Die Europäische Zentralbank: Herrschaft abseits von Volkssouveränität - Paul Steinhardt - E-Book

Die Europäische Zentralbank: Herrschaft abseits von Volkssouveränität E-Book

Paul Steinhardt

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Beschreibung

"Geld regiert die Welt", lautet eine Redewendung. Dieser Spruch, so Paul Steinhardt, lässt sich mit Blick auf das Finanzwesen durchaus bestätigen. Denn dort hat sich eine politische Entscheidungsmacht konzentriert, die unter Umgehung demokratischer Prozeduren agiert und das Gemeinwohlinteresse missachtet. Es gilt daher, den Blick auf die Geldmacher und ihre damit verbundene Macht zu lenken. Einer der wichtigsten Geldmacher ist die Europäische Zentralbank (EZB), um deren Tätigkeit es in diesem Buch geht. Laut Steinhardt erweist sich die Politik der EZB zunehmend als Form einer Herrschaft, die man mit dem Begriff des "autoritären Liberalismus" kennzeichnen sollte. Diese These wird durch das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2015 zu den Staatsanleihekaufprogrammen der EZB bestä­tigt. Die "unkonventionelle Geldpolitik" der EZB habe Verteilungswirkungen, die sich demokratisch nicht legitimieren lassen, lautete der Vorwurf. Ihre Beendigung im Zuge der Zinswende ist allerdings nicht als Fortschritt zu werten. Denn damit wird die Finanzstabilität gefährdet, wie der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank belegte. Geldpolitik erweist sich bei genauerem Hinsehen als eine Form des Klassenkampfs, bei dem sich Zentralbanken eindeutig auf die Seite des Kapitals schlagen. Steinhardt plädiert deshalb für eine Reform des Geldsystems, die seiner Marktkonformität einen Riegel vorschiebt und die Geldmacher zwingt, sich stärker am Gemeinwohlinteresse zu orientieren.

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Paul SteinhardtDie Europäische Zentralbank: Herrschaft abseits von Volkssouveränität

  

© 2024 Promedia Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Wien

ISBN: 978-3-85371-918-3(ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-85371-532-1)

Der Promedia Verlag im Internet: www.mediashop.atwww.verlag-promedia.de

Über den Autor

Paul Steinhardt ist Buchautor und Gründer des Wirtschaftsmagazins Makroskop (makroskop.eu), als dessen Chefredakteur er bis Juni 2022 agierte. In seinen Arbeiten beschäftigt er sich mit Geldtheorie, Finanzmarkt- und Bankenregulierung. Zuvor war er im Finanzwesen in Führungspositionen im Bereich der »Strukturierten Finanzierungen« tätig. Er promovierte an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main.

Inhaltsverzeichnis
Über den Autor
1. Kernaussagen zur Einleitung
1.1 Autoritärer Liberalismus statt Demokratie
1.2 Undemokratische Geldpolitik
1.3 Die Notwendigkeit einer Geldsystemreform
2. Geld, Wirtschaft und Demokratie
2.1 Geld und Wirtschaft
2.1.1 Geld in der Mainstreamökonomik
2.1.2 Geld im Postkeynesianismus
2.1.3 Das Problem der Überfinanzierung
2.2 Wirtschaft und Demokratie
2.2.1 Die liberale Demokratie
2.2.2 Die soziale Demokratie
2.3 Demokratie und Geldsouveränität
3. Die monetäre Wirklichkeit
3.1 Staatsfinanzierung oder Geldemission?
3.1.1 Steuerfinanzierung – eine Fiktion?
3.1.2 Sind Staatsschulden eine Fiktion?
3.2 Die monetäre Kontrolle
3.2.1 Bankengeld aus dem Nichts
3.2.2 Banking ohne Netz und doppelten Boden
3.2.3 Problemlösung: Regulierung und Überwachung?
4. Die unkonventionelle Geldpolitik
4.1 Umgehung demokratischer Prozeduren
4.1.1 Die Reaktion der EZB
4.1.2 Die Reaktion der Politik
4.1.2 Rechtsstaatliche Grenzüberschreitungen
4.2 Herrschaft abseits von Volkssouveränität
4.2.1 Der Retter in der Eurokrise
4.2.2 Privater statt staatlicher Keynesianismus
5. Die Zinswende
5.1 Die konventionelle Geldpolitik
5.1.1 Prämissen der Geldpolitik
5.1.2 Leitzins und Inflation
5.2 Normalisierung der Geldpolitik
6. Zur Zukunft der Geldsouveränität
6.1 Steuerreform statt Geldreform?
6.2 Der digitale Euro als Reformkatalysator?
6.3 Geldsouveränität – eine Fata Morgana?
Literatur

1. Kernaussagen zur Einleitung

In nahezu allen heute verwendeten Sprachen finden sich Redewendungen wie »Geld regiert die Welt«. Was aber heißt, dass »Geld regiert«? Bedeutet es, dass wir nicht von einer vom Volk gewählten und einem ihrem Wohl verpflichteten Regierung, sondern von einer politischen Instanz namens Geld regiert werden? Das scheint Joseph Vogl so zu sehen. In seinem Buch Der Souveränitätseffekt schreibt er, das gegenwärtige Finanzwesen sei die Manifestation eines »spezifischen Machttypus«:

»[I]m modernen Finanzwesen [hat sich] eine politische Entscheidungsmacht konzentriert, die abseits von Volkssouveränität und unter Umgehung demokratischer Prozeduren agiert.«1

Vogls These ist im Rahmen der Mainstreamökonomik nicht explizierbar. Denn in deren Theorien werden Volkswirtschaften als elaborierte Tauschwirtschaften konzeptualisiert, in denen Geld lediglich die Rolle eines neutralen Tauschvermittlers spielt. In der wirklichen Wirtschaftswelt aber produzieren Unternehmen mithilfe von ArbeiterInnen, denen sie einen Geldlohn bezahlen, Waren für eine zahlungsfähige Kundschaft, um auf diese Weise Geldgewinne zu erzielen. Eine solche Wirtschaftsordnung heißt Kapitalismus. Ihr Alpha und Omega ist Geld.

Geld ist ein Artefakt. Es wird für bestimmte Wirtschaftssubjekte und deren Zwecke vom »Finanzwesen« erzeugt. Es gilt daher den Blick auf die Geldmacher und ihre damit in Geldwirtschaften verbundene Macht zu lenken. Einer dieser Geldmacher ist die Europäische Zentralbank (EZB), um deren Politik es in diesem Buch primär gehen wird. An sie soll die Frage gerichtet werden, ob sie mit dem Anspruch der Europäischen Union verträglich ist, diese »gründe« auf dem »Wert der Demokratie«.2

1.1 Autoritärer Liberalismus statt Demokratie

Um es vorwegzunehmen: Diese Frage werde ich mit einem »Nein« beantworten. Die EZB ist, so meine Kritik, Teil eines Herrschaftsapparats, den einer der wichtigsten Köpfe der »Sozialen Demokratie«, Hermann Heller, mit dem Begriff des »autoritären Liberalismus« bedacht und den er wie folgt umrissen hat:

»[D]er ungefähre Inhalt des autoritären Liberalismus [ist bestimmt durch den] Rückzug des […] Staates aus der Sozialpolitik [und der] Entstaatlichung der Wirtschaft […]. Autoritär und stark muß ein solcher Staat sein, […] weil in demokratischen Formen würde das deutsche Volk diesen neoliberalen Staat nicht lange ertragen.«3

Hellers Begriffsbestimmung dürfte weithin auf Unverständnis stoßen. Wie kann der Liberalismus autoritär sein? Autoritarismus steht doch für staatlichen Zwang, während Liberalismus Freiheit und Demokratie signalisiert.

Demokratie ist in den Worten Abraham Lincolns eine »Regierung des Volkes durch das Volk für das Volk«. Womit gesagt ist, eine demokratische Regierung handle im Gemeinwohlinteresse. Was aber nichts daran ändert, dass es sich auch bei der Demokratie um eine Form staatlicher Herrschaft handelt, deren Modus Operandi die gesetzesartige und mit Sanktionen bewehrte Anordnung ist. Der Zentralbegriff des Liberalismus dagegen ist die als »Abwesenheit von Zwang« definierte »Freiheit«.4 Zwischen Liberalismus und Demokratie besteht daher, wenn auch kein Widerspruch, so doch ein gewisses Spannungsverhältnis.

Die »Demokratie« sei lediglich eine Antwort auf »die Frage nach dem Träger der öffentlichen Gewalt, [während] das liberale Prinzip […] der wie immer gebildeten […] Staatsgewalt die Schranke der staatsfreien Sphären […] und der Persönlichkeitsrechte entgegensetzt […]«, so schon Wilhelm Röpke, einer der Väter des deutschen Ordoliberalismus.5 Die Wirtschaft ist für Wirtschaftsliberale aller Couleurs bis heute eine solche entgegengesetzte staatsfreie Sphäre. In ihr soll ausschließlich der auf »freiwilligen Vereinbarungen« basierende »effiziente Markt« herrschen.

Keineswegs aber sind der Markt und der Staat für alle Wirtschaftsliberalen Antipoden. Der Markt ist für Neoliberale eine politische Institution, die es z. B. ohne Gesetze, Gerichte und Polizei nicht geben kann.6 Der Staat ist für die Etablierung und Aufrechterhaltung von Märkten für sie also unabdingbar, wie vom Weimarer Gegenspieler Hellers – dem Staatstheoretiker Carl Schmitt – wie folgt zum Ausdruck gebracht wurde:

»Wie kann man das Ziel einer Unterscheidung von Staat und Wirtschaft heute verwirklichen? Immer wieder zeigt sich dasselbe: nur ein starker Staat kann entpolitisieren, nur ein starker Staat kann offen und wirksam anordnen […].«7

Entpolitisierung ist also ein Codewort für eine neoliberale Staatspolitik, mit dem Ziel, dass über Verteilungsfragen der Preismechanismus und nicht das Volk entscheidet. Staatliche Interventionen in die Wirtschaft, die marktbefördernd wirken, sind daher für Neoliberale nicht nur erlaubt, sondern geboten. Eine »Entstaatlichung der Wirtschaft« ist gefordert, wenn politische Institutionen und Handlungen – wie etwa die Fiskal- und Sozialpolitik – dem Marktmechanismus in die Speichen greifen.8

Karl Polanyi, der wie kaum ein anderer vor ihm die Zerstörung politischer Gemeinschaften durch eine zunehmende Kommodifizierung gesellschaftlicher Beziehungen thematisierte, hatte Zentralbanken als die Wirkmechanismen des Kapitalismus »einbettende« Institutionen erachtet. Sie waren für ihn Teil einer »Gegenbewegung« zur Kommodifizierung von Geld, die sich nach seiner Meinung durch eine »Unterordnung der Einkommens- und Beschäftigungsstabilität unter die Preisstabilität« auszeichnet.9

Die EZB, so die zentrale These dieses Buches, ist keine in diesem Sinne die kapitalistischen Wirkmechanismen einbettende Institution, sondern zielt auf eine Entstaatlichung der Wirtschaft im Sinne Hellers, um den unpersönlichen Preismechanismus über ökonomische Verteilungsfragen entscheiden zu lassen.

1.2 Undemokratische Geldpolitik

Evidenz für diese These ist das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 5. Mai 2020 zu dem von der EZB Mitte 2014 aufgelegten Staatsanleihenkaufprogramm (PSPP).10 Es werde mit dem PSPP »der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit missachtet«, so das Urteil.11 Der Vorwurf also lautet, das PSPP hätte Verteilungswirkungen, die sich nicht demokratisch legitimieren lassen.

Das Urteil stieß bei vielen progressiven Ökonom­Innen auf massive Kritik. Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker etwa haben es als »skandalös« bezeichnet, »weil es bar jeder Kenntnis makroökonomischer Zusammenhänge geschrieben«12 worden sei. Aber nicht nur Ökonomen haben auf das Urteil aus Karlsruhe mit harscher Kritik reagiert. Franz C. Mayer – Inhaber eines Lehrstuhls für öffentliches Recht an der Universität Bielefeld – kritisiert, es sei »ein Angriff auf die Unabhängigkeit der EZB«.13

Freilich müsste schon der Begriff der »Unabhängigkeit« im Zusammenhang mit einer staatlichen Behörde bei Demokraten die Alarmglocken schrillen lassen. Wenn das oberste deutsche Gericht die demokratische Legitimität der EZB-Politik in Frage stellt, sollte das für die Politik jedenfalls Anlass sein, darüber eine breite öffentliche Debatte zu führen. Die Mehrheit unserer Volksvertreter zog es allerdings vor, die Verfassungsrichter ob ihrer damit vermeintlich zum Ausdruck gebrachten »anti-europäischen« – sprich »nationalistischen« – Haltung nach dem folgenden Muster zu schelten:

»[Verfassungsrichter] Huber hat schon bei seiner Antrittsvorlesung in Jena die Frage aufgeworfen, ob der Maastrichter Vertrag ein Staatsstreich in Europa war. Sollte das auch ein Thema in der öffentlichen Debatte sein?«14

Schon vor dem Urteil hätte sich die öffentliche Debatte damit beschäftigen müssen, ob die mit den Staatsanleiheankäufen durch die EZB verbundenen Verteilungswirkungen als demokratisch legitimiert gelten können.

Tatsächlich wurde vor dem Urteil in keinem der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Dokument der EZB diese Frage auch nur gestreift.15 Unzweifelhaft haben Banken, Aktionäre und Immobilienbesitzer vom PSPP profitiert.16 Weniger offensichtlich ist, wie die von der EZB behaupteten positiven gesamtwirtschaftlichen Effekte durch die mit den Staatsanleihenankäufen bewirkten Vermögenspreissteigerungen verbunden gewesen sein sollen.

Tatsache ist jedoch, dass die EZB mit dem PSPP ihre wirtschaftspolitische Handlungsmacht erheblich auf Kosten demokratisch legitimierter Organe erweitert hat. Die EZB ist in keiner Weise von majoritären Staatsorganen abhängig, wie in Artikel 130 des »Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)« unmissverständlich festgehalten wird.17 Das essenzielle Merkmal demokratisch legitimierter Herrschaft ist aber eine Bindung exekutiver Staatsorgane an majoritäre Institutionen. Im Falle der Bundesrepublik Deutschland also an den deutschen Bundestag. Ein Skandal ist daher nicht das Urteil, sondern dass nur die »demokratiefeindliche« AfD18 auf die Idee kam, zu fragen, ob die »unkonventionelle Geldpolitik« der EZB nicht die Einschaltung »des höchsten Legislativorgans Deutschlands« zwingend erforderlich macht.19

Hat sich die EZB aber mit der 2023 vollzogenen »Zinswende« nicht wieder auf das ihr zweifelsfrei erteilte »enge« geldpolitische Mandat zurückgezogen? Ist also die These einer Unvereinbarkeit der »unkonventionellen Geldpolitik« mit dem Konzept der Demokratie nicht Schnee von gestern? Mit der Zinswende wurde neben Leitzinserhöhungen auch eine Beendigung der Staatsanleihenkäufe durch die EZB annonciert und daher mag die Kritik des Bundesverfassungsgerichts inzwischen als gegenstandslos erscheinen.

Von einer Beendigung kann zwar nicht die Rede sein, denn es kam lediglich zu einer Reduktion der Ankaufsvolumina. Aber auch das ist schon problematisch zu werten, da Staatsanleihen inzwischen im Finanzsektor faktisch als eine Art von Geld fungieren. Eine Funktionsvoraussetzung dieser Verwendungsweise von Staatsanleihen aber ist, dass ihre Kaufpreise stabil gehalten werden, was die EZB mit den massiven Ankäufen gewährleistet hatte. Schon eine Reduktion der Ankaufsvolumina kann daher zu Kursverlusten und damit einhergehend zu einer Destabilisierung des Finanzsystems führen, wie der Konkurs der Silicon Valley Bank in den USA im Jahr 2023 belegte (siehe auch Kapitel 5.2).20

Der Kauf von Staatsanleihen durch die EZB hat auch den fiskalpolitischen Handlungsspielraum von Euroländern mit relativ hohen Staatsschuldenquoten vergrößert. Mit der Reduktion werden daher umgekehrt die Möglichkeiten von diesen Ländern, ihre Wirtschaftsentwicklung zu fördern, gegenüber Ländern mit niedrigeren Staatsschuldenquoten asymmetrisch eingeschränkt. Diese Ungleichbehandlung wirft zweifelsohne Fragen nach der Verhältnismäßigkeit der Zinswende der EZB auf.

Zudem ist die »konventionelle Geldpolitik« nicht so unpolitisch wie sie sich gibt. Sie ist vielmehr ein eklatanter Eingriff in die Tarifautonomie und schlägt sich dabei eindeutig auf die Seite des Kapitals. Denn sie droht der ArbeitnehmerInnenseite, bei »zu hohen« Lohnabschlüssen mit ihrer Geldpolitik Arbeitslosigkeit zu generieren. Eine Politik, so schon John Maynard Keynes, vor der »jede humane und vernünftige Person zurückschrecken« muss.21

1.3 Die Notwendigkeit einer Geldsystemreform

Die deutsche Politik ist nach Artikel 56 und 64 des Grundgesetzes verpflichtet, den »Nutzen des Volkes zu mehren« und »Schaden von ihm abzuwenden«. Es ist daher sicherlich Aufgabe der Politik, die »Finanzstabilität« zu gewährleisten. Die Politik hat sich bislang dabei weitgehend darauf beschränkt, die Bankenregulierung und die Bankenaufsicht zu »verbessern«. Es sind aber nicht regulatorische Mängel eines prinzipiell funktionsfähigen Geldsystems, die die Instabilität des Finanzsystems und die dadurch ausgelösten Wirtschaftskrisen erklären. Es ist ihr monetäres Design.

Banken benötigen für die Vergabe von Krediten von niemandem vorab Geld. Es bedarf dafür lediglich eines einfachen Buchungssatzes: »Kredit an Giroguthaben«. Da Giroguthaben formal-rechtlich eine Forderung der Kontoinhaber gegenüber ihrer Bank sind, kann man bei der Insolvenz seiner Bank daher möglicherweise seine Geldschulden nicht fristgerecht oder nicht mehr vollumfänglich begleichen – der Supergau für über das Zahlungssystem eng vernetzte und voneinander abhängige Wirtschaftsakteure. Banken werden daher weitgehend vom Haftungsprinzip freigestellt. Anders gesagt, es ist ihnen erlaubt, mit der Kreditvergabe Geld zu verdienen, aber die damit verbundenen Risiken einer Zentralbank oder dem Steuerzahler aufzubürden.

Dieses Problem von Bankengeld spricht für eine Geldreform, die auf ein staatliches Geldschöpfungsmonopol setzt. Die Einführung eines »digitalen Euros« kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Aufgrund des institutionellen Set-ups des Eurosystems sollte man sich davon allerdings kein Mehr an Demokratie versprechen, sondern vielmehr ein Mehr an Technokratur befürchten.

Es gilt daher, die Möglichkeiten einer Rückkehr zu nationalen Währungen zu prüfen. Dagegen wird eingewandt, dass in einer offenen Volkswirtschaft die Mitgliedschaft in einem Währungsverbund wie dem Europäischen Währungssystem (EWS) wünschenswert sei und ohnehin die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Kosten eines Euro-Exits so immens wären, dass sich schon der Gedanke daran verbietet.

Dann aber scheint zur Finanzierung progressiver Vorhaben eine fiskalpolitische Erweiterung des Mandats der EZB alternativlos. Dagegen spricht allerdings nicht nur die mangelnde Bindung der EZB an demokratisch legitimierte majoritäre Organe. Im Rahmen des europäischen Institutionengefüges kann die EZB die Fiskalpolitik ihrer Mitgliedsländer lediglich mit dem Ankauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt unterstützen. Sie leistet damit aber unvermeidlich einer für die Gesamtwirtschaft destabilisierenden Überfinanzierung des Finanzsektors Vorschub.

Der Staatsfinanzierung durch die EZB sind zudem durch konstitutionalisierte Schuldenbremsen enge Grenzen gesetzt und ihre Abschaffung kann als realpolitisch unmöglich gelten. Zur Finanzierung progressiver Vorhaben (wie etwa einer grünen Transformation der Wirtschaft) dürfte es daher zu Steuererhöhungen keine realistische Alternative geben. Steuerreformen sind trotzdem keine Alternative zu auf Geldsouveränität zielende Geldsystemreformen. Denn die Steuer- und Fiskalpolitik sind sich ergänzende wirtschaftspolitische Instrumente, die eine am Gemeinwohl orientierte Ressourcensteuerung und Güterverteilung einer Volkswirtschaft erst ermöglichen.

1 Vogl (2015), S. 8.

2https://european-union.europa.eu/principles-countries-history/principles-and-values/aims-and-values_de

3 Heller (1933/1992), S. 653.

4 Hayek (2005/1971), S. 13−33.

5 Röpke (1942), S. 135.

6 Steinhardt (2015), S. 211−240.

7 Schmitt (1932/1995, S. 81.

8 Slobodian (2018), S. 1−28.

9 Polanyi (1957/2001), S. 235.

10 BVerfG (2020a).

11 BVerfG (2020b)

12 Flassbeck/Spiecker (2020a).

13 Redaktion beck-aktuell (2020).

14 Schäfer (2020).

15 EZB (2020), S. 8.

16 BIS (2017).

17https://dejure.org/gesetze/AEUV/130.html

18 Ayyadi (2023).

19 Friedrich (2020).

20 Steinhardt/Roll (2023).

21 Keynes (1930/1976), Ü. d. A.

2. Geld, Wirtschaft und Demokratie

Meine Kritik der EZB beruht auf der Überzeugung, dass es ohne Geldsouveränität keine substanzielle Demokratie geben kann. Eine These, die auf wenig Zustimmung hoffen darf, da die Lehrbuchökonomik die Marktwirtschaft als einen für alle vorteilhaften Gütertausch bewertet und das liberale Demokratiekonzept dem Staat lediglich die Rolle eines ordnungspolitischen Rahmensetzers zuerkennt.

Diese liberalen Dogmen sollen in 2.1 als empirisch und normativ ungeeignet kritisiert werden. Die Wirtschaft, so meine Gegenthese, ist essenziell eine Geldwirtschaft, in deren Zentrum Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht stehen. Der Finanzsektor ist daher integraler Bestandteil einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung, der sich aber zunehmend für die Realwirtschaft als destabilisierend erwiesen hat.

In 2.2 soll gezeigt werden, warum das liberale Demokratiekonzept die Meinung stützt, eine politisch unabhängige Zentralbank werfe keine Fragen nach ihrer demokratischen Legitimität auf. Als Alternative zur »Liberalen Demokratie« wird das Konzept der »Sozialen Demokratie« vorgestellt, in deren Mittelpunkt dem Staat als Repräsentant seiner Bürger die Aufgabe zukommt, Marktmechanismen im Sinne Polanyis institutionell einzubetten.

In 2. 3 soll schließlich der Begriff der Geldsouveränität näher bestimmt werden, um daran anschließend die wirtschaftlichen Steuerungskompetenzen eines solchen Staates mit denen eines nicht-geldsouveränen Staates zu vergleichen. Daraus wird der Schluss gezogen, dass ein Staat, der nicht über das Geldschöpfungsmonopol verfügt, kapitalistische Wirkmechanismen nicht im Interesse des Demos institutionell wirksam einbetten kann.

2.1 Geld und Wirtschaft

2.1.1 Geld in der Mainstreamökonomik

Die hegemoniale »Theorie der Wirtschaft« hat Geld zu einem reinen Oberflächenphänomen erklärt, das für ein Verständnis der Funktionsweise des Kapitalismus keine bedeutsame Rolle spielt. Nach dieser Theorie ist der Kapitalismus im Kern eine Marktwirtschaft, in der Menschen Güter untereinander tauschen, um so auf ein höheres Nutzenniveau zu gelangen.

Dieses Bild widerspricht so offensichtlich der Wirtschaftswirklichkeit, dass Carl Menger – einer der Begründer einer solchen »Nutzentauschökonomik« – sich genötigt sah, eine Erklärung dafür anzubieten. So gestand er zu, Menschen würden in der Regel nicht direkt Güter tauschen, sondern dabei einen Tauschvermittler verwenden. Aufgrund der Schwierigkeiten, Tauschpartner zu finden, die über die jeweils gewünschten Güter verfügten, seien in einem langen evolutionären Prozess die »marktgängigsten Waren zu allgemein gebräuchlichen Tauschmitteln« geworden:

»[D]as ist zu Waren wurden, welche nicht nur von vielen, sondern schließlich von allen wirtschaftlichen Individuen im Austausche gegen die zu Markte gebrachten (minder absatzfähigen!) Güter, und zwar von vornherein in der Absicht angenommen wurden, dieselben weiter zu vertauschen.«22

Diese Güter (in der Vergangenheit Gold oder Silber) nenne man »Geld«. Zeichengeld, ob nun in Form von Geldscheinen oder Giroguthaben, ist nun aber keine Ware. Das wird von Mainstreamökonomen zwar zugestanden, aber behauptet, dass Geld den Nutzen von Waren »repräsentiere«. Geld ist nach diesem Verständnis so etwas wie ein Bezugsschein auf Waren. Ergo, so schon der klassische politische Ökonom John Stuart Mill:

»Es kann, kurz gesagt, in der Wirtschaft der Gesellschaft kein unbedeutenderes Ding geben als Geld […]«.23

Für Frank Hahn, der sich um die Entwicklung einer nutzenbasierten Ökonomik besonders verdient gemacht hat, ist die Aussage Mills evident wahr. Handlungsakteure seien nun einmal nur an Dingen interessiert, die für sie einen Nutzen haben. Sie entschieden sich daher niemals auf Basis monetärer Größen für oder gegen bestimmte Handlungsalternativen.24

Geld sei ein die Funktionsweise der Marktwirtschaft verhüllender Schleier. Aufgabe der Ökonomik sei es daher, so schreiben Paul Samuelson und William Nordhaus in einem der populärsten Volkswirtschaftslehrbücher, hinter den Geldschleier zu schauen. Lüfte man ihn, stießen »wir selbst bei den am höchsten entwickelten Industriegesellschaften auf Formen des Handels zwischen Einzelpersonen und Ländern, bei denen es sich letztlich um Tauschgeschäfte zwischen mehreren Beteiligten handelt«.25

Vertreter der Mainstreamökonomik bestreiten selbstverständlich nicht, dass es auf der Beobachtungsebene monetäre Tatsachen gibt. Davon aber müsse man auf der theoretischen Ebene abstrahieren. Es gelte, so erklärte beispielsweise bereits Knut Wicksell in einer einflussreichen Abhandlung Anfang des 20. Jahrhunderts, sich einen Kredit und seine Rückzahlung wie folgt vorstellen:

»Kredit ›in natura‹ als Borg, um dann Löhne. Grundrenten u. s. f. gleichfalls in natura zu zahlen und am Ende der Produktion aus seinen fertigen Erzeugnissen direkt oder nach Tausch gegen andere Güter […] die empfangenen Naturdarlehen zurückzuerstatten«.26

Dem Begründer des Monetarismus, dem US-Amerikaner Milton Friedman kann man sicherlich nicht vorwerfen, dass er Geld für ein Verständnis der Funktionsweise moderner Volkswirtschaften keine Bedeutung beigemessen hat. Aber auch er ist der Meinung, dass für eine grundsätzliche Analyse einer modernen Marktwirtschaft von Geld abgesehen werden kann.27

Der Finanzmarkt wird im Rahmen einer solchen Marktwirtschaft lediglich als ein Versicherungsinstrument für alle zukünftigen Eventualitäten verstanden, das die Realwirtschaft stabilisiert.28 Finanzmärkte gelten dabei als idealtypische Märkte. Die Finanzkrise, wie Eugene Fama mit seiner mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichneten »Kapitalmarkteffizienztheorie« bewiesen hat, hätte es daher eigentlich nicht geben dürfen.29

2.1.2 Geld im Postkeynesianismus

Grund genug, nach einer alternativen Ökonomik Ausschau zu halten, die schon auf der konzeptuellen Ebene Geld als ein essenzielles Element bei ihrer Theoriebildung berücksichtigt. Eine solche Ökonomik ist der »Postkeynesianismus«, der an die Arbeiten nicht nur von John Maynard Keynes, sondern auch von u. a. Joan Robinson, Abba Lerner, Michal Kalecki und Hyman Minsky anschließt.30

Deren Forschungsprogramm ist mit dem der Mainstreamökonomik inkommensurabel. Karl Marx hat im Kapital die differentia specifica zwischen diesen beiden Forschungsprogrammen mit den Kürzeln »W-G-W« und »G-W-G‹« auf den Punkt gebracht.31 In der Mainstreamökonomik ist Geld Mittel zum Zweck des Warentausches. Im Postkeynesianismus ist die Warenproduktion Mittel zum Zweck, aus Geld mehr Geld zu machen. Der Erwerb von Gütern im Kapitalismus erfolgt nach Meinung von Postkeynesianern also keineswegs über einen Gütertausch mithilfe eines neutralen Tauschvermittlers namens Geld (W-G-W). Vielmehr ist Geld die sine qua non einer Produktion von Gütern durch Unternehmen, die nicht tauschen, sondern Waren mithilfe von Geld produzieren und für Geld verkaufen, um damit Geldgewinne zu realisieren (G-W-G’).

Die Existenz von Unternehmen – also Betrieben, die auf monetäre Gewinne zielen – wird von der Mainstreamökonomik als Epiphänomen abgetan. Sie sind für sie keine Akteure, sondern lediglich Instrumente, um »Transaktionskosten« zu reduzieren.32 Ihre Existenz ändert nichts daran, dass Menschen wie eh und je wertmäßig äquivalente Waren tauschen, bis sich ein Nutzengleichgewicht einstellt.

Womit, so Eske Bockelmann, der »Geldwert« als das »Gleiche in unterschiedlichen Waren« behauptet wird. Eine Aussage, die den »wahren Sachverhalt schlicht auf den Kopf« stelle:

»Wert ist nicht Urgrund und Ursprung des Geldes. Wert hat umgekehrt seinen Urgrund und Ursprung im Geld«.33 »Wenn wir also heute Wert in den Waren sehen und voraussetzen, tun wir das, obwohl er nicht in ihnen liegt. Wir setzen Wert zu Unrecht in den Dingen voraus […].«34