Die Farm - Max Annas - E-Book

Die Farm E-Book

Max Annas

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Beschreibung

Irgendwo in Südafrika. Eine Farm wird belagert und beschossen. Schützen sind keine zu sehen. Sicher ist nur: Die Angreifer sind zum Äußersten entschlossen. In der Farm verbarrikadieren sich ganz unterschiedliche Menschen: Frauen, Männer und Kinder, Chefs und Angestellte, Schwarze und Weiße, ein Polizist, zufällig Anwesende. Wem gilt der Anschlag? Worum geht es? Politik? Rache? Gier? Drogen? Waffen? Aber wissen die draußen mehr? Die Heckenschützen, die im Dunkeln der Nacht operieren? Wer muss sterben, wer wird überleben? Wer zieht die Strippen, wer an den Drähten? Wer wird gewinnen, wer wird verlieren? Und wie lange können acht Stunden sein?

Max Annas' straffer, knapper Roman basiert auf der Grundkonstellation von John Carpenters epochalem Film »Assault on Precinct 13« – und bringt das Kunststück fertig, daraus ein hochkonzentriertes Stück Literatur zu machen.

 

Acht Stunden im Minutentakt, ständiger Perspektivenwechsel, schneidende Genauigkeit. Eine explosive Mischung aus Psycho-Thriller und Neo-Western mit politischem Subtext.

 

Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimi Preis national (Platz 3)

KrimiZEIT-Bestenliste November 2014 bis Januar 2015

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Seitenzahl: 205

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MAX ANNAS

Für Marianne Annas,

24. August, 17.32h

„Ich bin ja kein Rassist“, sagte Franz Muller, machte eine Pause und schaute auf das Loch in seinem Zaun. Er fragte sich, wer sich dort nachts mit einem Bolzenschneider zu schaffen gemacht hatte. Und er wunderte sich, wem der weiße Kastenwagen gehörte, der nahe der Haustür geparkt war. Der dicke Kobus Prins, der neben ihm stand, nickte pflichtschuldig, ohne ein Wort zu sagen. „Aber …“, setzte Muller wieder an und machte eine weitere Pause. Während er deutlich hörbar Luft durch seine Lippen blies, fiel der erste Schuss, plopp, und riss ihm das rechte Ohrläppchen weg.

Muller griff sich an den Kopf und spürte das warme Blut zwischen den Fingern. Plopp. Von Prins kam ein mattes „Ah!“, dann sank er auf die Knie, während seine Hände hilflos nach der Wunde in seinem Rücken suchten. Plopp. Muller warf sich auf den Boden und sah, dass Prins noch einmal getroffen worden war. Er riss den Vertreter zu Boden. Prins spuckte einen Schwall Blut über dem Farmer aus und fiel auf ihn. Die beiden Hunde sprangen über sie hinweg.

Prins tot über sich auf seinem Bauch liegend, drehte sich Muller und sah Trixies Hyundai neben der Haustür, der alte Bedford-Bakkie weiter weg. Dort waren die Hunde jetzt angekommen, panisch aneinandergedrängt. Plopp. Plopp. Plopp. Dieser weiße Kastenwagen, Jaynes kleiner Mercedes, die großen Stacheldrahtrollen. Andere sahen ihr Leben vorbeiziehen, dachte Muller. Im letzten Moment. Er sah sein Eigentum. Simonshoek war sein Leben. Plopp. Jetzt lag er auf der Seite. Prins blutete auf ihn drauf.

Trixie! dachte Muller, wo war sie nur, während ihm der schwere Saatgutvertreter die Luft raubte. „Alle ins Haus!“, rief er mit dem letzten Atem, den er hatte. „Sofort ins Haus!“ Dann fühlte er Prins den Puls. Nur um sicher zu sein.

Trixie! dachte er wieder. Plopp. Er hatte seine Tochter eben noch irgendwo auf der Veranda gesehen. Während er sich weiterdrehte, um besser atmen zu können, hörte er das Geschoss in Metall einschlagen. Irgendein Auto. Er sah Thabo hinter die Stacheldrahtrollen springen, die am Morgen angeliefert worden waren. Das steife Bein zog er ein wenig nach und rollte sich dort zusammen. Plopp.

Plopp.

Plopp.

Plopp.

Eine Scheibe zerplatzte. Das Haus.

Überall hektisches Laufen und Hinwerfen. Muller hörte Schreien und Rufen. „Hierher!“, rief Trixie. Er traute sich nicht, Prins’ schweren Leib von sich zu stoßen. Wenn ihn hier im offenen Gelände zwischen Zaun und dem Farmhaus etwas schützte, dann war es das viele Fleisch.

Gerade fielen allerdings keine Schüsse mehr. Gcilitshana lag bäuchlings hinter seinem Auto auf dem Boden und hatte seine Pistole in der Hand. Den Kopf oben. Die untergehende Sonne schien durch die Fenster auf der einen Seite in den Polizei-BMW hinein und zur anderen Seite wieder heraus. Die Hunde lagen ganz in seiner Nähe. Sie rührten sich nicht mehr. Und dann sah er auch Trixies weißen Rock. Unter dem Bedford auch ihre Füße und noch ein Paar weitere neben ihr. Alte Schuhe und eine dunkle Hose, das musste der Junge sein, der zum Zaunreparieren gekommen war. Plopp. Eine Scheibe im Bakkie zerplatzte. Die Füße dahinter bewegten sich im Zickzack von dem Autoskelett fort. Bleibt doch da, dachte Muller. Einen besseren Schutz findet ihr nicht.

Da waren noch mehr Füße. Er hatte die drei Arbeiter vergessen. Der erste tauchte jetzt rennend hinter dem Bedford auf. Eine Zielscheibe im Blaumann, perfekt beleuchtet vom letzten Strahl der Sonne. Plopp. Er erreichte das Haus mit einem Sprung. Der zweite kam gerannt, gefolgt vom dritten. Plopp. Plopp. Plopp. Plopp. Die Kugeln schlugen in den Kastenwagen ein. Auch die beiden erreichten sicher das Haus.

In einer Minute schon würde es erheblich dunkler sein. Hoffentlich wurde jetzt niemand unvorsichtig. Gcilitshana erhob sich langsam und schaute durch die Fenster seines Autos in die Richtung, aus der die Schüsse gekommen waren. Etwa zwanzig bisher. Oder weniger.

Oder mehr. Wer konnte dahinterstecken? Für ein paar tausend Rand wurden schnell mal ein paar Leute umgebracht. Und die würden sie im Haus auch finden. Aber warum kamen sie ausgerechnet heute? Wo so viele Leute hier waren?

Gcilitshana legte den Arm jetzt auf die Kühlerhaube des BMW, in seiner Hand die Dienstpistole. Das Tageslicht war fast verschwunden. Der Polizist schaute zu Muller hinüber und nickte kurz. Er schoss im Sekundenabstand. Acht Mal. Dann stand er auf und rannte zur Haustür. Kein Schuss von der anderen Seite. Muller rollte Prins’ Körper zur Seite, blieb aber noch liegen. Zum Glück hatte Zak den Bewegungsmelder ausgeschaltet. Auf seinen Sohn war Verlass.

Er konnte gerade noch die Füße unter dem Bedford sehen. Da war Bewegung. Jetzt kam der Handwerker hinter dem Auto hervor. Er lief und hatte Trixie an der Hand. Kein Schuss. Bevor sie die Haustür erreichten, stolperte Trixie, aber der Junge zog sie mit einer geschickten Bewegung ins Haus hinein.

Muller war jetzt allein draußen. Es war fast dunkel, und im Haus wurden sie sicher schon nervös. Er stellte sich vor, die Walther in der Hand zu haben. Er würde da rausgehen und alle einzeln erledigen. Langsam robbte er in Richtung Haustür, aber dann hatte er genug von dem ganzen Dreck. Es war schließlich so gut wie dunkel. Er stand auf und ging die letzten Meter aufrecht. Als er die Tür hinter sich schloss, schlug direkt neben ihm eine Kugel in das weiche Holz des Rahmens ein. Den Schuss selbst hatte er nicht gehört.

Der Farmer hielt die Türklinke von innen in beiden Händen und wunderte sich. Seit der erste Schuss gefallen war, hatte er kein einziges Mal an seine Frau gedacht.

24. August, 17.58h

Thabo Buti hielt Rosie Muller davon ab, zur Haustür rauszuschauen. Hinter ihnen sammelten sich die Leute, die gerade reingekommen waren und die, die die Schießerei von drinnen beobachtet hatten. Der Boss kam als letzter ins Haus und lehnte sich mit seinem blutigen Hemd von innen an die Tür. Thabo zog ihn weg. „Man weiß ja nicht, womit die noch schießen! Die hält nicht alles auf.“ Er klopfte mit dem Knöchel des Zeigefingers auf das Holz. Dann legte er den ersten der Riegel vor.

„Das bringt doch alles nichts! Mit dem Riegel! Wenn die wollen, kommen die doch da durch!“ Mrs. Muller drückte Trixie und Thabo weg, um sich einen Weg zu ihrem Mann zu bahnen. „Ein Glück, dass nichts passiert ist“, sagte sie und versuchte, Franz Muller zu umarmen. Doch der streifte die Umarmung ab.

Der zweite Riegel klemmte. Thabo musste die Faust einsetzen, um das Scharnier zum Einrasten zu bringen. Die beiden anderen Riegel waren so tief angebracht, dass er sein steifes Bein zur Seite ausstrecken musste, um sich zu ihnen hinunter zu bücken. Als das Werk vollbracht war, zog er sich an der Türklinke hoch und starrte in die geräumige Halle, die im Halbdunkel lag. Die ganze Gruppe stand da, die Blicke auf ihn und die Mullers gerichtet.

„Klar ist was passiert“, sagte der Farmer. „Prins hat es erwischt!“

Für die, die draußen gewesen waren, war das keine Überraschung. Mrs. Muller atmete tief ein. „Die Schweine!“, sagte Zak. Das jüngere der Mädchen von Trixie fing an zu weinen. Hieß sie Christina? Die ältere tröstete sie. Britney? Er konnte sie nicht mehr voneinander unterscheiden, seit Mullers Tochter ihnen die Haare abgeschnitten hatte.

„Zak, mach das Licht in der Küche aus“, Muller zog den Vorhang am kleinen Fenster neben der Tür zur Seite und blickte hinaus. „Was ist mit dem Telefon?“

„Tot“, sagte Zak.

Muller nickte. „Und mobil?“

Thabo sah auf sein Display. Kein Empfang. Er sah den korrupten Bullen, Trixie und Zak, die das Gleiche taten. Manchmal war man hier erreichbar. Meistens nicht. Hinter ihnen standen Cesar, Sipho und Jo-Jo, die mit wer weiß was beschäftigt gewesen waren, die einfältige Betsie in ihrem Kittel, den sie nur „meine Uniform“ nannte, der junge Handwerker, der wegen dem Zaun hier war, neben ihr. Den Typ daneben in schwarzen Jeans und schwarzem Hemd mit einem Namensschild auf der Brust hatte Thabo noch nie gesehen. Mrs. McKenzie, die Freundin von Mrs. Muller, stand ganz hinten an eine Wand gelehnt.

„Geh durchs Haus“, sagte Muller zu Thabo. „Guck, ob sich irgendwo jemand versteckt hält. Sieh in jedem Zimmer nach! Aber mach kein Licht! Ist das Tor zu?“

Thabo nickte. Kurz nachdem die ersten Schüsse gefallen waren, hatte sich das Tor automatisch geschlossen. Er ging die Treppe zum Obergeschoss hinauf. Zaks Zimmer lag direkt an der Treppe. Die Tür stand offen. Das ungemachte Bett, die verstreuten Klamotten, hier würde sich niemand verstecken. Wer sollte auch hier oben hinkommen? Die Gefahr kam ja offensichtlich von außen. Wer immer da hinter einem Busch oder einem Baum stand und auf sie schoss, hatte sicher nichts mit den Leuten im Haus zu tun.

Er öffnete die Tür zu Trixies Zimmer, das Anklopfen konnte er sich sparen. Alle standen unten in der Halle. Aufgeräumt und alles auf Kante gelegt. Thabo nahm einen roten Spitzenslip von einem Stapel frisch gebügelter Wäsche und roch daran. Waschmittelfrisch. Er musste lachen. Vor zwanzig Jahren wäre er dafür ausgepeitscht worden. Von Muller persönlich. Im kleinen Gästezimmer herrschte Kinderdurcheinander. Das große Gästezimmer war verschlossen und beide Badezimmer waren leer. Ganz vorsichtig öffnete er die Tür zum Schlafzimmer der Mullers. Hier war er in all den Jahren noch nie drin gewesen. Betsie hatte ganze Arbeit geleistet. Jedes Kissen und jedes Zierdeckchen an seinem Platz. Thabo wusste, dass hier irgendwo Mullers Safe verborgen war. Das mittlere Gästezimmer sah aus wie aus dem Werbeprospekt des Hotels in East London, den er einmal gesehen hatte. Blieb nur noch ein letzter Raum. Mrs. Mullers Betzimmer. Thabo glaubte an Gott, und auch an Jesus Christus natürlich, und daran, dass er den Menschen ein besseres Leben zugedacht hatte. Aber was Mrs. Muller hier tagtäglich aufführte, war einfach zu viel. Ein lebensgroßer Jesus am Kreuz an der Wand, die Bank davor zum Knien. Und jede Menge Bildchen an den Wänden von Leuten, die er nicht kannte und die so aussahen, als seien sie schon lange tot. Heilige bestimmt. Kein Afrikaner dabei. Nicht ein einziger.

Unten schoben Zak und Gcilitshana den großen Schrank vor das Fenster im Wohnzimmer. Thabos Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt.

„Setzt euch dahin!“ sagte Trixie und zeigte den Mädchen eine Ecke im hintersten Winkel des Wohnzimmers. Mrs. Muller und Mrs. McKenzie saßen auf dem großen Sofa. Die drei Arbeiter standen herum, als würden sie gleich abgeholt. Trixie hockte sich vor ihre Kinder. Der Handwerker und der Typ in Schwarz unterhielten sich im Übergang von Halle und Wohnzimmer.

„Okay. Alle hierhin!“ Muller war der Boss und stellte sich hinter seine Frau, die Hände auf der Lehne des Sofas. Alle bewegten sich zögernd in die Mitte des riesigen Raumes.

Zak rückte den Schrank noch den letzten Zentimeter zum Fenster hin, das jetzt fast vollständig verdeckt war. Es gab noch andere kleinere Fenster und das zweite große mit der Tür zur Terrasse, aber der Schrank schützte sie in die Richtung, aus der die Schüsse gekommen zu sein schienen. Zak wischte sich die Hände an den Shorts ab und blickte in die Runde. „Ich habe gewusst, dass es uns irgendwann erwischen wird. So abgelegen wie wir hier sind. Jetzt sind eben wir dran. Alles nur eine Frage der Zeit. Farmer schützt niemand. Wir sorgen ja nur dafür, dass die Leute was zu essen haben.“

„Ruhig, Mr. Muller.“ Gcilitshana. „Ich bin ja auch noch hier.“

„Sie sind wie alle anderen gerannt.“ Trixie. „Und Zak hat doch recht. Tausende Farmer sind schon ermordet worden.“

„Gott stehe uns bei.“ Mrs. Muller.

„Könnt ihr mal das Maul halten?“ Muller. „Alfred. Haben Sie eine Erklärung?“

Thabo setzte sich auf einen freien Sessel. Gcilitshana suchte nach Worten. Das kleine Mädchen fing wieder an zu weinen. Der Polizist atmete tief ein: „Also … wir wissen ja nicht, was hier passiert ist …

Trixie war aufgesprungen: „Sie haben doch so ein Funkgerät. Wo ist das denn?“

Gcilitshana schaute sie genervt an. „Im Auto. Und wenn die Mobiltelefone nicht funktionieren, dann kann man sich darauf auch nicht verlassen. Also … gab es zuletzt irgendeinen Konflikt hier? Einen Streit?“

„Sie sind doch krank!“ Zak sprang auf den Polizisten zu. „Das hat doch damit nichts zu tun.“

„Zak!“ Mullers schneidende Stimme stellte den Jungen sofort ruhig. „Machen Sie weiter, Alfred!“

Cesar, einer der drei Arbeiter, schaute Thabo an. Sein Blick war voller Sorge. Thabo hob beschwichtigend die Hände. Bald.

Gcilitshana stotterte herum, bevor er weiterredete. „Sehen Sie, wir können ja erst wissen, was wirklich passiert ist, wenn wir diese Burschen fassen. Vielleicht sind sie längst in Mdantsane in irgendeiner Taverne und lassen sich volllaufen. Wie lange ist es her, dass der letzte Schuss gefallen ist?“

„Genau!“ Mrs. Muller. „Sie sind längst wieder weg.“

In die letzte Silbe hinein platzte Glas. Die Kugel bahnte sich ihren Weg genau durch den schmalen Raum zwischen dem Schrank und dem Fensterrahmen. Sie zerfetzte die Armlehne des Sessels, auf dem Thabo saß, und blieb im Holz stecken. Er spürte ein Beben im Sessel. Alle sprangen auf oder hektisch zur Seite. Trixie warf sich schreiend über ihre Kinder. Thabo blieb einfach sitzen. Was sollte er auch tun?

„Wir müssen uns bewaffnen“, sagte eine Frauenstimme. Thabo musste ein paar Sekunden überlegen, bis er darauf kam, dass der Satz von Mrs. McKenzie kam. Mrs. Mullers religiöser Freundin.

24. August, 18:33h

„Franz“, sagte Mrs. Muller. Sie war außer Atem. „Hast du gehört, was Jayne vorgeschlagen hat?“

„Ich bin ja nicht taub!“

„Und?“

„Ich gebe Waffen nur an Leute aus, denen ich vertraue.“

Thabo wusste, was das hieß. Nur an Weiße. Und ihn vielleicht. Und den korrupten Polizisten.

Gcilitshana grunzte.

„Ganz genau!“ sagte Zak.

„Außerdem habe ich gar nicht so viele.“

Das war Unsinn. Muller hatte ein Arsenal, so groß, dass man damit Mosambik hätte überfallen und besetzen können.

Eine Salve zerfetzte das Fenster, vor dem der Schrank stand. Die Kugeln knallten dumpf ins Holz. Trixie schrie.

„So eine Scheiße! Ist jemand getroffen?“ brüllte Muller. Als niemand antwortete, brüllte er weiter. „Du da! Wer bist du? Was hast du hier zu suchen?“

„Ich bin von Quick Trans. Hab nur ein Paket gebracht.“ Das musste der in Schwarz sein.

„Das geht in Ordnung, Dad.“ Zak. „Für mich. Das war für mich. Meine Festplatten.“

Ein weiteres Fenster zerbarst. Ganz nah. Thabo sprang auf. Jetzt wurde schon von zwei Seiten geschossen.

Schreie. Mehr Schüsse. Glassplitter. Thabo trat jemandem auf die Füße, bevor er einen Platz an der Wand neben dem Fenster fand, durch das die Kugeln gerade eingeschlagen waren. Jemand stöhnte.

„Ich bin verletzt!“, sagte eine Stimme. Das war die von eben. Das war der Bote.

„Sie kommen!“ Der Polizist. „Wir müssen uns verteidigen! Wir brauchen die Waffen, Muller!“

„Franz! Die Waffen!“ Mrs. McKenzie. „Wir müssen uns verteidigen!“

„Ja, Franz!“ Mrs. Muller.

Beide Mädchen weinten jetzt. „Miss Trixie“, sagte Thabo. „Sie müssen die Kinder hochbringen. Da sind sie sicherer!“

„Kommen Sie, Muller, beeilen Sie sich!“ sagte Gcilitshana. „Wo sind Sie, Muller?“

Schritte auf Glassplittern. „Ich bin gleich zurück. Zak. Komm mit!“

24. August, 18.41h

Gcilitshana schaute Thabo über die Schulter, als er versuchte, Trixie zu beruhigen. Der Foreman der Farm stand im Türrahmen und redete auf die junge Frau ein. „Legen Sie sich zu den Kindern, Miss Trixie. Wichtig ist, dass es ihnen besser geht. Wir kümmern uns schon um den Rest!“ Dann machte er die Tür zu.

„Empfang immer so schlecht hier?“

Thabo nickte. „Meistens!“

Zwei Schüsse. Keine Einschläge. Sie schauten sich kurz an und setzten sich auf die oberste Stufe der Treppe. Gcilitshana musterte Thabo. Er war relativ gut gekleidet, hatte Geschick bewiesen mit der jungen Frau, redete nur, wenn er etwas zu sagen hatte. Sein Hemd hatte schon bessere Tage gesehen, aber es war am Morgen sauber und gebügelt aus dem Schrank geholt worden. Der Polizist tippte auf eine lange Ehe und einige Jahrzehnte auf der Farm von Muller.

„Hat’s hier vorher schon mal Ärger gegeben?“ Gcilitshana wusste, dass sich seine Frage dumm anhörte, aber er wollte Thabo zum Reden bringen.

„Nie!“

„Nicht mal ein Einbruch?“

„Nicht, seit ich hier bin.“

Gcilitshana wartete.

„Das ist über 30 Jahre her.“

„Aber wer kann das sein da draußen?“

„Hier hat es nicht viele Überfälle auf Farmen gegeben.“

Gcilitshana nickte, aber er wusste es besser. Der Pressesprecher der Polizei in der Buffalo City Metropolitan Municipality hatte den Auftrag, die aktuellen Zahlen in bestehende Statistiken einzuarbeiten. Einbruch. Sachbeschädigung. Körperverletzung. Raub. Mord. Nur wenn es sich absolut nicht mehr verheimlichen ließ, gab er den Medien gegenüber zu, dass eine Farm überfallen worden war. Bei einem Mord gab es natürlich wenig zu vertuschen. „Aber wer kann das sein?“, fragte er.

„Ich frage mich, warum sie so lange Pausen machen. Sie hätten doch einfach alles zusammenschießen können.“

„Vielleicht auch nicht. Vielleicht sind sie keine guten Schützen.“

„Aber warum warten sie jetzt schon wieder so lange?“

„Irgendetwas ist ihnen dazwischen gekommen.“

„Was?“

„Zu viele Leute auf der Farm. Wie viel Geld liegt hier normalerweise rum?“

„Viel. Mehrere Tausend immer.“

„Dafür zettelt aber niemand so einen Überfall an.“

„Wie viele sind denn da draußen?“

„Ich weiß nicht. Vielleicht mehr, als wir ahnen.“

„Was wollen die?“

„Ich weiß es nicht. Mehr als die paar tausend Rand. Wer war der dicke Weiße, der draußen gestorben ist?“

„Prins. Vertreter. Verkauft Saatgut. Kommt zweimal im Jahr vorbei. Der Boss serviert ihm guten Wein und Zigarren.“

„Warum muss man Saatgut kaufen?“

„Keine Ahnung. Geht hier schon lange so. Der Boss schwört drauf.“

„Wer ist sonst noch hier? Außer der Familie.“

„Der Bote. Der verletzt ist.“

Schüsse. Zerbrochenes Glas. Keine Schreie.

„Wer noch?“

„Sie!“

„Hm! Und sonst?“

„Der Handwerker für den Zaun.“

„Was ist mit dem Zaun?“

„War ein Loch drin am Morgen. Und drei meiner Arbeiter. Und Mrs. McKenzie.“

„Was macht sie?“

„Sie betet mit Mrs. Muller.“

„Dafür kommt sie extra hier raus?“

„Aus Gonubie.“

„Das sind 60 Kilometer!“

„Trixie und die Kinder sind auch nicht immer hier.“

„Hmhm. Irgendwas stimmt hier nicht. Warum warten die nicht, bis der Bote und der Vertreter wieder weg sind? Und der Handwerker.“

„Prins wäre erst spät wieder gefahren.“

„Der Wein?“

„Und die Zigarren.“

„Wen haben die eigentlich draußen gesehen?“

Thabo überlegte ein paar Sekunden. „Uns beide. Boss Muller. Miss Trixie. Die Arbeiter. Den jungen Handwerker. Und Prins, den Vertreter.“

„Hmhm. Also haben sie Zak nicht gesehen. Und den Boten. Und Mrs. Muller. Und diese, äh, McKenzie.“

„Und Betsie. Und die Kinder. Und …“

„Ja?“

„… Vuyo war auch noch hier. Betsies Sohn. Aber gerade habe ich ihn nicht gesehen.“

Am Fuß der Treppe waren Muller und sein Sohn zu hören. Trotz der Dunkelheit meinte Gcilitshana zu sehen, dass sie die Arme voller Waffen hatten.

„Wo sind die Waffen?“, fragte Gcilitshana.

„In einer Bodenluke im Büro.“

„Gesichert?“

„Gesichert.“

„Viele?“

„Sehr viele!“

Gcilitshana dachte an den alten Roelf Botha. Ein Jahr oder weniger vor der Pension. So krank, dass er nicht mehr unbedingt arbeiten musste. Aber er wollte. Deshalb hielt er den Kontakt zu den konservativen weißen Farmern. Wie Muller. Aber heute musste er schon wieder in die Onkologie. Nur deswegen bin ich hier, dachte Gcilitshana, wegen dem Krebs. Sonst würde ich bei KFC sitzen und es mir gut gehen lassen. „Okay“, sagte er und stand auf. „Die junge Frau und die Kinder sind hier oben. Wer im Haus kann uns jetzt helfen?“

Thabo erhob sich auch. „Muller und Zak. Meine Arbeiter. Sie. Und ich. Alle Männer eigentlich. Nur der Bote ist verletzt.“

„Hm. Wir sollten runtergehen. Wir müssen darüber reden, wie wir das hier überleben.“

24. August, 18.41h

Von hier hatte man immer noch einen guten Blick. Obwohl es schon recht dunkel war. Aber von da, wo die Sonne eben untergegangen war, kam immer noch ein dünner Streifen Licht. Und der Mond stand schon hoch.

Von so vielen Leuten war nicht die Rede gewesen. Als er den Dicken erschossen hatte, hätte auch alles ganz schnell gehen können. Schnell gehen sollen. Die schießen zurück, aber wir machen sie kalt. Und nach ein paar Minuten ist alles vorbei.

Stattdessen haben sie sich jetzt in dem Haus verschanzt. Nützen wird ihnen das nichts. Am Ende sind sie nämlich tot. Alle.

Sorgen machte er sich jetzt aber auch um das Leben seiner Leute. Oder besser: um sein eigenes. Die Rechnung war ja gewesen, hingehen, schießen, abräumen und wieder weg.

Gut möglich, dass es jetzt auf beiden Seiten Opfer geben würde. Er musste aufpassen, dass er nicht darunter war.

24. August, 18.41h

„Legen Sie sich zu den Kindern, Miss Trixie. Wichtig ist, dass es ihnen besser geht. Wir kümmern uns schon um den Rest!“ Thabo machte die Tür zu.

Christina schlief schon. Britney war nicht mehr weit davon entfernt. Und Trixie standen Tränen in den Augen. Seit sie die Köpfe ihrer Mädchen rasiert hatte wegen der Läuse, die sie sich in der Creche geholt hatten, sahen sie aus wie … wie nannten sie das in den USA? White trash? Wie arme Weiße jedenfalls. Wie Kinder aus dem Trailer Park. Dabei arbeitete sie bei einem Juwelier.

Trixie dachte an ihren letzten Besuch auf der Farm. Wie sie in King William’s Town, diesem heruntergekommenen Kaff, an der Ampel gestanden hatte. Da war kein böser Gedanke in ihrem Kopf gewesen, als sie diesen … diesen Dieb gesehen hatte. Er hatte eine SPAR-Tüte aus dem offenen Heck eines Kombis gestohlen und war damit weggerannt. Den Polizisten, der an der nächsten Ecke gestanden hatte, konnte er nicht sehen. Aber sie hatte ihn gesehen.

Dann ging alles ganz schnell. Sie ruft den Polizisten. Der Polizist brüllt dem Dieb hinterher. Der Dieb beginnt zu laufen. Ein Polizei-Bakkie taucht plötzlich auf. Der Dieb wirft die Tüte weg. Die Frau, der der Wagen gehört, kommt dazu und fängt an zu schreien. Leute rennen dem Dieb hinterher. Der Dieb läuft, und er läuft schnell. Aber das nützt ihm gar nichts, als er die Straße nach East London überqueren will. Der Truck überfährt ihn einfach. Und dann ist er tot.

Am nächsten Tag stand ihr Name in der Zeitung. Und jetzt kamen sie, um sie zu holen. Alles nur wegen diesem Dieb.

24. August, 18.45h

Als Franz und Zak mit den Waffen zurückkamen, saß Rosie Muller an die Wand gelehnt, die das Wohnzimmer vom Bad trennte. Man musste durch die Halle gehen, um das Badezimmer zu erreichen, und sie hatte sich den Platz ausgesucht, weil er weit entfernt war von den Stellen, wo die Kugeln eingeschlagen waren.

Rosie Muller fühlte sich nicht sicher, aber in ihren 60 Jahren hatte sie gelernt, dass es sich am Ende immer auszahlt, auf Gott zu vertrauen. Auf Gott und Franz. Sie hatten schon manche Situation überstanden hier. Und Jesus Christus war ihr Zeuge, dass es oft nicht einfach gewesen war. Damals, als ihre Farm noch an der Grenze zum Homeland gelegen hatte. Und als die beiden Soldaten vor ihrem Eingang gestanden hatten. Damals waren die Farmen ja noch nicht so gesichert gewesen wie heute. Soldaten in den Uniformen der Ciskei. Es war mitten in der Nacht gewesen, und sie wollten nicht nach der Uhrzeit fragen. Oder nach dem Weg. Dafür waren sie zu gut bewaffnet gewesen.

Aber sie waren auch betrunken. Und zu laut. Franz hatte sie erschossen. Am nächsten Morgen kamen zwei Polizisten aus King, zwei weiße Polizisten, und nahmen die Leichen mit. Sie hatten nie wieder von dem Fall gehört.

So einfach waren Probleme nicht mehr zu lösen, seit die Schwarzen die Macht übernommen hatten.

24. August, 18.45h

Muller hatte Mühe, sich wieder an die Dunkelheit zu gewöhnen, als sie zurück ins Wohnzimmer kamen. Im Büro hatten sie die Fenster abgedunkelt, Feuerzeuge angezündet und dann die Luke im Boden geöffnet, wo die Waffen verborgen waren. Muller hatte ausgesucht, was er für angemessen hielt, und abgezählt. Waffen für ihn und Zak, dazu für Thabo und Gcilitshana. Den Arbeitern traute er nicht. Dem Handwerker auch nicht. Der Bote war verletzt. Auch Gcilitshana traute er nicht, aber er konnte es sich nicht erlauben, den Mann jetzt zu brüskieren. Er würde bald schon wieder befördert werden. Thabo war okay. Er hatte vier Handfeuerwaffen und vier unterschiedliche Gewehre in den Armen.

Als er im Dunkeln wieder sehen konnte, erkannte er, dass Trixie und die Kinder nicht mehr im Wohnzimmer waren. Der Polizist und Thabo waren ebenfalls weg. Jayne kümmerte sich um den Boten, der hinter einer Couch auf dem Boden lag, die drei Arbeiter standen in einer sicheren Ecke zusammen. Gerade kamen Gcilitshana und sein Foreman zurück.

Zak verteilte die Waffen. Sein Sohn Zak. Schon bevor der Überfall begonnen hatte, war er irgendwie seltsam gewesen. Hatte sich häufiger als sonst umgeschaut.