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Als die Verlobung ihrer Kusine Elisabeth mit dem gutaussehenden Sir Rupert Wroth bekannt gegeben wird, fühlt Isabel nur Mitleid. Erstens weil Elisabeth bereits einen anderen liebt, und zwar einen weit besseren Mann, der sie mehr verdient als Sir Rupert. Und zweitens, weil die Heirat mit einem der bekanntesten Schwerenöter an Königin Viktorias Hof nur Unglück bedeuten kann. Im atemberaubendsten Roman Barbara Cartlands, kann Isabel neben Sir Rupert unter dem Brautschleier verborgen ihrer Kusine zu ihrer Liebesheirat verhelfen? Und kann sie die Rolle aufrecht erhalten, obwohl ihr Männerhass ihr bisheriges Leben erfüllt hat?
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Seitenzahl: 510
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Barbara Cartland
Barbara Cartland E-Books Ltd.
Vorliegende Ausgabe ©2021
Copyright Cartland Promotions 1985
Gestaltung M-Y Books
www.m-ybooks.co.uk
Die Queen erhob sich und reichte dem Prinzgemahl die Hand.
Sir Rupert unterdrückte ein Gähnen.
Es war ein langweiliger Abend gewesen - wie immer im Buckingham-Palast. Er fragte sich, was jemand an diesen sich endlos hinziehenden Empfängen finden konnte, und dachte, daß Ihre Majestät vielleicht der einzige Mensch war, der diese Orgie an Steifheit und Förmlichkeit wirklich genoß.
Die Königin lächelte gnädig, während sie sich anschickte, durch das Spalier der Gäste langsam und würdevoll den Thronsaal zu verlassen.
Ein Knistern von Seide, Satin, Taft und Tüll erfüllte die Luft, als die Damen in einem tiefen Hofknicks niedersanken. Orden und Ehrenzeichen blitzten im Schein zahlreicher Kerzen, als die Häupter der Herren sich respektvoll verneigten.
Nun wird es bald vorüber sein, dachte Sir Rupert und verspürte plötzlich das unwiderstehliche Verlangen, den überhitzten Raum mit seiner pompösen Gespreiztheit und der gezwungen fröhlichen Atmosphäre zu verlassen.
Aber Ihre Majestät schien keine Eile zu haben.
Sie hielt eine Weile bei Lord John Russell, dem Premierminister, dann lächelte sie Lord Grey, dem Kriegsminister huldvoll zu und wechselte mit ihm einige Worte. Der Prinzgemahl, ganz Ernst und Würde, nutzte die Zeit zu einer Bemerkung an Mr. Grenville, die dieser ohne Zweifel in seinem berühmten Tagebuch verewigen würde.
Endlich setzte sich der königliche Zug wieder in Bewegung. Sir Rupert war schon im Begriff, den Kopf zu neigen, als er zu seiner Überraschung feststellte, daß die Königin die Absicht hatte, ihn anzureden.
Er blickte auf sie nieder, und wieder stellte er mit Erstaunen fest, welch eine Aura von Würde und Autorität die kleine Person ausstrahlte. Es war unmöglich, sich dem zu entziehen und von ihr nicht beeindruckt zu sein.
An diesem Abend lächelte sie heiter, ihre Augen strahlten, und es war offensichtlich, daß sie den Empfang rundherum genossen hatte. Dabei gab es andere Gelegenheiten, bei denen dieser Mund einen harten, eigensinnigen Zug annahm und die Augen vor Zorn und Verachtung funkelten.
»Es ist nett, Sie hier zu sehen, Sir Rupert«, sagte die Königin mit ihrer klaren, wohlklingenden Stimme, die seltsamerweise einen Ton tiefer klang, als man es bei einer so zierlichen Person erwartete.
»Danke, Ma'am«, murmelte Sir Rupert.
»Aber beim nächsten Mal«, fuhr die Königin fort, »würden wir uns freuen, an Ihrer Seite - Ihre Gemahlin begrüßen ... zu können.«
Eine Erwiderung hierauf blieb Sir Rupert schuldig.
Seine Verblüffung war zu groß. Einen Augenblick lang glaubte er, nicht richtig gehört zu haben. Dann - noch bevor er sich durch ein Neigen seines Kopfes für die fragwürdige Ehre, die ihm zuteil geworden war, zu bedanken vermochte - war Ihre Majestät bereits weitergegangen. Die Woge der zu Boden sinkenden Damen und sich verneigenden Herren bewegte sich weiter auf die doppelflügelige Eichentür zu.
Sir Rupert stand wie erstarrt.
Einen Moment lang hatte er tatsächlich das Gefühl, als wäre sein Hirn gelähmt, als wäre er außerstande, die Tragweite des Gesagten auch nur annähernd zu begreifen.
Dann öffneten die rotlivrierten, goldbetreßten Lakaien die Flügel der großen Saaltür, und der königliche Zug mit den diensttuenden Würdenträgern, Kammerherren und Hofdamen verschwand aus Sir Ruperts Blickfeld. Lautes Stimmengewirr brandete auf, und der Schock, der ihn befallen hatte, begann zu weichen.
Der Lärm im Saal schien Orkanstärke anzunehmen, die Versammlung gab die Zurückhaltung auf, deren sie sich drei lange Stunden über befleißigt hatte. Sir Rupert wußte plötzlich, daß er gehen mußte, wenn er es vermeiden wollte, von den Umstehenden mit Fragen bedrängt werden.
Es würde eine Sache von Sekunden sein, bevor sich jemand auf ihn stürzte und wissen wollte, was die Queen mit ihrer Bemerkung wohl gemeint hatte.
War er etwa schon verlobt?
Hatte er Heiratspläne?
Durfte man erfahren, wer die Erwählte war?
Solche und ähnliche Fragen würde man ihm stellen, und er verspürte nicht den geringsten Wunsch, darauf zu antworten.
Abrupt wandte sich Sir Rupert zum Gehen, und der Ausdruck auf seinem Gesicht ließ einige bereits eilfertig Näherkommende erschreckt stehen bleiben.
Mit schnellen Schritten verließ er den Thronsaal, durchquerte den grünen Salon, in dem die Erfrischungen gereicht wurden, und stieg die von Leibgardisten bewachte, mit einem roten Läufer ausgelegte Treppe hinunter.
Sein Name wurde gerufen, eine Hand berührte seinen Arm, einer seiner Freunde versuchte ihn zurückzuhalten, doch Sir Rupert reagierte auf nichts. In ihm war nur das Bestreben, diesem Gebäude zu entfliehen und endlich die kühle Nachtluft zu atmen, nach der er sich schon seit Stunden gesehnt hatte, die seit wenigen Minuten jedoch eine lebenswichtige Bedeutung für ihn erlangt hatte.
Draußen vor dem Palast schickte er seine Kutsche nach Hause und schritt an der berittenen Ehrengarde vorbei durch das Tor des Palasthofes.
Er hatte keinen Blick für die vor dem Tor wartende Menschenmenge, die seit Stunden geduldig ausharrte, um der Abfahrt der königlichen Gäste zuzuschauen.
Geistesabwesend bog er in die Mall ein.it seiner Hofkleidung mit Kniehosen, Seidenstrümpfen, und purpurbesetztem Umhang bot der hochgewachsene, schwarzhaarige Mann einen imponierenden Eindruck. Doch war es nicht nur seine Kleidung, die die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zog. Es war der zynische Ausdruck auf seinem scharfgeschnittenen Gesicht, die Kälte in den durchdringend blickenden Augen, die Verachtung und Anmaßung, die seine ganze Erscheinung ausstrahlte.
Kein Wunder, daß zwei junge Frauen, die auf der Mall seinen Weg kreuzten, sich gegenseitig anstießen und die eine zur anderen sagte: »Mit so einem Mannsbild möchte ich mal ins Bett steigen! Das ist wenigstens ein Kerl! Im Moment allerdings werd' ich 'nen weiten Bogen um ihn machen., Sieht verdammt danach aus, als sei Seiner Lordschaft 'ne Laus über die Leber gekrochen. Selbst den Teufel könnte ich mir nicht erschreckender vorstellen.«
Sie hatte nicht ganz unrecht mit ihrer Bemerkung, denn Sir Rupert war noch nie so wütend gewesen.
Diejenigen im Thronsaal, die in seiner Nähe gestanden hatten, mochten sich fragen, was die Königin mit ihren Worten hatte sagen wollen, er fragte sich das nicht.
Er wußte es.
Ihre Majestät hatte ihm soeben eine Warnung und gleichzeitig einen Befehl zukommen lassen.
Wie ein Blitz aus heiterem Himmel war das geschehen. Er hatte nie damit gerechnet, war der Meinung gewesen, sich aufs Beste gegen eine derartige Überraschung abgesichert zu haben.
Doch er hatte sich geirrt. Es war ja auch absurd gewesen, zu glauben, daß sich niemand für sein Privatleben interessierte.
Er hätte wissen müssen, daß die Spione und Spitzel des Hofes überall waren. Es gab wenige Dinge im Leben der Londoner Gesellschaft, über die die Königin nicht Bescheid wußte.
Er hatte sich wie ein Dummkopf benommen, hatte sich für clever gehalten und sich eingebildet, er könnte alle an der Nase herumführen und niemand würde ihm auf die Schliche kommen.
Narr, der er war, zu glauben, seine Liebesaffäre mit Clementine würde unbemerkt bleiben und dem Hof nicht zu Ohren kommen.
Er fragte sich, wie lange die Königin wohl schon davon wußte. Zwei Monate, drei oder gar sechs?
Nein, sechs Monate konnte sie noch nicht davon wissen, denn im Januar erst hatte das Gespräch mit Lord John Russell stattgefunden, in dem der Premierminister ihm erklärt hatte, man werde ihm das Amt des Außenministers antragen, sobald Lord Palmerston von seinem Posten zurückgetreten sei.
Sir Rupert Wroth war überwältigt gewesen von dieser Nachricht.
Schon seit Jahren arbeitete er auf dieses Ziel hin, aber nicht einmal im Traum hatte er eine so rasche Verwirklichung seiner hochfliegenden Pläne für möglich gehalten. Nicht einmal nach den phänomenalen politischen Erfolgen, auf die er trotz seiner Jugend zweifellos zurückblicken konnte.
Von dem Augenblick an, da er Mitglied des Parlaments geworden war, hatte er im Licht des öffentlichen Interesses gestanden - zunächst als Hinterbänkler und später als Unterstaatssekretär.
Er war siebenundzwanzig gewesen, als man ihn mit dem Auftrag in die Kolonien schickte, dort die Regierung Ihrer Majestät zu vertreten.
Der Außenminister war über Nacht erkrankt, und außer Sir Rupert Wroth hatte es niemanden gegeben, der dessen Platz hätte einnehmen können.
Eine einmalige Chance für den jungen Politiker, seine Fähigkeiten demonstrativ unter Beweis zu stellen.
Und Sir Rupert hatte diese Chance genutzt, hatte das Vertrauen, das seine Freunde in ihn setzten, voll und ganz gerechtfertigt.
Die Reise war ein triumphaler Erfolg gewesen - so triumphal, daß Ihre Majestät ihn nach seiner Rückkehr in den Ritterstand erhoben hatte.
Von da an galt er als der vielversprechendste junge Politiker im Unterhaus.
Das diplomatische Geschick, das er bei seiner Mission bewiesen hatte, wurde nicht vergessen! Im Gegenteil, der Premierminister betraute ihn immer wieder mit schwierigen Sonderaufträgen, die Sir Rupert alle mit Bravour ausführte.
Und dann - das Jahr 1850 hatte sich gerade mit den gewohnten internationalen Zwischenfällen, einer Kriegsdrohung und Dutzenden von diplomatischen Krisen eingeführt - schickte Lord John Russell nach ihm und setzte ihn von einem entscheidenden Plan in Kenntnis: Er sei entschlossen, eröffnete der Premierminister dem fassungslos lauschenden Unterstaatssekretär, Lord Palmerston seines Amtes zu entheben. Die Königin, die schon seit längerer Zeit nicht gut auf den Außenminister zu sprechen sei und seine Amtsführung wiederholt kritisiert habe, müsse endlich zufriedengestellt werden.
»Ich habe Lord Palmerston des Öfteren deutlich gemacht, daß ich das Mißbehagen der Königin an seinem Verhalten teile«, sagte der Premier. »Aber der Mann stört sich nicht daran.«
Er fuhr fort, von den Schwierigkeiten in der Außenpolitik zu sprechen, von der angespannten Lage in Europa, der heiklen Position, in der die britische Regierung sich befand.
Sir Rupert hörte aufmerksam zu. Seine Hoffnung wuchs, er glaubte das angestrebte Ziel in greifbarer Nähe.
Doch seine Hoffnung, Lord Palmerston würde zurücktreten, sollte einen schweren Rückschlag erleiden.
Die geplante Absetzung Lord Palmerstons schlug fehl. Schuld daran waren einmal die verschärften Angriffe der Opposition gegen die Außenpolitik der Regierung und zum anderen die Rechtfertigung derselben durch den Angegriffenen selbst. Lord Palmerston verteidigte seine Politik nämlich derart überzeugend, daß er großes Lob in der Öffentlichkeit erntete. Seine Popularität nahm zu, das Echo auf seine Reden im Parlament war so positiv, daß an seiner Stellung nicht mehr zu rütteln war.
Sir Rupert mußte sich also auf eine längere Wartezeit einrichten, was er auch mit der ihm eigenen Geduld und Gelassenheit tat.
Er wartete - und versuchte sich die Wartezeit damit zu verkürzen, daß er sich mit den Damen amüsierte - oder genauer gesagt, daß er ihnen gestattete, sich mit ihm zu amüsieren.
Seine Liebesabenteuer waren seit langem zum Tagesgespräch in London und zum Gegenstand mannigfacher Spekulationen geworden. Sich ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt mit Lady Clementine Talmadge abzugeben, war - wie sich jetzt herausstellte - ein verhängnisvoller Fehler gewesen.
Lady Clementine war eine bekannte Schönheit und stand als solche im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Außerdem besaß sie den Ruf, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, was ihr die Mißbilligung der puritanischen und leicht zu schockierenden jungen Königin eintrug.
Lady Clementine hatte den Sommer auf dem Land verbracht, und Sir Rupert war es schleierhaft, wie das, was im ländlich-abgelegenen Norden zwischen ihr und ihm geschah, so rasch nach London oder Windsor gelangen konnte. Offensichtlich hatte er - vielleicht zum ersten Mal im Leben - sowohl seine Feinde als auch seine Freunde unterschätzt ...
Während er nun Richtung St. James's Street ging, spürte er, daß sein Zorn langsam verebbte und nüchternen Überlegungen Platz machte. Er war sich bewußt, daß die Äußerung der Königin sich längst bei sämtlichen auf dem Empfang anwesenden Gästen herumgesprochen hatte.
Eine Tatsache, die einen Rattenschwanz von Mutmaßungen, Spekulationen und Gerüchten nach sich ziehen mußte. Man würde über eine heimliche Verlobung oder gar Heirat tuscheln. Das Rätselraten um die Auserwählte begann, das Forschen nach den Gründen für die vermeintliche Heimlichtuerei. Je weniger die Leute wußten, um so mehr würde ihre Phantasie ins Kraut schießen und sich von dem entfernen, was die Königin ihm klar und unmißverständlich zu verstehen gegeben hatte.
Ihre Majestät wünschte, daß er auf der Stelle Ordnung in sein Privatleben brachte. Andernfalls war der Traum, als Nachfolger Lord Palmerston das Amt des Außenministers zu übernehmen, ausgeträumt. Er war also gezwungen, seine Affäre mit Lady Clementine zu vergessen - und bereits bei seinem nächsten Besuch bei Hof in Begleitung einer Braut zu erscheinen, die von der Gesellschaft akzeptiert wurde, die würdig war, die Gemahlin des zukünftigen Außenministers Ihrer Majestät zu werden.
Die Unverschämtheit eines solchen Ansinnens nahm ihm regelrecht den Atem. Und doch konnte er nicht umhin, tief in seinem Inneren die selbstverständliche Direktheit zu bewundern, mit der die Königin stets auf ihr Ziel zusteuerte. Tatsächlich gab es selten irgendwelche Zweifel über das, was ihre Majestät von den Leuten erwartete, die sie auf eine so lapidare und unverblümte Art und Weise ansprach.
Oft genug war er in schallendes Lachen ausgebrochen, wenn er davon hörte, daß sie wieder einmal mit wenigen Worten und nur mit der Kraft ihres Willens einen ihrer Gegner in die Schranken verwiesen oder seine Pläne durchkreuzt hatte. Jetzt allerdings, da er selbst das Objekt des königlichen Durchsetzungsvermögens geworden war, fand er das Ganze keineswegs mehr ergötzlich.
Sir Rupert verhielt den Schritt. Er schaute auf, um festzustellen, wo er sich befand. Er stand vor dem Eingang von White's und hatte bereits den Fuß auf die erste Stufe der Treppe gesetzt, als gedämpftes Gelächter an sein Ohr drang. Er hatte keine Ahnung, worüber die Clubmitglieder sich amüsierten, vermochte jedoch nicht auszuschließen, daß er selbst der Anlaß zu ihrer wiehernden Heiterkeit war.
Hastig zog er seine Uhr aus der Tasche. Es war kurz vor zehn. Zu früh, um schon zu Bett zu gehen.
Ganz plötzlich wußte er, was er zu tun hatte. Er mußte zu Clementine und sie von dem Vorgefallenen unterrichten. Unausdenkbar, wenn sie von jemand anderem über seine Begegnung mit der Königin erfuhr!
Die Talmadges weilten im Augenblick auf dem Land, wo sie sich bereits den ganzen Sommer über aufhielten. Ungeduldig wandte Sir Rupert der Eingangstür des Clubs den Rücken. Er hatte London satt, und würde ebenfalls aufs Land fahren. Mit schnellen Schritten überquerte er den Piccadilly und ging zum Berkeley Square hinunter. Unterwegs wurde er mehrmals von Bettlern angesprochen; und Frauen, die dem ältesten Gewerbe der Welt nachgingen, versuchten seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Aber er hörte und sah nichts. In seinem Hirn arbeitete es. Mit dem glasklaren, präzis arbeitenden Intellekt, den alle kannten, die mit ihm im Unterhaus zu tun hatten, entwarf er seine Pläne.
Es stand für ihn fest, daß er vorsichtig sein mußte nach dem, was an diesem Abend im Palast geschehen war. Wenn er bei der Kontaktaufnahme mit Clementine auch nur den kleinsten Fehler machte, spielte er denen in die Hände, die mit einem solchen Schritt rechneten und nichts Eiligeres zu tun haben würden, als es der Königin zu melden.
Zum Glück hatte er sich nur äußerst selten im Haus der Talmadges sehen gelassen. Er und Lady Clementine trafen sich heimlich und - wie sie bisher geglaubt hatten - völlig unerkannt in London oder in den Wäldern rings um Wroth. Doch wie sich jetzt herausgestellt hatte, waren sie viel zu sorglos und leichtsinnig vorgegangen. Und vor allem - in der Zukunft konnten sie nicht umsichtig und vorsichtig genug sein.
Sir Rupert entschied, daß er zunächst nach Wroth fahren würde. Damit konnte er nichts falsch machen, auch dann nicht, wenn man berücksichtigte, daß der Besitz der Talmadges an den seinen angrenzte. Dort angekommen, mußte er versuchen, ein unauffälliges Treffen mit Clementine zu arrangieren.
Wenn er London noch in dieser Nacht verließ, würde er zum Frühstück auf Wroth sein. Dann konnte man weitersehen.
Er betrat sein Haus am Berkeley Square, reichte dem Butler Umhang und Hut und begann mit ruhiger und beherrschter Stimme seine Anweisungen zu geben.
»Von einem alten Freund der Familie, der ebenfalls auf dem Empfang war, hörte ich, daß es meiner Großmutter gar nicht gut geht«, fügte er dann hinzu. »Ich nehme an, sie wird verboten haben, mich von ihrem schlechten Gesundheitszustand zu unterrichten. Sie glaubt bestimmt, meine Aufgaben im Parlament ließen mir keine Zeit zu einem Krankenbesuch. Aber ich werde natürlich unverzüglich nach Wroth aufbrechen.«
»Sehr wohl, Sir Ruprecht«, erwiderte der Butler. »Darf ich der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß es sich bei der Nachricht um einen falschen Alarm handelt und Sie Ihre Ladyschaft bei bester Gesundheit antreffen werden.«
»Gebe Gott, daß Sie recht haben«, sagte Sir Rupert und ging in die Bibliothek.
Die Ausrede dürfte einigermaßen brauchbar sein, dachte er auf dem Weg dorthin.
Sie war die einzige Möglichkeit, den lästigen Fragen fürs Erste einmal den Mund zu stopfen, denn gewiß würden morgen früh alle sein Stadthaus stürmen und wissen wollen, wohin er gefahren sei.
Sir Rupert ging auf einen Tisch zu, der zwischen zwei Fenstern stand und auf dem eine Reihe von Flaschen aufgebaut waren. Geistesabwesend goß er sich ein Glas Wein ein. Er hatte das Gefühl, etwas trinken zu müssen, doch als er das Glas an die Lippen setzte, stellte er fest, daß er eigentlich gar nicht durstig war. Seine Probleme nahmen ihn zu stark in Anspruch.
Immer wieder kreisten seine Gedanken um die Frage, wie er jetzt auf die Schnelle ein passendes Mädchen finden sollte, das er heiraten konnte. Und wo sollte er sie finden? Er kannte viele schöne Frauen, aber nicht eine einzige befand sich darunter, die im heiratsfähigen Alter war und sich vor allein für eine Heirat eignete.
Er seufzte und setzte das Weinglas nieder.
Vielleicht wußte Clementine Rat.
Vielleicht konnte sie ihm behilflich sein, eine Frau zu finden. Denn so albern würde sie ja wohl nicht sein, ihm eine Eifersuchtsszene zu machen und von ihm zu verlangen, die Weisung oder - noch genauer - den Befehl der Königin in den Wind zu schlagen. Nein, das konnte er sich eigentlich nicht vorstellen.
Clementine war eine vernünftige Frau. Sie wußte so gut wie er, was für ihn auf dem Spiel stand: der Posten des Außenministers mit noch nicht ganz dreiunddreißig Jahren. Eine beinahe einmalige Karriere. Suchte man eine Parallele, fand man nur den Fall des jungen Pitt, der mit dreiundzwanzig zum Finanzminister aufgestiegen war.
Gedankenverloren füllte Sir Rupert noch einmal das Glas, leerte es in einem Zug und wandte sich zum Gehen. Dabei fiel sein Blick auf einen Stapel von Einladungen, die auf dem Kaminsims unter dem großen Chippendalespiegel lagen. Die zuoberst liegende Karte erregte seine Aufmerksamkeit.
»Earl und Komteß von Cardon«, las er halblaut. »Am 6. Juli, drei Uhr nachmittags, auf Rowanfield Manor, Rowan.«
Einige Augenblicke lang starrte Sir Rupert auf die weiße Karte.
Dann murmelte er: »Morgen um drei - und Clementine ist ganz sicher auch dort.«
Ja, es bestand kein Zweifel. Lady Clementine Talmadge würde der Einladung genauso Folge leisten wie alle anderen Honoratioren der Grafschaft, und es würde ein Leichtes sein, sich mit ihr in aller Öffentlichkeit und wie zufällig zu treffen.
Sir Rupert drehte sich noch einmal zum Kamin um, dann verließ er mit der Einladung in der Hand die Bibliothek.
In der Auffahrt von Rowanfield Manor drängten sich Wagen jeder Größe, Bauart und Ausführung. Und die Pferde, von denen sie gezogen wurden, übertrafen sich gegenseitig an Schönheit und Rasse. Unruhig schüttelten sie die kunstvoll gekämmten Mähnen; und das auf Hochglanz polierte, mit Silberknöpfen und -schnallen verzierte Zaumzeug klirrte leise, wenn sie sich in Bewegung setzten und zu dem Säulenvorbau des roten Backsteingebäudes vorzogen, wo zahlreiche livrierte Lakaien mit gepuderten Perücken die Gäste in Empfang nahmen.
Isabel Gray starrte aus dem lehmbespritzten Fenster der Hackney-Kutsche, die sie am Bahnhof gemietet hatte. Sie seufzte leise beim Anblick der anderen Fahrzeuge und lehnte sich mit einem Ausdruck der Bestürzung auf dem schönen Gesicht in das Polster der alten, nach Staub und Moder riechenden Mietkutsche zurück.
Sie hatte vergessen, daß dies der Tag der Gartenparty war. Aber warum auch sollte sie daran gedacht haben! Sie hatte nie den Wunsch verspürt, daran teilzunehmen. Nun war sie sich darüber im Klaren, daß sie keinen ungeeigneteren Zeitpunkt für ihre Rückkehr nach Rowanfield Manor hätte wählen können als diesen.
Am Abend würden alle müde und gereizt sein. Ihre Rückkehr, unangemeldet und unerwartet, wäre an keinem Tag auf Begeisterung gestoßen, aber am heutigen Tag kam sie einer Katastrophe gleich.
Einem Impuls nachgebend streckte sie die Hand aus und öffnete das kleine Schiebefenster zwischen sich und dem Kutscher.
»Cabby!« rief Sie. »Cabby, setzen Sie mich bitte an der Hintertür ab!«
Der Kutscher legte die Hand mit den gichtgekrümmten Fingern ans Ohr.
»Die Hintertür haben Sie gesagt? Geht in Ordnung, Miss.«
Isabel ließ sich auf den Sitz zurücksinken. Ihr Blick fiel auf ein elegantes Gefährt mit gelben und schwarzen Rädern, das an ihnen vorbeifuhr. Es wurde von einem jungen Gentleman mit einem mächtigen, wohlgekrausten Backenbart gelenkt, der als einer der begehrtesten Junggesellen der Grafschaft galt.
»Tut mir leid, aber ich mußte zurückkommen! Ich hatte einfach keine andere Wahl!«
Sie stieß diese Worte wild und voller Trotz hervor, und als genügte schon der Klang ihrer Stimme, um ihr das nötige Selbstvertrauen wiederzugeben, hob sich ihr Kinn, und Bestürzung und Niedergeschlagenheit wichen dem eher zu ihr passenden Ausdruck des Trotzes. Dennoch fröstelte sie leicht, und tief in ihrem Inneren blieb das Gefühl der Angst.
Ihre Tante war sehr böse gewesen, als Isabel das letzte Mal nach Hause zurückgekommen war, doch die Tante fürchtete das junge Mädchen nicht. Derjenige, den sie fürchtete, war ihr Onkel.
Es war schrecklich, wenn er mit seiner dröhnenden Stimme zu toben begann, sie anschrie und eine Erklärung für ihr unverständliches Verhalten forderte. Es war schrecklich, wenn er im Tonfall eines Inquisitors seine Fragen stellte, ihre Antworten zerpflückte und ihre Ängste verhöhnte.
Wie oft schon hatte er ihr klargemacht, sie müsse es lernen, auf eigenen Beinen zu stehen und sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Und je einfallsreicher und schlauer sie dabei vorgehe, um so besser sei es.
Mein Gott, wie sie diese Ratschläge haßte, wie sie vor seinen Wutausbrüchen zitterte. Am schlimmsten aber war sein Hohn, sein diabolisches Lachen, wenn er sich über ihre Anstrengungen lustig machte, ihre Unschuld zu bewahren.
Sie erinnerte sich an ihre letzte Rückkehr, als sie gezwungen gewesen war, ihm zu erklären, weshalb sie die Stellung als Gouvernante bei den beiden Kindern eines vierzigjährigen Witwers aufgegeben hatte.
Jede Einzelheit der unsittlichen Belästigungen, denen sie ausgesetzt gewesen war, hatte sie ihrem Onkel schildern müssen. Und wenn sie beschämt und voller Abscheu geschwiegen hatte, weil manches einfach nicht über ihre Lippen kommen wollte, hatte er sie schallend ausgelacht und erklärt, daß sie mal wieder aus einer Mücke einen Elefanten machte und daß die meisten der Dinge, über die sie sich so entsetzte, nur die Ausgeburten ihres eigenen liebeskranken Gemütes wären.
Und dieses Mal würde es noch schlimmer kommen, denn obwohl sie sich vorgenommen hatte, nur das Notwendigste zu erzählen, wußte sie, daß sie ihren Vorsatz nicht würde halten können, wenn es soweit war, daß sie vor ihm stand.
Ihr Onkel war von einer brutalen Rücksichtslosigkeit. Er zwang jedem seinen Willen auf und er hatte eine perverse Freude daran, die Menschen und vor allem sie, Isabel, zu erniedrigen. Er haßte sie von dem Zeitpunkt an, da sie alt genug gewesen war, sich seinen sehr unväterlichen Zärtlichkeiten und Küssen zu entziehen, mit denen er sie jeden Abend vor dem Schlafengehen bedacht hatte. Er haßte sie, seitdem sie an einem regnerischen Samstag Nachmittag schluchzend aus seiner Bibliothek fortgelaufen war. Und er haßte sie, seitdem sie dem Alter entwachsen war, da er sie noch übers Knie legen konnte - woran er stets ein unmenschliches Vergnügen gehabt hatte.
Doch er war ihr Onkel, ihr Vormund und einziger Verwandter. Oft fragte sie sich, ob es nicht besser gewesen sei, die Belästigungen der Männer zu ertragen, in deren Häusern sie eine Anstellung als Gouvernante gefunden hatte, als nach Rowanfield Manor zurückzukehren, um unter dem Dach ihres Onkels beinahe noch Schlimmeres erdulden zu müssen...
Das letzte Mal, als sie von Rowanfield Manor geflüchtet war, hatte sie geschworen, in der nächsten Stellung auszuharren, was immer auch dort auf sie zukommen würde. Aber da war sie wieder - nur drei Monate hatte sie es diesmal ausgehalten.
Es war ihr unmöglich gewesen - absolut unmöglich - mit dem Marquis von Droxburgh noch länger im selben Haus zu leben. Noch immer sah sie die grausamen Augen, mit denen er sie voller Begierde anstarrte. Sie sah seine Hände, die nach ihr griffen, seine Zungenspitze, die lüstern über die dünnen Lippen fuhr. Nie zuvor war sie einem so teuflischen Menschen begegnet, und die drei Monate, die hinter ihr lagen, waren die Hölle gewesen.
Wochenlang hatte sie nicht mehr geschlafen, aus Angst, er könne sie in ihrem Zimmer überfallen. Und tagsüber, während sie sich im Unterrichtsraum aufhielt, hatte sie voller Furcht auf das Geräusch seiner Schritte draußen im Gang gelauscht.
Es war entsetzlich gewesen, und sie hatte von einer Sekunde auf die andere den Entschluß gefaßt, zu gehen. Lieber noch ertrug sie Onkel Herberts Wutausbrüche. Eher noch gestand sie sich ihre Niederlage ein, als im Haus des Marquis einen Nervenzusammenbruch zu erleiden.
Ein anderer Wagen fuhr an ihrem Kutschenfenster vorbei. Diesmal war es ein offener Viktoria.
Isabel erhaschte den flüchtigen Blick auf ein hübsches Gesicht, das von einem mit Rosen geschmückten Hut umrahmt und von einem Sonnenschirm, ebenfalls mit Rosenblüten dekoriert, beschattet wurde. Das Mädchen befand sich in Begleitung eines Gentleman mit Zylinder, der am Rockaufschlag eine Nelke trug.
Das Paar wirkte sehr elegant und romantisch, und nachdem der Wagen aus Isabels Blickfeld entschwunden war, schaute sie unwillkürlich prüfend an sich hinunter. Ihr Kleid war zerknittert und staubig von der Bahnfahrt. Seit dem frühen Morgen war sie bereits unterwegs; und sie wußte, daß Gesicht und Haar mit einer feinen Rußschicht bedeckt waren und sie einen ziemlich derangierten Eindruck machte.
Ungeduldig strich sie ihr Kleid glatt und stellte fest, daß sie wenig tun konnte, um ihr Aussehen zu verbessern.
Das Kleid, das sie trug, war nicht nur in Mitleidenschaft gezogen durch die Reise, es war außerdem auch abgetragen, fadenscheinig und völlig aus der Mode. Es war von einem grellen Blau, das ihr - wie sie wußte - überhaupt nicht zu Gesicht stand. Aber es blieb ihr nichts anderes übrig, als es zu tragen. Sie konnte sich keine Kleider kaufen und war auf die Garderobe angewiesen, die ihre Kusine Elisabeth ablegte.
Lady Elisabeth Graye jedoch war blond und blauäugig, und ihr standen die himmelblauen und pinkfarbenen Töne vorzüglich.
Zum Glück hatten die beiden Kusinen die gleiche Größe, doch damit endete ihre Ähnlichkeit auch schon! Isabel hatte das flammende rote Haar und die geheimnisvollen grünen Augen ihrer Mutter, die eine viel bewunderte und gefeierte Schönheit gewesen war. Und diese ungewöhnliche Kombination in Verbindung mit einer magnolienweißen Haut war es gewesen, die den jüngeren, mittellosen Bruder des Earl von Cardon so bezaubert hatte, daß er Isabels Mutter, eine Sängerin, noch während seines Studiums in Oxford geheiratet hatte.
Daß die beiden glücklich miteinander geworden waren, hatte den Unwillen und die Entrüstung der Familie nicht mildern können. Und als der jüngere Cardon elf Jahre später mit seiner schönen Frau bei einem Schiffsunglück vor der Küste von Devon ertrank, gab es niemanden in der Familie, der nicht schon immer gewußt hatte, daß es mit den beiden einmal ein böses Ende nehmen würde.
Isabel war nach Rowanfield Manor gebracht worden, um dort zusammen mit ihrer Kusine Elisabeth aufgezogen zu werden. Die beiden Mädchen waren gleichaltrig, und für jedes von ihnen bedeutete die Gesellschaft des anderen eigentlich ein großes Glück. Aber wie Isabel später erfuhr, hatte Lord Cardon seinen jüngeren Bruder bis aufs Blut gehaßt, und alles, was ihn an den anderen erinnerte, bereitete ihm unerträgliche Qualen.
Vielleicht war er eifersüchtig auf dessen unbeschwerte Fröhlichkeit gewesen, vielleicht aber lagen die Ursachen dafür auch tiefer, waren begründet in einem Vorfall, der nur den beiden Brüdern bekannt gewesen war. Isabel sollte den Grund nie genau erfahren. Allerdings erhärtete sich in ihr, je älter sie wurde, immer mehr der Verdacht, daß ihr Onkel von ihrer Mutter einmal zurückgewiesen worden war und daß er sich dafür nun an ihr, Isabel, zu rächen versuchte.
Es war eine fast unerträgliche Last, die das Schicksal dem elternlosen jungen Mädchen auf die Schultern legte, denn von dem Tag an, da sie nach Rowanfield Manor kam, wurde sie das Gefühl nicht los, sich ständig dafür entschuldigen zu müssen, daß sie überhaupt auf der Welt war.
Alles was sie tat, wurde kritisiert. Nie konnte sie es dem Onkel und der Tante recht machen. Doch mit den Jahren, als sie älter wurde und zur Frau heranreifte, veränderte sich das Verhalten des Onkels ihr gegenüber auf eine erschreckende Art und Weise. Entsetzt wich sie vor ihm zurück, ging ihm aus dem Weg, wo sie nur konnte, und forderte dadurch seinen Haß nur noch mehr heraus.
Für jede Kleinigkeit strafte er sie maßlos. Nur voller Scham und Abscheu erinnerte sie sich an die häufigen Schläge, die sie von ihm erhielt, wobei die seelische Erniedrigung noch unerträglicher für sie gewesen war als der körperliche Schmerz, den sie verspürt hatte.
Die Mietkutsche hielt vor der Hintertür. Niemand war zu sehen, und Isabel wußte, daß die Diener vor dem Haus zu tun hatten. Lord Cardon hielt den Personalbestand bewußt knapp, und an Tagen wie diesen erwartete er in seiner Knauserigkeit, daß jeder der Angestellten für zwei arbeitete.
»Wenn Sie so freundlich wären, mir den Koffer vor die Tür zu stellen«, sagte Isabel zu dem Kutscher. »Ich werde ihn dann später ins Haus bringen lassen.«
Unter Ächzen und Stöhnen hob der Mann das Gepäckstück vom Wagen und setzte es auf dem Kopfsteinpflaster des Hofes ab. Der Koffer hatte kein großes Gewicht, aber der Kutscher war schon älter, und als er sich aufrichtete, wischte er sich den Schweiß von der Stirn.
Impulsiv fügte Isabel ihr letztes Sixpencestück dem Betrag hinzu, den sie bereits abgezählt in der Hand hielt. Argwöhnisch schaute der Mann auf die Münzen, dann sah er, daß das Mädchen nicht kleinlich gewesen war, und er berührte mit dem Zeigefinger den Mützenschirm.
»Danke, Miss, danke bestens!«,
Er kletterte wieder auf den Kutschbock, gab dem müden Gaul die Peitsche und fuhr davon.
Isabel blickte ihm nach. Sie zögerte den Augenblick, da sie das Haus betreten mußte, noch ein wenig hinaus. Erst als das Gefährt fast außer Sicht war, gab sie sich einen Ruck und öffnete die Tür...
Kein Mensch war zu sehen, aber aus dem Garten drangen gedämpftes Stimmengewirr und die Klänge einer Streich Kapelle an ihr Ohr. Rasch lief sie zur Hintertreppe, und wenige Minuten später war sie im zweiten Stock. Sie eilte zu dem Schlafraum, den sie zusammen mit ihrer Kusine Elisabeth bewohnt hatte.
Das Zimmer war leer, doch überall auf Bett und Ankleidetisch lagen Elisabeths Sachen herum. Das Musselinkleid, das sie an diesem Morgen getragen haben mußte, die Strümpfe, ihr spitzenbesetzter Petticoat, ihre Haarbürsten, ein benutztes Taschentuch, Handschuhe und eine blaue Leinenschürze bildeten eine heillose Unordnung. Elisabeth schien mit dem Umkleiden bis zum letzten Augenblick gewartet zu haben, und ihre Zofe war scheinbar nicht mehr zum Aufräumen gekommen, da dringendere Aufgaben auf sie warteten.
Eigentlich paßten Unordnung und Unpünktlichkeit nicht zu Elisabeth. Isabel runzelte die Stirn, hob ein Samtband vom Boden auf und wickelte es um den Finger, um es zu glätten. Dabei fiel ihr Blick in den Spiegel über dem Ankleidetisch. Isabel verzog das Gesicht und streckte ihrem Spiegelbild die Zunge heraus. Sie hatte nicht die geringste Vorstellung davon gehabt, wie verschmutzt sie wirklich war.
In der Eisenbahn hatte sie sich nur den billigsten Platz in einem offenen Wagen leisten können. Der Rauch, der aus dem Schornstein der Lokomotive drang, war gräßlich gewesen, und der Wind hatte ihr Haar zerzaust, bis nichts mehr in ihrer Erscheinung an eine achtbare und seriöse Gouvernante erinnerte.
Isabel nahm den Hut vom Kopf. In schweren Locken fiel ihr Haar auf die Schultern hinab und umrahmte das zarte Gesicht wie mit feurigen roten Flammen. Lange, seidige Wimpern umgaben dunkel die großen grünen Augen. Aber Isabel fand sie keineswegs beeindruckend, auch die edel geschnittene Nase und den vollen, schön geschwungenen Mund schien sie nicht wahrzunehmen. Sie sah nur die Rußspuren auf ihrer weißen Haut, und die Angst ließ ihre Lippen beben, so sehr sie auch versuchte, sich zu beherrschen.
»Ich lasse mich nicht einschüchtern«, sagte sie laut, ballte die Fäuste und warf den Kopf in den Nacken. »Ich habe keine Angst, vor nichts und vor niemandem! Ich hasse die Männer - alle, ohne Ausnahme. Sie sind gemein und teuflisch. Ja, sie sind Teufel, und wenn ich es in meiner Hand hätte, ich würde sie alle für alles büßen lassen, was sie mir angetan haben.«
Einen Moment lang stand sie hoch aufgerichtet da und wie zu Stein erstarrt. Ihre Fingernägel gruben sich in das weiche Fleisch ihrer Handflächen. Sie hatte die Augen geschlossen, und ihre Zähne waren fest zusammengebissen. Dann lief sie zu dem Waschständer hinüber und tauchte das Gesicht in das frische kühle Wasser der Waschschüssel.
Sie brauchte einige Zeit, um sich frisch zu machen und umzukleiden, und als sie schließlich fertig war und sich im Spiegel betrachtete, fühlte sie sich ein wenig ruhiger und zuversichtlicher.
Das frisch gebügelte Musselinkleid ihrer Kusine paßte wie angegossen und gab ihr etwas von ihrem Selbstvertrauen zurück. Tapfer faßte sie den Entschluß, auf der Stelle nach unten zu gehen und ihrem Onkel vor allen seinen Gästen entgegenzutreten. Vielleicht überwand er so am ehesten den Schock über ihre unvermutete Rückkehr. Wenn er dann später eine Erklärung von ihr verlangte, war der erste Zorn in ihm schon verraucht.
Zielbewußt und mit festen Schritten ging sie den Korridor entlang, der zum großen Treppenhaus führte. Als sie den Treppenabsatz auf dem ersten Stock erreichte, hörte sie, wie draußen vor dem Portal eine neue Kutsche vorfuhr. Wenige Minuten danach betrat ein Mann die Halle.
Isabel war am Fuß der Treppe stehen geblieben und hatte seine Ankunft beobachtet. Der Fremde war groß und dunkel, und als er den Zylinder abnahm und Isabel das leicht gewellte, rabenschwarze Haar sah, dachte sie unwillkürlich, daß sie nie zuvor einem so gutaussehenden Mann begegnet war.
Sie sah, wie er die Halle durchquerte und dem Diener durch den Salon auf die Terrasse folgte, wo - wie sie wußte - ihr Onkel und ihre Tante die Gäste begrüßten. Als er an ihr vorbeiging, wandte er den Kopf und blickte wie beiläufig zu ihr hinüber. Auf seinen Zügen lag der Ausdruck von Zorn, Verachtung und Gleichgültigkeit. Es war nur ein kurzer Blick, den er ihr schenkte, und es lag ein Übermaß an Hochmut in seinem Gesicht, als er die Augen wieder von ihr abwandte.
Noch einer von diesen Halbgöttern, dachte Isabel, und sie wußte, daß sie diesen Mann haßte wie alle seine Geschlechtsgenossen.
Sie sind alle gleich! dachte sie, während sie langsam weiterging. Scheinheilige Pharisäer in der Öffentlichkeit und gierige Wölfe, wenn sie einer schutzlosen Frau allein gegenüberstehen.
Isabel verspürte den fast unwiderstehlichen Wunsch, jemanden zu verletzen, so wie sie selbst immer wieder von den Männern verletzt worden war. Sie fragte sich, wie es wohl sein würde, wenn sich einmal die Gelegenheit böte, einen Mann von seiner Sorte zu quälen, ihn sich zu unterwerfen und zu ihrem Sklaven zu machen.
Doch dann mußte sie lachen. Es war ein humorloses, verzweifeltes Lachen. Ein Mann war immer der Herr und Gebieter. Welche Chance hätte eine Frau schon gegenüber der angeborenen Überlegenheit und der natürlichen Vormachtstellung des sogenannten starken Geschlechts.
Ein Gefühl der Hilflosigkeit erfaßte Isabel, und sie wußte, daß sie es jetzt wohl doch nicht fertigbringen würde, vor Onkel und Tante hinzutreten. Die beiden würden glauben, einen neuen Gast zu begrüßen, würden ihr unwillkürlich die Rechte entgegenstrecken und dann erst erkennen, wer da vor ihnen stand.
Rasch durchquerte sie die Halle und öffnete die Tür des Morgenzimmers. Von diesem Raum aus gelangte man in einen Wintergarten, an dessen anderem Ende eine Tür in den Garten führte.
Niemand beachtete Isabel, als sie nach draußen schlüpfte, und durch den Blumengarten zu der Rhododendronhecke lief, die den Rasen begrenzte.
Ungesehen von den Gästen umrundete Isabel das Haus in weitem Bogen, und als sie sich schließlich umdrehte und zurückschaute, sah sie die rote Ziegelsteinfassade von Rowanfield Manor, die einen idealen Hintergrund für Lord und Lady Cardons Gäste bildete. In ihren weiten gebauschten Röcken sahen die Damen, die anmutig zwischen den Rosenbeeten einher spazierten, selbst wie große, auf dem Kopf stehende Blumen aus.
Auf der einen Hälfte des Rasens stand ein offenes Zelt, in dem die Kapelle ihren Platz hatte und die Erfrischungen angeboten wurden. Auf der anderen Hälfte war bereits ein Croquetspiel um Gange.
Isabel blieb einen Augenblick lang stehen und genoß das bunte Bild, das sich ihr bot. Dann huschte sie weiter. Ihr Ziel war ein kleines Gebäude, das direkt vor ihr lag: ein Sommerhaus, erbaut von Lord Cardons Vater, der sich - allerdings ohne jede Berechtigung - für einen großen Architekten gehalten hatte. Er war achtzehn gewesen, als er es entworfen hatte und entsprechend unausgegoren und bombastisch bot sich das Resultat dar. Eine Mischung aus japanischer Pagode und griechischem Tempel, hatte es jedoch viel von seiner ursprünglichen Häßlichkeit verloren, nachdem es mit der Zeit völlig von Geißblatt und wildem Wein überwuchert worden war.
Doch wie auch immer es aussehen mochte, für Isabel und Elisabeth war das Sommerhaus eine Quelle unendlicher Freuden gewesen, denn unter dem niedrigen Dach hatten sie einen winzigen Speicherraum entdeckt. Er war gerade hoch genug, daß die beiden Mädchen aufrecht darin sitzen konnten. Ein herrliches Versteck für sie, dessen Zugang keinem anderen bekannt war.
Hierhin hatten sie sich zurückgezogen, wenn sie vor den Erwachsenen ihre Ruhe haben wollten. Hier hatten sie sich ihre kleinen Geheimnisse anvertraut, ihre kostbarsten Schätze aufbewahrt und heimlich die Leckerbissen verspeist, die sie in der Vorratskammer gestohlen hatten oder die ihnen von der gutherzigen Köchin zugesteckt worden waren.
Isabel brauchte nur wenige Sekunden, um an der Rückseite des Sommerhauses hochzuklettern, die Luke zu dem niedrigen Speicher zu öffnen, hindurch zu kriechen und die Luke hinter sich wieder zu schließen.
Überrascht stellte sie fest, daß der kleine Raum einen unerwartet sauberen Eindruck machte. Den Puppendeckchen, Büchern und leeren Einmachgläsern mußte jemand in allerjüngster Zeit ein großes Seidenkissen hinzugefügt haben, das Isabel nie zuvor gesehen hatte.
Doch sie zerbrach sich nicht den Kopf, wie es hierher gekommen sein konnte. Sie legte es unters Fenster und ließ sich darauf nieder.
Das Fenster war eigentlich kein Fenster, sondern eine Öffnung, die Elisabeth und sie in die Holzwand gesägt hatten. Das wuchernde Geißblatt verdeckte die Freveltat, und nachdem Isabel nun einige der trichterförmigen Blüten beiseite geschoben hatte, bot sich ihr ein umfassender Blick auf den ganzen Garten.
Ein Stück entfernt sah sie ihren Onkel und ihre Tante auf der Terrasse stehen. Immer noch erschienen neue Gäste, begrüßten die Gastgeber und schritten darin die breite graue Steintreppe hinunter, um sich zu den anderen auf dem Rasen zu gesellen.
Am Rande des Spielfeldes stand Elisabeth in ihrem neuen Kleid aus pinkfarbenem Taft und unterhielt sich mit zwei jungen Gentlemen. Trotz der Entfernung konnte Isabel sehen, daß ihre Kusine sehr nervös war und ihre behandschuhten Hände unruhig mit dem Griff des Sonnenschirms spielten.
Zahlreiche Grüppchen hielten sich zwischen den Rosenbeeten auf. Der Lord Lieutenant der Grafschaft, herrisch und lauttönend, das fleischige Gesicht von der Hitze gerötet, stolzierte von Gruppe zu Gruppe und ließ sein dröhnendes Lachen hören.
Isabel sah den Vikar von Rowan im Gespräch mit dem Bischof der Diözese, dessen juwelenbesetztes Kreuz, bei jeder Bewegung der imposanten, in rote Seide gekleideten Gestalt in der Sonne funkelte.
Isabel lächelte. Es bereitete ihr eine diebische Freude, die Leute zu beobachten, ohne von ihnen gesehen zu werden, und ein Gefühl der Erleichterung erfaßte sie bei dem Gedanken, für die nächsten Stunden vor der Begegnung mit ihrem Onkel sicher zu sein.
Sie rückte sich auf dem Kissen zurecht, stützte die Ellbogen auf den Rand des »Fensters« und schmiegte das Gesicht in beide Handflächen, als sie plötzlich ein Paar sah, das sich aus der Zuschauergruppe am Rand des Spielfeldes löste und direkt auf das Sommerhaus zukam.
Die Frau erkannte Isabel sofort.
Elisabeth schwärmte für Lady Clementine Talmadge schon seit Jahren, während Isabel ihr gegenüber stets eine gewisse Abneigung verspürte und ihr so gut wie möglich aus dem Weg ging.
Lady Clementine wirkte hinreißend in der Krinoline aus blass gelbem, durchscheinendem Organdy über einem moirierten Seidenunterrock. Den breitrandigen Hut schmückten gelbe Federn und um ihre Schultern lag ein Schal aus hauchdünnem, mit feinen Goldfäden durchwirktem Flor. Dunkles Haar umgab ein ovales Gesicht mit sehr eindrucksvollen, leicht schräg gestellten Augen.
Etwas Sinnliches ging von dieser Frau aus und verlieh ihrer Erscheinung eine seltsame Faszination. Selbst Isabel spürte das, und unwillkürlich mußte sie denken, daß die Männer sich beim Anblick Lady Clementines buchstäblich herausgefordert fühlen mußten.
Es war unmöglich, die Rundungen der wohlgeformten kleinen Brüste unter dem eng geschnürten Mieder zu übersehen, und auch die Steifheit der Krinoline vermochte nicht darüber hinwegzutäuschen, daß es sich bei Lady Clementine um eine sehr lebensgierige und liebeshungrige Frau handelte.
Etwas Katzenhaftes und Ungebändigtes lag in der Art, wie sie sich bewegte, und unter der glanzvollen Oberfläche lauerte unübersehbar die nackte Sinnlichkeit. Sie war die Tochter eines Herzogs und verheiratet mit einem hochgestellten Edelmann, eine Person, die zu den angesehensten Leuten der Grafschaft zählte; dennoch war der Blick, den sie dem Mann an ihrer Seite zuwarf, gierig und von einer schamlosen Direktheit.
Isabels Aufmerksamkeit hatte bis dahin nur Lady Clementine gegolten, aber dieser sonderbare Blick, dessen Bedeutung das junge Mädchen nicht einmal ganz verstand, bewirkte, daß sie nun ihr Augenmerk auf den Begleiter Lady Clementines richtete.
Isabel zuckte zusammen, als sie in ihm den Mann erkannte, der die Halle durchquert hatte, als sie vorhin die Treppe hinunter gekommen war. Der Mann, in dessen Augen der Haß gebrannt hatte und dessen ganze Erscheinung Verachtung und Gleichgültigkeit ausströmten.
Die beiden näherten sich dem Sommerhaus, und während Isabel dem Klang der Schritte auf der hölzernen Terrasse lauschte, hörte sie Lady Clementine sagen: »Rupert, das ist ja wirklich eine Überraschung! Ich hatte keine Idee, daß ich dich heute hier sehen würde!«
»Ich bin vergangene Nacht von London abgefahren«, erwiderte Sir Rupert. »Ich mußte dich unter allen Umständen sprechen. Etwas Unvorhergesehenes ist eingetreten.«
»Um Himmels willen, Rupert, was denn?« In Lady Clementines Stimme war eine Spur von Besorgtheit. »Du siehst so verändert aus, scheinst gar nicht mehr du selbst zu sein.«
»Dazu habe ich auch allen Grund.« Sir Rupert griff nach dem Handgelenk seiner Begleiterin und hielt es fest. »Clementine, ich brauche unverzüglich eine Frau!«
Lady Clementine stieß einen unterdrückten Schrei aus.
»Rupert, was soll das heißen?«
»Es heißt das, was ich sage«, antwortete er. »Ich muß heiraten - und zwar so rasch wie möglich.«
»Aber warum? Ich begreife nicht, Rupert, um Gottes willen, so rede doch endlich!«
»Es ist ein Befehl der Königin«, sagte Sir Rupert, und seine Stimme klang verbittert. »Ihre Majestät wurde offensichtlich über unser Verhältnis informiert - jedenfalls scheint sie genauestens über uns beide Bescheid zu wissen.«
»Natürlich, Ihre Majestät wurde informiert«, wiederholte Lady Clementine. »Und... und es kommt nur eine Person dafür in Frage - meine Schwiegermutter! Sie hat uns nachspioniert. Dessen bin ich ganz sicher. Ich habe es an der Art und Weise gemerkt, wie sie mich anschaut, an den Bemerkungen, die sie in meiner Gegenwart macht. Mein Gott, wie schrecklich. Und ich glaubte, niemand hätte eine Ahnung.«
»Kann es nicht auch dein Mann gewesen sein, der...« begann Sir Rupert.
»Nein, nein, nicht Montagu. Er weiß bestimmt nichts. Der ist doch ständig betrunken. Nicht einmal wenn es sich direkt vor seiner Nase abspielte, würde er was bemerken. Aber bei meiner Schwiegermutter ist das anders. Sie hat mich schon immer gehaßt. Ständig behauptet sie, Montagu habe erst nach unserer Hochzeit mit dem Trinken angefangen.«
»Und war es so?«
»Wie soll ich das wissen?« fragte Lady Clementine trotzig. »Ich bin vorher nicht dabei gewesen.«
Sir Rupert lachte. Es war kein vergnügtes Lachen, aber immerhin ein Lachen.
»Ich freue mich, daß. ich so erheiternd für dich bin«, erklärte Lady Clementine scharf.
Sir Rupert lachte erneut.
»Nein, Clementine, meine Liebe, du bist nicht erheiternd«, sagte er, »aber zufällig reizte deine Naivität meinen Sinn für Humor. Nun schau nicht gleich so gekränkt, wenn ich dich ein wenig necke! Du bist viel zu schön, um darüber hinaus noch andere Qualitäten zu benötigen. Und am wenigsten erwartet man von dir, daß du erheiternd bist.«
»Ich wünschte, du würdest nicht so mit mir reden, Rupert«, sagte Lady Clementine. »Du weißt, ich verstehe dann nie, was du mir klarzumachen versuchst.«
»Das merke ich«, antwortete Sir Rupert. »Laß es mich dir also mit ganz einfachen Worten sagen. Du bist eine sehr schöne und sehr verführerische Person, Clementine!«
»Das ist es, was ich von dir hören wollte!« Sie lächelte. »Aber dieser Befehl der Königin, was hat, er zu bedeuten?«
»Er bedeutet, daß ich eine Frau finden muß - und zwar unverzüglich. Der Premierminister kann sich jeden Augenblick dazu entschließen, Lord Palmerston aufzufordern, seinen Abschied einzureichen. Und es gibt eine ganze Reihe von Leuten, die alles in ihren Kräften Stehende tun werden, um zu verhindern, daß ich Lord Palmerstons Platz einnehme. Sollte es also auch nur einen winzigen Grund geben, der gegen meine Ernennung zum Außenminister spricht, dann bezweifle ich, daß Lord John den Mut zu einem derart unpopulären Vorschlag haben wird.«
»Darin wirst du also heiraten müssen«, flüsterte Lady Clementine bedrückt. »Ein unerträglicher Gedanke, das kann ich dir versichern.«
»Auch ich bin von dieser Idee nicht begeistert«, gab Sir Rupert zurück. »Außerdem, wen von diesen mickrigen Fräuleins kenne ich schon. Um die Wahrheit zu sagen: Aus meiner Bekanntschaft wüßte ich nicht eine einzige, die dafür in Frage käme!«
»Das glaube ich dir gern.« Lady Clementine nickte: »Und wie sehr wird dir der heilige Ehestand auf die Nerven gehen, Rupert.«
»Nun, früher oder später hätte ich doch dran glauben müssen. So plötzlich hatte ich allerdings nicht damit gerechnet. Etwas Zeit glaubte ich bis zu meinem Eintritt ins häusliche Leben noch zu haben. «
Lady Clementine ließ einen Laut hören, der weder ein Lachen noch ein Seufzen war.
»Die Queen will, daß du mit dem zügellosen Junggesellendasein Schluß machst. Sie will dich an die Kandare legen. Ein furchtbarer Gedanke! Was soll nun aus uns werden? Werden wir uns jemals wieder treffen können?«
»Aber natürlich!« versprach Sir Rupert ergrimmt. »Wenn du glaubst, ich lasse mir durch einen Befehl der Königin mein Leben auf den Kopf stellen, irrst du dich gewaltig. Ich bin nicht der einzige Mann, der gezwungen wurde, sich eine Fassade der Achtbarkeit zuzulegen! Nun gut, aber hinter dieser Fassade werde ich der bleiben, der ich bin, werde ich das tun, was ich tun möchte, und die Vergnügungen suchen, die mir Freude machen!«
»Es ist meine Schwiegermutter, der wir dies alles verdanken«, stieß Lady Clementine wütend hervor. »Ich könnte sie umbringen, diese herumschnüffelnde alte Hexe. Ich weiß, daß sie unter den Kammerfrauen der Königin zwei dicke Freundinnen hat. Wie muß sie sich vor Schadenfreude die Hände gerieben haben bei dem Gedanken, uns beiden eins auszuwischen.«
»Reg dich nicht auf!« beruhigte Sir Rupert sie. »Du bist doch noch glimpflich davongekommen. Der eigentliche Leidtragende bin ja wohl ich.«
»Ja, du hast recht«, gab Lady Clementine mitfühlend zu. »Denn du muß nun zusehen, daß du möglichst bald eine passende Braut findest. Weiß der Himmel, was dich da erwartet. Plötzlich hast du irgendein linkisches, unreifes und zum Sterben langweiliges junges Ding am Hals. Armer Rupert, du bist zu bedauern und das unglückliche Mädchen nicht weniger. Stell dir vor, nichts wird sie dir recht machen, weder bei Tisch noch im Bett. Sie wird deine Nerven strapazieren und gleichzeitig unter deiner schlechten Laune leiden. Es wird die Hölle für euch sein!«
»Nun mal den Teufel nicht an die Wand«, entgegnete Sir Rupert. »Ich werde sie Ihrer Majestät vorstellen und sie dann ein für allemal aufs Land abschieben. Und du solltest Sir Montagu unbedingt überreden, das Stadthaus in London wieder zu beziehen.«
»Nichts leichter als das«, versprach Lady Clementine. »Er. haßt das Landleben, wie du weißt. In London hat er seinen Club, wo er nach Herzenslust trinken und spielen kann. Es war übrigens deine Idee, daß ich den Sommer auf dem Land verbringen sollte. Du warst der Meinung, daß wir uns hier leichter treffen könnten, ohne Gefahr zu laufen, von anderen gesehen zu werden und ins Gerede zu kommen.«
»Ich weiß, ich weiß. Eine Überlegung, die sich als falsch herausstellte«, gab Sir Rupert zu. »Wir werden unsere Taktik also ändern müssen. In der Zwischenzeit...«
Er brach ab.
»In der Zwischenzeit?« fragte Lady Clementine, und ihre Stimme war dunkel vor Sehnsucht und Verlangen.
Sie sah ihn aus ihren schrägen Augen an wie eine Verdurstende, und die roten Lippen waren halb geöffnet, als sie sich langsam zu ihm umwandte.
Doch er beachtete sie nicht. Mit leerem Blick starrte er über den grünen Rasen hinweg in die Ferne.
»Am besten, du suchst mit eine Frau«, sagte er endlich.
»Rupert, wie kannst du mich nur um etwas Derartiges bitten?« rief Lady Clementine. »Ich versichere dir, ein Blick auf das Mädchen, das dich heiraten soll, würde genügen, es abgrundtief zu hassen. Und wenn ich merkte, daß es sich in dich verliebt hat - was ganz bestimmt der Fall sein wird - könnte ich für nichts mehr garantieren. Ganz gewiß würde ich ihr die Augen auskratzen.«
»Na gut, dann muß ich mich selbst darum kümmern«, sagte Sir Rupert und zuckte die Achseln.
»Nein, das kann ich auch nicht zulassen«, rief Lady Clementine in wilder Panik. »Ich könnte es vor Eifersucht nicht mehr aushalten.« Sie ballte die kleinen Fäuste und stampfte mit dem Fuß auf. »Wie entsetzlich das alles ist! Welch eine garstige Situation für dich - und für mich!« Sie schwieg einen Moment und blickte zu den Gästen auf dem Rasen hinüber.
Plötzlich stieß sie einen Schrei aus. »Rupert«, rief sie, »ich habe es! Schau dort drüben, das Mädchen in dem pinkfarbenen Kleid und dem weißen Schal!«
»Wo? Von wem redest du?«
»Das Mädchen da drüben, siehst du sie? Das, mein Lieber, ist deine zukünftige Braut.«
»Wen meinst du denn? Und wer ist sie?«
»Die Tochter deines Gastgebers, Lady Elisabeth Graye«, erklärte Lady Clementine. »Ich kenne sie, seit sie ein kleines Mädchen war. Sie ist recht hübsch und - könnte ich mir vorstellen - nicht ganz dumm. Na, du kennst doch ihren Vater, Lord Cardon.« ,
»Aber... aber...« Sir Rupert verstummte.
»Nein, nein, mein Freund! Die Cardons werden begeistert sein. Ich weiß, sie stecken finanziell ziemlich in der Klemme. Im vergangenen Jahr mußten sie sogar einen ihrer Höfe verkaufen. Lord Cardon wird einen wohlhabenden Schwiegersohn mit offenen Armen empfangen. Und du, lieber Rupert, bist sogar sehr wohlhabend.«
»Allerdings. Aber wie kommst du ausgerechnet auf dieses Mädchen?«
»Weil sie alle Bedingungen erfüllt, die du an eine Braut stellen solltest, mein Lieber. Sie ist einfältig und sanftmütig, wohlerzogen und von tadellosem Ruf. Falls ich mich nicht sehr täusche, wird sie dich bereitwillig als Ehemann akzeptieren und dir eine gehorsame und leichtgläubige Frau sein.«
Es entstand ein kurzes Schweigen, dann sagte Sir Rupert: »Es ist schlimm!«
»Sehr schlimm sogar!« stimmte Lady Clementine zu. »Aber wie ich vorhin sagte, ich kenne Lady Elisabeth schon sehr lange, und ich glaube, sie ist das einzige Mädchen, dem gegenüber ich meine Eifersucht einigermaßen in Grenzen halten kann.«
»Glaubst du wirklich, du müßtest auf meine zukünftige Frau eifersüchtig sein?» fragte Sir Rupert.
»Aber natürlich«, erwiderte Lady Clementine, ohne zu zögern. »Der Gedanke, daß es eine Frau gibt, die deinen Namen trägt, in deinem Haus lebt und mit dir - wenn auch selten - das Bett teilt, wird mir unerträglich sein. Eine Folter, eine Höllenqual. Außerdem kenne ich deinen Ruf als Frauenheld, und ich bin fast sicher, daß die kleine Gans sich unsterblich in dich verlieben wird.«
»Ich finde es reichlich unfair, mir Dinge vorzuhalten, die vor unserer Verbindung geschehen sind!«
»Mein Lieber, glaub mir, deine Vergangenheit läßt mich kalt!« Lady Clementine lachte. »Es ist deine Zukunft, die mich beunruhigt, und das mit gutem Grund, Rupert. Du bist eben ein sehr beeindruckender und außergewöhnlicher Mann!«
»Ich bin glücklich, daß du so denkst.«
»Wirst du mir eine Frage beantworten? Offen und ehrlich?«
Lady Clementines Stimme klang leise und unerwartet ernst.
»Aber selbstverständlich!«
»Sag mir eins, Rupert, liebst du mich wirklich?«
»Guter Himmel, was für eine Frage, Clementine! Haben wir in den letzten Monaten nicht die meiste Zeit zusammen verbracht und - wie ich glaube - Augenblicke höchsten Glücks miteinander erlebt?«
»Du hast noch nicht auf meine Frage geantwortet«, sagte Lady Clementine. »Aber vielleicht ist das auch unnötig. Jedenfalls habe ich das unbehagliche Gefühl, daß du mich nicht wirklich liebst. Nicht so, wie ich dich liebe.«
»Was du da sagst, kommt mir sehr bekannt vor!« Sir Rupert lächelte.
»Das überrascht mich nicht!« erwiderte Lady Clementine hastig und in kaum unterdrückter Erregung. »Viele Frauen mögen diese Worte schon zu dir gesagt haben, denn in Wirklichkeit bist du zu einer wahren Liebe gar nicht fähig, Rupert. Du liebst weder mich noch eine andere. Natürlich, du findest mich anziehend und begehrenswert, ich weiß. Ich wecke Leidenschaften in dir, Begierden und manchmal vielleicht auch Eifersucht. Aber die ganze Zeit über, in der wir zusammen waren, habe ich gefühlt, daß es keine Liebe ist, was du für mich empfindest. Ich habe alles getan, dich dazu zu bringen, Rupert. Aber es war umsonst. Eine schreckliche Erkenntnis für eine Frau, die liebt und einen Mann zu halten versucht.«
Bei den letzten Worten war ihre Stimme zu einem Flüstern herabgesunken.
»Clementine, meine Liebe, du regst dich nur auf. Außerdem... wie kannst du einen solchen Unsinn reden! Du weißt, daß ich dich liebe!«
Lady Clementine holte tief Luft. Sie trat dicht an Sir Rupert heran und berührte seine Hand mit der ihren. Einen Augenblick lang waren ihre Finger weich und sanft, dann plötzlich gruben sie sich tief in sein Fleisch.
»Du gehörst mir!« stieß sie keuchend hervor. »Und ich sage jeder Frau den Kampf an, die es wagt, dich mir wegzunehmen.«
Sir Rupert hob ihre Finger an die Lippen.
»Ich wußte gar nicht, daß du so für mich empfindest, Clementine. Ich glaubte, ich wäre nur einer der vielen Narren, die sich von dir den Kopf verdrehen ließen.«
»Du hast nichts dergleichen geglaubt«, erwiderte sie. »Ich mache dir eine Szene, und ich weiß, daß du das nicht magst. Aber heute Nachmittag kann ich nicht anders. Einmal muß ich dir sagen, wie es um mich steht und was ich von dir denke.«
»Und ich antworte dir darauf, daß du Unsinn redest«, sagte Sir Rupert. »Ja, du redest Unsinn, und ich werde es dir beweisen. Wirst du dich heute Abend mit mir treffen? An der üblichen Stelle?«
»In der Laube?« fragte Lady Clementine atemlos. »Glaubst du, wir könnten es wagen? Vielleicht spioniert meine Schwiegermutter hinter uns her. Vielleicht hat sie einen der Gärtner beauftragt, uns im Auge zu behalten!«
»Unsinn, niemand kann uns gesehen haben«, erklärte Sir Rupert. »Mag sein, deine Schwiegermutter hat einen Verdacht, aber bestimmt hat sie keine Beweise. Sag einfach, du würdest früh zu Bett gehen, aber zieh einen dunklen Umhang über. Niemand wird dich sehen, wenn du einen Weg wählst, der vom Haus aus nicht einzusehen ist. Ich werde wie üblich auf dich warten.«
»Rupert, du weißt, wie gerne ich kommen würde. Es ist nur, daß ich schreckliche Angst deinetwegen habe - deinetwegen und unseretwegen. Wenn Montagu dahinterkommt, wird es einen Skandal geben. Und das wäre dein Untergang, das weißt gut genau!«
»Ja, das weiß ich«, erwiderte Sir Rupert. »Aber beruhige dich, es wird keinen Skandal geben. Wirst du also kommen?«
»Ja, ich werde kommen!« Lady Clementines Stimme klang voller Wehmut. »Vielleicht ist es das letzte Mal. Wenn du demnächst verheiratet bist, sehe ich dich bestimmt nicht wieder.«
»Clementine, rede nicht ein solch dummes Zeug! Du weißt genau, daß meine Heirat nichts an unserer Beziehung ändern wird. Warum auch? Du hast selbst gesagt, daß dieses Mädchen eine gehorsame und leichtgläubige Ehefrau sein wird!«
»Ja, ich glaube, bei Elisabeth trifft dies zu. Wirst du um ihre Hand anhalten?«
»Natürlich«, erwiderte Sir Rupert. »Habe ich deinen Befehlen nicht immer gehorcht?«
»Ja, so bedingungslos, wie du den Befehlen Ihrer Majestät gehorchst«, sagte Lady Clementine mit einem Unterton von Spott in der Stimme.
»Gut, dann werde ich jetzt also gehen und ein Wort mit meiner zukünftigen Gemahlin sprechen. Wir haben uns lange genug hier aufgehalten, Clementine. Jemand könnte unsere Abwesenheit inzwischen bemerkt haben.«
»Ich werde mich unter die Zuschauer des Krocketspiels mischen. Und du wirst doch ganz bestimmt heute Abend kommen?«
»Kannst du dir auch nur einen Moment lang vorstellen, daß ich bis dahin nicht die Stunden zähle?« erwiderte er.
»Ich frage mich, ob du das wirklich tun wirst«, sagte sie und seufzte schwer. »Ich jedenfalls werde sie zählen, ja. Aber oft denke ich, daß das bei dir ganz anders ist.«
»Du stellst dein Licht unter den Scheffel, meine Liebe. Du weißt gar nicht, welch eine Anziehung du auf mich ausübst«, antwortete Sir Rupert. »Und nun sollten wir uns wirklich trennen. Wie gesagt, man könnte uns vermißt haben.«
»Aber natürlich. Au revoir, bis heute Abend, du niederträchtiger, hinreißender, anbetungswürdiger Geliebter!«
Er blickte in ihre Augen und erkannte darin die Flamme der Leidenschaft. Ihr Geschäft hatte sich verändert. Die Maske der vornehmen Frau von Stand war verschwunden.
An ihre Stelle war der Ausdruck schamlosen Begehrens getreten. Es war ein so wilder, hungriger und unbeherrschter Ausdruck, daß Lady Clementines sonst so schöne Züge förmlich entstellt und häßlich wirkten.
Sir Rupert hielt den Atem an, und die Frau dachte mit einem Gefühl des Triumphes, daß sie sein Verlangen aufs heftigste angestachelte hatte.
»Laß mich nicht zu lange warten«, sagte er herrisch und erhob sich von der Bank, auf der sie gesessen hatten.
Isabel - noch immer auf ihrem Lauschposten - hörte ihre Schritte auf den Holzdielen, dann auf den Stufen, die zum Rasen hinunterführten. Dort trennten sich Lady Clementine und Sir Rupert, ohne sich noch einen Blick zu gönnen. Lady Clementine schritt langsam und anmutig auf die Leute zu, die immer noch dem Krocketspiel zuschauten. Sir Rupert wandte sich nach der anderen Seite und ging zum Partyzelt hinüber.
Isabel blickte ihnen nach. Als die beiden außer Hörweite waren, veränderte sie mit einer heftigen Bewegung ihre Sitzstellung. Sie hatte sich steif gesessen, und in ihren Beinen steckten Tausende von spitzen Nadeln. Dennoch achtete sie kaum darauf, denn sie kochte vor Wut und Empörung. Auf ihren Wangen brannten rote Flecken, und ihre Augen sprühten Funken. . .
Was sie soeben unfreiwillig gehört hatte, war so empörend und gemein, daß es ihr die Schamröte ins Gesicht getrieben hatte.
Das also war Sir Rupert Wroth!
Sie hatte ihren Onkel und ihre Tante oft über ihn, den reichen Eigentümer von Wroth Castle, reden hören. Kein Wunder, daß ältere Leute beim Nennen dieses Namens die Köpfe zusammensteckten und hinter vorgehaltener Hand zu tuscheln begannen! Daß oft genug ein Ton der Mißbilligung in ihren Stimmen lag, wenn sie auch nur den Namen Wroth aussprachen.
»Dieser Schurke«, stieß Isabel zornig hervor, »denkt an eine Ehe mit der lieben, sanften Elisabeth, die tatsächlich so unterwürfig und leichtgläubig ist, wie Lady Clementine das annimmt. Aber wenn ich es verhindern kann, wird nichts aus diesem teuflischen Plan. Ich werde diesem sauberen Pärchen schon einen Riegel vorschieben, das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist!«
Isabel war so aufgebracht, daß es sie in dem niedrigen Speicherraum nicht mehr hielt. Sie kroch durch die verborgene Luke und kletterte eilig nach unten.
Die Entrüstung über das Gehörte war so stark in ihr, daß sie ihre eigenen Probleme vergaß und schnurstracks auf die Wiese lief, um Elisabeth zu suchen. Aber ihre Kusine schien nicht mehr draußen zu sein.
Isabel wollte eben ins Haus laufen, als sie hinter sich eine Stimme hörte, in der sich Erstaunen und Mißbilligung mischten.
»Isabel, was tust du denn hier?«
Isabel drehte sich um und stand vor ihrer Tante, die die Lorgnette vor die Augen hob und sie fassungslos anstarrte.
Isabel knickste.
»Ich bin eben erst angekommen, Tante Anne.«
»Angekommen? Und wieso?«
Lady Cardon machte eine Pause, aber noch bevor Isabel antworten konnte, fuhr sie fort: »Nein, nicht nötig, mir irgendetwas zu erklären! Spar dir die Erklärungen für deinen Onkel auf. Ich weiß nicht, was er sagen wird, wenn er von deinem Hiersein erfährt. Aber bevor ich ihm die Neuigkeit mitteile, gehst du auf dein Zimmer, und zwar unverzüglich. Und dort bleibst du, verstanden! Du wagst dich nicht mehr vor die Tür!«
»Aber, Tante Anne.. .« begann Isabel.
»Du hast gehört, was ich gesagt habe, Isabel. Du bleibst auf deinem Zimmer, bis ich dich rufen lasse! Sei so gut, und richte dich danach!«
Isabel wußte, wann sie verloren hatte. Sie knickste und ging wortlos zum Haus. Mehrere Gäste, an denen sie vorbeikam, schauten neugierig zu ihr hin. Isabel war unter dem scharfen Tadel der Tante erbleicht, aber stolz hatte sie den Kopf in den Nacken geworfen und so durchquerte sie die Halle. Sie stieg die Treppen hoch und betrat ihr Zimmer. Krachend warf sie die Tür hinter sich ins Schloß und blieb zitternd vor Zorn mitten im Raum stehen.
Es war immer das gleiche! Was immer auch geschah, sie war im Unrecht! Eine Klärung brauchten diese Menschen nicht! Sie, Isabel, hatte einfach keine eigene Meinung und keinen eigenen Willen zu haben.