Die Mauer - Max Annas - E-Book

Die Mauer E-Book

Max Annas

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Beschreibung

Moses möchte nur eins: nach Hause. Raus aus der sengenden Hitze, raus aus dem verlassenen Vorort, in dem gerade sein alter Toyota liegen geblieben ist. Zu Freundin Sandi und einem kühlen Bier. Aber die Straßen sind wie leergefegt, niemand ist in Sicht. Moses hofft, in der nahe gelegenen Gated Community Hilfe zu finden. Dort, in der Welt der Weißen, ist schließlich alles geregelt. Doch: Dort drinnen ist er erst recht ein Außenseiter. Und er begeht einen Fehler … Zur selben Zeit sind auch Nozipho und Thembi innerhalb der Mauern unterwegs, sie verdienen ihren Unterhalt mit Diebstählen. Was sie nicht wissen: Ausgerechnet in dem Haus, in dem sie Beute zu machen hoffen, wurde gerade erst ein weit größeres Verbrechen verübt. «Knapp, schnell, lakonisch, auf den Punkt und brisant: Max Annas spielt schon nach zwei Büchern an der Spitze der deutschen Kriminalliteratur mit.» (Thomas Wörtche)

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Max Annas

Die Mauer

Thriller

 

 

 

Über dieses Buch

Moses möchte nur eins: nach Hause. Raus aus der sengenden Hitze, raus aus dem verlassenen Vorort, in dem gerade sein alter Toyota liegen geblieben ist. Zu Freundin Sandi und einem kühlen Bier. Aber die Straßen sind wie leergefegt, niemand ist in Sicht. Moses hofft, in der nahe gelegenen Gated Community Hilfe zu finden. Dort, in der Welt der Weißen, ist schließlich alles geregelt.

Doch: Dort drinnen ist er erst recht ein Außenseiter. Und er begeht einen Fehler …

Zur selben Zeit sind auch Nozipho und Thembi innerhalb der Mauern unterwegs, sie verdienen ihren Unterhalt mit Diebstählen. Was sie nicht wissen: Ausgerechnet in dem Haus, in dem sie Beute zu machen hoffen, wurde gerade erst ein weit größeres Verbrechen verübt.

 

«Knapp, schnell, lakonisch, auf den Punkt und brisant: Max Annas spielt schon nach zwei Büchern an der Spitze der deutschen Kriminalliteratur mit.» Thomas Wörtche

Vita

Max Annas lebte bis vor kurzem in Südafrika, wo er immer noch an einem Forschungsprojekt zu südafrikanischem Jazz an der University of Fort Hare arbeitet. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht zu Popkultur, Politik und Sport. Außerdem hat er bei verschiedenen Festivals als Filmkurator gearbeitet. In einem früheren Leben war er Journalist. Für seinen ersten Roman «Die Farm» erhielt Max Annas den Deutschen Krimipreis. Der Autor lebt in Berlin.

In Gedanken bei Jimi Hendrix,

Arthur Lee und Phil Lynott.

1

«Die Weißen sind seltsam …»

«Wieso?»

«Na ja …» Die Frau trug einen ausgewaschenen braunen Kittel mit großen gelben Blumen. Darunter war ein hellgrünes T-Shirt zu sehen. Unter dem Saum des Kittels ein dunkelgrüner Rock. An den Füßen Laufschuhe und kurze schwarze Socken. Sie machte kleine, schnelle Schritte. «Die können sich nicht anziehen», sagte sie. Über der Schulter hing eine große Handtasche aus Kunstleder.

«Keine Neuigkeit.» Der Mann schaute auf die Frau herab und unterdrückte ein Grinsen. Er war zwei Köpfe größer und trug einen anthrazitfarbenen Anzug. «Haben sie noch nie gekonnt. Im Kopf sind sie alle noch Farmer. Und das sieht man ihnen auch an.» Wegen seiner langen Beine sah er aus, als ginge er betont langsam.

«Farmer, ja, so sehen sie aus», sagte die Frau. Mit zwei schnellen Schritten verkürzte sie den Rückstand auf den Mann.

«Ist das heiß!» Der im Anzug holte ein Taschentuch aus der Hose und fuhr sich über Stirn und Wangen. Dann tupfte er die Handrücken ab und steckte das Taschentuch wieder weg. «Wie kommst du jetzt darauf?» Er zog den Kragen seines hellblauen Hemdes gerade und richtete die schwarze Krawatte. Der Aktenkoffer in seiner anderen Hand hatte Übergröße.

Der Frau fuhr sich mit dem Arm über das Gesicht. «Der Alte eben.»

«Wo wir den Wagen geparkt haben? Der an der Kreuzung?»

«Hmhm.» Die Frau schüttelte den Kopf. «Die weiten Shorts. Das Hemd drüber.» Sie machte ein paar längere Schritte, um nicht zurückzufallen. «Und was für ein Hemd. Die Socken in den Sandalen.» Die Frau schüttelte wieder den Kopf. «So würde ich nicht mal ins Bett gehen.»

«Du gehst ja auch immer nackt ins Bett.»

Die Frau guckte den Mann streng an. «Und hast du die Augen von dem gesehen?»

«Außer im Winter …» Er grinste. «Und nein, nur kurz. Ich wollte den nicht anstarren. Das hätte ihn noch mehr provoziert.»

«Blödsinn. Der wird noch in ein paar Tagen herumerzählen, dass zwei Schwarze vor seinem beschissenen Haus geparkt haben. Das macht mich wütend. Richtig wütend. Ich meine, was soll ihm denn mitten am Tag passieren? In Suburbia.»

«Am heißesten Tag des Jahres.»

«Genau. Am scheißheißesten Tag des Jahres. Da stirbt der sowieso eher an einem Schlaganfall, als überfallen zu werden. Auch wenn zwei Schwarze vor seiner Tür parken. Hoffentlich finden wir gleich die Ecke wieder, wo der Wagen steht.»

«Ganz sicher, kein Problem. Das war nicht so weit vom Eingang entfernt. Da kommt jemand.»

Die Frau ließ sich einen Meter zurückfallen. Sie ging jetzt mit gesenktem Kopf. Anzug reckte seinen Kopf nach vorn und schaute die Frau an, die ihnen entgegenkam. Mitte 30, Corporate-Kleidung, eng anliegender schwarzer Anzug, weiße Bluse. Blondes Haar, glatt, bis auf die Schultern. Typ Maklerin.

«How are you?», fragte Anzug und nickte beiläufig.

«Hi», sagte die Maklerin, schaute Anzug kaum an und die Frau im Kittel gar nicht. «Heiß heute», sagte sie noch und ging weiter.

Die Frau im Kittel schwieg. Blick weiterhin gesenkt. Als die Maklerin schon einige Meter entfernt war, schloss sie wieder auf. «Wie weit wollen wir noch gehen?» Die Häuser hatten hier alle zwei Etagen, waren auf ähnlich großen, aber verschieden geschnittenen Grundstücken gebaut worden. Sie sahen sich zum Verwechseln ähnlich. Genau wie die einstöckigen Häuser, die am Anfang die Szene bestimmt hatten.

«Wir sind gleich am Ende, siehst du die Mauer dahinten?»

«Hmhm. Was meinst du, was der Alte von eben so hat?»

«Der Alte? Der uns so angeguckt hat. Phhh … Weiß nicht … Ein bisschen Schmuck, zwei oder drei Generationen Eheringe aus Gold. Bargeld, vielleicht sogar viel davon. Vielleicht sammelt er etwas, Münzen oder so. Das könnte interessant sein, auch wenn es dann immer so schwer ist, die wieder loszuschlagen. Wenn er eine Waffe hat, dann keine, für die man viel Geld kriegt. Und keine Telefone, die uns interessieren, kein Laptop. Und sicher hat er einen CD-Player. Und den kann man wirklich nirgendwo mehr verkaufen.»

«Du kennst dich gut aus.»

«Ich mache das ja auch beruflich.»

«Stimmt.»

Die beiden waren an einer T-Kreuzung angekommen. Hinter den Grundstücken, auf die sie blickten, war eine hohe Mauer zu sehen. Dahinter das stete Rauschen eines Flusses. Hundebellen von dort. Eine männliche Stimme rief den Hund. Der Mann und die Frau blieben stehen.

«Was hast du?», fragte Anzug. Die Gated Community war ideal für ihre Bedürfnisse. Viele Häuser, die Grundstücke nicht zu groß. Um Privatheit zu schaffen, waren überall kleinere und größere Mauern errichtet worden. Als Blickschutz gegen Nachbarn und Leute, die vorübergingen und -fuhren. Nirgendwo aber durchgezogene Mauern, alle Grundstücke waren frei zugänglich. Und auf jedem gab es Möglichkeiten, sich für kurze Zeit zu verbergen. Wenn man wusste, wo die Kameras waren.

«Die beiden offenen Fenster», sagte die Frau. «Da ist niemand.»

«Warum?»

«Der Wagen, der uns am Anfang entgegengekommen ist, der kam daher.»

«Das Paar?»

«Hmhm. Aber das waren zwei Männer, glaube ich.»

«Wirklich? Aber das ist das Gute an der Hitze. Sie lassen die Fenster offen. Sahen die beiden so aus, als gäbe es dort etwas zu holen?»

«Kann sein. Bin mir nicht sicher.»

«Was noch?»

«Der Briefkasten mit den drei Umschlägen, die rausgucken.»

«Ja, klar.»

«Und dann noch der kleine Hund. Das Fenster war zu, und die Fensterscheibe war total verschmiert. Der wartet auf seine alte Lady. Alte weiße Lady.»

«Den Hund allein zu Hause gelassen, oder?»

«Ja. Und du?»

«Die Lichtschaltanlage?»

Die Frau schüttelte den Kopf. Hatte sie nicht bemerkt.

«Das Haus mit dem Laub vor der Tür?», fragte der Mann.

«Ach ja. Hmhm.»

«Da ist das Licht angegangen. Kaum wahrzunehmen. Hat jemand falsch eingestellt.»

«Aber wenn die eine Lichtschaltanlage haben, dann gibt’s auch noch Alarm.»

«Ja, kann sein. Gut möglich. Was schlägst du vor?»

«Zuerst den Hund. Dann die Fenster. Dann sehen wir weiter.»

Anzug brummte kurz. «Apropos Hund», sagte er und zeigte vor sich. Ein magerer brauner Hund kreuzte die schmale Straße.

«Wo kommt der her?», fragte die Frau.

«Der kann von überall her sein. Ist ein bisschen wie im Township hier. Da laufen die Hunde ja auch frei herum.»

«Ja, aber hier ist es sicherer als im Township.»

«Bis jetzt», sagte der Mann. «Sicherer gewesen.»

2

«Anschieben?», fragte der Professor.

«Schon okay», sagte Moses. «Geht ja bergab. Da läuft der Wagen schon. Wir sehen uns morgen.» Als er die Bremsen löste, rollte der alte Toyota an. Der Prof mit seinem weißen Lockenkopf war noch im Rückspiegel zu sehen. Er winkte und drehte sich um. Moses drückte kurz auf die Hupe, letzter Gruß, und startete den Wagen. Der Motor stotterte zuerst, sprang dann aber an. Im Radio lief schlechter Kwaito. Die Musik setzte kurz aus, lief dann wieder. Irgendwas mit der Elektrik.

Diese riesigen Häuser irritierten Moses immer. Meistens wohnten nur wenige Leute darin. So wie Professor Brinsley und seine Frau. Zwei Etagen, endlos viele Zimmer, großer Pool, Rasen, Garten. Zum Glück hatte der Prof keine Hunde.

Eine gute Idee war das gewesen, Brinsley zu helfen. Sein Büro war bis unter die Decke voll mit Büchern gewesen, in Regalen und in staubigen Stapeln. Sein Vertrag an der Fort-Hare-Universität war ausgelaufen, nächste Woche würde er in die Staaten fliegen, um dort in Atlanta zu arbeiten. Und die Bücher mussten zu ihm nach Hause. Zwischenlagerung.

«Moses, kannst du das brauchen?», hatte er immer wieder gefragt. Im Kofferraum des Toyota waren jetzt zwei schwere Kisten mit Büchern. Und Brinsley hatte sich tatsächlich von C.L.R. James’ Buch über Kricket getrennt. Unglaublich. Sein einziges Exemplar.

Eine SMS kam. Moses zog das Telefon aus der Hosentasche.

«Bist du unterwegs?»

«Klar!», schrieb er zurück.

Kurz darauf die nächste SMS. «Was machen wir?»

«Sex!», schrieb er, während er auf Display und Straße zugleich schaute. Beim Schreiben geriet er kurz auf die falsche Fahrspur. Machte nichts. Die Straße war leer gegen Mittag.

Moses drehte das Fenster auf der Beifahrerseite herunter. «Woah, woah, woah», sagte der Moderator im Radio. «Das ist der heißeste Februar seit Jahren. Und heute ist der heißeste Tag im heißesten Februar seit Jahren. Ich klettere gleich in die Eistonne. Ruft an und sagt mir, was ihr heute im Eastern Cape gegen die Hitze tut.» Das Radio setzte erneut kurz aus. Als es wieder ansprang, lief RnB. Zur Mall. Sekt kaufen. Dann nach Hause. Aus den schmutzigen Klamotten raus, duschen, was Nettes anziehen zum Ausziehen. Und schließlich zu Sandi. 40 Minuten Maximum. Punkt eins bei ihr sein.

Das Telefon meldete sich wieder. Dieses Mal war es die Batterie. So gut wie leer. Egal.

Er nahm die Kurve nach Abbotsford, als der Motor kurz aussetzte. Komm, dachte Moses. Heute noch. Morgen bringe ich dich zur Werkstatt. Garantiert. Versprochen.

Abbotsford zu Ende, über den Nahoon hinüber. Gleich Dorchester Heights. Der Motor setzte wieder aus. Morgen, dachte Moses. «Morgen!», sagte er laut. Es ging weiter. «Come on!», rief er. Der Wagen setzte wieder aus. Es ging leicht bergab, immerhin rollte er noch. Aber er kam nicht zurück. Moses trat das Gaspedal wieder und wieder.

Die Straße wurde eben, das Tempo nahm ab. Er ließ den Wagen ausrollen und stellte zwei Räder auf das Grün am Straßenrand. Drehte den Schlüssel und hörte … gar nichts. Zog den Schlüssel, atmete durch. Steckte ihn wieder ins Zündschloss, drehte. Nichts.

Noch einmal. Schlüssel rausziehen, an irgendetwas anderes denken, aber an was, an Sex mit Sandi, dann wieder rein mit dem Schlüssel und drehen. Nichts. Keine Reaktion. Kein Geräusch. Gar nichts.

Die Uhr. Von den 40 Minuten waren zwölf schon vorbei. Moses stieg aus. Fast kein Schatten am Boden. Die Sonne stand am höchsten Punkt. Das Telefon erinnerte ihn wieder an die Batterie. Wen rief er jetzt an?

Khanyo. Der kannte sich aus mit Autos.

«Hm. Wer da?»

«Moses. Der Toyota macht’s nicht mehr.»

«Und?»

«Und ich brauch dringend Hilfe.»

«Das Ding nimmt dir schon niemand weg. Wo bist du überhaupt? So panisch, wie du dich anhörst, seh ich dich in Duncan Village und ein paar messerschwingende Tsotsis um dich herum. Ha, ha, ha …»

Moses lachte, weil Khanyo es erwartete. «Ha, ha, ha. Ich bin in … am Anfang von Dorchester Heights. Von Abbotsford aus. Da ist so eine Kreuzung, da geht’s links leicht bergauf. Und ich steh an der Straße. Ich will einfach nicht zu lange hier stehen bleiben. Hör zu, wenn du mich erlöst, dann lad ich dich morgen zum Essen ein. Ich koche und verrate dir, was Brinsley über seinen Nachfolger erzählt hat. Okay?»

Keine Antwort.

«Khanyo?» Moses schaute auf das Telefon. Das Display war dunkel. Scheiße.

12 Uhr 39. Von den 40 Minuten waren 19 schon um. Sex mit Sandi konnte er vergessen. Was hatte Khanyo noch gehört? Dorchester Heights? Hatte er diese beiden Worte noch mitgekriegt? Und wenn ja – würde er dann kommen?

Moses stieg aus und schaute sich um. Suburbia. Gehobene Mittelklasse. Drei Meter Rasen zwischen Straße und Mauer, eingeschossige Häuser, zwei Garagentore, Scherben oder Strom auf der Mauer, um ungebetenen Besuch abzuhalten. Die Straße weiter runter öffnete sich ein Tor, ein Kleinwagen kam herausgefahren. In seine Richtung. 30 oder etwas älter war die Frau, schulterlange braune Haare. Hausfrau, dachte er. Auf dem Weg zum Kindergarten.

Was für ein Pech. Auto kaputt und Telefon leer. Und wie er aussah. Die eingerissene Hose, der Staub am ganzen Leib, das Öl am T-Shirt vom alten Bakkie des Prof. Moses öffnete den Kofferraum. Kramte zwischen Kisten und Plastiktüten. Wo waren die Klamotten, die er seiner Schwester hatte geben wollen? Für die Schule in der Ciskei. Hatte er die schon weggegeben?

Er schloss den Kofferraum wieder. Sah sich noch einmal um. Eine Erinnerung.

Die Ecke da vorn, die kannte er. Aber woher?

Die Straße, die bergauf führte. Die hohe Mauer. Die Sackgasse. Das kam ihm bekannt vor. Moses ging langsam bergauf und dachte nach.

Letztes Jahr. Ein paar Kommilitonen. Irgendetwas hatten sie vorbereitet. Und der junge Weiße hatte da gewohnt. Sie hatten sich dort getroffen. Wie hat er nur geheißen? Robbie?

Nein. Janie? Nein.

Aber irgendetwas Ähnliches. Moses ging auf das Tor in der Mauer zu. «The Pines» stand neben dem Eingang auf einem großen Metallschild. Neben den Buchstaben waren stilisierte Bäume zu sehen. Gerade bewegte sich das Metallgitter zur Seite. Die Schnauze eines Wagens erschien. Moses wartete. Ganz neu. Groß. Schwarz. Moses kannte sich nicht aus mit Automarken. Aber so einen sollte er haben. Die bleiben nicht liegen, dachte er.

Das Tor war auf. Der Wagen kam heraus. Dunkle Scheiben. Passierte ihn. Das Tor schloss sich langsam wieder. Moses lief ein paar Schritte und zwängte sich gerade noch durch den schmalen Spalt, bevor die Gated Community wieder verschlossen war.

3

«Die bleiben bestimmt keine Ewigkeit», sagte Anzug. «Wir hätten das hier zuerst machen sollen.» Er blickte auf einen einstöckigen Bau mit integrierter Garage. Haustür aus Holz, ein Fenster zur Rechten, gekippt, zwei zur linken Seite, eines davon auch auf Kipp.

«Das andere Haus lag aber besser, Thembinkosi. Und es hat sich ja auch gelohnt. In anderer Reihenfolge hätte es uns zu lange aufgehalten.» Die Frau blickte sich um. «Zu viele Wege, zu viel Aufsehen, das sagst du doch immer. Willst du nun rein oder nicht?»

«Ja, will ich, Nozipho. Wir haben ja kaum angefangen zu arbeiten.» Er grinste sie an.

«Und Alarm gibt’s hier sicher nicht, der würde bei den offenen Fenstern nicht funktionieren.»

«Wie viele Kameras hast du insgesamt hier drin gezählt?» Thembinkosi griff in die Tasche seiner Anzughose und hielt einen kleinen Bund mit Werkzeug in der Hand.

Nozipho holte einen Handspiegel hervor, hielt ihn sich vors Gesicht und drehte sich langsam herum. Schaute sich um. «Vier hab ich gesehen.»

«Ja, ich auch. Das passt. Viel mehr werden es auch nicht sein.»

Noch bevor Nozipho den Lippenstift aus der Handtasche gekramt hatte, hörte sie, dass sich die Haustür öffnete.

4

Das metallische Klacken des Tors hallte noch nach in Moses’ Kopf, als er sich fragte, ob er hier tatsächlich richtig war. Die sahen schon alle gleich aus, diese Gated Commmunities. Gegeneinander versetzte Häuser, kurvig oder winklig angelegte Straßen, Mauern am fernen Horizont. Aber er glaubte, sich zu erinnern. Die sechs Straßen, die im gleichen Bogen von der Mauer am Eingang wegführten. Die Häuser, die nie ein direktes Gegenüber hatten. Leicht abfallendes Gelände. Rechts hinter der Außenmauer hügeliges Terrain, zum Teil deutlich höher gelegen. Links die Straße, die er eben gekommen war. Moses hatte ein gutes visuelles Gedächtnis. Doch, das war die Gated Community, in der er damals gewesen war. Aber wo wohnte der Kommilitone? Danie? Oder doch Janie? Und wie ging er am besten vor, um ihn zu finden?

Drei der Straßen starteten zu seiner rechten Seite, drei zu seiner linken. Alle verliefen in einem ähnlichen sanften Schwung in einer anhaltenden Linkskurve. Die Häuser, die vom Eingang aus zu sehen waren, hatten alle nur ein Stockwerk. Erst recht weit hinten waren die zweigeschossigen zu sehen. Und noch weiter hinten war der Fluss, wenn er sich richtig erinnerte. Der Nahoon River, hinter der abschließenden Mauer. So weit war er nicht gewesen damals. Oder? Aber wie weit?

Erinnern, sagte sich Moses. Er ging ein paar Meter nach links, schaute in eine der Straßen hinein. Dann in die andere Richtung. Entschied sich, ganz rechts zu beginnen. Systematisch vorgehen. Die Erinnerung würde kommen, wenn er das Haus sah.

Wie waren sie damals eigentlich hierhergekommen? Sicher nicht in seinem Auto. Er hatte damals noch keins gehabt. Den Toyota hatte er sich erst vor ein paar Monaten leisten können. Waren sie in Ross’ Wagen gefahren? Und wer war überhaupt dabei gewesen? Und warum fragte er sich das überhaupt?

Klar, weil es half, das ganze Bild zu erinnern. Wenn er die Gruppe beisammenhatte, ihre Gesichter, das Auto, dann konnte er auch das Haus leichter erkennen, in dem sie damals gewesen waren. Und der Name musste ihm wieder einfallen. Japie? Die Buren haben komische Namen, dachte Moses.

Ein symbolisches Stück Mauer zur Straße hin, ein paar Meter Rasen und Garten, ein halber Würfel mit Fenstern drin, eingebaute Garage. Bäume, die schon ein wenig Sichtschutz boten, aber noch mitten im Wachstum waren. Ein alter Hyundai stand hier in der Einfahrt, zwei Reifen ohne Luft, damit war lange niemand unterwegs gewesen. Der Geruch von gebratenem Fleisch, von wo? Wäsche auf einem Reck im Vorgarten. Wer mochte zu dieser Zeit alles zu Hause sein? Die domestic worker, keine Frage. Wer war überhaupt zu dieser Zeit in diesen Mauern? Die Leute hier arbeiteten doch alle. Und war Japie zu Hause? Oder Janie? Wie hatte er ausgesehen? Moses blieb stehen und konzentrierte sich. Groß. Dünn. Arrogant. Schon Geheimratsecken. Dauerredner. Er hatte ihn spontan unsympathisch gefunden. Egal. Helfen würde er ihm sicher.

Hinter einem Fenster stand eine Frau im Kittel. Bügelnd. Sie stand mit dem Rücken zum Fenster und bewegte ihre schweren Arme langsam über das Brett. Sie griff nach einem Stück Stoff und fuhr sich damit über das Gesicht. Die Hitze. Und sie bügelte auch noch. Als sie mit dem Stoff fertig war, drehte sie sich um. Sah Moses. Erschrak, weil er da stand und ins Haus hineinsah. Er ging grußlos weiter. Fuhr sich mit der Hand über die schweißnasse Stirn. Er sah auf seine Uhr. Punkt eins. Der Plan war gewesen, jetzt genau Sandi zu küssen.

Er näherte sich einer T-Kreuzung, die erste Straße hatte er abgeklappert. Und war sich mittlerweile sicher, dass der Kommilitone nicht in einem dieser einstöckigen Häuser wohnte. Rechts versetzt ging eine weitere Straße in exakt dem gleichen Bogen weiter. Immer noch einstöckig. Moses beschleunigte seinen Schritt. Wieder ein T, dieses Mal begann die nächste Straße, die geradeaus weiterführte, leicht nach links versetzt. Nun zwischen zweistöckigen Gebäuden hindurch. Die Grundfläche war auch hier nicht besonders groß, der erste Stock war über eine Doppelgarage hinübergebaut. Vor dem Haus auf der linken Seite standen Blumen. Kleines Beet, alle Farben, Moses hatte keine Ahnung, was das für Blumen waren. Aber dass sie trotz der brutalen Sonne so bunt leuchteten, musste eine Menge Arbeit bedeuten. Er schaute sich um. Wer machte hier eigentlich die Gartenarbeit? Gab es eine eigene Kolonne für die Gated Community? Oder heuerte jedes Haus einen eigenen Gärtner an? Er wusste nicht, wie diese Leute hier lebten.

Wenig später blieb Moses stehen. Drehte sich einmal um die eigene Achse. Das Haus war es. Er erinnerte sich an diesen Briefkasten. Der stand auf einem Holzpfahl neben der Haustür. Die Box war die Miniatur eines Hauses, zu einer Seite offen. Ein über zwei Wände hinausragendes Holzdach schützte die Öffnung der Box vor Regen. Moses ging einige Schritte auf das Haus zu. Zögerte. Schaute genau hin. Falsch. Das konnte es doch nicht sein. Im ersten Stock hing ein Kaizer- Chiefs-Trikot im Fenster. Die Buren gucken keinen Fußball. Nie im Leben.

Und Japie oder Janie oder Danie war ein ganz normaler Burenjunge. Das hätte er doch damals gemerkt, wenn an dem irgendetwas anders gewesen wäre. Moses schüttelte den Kopf. Kaizer-Chiefs-Fan. Regelrecht subversiv. Das war nicht das Haus.

An der nächsten T-Kreuzung blieb er wieder stehen und blickte sich um. Er hatte den größten Teil des Weges bis zur Mauer am Fluss schon hinter sich, «The Pines» bald der Länge nach durchmessen. Machte einige Schritte in die nächste Straße hinein und dachte dann, dass ihm irgendetwas aufgefallen war, als er sich umgeblickt hatte. Er schaute die Straße zurück bis zur der Querstraße. Hob den Kopf.

Am Pfahl einer Laterne war eine kleine Kamera angebracht.

5

Meli atmete tief ein und wieder aus. Dann inhalierte er noch einmal die heiße Luft, bevor er den Rasenmäher einschaltete. Die paar Grashalme, die er jetzt zu kürzen hatte, würden ihm das Atmen schwermachen für den Rest des Tages. Aber er konnte sich nicht darüber beschweren. Gärtner war sein Beruf. Und er war ein guter Gärtner.

Die Abluft des alten Rasenmähers trieb eine Woolworths-Plastiktüte auf. Sie stieg schnell in die Höhe und blieb dann eine Sekunde lang in der flirrenden Luft stehen. Meli aktivierte die Bremse des Geräts, ohne es auszustellen, und versuchte, die leere Tüte einzufangen. Beim ersten Griff wich sie noch geschickt aus, aber dann sprang er noch einmal vom Boden ab und hatte sie in seiner Hand.

Am Ende der Straße sah er eine Gestalt, die in seine Richtung blickte. Abgerissen irgendwie, aber nicht total. Gute Körperhaltung. Kopf oben. Ein Afro, wie ihn manche jungen Leute wieder trugen. Die Gestalt grüßte kurz. Meli grüßte zurück.

Anders als die beiden, die er eben gesehen hatte. Am anderen Ende der Straße. Er hatte sofort begriffen, dass die beiden nichts Gutes im Schilde führten. Einer im Anzug, eine im Kittel. Wie in einer dieser Komödien, die immer im Fernsehen liefen. Aber war es seine Verantwortung? Und vielleicht kapierten es die Leute hier ja nicht. Selber schuld.

Die Gestalt war wieder verschwunden.

«Was ist da, Meli?» Mrs. Viljoen. Diese Stimme. Schon die Frage war ein Befehl. Sie übertönte sogar den Motor.

«Nichts, Madam», sagte er ebenso laut und sehr deutlich.

«Dann kannst du auch weiterarbeiten.»

«Sofort, Madam!», sagte er. Dann holte er sein Telefon aus der Hosentasche und schaute darauf. Fünf nach eins. Noch knapp drei Stunden, bis die Arbeit vorüber war.

6

Thembinkosi schloss die Tür leise von innen.

«Alles in Ordnung mit dem Schloss?», fragte Nozipho.

«Klar. Auch wenn jemand kommt und aufschließt … Da fällt niemandem was auf.»

Beide stellten sich ans Fenster und blickten hinaus. Bewährte Routine. Erst sicherstellen, dass sie nicht bemerkt worden waren. Dann das Haus durchsuchen. Die Zeit war meistens auf ihrer Seite.

Draußen fuhr ein Kleinwagen vorbei.

«Ich mag die Verkleidung nicht», sagte Nozipho.

«Aber sie hilft uns doch.»

«Meinst du wirklich, dass uns niemand durchschaut?»

«Garantiert nicht.»

«Ich mag den Kittel trotzdem nicht. Ich sehe aus wie eine Putzfrau.»

«Das war ja auch die Idee!»

«Hmhm … Weißt du noch, als wir den Weißen gemietet haben?», fragte Nozipho. «Wir beide als seine Arbeiter?»

«Ja. Die Idee war gut. Aber der Weiße hat nicht gepasst.»

«Wie wir ihm neue Sachen gekauft haben.»

«Ja, er hat aber trotzdem ausgesehen wie ein Obdachloser.»

«Er war ein Obdachloser. Aber die Idee war gut.»

«Die Idee war groß.» Thembinkosi machte eine Pause. «Aber er hat sich ja nicht wie ein Weißer verhalten.»

«Warum eigentlich nicht?»

«Was weißt du über die Klassenfrage?»

«Komm. Fang jetzt nicht so an …»

«Ich glaube, dass das unser Fehler war. Wir haben einen armen Weißen gemietet.»

«Aber ein reicher Weißer hätte das nie gemacht.»

«Genau. Das hätten wir analysieren sollen. Unser Fehler.»

«Sollen wir endlich anfangen?»

7

Waren da noch mehr Kameras? Moses schaute sich um. In dieser Straße nicht. Er ging ein paar Schritte zurück. Nichts. Dann noch weiter. Bis zur letzten T-Kreuzung. Das war die Grenze zwischen den ein- und den zweistöckigen Häusern. Wieder nichts. War er vorher schon bemerkt worden? Am Eingang etwa? In der anderen Richtung sah er den Rücken eines Blaumanns. Da war jemand, der den Garten bearbeitete. Und das bei dieser Hitze. Der Mann war weit genug entfernt, um ihn nicht zu hören. Jetzt schaltete er den Motor eines Rasenmähers ein. Lärm. Die Abgase bliesen eine Plastiktüte zur Straße hin. Der Mann arretierte die Maschine bei laufendem Motor. Jagte der Tüte hinterher und fing sie auf, als sie in der stehenden Luft trudelte. Dabei fiel sein Blick auf Moses. Der Mann verharrte eine Sekunde mit der Tüte in der Hand. Moses grüßte. Der Mann hob die leere Hand, um den Gruß zu erwidern, und wandte sich wieder dem Garten zu. Und während er sich selbst umdrehte, sah Moses die nächste Kamera. Ein paar Meter entfernt nur. Sie war klein. Auch an einer Laterne angebracht. Und sie war genau auf ihn gerichtet. Die zweite schon.

Irgendwo startete ein Auto. Zweiter Gang jetzt, schneller, das Geräusch kam näher. Da war der Wagen auch schon, kam ihm entgegen. Moses zog die Schultern hoch und ging wieder tiefer in die Gated Community hinein, immer näher zur Mauer am Fluss. Mittelklassewagen, ältere weiße Frau am Steuer, passierte ihn. Weitergehen, weitersuchen. Hier war er jetzt an der letzten T-Kreuzung. Es ging parallel zur Mauer entlang wieder nach rechts und links ab. Die Häuser sahen aber auch wirklich alle gleich aus.

Systematisch oder dem Gefühl nach? Er sollte nach rechts gehen, um diese letzte hintere Ecke der Gated Community überprüft zu haben. Aber das Gefühl sagte ihm, dass er besser in die andere Richtung ging, wenn er das Haus finden wollte, das er suchte.

An der Mauer entlang waren die Grundstücke nun breiter als vorher, hatten Grün und Garten vor dem Haus und entlang beider Seiten. Wer mochte die Bilder der Kameras betrachten? Und wie viele mochte es geben auf dem Gelände? Wenn er schon zwei gesehen hatte, mussten da mehr sein. Aus einem Haus an der Mauer hörte er Hammerschläge. Gegenüber stand ein Korb mit Wäsche vor der offenen Haustür. Drinnen Geräusche, irgendein Klappern.

Moses ging weiter.

Am Eingang war keine dieser Security-Hütten gewesen. Wo immer die Bilder der Kameras also aufliefen, wahrscheinlich war das nicht auf dem Gelände der Gated Community. Sah sich überhaupt jemand die Bilder an? Er hatte von Kameras gehört, die bloße Attrappen waren. Aber waren sie dafür nicht zu wenig offensichtlich? Viel zu klein? Attrappen sollten doch groß sein und sofort bemerkt werden.

Die nächste Kreuzung. Nach links ging es zurück zum Ausgang, geradeaus weiter dem Verlauf der Mauer nach. Der Nahoon war jetzt deutlich hörbar. Kein großer Fluss, vielleicht 20 Meter breit. Meistens nicht tief, und jetzt im heißesten Sommer schon mal gar nicht. Eine Stimme rief etwas. Hinter der Mauer. Vielleicht ein Angler.

Wow. Moses blieb stehen. Er hatte sich nicht getäuscht. Da war dieser Briefkasten mit der Hausminiatur schon wieder. Genau der gleiche. Wahrscheinlich gab es den in irgendeinem Baumarkt zu kaufen. Er hatte sich richtig erinnert.

Und das war jetzt das Haus, das er gesucht hatte. Ganz sicher war er dieses Mal. Diese komischen Vorhänge mit Rot und Grün. Daran erinnerte er sich. «Aus Europa mitgebracht!», hatte der Kommilitone gesagt. Wahrscheinlich hatte er auch irgendein Land erwähnt. Moses ging auf die Haustür zu, sah sich kurz um und drückte die Klingel. Damit produzierte er einen hohen Schleifton, der nach hinten hin schwächer und jaulender wurde. Die Batterie war am Ende. Moses wartete ein paar Sekunden. Drückte die Klingel noch einmal. Erneut der schräge Ton. Das konnte vieles bedeuten. Die Buren waren generell träge. Die Batterie stand also schon seit Wochen auf der Einkaufsliste, wurde aber immer vergessen. Oder die Batterie war schon längst im Haus, aber da sowieso nie jemand klingelte, baute sie auch niemand ein. Alles möglich.

Eine Möglichkeit war aber auch, dachte Moses, dass schon lange niemand mehr hier im Haus gewesen war.

Konzentrier dich. Wenn hier keine Hilfe zu erwarten war, wo dann?

8

Lounge und Küche in einem langgezogenen L. Der große Raum hinter der Haustür nahm beinah die Hälfte der Grundfläche des Hauses ein. Dahinter zwei Schlafzimmer und ein Badezimmer. Mindestens. Vielleicht noch mehr. Irgendwo der Übergang zur Garage.

«Machst du das hier?», fragte Thembinkosi. «Ich nehme dann die kleinen Zimmer.» Nozipho nickte. Er blickte noch ein paar Sekunden auf die Einrichtung. Sitzgruppe mit Cordpolster und Kacheltisch. Ein verstaubtes Weinregal, fast leer, CD-Regal, riesengroßer Fernsehbildschirm. Auf einer Konsole ein junges Paar im Foto. Er Vollbart, sie lange Locken.

Beide irgendwie blond. «Sind die das eben gewesen?», fragte er.

Nozipho beugte sich vor. «Das waren zwei Männer eben. Hab ich doch gesagt. Und hatte der einen Bart eben? Puh. Schwer zu sagen. Irgendwie …»

«Hmhm … Irgendwie sehen sie alle gleich aus.»

«Die Weißen, hm?»

«Hmhm …» Nozipho und Thembinkosi sahen sich kurz an. Grinsten. Nozipho gab Thembinkosi einen flüchtigen Kuss und verschwand in der Küche.

Keine Bücher, dachte Thembinkosi. Schlechtes Zeichen. Bücher bedeuteten Großzügigkeit, mehr herumliegendes Bargeld, dafür weniger Schmuck, aber manchmal ein oder zwei kleine Schätze. Er ahnte schon, was er in den Kleiderschränken finden würde. Wenig Geschmack vor allem.

Die erste Tür, die er öffnete, war die zum großen Schlafzimmer. Das Bett war notdürftig gemacht, eine rosafarbene Uhr auf dem Nachttisch der einen Seite, ein kleiner Rugbypokal auf der anderen. Das war nicht, was ihn jetzt interessierte. In der Unterwäsche von Madam konnte er gleich noch herumwühlen. Er schloss die Tür wieder und drückte die Klinke der gegenüberliegenden Tür. Das zweite Schlafzimmer. Nicht benutzt. Das interessierte ihn.

Als Thembinkosi über die Schwelle ging, sah er einen Fleck direkt am Türrahmen. Er bückte sich und schaute genau hin. Ganz sicher war er sich nicht, und diese Stelle im Flur war recht dunkel. Aber sein Eindruck war, dass es sich um getrocknetes Blut handelte.

9

Wieder raus? Was sonst. Moses ging den Weg zurück, den er gekommen war. Welche Optionen gab es noch? Hier in der Gated Community würde er kaum Hilfe finden. «Hallo, können Sie vielleicht ein Auto reparieren?»

Obwohl … er konnte den Gärtner fragen. Der kannte vielleicht jemanden oder ließ ihn telefonieren, wenn er überhaupt Guthaben hatte. Gleich war er wieder an der Kreuzung, von der aus er den Gärtner eben gesehen hatte. Aber was, wenn der nachlassende Klingelton gar nichts zu bedeuten hatte? Vielleicht kümmerte sich nur niemand darum. Es war einfach allen egal. Hatte er überhaupt genau darauf geachtet, ob es weitere Zeichen dafür gab, dass das Haus gerade nicht bewohnt war? Er war nicht gründlich genug gewesen. Er hätte in den Briefkasten hineinschauen sollen. Waren die Blumen vor dem Haus vertrocknet? Waren da überhaupt Blumen gewesen? Was, wenn das alles nichts zu bedeuten hatte und Japie oder Janie gerade heimkam? Nicht weit entfernt war ein Motorgeräusch zu hören. Das konnte er doch sein. Auf der Parallelstraße. Einmal noch, sagte sich Moses. Einmal noch probieren, ob er dort nicht doch Hilfe kriegte. Der Gärtner war sowieso nicht mehr zu sehen. Er drehte sich wieder um. Ging zurück.

Schon 13 Uhr 16. Was mochte Sandi nur tun? Hoffentlich machte sie sich wenigstens Sorgen um ihn. Der Sekt wäre jetzt zu Hälfte ausgetrunken. Und sie würden … Er wollte gar nicht daran denken.

Die Straße parallel zur Mauer wieder. Nach links gehen. Da war das Haus. Gar keine Blumen. Der Rasen war trocken, aber es war auch so heiß. Seit Wochen. Moses fuhr sich über Stirn und Nacken, wischte den Schweiß an der Jeans ab. Das Auto von eben war nicht mehr zu hören. Fenster nicht ganz sauber. Er drückte die Nase an eines und schaute ins Haus hinein.

Die Küche, aufgeräumt. Nichts Auffälliges. Der Briefkasten war leer bis auf zwei Prospekte. Ein Baumarkt und eine Drogeriekette. Beide relativ neu. Irgendwer hatte die Post zuletzt eingesammelt.

Kein Janie. Kein Japie. Moses drehte sich um. Also doch wieder raus aus der Gated Community? Was stand dann an? An der Straße stehen. Warten. Taxis waren hier kaum unterwegs. Das konnte dauern. Aber es war eine Möglichkeit, um zu einer Werkstatt zu kommen. Vielleicht konnte der Taxifahrer selbst helfen. Geld war kein Problem. Er hatte ein paar Hunderter in der Hosentasche.

Oder warten, bis jemand anhielt, um zu helfen. Super Idee. Zwischen Abbotsford und Dorchester Heights, wo doch in beiden Suburbs fast nur Weiße lebten. Die würden gerade anhalten, um einem jungen Schwarzen zu helfen.

Also zu Fuß dann. Auch okay.

An der Ecke, um die er eben gekommen war, tauchte ein weißer Mann auf. Kräftig, aber nicht fett. Kurze Shorts, T-Shirt. Er sah aus wie ein Rugby-Referee. Besser, ihm nicht zu begegnen. Moses machte sich auf in die andere Richtung. Besser, jetzt hier zu verschwinden. Sowieso musste er unbedingt Sandi anrufen. Hoffentlich öffnete sich das Tor automatisch von innen.