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Beschreibung

Die Texte der Edda sind die Vorlage fast aller überlieferten germanischen Göttersagen. Ohne die Schriften der Prosa- und Lieder-Edda, die sich in diesem Band veröffentlicht finden, wüssten wir nahezu nichts über die Götterwelt der Germanen, über Odin und Thor, Loki und den von ihm ermordeten Sonnengott Baldur, über Fenrirwolf und Midgardschlange. Wir wüssten nichts über die Götterburg Asgard oder das düstere Totenreich der Hel, nichts von Abenteuern und Kämpfen zwischen Asen und Riesen, nichts von Ragnarök, der Götterdämmerung. Die hier veröffentlichten Texte stützen sich auf die Originaltexte der Simrockschen Übersetzung. Ausführlich und vom Herausgeber Walter Hansen in Fußnoten gekennzeichnet, werden dem Leser Begriffe vielerorts direkt erklärt und Handlungen verständlich gemacht.

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Seitenzahl: 257

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Die Edda

Die germanischen Göttersagen

Walter Hansen

Inhalt

Die Edda

Die Prosa-Edda

Anmerkungen für den Leser

Gylfaginning

(Gylfis Verblendung)

Bragaroedhur

(Bragis Gespräche)

Skaldskaparmal

(Die Skaldensprache)

Thors und Hrungnirs Kampf

Thors Fahrt nach Geirrödsgard

Lokis Wette mit den Zwergen

Die Hreidmarsage oder Niflungensage

Die Lieder-Edda

Skirnisför

(Skirnis Fahrt)

Thrymskvidha oder Hamarsheimt

(Thryms-Sage oder des Hammers Heimholung)

Hymiskvidha

(Die Sage von Hymir)

Lokasenna oder Ögirsdrecka

(Lokis Schmährede oder Ögirs Trinkgelage)

Harbardsliodh

(Das Harbardslied)

Alvismal

(Das Lied von Zwerg Allweise)

Grimnismal

(Das Lied von Grimnir)

Vafthrudhnismal

(Lied von Wafthrudnir)

Havamal

(Des Hohen Lied)

1. Das Sittengedicht

2. Loddfafnirs-Lied

3. Odins Runenlied

Baldrs draumar oder Vegtamskvidha

(Baldurs Träume oder das Wegtamslied)

Völuspa

(Der Seherin Weissagung)

Bildtafeln

Bildnachweis

Die Edda

I.

Doppelamulett mit Tyr und dem Fenrirwolf. Trollhättan

Die Handschriften der Edda gehören zu den ursprünglichsten Werken der Weltliteratur. Sie sind darüber hinaus die wichtigsten Informationsquellen germanischer Göttersagen.

Gäbe es keine Edda, dann wüssten wir so gut wie nichts über die Götterwelt der Germanen, über Odin und Thor zum Beispiel, über Loki und den von ihrn ermordeten Sonnengott Baldur, über Fenrirwolf und Midgardschlange, wir wüssten nichts über die Götterburg Asgard oder das düstere Totenreich der Hel, nichts von Abenteuern und Kämpfen zwischen Asen uad Riesen, nichts von Ragnarök, der Götterdämmerung.

Wenn wir von Edda sprechen, meinen wir Prosa-Edda und Lieder-Edda.

II.

Verfasser der Prosa-Edda war ein Christ: der Isländer Snorri Sturluson, geboren l179, Poet und Staatsmann, bedeutendster Geschichtsschreiber seines Volkes, einer der wichtigsten Chronisten des Mittelalters überhaupt; er wurde im Jahr 1241 das Opfer eines politischen Mordanschlages.

Der Name Edda für Snorris Prosawerk lässt zweierlei Erklärungen zu, entsprechend des Wortes doppelter Bedeutung: »Urgroßmutter« und »Poetik«.

Einige Forscher glauben, dass der Name Edda gewählt wurde, weil das Werk gewissermaßen die »Urgroßmutter« germanischer Sagen ist.

Andere wieder vertreten die Ansicht, dass mit Edda »Poetik« gemeint sein müsse. Die Prosa-Edda nämlich war ursprünglich ein Lehrbuch, um die verwahrloste Dichtkunst des 13. Jahrhunderts wieder zu beleben und die Skalden neu zu motivieren: jene fahrenden Dichter und Sänger, die seit Jahrhunderten alte Sagen und historische Begebenheiten von Generation zu Generation auf unterhaltsame Weise überlieferten und zur Zeit Snorris an Bedeutung verloren. Neben Anleitungen zur Poetik enthielt die Edda Snorris auch eine zusammenfassende Darstellung der germanischen Göttersagen.

Darin schildert Snorri die sagenhafte Entstehung der Welt, das Wesen der Götter und Dämonen, ihre Abenteuer und ihre Zauberkräfte so klar und ohne Umschweife, so straff und pointiert, so logisch im Aufbau und im Zusammenhang, dass sein Werk – wenn dieser kühne Vergleich erlaubt ist – einer modernen Reportage nicht unähnlich ist.

III.

Quellen seines Wissens waren offenbar alte, mündlich überlieferte Lieder, aus denen er gelegentlich einige Verse zitierte: Verse in einer faszinierenden, an Bildern und Vergleichen reichen Sprache, ohne den heute üblichen Endreim. Poetisch wirkten sie durch die wuchtige Rhythmik des sogenannten Stabreims, der entsteht, wenn bedeutungsschwere Wörter einer Zeile durch gleichen Anlaut ihrer Stammsilbenbetonung hervorgehoben werden. Beispielsweise zitierte Snorri zwei Strophen über den Urriesen Ymir:

Aus Ymirs Fleisch ward die Erde geschaffen,

Aus dem Schweiße die See,

Aus dem Gebein die Berge, aus dem Haar die Bäume,

Aus der Hirnschale der Himmel.

Aus den Augenbrauen schufen güt’ge Asen

Midgard den Menschensöhnen;

Aber aus seinem Hirn sind alle hartgemuten

Wolken erschaffen worden.

Derlei Strophen, von Snorri gelegentlich in den Prosatext eingestreut, mussten freilich wie die aus dem Wasser ragende Spitze eines schwimmenden Eisberges empfunden werden; sie verführten zu der Vermutung, dass es noch viele andere Verse geben müsse, verschollene Verse aus der Vorzeit germanischer Dichtkunst; sie waren Hinweise auf einen versunkenen Schatz mythischer Lieder.

IV.

Diesen Schatz hob Bischof Brynjulf Swendson, der höchste christliche Würdenträger Islands seiner Zeit. Er entdeckte im Jahr 1643 eine alte Liederhandschrift und stellte fest, dass er zumindest einen Teil von Snorris Quelle gefunden hatte. Denn vereinzelte der vielen hundert Verse stimmten wörtlich mit den zitierten Strophen aus der Prosa-Edda überein, auch ergänzten viele Lieder die von Snorri in reportagehafter Straffung dargestellten Sagen.

Schnitzerei an der Stabkirche in Hylestad

Die Liederhandschrift wurde »Lieder-Edda« oder »ältere Edda« genannt, analog zu Snorris »Prosa-Edda«, die nun auch »jüngere Edda« heißt. Als Verfasser der Lieder-Edda galt zunächst der Dichter Saemundr. Da Saemundr auf seinem Landsitz Oddi an der Südküste Islands eine Skaldenschule gegründet hatte, deren Schüler später Snorri Sturluson war, ergab es sich, dass Prosa-Edda und Lieder-Edda gemeinsam den Namen »Buch von Oddi« erhielten. Allerdings stellte sich bald heraus, dass Saemundr als Dichter jener Lieder nicht in Frage kam.

Wer die Lieder verfasste, gehört zu den vielen ungelösten Rätseln der Edda-Forschung. Sicher weiß man heute nur, dass die Handschrift nicht das Werk eines Dichters ist, sondern eine Sammlung, von einem unbekannten Gelehrten wahrscheinlich im 12. Jahrhundert zusammengestellt, um die von fahrenden Sängern mündlich überlieferten Strophen anonymer Autoren der Nachwelt zu erhalten. Einige wenige Lieder brachten Seefahrer aus Norwegen, die meisten aber wurden zwischen dem 9. und dem 12. Jahrhundert auf der Vulkaninsel Island gedichtet.

Auf Island wird die Sprache der Edda-Lieder – das Altnordische – heute noch verstanden. Nur Isländer können die Edda im Originaltext einigermaßen gut lesen.

V.

Wer nicht Isländisch versteht, ist auf Übersetzungen angewiesen. Die erste und bis heute hochgeschätzte Übertragung von literarischer Güte schuf der Germanist und Dichter Karl Simrock (1802–1876). Ihm gelang es, die Edda in das Deutsch unserer Zeit zu übertragen und dabei den Zauber der Dichtung, ihre Bildhaftigkeit und sprachliche Rhythmik zu erhalten. Vor allen Dingen aber wollte Simrock ein populäres Werk für das Volk schaffen und eine farbenprächtige Vorstellung vermitteln von der bis dahin im Elfenbeinturm wissenschaftlichen Interesses als graue Theorie diskutierten Mythologie. Deshalb entnahm er der Prosa-Edda nur die spannenden Storys der Göttersagen, nicht jedoch die metrischen Anweisungen zur Belehrung der Skalden, und aus der Lieder-Edda übertrug er nur die handlungsreichen, für das Verständnis der Vergangenheit wichtigen Gesänge.

Tatsächlich wurde die Edda ein Bestseller im gesamten deutschen Sprachraum und die Vorlage nahezu aller – besonders für die Jugend – später nacherzählter Göttersagen. Die Epigonen übertrugen den nordgermanischen Sagenkreis der Edda auf den sogenannten »gemeingermanischen Mythos«, nicht ganz zu Unrecht, denn die nordischen Götter Odin, Thor und Tyr zum Beispiel entsprechen den westgermanischen Göttern Wotan, Donar und Ziu, von denen nur wenig bekannt war.

VI.

Das vorliegende Buch bietet Prosa-Edda und Lieder-Edda in einem Band. Es stützt sich auf die Originaltexte der Simrockschen Übertragung und verfolgt den Zweck, Göttersagen auch für Leser ohne mythologische Kenntnisse leicht verständlich darzubieten. Einleitungen und Kommentare, Randbemerkungen und Querverweise, behutsame Bearbeitung missverständlicher Textstellen und Korrekturen vereinzelter, im frühen Pionierwerk Simrocks unvermeidlicher Fehlübersetzungen sollen die Lektüre vereinfachen. Erklärt werden mussten auch die vielen Metaphern der altnordischen Sprache, die sogenannten »Kenningar« und »Heiti«. Eine »Kenning« – Mehrzahl: »Kenningar« – ist die mehrgliedrige Umschreibung eines Wortes oder Namens, zum Beispiel »der Böcke Gebieter« oder »der Irdischen Götter« für den Gewittergott Thor. Als »Heiti« wird die eingliedrige Umschreibung bezeichnet: »Windschiff« oder »Regenbringer« für Wolken beispielsweise. Dem Verständnis dienlich erwies sich zudem, gewisse mythische Namen oder Begriffe in den Randbemerkungen wörtlich zu übersetzen oder ihren Symbolgehalt zu deuten.

Auch die im Originaltext gelegentlich verwendeten Pseudonyme für Götter, Riesen, Dämonen und Zwerge bedurften jeweiliger Erklärungen, um den Leser nicht zu verwirren.

Vor allen Dingen aber wird das Verständnis für die Göttersagen im vorliegenden Buch dadurch erreicht, dass der Leser, beginnend mit dem Grundsatzwerk »Gylfaginning«, in die Mythologie gewissermaßen hineinwächst und erst zum Schluss, wenn er kenntnisreiches Einfühlungsvermögen erworben hat, das schwer verständliche, selbst von Wissenschaftlern nicht gänzlich entschlüsselte Lied »Völuspa« – »Der Seherin Weissagung« – angeboten bekommt.

VII.

Die Edda gehört zu den wichtigsten Quellen von Richard Wagners »Ring des Nibelungen«, ein Bühnenfestspiel in drei Tagen und einem Vorabend: »Das Rheingold«, »Die Walküre«, »Siegfried« und »Götterdämmerung«.Der »Ring des Nibelungen« ist das größte Projekt der Operngeschichte.

Bemerkenswert ist, dass Richard Wagner seine Texte in Stabreimen dichtete, die im gesungenen Vortrag, mit Wagners Musik, von erstaunlicher Wirkung sind.

»Gerade die Wagner geglückte dichterische Bearbeitung im Verein mit seiner beeindruckenden musikalischen Interpretation des Stoffes haben zu einer Verbreitung germanischer Götter- und Heldendichtung geführt, welche sämtliche anderen neuzeitlichen Aktualisierungen von Gestalten der germanischen Mythologie zusammen in den Schatten stellen« (Rudolf Simek, Lexikon der germanischen Mythologie).

Ab Beginn des Jubiläumsjahres 2013 – anlässlich Wagners 200. Geburtstag am 22. Mai – wird das ganze Jahr über »Der Ring des Nibelungen« an fast allen großen Opernhäusern im deutschsprachigen Raum aufgeführt. Dadurch entsteht ein aktuelles und nachhaltig gesteigertes Interesse an der germanischen Mythologie und ihren Quellen: der Edda.

Walter Hansen

Johannes Gehrts: Der letzte Kampf. Illustration um 1880

Titelblatt einer Edda-Handschrift »Anno 1760«, geschrieben und illustriert von dem isländischen Geistlichen Ólafur Brynjúlfsson

Die Prosa-Edda

Anmerkungen für den Leser

Alle Originaltexte sind in normaler Schrift, alle Erklärungen und Kommentare kursiv gesetzt. Die Kapitel der Prosa-Edda und die Verse der Lieder-Edda sind für Querverweise nummeriert. Die gelegentliche Wiederholung erklärender Randbemerkungen ist beabsichtigt, um dem Leser das Zurückblättern zur Erstinformation zu ersparen. Vereinzelt leicht abweichende Schreibweisen mythischer Begriffe – die kaum auffallen, dem Fachmann aber vielfältige Rückschlüsse geben können – wurden belassen und nicht von Lied zu Lied vereinheitlicht. Wörtliche Übersetzungen aus dem Altnordischen sind bei Randbemerkungen durch Anführungszeichen gekennzeichnet. In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass Übersetzungen aus dem Altnordischen in einigen Fällen Varianten zulassen und selbst die Autoren von Edda-Kommentaren oder etymologischen Wörterbüchern nicht immer einig sind, sondern mehrere Möglichkeiten anbieten.

Gylfaginning

(Gylfis Verblendung)

Spule aus Fischbein mit eingraviertem Vogel

Gylfaginning bietet einen ersten, umfassenden Überblick über die Grundzüge germanischer Göttersagen. Der Dichter erzählt, wie Gylfi, ein mythischer Schwedenkönig, die Göttin Gefion aus dem Geschlecht der Asen kennenlernt und – verwundert über ihre Zauberkünste – dem Geheimnis göttlicher Mächte auf den Grund zu gehen beschließt. Zu diesem Zweck reist Gylfi in Gefions Heimat: ins sagenhafte Götterreich Asgard. Um dort als König nicht erkannt zu werden, unternimmt er seine Nachforschungen in Gestalt eines Greises namens Gangleri. Der Göttervater Odin aber durchschaut die Verkleidung des Fremden und täuscht nun seinerseits König Gylfi, indem er dreierlei Gestalt annimmt und unter den Namen Har, Iafnhar und Thridi in Erscheinung tritt. Im Zwiegespräch zwischen Gylfi (Gangleri) und Odin (Har, Iafnhar, Thridi) wird ein farbenprächtiges Bild der Göttersagen entwickelt: von der Entstehung mythischer Welten, vom Wesen der Götter, Riesen, Alfen und Zauberer, von ihren Abenteuern und von ihrem Untergang im apokalyptischen Chaos der Götterdämmerung. Der Name Gylfaginning – »Gylfis Verblendung« – wird von Edda-Forschern widersprüchlich gedeutet. Die einen führen den Titel darauf zurück, dass Gylfi verblendet war, als er Odin in der Dreigestalt – Har, Iafnhar, Thridi – nicht erkannte; die anderen glauben, dass der Dichter Snorri mit diesem Titel die Göttersagen im Gegensatz zur christlichen Lehre als Blendwerk deuten wollte.

Goldblech aus Bolmsö

1

König Gylfi beherrschte das Land, das nun Swithiod1 heißt. Von ihm wird gesagt, daß er einer fahrenden Frau zum Lohn für ihren ergötzlichen Gesang ein Pflugland in seinem Reiche gab, so groß, als vier Ochsen pflügen könnten Tag und Nacht.

Aber diese Frau war eine Göttin vom Asengeschlecht2; ihr Name war Gefion. Sie nahm aus Jötunheim vier Ochsen, die sie mit einem Jötunen3 erzeugt hatte, und spannte sie vor den Pflug. Da ging der Pflug so mächtig und tief, daß sich das Land löste und die Ochsen es westwärts ins Meer zogen, bis sie in einem Sunde still stehenblieben. Da setzte Gefion das Land dahin, gab ihm Namen und nannte es Selund4.

Und da, wo das Land weggenommen worden, entstand ein See, den man nun Löger heißt. Und im Löger liegen die Buchten so wie die Vorgebirge in Seeland. So sagt Bragi5, der Alte:

Gefion gewann vom goldreichen Gylfi

Geschenktes Gebiet mit riesigem Rindergespann.

Vier Häupter, acht Augen hatten die Ochsen,

Die das Seeland trennten von Swithiod.

2

König Gylfi war ein weiser Mann und zauberkundig. Er wunderte sich sehr, daß der Asen Volk so vielkundig sei, daß alles nach ihrem Willen erginge.

Er dachte nach, ob dies von ihrer eigenen Kraft geschehen möge oder ob da die Macht der Götter walte, welchen sie opferten. Er unternahm eine Reise nach Asgard6, fuhr aber heimlich, indem er die Gestalt eines alten Mannes annahm und so sich hehlte.

Aber die Weisheit der Asen, die in die Zukunft blicken, durchschaute seine List, und da sie um seine Fahrt wußten, bevor er kam, empfingen sie ihn mit einem Blendwerk.

Als er in die Burg kam, sah er eine hohe Halle, daß er kaum darüber wegsehen mochte. Das Dach war mit goldenen Schilden belegt wie mit Schindeln.

So sagt Thiodolf von Hwin7, daß Walhall mit Schilden gedeckt sei:

Das Dach deckten denkende Künstler,

Steinschilde schimmerten über dem Saale Odins.

Am Tor der Halle sah Gylfi einen Mann, der mit Messern spielte, daß sieben zugleich in der Luft waren. Dieser fragte ihn nach seinem Namen. Gylfi nannte sich Gangleri8 und sagte, er komme von fern und bitte um Nachtherberge; auch fragte er, wem die Halle gehöre. Jener antwortete, sie gehöre ihrem König: »Ich will dich zu ihm begleiten: da magst du ihn selbst um seinen Namen fragen.«

Alsbald ging der Mann ihm voraus in die Halle. Er folgte ihm nach, und dicht hinter seinen Fersen schlug die Tür zu. Da sah er viele Gemächer und eine Menge Volks: einige spielten, einige zechten, andere übten sich in den Waffen. Vieles von dem, was er sah, empfand er als unglaublich. Er blickte sich um und sprach zu sich:

»Der Fluchtwege versich’re dich,

Ehe du einkehrst.

Denn ungewiß ist, ob Widersacher

In fremdem Hause verborgen sich halten.«

Er sah drei Hochsitze, einen über dem anderen, und auf jedem saß ein Mann. Er fragte, wie die Namen dieser Häuptlinge wären.

Sein Begleiter antwortete, der in dem untersten Hochsitz sitze, sei ein König und heiße Har9, der im nächsten heiße Iafnhar10 und der im obersten heiße Thridi11.

Da fragte Har den Ankömmling, warum er komme, und fügte hinzu, Essen und Trinken stehe für ihn bereit wie für alle in Hars Halle.

Gylfi sagte aber, zuvor wolle er fragen, ob es da wohl einen weisen Mann gebe. Har sagte, er, Gylfi, komme nicht heil heraus, wenn er nicht weiser sei.

»Stehe du, indem du fragst;

Der Antwort sagt, soll sitzen.«

3

Da hub Gangleri an zu sprechen: »Wer ist der höchste und älteste aller Götter?«

Har sagte: »Allvater heißt er in unserer Sprache, und im alten Asgard hatte er zwölf Namen. Der erste ist Allvater, der andere Herran oder Herioan, der dritte Nikar oder Hnikar, der vierte ist Nikuz oder Hnikudr, der fünfte Fiolnir, der sechste Oski, der siebente Omi, der achte Biflidi oder Biflindi, der neunte Swidar, der zehnte Swidrir, der elfte Widrir, der zwölfte Jalg oder Jalkr.«

Da fragte Gangleri: »Wo ist dieser Gott oder was vermag er? Oder was hat er Großes getan?«

Har sagte: »Er lebt durch alle Zeitalter und beherrscht sein ganzes Reich und waltet aller Dinge, großer und kleiner.«

Da sprach Iafnhar: »Er schuf Himmel und Erde und die Luft und alles, was darin ist.«

Da sprach Thridi: »Das ist das Wichtigste, daß er den Menschen schuf und gab ihm den Geist, der leben soll und nie vergehen, wenn auch der Leib in der Erde fault oder zu Asche verbrannt wird. Auch sollen alle Menschen leben, die wohlgesittet sind, und mit ihm sein an dem Orte, der Gimil heißt oder Wingolf, Aber böse Menschen fahren zu Hel12 und danach gen Niflhel13; das ist unten in der neunten Welt.«

Da fragte Gangleri: »Was tat er, bevor Himmel und Erde geschaffen waren?«

Har antwortete: »Da war er bei den Hrimthursen14.«

4

Gangleri fragte: »Wie ward die Welt, wie entstand sie, und was war zuvor?«

Har antwortete: »So heißt es in der Völuspa15:

Einst war das Alter, da alles nicht war,

Nicht Sand noch See, noch salz’ge Wellen,

Nicht Erde fand sich noch Überhimmel,

Gähnender Abgrund und Gras nirgend.«

Da sprach Iafnhar: »Manches Zeitalter vor der Erde Schöpfung war Niflheim16 entstanden; in dessen Mitte liegt der Brunnen, Hwergelmir17 genannt. Daraus entspringen die Flüsse mit Namen Swöl, Gunnthra, Fiorm, Fimbul, Thul, Slidr und Hridr, Sylgr und Ylgr, Wid, Leiptr und Giöll18, welcher der nächste beim Höllentor ist.«

Schnitzerei an der Stabkirche in Hylestad (Portal)

Da sprach Thridi: »Vorher aber war im Süden eine Welt, Muspel19 geheißen: die ist hell und heiß, so daß sie flammt und brennt und allen unzugänglich ist, die da nicht heimisch sind und keine Wohnung haben. Surtur20 ist er geheißen, der an der Grenze dieses Landes sitzt und es beschützt: er hat ein flammendes Schwert, und am Ende der Welt wird er kommen und alle Götter besiegen und die ganze Welt in Flammen verbrennen. So heißt es in der Völuspa:

Surtur fährt von Süden mit flammendem Schwert,

Von seiner Klinge scheint die Sonne der Götter.

Steinberge stürzen, Riesinnen straucheln,

Zu Hel fahren Helden, der Himmel klafft.«

5

Gangleri fragte: »Was begab sich, bevor die Geschlechter wurden und Menschenvolk sich ausbreitete?«

Har antwortete: »Als die Fluten, welche Eliwagar21 heißen, so weit von ihrem Ursprung kamen, daß der Giftstrom in ihnen erstarrte, wie der Sinter22, der aus dem Feuer fällt, ward er in Eis verwandelt. Und da dies Eis stille stand und stockte, da fiel der Dunst darüber, der von dem Gifte kam und gefror zu Eis, und so legte eine Eislage sich über die andere bis in Ginnungagap23.«

Da sprach Iafnhar: »Die Seite von Ginnungagap, welche nach Norden gerichtet ist, füllte sich an mit einem schweren Haufen Eis und Schnee, und darin herrschte Sturm und Ungewitter; aber der südliche Teil von Ginnungagap war milde von den Feuerfunken, die aus Muspelheim herüberflogen.«

Da sprach Thridi: »So wie die Kälte von Niflheim kam und alles Ungestüm, so war die Seite, die nach Muspelheim sah, warm und licht und Ginnungagap dort so lau wie windlose Luft, und als die Glut auch dem Reif begegnete, also daß er schmolz und sich in Tropfen auflöste, da erhielten die Tropfen Leben durch die Kraft dessen, der die Hitze sandte. Da entstand ein Menschengebild, das Ymir24 genannt ward; aber die Hrimthursen nennen ihn Örgelmir, und von ihm kommt das Geschlecht der Hrimthursen. Und der Riese Wafthrudnir25 sagt:

»Aus den Eliwagar fuhren Eitertropfen26

Und wuchsen, bis ein Riese ward.

Unsre Geschlechter kamen alle daher,

Drum sind sie unhold immer.«

Da fragte Gangleri: »Wie wurden die Geschlechter von ihm vererbt, oder wie geschah’s, daß mehrere geschaffen wurden? Oder hältst du ihn für einen Gott, von dem du gesprochen hast?«

Da antwortete Har: »Wir halten ihn mitnichten für einen Gott: er war böse wie alle von seinem Geschlecht, die wir Hrimthursen nennen. Es wird erzählt: Als er schlief, fing er an zu schwitzen. Da wuchs ihm unter seinem linken Arm Mann und Weib, und sein einer Fuß zeugte einen Sohn mit dem andern. Und von diesen kommt das Geschlecht der Hrimthursen; den alten Hrimthurs aber nennen wir Ymir.«

6

Da fragte Gangleri: »Wo wohnte Ymir? Oder wovon lebte er?«

Har antwortete: »Als das Eis auftaute und schmolz, entstand die Kuh, die Audhumla hieß, und vier Milchströme rannen aus ihrem Euter; davon ernährte sich Ymir.«

Da fragte Gangleri: »Wovon nährte die Kuh sich?«

Har antwortete: »Sie beleckte die Eisblöcke, die salzig waren, und an dem ersten Tag, da sie die Steine beleckte, kam aus den Steinen am Abend Menschenhaar hervor, den andern Tag eines Mannes Haupt, den dritten Tag ward es ein ganzer Mann, der hieß Buri. Er war schön von Angesicht, groß und stark und gewann einen Sohn, der Bör hieß. Der vermählte sich mit Bestla, der Tochter des Riesen Bölthorn; da gewannen sie drei Söhne: der eine hieß Odin27, der andere Wili28, der dritte We29.

Und das ist mein Glaube, daß dieser Odin und seine Brüder Himmel und Erde beherrschen.«

7

Da fragte Gangleri: »Wie vertrugen sich diese mit Ymir, und welcher war der stärkere?«

Har antwortete: »Börs Söhne töteten den Riesen Ymir, und als er fiel, da lief so viel Blut aus seinen Wunden, daß sie darin das ganze Geschlecht der Hrimthursen ertränkten bis auf einen, der mit den Seinen davonkam: den nennen die Riesen Bergelmir. Er bestieg mit seinem Weib ein Boot und rettete sich so, und von ihm kommt das (neue) Hrimthursengeschlecht, wie hier gesagt ist:

Im Anfang der Zeiten von der Erde Schöpfung

Ward Bergelmir geboren.

Des gedenk ich zuerst, daß der altkluge Riese

im Boot geborgen ward.«

8

Da fragte Gangleri: »Was richteten die Söhne Bors aus, daß du sie für Götter hältst?«

Har antwortete: »Davon ist nicht wenig zu sagen. Sie nahmen Ymir und warfen ihn mitten in Ginnungagap und bildeten aus ihm die Welt: aus seinem Blute Meer und Wasser; aus seinem Fleische die Erde; aus seinen Knochen die Berge; und die Steine aus seinen Zähnen, Kinnbacken und zerbrochenem Gebein.«

Da sprach Iafnhar: »Aus dem Blute, das aus seinen Wunden geflossen war, machten sie das Weltmeer, festigten die Erde darin und legten es im Kreis um sie her, also daß es die meisten unmöglich dünken mag hinüberzukommen.«

Da sprach Thridi: »Sie nahmen auch seinen Hirnschädel und bildeten den Himmel daraus und erhoben ihn über die Erde mit vier Ecken oder Hörnern, und unter jedes Horn setzten sie einen Zwerg; die heißen Austri, Westri, Nordri, Sudri30. Dann nahmen sie die Feuerfunken, die, von Muspelheim ausgeworfen, umherflogen, und setzten sie an den Himmel, oben sowohl als unten, um Himmel und Erde zu erhellen. Sie gaben auch allen Lichtern ihre Stelle, einigen am Himmel, andern lose unter dem Himmel, und setzten einem jeden seinen bestimmten Gang fest, wonach Tage und Jahre berechnet werden. So wird in alten Sagen erzählt, und so heißt es in der Völuspa:

Die Sonne wußte nicht, wo sie Sitz hätte,

Der Mond wußte nicht, was er Macht hätte,

Die Sterne wußten nicht, wo sie Stätte hätten.«

Da sagte Gangleri: »Das sind merkwürdige Dinge, die ich da höre; ein großes Gebäude ist das und sehr künstlich gebildet. Wie war die Erde beschaffen?«

Har antwortete: »Sie ist außen kreisrund, und ringsumher liegt das tiefe Weltmeer. Und längs den Seeküsten jenseits gaben sie den Riesengeschlechtern Wohnplätze, und nach innen rund um die Erde machten sie eine Burg wider die Anfälle der Riesen, und zu dieser Burg verwendeten sie die Augenbrauen Ymirs des Riesen und nannten die Burg Midgard31. Sie nahmen auch sein Gehirn und warfen es in die Luft und machten die Wolken daraus, wie hier gesagt ist:

Aus Ymirs Fleisch ward die Erde geschaffen,

Aus dem Schweiße die See,

Aus dem Gebein die Berge, aus dem Haar die Bäume,

Aus der Hirnschale der Himmel.

Aus den Augenbrauen schufen güt’ge Asen

Midgard den Menschensöhnen;

Aber aus seinem Hirn sind alle hartgemuten

Wolken erschaffen worden.«

9

Da sprach Gangleri: »Großes dünken sie mich vollbracht zu haben, da sie Himmel und Erde geschaffen, die Sonne und das Gestirn geordnet und Tag und Nacht geschieden hatten; aber woher kamen die Menschen, welche die Erde bewohnen?«

Har antwortete: »Als Börs Söhne am Seestrand gingen, fanden sie zwei Bäume. Sie nahmen die Bäume und schufen Menschen daraus. Der erste gab Geist und Leben, der andere Verstand und Bewegung, der dritte Antlitz, Sprache, Gehör und Gesicht.

Sie gaben ihnen auch Kleider und Namen: den Mann nannten sie Ask32 und die Frau Embla33, und von ihnen kommt das Menschengeschlecht, welchem Midgard zur Wohnung verliehen ward. Danach bauten sie sich eine Burg mitten in der Welt und nannten sie Asgard. Da wohnten die Götter und ihr Geschlecht, und manches Abenteuer trug sich da zu, davon erzählt wird auf Erden und in den Lüften. In der Burg ist ein Ort, der Hlidskialf34 heißt, und wenn Odin sich da auf den Hochsitz setzt, so übersieht er alle Welten und aller Menschen Tun und weiß alle Dinge, die da geschehen. Seine Hausfrau heißt Frigg, Fiörgwins Tochter, und von ihrem Geschlecht ist der Stamm entsprungen, den wir das Asengeschlecht nennen, welches das alte Asgard bewohnte und die Reiche, die dazugehören, und das ist das Geschlecht der Götter. Und darum mag er Allvater heißen, weil er der Vater ist aller Götter und Menschen und alles dessen, was er durch seine Kraft hervorgebracht hat. Jörd35 war seine Tochter und seine Frau, und von ihr gewann er einen erstgeborenen Sohn: das ist Asathor36; ihm folgen Kraft und Stärke, daß er siegt über alles Lebendige.

10

Nörwi oder Narfi hieß ein Riese, der in Jötunheim wohnte; er hatte eine Tochter, die hieß Nacht und war schwarz und dunkel wie ihr Geschlecht. Sie ward einem Manne vermählt, der Naglfari hieß: der beiden Sohn war Andr. Danach ward sie Onar (Annar) vermählt; beider Tochter hieß Jörd. Ihr letzter Gemahl war Dellingr37, der vom Asengeschlecht war.

Ihr Sohn Tag war schön und licht nach seiner väterlichen Herkunft.

Riemenbeschlag aus Vendel

Da nahm Allvater die Nacht und ihren Sohn Tag und gab ihnen zwei Rosse und zwei Wagen und setzte sie an den Himmel, daß sie damit alle zweimal zwölf Stunden um die Erde fahren sollten. Die Nacht fährt voran mit dem Rosse, das Hrimfaxi38 heißt, und jeden Morgen betaut es die Erde mit dem Schaum seines Gebisses. Das Roß, womit der Tag fährt, heißt Skinfaxi39, und Luft und Erde erleuchten seine Mähne.«

11

Da fragte Gangleri: »Wie leitet er den Lauf der Sonne und des Mondes?«

Har antwortete: »Ein Mann hieß Mundilföri, der hatte zwei Kinder. Sie waren hold und schön: da nannte er den Sohn Mond (Mani) und die Tochter Sonne (Sol) und vermählte sie einem Manne, Glenur40 genannt.

Aber die Götter, die ihr Stolz erzürnte, nahmen die Geschwister und setzten sie an den Himmel, und sie befahlen zwei Hengsten, den Sonnenwagen zu ziehen, den sie, um die Welt zu erleuchten, aus den Feuerfunken Muspelheims geschaffen hatten. Die Hengste hießen Arwakr41 und Alswidr42, und unter dem Bug setzten die Götter zwei Blasbälge, um sie abzukühlen, und in einigen Liedern heißen sie ›Eisenkühle‹. Mani leitet den Gang des Mondes und herrscht über Neumond und Vollmond. Er nahm zwei Kinder von der Erde, Bil und Hinki genannt, da sie von dem Brunnen Byrgir kamen und den Eimer auf den Achseln trugen; der heißt Sägr und die Eimerstange Simul. Widfinur heißt ihr Vater. Diese Kinder gehen hinter dem Monde her, wie man noch von der Erde aus sehen kann.«

12

Da fragte Gangleri: »Die Sonne fährt schnell, fast als wenn ihr bange wäre. Sie könnte ihren Gang nicht mehr beschleunigen, wenn sie für ihr Leben fürchtete.«

Da antwortete Har: »Das ist nicht zu verwundern, daß sie so schnell fährt, denn ihr Verfolger ist nah, und sie kann nicht anders, als ihre Fahrt zu beschleunigen.«

Da fragte Gangleri: »Wer ist es, der sie so in Angst versetzt?«

Har antwortete: »Das sind zwei Wölfe. Der eine, der sie verfolgt, heißt Sköll43. Sie fürchtet, daß er sie greifen möchte. Der andere heißt Hati44, Hrodwitnirs Sohn, der läuft vor ihr her und will den Mond packen, was auch geschehen wird.«

Da fragte Gangleri: »Von welcher Herkunft sind diese Wölfe?«

Har antwortete: »Ein Riesenweib wohnt östlich von Midgard in dem Walde, der Jarnwidr45 heißt. In diesem Walde wohnen die Zauberweiber, die man Jarnwidiur nennt. Jenes alte Riesenweib gebiert viele Riesenkinder, alle in Wolfsgestalt, und von ihr stammen die Wölfe. Es wird gesagt, der Mächtigste dieses Geschlechts werde der werden, welcher Manargarm46 heißt. Dieser wird mit dem Fleisch aller Menschen, da sie sterben, gesättigt; er verschlingt den Mond und überspritzt den Himmel und die Luft mit seinem Blute; davon verfinstert sich der Sonne Schein, und die Winde brausen und sausen hin und her. So heißt es in der Völuspa:

Östlich sitzt die Alte im Eisengebüsch

Und füttert dort Fenrirs47 Geschlecht.

Von ihnen allen wird eins das schlimmste:

Des Mondes Mörder übermenschlicher Gestalt.

Ihn mästet das Mark gefällter Männer,

Der Seligen Saal besudelt das Blut.

Der Sonne Schein dunkelt in kommenden Sommern,

Alle Wetter wüten: Wißt ihr, was das bedeutet?«

13

Da fragte Gangleri: »Wo geht der Weg vom Himmel zur Erde?«

Har antwortete und lachte: »Nun hast du unklug gefragt. Hast du nicht gehört, daß die Götter eine Brücke machten vom Himmel zur Erde, die Bifröst48 heißt? Die wirst du gewiß gesehen haben, aber vielleicht nennst du sie Regenbogen. Sie hat drei Farben und ist sehr stark und mit mehr Kunst und Verstand gemacht als andere Werke. Aber so stark sie auch ist, so wird sie doch zerbrechen, wenn Muspels Söhne kommen, darüber zu reiten; und ihre Pferde müssen dann über große Ströme schwimmen.«

Da sprach Gangleri: »Mich wundert, daß die Brücke zerbrechen mag; die Götter konnten sie doch so fest machen, wie sie wollten.«

Da antwortete Har: »Die Götter haben keinen Tadel verdient wegen dieses Werkes. Bifröst ist eine gute Brücke; aber kein Ding in der Welt mag bestehen bleiben, wenn Muspels Söhne geritten kommen.«

14

Runenstein aus Altuna. Thor im Boot mit dem Hammer. Der Gott fängt die Midgardschlange.

Da fragte Gangleri: »Was tat Allvater, als Asgard gebaut war?«

Har antwortete: »Zuvörderst setzte er Richter ein, die über das Schicksal der Leute entscheiden und die Einrichtungen in der Burg bewahren sollten. Das war an dem Orte, der Idafeld heißt, mitten in der Burg. Ihr erstes Geschäft war, einen Hof zu bauen, worin ihre Stühle standen, zwölf an der Zahl, und überdies ein Hochsitz für Allvater. Es ist das beste und größte Gebäude der Welt, außen sowohl als innen von lauterem Gold. Diese Stätte nennt man Gladsheim49. Sie bauten noch einen andern Saal, da war die Wohnung der Göttinen. Dies Haus war auch sehr schön, und die Menschen nennen es Wingolf. Danach legten sie Schmiedeöfen an und machten sich dazu Hammer, Zange und Amboß und hernach damit alles andere Werkgerät. Dann verarbeiteten sie Erz, Gestein und Holz und eine so große Menge des Erzes, das Gold genannt wird, daß sie alles Hausgerät von Gold hatten. Und diese Zeit heißt das Goldalter: Es verschwand aber bei der Ankunft gewisser Frauen, die aus Jötunheim kamen.

Danach setzten sich die Götter auf ihre Hochsitze und hielten Rat und Gericht und gedachten, wie die Zwerge zum Leben erweckt worden im Staub und in der Erde gleich Maden im Fleisch.

Die Zwerge waren zuerst erschaffen worden und hatten Leben erhalten in Ymirs Fleisch und waren da Maden. Aber nun, nach dem Ausbruch der Götter, erhielten sie Menschenwitz und Menschengestalt und wohnten in der Erde und im Gestein. Modsognir hieß einer dieser Zwerge und ein anderer Durin, wie es in der Völuspa heißt:

Da gingen die Berater zu den Richterstühlen,

Hochheil’ge Götter hielten Rat,

Wer schaffen sollte der Zwerge Geschlecht,

Aus des Meerriesen Blut und blauen Gliedern.

Da ward Modsognir der mächtigste

Dieser Zwerge und Durin nach ihm.

Manche noch machten sie menschengleich

Der Zwerge von Erde, wie Durin angab.

Und dieses, heißt es, sind die Namen dieser Zwerge:

Nyi und Nidi, Nordri und Sudri,

Austri und Westri, Althiof, Dwalin,

Nar und Nain, Nipingr, Dain,

Biwör, Bawör, Bömbör, Nori,

Ori, Quar, Oin, Modwitnir,

Wigr und Gandalfr, Windalfr, Thorin,

Fili, Kili, Fundin, Wali,

Thror, Throin, Theckr, Litr, Witr,

Nyr, Nyradr, Reckr, Radswidr.

Und diese sind auch Zwerge und wohnen im Gestein wie jene in der Erde:

Draupnir, Dolgthwari, Hör, Hugstari,

Hlediofr, Gloin, Dori, Ori,

Dufr, Andwari, Hepti, Fili,

Har, Siar.