir hing ein alter Feuerlöscher an der Wand. Ich schnappte ihn mir, als mein Gegner abermals angriff, knallte dem Affendämon das untere Ende des Metallbehälters auf die Nase und schaltete ihn damit vorläufig aus. Dann drehte ich den Feuerlöscher um und sprühte eine staubige weiße Wolke über die Holzkiste. Die Flammen erloschen schnell, und danach deckte ich die beiden übrigen Dämonen mit dem Löschmittel ein.

Endlich konnte ich mir die Kiste schnappen, nach draußen verschwinden und die Tür der Schule hinter mir zudrücken. Drinnen war ein Poltern zu hören, dann wurde es still.

Keuchend betrachtete ich die winselnden, weiß bestäubten Welpen in der Kiste, die mir ihre feuchten Nasen entgegenstreckten.

»Bei den Toren der Hölle«, schnaufte ich. »Ihr habt Glück, dass Bruder Wang euch unbedingt zurückhaben will. Wenn er nicht die Hälfte im Voraus bezahlt hätte, würde ich jetzt in der Kiste liegen, und ihr müsstet mich schleppen.«

Kleine Schwänze wedelten hoffnungsvoll.

»Dumme Hunde«, grollte ich, hob die Kiste hoch und trug sie zum Parkplatz vor der alten Schule.

Als ich die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, riss irgendetwas die Türen des Gebäudes gegen die Bewegungsrichtung der Scharniere nach innen auf und stieß ein tiefes, lautes Knurren aus. Dann kam eine King-Kong-Version der Schimpansen zur Tür herausgestampft.

Das Biest war purpurn, hatte Flügel und wirkte ausgesprochen sauer. Es war knapp drei Meter groß und wog sicher vier- bis fünfmal so viel wie ich. Zwei kleinere Dämonen flogen geradewegs auf den Riesenaffen zu, der sie einfach absorbierte und dabei noch einmal gut vierzig Kilo zulegte. Anscheinend hatten die kleineren Wachdämonen ihre Kräfte in einem einzigen Körper vereint und auf diese Weise meinen Betäubungsspruch überwunden.

King Dämon breitete Flügel aus, die einem Sportflugzeug alle Ehre gemacht hätten, und sprang mit einer absolut unfairen Anmut hinter mir her.

Während meiner Tätigkeit als Privatdetektiv und professioneller Magier hatte ich schon die unterschiedlichsten Ungeheuer erlegt und im Laufe vieler Begegnungen und vieler Jahre eine Technik entwickelt, die sich im Umgang mit großen, bösen Monstern immer wieder bewährt hatte.

Weglaufen. So schnell wie möglich.

Der Parkplatz und mein verbeulter alter Volkswagen waren nur noch zehn oder fünfzehn Meter entfernt, und wenn ich entsprechend motiviert bin, kann ich ziemlich schnell rennen.

King Kong brüllte. Das reichte mir als Motivation.

Es knallte, dann überstrahlte ein grellrotes Licht die Straßenlaternen. Nur ein paar Schritte entfernt war ein weiterer Feuerball wie eine Kanonenkugel eingeschlagen und hatte im Pflaster einen sarggroßen Krater aufgerissen. Der riesige Dämon brüllte, schoss auf schwarzen Geierflügeln an mir vorbei, legte sich schräg und griff abermals an.

»Thomas!«, rief ich. »Lass den Motor an!«

Die Beifahrertür schwang auf, und ein unglaublich gut aussehender junger Mann mit dunklem Haar, engen Jeans und einer Lederjacke, unter der er nichts weiter trug, schob den Kopf heraus und betrachtete mich über seine runden grünen Brillengläser hinweg. Er riss den Mund auf.

»Nun lass schon den Wagen an!«, rief ich verzweifelt.

Thomas nickte und verschwand wieder im Käfer. Der Motor spuckte und hustete, erwachte dann jedoch rumpelnd zum Leben. Der noch funktionierende Scheinwerfer flammte auf, dann gab Thomas Gas und fuhr in Richtung Straße.

Im ersten Moment fürchtete ich, er würde mich im Stich lassen, doch dann bremste er gerade weit genug ab, damit ich ihn einholen konnte, lehnte sich herüber und hielt mir die Beifahrertür auf. Vor Anstrengung schnaufend, sprang ich in den Wagen, wobei ich fast die Kiste verloren hätte. Im letzten Augenblick konnte ich sie festhalten. Der Welpe mit der Scharte im Ohr kletterte schon wieder hoch und war anscheinend immer noch fest entschlossen, sich der Schlacht zu stellen.

»Was zum Teufel ist das denn?«, rief Thomas. Seine schulterlangen schwarzen Locken pendelten um sein Gesicht, als das Auto beschleunigte und die kühle Herbstluft durch die offenen Fenster hereinströmte. Er hatte die grauen Augen weit aufgerissen. »Sag schon, was ist das?«

»Fahr einfach!«, rief ich und verstaute die Kiste mit den winselnden Welpen auf dem Rücksitz. Dann nahm ich meinen Sprengstock und kletterte durchs offene Fenster halb hinaus, bis ich in der Tür saß, mich mit dem Oberkörper auf dem Dach abstützen und den Sprengstock auf den Dämon richten konnte. Ich sammelte all meine Willenskraft und meine Magie, und sofort entstand am Ende des Sprengstocks ein hellroter Schein.

Als ich die Ladung gegen den Dämon jagen wollte, stieß dieser jedoch mit einer neuen Feuerkugel in der Hand herab und schleuderte sie auf unser Auto.

»Aufgepasst!«, rief ich.

Thomas hatte es anscheinend im Spiegel beobachtet. Der Käfer schlingerte wild umher, und das brennende Geschoss traf nur den Asphalt. Tosend schossen die Flammen empor, und in den Häusern auf beiden Straßenseiten gingen Scheiben zu Bruch. Thomas wich auf den Gehweg aus, um nicht mit einem geparkten Wagen zusammenzustoßen, wobei der Käfer heftig bockte und fast außer Kontrolle geriet. Ich hätte beinahe das Gleichgewicht verloren, als mich Thomas packte. Mit nur einer Hand hielt er mich fest und lenkte zugleich mit der anderen das Auto. Über den Kraftaufwand hätte jeder gestaunt, der nicht wusste, dass er kein Mensch war.

Als der riesige Dämon abermals herabstieß, zielte ich mit dem Sprengstock auf ihn und rief: »Fuego!«

Eine weißglühende Feuerlanze schoss von der Spitze des Sprengstocks durch den Abendhimmel und beleuchtete die Straße taghell. Da ich im Fenster des Käfers ordentlich durchgeschüttelt wurde, hatte ich damit gerechnet, mein Ziel zu verfehlen, doch mein Feuerstoß traf King Dämon mitten in den Bauch. Kreischend stürzte er ab, und Thomas lenkte den Käfer auf die Straße zurück.

Sogleich richtete sich der Dämon wieder auf.

»Halt an!«, rief ich.

Thomas trat auf die Bremse, und abermals wäre ich um ein Haar auf die Straße geflogen. Als ich endlich sicher saß, war auch der Dämon schon wieder auf den Beinen.

Mit einem frustrierten Knurren bereitete ich den nächsten Feuerstoß vor und zielte genau.

»Was soll das noch?«, rief Thomas. »Du hast ihn gelähmt, lass uns verschwinden!«

»Nein«, gab ich zurück. »Wenn wir ihn nicht ausschalten, lässt er seine Wut an allen Menschen aus, die er in der Nähe findet.«

»Aber das werden dann nicht mehr wir sein.«

Ich achtete nicht weiter auf Thomas und konzentrierte mich auf meinen nächsten Angriff, bis von meinem Sprengstock Rauchwölkchen aufstiegen.

Dann verpasste ich dem großen Affen einen Schuss mitten zwischen die schwarzen Knopfaugen.

Der magische Angriff traf ihn voll, und der Kopf des Dämons zerbarst zu einer leuchtenden purpurnen Dampfwolke. Zusammen mit den roten Lichtpünktchen sah es wirklich nett aus.

Dämonen, die in die Welt der Sterblichen eindringen, haben keinen Körper wie wir. Sie legen sich einen zu, wie wir Kleidung anziehen, und solange das Bewusstsein des Dämons in dem konstruierten Körper steckt, ist er sehr real. Nachdem der Kopf explodiert war, hatte der Dämon nicht mehr genug Lebensenergie und ließ seine Hülle fallen. Der Affe zuckte noch einige Sekunden, dann blieb er reglos liegen und löste sich zu einem Haufen durchsichtiger Gelatine auf – Ektoplasma, die Materie aus dem Niemalsland.

Vor Erleichterung wurde mir etwas schwindlig, als ich mit weichen Knien wieder in den Käfer stieg.

»Erlaube mir, die Frage zu wiederholen«, schnaufte Thomas gleich darauf. »Was zum Teufel war das?«

Schwer atmend ließ ich mich auf dem Sitz nieder, vergewisserte mich, dass den Welpen in der Kiste nichts zugestoßen war, und schnallte mich an. Dann schloss ich seufzend die Augen. »Shen«, sagte ich. »Chinesische Geistwesen. Dämonen. Gestaltwandler.«

»Himmel, ich wäre dabei fast umgekommen!«

»Stell dich nicht so an, es ist doch nichts passiert.«

Thomas starrte mich finster an. »Du hättest es mir wenigstens vorher sagen können.«

»Hab ich doch«, entgegnete ich. »Im Mac’s habe ich dir versprochen, dich nach Hause zu bringen, und darauf hingewiesen, dass ich auf dem Weg noch etwas zu erledigen habe.«

Thomas’ Miene wurde noch finsterer. »Etwas erledigen, das bedeutet zum Beispiel tanken und eine Tüte Milch kaufen. Es bedeutet ganz sicher nicht, von fliegenden Gorillas gejagt zu werden, die mit brennender Kacke schmeißen.«

»Du kannst ja beim nächsten Mal die Hochbahn nehmen.«

Er funkelte mich an. »Wohin fahren wir überhaupt?«

»Zum O’Hare Airport.«

»Warum denn das?«

Ich winkte in Richtung Rücksitz. »Ich muss meinem Klienten sein gestohlenes Eigentum zurückgeben. Er will die Hunde so schnell wie möglich wieder nach Tibet bringen.«

»Gibt es sonst noch was, das du mir verschwiegen hast? Ninja-Wombats oder so?«

»Ich wollte dir nur mal zeigen, wie das so ist«, sagte ich.

»Was soll das nun wieder heißen?«

»Hör doch auf, Thomas. Du gehst sicher nicht ins Mac’s, um dort herumzuhängen und Freunde zu treffen. Du bist reich, hast Beziehungen und bist obendrein ein Vampir. Du hättest mich nicht bitten müssen, dich nach Hause zu bringen, denn du hättest ohne Weiteres ein Taxi oder eine Limousine bestellen oder irgendeine Frau überreden können, dich mitzunehmen.«

Thomas’ gerunzelte Stirn glättete sich wieder, und sein Gesicht wurde ausdruckslos. »Ach ja? Warum bin ich dann hier?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Da du mich nicht überfallen hast, nehme ich an, dass du mit mir reden willst.«

»Ein rasiermesserscharfer Verstand. Du solltest Privatdetektiv werden.«

»Willst du mich jetzt beleidigen, oder hast du mir etwas zu sagen?«

»Ist ja schon gut«, lenkte Thomas ein. »Du musst mir einen Gefallen tun.«

Ich schnaubte. »Was für einen Gefallen? Hast du schon vergessen, dass wir eigentlich Kriegsgegner sind? Magier gegen Vampire? Klingelt da was?«

»Wenn du möchtest, kannst du mir gern unterstellen, ich setzte subversive Techniken ein, um dich mit unerhört bösartigen Tricks zu manipulieren.«

»Gut«, stimmte ich zu. »Es würde nämlich meine Gefühle verletzen, wenn ich mir die Mühe mache, einen Krieg anzuzetteln, und dann spielst du einfach nicht mit.«

Er grinste. »Ich wette, du fragst dich, auf wessen Seite ich stehe.«

»Nein«, erwiderte ich. »Du stehst auf Thomas’ Seite.«

Er setzte dieses typische strahlende, jungenhafte Grinsen auf, bei dem die Unterwäsche sämtlicher Frauen im Umkreis spontan zu Staub zerfiel. »Stimmt. Aber ich habe dir in den letzten zwei Jahren ein paar Mal einen Gefallen getan.«

Ich runzelte die Stirn. Das traf zu, auch wenn ich den Grund nicht wusste. »Ja, richtig. Und was jetzt?«

»Jetzt bin ich an der Reihe. Ich habe dir geholfen, diesmal brauche ich eine Gegenleistung.«

»Ah. Was soll ich für dich tun?«

»Du sollst für einen Bekannten, der Hilfe braucht, einen Fall übernehmen.«

»Dazu habe ich keine Zeit«, wandte ich ein. »Ich muss irgendwie meinen Lebensunterhalt verdienen.«

Thomas schnipste ein Stück flambierten Affen von seinem Handrücken. »Verdienst du auf diese Weise deinen Lebensunterhalt?«

»Jobs sind ein Teil des Lebens. Vielleicht hast du schon mal davon gehört. Man nennt das auch Arbeit. Manchmal leidet man darunter, dass man nervige und erniedrigende Dinge tun muss und am Ende kaum etwas dafür bekommt. Es ist wie in diesen japanischen Gameshows, nur ohne den Ruhm.«

»Unfug. Ich sage ja nicht, dass du umsonst arbeiten sollst. Der Kunde wird dein normales Honorar bezahlen.«

»Pah«, machte ich. »Warum braucht er denn meine Hilfe?«

»Er glaubt, jemand hätte es auf sein Leben abgesehen. Ich denke, er hat recht damit.«

»Warum?«

»In seiner Umgebung gab es letztens zwei verdächtige Todesfälle. Vorgestern hat er seine Fahrerin, sie hieß Stacy Williams, mit seinen Golfsachen zu seinem Wagen geschickt, weil er vor dem Mittagessen noch ein paar Löcher spielen wollte. Sie öffnete den Kofferraum und wurde von etwa zwanzigtausend angriffslustigen Bienen getötet.«

Ich nickte. »Bäh! Da will ich nicht widersprechen. Es ist widerlich und gibt einem zu denken.«

»Am nächsten Morgen wurde seine persönliche Assistentin, eine junge Frau namens Sheila Barks, von einem Auto getötet, das sich selbstständig gemacht hat. Sie war auf der Stelle tot.«

Ich schürzte die Lippen. »So was passiert schon mal.«

»Sie fuhr gerade Wasserski.«

Ich blinzelte verdutzt. »Wie ist das denn passiert?«

»Wie ich hörte, fiel das Auto von einer Brücke, die über den See führt. Es durchbrach das Geländer und landete direkt auf ihr.«

»Oh«, staunte ich. »Gibt es schon einen Verdacht?«

»Nein. Könnte es ein Entropiefluch sein?«, fragte Thomas.

»Wenn das zutrifft, ist es ein ungenauer, der jedoch teuflisch stark ist. Die Todesfälle sind recht spektakulär.«

Ich sah noch einmal nach den Welpen. Sie hatten sich zu einem staubigen Haufen zusammengerottet und schliefen. Obenauf lag der kleine Kerl mit der Kerbe im Ohr. Er öffnete kurz die Augen und knurrte mich schläfrig, aber unverkennbar warnend an. Dann schlief er wieder ein.

Thomas warf einen kurzen Blick zur Kiste. »Niedliche kleine Racker. Was steckt dahinter?«

»Sie sollen in einem Kloster im Himalaja als Wachhunde dienen. Irgendwer hat sie entführt und hierher verschleppt. Zwei Mönche haben mich beauftragt, sie zurückzuholen.«

»Gibt es denn in Tibet keine Hundezüchter?«

»Nun, sie glauben, die Tiere stammten von den alten Foo Dogs ab.«

»Blaublütige Köter? Du meine Güte!«

Ich schnaubte und hielt die Hand wie eine Tragfläche in den Fahrtwind. »Die Mönche sind überzeugt, der Urahn der Hunde sei ein göttliches Geistwesen. Ein himmlischer Wachgeist, ein Foo Dog eben, und damit wären die Welpen etwas ganz Besonderes.«

»Stimmt das denn?«

»Mann, woher soll ich das wissen? Ich bin nur der Postbote.«

»Ein schöner Magier bist du mir.«

»Das Universum ist groß, und niemand kann alles wissen.«

Wir fuhren eine Weile schweigend weiter.

»Äh, darf ich dich fragen, was mit deinem Auto passiert ist?« Das Innere des Käfers sah tatsächlich kaum noch nach einem VW aus. Sämtliche Sitzbezüge waren ebenso verschwunden wie die Polster darunter und die Teppiche im Fußraum. Im hölzernen Armaturenbrett klafften mehrere große Löcher. Ein bisschen Plastik war noch da, außerdem alles, was aus Metall bestand. Der Rest war vollkommen verschwunden.

Mit einigen Brettern, Drahtkleiderbügeln, billigem Isoliermaterial aus der Campingabteilung des Supermarkts und diversen Rollen Klebeband hatte ich das Auto notdürftig geflickt. Jetzt sah es ein wenig postmodern aus und entsprach ungefähr dem, was man nach einem größeren nuklearen Schlagabtausch als Verkehrsmittel benutzen mochte.

Andererseits war das Innere des Käfers extrem sauber. Alles hat seine guten Seiten.

»Schimmeldämonen«, sagte ich.

»Schimmeldämonen haben dein Auto gefressen?«

»Gewissermaßen. Jemand hat sie aus den Überresten im Wageninneren heraufbeschworen, und sie haben alles organische Material benutzt, das sie finden konnten, um sich Körper zu schaffen.«

»Hast du sie gerufen?«

»Teufel, nein. Sie waren das Geschenk eines Feindes, dem ich vergangenen Sommer begegnet bin.«

»Ich wusste gar nicht, dass im Sommer so viel los war.«

»Du bekommst eben auch nicht alles mit. Im Übrigen dreht sich mein Leben nicht ausschließlich darum, gegen Halbgötter zu kämpfen, bevor sie mich umbringen.«

Thomas zog eine Augenbraue hoch. »Nein, es dreht sich natürlich auch um Schimmeldämonen und brennende Affenkacke. Schon klar. Darf ich dich noch was fragen?«

»Schieß los.«

»Hast du in den letzten zwei Jahren wirklich unablässig die Welt gerettet?«

»Gewissermaßen.«

»Es heißt, du hättest eine Feenfürstin erledigt und einen Krieg zwischen Winter und Sommer verhindert.«

»Vor allem habe ich meinen eigenen Arsch gerettet. Zufällig war die Welt an der gleichen Stelle.«

»Dieses Bild wird mir Albträume bescheren«, gab Thomas zurück. »Was ist aus diesen Dämonen letztes Jahr geworden?«

»Sie wollten die Menschheit mit einer üblen Seuche infizieren. Es sollte eine nette kleine Apokalypse werden.«

»Und du hast sie aufgehalten?«

»Ich hab dabei geholfen und die Sache überlebt. Allerdings gab es kein Happy End. Ich hab nicht mal ein Honorar bekommen. An brennender Affenkacke verdiene ich besser. Da stimmt doch was nicht.«

Thomas lachte leise und schüttelte den Kopf. »Ich kapier’s nicht. Warum spielst du immer den einsamen Rächer? Du wirst ständig vermöbelt und kommst gerade mal so über die Runden. Du wohnst allein in einer feuchten, kleinen Höhle, du hast weder Frau noch Freunde und fährst mit diesem Schrotthaufen durch die Gegend. Dein Leben ist ein einziges Trauerspiel.«

»Denkst du das wirklich?«

»Ich sag’s nur so, wie ich es sehe.«

Ich lachte. »Warum, glaubst du denn, mache ich es?«

»Entweder, du bist von einem tiefen masochistischen Selbsthass erfüllt, oder du bist nicht recht bei Trost. Zu deinen Gunsten habe ich kolossale Dummheit von der Liste gestrichen.«

»Thomas, du kennst mich überhaupt nicht«, sagte ich lächelnd.

»Ich denke schon, denn ich hab mitbekommen, wie du dich verhältst, wenn du unter Druck gerätst.«

»Na schön, aber wie oft siehst du mich denn? Vielleicht ein oder zwei Tage im Jahr und auch dann nur, wenn gerade irgendein Ungeheuer Anstalten macht, mich zu Brei zu schlagen. Allerdings hast du keine Ahnung, wie mein Leben an den restlichen dreihundertdreiundsechzig Tagen verläuft. Du weißt nicht viel über mich. Mein Leben dreht sich nicht ausschließlich um magisches Gemetzel und kreative Brandstiftung in Chicago.«

»Oh, das ist mir klar. Ich hab gehört, dass du vor ein paar Monaten im exotischen Oklahoma warst. Es soll mit der landesweiten Sturmwarnung und einem Tornado zu tun gehabt haben.«

»Ich habe der neuen Sommerfürstin ’nen Gefallen getan und einen wild gewordenen Sturmsylphen gebändigt. Dazu musste ich mit den Sturmjägern kreuz und quer durch die Gegend fahren. Du hättest mal das Gesicht des Fahrers sehen sollen, als ihm bewusst wurde, dass der Tornado uns gejagt hat.«

»Das ist eine nette Geschichte, aber was willst du mir damit sagen?«

»Ich will damit sagen, dass es in meinem Leben viele Dinge gibt, von denen du keine Ahnung hast. Außerdem habe ich Freunde.«

»Monsterjäger, Werwölfe und einen sprechenden Totenschädel.«

Ich schüttelte den Kopf. »Das sind noch lange nicht alle. Übrigens mag ich meine Wohnung. Mensch, ich mag sogar mein Auto.«

»Du magst dieses … diesen Schrotthaufen?«

»Es macht vielleicht nicht viel her, doch es hat alles, was nötig ist.«

Thomas sank hinter dem Lenkrad in sich zusammen und machte eine skeptische Miene. »Ich glaube, ich habe die monumentale Dummheit vorschnell gestrichen.«

»Mit meinem blauen Käfer bin ich unschlagbar. Er hat nur vier Zylinder, aber ein tapferes Herz.«

Thomas’ Gesicht wurde völlig ausdruckslos. »Was ist mit Susan?«

Wenn ich wütend werde, würde ich auch gern so eine versteinerte Miene aufsetzen, allerdings gelingt mir das meist nicht so gut. »Was soll mit ihr sein?«

»Sie war dir wichtig. Du hast sie zu einem Teil deines Lebens gemacht, und sie ist deinetwegen unter die Räder gekommen. Alle möglichen unfreundlichen Zeitgenossen sind über sie hergefallen, und sie wäre fast gestorben.« Er starrte nach vorn. »Wie kommst du damit klar?«

Beinahe wäre ich tatsächlich wütend geworden, doch mir fiel gerade noch rechtzeitig etwas ein, und mein Zorn verflüchtigte sich gleich wieder. An einer Ampel konnte ich Thomas’ Profil betrachten. Er gab sich große Mühe, völlig unbeteiligt zu wirken, was bedeutete, dass ihn irgendetwas sehr berührte. Er dachte an jemanden, der ihm wichtig war.

»Wie geht es Justine?«, fragte ich.

Seine Miene verhärtete sich. »Das ist unwichtig.«

»In Ordnung. Aber wie geht es ihr?«

»Ich bin ein Vampir.« Er sprach die Worte kalt und abweisend, obwohl seine Stimme bebte. »Sie ist meine Freun…« Das Wort wollte ihm nicht über die Lippen, und er hustete, um seine Verlegenheit zu überspielen. »Sie ist meine Geliebte. Sie ist Nahrung. So sieht das aus.«

»Ah«, erwiderte ich. »Du musst wissen, dass ich sie mag, seit sie mich erpresst hat, dir gegen Biancas böse Spielchen zu helfen. Das hat Mut erfordert.«

»Ja«, stimmte er zu, »den hat sie.«

»Wie lange seid ihr jetzt zusammen?«

»Vier Jahre«, sagte Thomas. »Beinahe fünf.«

»Gibt es sonst noch jemanden?«

»Nein.«

»Burger King«, folgerte ich.

Thomas blinzelte verständnislos. »Was?«

»Ich esse gern bei Burger King. Aber selbst wenn ich es mir leisten könnte, würde ich nicht fünf Jahre lang jeden Tag dort essen.«

»Was willst du damit sagen?«

»Ganz einfach. Es liegt auf der Hand, dass Justine nicht nur Nahrung für dich ist.«

Er starrte mich einen Moment mit leerem Gesicht und nicht menschlichen Augen an. »Das ist sie aber. Es kann gar nicht anders sein.«

»Warum fällt es mir nur so schwer, dir zu glauben?«

Thomas starrte mich an, der Blick seiner Augen wurde sogar noch kälter. »Lass das Thema.«

Ich entschied mich, ihn nicht zu bedrängen. Er gab sich große Mühe, sich nichts anmerken zu lassen, und wenn er nicht darüber reden wollte, musste ich das respektieren.

Eigentlich wollte ich ebenfalls nicht darüber reden. Thomas war ein nervtötender Schnösel, den jeder schon nach kurzer Bekanntschaft umbringen wollte. Wenn ich mit jemandem so viel gemein habe, kann ich nicht umhin, ihn ein wenig zu mögen. Es konnte nicht schaden, ihm etwas Bewegungsfreiheit zu lassen.

Andererseits geriet viel zu leicht in Vergessenheit, was er wirklich war, und das konnte ich mir nicht leisten. Thomas war ein Vampir vom Weißen Hof. Wie alle seine Artgenossen trank er kein Blut, sondern nährte sich von Gefühlen und nahm auf diese Weise die Lebensenergie seiner Beute in sich auf. Soweit ich wusste, geschah das vor allem beim Sex, und die Angehörigen seines Volks sind fähig, selbst einen Heiligen zu verführen. Ich hatte Thomas einmal beobachtet, als er sich nähren wollte. Dabei war seine menschliche Seite völlig untergegangen, und er hatte sich in ein kaltes, wunderschönes marmorweißes Wesen voller nackter Gier verwandelt. Es war eine ausgesprochen unschöne Erinnerung.

Die Weißen sind körperlich nicht ganz so furchterregend wie die Vampire vom Roten Hof und haben nicht die rohe Kraft der Schwarzen, leiden jedoch auch nicht unter den üblichen Schwächen der Vampire. Sonnenlicht stellte für Thomas kein Problem dar, und nach allem, was ich gesehen hatte, störten ihn auch Kruzifixe und andere heilige Symbole nicht weiter. Aber nur weil sie nicht ganz so schrecklich sind wie die anderen Höfe, sind die Weißen noch lange nicht ungefährlich. In gewisser Weise sind sie sogar gefährlicher als die anderen. Ich rechne damit, dass mich hin und wieder ein mit Schleim bedecktes Monster aus den Abgründen der Hölle anfällt, doch bei einem Wesen, das einem Menschen täuschend ähnlich sieht, lässt die Wachsamkeit rasch nach.

Tatsächlich war ich ja schon drauf und dran, Thomas zu helfen und den Auftrag zu übernehmen, als wäre er ein ganz normaler Klient. Wahrscheinlich war das nicht gerade klug. Gut möglich, dass dies ungesunde oder gar tödliche Folgen haben konnte.

Der Vampir schwieg wieder. Da ich nicht mehr rannte und schrie, wurde mir bald ungemütlich kalt. Ich kurbelte das Fenster hoch, damit die kühle Herbstluft draußen blieb.

»Also«, sagte er. »Wirst du mir nun helfen?«

Ich seufzte. »Ich sollte nicht mal mit dir in einem Auto sitzen, denn ich habe auch so schon genügend Schwierigkeiten mit dem Weißen Rat.«

»Junge, deine eigenen Leute mögen dich nicht. Erzähl mir was Neues.«

»Leck mich!«, gab ich zurück. »Wie heißt der Mann?«

»Arturo Genosa. Er ist Filmproduzent und hat gerade eine eigene Firma gegründet.«

»Weiß er Bescheid?«

»In gewisser Weise schon. Er ist ein Mensch, aber ziemlich abergläubisch.«

»Warum soll gerade ich ihm helfen?«

»Weil nur du ihm helfen kannst. Wenn du ablehnst, wird er die nächste Woche wohl nicht überleben.«

Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah ich Thomas an. »Entropieflüche sind bereits eine hässliche Angelegenheit, wenn sie präzise funktionieren. Die ungenauen sind erheblich schlimmer. Ich riskiere Kopf und Kragen, wenn ich versuche, sie abzuwehren.«

»So etwas habe ich auch für dich getan.«

Ich dachte kurz darüber nach. »Ja, das stimmt.«

»Dafür hab ich nicht mal Geld verlangt.«

»Schon gut«, willigte ich ein. »Ich rede mit ihm. Versprechen will ich nichts, aber falls ich den Job übernehme, musst auch du mich bezahlen, unabhängig von dem, was dieser Arturo ausspuckt.«

»So revanchierst du dich also, wenn man dir einen Gefallen tut.«

»Du kannst jederzeit aussteigen.«

Er schüttelte den Kopf. »Schon gut. Du bekommst das doppelte Honorar.«

»Nein«, erwiderte ich, »du sollst mich nicht mit Geld bezahlen.«

Er zog die Augenbrauen hoch und sah mich über den Rand seiner modischen grünen Brille hinweg an.

»Ich will den Grund wissen«, fuhr ich fort. »Ich will wissen, warum du mir damals geholfen hast. Wenn ich den Fall übernehme, musst du mir reinen Wein einschenken.«

»Du würdest es mir sowieso nicht glauben.«

»Das ist mein Angebot. Nimm es an, oder lass es bleiben.«

Thomas seufzte nur, und wir fuhren einige Minuten schweigend weiter. »Also gut«, sagte er schließlich. »Abgemacht.«

»Die Hand drauf.«

Er schlug ein. Seine Finger waren sehr kalt.

2. Kapitel

Wir fuhren zum O’Hare, wo ich Bruder Wang in der Kapelle des internationalen Terminals traf. Er war ein kleiner, drahtiger Mann mit wallenden Gewändern in der Farbe eines Sonnenuntergangs und einem glänzenden Kahlkopf. Sein Alter war schwer zu schätzen, und sein Gesicht hatte die Falten eines Menschen, der oft lächelt.

»Missa Dresden«, sagte er strahlend, als ich ihm die schlafenden Welpen brachte. »Haben Sie zu uns die kleinen Hunde wiedergegeben.«

Bruder Wangs Englisch war noch schlechter als mein Latein, und das will was heißen, doch seine Körpersprache war unmissverständlich. Ich erwiderte sein Lächeln und reichte ihm die Kiste mit einer angedeuteten Verbeugung. »Es war mir ein Vergnügen.«

Wang stellte sie vorsichtig auf den Boden und überprüfte den Inhalt. Ich sah mich unterdessen in der schlichten, kleinen Kapelle um. Jeder, der an irgendetwas glaubte, sollte hier einen stillen Raum zur Meditation finden und tun können, was ihm sein Glaube gebot. Die Betreiber des Flughafens hatten den beigefarbenen Teppich durch einen blauen ersetzt und die Wände neu gestrichen. Vorne stand eine neue Kanzel, und auch die gepolsterten Betstühle waren neu.

Blut hinterlässt dauerhaft Flecken, ganz egal wie viel Putzmittel man einsetzt.

Traurig, aber nicht verbittert betrachtete ich die Stelle, wo ein sanfter alter Mann sein Leben geopfert hatte, um mich zu retten. Er und ich würden erneut genau die gleichen Entscheidungen treffen, wenn wir noch einmal in der gleichen Situation wären. Ich wünschte nur, ich hätte ihn früher kennengelernt. Es gibt nicht viele Menschen, die etwas über den Glauben lehren können, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren.

Bruder Wang betrachtete das weiße Pulver im Fell der Welpen und hob fragend eine mit Staub bedeckte Hand.

»Hoppla«, sagte ich nur.

»Ah.« Wang nickte. »Hoppla. Okay.« Dann betrachtete er wieder die Kiste.

»Stimmt etwas nicht?«

»Alle kleinen Hundchen sind sie im Kasten?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich habe alle mitgenommen, die im Gebäude waren. Allerdings weiß ich nicht, ob irgendjemand vorher einige Hunde woanders hingeschafft hat.«

»Okay«, sagte Bruder Wang. »Am besten weniger als gar nichts.« Er richtete sich auf und gab mir die Hand. »Vielen Dank von meinen Brüdern.«

Ich schlug ein. »Gern geschehen.«

»Flugzeug fliegt jetzt nach Hause.« Wang griff in seine Gewänder und zog einen Umschlag hervor. Er gab ihn mir, verbeugte sich noch einmal, nahm die Kiste mit den Hunden und ging hinaus.

Dass ich das Geld genau nachzählte, sagt vermutlich eine Menge über meinen Zynismus aus. Ich hatte für diesen Auftrag ein recht hohes Honorar bekommen. Zuerst hatte ich die Spur des Hexers verfolgen müssen, der die Hunde gestohlen hatte. Dann hatte ich ihn eine Weile beobachtet, um herauszufinden, wann er essen ging. Nach fast einer ganzen Woche voll sechzehnstündiger Arbeitstage hatte ich endlich die verborgene Kammer entdeckt, wo er die Welpen untergebracht hatte. Da mich die Auftraggeber gebeten hatten, sie zurückzuholen, hatte ich die Wachdämonen identifizieren und einen Spruch entwickeln müssen, um sie auszuschalten, ohne dabei – beispielsweise – das ganze Gebäude in Schutt und Asche zu legen. Hoppla.

Immerhin hielt ich nun zwei dicke Packen Dollarnoten in der Hand. Hätte ich allerdings vorher von der brennenden Kacke gewusst, hätte ich einen Zuschlag verlangt. Sonderleistungen kosten nun mal extra.

Ich kehrte zum Auto zurück. Thomas saß auf der Haube des Käfers. Er hatte sich nicht erst die Mühe gemacht, zum Parkplatz zu fahren, sondern wartete vor dem Terminal in einer Ladezone. Offenbar hatte ihn eine recht hübsche Polizistin auffordern wollen, den Wagen wegzufahren, doch da Thomas nun einmal Thomas war, hatte er sich inzwischen ihre Uniformmütze in einem verwegenen Winkel aufgesetzt, und sie stand entspannt und lachend vor ihm, als ich mich den beiden näherte.

»He«, sagte ich. »Wir müssen aufbrechen. Wir haben noch viel zu tun.«

»Leider«, sagte er, während er die Mütze abnahm und sie der Polizistin mit einer kleinen Verbeugung reichte. »Es sei denn, Sie wollen mich verhaften, Elizabeth?«

»Dieses Mal wohl nicht«, erwiderte sie.

»Da habe ich aber Glück gehabt.«

Sie lächelte ihn an, dann wandte sie sich mit gerunzelter Stirn an mich. »Sind Sie nicht Harry Dresden?«

»Allerdings.«

Sie nickte und setzte sich die Mütze auf. »Ich dachte mir schon, dass Sie es sind. Lieutenant Murphy meint, Sie seien ganz in Ordnung.«

»Danke.«

»Das war kein Kompliment. Murphy ist nicht sehr beliebt.«

»Oje«, sagte ich. »Ich werde immer rot, wenn mir jemand schmeichelt.«

Die Polizistin rümpfte die Nase. »Was stinkt hier eigentlich so?«

»Verbrannte Affenkacke.«

Sie musterte mich einen Moment, weil sie nicht wusste, ob ich sie auf den Arm nahm, dann verdrehte sie die Augen und entfernte sich langsam. Thomas schwenkte die Beine von der Haube herunter und warf mir die Schlüssel herüber.

»Na gut«, sagte ich, als der Vampir eingestiegen war. »Wo kann ich mich mit diesem Kerl treffen?«

»Er gibt heute Abend in einem Apartment an der Gold Coast eine Soiree für seine Mitarbeiter. Getränke, Discjockey, Snacks und so weiter.«

»Snacks«, sagte ich. »Dann bin ich dabei.«

»Versprich mir nur, dass du dir nicht lauter Erdnüsse und Kekse in die Hosentaschen steckst.«

Thomas beschrieb mir den Weg zu einem teuren Wohnhaus ein paar Meilen nördlich des Loop, und ich fuhr los. Unterwegs schwiegen wir.

»Hier geht es rechts«, sagte der Vampir schließlich und reichte mir einen weißen Umschlag. »Gib das den Wachleuten.«

Ich hielt in der Einfahrt und drückte dem Wächter im kleinen Häuschen durchs Seitenfenster des Käfers den Umschlag in die Hand.

In diesem Moment ertönte direkt unter meinem Sitz ein etwas weinerliches Knurren. Ich zuckte zusammen.

»Was war das denn?«, fragte Thomas.

»So ein Mist.« Ich tastete mit meinen magischen Sinnen nach der Quelle des Knurrens. »Ich glaub, das ist einer der …«

Auf einmal überflutete mich ein schmieriges, widerliches Gefühl, und mir wurde so kalt, dass ich kaum noch atmen konnte. Gleichzeitig nahm ich einen Gestank wie im Schlachthaus wahr. Blut und verwesendes Fleisch. Was ich für einen Wachmann gehalten hatte, war ein Vampir vom Schwarzen Hof.

Früher war er ein junger Mann gewesen. Seine Züge kamen mir irgendwie bekannt vor. Sein Gesicht war eingefallen und zu hager, der Tod hatte ihn in die ausgemergelte Karikatur eines Menschen verwandelt. Auf seinen Augen lag ein weißer Belag, und von den sich auflösenden spröden Lippen rieselten graue Schuppen. Von seinem Kopf standen Haare ab, die an trockenes Gras erinnerten, und dazwischen wuchs eine Art Moos oder Schimmel.

Mit übermenschlicher Geschwindigkeit griff er nach mir, doch meine Magiersinne hatten mich vorgewarnt. Der Vampir erwischte mit den Fingerspitzen gerade noch den Ärmel meines Ledermantels. Ich riss den Arm zurück, doch das Wesen hatte in den Fingerspitzen mehr Kraft als ich im ganzen Oberkörper. Ich zerrte und verdrehte die Schultern, um mich loszureißen.

Der Vampir glitt wie eine gefriergetrocknete Schlange durchs Fenster des Wachhäuschens. Wenn er im Auto über mich herfiel, konnte man meine Organe danach aus einem Haufen Altmetall herauskratzen.

Und ich war nicht stark genug, um ihn daran zu hindern.

3. Kapitel

Offenbar waren Thomas’ Sinne nicht ganz so empfindlich wie meine, denn der Vampir vom Schwarzen Hof hatte schon den Oberkörper ins Auto gezwängt, als mein Beifahrer endlich mit erstickter Stimme rief: »Heilige Scheiße!«

Ich rammte dem Angreifer meinen linken Ellenbogen ins Gesicht. Wehtun konnte ich ihm kaum, aber das verschaffte mir hoffentlich etwas Luft, um mich zu wehren.

Sein Kopf flog zur Seite, und ich langte mit der freien Hand blitzschnell in ein Kästchen zwischen den Sitzen, um die Waffe herauszuholen, die mich vielleicht retten konnte. Der Vampir griff mit dürren Fingern und krallenartigen Nägeln nach mir. Wären die Schutzsprüche meines Mantels nicht mehr wirksam gewesen, hätte er mir einfach die Hand in die Brust gestoßen und mir das Herz herausgerissen, doch das schwere, mit Sprüchen verstärkte Leder hielt ihn ein oder zwei Sekunden auf. Genug Zeit, um mit dem Gegenangriff zu beginnen.

Die Vampire des Schwarzen Hofs gibt es schon seit Anbeginn der Menschheit. Sie verfügen über starke, abartige Vampirkräfte, die in Stokers Buch genau beschrieben werden. Andererseits haben sie auch Schwächen – Knoblauch, Symbole des Glaubens, Sonnenlicht, fließendes Wasser, Feuer und Enthauptungen können ihnen durchaus schaden.

Bram Stokers Buch verriet der Welt, wie man sie töten kann, und so waren die Schwarzen bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts fast ausgerottet worden. Die Vampire, die überlebt hatten, waren die intelligentesten, schnellsten und brutalsten ihrer Art und hatte eine jahrhundertealte Erfahrung in den Angelegenheiten von Leben und Tod, wobei die Betonung zweifellos auf Tod lag.

Ich bezweifelte allerdings, dass auch nur einer von ihnen trotz langer Erfahrung jemals mit einem Wasserballon verprügelt worden ist.

Genauer gesagt, mit einem Ballon voller Weihwasser.

Drei der Dinger bewahrte ich in einer Kiste zwischen den Sitzen auf, wo ich sie leicht erreichen konnte. Jetzt riss ich einen davon hoch und klatschte ihn dem Vampir ins Gesicht. Der Ballon zerbarst, und das Weihwasser spritzte ihm über den Kopf. Wo es den Angreifer berührte, zuckten silberne Blitze, und das tote Fleisch des Wesens verbrannte mit einer kalten weißen Flamme, die so hell war wie eine Magnesiumfackel.

Der Vampir stieß einen heiseren, keuchenden Schrei aus, wand sich vor Qualen und warf sich hin und her wie ein halb zerquetschter Käfer. Dabei traf er mit einem Arm das Lenkrad. Das Metall verbog sich unter dem Aufprall.

»Thomas«, rief ich, »hilf mir!«

Mein Begleiter löste den Sicherheitsgurt, zog die Knie an und drehte sich herum, stieß einen Schrei aus und trat dem Ungeheuer mit beiden Füßen ins Gesicht. An Körperkraft war Thomas dem Vampir vom Schwarzen Hof unterlegen, doch er war immer noch verdammt stark. Der Tritt beförderte den Vampir aus dem Auto, und er brach durch die dünne Holzwand des Wachhäuschens.

Das quietschende Knurren unter meinem Sitz schwoll zu einem schrillen Gebell an, während der Vampir im Häuschen zappelte. Er wollte sich mit weit aufgerissenen, weiß angelaufenen Augen wieder aufrichten, doch das Weihwasser hatte beträchtlichen Schaden angerichtet. Vom linken Ohr bis zum Mundwinkel war ungefähr ein Viertel seines Kopfes verschwunden, die Ränder des Lochs glühten golden, und aus der Wunde lief eine zähflüssige schwarze Masse.

Ich hob einen weiteren Wasserballon und holte aus.

Der Vampir fauchte erschrocken, drehte sich um und rannte einfach durch die Rückwand des Häuschens, ohne langsamer zu werden. Er floh die Straße hinunter.

»Der haut ab«, sagte Thomas und wollte aussteigen.

»Lass ihn«, übertönte ich das Kläffen. »Das ist eine Falle.«

Mein Begleiter zögerte. »Woher weißt du das?«

»Ich hab den Kerl erkannt«, sagte ich. »Er war auf Biancas Party, nur dass er damals noch gelebt hat.«

Irgendwie schaffte Thomas es, noch bleicher zu werden. »War das einer der Leute, die dieses unheimliche Miststück vom Schwarzen Hof rekrutiert hat?«

»Du meinst Mavra. Ja, genau so ist es.«

»Mist«, murmelte er. »Du hast recht. Es ist ein Hinterhalt. Wahrscheinlich versteckt sie sich irgendwo und wartet darauf, dass wir in eine dunkle Gasse rennen.«

Ich überprüfte das Lenkrad. Es ging ein wenig schwer, funktionierte aber noch. Gesegnet sei der mächtige blaue Käfer.

Nach kurzem Suchen stellte ich das Auto in einer Parkbucht ab. Das Bellen des Welpen war einem wilden Knurren gewichen. »Mavra braucht keine dunkle Gasse. Sie kennt sich sehr gut mit Schleiern aus und könnte unbemerkt vor uns auf der Haube sitzen.«

Thomas leckte sich nervös die Lippen und blickte in die Runde. »Glaubst du, sie ist hinter dir her?«

»Das ist gut möglich. Sie war bis zu Biancas Tod deren Verbündete. Außerdem führen wir Krieg gegeneinander. Es wundert mich, dass sie nicht längst aufgetaucht ist.«

»Herr im Himmel, die macht mir Angst.«

»Mir auch.« Ich beugte mich vor, langte unter den Fahrersitz und bekam einen kleinen Schwanz zu fassen. So sanft wie möglich zog ich den Welpen heraus. Es war der wilde kleine Kerl mit der Scharte im Ohr. Er achtete nicht auf mich, sondern knurrte unentwegt und schüttelte heftig den Kopf. »Gut, dass wir einen blinden Passagier hatten. Sonst hätte der Vampir uns beide erwischt.«

»Was hat er da im Maul?«, fragte Thomas.

Der Hund ließ seine Beute los, und das Objekt landete auf dem Boden.

»Bäh«, sagte ich. »Das ist das Ohr des Vampirs. Das Weihwasser hat es anscheinend abfallen lassen.«

Thomas betrachtete das Ohr und lief zartgrün an. »Es zuckt noch.«

Der Welpe knurrte und wollte erneut auf das verweste Ohr losgehen. Ich hob es mit zwei Fingerspitzen hoch und warf es hinaus. Damit war der grauschwarze kleine Hund anscheinend zufrieden. Er setzte sich und öffnete das Maul zu einem Hundegrinsen.

»Du hast gut reagiert, als dich der Vampir angegriffen hat«, lobte mich Thomas. »Wirklich gut, und du warst sogar schneller als ich. Wie hast du das geschafft?«

»Reines Glück. Ich hab gerade nach dieser kleinen Nervensäge hier geforscht, weil sie geknurrt hatte. So spürte ich auch den Vampir, ein paar Sekunden bevor er mich angriff.«

»Mann«, sagte Thomas, »das war wirklich großes Glück.«

»In der Tat. So was erlebe ich nicht gerade oft.«

Unvermittelt fuhr der Hund in die Richtung herum, in die der Vampir verschwunden war, und begann wieder zu knurren.

Thomas zuckte zusammen »He, weißt du, was?«

»Was denn?«

»Ich glaube, wir sollten ins Haus gehen.«

Ich hob den Welpen hoch und erforschte mit meinen Sinnen die Umgebung, konnte aber nichts Verdächtiges ausmachen. »Vorsicht ist die Mutter des Blutkreislaufs«, stimmte ich zu.

4. Kapitel

Im Eingangsbereich des Gebäudes entdeckten Thomas und ich den Wachmann, der eigentlich im Häuschen hätte sitzen sollen. Er trank Kaffee mit einem zweiten Mann, der hinter einem Desk saß.

Wir fuhren mit dem Aufzug ins oberste Stockwerk. Dort auf dem Flur gab es nur zwei Türen, und Thomas klopfte einfach an die erste, hinter der Musik wummerte. Der Vampir musste noch zwei weitere Male klopfen, ehe uns endlich jemand öffnete.

Es war eine hübsche, etwa vierzig Jahre alte Frau, mit der eine Woge lauter Musik herausschwappte. Die Frau war ungefähr einen Meter fünfundsechzig groß und hatte sich das aufgetürmte dunkelbraune Haar mit zwei Essstäbchen fixiert. In einer Hand hatte sie einen Stapel gebrauchter Pappteller, in der anderen zwei leere Plastikbecher. Sie trug ein knielanges grünes Kleid, unter dem sich die Kurven eines Pin-up-Girls aus dem Zweiten Weltkrieg abzeichneten.

»Thomas, wie schön, dich zu sehen«, strahlte sie. »Justine sagte schon, dass du noch vorbeikommst.«

Der Vampir setzte ebenfalls ein breites Lächeln auf und küsste sie auf beide Wangen. »Madge«, sagte er, »du siehst blendend aus. Was machst du hier?«

»Das ist meine Wohnung«, erklärte sie trocken.

Mein Begleiter lachte. »Du machst wohl Witze. Wie kommt das denn?«

»Der alte Trottel hat mich überredet, in seine Firma zu investieren, und jetzt muss ich aufpassen, dass er das Geld nicht zum Fenster rauswirft, und ihn im Auge behalten.«

»Ich verstehe«, sagte Thomas.

»Hat er dich endlich überzeugt, dich als Schauspieler zu versuchen?«

Thomas legte sich eine Hand auf die Brust. »Ich erröte schon beim bloßen Gedanken daran.«

Madge lachte ein wenig boshaft. »Wer ist denn dein Begleiter?«

»Madge Shelly, das ist Harry Dresden. Ich habe ihn mitgebracht, weil er geschäftlich mit Arturo sprechen muss. Er ist mein Freund.«

»So weit würde ich nicht gerade gehen.« Höflich lächelnd gab ich ihr die Hand.

Sie hob entschuldigend die Teller und die Becher, lachte wieder und musterte mich prüfend. »Sind Sie Schauspieler oder so?«

»Sein oder nicht sein«, deklamierte ich. »Fischers Fritze und so weiter.«

Madge betrachtete den Hund, der in meiner Armbeuge saß. »Und wer ist der Kleine da?«

»Er ist der Hund ohne Namen. So ähnlich wie Clint Eastwood, nur mit mehr Fell.«

»Ich sehe schon, warum du ihn magst«, sagte sie lachend zu Thomas.

»Manchmal ist er ganz witzig«, stimmte der Vampir zu.

»Außerdem müsste ich längst im Bett sein. Ich will ja nicht unhöflich erscheinen, aber ich würde gern mit Arturo reden, bevor ich im Stehen einschlafe.«

»Schon klar«, sagte Madge. »Im Wohnzimmer ist die Musik ziemlich laut. Ich führe Sie beide ins Arbeitszimmer und sage Arturo, wo Sie sind.«

»Wo steckt Justine denn?«, fragte Thomas. Es klang ein wenig angespannt, was Madge vermutlich nicht bemerkte.

»Sie muss hier irgendwo sein«, antwortete die Gastgeberin. »Ich sage ihr Bescheid, dass du da bist.«

Wir folgten der Gastgeberin. Im abgedunkelten Wohnzimmer hielten sich ungefähr zwanzig Männer und Frauen auf. Einige tanzten, andere standen herum und tranken, redeten und lachten. Im Takt der Musik pulsierten bunte Lichter.

Als wir den Raum durchquerten, beobachtete ich Thomas. Sein Verhalten hatte sich fast unmerklich verändert. Ich konnte es spüren, kann es allerdings nicht genau beschreiben. Er bewegte sich nicht schneller, dennoch wirkten seine Schritte irgendwie fließender. Außerdem zog er die Blicke aller Frauen auf sich.

Ich dagegen kam nicht einmal mit dem schlafenden grauen Hund in der Armbeuge in den Genuss einer solchen Aufmerksamkeit. Man kann wirklich nicht behaupten, ich sähe aus wie Quasimodo, aber als Thomas vor mir durch den Raum schwebte, blieb für mich nicht mehr viel übrig.

Madge führte uns in ein kleines Arbeitszimmer mit Bücherregalen und einem Schreibtisch, auf dem ein Computer stand. »Setzen Sie sich doch, ich suche schnell Arturo.«

»Danke.« Ich ließ mich auf dem Schreibtischstuhl nieder. Sie warf Thomas einen schmachtenden Blick zu und ging hinaus. Er hockte sich auf die Schreibtischkante und setzte eine nachdenkliche Miene auf.

»Was ist denn?«, fragte ich ihn.

»Ich hab Hunger und mache mir außerdem so meine Gedanken. Madge ist Arturos erste Exfrau.«

»Trotzdem richtet sie für ihn eine Party aus?«

Thomas zuckte mit den Schultern. »Arturo hat sich von einem großen Studio an der Westküste getrennt, um eine eigene Firma zu gründen. Madge denkt sehr praktisch. Sie ist ohne Weiteres in der Lage, jemanden zu verachten und zugleich seine Begabung zu erkennen und professionell mit ihm zusammenzuarbeiten. Sofern sie glaubt, auf einen Sieger zu setzen, ist es ihr egal, wenn sie den Betreffenden persönlich nicht leiden kann. Es sähe ihr ähnlich, Geld in Arturos neue Firma zu investieren.«

Bevor ich ihm weitere Fragen stellen konnte, ging die Tür auf, und ein großer, kräftiger Mann um die fünfzig trat ein. Er trug eine dunkle Hose und ein graues Seidenhemd mit hochgekrempelten Ärmeln. Prachtvolle silberne Locken rahmten das markante Gesicht mit dem kurz gestutzten dunklen Bart ein. Der Mann hatte gebräunte Haut wie ein begeisterter Segler und helle Lachfältchen um die großen, klugen Augen und den Mund.

»Tommy!«, dröhnte er und marschierte geradewegs auf meinen Begleiter zu. »Ich hatte gehofft, dich heute Abend zu treffen!« Er sprach mit starkem, wahrscheinlich griechischem Akzent, legte Thomas die Hände auf die Schultern und küsste ihn auf beide Wangen. »Du siehst gut aus. Denk noch mal drüber nach, ob du wirklich nicht für mich arbeiten willst.«

»Vor der Kamera mache ich keine gute Figur«, erwiderte Thomas. »Aber es ist schön, dich zu sehen. Arturo Genosa, das ist Harry Dresden. Ich habe dir ja schon von ihm erzählt.«

Arturo betrachtete mich ausgiebig. »Noch so ein abgebrochener Riese, was?«

»Ich hab immer brav mein Müsli gegessen«, erwiderte ich.

»He, Hündchen.« Er kraulte den grauen Welpen hinter dem Ohr. Der kleine Hund gähnte, leckte einmal Arturos Hand und schlief sofort wieder ein. »Ist das Ihrer?«

»Vorübergehend«, sagte ich. »Ich hab ihn für einen Klienten wiederbeschafft.«

Arturo nickte und musterte mich weiterhin prüfend. »Wissen Sie, was eine strega ist, Mister Dresden?«

»Eine italienische Hexe, die Volksmagie praktiziert. Weissagungen, Liebestränke, Fruchtbarkeitssegen, Schutzzauber. Sie können auch böse werden und gemeine Flüche loslassen, indem sie etwas anwenden, das sie malocchio nennen, den bösen Blick.«

Überrascht zog er die Augenbrauen hoch. »Sie kennen sich gut aus.«

»Gerade gut genug, um mir ständig Ärger einzuhandeln.«

»Glauben Sie denn daran?«

»An den bösen Blick?«

»Ja.«

»Ich habe schon seltsamere Dinge erlebt.«

Arturo nickte. »Hat Tommy Ihnen erklärt, was ich von Ihnen möchte?«

»Er sagte, Sie würden sich Sorgen wegen eines Fluchs machen und in Ihrer Umgebung seien Menschen gestorben.«

In Arturos Augen flackerte es einen Moment, als die Trauer durchbrach. »Ja. Zwei Frauen. Beide waren brave Seelen.«

»Wenn es wirklich ein Fluch ist, woher wollen Sie dann wissen, dass Sie das Ziel sind?«

»Die beiden hatten miteinander keinen Kontakt. Soweit ich weiß, war ich die einzige Verbindung zwischen ihnen.« Er öffnete eine Schreibtischschublade und zog zwei braune Umschläge heraus. »Die Berichte über die Todesfälle«, sagte er. »Tommy meinte, Sie können mir vielleicht helfen.«

»Gut möglich«, bestätigte ich. »Welchen Grund gäbe es, Sie zu verfluchen?«

»Das Studio«, erwiderte Arturo. »Irgendjemand möchte verhindern, dass meine Firma profitabel wird, und will mich erledigen, ehe mein nächster Film abgedreht ist.«

»Was erwarten Sie von mir?«

»Schutz«, erklärte Arturo. »Sie sollen während der Aufnahmen meine Crew beschützen. Ich will nicht, dass noch jemandem etwas passiert.«

Ich runzelte die Stirn. »Das könnte schwierig werden. Wissen Sie, wer die Produktion behindern will?«

Arturos Miene verfinsterte sich. Er marschierte zu einem Schrank, nahm eine angebrochene Flasche Wein heraus, zog den Korken mit den Zähnen heraus und trank einen Schluck. »Wenn ich das wüsste, müsste ich keinen Privatdetektiv engagieren.«

»Ich bin Magier, kein Hellseher. Haben Sie irgendwelche Vermutungen? Gibt es jemanden, der daran interessiert sein könnte, dass Sie scheitern?«

»Lucille«, warf Thomas ein.

»Wer ist das?«

»Meine zweite Exfrau«, erklärte Arturo. »Lucille Delarossa. Sie hat allerdings nichts damit zu tun.«

»Woher wollen Sie das wissen?«, fragte ich.

»So etwas würde sie nicht tun, da bin ich ganz sicher.«

»Warum nicht?«

Er schüttelte den Kopf und starrte die Weinflasche an. »Lucille ist … Nun ja, sagen wir mal, ich habe sie nicht wegen ihres scharfen Verstandes geheiratet.«

»Man muss nicht klug sein, um feindselig zu sein«, antwortete ich. Andererseits hätte ich nicht zu sagen vermocht, wann schon einmal ein ausgesprochen dummer Mensch eine mächtige Magie gewirkt hätte. »Sonst noch jemand? Gibt es weitere Exfrauen?«

Arturo winkte ab. »Tricia würde nie versuchen, den Film zu sabotieren.«

»Warum nicht?«

»Sie spielt die Hauptrolle.«

Thomas gab einen erstickten Laut von sich. »Mein Gott, Arturo!«

Der Mann mit der grauhaarigen Mähne schnitt eine Grimasse. »Mir ist nichts anderes übrig geblieben. Sie hat einen Vertrag, und wenn ich sie nicht besetzt hätte, dann hätte sie mich vor Gericht in Stücke gerissen.«

»Gibt es noch mehr Exfrauen?«, erkundigte ich mich erneut. »Bisher habe ich drei gezählt. Wenn es vier sind, müsste ich allmählich beginnen, mir Notizen zu machen.«

»Noch nicht«, murmelte Arturo. »Ich bin Single. Bisher also nur die drei.«

»Na, das ist doch schon mal was«, sagte ich. »Solange derjenige, der Ihnen diesen Fluch auferlegt hat, nicht direkt vor meinen Augen etwas anstellt, kann ich leider nicht viel ausrichten. Sprüche wie den bösen Blick nennen wir Entropieflüche. Sie sind kaum aufzuspüren.«

»Sie müssen meine Mitarbeiter vor dem malocchio beschützen«, drängte Arturo. »Sind Sie dazu in der Lage?«

»Ja, falls ich in der Nähe bin, während der Fluch aktiv wird.«

»Was kostet das?«, wollte er wissen.

»Fünfundsiebzig Dollar die Stunde plus Spesen. Außerdem tausend Dollar Vorschuss.«

Arturo zögerte keine Sekunde. »Einverstanden. Drehbeginn ist morgen früh um neun Uhr.«

»Ich muss in der Nähe sein, wenn möglich in Sichtweite«, sagte ich. »Und je weniger Leute davon wissen, desto besser.«

»Richtig«, stimmte Thomas zu, »er braucht eine Tarnung. Wenn er zu offensichtlich herumsteht, wartet der Angreifer einfach, bis er Feierabend macht oder auf die Toilette geht.«

»Er kann das Mikro halten.«

»Das ist keine gute Idee«, widersprach ich. »Elektrische Apparate vertragen meine Magie nicht sehr gut.«

Arturo war sichtlich genervt. »Na schön. Dann sind Sie eben mein Produktionsassistent.« In seiner Hose piepste etwas, er zog ein Handy aus der Tasche und hob die Hand, um mir Schweigen zu gebieten. Dann zog er sich in die andere Ecke des Raums zurück und telefonierte leise.

»Produktionsassistent«, überlegte ich. »Was heißt das?«

»Du bist sein Laufbursche oder Botenjunge.« Thomas stand auf und schritt unruhig hin und her.

Es klopfte, und kurz darauf öffnete ein Mädchen die Tür, das aussah, als wäre es noch nicht volljährig. Sie hatte dunkles Haar, dunkle Augen und war ein wenig größer als der Durchschnitt. Mit ihrem weißen Sweater und dem kurzen schwarzen Rock, der ihre Beine zur Geltung brachte, war sie sogar im Vergleich zu den gut aussehenden Partygästen eine umwerfende Schönheit. Als ich sie das letzte Mal gesehen hatte, war sie allerdings bis auf ein rotes Geschenkband nackt gewesen. Möglicherweise urteilte ich nicht völlig unvoreingenommen.

»Justine«, sagte Thomas. In seiner Stimme lag eine Erleichterung, die man normalerweise mit einem Matrosen früherer Zeiten und dem Ruf »Land in Sicht!« in Verbindung brachte. Er ging ihr entgegen, zog sie an sich und küsste sie.

Justine wurde rot und stieß ein leises, atemloses Lachen aus, bevor sie den Kuss erwiderte. Dann gab sie sich der Umarmung hin, als gäbe es nichts anderes auf der ganzen Welt.

Der Welpe in meiner Armbeuge zitterte. Er starrte Thomas an und gab ein leises, missbilligendes Knurren von sich.

Die beiden küssten sich eigentlich nicht sehr lange, doch als er Justine freigab, war sie errötet, und ich sah eine Ader an ihrem Hals pochen. Sie hatte offenbar jegliche Zurückhaltung abgelegt, und die Leidenschaft in ihren Augen hätte mich verbrannt, wenn ich ihr näher gewesen wäre. Einen Moment lang befürchtete ich schon, dass sie meinen Begleiter gleich hier vor meinen Augen auf den Teppich zerrte.

Thomas drehte sie jedoch herum, bis sie mit dem Rücken vor ihm stand, zog sie an sich und hielt sie fest. Er war bleicher denn je, und das Grau seiner Augen wurde ein paar Schattierungen heller. Er legte die Wange auf ihr Haar und sagte: »Harry kennst du ja schon.«

Das Mädchen betrachtete mich mit verhangenen, lodernden Augen und nickte. »Hallo, Mister Dresden.« Dann atmete sie tief ein und bemühte sich, ihre Gedanken zu ordnen. »Du bist so kalt«, sagte sie zu dem Vampir und drehte sich zu ihm herum. »Was ist los?«

»Nichts weiter«, erwiderte er unbeschwert.

Justine legte den Kopf schief und entfernte sich einen winzigen Schritt von ihm. Thomas blinzelte verwundert, hielt sie aber nicht fest.

»Nein, das ist nicht wahr.« Sie legte ihm die Fingerspitzen auf die Wange. »Du bist eiskalt.«

»Du sollst dir deshalb keine Sorgen machen«, versuchte er sie zu beruhigen.

Das Mädchen sah sich über die Schulter zu mir um.

Mit einem kurzen Blick vergewisserte ich mich, dass Arturo immer noch angeregt telefonierte, dann sagte ich leise: »Der Schwarze Hof. Ich glaube, es war einer von Mavras Kumpanen.«

Sie riss die Augen weit auf. »O Gott, wurde jemand verletzt?«

»Nur der Vampir.« Ich deutete mit meinem Blick auf den Welpen. »Der Kleine hat ihn zuerst bemerkt.«

Justine wandte sich wieder an Thomas. »Du hast doch gesagt, ich müsste mir wegen Mavra keine Sorgen mehr machen.«

»Erstens wissen wir nicht einmal, ob es wirklich Mavra war«, erwiderte er, und dabei mahnte er mich über Justines Kopf hinweg mit einem Blick, ja nichts mehr zu sagen. »Zweitens waren sie hinter Dresden her. Da er auf meine Einladung hierherkam, habe ich ihm geholfen.«

»Zwei Stiefeltritte mitten ins Gesicht«, bestätigte ich. »Damit war er bedient.«

»Himmel, ich bin froh, dass Ihnen nichts passiert ist, aber das hätte nie geschehen dürfen. Thomas, wir sollten die Stadt verlassen. Wenn du …«

Er legte Justine einen Finger unters Kinn, zog ihr Gesicht zu sich herum, und sie brach mitten im Satz mit halb geöffnetem Mund ab. Ihre Pupillen weiteten sich, bis außer der Schwärze fast nichts mehr zu sehen war, und sie schwankte leicht.

»Entspann dich«, sagte Thomas. »Ich kümmere mich um alles.«

Sie hob protestierend die Hände und stammelte: »Aber … ich will nicht … dass dir etwas zustößt.«

Seine Augen blitzten. Behutsam hob er eine Hand und legte die Fingerspitzen auf ihre Halsschlagader. Sie glitten langsam kreisend hinab und hielten ein paar Zentimeter unter dem Schlüsselbein an. Justine schauderte und starrte ins Leere. Was sie auch gedacht hatte, es verflog, bis sie nur noch schwankend und schnell atmend vor Thomas stand und leise Laute von sich gab.

Sie genoss es. Wie die Sache sich darstellte, blieb ihr allerdings auch gar nichts anderes übrig.

Abermals knurrte der Welpe in meiner Armbeuge, und jetzt wurde auch ich wütend.

»Hör auf«, sagte ich leise. »Verschwinde aus ihrem Kopf.«

»Das geht dich nichts an«, wehrte Thomas ab.

»Und ob mich das etwas angeht. Hör endlich auf, ihre Gedanken zu manipulieren. Sofort. Sonst werden wir zwei uns ernsthaft unterhalten.«

Der Blick des Vampirs traf mich, und in seinen Augen blitzte etwas auf, eine kalte Wut. Er ballte die freie Hand zur Faust, dann schüttelte er den Kopf und schloss die Augen, ehe er mir antwortete.

»Je weniger Einzelheiten sie kennt, desto weniger ist sie in Gefahr«, sagte er heiser und wie unter großer Anstrengung.

»Wer gefährdet sie denn?«, gab ich zurück.

»Jeder, der mich und mein Haus nicht mag.« Es klang fast wie das Knurren eines Raubtiers. »Wenn sie nicht mehr weiß als alle anderen, gibt es keinen Grund, sich mit ihr zu befassen. Das ist eines der wenigen Dinge, die ich tun kann, um sie zu schützen. Lass es gut sein, Magier, sonst beginne ich die Unterhaltung selbst.«