Die Entstehung der Kontinente und Ozeane - Wegener, Alfred - kostenlos E-Book

Die Entstehung der Kontinente und Ozeane E-Book

Alfred, Wegener

0,0
0,00 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Gratis E-Book downloaden und überzeugen wie bequem das Lesen mit Legimi ist.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 270

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



The Project Gutenberg EBook of Die Entstehung der Kontinente und Ozeane, by Alfred WegenerThis eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and withalmost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away orre-use it under the terms of the Project Gutenberg License includedwith this eBook or online at www.gutenberg.orgTitle: Die Entstehung der Kontinente und OzeaneAuthor: Alfred WegenerRelease Date: April 23, 2014 [EBook #45460]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KONTINENTE UND OZEANE ***Produced by Peter Becker, Reiner Ruf and the OnlineDistributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (Thisfile was produced from images generously made availableby The Internet Archive)

Original-Bucheinband

DIE WISSENSCHAFT

Sammlung von Einzeldarstellungen aus den Gebieten der Naturwissenschaft und der Technik

Herausgegeben von Prof. Dr. EILHARD WIEDEMANN

BAND 66

Die Entstehung der Kontinente und Ozeane

Von

Prof. Dr. Alfred Wegener

Abt.-Vorst. d. Deutschen Seewarte u. Priv. Doz. d. Geophysik a. d. Hamburgischen Universität

Zweite gänzlich umgearbeitete Auflage

Mit 33 Abbildungen

Braunschweig

Druck und Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn

1920

Die Entstehung der

Kontinente und Ozeane

Von

Prof. Dr.Alfred Wegener

Abt.-Vorst. d. Deutschen Seewarte u. Priv. Doz. d. Geophysik a. d. Hamburgischen Universität

Zweite gänzlich umgearbeitete Auflage

Mit 33 Abbildungen

Braunschweig

Druck und Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn

1920

Alle Rechte vorbehalten.

Copyright, 1920, by Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig, Germany.

Vorwort.

Das vorliegende Buch ist die — völlig umgearbeitete und wesentlich vermehrte — zweite Auflage meiner gleichnamigen, 1915 in der Sammlung „Vieweg“ (Nr. 23) erschienenen Schrift, die vergriffen ist. Die Übernahme der neuen Auflage in die Sammlung „Wissenschaft“ erfolgte wegen des vergrößerten Umfanges; sie erscheint aber auch durch die starke Veränderung gerechtfertigt, die sie bei der Neubearbeitung erfahren hat und durch welche sie den Charakter eines neuen Buches annimmt.

Die Theorie der Kontinentalverschiebungen ist in allen Teilen schärfer gefaßt, und ihre Prüfung durch Heranziehung von Beobachtungsmaterial erheblich weiter im einzelnen durchgeführt, als es mir bei der ersten Auflage möglich war. Insbesondere konnten die Polverschiebungen und auch die Ursache der Kontinentalverschiebungen weit ausführlicher behandelt werden; dies sind wohl die beiden Punkte, in denen die Theorie am weitesten fortgeführt werden konnte. Die im Vorwort der ersten Auflage als experimentum crucis bezeichneten Änderungen der transatlantischen Längenunterschiede haben sich zwar für die zunächst in Betracht gezogene Strecke Europa–Nordamerika bisher nicht bestätigen lassen, dagegen haben die endgültigen Ergebnisse der Danmark-Expedition eine um so glänzendere Bestätigung für die Strecke Europa–Grönland gebracht.

Seit der ersten Auflage ist im In- und Auslande eine umfangreiche Literatur über die Kontinentalverschiebungen entstanden, deren Aufzählung mehrere Seiten füllen würde. Eine Reihe bekannter Fachgelehrter, allen voran Dacqué, hat sich trotz der Neuheit dieser Gedankengänge mit Interesse, ja teilweise mit vorbehaltloser Anerkennung dazu geäußert. Naturgemäß ist aber die Zahl der Zweifler noch immer groß, zumal die Theorie von verschiedenen Seiten, namentlich den Geologen Diener, Semper und Sörgel heftig angegriffen worden ist. Der teilweise verfehlte Ton dieser Angriffe ist bereits von anderer Seite getadelt worden[1]. Was an tatsächlichen Einwänden vorgebracht wurde, ist in der vorliegenden Neubearbeitung sorgfältig berücksichtigt. Leider beruht ein großer Teil der Einwände auf bloßen Mißverständnissen, ja sogar Versehen, die sich bei größerer Sorgfalt der Kritik leicht hätten vermeiden lassen. Obwohl auch hierauf bereits von anderer Seite hingewiesen worden ist[2], sind diese Mißverständnisse doch unerkannt in zahlreiche Referate übergegangen. Ich bin deshalb bestrebt gewesen, die betreffenden Fragen in der vorliegenden Darstellung möglichst unzweideutig zu behandeln.

Wie die erste Auflage durch die selbstlose geologische Beratung und Mitarbeit von Cloos gefördert, um nicht zu sagen, ermöglicht wurde, so ist die zweite gekennzeichnet durch die nicht minder wertvolle Mitarbeit eines Klimatologen; ihre Ausarbeitung geschah nämlich in täglichem Gedankenaustausch mit W. Köppen, und ich hatte die Genugtuung, daß dieser, anfangs kühl und zweifelnd, sich mit wachsender Wärme in die Ideenwelt der Verschiebungstheorie vertiefte und schließlich mit hoher Freude zu der Überzeugung hindurchdrang, daß hier der rote Faden im Labyrinth der Paläoklimatologie gefunden sei. Mehrere Kapitel entstanden in so engem Gedankenaustausch mit ihm, daß die Grenze des geistigen Eigentums nicht mehr feststellbar ist. Seine wichtigsten Ideen über diesen Gegenstand wird Köppen noch in zwei besonderen Abhandlungen in „Petermanns Mitteilungen“ veröffentlichen.

Von anderen Fachleuten bin ich namentlich den Herren Andree, Irmscher, Michaelsen und Tams für geistige Unterstützung dieser Arbeit zu Dank verpflichtet.

Der Leser sei nachdrücklichst darauf hingewiesen, daß eine große Zahl von Fragen — wenn man nicht auf eigenes Urteil verzichten will — durchaus die Benutzung eines Erdglobus erfordern. Ein Atlas reicht wegen der Verzerrung durch die Projektion nicht aus. Die Kritik der ersten Auflage krankt geradezu an der Nichtbenutzung des Globus.

Hamburg-Großborstel, im April 1920.

Alfred Wegener.

Inhaltsverzeichnis.

Seite

Erstes Kapitel

.

Landbrücken, Permanenz der Ozeane und Isostasie

1

Die Schrumpfungshypothese

1

. — Betrag des Gebirgszusammenschubs

2

. — Flachseenatur der marinen Ablagerungen

3

. — Isostasie

4

. — Hebung der Strandlinien

4

. — Nachhinken des isostatischen Ausgleichs

5

. — Mächtigkeit der Sedimente in Geosynklinalen

5

. — Massendefizit unter Gebirgen

5

. — Schwerkraft auf den Ozeanen

5

. — Dicke der Lithosphäre nach der Isostasie

6

. — Keine Isostasie für kleine Dimensionen

6

. — Hypothese der Brückenkontinente

7

. — Schelfbrücken

8

. — Die Permanenzhypothese

9

. — Horizontale Verschiebungen der Kontinente

10

. — Geschichtliche Bemerkungen

11

.

Zweites Kapitel

.

Die Natur der Tiefseeböden

13

Barysphärische Natur der Tiefseeböden

13

. — Das doppelte Niveau der Erdrinde

14

. — Aufreißen der Lithosphäre als Kompensation der Gebirgszusammenschübe

16

. — Vulkanische Gesteinsfunde bei Dredschzügen

17

. — Größere Magnetisierbarkeit des Tiefseebodens

18

. — Schlichtheit des Tiefseebodens

19

. — Fehlen von Faltengebirgen am Meeresboden

19

. — Fortpflanzung von Erdbebenwellen in kontinentalen und in ozeanischen Gebieten

20

.

Drittes Kapitel

.

Geophysikalische Erläuterungen

21

Sial und Sima

22

. — Spezifische Gewichte

23

. — Schollenmächtigkeit nach

Hayford

und

Helmert

24

. — Schmelztemperaturen

25

. — Starrheitsgrad der Erde

26

. — Zähflüssigkeit des Simas

27

. — Deformierbarkeit des Sials

28

.

Erscheinungen der Kontinentaltafeln

29

Schelfgebiete

29

. — Gebirgsfaltung

30

. — Größere Mächtigkeit der Sedimente in Gebirgen

30

. — Faltung unter Wahrung der Isostasie

31

. — Abschmelzung von unten

32

. — Vergleich des Zusammenschubs mit der Höhe der Gebirge

32

. — Staffelfalten

33

. — Abtragung unter Wahrung der Isostasie

33

. — Kräfte der Gebirgsfaltung

34

. — Faltung am Vorderrand triftender Schollen

35

. — Äquatorialer Faltungsgürtel

35

. — Spaltung

36

. — Die ostafrikanischen Brüche

36

. — Das Dreieck zwischen Abessinien und der Somalihalbinsel

37

. — Eindringen des Simas in die Spalte

38

. — Niederbruch größerer Gebiete durch Dehnung

39

.

Erscheinungen des Kontinentalrandes

39

Schwerestörung am Kontinentalrand

40

. — Druckverhältnisse am Kontinentalrand

41

. — Vulkanismus

42

. — Die ostasiatischen Inselgirlanden

42

. — Parallelerscheinungen dazu

47

. — Gleiten der Randketten

48

. — Atlantischer und pazifischer Küstentypus

51

.

Erscheinungen der Tiefseeböden

52

Entblößung des hochtemperierten Simas unter Wasser

52

. — Verschiedene Tiefe der Ozeane

53

. — Verteilung der Tiefsee-Sedimente

53

. — Erklärung der Tiefenunterschiede durch Temperaturunterschiede

54

. — Strömungen im Sima

54

. — Mittelatlantische Bodenschwelle

55

. — Tiefseerinnen

56

.

Viertes Kapitel

.

Die Verschiebungen der Kontinentalschollen

58

Die Panthalassa

58

. — Erstes Aufreißen und Zusammenschub der Lithosphäre

58

. — Hypsometrische Kurve der Erdoberfläche für die Vorzeit und die Zukunft

59

. — Allmähliche Abnahme der Faltungsvorgänge in der Erdgeschichte

60

. — Rekonstruktion der Kontinentalschollen für das Karbon

61

. — Landbrücken nach

Arldt

64

.

Die atlantische Spalte

66

Rekonstruktion der atlantischen Gebiete für das Eozän

67

. — Parallelität der atlantischen Küsten

70

. — Früherer Landzusammenhang zwischen Nordamerika und Europa

71

. — Geologische und tektonische Brücken

73

. — Frühere Landverbindung zwischen Südamerika und Afrika

77

. — Streichrichtungen im Urgebirge

77

. — Karbonische Faltung in Südafrika und bei Buenos-Aires

79

. — Unwahrscheinlichkeit des Zufalls

80

. — Die amerikanische Landbrücke

80

. — Die nordpazifische Landbrücke

81

.

Lemurien

82

Frühere Landverbindung zwischen Madagaskar und Dekan

82

. — Betrag der Himalaja-Faltung

83

. — Randliche Spuren des großen Zusammenschubs

83

. — Ablösung Madagaskars von Afrika

84

. — Abspaltung Vorderindiens von Madagaskar

84

.

Gondwana-Land

85

Dreifache Beziehungen der australischen Lebewelt

86

. — Die gondwanische Brücke

86

. — Die antarktische Brücke

87

. — Die hinterindische Brücke

89

. — Die Tiefenkarte der Sunda-Inseln

89

. — Angliederung Australiens an Vorderindien

90

. — Die australischen Kordilleren und Neuseeland

91

. — Unsicherheit der Angliederung Australiens an Antarktika

91

.

Fünftes Kapitel

.

Polwanderungen

92

Theoretische Zulässigkeit großer Polwanderungen

92

. — Geologische Notwendigkeit der Annahme von Polwanderungen

96

. — Theorien von

Reibisch

und

Kreichgauer

97

. — Methodische Vorbemerkungen

98

. — Kurve der Breitenänderungen

100

. — Pollage in der Eiszeit

102

. — Pollage im Pliozän

107

. — Im Miozän

107

. — Im Oligozän

108

. — Im Eozän

109

. — Im Paleozän

110

. — In der Kreide

110

. — Im Jura

112

. — In der Trias

113

. — Im Perm und Karbon

113

. — Im Devon

118

. — Tabellarische Übersicht der Pollagen

118

.

Sechstes Kapitel

.

System, Ursachen und Wirkungen der Kontinentalverschiebungen

119

Polflucht

119

. — Westwanderung

120

. — Ursache der Polflucht

121

. — Ursache der Westwanderung

122

. — Polwanderungen als Folge von Kontinentalverschiebungen

122

. — Meridionale Spaltungen

123

. — Entstehung der mittelmeerischen Bruchzone

124

. — Transgressionen als Folge von Polveränderungen

124

.

Siebentes Kapitel

.

Nachweis der Kontinentalverschiebungen durch astronomische Ortsbestimmung

125

Absolutes Zeitmaß der geologischen Abschnitte

126

. — Die nach der Verschiebungstheorie zu erwartenden Abstandsänderungen

127

. — Nachweis der Verschiebung Grönlands

127

. — Die Frage der Verschiebung Nordamerikas

129

. — Säkulare Breitenabnahme der europäischen und nordamerikanischen Sternwarten

130

.

Erstes Kapitel.Landbrücken, Permanenz der Ozeane und Isostasie.

Die heutige Geologie steht im Zeichen eines Wechsels ihrer zusammenfassenden Grundanschauungen. Bis heute herrscht noch, wenn auch nicht mehr unbestritten, die von Dana, Albert Heim und Eduard Suess vertretene Theorie einer Schrumpfung der Erde. Wie ein trocknender Apfel durch den Wasserverlust des Innern faltige Runzeln an der Oberfläche bekommt, so sollten sich durch die Abkühlung und damit verbundene Schrumpfung des Erdinnern die Gebirgsfalten an der Oberfläche bilden. Suess fand den kürzesten Ausdruck: „Der Zusammenbruch des Erdballes ist es, dem wir beiwohnen“[3]. Noch in der 1918 erschienenen 5. Auflage von E. Kaysers Lehrbuch der Allgemeinen Geologie wird diese Lehre vorbehaltlos angenommen. Man wird gewiß gern einräumen, daß diese Theorie das historische Verdienst hat, lange Zeit hindurch eine ausreichende Zusammenfassung unseres geologischen Wissens darzustellen. Heute ist sie aber bereits weit entfernt davon, dieser Aufgabe zu genügen, worin wohl die meisten Geologen und jedenfalls alle Geophysiker einig sind. Man hat sich aber bisher meist damit beschieden, daß „die Kontraktionstheorie längst nicht mehr voll anerkannt wird, und einstweilen keinerlei Theorie gefunden ist, die sie vollständig ersetzen und alle Umstände erklären kann“[4].

Von geophysikalischer Seite wird abgestritten, daß die Erde sich merklich abkühlt, weil durch den Zerfall der radioaktiven Stoffe in der Erdrinde so viel Wärme frei werde, daß die Temperatur sogar umgekehrt im Steigen sein könnte[5]. Und die Geologen müssen zugeben, daß schon im Algonkium große Inlandeismassen die damaligen Polargebiete bedeckten, die Bodentemperatur also nicht viel anders gewesen sein kann als heute. Aber noch viel schlimmer steht es mit der eigentlichen Beobachtungsgrundlage der Schrumpfungshypothese, nämlich dem Gebirgszusammenschub. Denn es stellt sich als immer unmöglicher heraus, diese riesenhaften Zusammenschübe auf Rechnung einer Abkühlung der Erde zu setzen. Die Arbeiten von Bertrand, Schardt, Lugeon u. a. haben zu einer ganz neuen und eigenartigen Auffassung eines großen Teiles der Alpenfaltung geführt, indem hier statt eigentlicher Falten schuppenartige „Deckfalten“ oder Überschiebungen angenommen werden. Hierdurch wird der Betrag des Zusammenschubes noch wesentlich größer, als früher angenommen wurde. Heim hat nach der älteren Auffassung für den Schweizer Jura eine Verkürzung auf 4⁄5, für die Alpen auf ½ berechnet, dagegen nach den neuen Anschauungen für letztere ¼ bis ⅛[6]. Da die heutige Breite etwa 150 km beträgt, so wäre also hier ein Rindenstück von 600 bis 1200 km Breite (5 bis 10 Breitengraden) zusammengeschoben. Jeder Versuch, solche Größen auf eine Temperaturerniedrigung des Erdinnern zurückzuführen, muß scheitern. Kayser bemerkt zwar, daß ein Zusammenschub um 1200 km nur 3 Proz. des Erdumfanges ausmacht, so daß sich auch der Radius um 3 Proz. verringert haben müßte, allein anschaulich werden diese Zahlen erst, wenn man die Temperaturen berechnet, die ihnen entsprechen. Legt man einen Mittelwert aus den vier linearen Ausdehnungskoeffizienten von Nickel (0,000013), Eisen (0,000012), Kalkspat (0,000015) und Quarz (0,000010) zugrunde [0,0000125], so kommt man — allein um die tertiäre Faltung zu erzielen — auf einen Temperaturverlust der Erde von etwa 2400°. Es bedarf keiner Erläuterung, daß man damit namentlich für die älteren Zeiten, in denen die Faltung viel universeller wirksam war, zu ganz absurden Temperaturen käme. Es ist auch nicht einzusehen, wie es physikalisch möglich sein soll, wie Heim will, daß die Schrumpfung eines ganzen größten Kreises gerade an einer Stelle zum Austrag kommt. Wie Ampferer[7], Reyer[8], Rudzki[9], Andrée[10] u. a. gefordert haben, müßte vielmehr die ganze Erdoberfläche gleichmäßig von der Runzelung betroffen werden, was ja auch der trocknende Apfel zeigt.

Noch weit größere Bedenken stehen der Auffassung der Kontinente als stehengebliebene, der Ozeane als abgesunkene Schollen beim „Zusammenbruch“ nach der Schrumpfungshypothese entgegen. Nach Lyells Vorgang nahm man einen schrankenlosen Wechsel zwischen dem Auftauchen von Tiefseeböden über Wasser und dem Versinken von Kontinenten bis zum Tiefseeboden an, gestützt einerseits auf die marinen Ablagerungen auf den heutigen Kontinenten und andererseits auf die Verwandtschaft der fossilen Fauna und Flora heute getrennter Kontinente, welche einen Brückenkontinent an Stelle des Ozeans zwischen ihnen zu erfordern schien. Doch muß man gerechterweise anerkennen, daß die Vertreter der Schrumpfungshypothese das besondere Problem, welches in den Kontinentalschollen steckt, als solches anerkannt haben. 1878 mußte A. Heim bekennen, „daß, bevor genauere Beobachtungen über die kontinentalen Schwankungen der Vorzeit gemacht sind,... und bevor wir vollständigere Messungen über die Beträge des ausgeglichenen Zusammenschubes der meisten Gebirge haben, kaum ein wesentlich sicherer Fortschritt in der Erkenntnis des ursächlichen Zusammenhangs von Gebirgen und Kontinenten und der Form der letzteren untereinander zu erwarten sein wird“[11]. Und 1918 schreibt E. Kayser: „Gegenüber dem Rauminhalt dieser Steinkolosse erscheinen alle festländischen Erhebungen unbedeutend und geringfügig. Selbst Hochgebirge wie der Himalaya sind nur verschwindende Runzeln auf der Oberfläche jener Sockel. Schon diese Tatsache läßt die alte Ansicht, nach der die Gebirge das maßgebende Gebälk der Kontinente darstellen sollten, heute unhaltbar erscheinen... Wir müssen vielmehr umgekehrt annehmen, daß die Kontinente das Ältere und Bestimmende, die Gebirge aber nur nebensächliche jüngere Gebilde darstellen“[12]. Man kann in diesen beiden Zitaten wohl das Zugeständnis erblicken, daß die Kontinentalschollen der Schrumpfungshypothese Schwierigkeiten machen. Es dürfte in der Tat schwer sein, vom Boden dieser Hypothese aus zu irgendwelchen bestimmten Vorstellungen über die Entstehung der Kontinente zu kommen. Davon, daß einzelne Schollen beim Zusammenbruch bis zum Tiefseeboden absinken, andere unter Wirkung des Gewölbedruckes als Stufen stehenbleiben, kann doch bei den ungeheuren, hier in Betracht kommenden Flächen nicht die Rede sein. Die marinen Ablagerungen auf dem Lande haben sich überdies mit verschwindend wenigen Ausnahmen als Flachseeerzeugnisse erwiesen, wie sie sich heute auf den randlichen Überflutungen der Kontinentalschollen, den Schelfen, bilden. Früher für Tiefseeablagerungen gehaltene Sedimente haben sich durch neuere Forschungen als Flachseesedimente erwiesen, wie es z. B. für die Schreibkreide von Cayeux nachgewiesen ist. Bei einer kleinen Anzahl, wie den kalkarmen Radiolariten der Alpen und gewissen roten Tonen, die an den roten Tiefseeton erinnern, nimmt man zwar auch heute noch große Entstehungstiefen an, vor allem, weil das Seewasser erst in großer Tiefe auflösend auf den Kalk wirkt. Aber die Deutung dieser Funde ist noch umstritten, meist kommt man mit Tiefen von 1000 bis 2000 m aus, die also noch immer zu der Kontinentalstufe gerechnet werden können, und jedenfalls ist die räumliche Erstreckung dieser Sedimente eine ganz verschwindende[13].

Es ist deshalb auch heute ein allgemein anerkannter Satz, daß die auf den Kontinenten abgelagerten Sedimente grundsätzlich nicht der Tiefsee, sondern seichten Überflutungen durch Epikontinentalmeere entstammen. Die heutigen Kontinente haben also zu keiner Zeit der Erdgeschichte den Boden der Tiefsee gebildet, sondern waren stets Kontinentalschollen, und Lyells Vorstellung von einem wiederholten Absinken und Auftauchen ist also jedenfalls dahin einzuschränken, daß es sich nur um wechselnde Überflutungen von permanenten Kontinentalschollen handelt.

Ganz und gar unbrauchbar aber erweist sich die Schrumpfungshypothese, um die neueren Ergebnisse der Geophysik aufzunehmen, die uns ein ganz anders geartetes Bild von der Natur der Erdrinde entrollen. Diese Ergebnisse werden zusammengefaßt in der Lehre von der Isostasie, d. h. dem Druckgleichgewicht oder dem Schwimmen der Erdrinde (Lithosphäre) auf einer magmatischen, schwereren Unterlage (Barysphäre). Wie ein Stück Holz bei Belastung tiefer in das Wasser eintaucht, so taucht auch die Lithosphäre der Erde an der Stelle, wo die z. B. mit einer Inlandeiskappe belastet wird, nach dem Archimedischen Gesetz tiefer in das schwere Magma der Barysphäre ein, um nach dem Abschmelzen des Eises die während der Depression gebildeten Strandlinien mit emporzuheben. So zeigen die aus den Strandlinien abgeleiteten Isobarenkarten de Geers für die letzte Vereisung Skandinaviens eine Depression des zentralen Teiles um mindestens 250 m, die nach außen allmählich geringer wird[14], und für die „große“ Eiszeit sind noch höhere Werte anzunehmen. Dieselbe Erscheinung hat de Geer auch für das nordamerikanische Vereisungsgebiet nachgewiesen. Rudzki hat gezeigt, daß man unter Annahme der Isostasie hieraus plausible Werte für die Dicke der Inlandeisschicht berechnen kann, nämlich 930 m für Skandinavien und 1670 m für Nordamerika, wo die Senkung 500 m betrug[15]. Da die Barysphäre nicht leichtflüssig wie Wasser, sondern sehr zähflüssig ist, so hinken alle solche isostatischen Ausgleichsbewegungen stark nach; die Strandlinien haben sich meist erst nach Abschmelzen des Eises, aber vor der Hebung gebildet, und auch heute steigt Skandinavien, wie die Nivellements zeigen, noch um etwa 1 m im Jahrhundert[16]. Auch sedimentäre Ablagerungen haben, wie wohl Osmond Fisher zuerst erkannte, eine Senkung der Scholle zur Folge. Jede Aufschüttung von oben führt zu einer freilich etwas nachhinkenden Senkung der Scholle, so daß die neue Oberfläche wieder fast in der alten Höhe liegt. Vom spezifischen Gewicht der Ablagerung hängt es ab, ob die alte Höhe überschritten wird oder nicht. Da Sedimente wohl stets leichter sind als das Urgestein, welches das eigentliche Material der Lithosphäre darstellt, so läßt sich eine Mulde (Geosynklinale) trotz Nachgebens der Unterlage allmählich ausfüllen, aber die Mächtigkeit der hierzu nötigen Ablagerungen wird erheblich größer sein müssen als die ursprüngliche Tiefe der Mulde, weil sich diese während des Prozesses weiter vertieft. Auf diese Weise können viele Kilometer mächtige Ablagerungen entstehen, die alle gleichwohl in flachem Wasser gebildet sind.

Ihre physikalische Begründung fand diese von Pratt herrührende Lehre von der Isostasie (das Wort wurde erst 1892 von Dutton geprägt) durch die Schweremessungen. Pratt hatte schon 1855 festgestellt, daß der Himalaja nicht die erwartete Anziehung auf das Lot ausübt, und dem entsprach die später überall bestätigte Tatsache, daß die Schwerkraft bei großen Gebirgen nicht wesentlich von ihrem gewöhnlichen Werte abweicht, so daß die Gebirgsmassive durch unterirdische Massendefekte irgendwelcher Art kompensiert erscheinen, wie die Arbeiten von Airy, Faye, Helmert u. a. zeigten. Nachdem der Gedanke an unterirdische Hohlräume hatte aufgegeben werden müssen, blieb nur die von Heim wohl zuerst ausgesprochene Annahme, daß die leichte Lithosphäre unter den Gebirgen verdickt sei und das schwere Magma hier in größere Tiefe dränge. Auch auf den Ozeanen hat sich gezeigt, daß die Schwerkraft ungefähr ihren Normalwert besitzt, trotz des sichtbaren Massendefekts, den die großen Ozeanbecken darstellen. Die früheren Messungen auf Inseln ließen zwar noch verschiedenartige Deutungen zu; nachdem es aber Hecker gelungen war, statt der an Bord nicht verwendbaren Pendel nach einem Vorschlage von Mohn die Schwere durch gleichzeitige Ablesungen am Quecksilberbarometer und am Siedethermometer zu bestimmen, konnte er diese Messungen auch an Bord eines Dampfers ausführen und so eindeutige Resultate erhalten[17]. Aus diesem Ergebnis muß also, umgekehrt wie bei den Gebirgen, geschlossen werden, daß der sichtbare Massendefekt der Ozeanmulde durch einen unterirdischen Massenüberschuß kompensiert wird, was zu der Annahme führte, daß die Lithosphäre unter den Ozeanen sehr viel dünner sei als unter den Kontinenten, so daß hier das schwere Magma dem Beobachter um so viel näher läge. (Eine ebenso gute Lösung ist aber die später zu begründende neue Annahme, daß die Lithosphäre hier ganz fehlt.) Eine schematische Darstellung dieser durch die Isostasielehre begründeten Vorstellung von der Natur der Lithosphäre, die schon 1855 von Airy entwickelt und später von Stokes ausgebaut wurde, gibt Fig. 1. Die neuere Entwickelung dieser Isostasielehre betrifft vor allem die Frage ihres Gültigkeitsbereiches. Für größere Schollen, wie z. B. einen ganzen Kontinent oder einen ganzen Tiefseeboden, muß ohne weiteres Isostasie angenommen werden. Aber im kleinen, bei einzelnen Bergen, verliert dies Gesetz seine Gültigkeit. Solche kleineren Teile können durch die Elastizität der ganzen Scholle getragen werden, genau wie ein Stein, den man auf eine schwimmende Eisscholle legt. Die Isostasie vollzieht sich dann zwischen Scholle plus Stein als Ganzem und dem Wasser. So zeigen die Schweremessungen auf den Kontinenten bei Gebilden, deren Durchmesser nach Hunderten von Kilometern mißt, sehr selten eine Abweichung von der Isostasie; beträgt der Durchmesser nur Zehner des Kilometers, so herrscht meist nur eine teilweise Kompensation, und beträgt er nur einige Kilometer, so fehlt die Kompensation meist ganz[18].

Fig. 1.

Schnitt durch die Lithosphäre nach der Isostasielehre.

Es leuchtet unmittelbar ein, daß sich diese Lehre von der Isostasie in keiner Weise mit der Schrumpfungshypothese und ihrer Vorstellung vom „Gewölbedruck“ und dem „Zusammenbruch des Erdballes“ vereinigen läßt. Die geologische Wissenschaft ist damit vor die Aufgabe gestellt, eine neue Grundhypothese zu schaffen, welche die Schrumpfungshypothese ersetzen und das gesamte Tatsachenmaterial unter Einschluß des geophysikalischen zu einem Gesamtbilde vereinigen kann.

Aber statt dessen sehen wir heute nur zwei Teillösungen des Problems in einem für beide gleich hoffnungslosen Kampf gegeneinander verstrickt, nämlich die Hypothese der Brückenkontinente und die Hypothese der Permanenz der Ozeane und Kontinente.

Die Verfechter der Brückenkontinente halten sich an die heute wohl als gesichert zu betrachtende Tatsache, daß die enge Verwandtschaft der Fauna und Flora heute weit getrennter Kontinente durchaus breite Landverbindungen für die Vorzeit erfordert[19]. Die immer reichlicher zuströmenden Einzelfunde lassen das Bild dieser Zusammenhänge immer deutlicher vor unseren Augen erwachsen, und heute schon herrscht bei den wichtigsten dieser Landbrücken unter den verschiedenen Fachgelehrten eine sehr weitgehende Übereinstimmung. Wir verweisen in dieser Hinsicht auf die im vierten Kapitel gegebene tabellarische Übersicht über die ablehnende oder zustimmende Stellung von 20 Fachgelehrten zu den einzelnen Brücken. Als gesichert gelten eine bisweilen behinderte Landverbindung zwischen Nordamerika und Europa, die erst in der Eiszeit endgültig abbrach, ferner eine solche zwischen Afrika und Südamerika, die, schon mit der Kreide behindert, im Eozän endgültig abbrach, eine dritte, die „lemurische“ Brücke zwischen Madagaskar und Vorderindien, die im Untereozän abbrach, aber noch bis zum Miozän einen beschränkten Formenaustausch zuließ, und endlich eine „gondwanische“ Brücke zwischen Afrika plus Madagaskar und Australien, die im Lias oder Unterdogger abbrach und vermutlich Antarktika enthielt.

Auch zwischen Südamerika und Australien muß unbedingt früher eine bequeme Landverbindung geherrscht haben, aber die Ansicht, daß diese durch einen Brückenkontinent im südlichen Pazifik gebildet worden sei, wird nur von ganz wenigen Fachgelehrten vertreten. Die meisten nehmen an, daß diese Verbindung über Antarktika ging, welches gerade auf der kürzesten Verbindung zwischen den beiden Kontinenten liegt.

Daneben ist natürlich eine große Anzahl von Brücken anzunehmen, die heute durch Schelfmeere ersetzt sind. Die Anhänger der Hypothese der Brückenkontinente haben bisher gar keinen Unterschied gemacht zwischen Brücken über Tiefsee und Brücken über Schelfe. Für die ersteren werden in diesem Buche neue Anschauungen entwickelt, für die letzteren aber, dies sei besonders betont, bleiben die bisherigen Anschauungen vom Versinken und Wiederauftauchen des trockenen Landes in vollem Umfange bestehen, und wir haben z. B. nicht das geringste einzuwenden gegen die bisherige Vorstellung, daß an der Beringstraße vom Eozän bis zum Quartär Landverbindung zwischen den beiden großen Kontinentalschollen geherrscht hat, und daß sie erst dann versank, ebenso wie sie bereits früher, namentlich in der Trias, zeitweise versunken gewesen war[20]. Nur das Versinken von Landbrücken bis zum Tiefseeboden ist es, was, wie gezeigt werden wird, der Kritik nicht standzuhalten vermag, aber ohne daß wir deshalb die Landverbindung entbehren können.

Gegenüber diesen Anhängern der Hypothese der Brückenkontinente verfechten die Anhänger der Permanenzhypothese den Satz: „Die großen Tiefseebecken bilden permanente Erscheinungen der Erdoberfläche und haben mit geringen Änderungen ihrer Umrisse schon seit der ersten Sammlung des Wassers an derselben Stelle gelegen, an der sie jetzt liegen“[21]. Sie gehen aus von der oben erörterten Tatsache, daß auf den Kontinenten keine Tiefseeablagerungen in irgendwie beträchtlicher Ausdehnung vorkommen, daß also die Kontinentalschollen als solche unbestritten permanent sind. Hierdurch entsteht aber für die Konstruktion von Brückenkontinenten eine große Verlegenheit. Denn wenn deren Erhebung nicht durch anderweitige entsprechende Senkungen kompensiert wird, so enthalten die übrigbleibenden, sehr verkleinerten Tiefseebecken bei weitem nicht Raum genug für die Wassermenge der Ozeane. Es müßten dann — mit Ausnahme hoher Gebirge — alle Kontinente einschließlich der emporgehobenen Brückenkontinente, mit einem wenn auch nicht sehr tiefen Meere vollständig überflutet gewesen sein. Eine solche allgemeine Überflutung durch eine „Panthalassa“ wird aber in der Geologie nur für die allerälteste Zeit angenommen, und es ist klar, daß wir durch diese Konsequenz für die in Frage kommenden Zeiten, wo wir gerade Landbrücken zwischen trockenen Kontinenten brauchen, ad absurdum geführt werden. Um dieser vonWillis und Penck betonten Schwierigkeit zu entgehen, müßten wir die sehr unwahrscheinliche, sonst durch nichts begründete Annahme machen, daß die Gesamtwassermenge der Erde sich gerade in entsprechendem Tempo vermehrt hat, wie die Landbrücken abgesunken sind. Diese Hypothese ist aber ernstlich noch von niemand vertreten worden.

Weiter fußen die Anhänger der Permanenzhypothese auch auf den geophysikalischen Ergebnissen, die wir oben skizziert haben. Ein Absinken von Kontinenten zum Tiefseeboden erscheint unmöglich. Zwar läßt sich ein Untertauchen von Landgebiet bis zur Schelftiefe durchaus physikalisch erklären. Es kommen dafür sogar mehrere Ursachen in Betracht, deren jede für sich allein ausreichen dürfte. Einmal kann durch Zugkräfte eine Zerrung der ja plastisch zu denkenden Kontinentalscholle eintreten, welche mit Höhenschrumpfung verbunden sein muß; und zweitens besteht durchaus die Möglichkeit, daß es bei größeren Polverlagerungen in dem Quadranten, von dem sich der Pol fortbewegt, infolge des Nachhinkens der Erde bei der Einstellung auf das neue Rotationsellipsoid zu großen Überflutungen kommt, worauf Simroth[22] u. a. hingewiesen haben. (Und umgekehrt in dem Quadranten, auf den sich der Pol zubewegt, zu großen Trockenlegungen). Dieses „Absinken“ bis zu Schelftiefen hat zweifellos z. B. an der schon oben erwähnten Beringstraße, in der Nordsee und dem Kanal, im Ägäischen Meere, in der Bassstraße zwischen Tasmanien und Australien, und an vielen anderen Stellen stattgefunden und ist geophysikalisch auch durchaus einwandfrei. Für diese Fälle gilt zweifellos das allgemeine Gesetz, daß die so erzeugten Abweichungen vom mittleren Kontinentalniveau um so seltener auftreten, je größer sie sind[23]. Etwas ganz anderes wäre aber ein Absinken bis zur Tiefseestufe, welche 5000 m unterhalb der Kontinentalstufe, von dieser durch ein Häufigkeitsminimum getrennt, liegt. Die Größe dieser Senkung sowohl wie die Gleichartigkeit der erreichten Tiefe dürften für diejenigen, welche auch hier am Versinken der Landbrücken festhalten wollen, sehr schwer zu erklären sein.

Aus diesen Widersprüchen gibt es nur einen Ausweg: wenn wir annehmen, daß die Kontinentalschollen nicht nur in vertikaler Richtung zu isostatischen Ausgleichsbewegungen befähigt sind, sondern auch zu Bewegungen in horizontaler Richtung. Tun wir diesen nur durch seine Neuheit seltsam erscheinenden, in Wahrheit aber geophysikalisch wie geologisch durchaus vorbereiteten Schritt, so haben wir die Möglichkeit, breite Landverbindungen auch da zu rekonstruieren, wo heute die Tiefsee liegt, und zwar ohne in Konflikt mit der Isostasie zu kommen, und ohne daß uns die Wassermenge der Erde Schwierigkeiten macht. Wir nehmen also an, daß die nordamerikanische Kontinentalscholle früher dicht neben der europäischen gelegen, ja mit ihr eine einzige Scholle gebildet hat, daß diese große Scholle sich spaltete und die beiden Teile sich im Laufe der Zeiten weiter und weiter voneinander entfernten. Ebenso nehmen wir an, daß Südamerika und Afrika einst unmittelbar zusammenhingen, sich abspalteten und immer mehr voneinander entfernten. Um das alte Gondwanaland zu rekonstruieren, schieben wir auch Antarktika und Australien konzentrisch auf Südafrika zusammen und nehmen auch hier eine Aufspaltung einer einzigen großen Kontinentalscholle an. Um Lemuria zu rekonstruieren, brauchen wir dagegen nur die Falten von Hochasien zu glätten, wodurch Vorderindien schon von selbst zur Berührung mit Madagaskar und dies mit Afrika gebracht wird.

Es wird Aufgabe der folgenden Abschnitte sein, zu zeigen, daß diese Verschiebungstheorie eine große Reihe überraschender Vereinfachungen liefert, und daß sie geeignet ist, die Gesamtheit unserer heutigen Kenntnisse zu einem Bilde zusammenzufassen. Eine so kleine Schrift wie die vorliegende kann dazu natürlich nur eine Skizze liefern, die Ausführung erfordert liebevolle Einzelarbeit auf einer langen Linie.

Einige geschichtliche Bemerkungen seien vorausgeschickt. Die Vorstellung einer Verschiebung der Erdrinde in horizontaler Richtung über die magmatische Unterlage fort ist schon vielfach erörtert worden, namentlich von Evans und Kreichgauer, nach welchen sich die ganze Rinde als einheitliche Kugelschale verschieben sollte[24]. Von direkten Anklängen an die im folgenden vertretenen Anschauungen sind mir nur folgende Schriften zu Gesicht gekommen:

H. Wettstein[25] stellt sich die Erdrinde als fließend vor. Die Kontinente, deren Schelfe er allerdings nicht mit berücksichtigt, sind horizontal verschiebbar und erleiden bei den Verschiebungen starke Deformationen. Alle Kontinente wandern nach Westen, gezogen durch die Flutkräfte der Sonne im festen Erdkörper[26]. Die Ozeane hält er jedoch für versunkene Kontinente, und über die „geographischen Homologien“ und andere Probleme des Erdantlitzes äußert er phantastische Vorstellungen, die wir hier übergehen.

Im Jahre 1907 hat Pickering[27] die wegen der Parallelität der Küsten ja naheliegende Vermutung ausgesprochen, Amerika sei von Europa-Afrika abgerissen und um die Breite des Atlantik fortgezogen worden. Aber er denkt sich diesen Vorgang leider verbunden mit der von G. H. Darwin angenommenen einstmaligen Abschleuderung der Mondmasse von der Erde[28], deren Spur man noch im pazifischen Becken sehe, und verlegt damit die Entstehung des Atlantik in eine graue Vorzeit.

Am nächsten kommt eine Arbeit von Taylor[29] der Verschiebungstheorie. Er nimmt speziell im Tertiär bedeutende horizontale Verschiebungen der Kontinente an und bringt sie teilweise mit den großen tertiären Faltungssystemen in Zusammenhang. Für die Lostrennung Grönlands von Nordamerika kommt er zur gleichen Vorstellung wie die Verschiebungstheorie. Beim Atlantik nimmt er jedoch an, daß nur ein Teil seiner Breite durch Fortziehen der amerikanischen Schollen entstanden sei, während der Rest abgesunken sei und die mittelatlantische Bodenschwelle darstelle. Er sieht in der „Polflucht“ des Landes das gestaltende Prinzip für die Anordnung der großen Gebirgsketten auf der Erde und begegnet sich dabei mit Kreichgauer. Die Verschiebung von Kontinenten spielt bei ihm eine untergeordnete Rolle und wird nur sehr kurz begründet.

Als Geophysiker lernte ich diese Arbeiten naturgemäß erst kennen, als ich mich bei der Ausarbeitung der Verschiebungstheorie in der geologischen Literatur umsah. Die erste Idee der Kontinentalverschiebungen kam mir einst bei Betrachtung der Weltkarte unter dem unmittelbaren Eindruck von der Parallelität der atlantischen Küsten. Erst nach Jahr und Tag, als ich zufällig mit den paläontologischen Ergebnissen über frühere Landverbindungen im Süd- und Nordatlantik bekannt wurde, entschloß ich mich, die in Betracht kommenden Wissenschaften systematisch auf die Wahrscheinlichkeit solcher großen Verschiebungen zu durchmustern. 1912 erfolgten die ersten beiden Veröffentlichungen der Verschiebungstheorie[30], denen 1915 die ausführlichere Darstellung in der ersten Auflage dieser Arbeit folgte.

Zweites Kapitel.Die Natur der Tiefseeböden.

Fig. 2.

Schematischer Querschnitt durch einen Kontinentalrand.

Die Theorie von der Verschiebung der Kontinente findet ihre tiefere physikalische Begründung erst durch eine neue Auffassung über die Natur der Tiefseeböden, die wir in dem Satz formulieren können: Die Tiefseeböden sind nicht Teile der Lithosphäre, sondern bestehen bereits aus dem schwereren Material der Barysphäre. Die oberste Erdhaut, die Lithosphäre, soll also nicht mehr die ganze Erde umspannen, sondern in Gestalt der Kontinentalschollen nur noch etwa ein Drittel der Erdoberfläche bedecken, während auf den übrigen zwei Dritteln der Erdoberfläche bereits die Barysphäre entblößt ist. Fig. 2 zeigt schematisch einen Vertikalschnitt durch einen Kontinentalrand nach der neuen Anschauung.

Der entscheidende Grund für die Richtigkeit dieser neuen Annahme ist die Existenz eines doppelten Häufigkeitsmaximums in den Höhenstufen der Erdrinde. Aus der Statistik dieser Höhenstufen geht mit außerordentlicher Deutlichkeit hervor, daß die ganze Erdoberfläche in zwei um rund 5000 m verschiedenen Niveauflächen angeordnet ist, die abwechselnd nebeneinander vorkommen und uns als Oberflächen der Kontinente und Tiefseeböden entgegentreten. Die bekannte „hypsometrische Kurve der Erdoberfläche“ (Fig. 3