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Das hochaktuelle Debattenbuch der ehemaligen taz-Chefredakteurin
In ihrer Streitschrift probt Bascha Mika den Aufstand gegen all jene Frauen, die sich kampflos in alte Rollenmuster und Abhängigkeiten locken lassen. Einerseits klug und gut ausgebildet, versuchen sie nach Einschätzung der Autorin erst gar nicht, sich zu behaupten, sondern gehen gleich den Weg des geringsten Widerstands. Aus Bequemlichkeit, letztlich aber aus Feigheit. Die ehemalige taz-Chefredakteurin analysiert überkommene Rollenfallen und entwirft einen Aktionsplan zu mehr weiblicher Selbstbestimmung. Sie macht deutlich, dass rhetorische Emanzipation nicht ausreicht, was zählt ist die Praxis.
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Seitenzahl: 312
Bascha Mika
Die Feigheit der Frauen
Rollenfallen und Geiselmentalität.
Eine Streitschrift wider den Selbstbetrug
Mit einem Vorwort zur Taschenbuchausgabe
Buch
Was ist nur los mit uns Frauen? Wir wollen frei und gleich sein, doch wo sind wir angekommen nach einem halben Jahrhundert Emanzipationsdebatte? Alle Sündenböcke sind ausgemacht, alle Entschuldigungen aufgebraucht, alle Spiele gespielt. Jetzt wird es ernst. Jetzt sind wir dran. Reden wir also mal nicht über die Strukturen. Reden wir über uns selbst.
Ohne Rücksicht auf political correctness fragt Bascha Mika, warum kluge, gut ausgebildete Frauen viele Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben verspielen, warum sie sich von Liebe überlisten, vom Hormonkomplott matt setzen oder in die Komfortzone locken lassen. Sie zeigt, wie Frauen sich selbst im Wege stehen, in Rollenfallen stolpern und zu Komplizinnen ihrer eigenen Selbstentwertung werden.
Bascha Mika ermutigt zu selbstbewussten Entscheidungen, Lust an Veränderung und Liebe auf Augenhöhe. „Wir Frauen brauchen ein Pfund Mut statt einer Tonne Ausreden. Ohne Wagnis wird das nichts mit der Selbstbestimmung.
Wir kennen es doch, dieses Kribbeln, wenn sich etwas bewegt. Die Unruhe, die uns erfasst, wenn wir aufbrechen. Vielleicht sind wir ängstlich, aber doch voller Erwartungen. Freiheit kann frostig sein, aber auch herrlich beglückend. Der Schock der frischen kalten Außenwelt ist bestürzend – und wunderbar.“
Autorin
Bascha Mika lebt als Publizistin und Autorin in Berlin. Geboren in Polen, kam sie als Kind in die Bundesrepublik. Nach einer Banklehre studierte sie Germanistik, Philosophie und Ethnologie. Daneben begann sie journalistisch zu arbeiten. Sie war Redakteurin, Reporterin und elf Jahre Chefredakteurin der tageszeitung (taz). Als Honorarprofessorin an der Universität der Künste Berlin bildet sie journalistischen Nachwuchs aus.
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1. Auflage Taschenbuchausgabe Mai 2012 Wilhelm Goldmann Verlag, Neumarkter Str. 28, 81673 München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Copyright © 2010 der Originalausgabe by C. Bertelsmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München i n Anlehnung an die Gestaltung der Hardcover-Ausgabe (R.M.E. Roland Eschelbeck und Rosemarie Kreuzer) KF · Herstellung: Str.
eI SBN: 978-3-641-20147-0V001
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Wer sich nicht streiten will, soll keine Streitschrift schreiben. Für mich ist das vorliegende Buch ein Angebot: zur Auseinandersetzung, zur Diskussion, zum Gespräch. Die »Feigheit der Frauen« will eine Debatte auslösen: Über das Selbstverständnis von Frauen in diesem Land, über unsere Lebensentwürfe, unser Verlangen nach Selbstbestimmung und unser Handeln im Alltag.
Kaum war die Streitschrift erschienen, wurde ich von der öffentlichen Resonanz regelrecht überwältigt. Vor allem aus Teilen der Medien prasselten Kritik und Vorwürfe vehement auf mich ein. Umso erstaunter war ich, wie wenig die Leserinnen diesem Urteil folgen mochten, wie viele positive Reaktionen mich von dieser Seite erreichten.
»Haben Sie das Buch über mich geschrieben, über mein Leben?« Immer wieder haben Frauen mir diese Frage gestellt. In Briefen und Mails, bei Lesungen und Diskussionen. Sie berichteten, wie häufig sie sich in den Porträts und Fallbeispielen wiedergefunden haben und wie stark stellenweise ihre Betroffenheit war. Viele nahmen »Die Feigheit der Frauen« zum Anlass, mir ihre Lebensgeschichte zu erzählen, persönlich oder auch schriftlich. Es sind Zeugnisse von weiblichem Leben, die einer eigenen Betrachtung und Würdigung wert wären. Biographische Landkarten zur weiblichen Realität.
Besonders angerührt hat mich, dass das vorliegende Buch offenbar dazu beitragen konnte, Dinge klarer zu sehen und eigenes Verhalten zu hinterfragen. »Ich bin gerade fertig mit meinem Studium und wollte mit meinem Freund in eine andere Stadt ziehen. Er hat dort bessere Berufschancen, ich habe dort gar nichts. Nun werde ich nochmal gründlich nachdenken.« – »Ich habe ihr Buch gelesen, einen Familienrat einberufen und die Hausarbeit neu verteilt.« – »Ich wollte nie darauf bestehen, dass mein Mann in Elternzeit geht. Er hat ja immer gesagt, dass ihm das beruflich schadet. Jetzt verlange ich, dass auch er Verantwortung für unser Kind übernimmt.«
Doch auch bei den Leserinnen zeigte sich nicht nur Zustimmung zu meinen Thesen. Manche sagten mir deutlich, wie wütend und gekränkt sie bei der Lektüre des Buches waren und kritisierten meine sprachlichen Zuspitzungen. »Warum sprechen Sie von feigen Frauen? Wäre Verzagtheit und Mutlosigkeit nicht angemessener?« Zweifellos, dies gestehe ich meinen Kritikerinnen gerne zu, klingen diese Begriffe sehr viel freundlicher. Aber würden sie uns den Erkenntnisprozess erleichtern?
Den polarisierenden Ton gab bei Erscheinen des Buches die überregionale Presse vor. »Feigheit der Frauen« schied die Geister, vor allem die der Journalistinnen. Entweder waren sie begeistert oder vergrätzt – und dann stand die Schärfe, mit der sie ihre Kritik vortrugen, meiner Provokation in nichts nach.
Besonders die Frage der Mutterschaft war für die eine oder andere Kollegin offenbar ein wunder Punkt. Jeder Profi weiß, dass Journalisten hauptsächlich über Dinge berichten, die sie nicht selbst erlebt und erfahren haben. Gerade auch, wenn es um existentielle Fragen geht wie Krieg und Morden, Vergewaltigung und Tod. Journalisten recherchieren, das ist ihr Job. Deshalb war es für mich ziemlich irritierend, als ausgerechnet Kolleginnen mir vorwarfen, dass ich über Mutterschaft schreibe, ohne selbst Mutter zu sein. Mutterschaft ist zweifellos eine einschneidende Lebenserfahrung. Aber sollte es wirklich das einzige Thema sein, mit dem sich nur betroffene Autorinnen auseinandersetzen dürfen?
Auch dass mich in der »Feigheit der Frauen« der sogenannte subjektive Faktor beschäftigt, hat mir einige Rügen eingetragen. Von journalistischer, politischer oder auch wissenschaftlicher Seite. Meine Streitschrift behandelt das Alltagsleben von Frauen, ihre Entscheidungen im Privaten und ihren allzu häufigen Verzicht auf Selbstbestimmung gerade in diesem Bereich, der ihnen weitgehende Entscheidungsfreiheit lässt. Doch wer sich als Autorin nicht in die Reihe stellt und ausschließlich die politischen Strukturen beklagt, unter denen Frauen hierzulande leiden, begeht angeblich Verrat an der weiblichen Sache. Wer neben den desaströsen gesellschaftlichen Verhältnissen die weibliche Verantwortung ins Spiel bringt, »arbeitet der Gegenseite zu und ist nicht hilfreich«, wie es eine allseits bekannte, feministisch orientierte Politikerin bei einem Gespräch über mein Buch ausdrückte.
Es sind auch diese Beharrungskräfte, die zur katastrophalen Situation von Frauen beitragen, es ist die Orientierung am bereits Bekannten und die Weigerung, die weibliche Realität nicht nur im Politischen, sondern auch im Privaten in den Blick zu nehmen. Denn was die Strukturen angeht, haben wir kein Erkenntnis- sondern ein Umsetzungsproblem. Mit dem Wissen über die Macht der Strukturen können wir ganze Bibliotheken füllen. Doch über unsere weibliche Komplizenschaft mit den Verhältnissen – darüber schweigen wir uns öffentlich hartnäckig aus. Da haben wir nicht nur ein Umsetzungsproblem, da hapert es bereits an der Erkenntnis! Diese Erfahrung führte mich zu der »Feigheit der Frauen«.
Sehr spannend war für mich, dass sich die anfänglich polarisierte Haltung der Presse weder in den übrigen Medien, noch in den Veranstaltungen zum Thema wiederfand. Im Gegenteil: Bei unzähligen Lesungen und Diskussionen, die unter anderen von politischen Parteien und Stiftungen, Hochschulen, Verbänden, Vereinen und Gleichstellungsstellen im ganzen Land zur »Feigheit der Frauen« organisiert wurden, gingen die Teilnehmerinnen sehr souverän mit den Thesen um. Selbstverständlich stimmten viele nicht völlig mit mir überein, selbstverständlich kamen viele Kritikpunkte zur Sprache – doch entscheidend war stets ein anderer Punkt: Frauen wollen die Debatte führen, sie wollen sich miteinander verständigen und Veränderungen vorantreiben. Das Bedürfnis danach und der Druck, unter dem Frauen hierzulande stehen, ist unendlich groß. Das habe ich überall gespürt.
Dem Leben von Frauen öffentlich Aufmerksamkeit zu verschaffen und ihre Anliegen kontrovers zu diskutieren, ist mit dem vorliegenden Buch zu meiner Freude gelungen. Ich wollte eine Debatte, ich habe sie bekommen und wäre stolz und glücklich, wenn diese Auseinandersetzung uns ein Stück weiterbringt.
Was ist bloß los mit uns?
Immer wieder bin ich in den vergangenen Jahren Frauen begegnet, die mich irritiert haben. Klug und gut ausgebildet waren sie, traten selbstbewusst und eigenständig auf, schienen so gar nicht anfällig für die Verführungskraft alter Rollen. Und plötzlich scherten sie aus – verabschiedeten sich von ihren früheren Wünschen und Ambitionen und wählten ein klassisch weibliches Lebensprogramm.
Je öfter mir dieses Modell begegnete, desto größer mein Unbehagen. Überall sah ich Frauen, die in meinen Augen weit unter ihren Möglichkeiten blieben, die ihre Kraft und ihre Fähigkeiten vergeudeten. Meine Fassungslosigkeit wuchs und auch mein Zorn. Warum kämpfen wir nicht für ein selbstbestimmtes Leben? Wieso versagen wir Frauen immer wieder an Punkten, wo es um uns selbst geht? Wollen wir nicht frei und gleich sein? Sind wir stattdessen bequem und feige?
Jede von uns kennt das Bedürfnis, sich den alten Mustern zu ergeben. Jede kennt den inneren Einflüsterer, der mit Ängsten droht und uns weiß Gott was verspricht. Aber wir wissen doch, dass wir mit dem Weiblichkeitsschema nicht glücklich werden, wenn unser Lebensentwurf mal ganz anders aussah. Warum wählen wir trotzdem die traditionelle Rolle – massenhaft? Darüber müssen wir reden!
In zahlreichen Gesprächen bin ich meiner Irritation und meinen Fragen nachgegangen. Mit jungen und älteren Frauen, mit Erwerbstätigen und Hausfrauen, mit Müttern und Nichtmüttern. Mit ExpertInnen, BeraterInnen, WissenschaftlerInnen.
Ich habe mir viele, sehr viele Geschichten erzählen lassen. Habe weiblichen Erfahrungen nachgespürt und unterschiedlichen Frauenleben. Manchmal war ich erstaunt, wie die Berichte nur so hervorsprudelten, sobald ich mein Thema anschnitt.
Alle Fallbeispiele, die ich anführe, sind authentisch, alle darin geschilderten Personen real. Allerdings habe ich Namen und Orte verfremdet, um die Persönlichkeit meiner GesprächspartnerInnen zu schützen.
Nur zum Teil konnten meine Recherchen unmittelbar in den Text einfließen, doch im Hintergrund ist die Fülle des gesammelten Materials mit verarbeitet. Denn darum geht es im vorliegenden Buch: um das gelebte Leben von Frauen. Um ihre Wünsche, Träume und ihre Entscheidungen in der Wirklichkeit. Um die Motive, die sie treiben, und die Erwartungen, denen sie folgen.
Dabei will ich überindividuelle Muster aufzeigen und herausarbeiten. Aus diesem Grund spreche ich in der Regel verallgemeinernd von Frauen, von uns Frauen. Selbstverständlich gibt es eine Vielzahl sozialer und biographischer Unterschiede, abhängig von Schichten und Milieus, Bildung und Einkommen, Ost und West …
Aber es gibt eben auch die roten Linien, die sich gleichermaßen durch die unterschiedlichsten Frauenleben ziehen. Um diese Linien deutlich zu machen, habe ich mich in den Interpretationen auf signifikante weibliche Verhaltensweisen konzentriert.
Die Kapitel des Buches folgen den möglichen Sollbruchstellen im weiblichen Leben – doch nicht biographisch-chronologisch. So können die Kapitel in der vorgestellten Reihenfolge gelesen werden, oder auch einzeln für sich.
Mit der »Feigheit der Frauen« werde ich mir nicht nur Freundinnen machen, das weiß ich. Ich höre schon den Vorwurf, warum sich denn ausgerechnet eine Autorin kritisch mit weiblichem Verhalten auseinandersetzt, als gäbe es nicht schon genug männliche Gegenspieler. Die Antwort ist schlicht: Weil es sein muss. Weil wir bereits zu lange gewartet haben, auch aus Angst, Beifall von der falschen Seite zu bekommen.
Es wird Zeit, dass wir beginnen, die Debatte zu führen. Damit wir nicht nur behaupten, frei und gleich zu sein, sondern auch so handeln. Und damit sich die gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend ändern. Unser Mut ist gefragt.
Sie heißt Eva. Eva hat einen Mann, zwei Kinder, einen mittelgroßen Hund und einen mittelkleinen Garten am Reihenendhaus.
Ab halb sieben läuft ihr Programm: Eine schnelle Tasse Kaffee mit ihrem Rainer, Frühstück für Kinder und Hund, Charlotte und Max in die Schule gebracht, eingekauft, aufgeräumt, Essen vorbereitet, danach ist schon wieder Zeit, die Kinder zu holen. Der Einkauf, der Garten, ihre Pilates-Gruppe, der Lauf-Treff. Zweimal in der Woche geht Max zum Fußball, Charlotte zum Judo, beide haben Klavierstunden. Hinfahren, abholen, zu Freunden bringen. Die Hausaufgaben, Elternsprechtage, Kindergeburtstage.
So sieht es aus bei Eva. Sie ist zufrieden – sagt sie. Da sind ihr Mann, die Kinder, das Haus … Eva ist achtunddreißig, Max und Charlotte sind fünf und sieben Jahre alt. Rainer ist gerade Oberarzt geworden, er verdient genug für sie alle. Doch wenn Eva nachts aufwacht, kommt die Angst: Was, wenn sie Rainer verliert? Was, wenn die Kinder weg sind? Was, wenn …
Alle ihre Freundinnen leben so oder so ähnlich. Alle benehmen sich, als hätten sie es gut getroffen. Soll Eva damit rausrücken, dass sie sich ihr Leben eigentlich mal anders vorgestellt hat?
Sie war immer ehrgeizig. Eine gute Schülerin, eine prima Abiturientin, ihre Ausbildung zur Bankkauffrau hat sie hervorragend abgeschlossen. Sie wollte finanziell auf niemanden angewiesen sein. Was es heißt, ohne eigenes Geld dazustehen, hatte sie bei ihrer Mutter erlebt. Das sollte ihr nicht passieren. In ihrer Familie würde es partnerschaftlich zugehen, alles sollte geteilt werden, auch die Haus- und die Kinderarbeit. In der Liebesbeziehung auf Augenhöhe zu leben, ist doch kein Problem, dachte sie, man muss es nur wollen. – Das war der Plan.
Als sie in der Bank mit Ende zwanzig ihre erste Abteilung übernahm, war Eva wahnsinnig stolz – und lernte Rainer kennen. Ein interessanter Typ, der wusste, was er wollte. Ihr schwante zwar bald, dass ihr Held sehr konventionell gestrickt war, was Frauen anging, aber das würde sie schon ändern, dachte Eva. Sie war sehr verliebt.
Kurz darauf bewarb sich Rainer für seine Ausbildung zum Facharzt auf eine Stelle in Nordrhein-Westfalen. Er zog weg von Bremen. Eine Zeit lang pendelten sie, doch Eva fürchtete, das würde die Beziehung sprengen. Gleichzeitig wurde ihr der Arbeits- und Leistungsdruck in der neuen Abteilung zunehmend unangenehm, und die Stimmung war auch nicht sonderlich kollegial. Eva zog Rainer hinterher. Einen Job in der neuen Stadt hatte sie nicht. Den würde sie schon noch finden, glaubte sie. Stattdessen wurde sie schwanger.
Wie wird das mit dem Kind, wer kümmert sich? Rainer freute sich, Vater zu werden, wollte aber auf keinen Fall beruflich aussetzen; das könnte er sich nicht leisten, meinte er. Obwohl Eva ihre Arbeit vermisste, verstand sie ihren Liebsten irgendwie, und vor allem wollte sie nicht mit ihm streiten. Ein Jahr plante sie auszusetzen, um dann neu zu starten.
Sie konzentrierte sich auf Kind und Mann. Als Charlotte zwei Jahre alt war, überlegte sie, beruflich wieder einzusteigen. Ihre Mutter war entsetzt: Wie sie sich das vorstellte? Das Kind alleine lassen? Rainer arbeitete pausenlos. Sollte sie jetzt von ihm verlangen, zurückzustecken und sich mehr um die Kleine zu kümmern? Wo er doch ganz selbstverständlich erwartete, dass sie ihm den Rücken freihielt. Eva wurde wieder schwanger. Und dann kauften sie das Haus.
Ihr Sohn Max war aus dem Gröbsten raus. Eine Stelle suchen, wieder reinkommen? Nach fünf Jahren zu Hause wusste Eva nicht mehr so recht, wie sich das Arbeitsleben anfühlte. Außerdem wartete auf Rainer ein Posten als Oberarzt. Wie sollte das alles gehen?
Irgendwie war sie nicht glücklich. Etwas war anders geworden, das spürte sie. Wo war ihr Selbstbewusstsein? War es der Blick von ihrem Garten auf die Welt, der so manche Perspektive vermissen ließ? Sie rieb sich auf zwischen Mann und Kindern, ohne dass für sie etwas übrigblieb. Was war denn ihr eigenes Leben? Hatte sie Ziele? Aber dann beruhigte sie sich wieder: Da war ja ihre Familie, und was sollte sie mit einem Job, der sie nur unter Druck setzte.
So sieht es aus bei Eva. Sie ist Ende dreißig und wird sich irgendwann eine kleine Stelle suchen. Ansonsten kann sie sich ja beschäftigen – mit den Kindern, mit dem Haus, dem selten anwesenden Mann. Sie sei zufrieden, sagt sie. Es wäre ja auch nicht anders gegangen, sagt sie. Sie habe doch ein erfülltes Frauenleben, sagt sie. Es hat sich eben einfach alles so ergeben.
Was ist los mit Eva? Und Millionen anderen Frauen, die es ähnlich treiben wie sie? Sie sind klug, gut ausgebildet und halten sich für modern. Irgendwann einmal träumten sie von einem selbstbestimmten Leben. Einem Leben, das nicht begrenzt ist durch typisch weibliche Rollen. Sie wollten für sich selbst verantwortlich sein, ihre Chancen nutzen. Haben sie ihre Wünsche in eine Flasche gestopft, zugekorkt und auf die Reise über die Meere geschickt? Damit sie von ihnen nicht mehr belästigt werden?
Was ist passiert mit Eva und Millionen anderen Frauen? Sie hocken in der Falle und betreiben ihre eigene Vermausung. Dabei haben sie früher selbstverständlich die gleichen Rechte für sich beansprucht wie Männer – das Beste aus beiden Welten: Liebe und Geborgenheit im privaten Leben, im öffentlichen Raum Bestätigung und Anerkennung. Eine Familie gründen und sich im Beruf beweisen. Eigenständig sein. Und jetzt behaupten sie, Erfüllung geht anders, und lassen ihr Leben zerkrümeln zwischen der Zuneigung zu ihrem Mann und den Bedürfnissen ihrer Kinder.
Ihre Bildung dient ihnen gerade mal zur gepflegten Unterhaltung mit Gästen, und ihr trainiertes Gehirn darf das kleine Einmaleins bei den Schulaufgaben rechnen. Währenddessen versickert ihre Selbstbestimmung zwischen Ehepflichten und Sandkasten.
Als Eva in ihr Erwachsenenleben startete, war die Geschlechterfrage für sie kein Thema. Plumpe Rollenspiele hatten in ihrem Zukunftsentwurf keinen Platz, weibliche Selbstbeschränkung ebenso wenig. Der Mann als Brötchengeber und die Frau verwiesen auf den Unterstützungsbereich? Das fand sie ja schon bei der eigenen Mutter unerträglich.
Ihr Zukünftiger sollte ein wirklicher Partner sein. Mit ihm wollte sie alles teilen – die Berufs-, aber auch die Haus- und die Kinderarbeit. Eine gleichberechtigte Beziehung zu führen, war für sie keine Frage, sondern selbstverständlich. Ihr Wohl und Wehe auf die männliche Karte setzen? Viel zu trügerisch. Die Aussicht, auf den familiären Handlungsraum beschränkt zu sein? Richtig beklemmend.
Und doch ist sie genau dort gelandet.
Eva ist bequem geworden. Und feige. So wie Millionen andere Frauen, die es ähnlich halten wie sie. Da war ihr Anspruch auf Eigenständigkeit, da war aber auch die Verlockung der altbekannten Frauenrolle. Der sind sie erlegen: Haben sich einen Mann gesucht, der ihre Idee einer Partnerschaft unter Gleichen boykottiert. Sind geflüchtet vor den Ansprüchen einer unfreundlichen Berufswelt. Haben das Kind genutzt, um in die heimische Überschaubarkeit zu desertieren – und dort zu bleiben.
Eva hat sich selbst entmachtet und sich für die Unmündigkeit entschieden. Sich unterworfen, statt sich zu behaupten. Hat sich verführen lassen von einem Lebensentwurf, der nicht ihr eigener war, und sich herüberziehen lassen in eine Rolle, die sie früher verachtete.
Frauen wie Eva leben in der Deckung. Hübsch versteckt hinter den Mauern, die sie selbst hochgezogen haben. Mit einem Mann, der den Lebensrahmen bestimmt und ihr finanzielles Auskommen sichert. Mit den aufreibenden Anforderungen eines Familienlebens, das sie nicht nachdenken lässt und so eingerichtet ist, dass es ohne sie nicht läuft.
Immer wieder gab es Punkte in ihrer Biographie, an denen Eva sich so oder so hätte entscheiden können: für oder gegen eine schablonenhafte weibliche Existenz. Eva hatte die Wahl. Doch das sieht sie nicht. Sie kann jede Menge Gründe anführen, warum es für sie so kommen musste und nicht anders ging. In ihren Augen hat sie individuelle Entscheidungen getroffen und keinem Anpassungsdruck nachgegeben. Sie lügt sich in die Tasche, aber das leugnet sie. Schließlich trägt sie noch immer den Anspruch auf einen freien Lebensentwurf vor sich her, der von keinem Rollenbild beherrscht ist.
Zuzugeben, dass sie in die Falle gegangen ist, dass sie ein Leben aus zweiter Hand führt und sich selbst betrügt, wäre allzu schmerzhaft.
Irgendwann ist Eva in den Rollen-Kokon gekrochen, den die Gesellschaft und ihr Umfeld für sie bereitgehalten haben. Dort hat sie sich eingerichtet und kommt nicht mehr heraus. Es sei denn, sie würde richtig was riskieren.
Wir reden von Eva – doch gemeint sind wir alle. Wir Frauen. Denn wir alle sind an diesem Spiel beteiligt, auf die eine oder andere Art. Als Töchter, Mütter und Schwestern, als Freundinnen, Kolleginnen und Erzieherinnen. Das Leben von Eva ist ein Massenphänomen, Millionen von Frauen haben diese Existenz gewählt, und Millionen unterstützen sich gegenseitig darin.
Selbstverständlich gibt es Frauen, die nie den Anspruch auf Eigenständigkeit hatten, sondern sich auf ein behütetes Leben mit dem männlichen Versorger freuten. Aber um die geht es hier nicht. Die wollten, was sie bekommen haben; ihre Chance, glücklich zu werden, ist dadurch vielleicht gar nicht so schlecht.
Nein, wir reden von den anderen. Von denen, die auf ihrer Wunschliste einmal Selbstbestimmung und Unabhängigkeit hatten. Die auf eigenen Beinen stehen wollten und deren Zukunftsbillett auf ein selbst verantwortetes Leben ausgestellt war. Die stets daran glaubten, dass Männer und Frauen gleich sind – im Guten wie im Schlechten.
Immer mehr Frauen denken so, unter den gut Ausgebildeten sind sie längst in der Überzahl. Bei jungen Frauen zwischen zwanzig und dreißig Jahren will die überwältigende Mehrheit ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen.1 In ihrer Vorstellungswelt prangt auf der typischen Frauenkiste ein großes Totenkopfsymbol; in dieser Kiste wollen sie, weiß Gott, nicht landen. Sie haben Besseres vor, als irgendwelchen Rollenklischees zu genügen.
Soweit der Selbstentwurf. Doch dann stolpern diese Frauen trotzdem massenhaft in die Abhängigkeit und übernehmen traditionelle Rollen. Sie latschen auf ausgetretenen weiblichen Wegen daher und behaupten dennoch, eigene Spuren zu hinterlassen. Sie begnügen sich mit den Kitschversprechen einer marzipansüßen Liebe und pfeifen auf egalitäre Ansprüche. Sie suchen ihr Heil beim Manne und machen seinen Lebensplan zu ihrem. Sie fürchten sich vor der Welt draußen und schaffen sich ihren Schutzraum drinnen. Sie wählen die eigene Ohnmacht. Freiwillig.
Frauen und Männer sind hierzulande gleichberechtigt, heißt es. Doch das ist nur Theorie, nicht die Praxis. Im wirklichen Leben haben die meisten modernen Paare die Aufgaben untereinander geteilt wie die Eltern und Großeltern – hübsch entlang der Geschlechtergrenzen. Selbst die jetzt Zwanzig- und Dreißigjährigen.
Auch wenn Väter einen hooper-trooper-Kinderwagen schieben und Mütter am Sandkasten mit einem Smartphone spielen, hat sich nicht wirklich etwas verändert. Es scheint nur so. Das Grundmuster ist erschreckend gleich geblieben: Der Mann als Versorger draußen in der Welt, die Frau daheim bei Haus und Kindern, vielleicht mit einem Halbtagsjob. Er zahlt bar, sie mit Lebenszeit und Eigenständigkeit. Ein schleichender Prozess der weiblichen Selbstabwertung.
Doch der Unterschied zu früheren Generationen ist eklatant: Heute haben Frauen die Wahl. Ihr Los ist selbst gezimmert. Eigener Beruf, eigenes Konto, eigenes Geld – es ist erst ein paar Jahrzehnte her, dass Frauen zu all dem die Zustimmung ihres Mannes brauchten. Inzwischen kann sie niemand zu einem Leben zwingen, das sie nicht wollen. Sie selbst treibt es in die Falle. Sie schlüpfen in ein Rollenkorsett, das den Bewegungsspielraum auf weibliches Maß reduziert, und behaupten dabei das Gegenteil. Das ist Selbstbetrug!
Denn die Spielräume sind doch da. Frauen sind fähig und in der Lage, Rollenmuster zu durchschauen und weibliche Klischees zu durchbrechen. Das betonen sie ja auch immer wieder, wenn sie danach gefragt werden. Warum landen sie trotzdem scharenweise in der Weiblichkeitsfalle?
Ohne Zweifel – die gesellschaftlichen Verhältnisse machen es Frauen nicht leicht. Wenn man sich diese Republik ansieht, ist die Lage desaströs, der grundsätzliche Befund niederschmetternd. Vielleicht hat sich das Bewusstsein gewandelt, aber kaum die Realität. In allen Fragen der Macht sieht es übel aus für den weiblichen Teil der Gesellschaft. Denn: Wer dominiert in der Wirtschaft? Wer in der Politik? Und wer dominiert die privaten Beziehungen?
Die Antwort ist klar. Wenn Macht bedeutet, den eigenen Willen durchsetzen zu können, lässt sich nur feststellen: Wir leben in einer männlich dominierten Gesellschaft – wenn auch nicht mehr im Patriarchat. Deutschland ist in Sachen Emanzipation finsteres Entwicklungsgebiet. Beim Spiel um die Macht sitzen Frauen nicht mit am Tisch. Männer haben die Vorherrschaft, das Geld und die Aufmerksamkeit. Die Welt ist ein Misthaufen, sie hocken oben drauf und krähen.
Männer haben uns Frauen ausgetrickst und abgewatscht, mit falschen Versprechen gelockt und mit Kind und Küche allein gelassen. Sie kassieren die höheren Löhne, bestimmen die politische Agenda, haben jede Menge gläserne Decken eingezogen und lassen uns gekonnt auf dem Spielplatz stehen. Wir haben in diesem Land wenig zu melden. Das lassen wir nicht nur zu, sondern geben uns kleinlaut zufrieden. Immer noch.
Da haben wir eine Frau als Kanzlerin und eine Präsidentengattin mit Tattoos. Ändert das irgendetwas? Dass es eine Handvoll Frauen in Spitzenpositionen gibt, sei es in Politik, Wirtschaft oder Kultur, hat uns das irgendwie weitergebracht? Insgesamt stehen wir doch immer noch in der zweiten und dritten Reihe. Unser politischer Einfluss ist lächerlich, unser ökonomisches Drohpotential der reine Witz und unsere gesellschaftliche Durchsetzungskraft geringer als die jeder Bürgerinitiative gegen einen Bahnhofsumbau.
So weit, so unappetitlich. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn nach vierzig Jahren Geschlechtertheater müssen wir feststellen: Wir selber haben’s vermasselt. Wir Frauen. Wir reden und schreiben und regen uns auf und verfluchen unsere Ohnmacht gegenüber den gesellschaftlichen Strukturen – aber wie handeln wir denn Tag für Tag?
Wir lassen dieses System nicht nur zu. Wir machen mit. Wir selbst halten es am Leben. Warum sonst wohl sind unsere bisherigen Veränderungsstrategien meist wirkungslos? Weil wir keine Gegnerinnen des Systems sind, sondern Komplizinnen!
In der Geschlechterfrage gibt es keine saubere Trennung mehr zwischen Opfern und Tätern. Wir bestätigen durch unser Handeln die Ordnung von übergeordneter Männlichkeit und untergeordneter Weiblichkeit – und stellen so die Machtstrukturen immer wieder neu her. Die Opfer-Täter-Grenzen sind verwischt, die Mechanismen kompliziert und schwer durchschaubar. Wir sind Opfer und Täterinnen zugleich. Genau wie Männer Täter und Opfer sind. Doch im Gegensatz zu ihnen übernehmen wir ein Geschlechterregime, das uns abwertet.
Seit Jahrzehnten starren Frauen auf dieses Regime und fordern, dass es sich ändert. Die Strukturen sind katastrophal, und Frauen leiden darunter. Aber warum sind sie so zählebig? Warum schaffen Frauen es nicht, sie in die Luft zu jagen?
Weil wir es gar nicht wollen! Weil wir nicht nur leiden, sondern auch genießen. Sich abhängig zu machen, war schon immer ein weibliches Erfolgsrezept. Die alten Strukturen sichern uns einen Platz, den wir kennen. Ihn zu wählen, ist risikolos und bequem. Öffentlich haben wir der Männergesellschaft den Kampf angesagt, heimlich profitieren wir von deren Bestand.
Wir nutzen das System als Ausrede, um nicht auf uns selbst schauen zu müssen. Auf unseren eigenen Anteil an der Geschichte. Und selbst wenn wir bestreiten, dass es heute noch eine grundsätzliche weibliche Benachteiligung gibt – wie viele junge Frauen es bedauerlicherweise tun –, macht es das kein Stück besser. Im Gegenteil. Diese Frauen leben in gefühlter Sicherheit und Gleichberechtigung, und das oft auch nur in einer begrenzten zeitlichen Phase. Je stärker sie die Strukturen leugnen, desto weniger sind sie gewappnet gegen deren paradoxe Mechanismen.2
Und die haben uns voll im Griff. Selbst im privaten Bereich, dort, wo wir großen Einfluss haben könnten, verzichten wir darauf, unsere Eigenständigkeit zu behaupten. Wir selbst suchen uns doch den Mann aus, den Beruf, wie wir mit Kindern leben, wie wir die Erwerbs-, die Haus- und Familienarbeit organisieren. Wir selbst treffen all diese Entscheidungen. Doch erst, wenn wir ohne Gehalt, ohne Rente, ohne Zukunft dastehen, ohne die Kinder und vielleicht auch ohne Mann, erst dann geruhen wir zu bemerken, was wir angerichtet haben. Wie wenig wir für uns selbst erreicht haben im Leben.
Wir sind nicht nur Teil der Lösung – wir sind auch Teil des Problems. Wer sich freiwillig in die Ohnmacht begibt, überlässt eben einem anderen die Macht. Wenn wir wirklich etwas verändern wollen, müssen wir begreifen: Niemand übernimmt für uns die Verantwortung. Es kommt keiner. Kein Vater, keine Mutter, kein Lehrer, kein Freund, kein Mann. Niemand übernimmt für uns die Verantwortung – wenn wir es nicht endlich selber tun.
So viele kluge Frauen beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit Strategien, um die männliche Dominanz auszuhebeln. Weibliche Komplizenschaft, weibliche Verstrickung in das System sind dabei kaum Thema. Warum wohl? Weil es einfacher ist, sich als Opfer zu begreifen statt als Mittäterin – ein Opfer darf auf seine Ohnmacht pochen. Und weil zu viele Frauen fürchten, auf diesem Weg könnten Männer aus der Verantwortung entlassen werden.
Diese Furcht ist Unsinn. Sogar kontraproduktiv. Selbstverständlich müssen sich neben den Frauen auch Männer ändern, damit alle ein Leben jenseits von Geschlechtszuschreibungen wählen können.
Doch warum sollten Männer das wollen, wenn es für sie auch anders weitergeht? Der Logik von Machtverhältnissen folgend, werden sie sich nur ändern, wenn sie gezwungen sind. Weil wir ihnen die Gefolgschaft verweigern. Weil wir nicht mehr mitmachen. Weil sie dann ihren Rollenstiefel nicht mehr weiterleben können. Doch dazu braucht es Einsicht von unserer Seite. Und neues Handeln. Sonst werden wir keinen Druck zur Veränderung aufbauen können.
Niemand will dabei das männliche System kopieren. Wozu auch? Es gibt doch genügend weibliche Vorstellungen von der Welt. Damit diese sich entfalten können, brauchen wir einen ebenbürtigen Platz in der Gesellschaft und nicht eine Ecke am Katzentisch.
Doch die bittere Erkenntnis lautet: Wir geben uns mit dem Katzentisch zufrieden. Wir wollen gar nicht selbstbestimmt sein. Und auch nicht gleichberechtigt Einfluss nehmen. Denn dann müssten wir auf die Privilegien verzichten, die uns die Unterordnung bringt. Wir müssten uns auf unbekanntes, freies Terrain begeben, wo uns die kalten Winde um die Ohren pfeifen. Das ist nicht nur lustig, wie wir ahnen. Da bleiben wir doch lieber in Deckung.
Es gibt Momente, in denen wir uns entscheiden müssen. Was wollen wir, wo soll es hingehen? Ein Fenster in die Zukunft öffnet sich, so als würden wir aus unserem Haus in eine beleuchtete Landschaft schauen. Überall entdecken wir Pfade, Wege, Kreuzungen. Dann geht das Licht aus, und wir erkennen nur noch die schmale Straße, die unmittelbar vor uns liegt. Alles andere ist im Dunkeln versunken.
Wir müssen dieses Fenster nutzen. Das helle Licht, das uns die unterschiedlichen Wege zeigt, den Augenblick, in dem unsere vielfältigen Möglichkeiten aufscheinen. Denn im Dunkeln werden wir nur noch die eine Straße sehen, die vor unserer Nase entlangläuft und sich bequem begehen lässt. Und wenn wir Pech haben, wird sich das Fenster der Möglichkeiten für längere Zeit nicht mehr öffnen.
So oder so ähnlich funktionieren biographische Schnittstellen. Hier werden Weichen gestellt. Hier handeln wir für die Zukunft.
Wir selbst haben es in der Hand, ob diese Schnittstellen zu Sollbruchstellen werden, an denen unser Verlangen nach dem prallen Leben von traditionellen Mustern zerlegt wird. Oder ob wir unerschrocken den eigenen Ideen folgen.
Das ist die Mutprobe. An diesen Stellen müssen wir beweisen, wie ernst wir es meinen mit unserem Anspruch, frei und gleich zu sein. Auf Risiko spielen? Auf Sicherheit setzen? Selbstbestimmung ausprobieren? Unterwerfung üben? Manchmal ist eben auch das Leben wie ein Abenteuerroman, in dem sich die Helden entscheiden müssen: mutig oder kleinmütig? Wir haben die Wahl.
Denn überall dort, wo sich unsere ursprünglichen Lebensentwürfe an neuen Anforderungen brechen, lauern die Rollenfallen. Wenn sie zuschnappen, werden unsere Selbstversprechen geschreddert: Vorstellungen und Überzeugungen landen auf dem Müll, Selbstbilder werden umgekrempelt, Wünsche entsorgt.
Wie bei tiefen Kratern auf der Straße müssten hier riesige Warnschilder stehen. Denn nirgendwo sonst ist das Risiko so groß, dass Frauen in der Grube landen – bei den uralten Weiblichkeitsmustern und konservativen Geschlechterbildern.
Auch junge Frauen sind gefährdet. Denn sie kommen gar nicht auf die Idee, dass sie aufpassen müssen. Sie halten sich für cool genug, den Geschlechterquatsch an sich abperlen zu lassen, und erliegen gerade deshalb der Verführung traditioneller Muster.
Die entscheidende Frage lautet also: Wann müssen wir uns der Mutprobe stellen, um welche Wegmarken geht es?
Weiblichkeit – wie wird sie modelliert? Wo lauern die Fallen des ritualisierten Rollenverhaltens, wenn Mädchen heute aufwachsen? Jeder Junge lernt: Du fällst auf die Schnauze, ja und? Du bist nicht tot, also stehst du wieder auf. Mädchen bleiben liegen. Denn so wird es von ihnen erwartet. Sich klein zu machen und hilflos zu tun, damit jemand kommt und sie aufhebt. Warum gehört der Wille, sich durchzusetzen und Auseinandersetzungen sportlich zu nehmen, noch immer nicht zu den Top Ten im Mädchen-Trainingscamp?
Liebe, Partnerschaft – warum knicken Frauen ein, wenn ein Mann daherkommt? Warum vergessen sie ihren Egalitätsanspruch, nur weil ihr Liebster nichts davon wissen will? Er gibt sich modern, aber leben will er wie der eigene Vater. Zwingt uns jemand, das männliche Streben ernster zu nehmen als unser eigenes?
Arbeitsteilung – wieso übernehmen wir freiwillig den größten Teil an öden Aufgaben im Haus? Eigentlich wollen wir doch alles teilen. Stattdessen mutieren wir zur Allzweck-Kümmerin der Familie, zur Herrscherin über Feudel und Waschmaschine. Müssten wir uns nicht endlich mal von der inneren Kittelschürze verabschieden?
Muttersein – wird hier unserer Eigenständigkeit das Genick gebrochen? Für Frauen, die es vorher nicht erwischt hat, lockt die Rollenfalle an dieser Stelle besonders verführerisch. Familie und Beruf zu vereinbaren, ist enorm anstrengend. Alle Eltern, die das partnerschaftlich hinbekommen, sind Helden des Alltags. Zumal es kaum Vorbilder gibt, wie ein emanzipiertes Familienmodell heute aussehen kann. Welche Tücken hält das alte Mutterbild für uns bereit?
Berufsarbeit – verschleudern wir unsere Fähigkeiten und Qualifikationen? Geben wir den Job auf? Wann, warum und was passiert dann? Erobern wir ihn später wieder zurück und damit auch ein Stück unabhängiges Leben, ökonomisch und emotional? Davon hängt vieles ab. Was geschieht, wenn es mit der Partnerschaft nicht mehr klappt und wir plötzlich ohne Ernährer dastehen?
Wie Frauen sich in der Berufswelt verhalten, was sie fördert und hindert, ist eine wichtige Frage. Auch in diesem Bereich zeigt sich neben den männerdominierten Strukturen viel typisch weibliches Rollenverhalten, viel Feigheit und Kleinmut. Und auch hier geht es um Wege zur Veränderung. Ich werde mich im Folgenden mit diesem Feld jedoch nicht unmittelbar beschäftigen. Dazu ist von berufener Seite fast alles gesagt und geschrieben, was zur Aufhellung beitragen könnte. Vielmehr interessieren mich die Konsequenzen, die die Flucht von Frauen aus dem Berufsleben nach sich zieht.
Die klassischen Männer- und Frauenrollen sind nicht nur eine Offerte, es gibt auch einen starken gesellschaftlichen Druck, ihnen zu entsprechen. Die Strukturen von Staat und Wirtschaft fördern die traditionellen Muster – vom Ehegattensplitting über Lohnungleichheit und gläserne Decken bis zum fehlenden Kita-Angebot. Aber auch in ihrem persönlichen Umfeld sind Frauen diesem Druck ausgesetzt. Dafür sorgen sowohl ihre Lebenspartner als auch Mütter, Freundinnen und anderes weibliches Personal.
Der Druck ist das eine, das andere ist der Sog. Denn die Rollen selbst üben eine unheilvolle Faszination aus. Sie versprechen uns Frauen ein einigermaßen kommodes Leben, das nicht irritiert wird durch Experimente. So werden wir in die Rollenfalle geschoben und gleichzeitig von ihr angezogen.
Denn dann sind wir nicht gezwungen, unser eigenes Leben im freien Raum zu entwerfen. Müssen nicht gegen eine konservative Stimmung im Land antreten, die von uns Weiblichkeit fordert. Brauchen keine Konflikte einzugehen, um unser selbstbestimmtes Leben zu verteidigen: gegen den Liebsten, gegen die Familie, gegen die Freunde.
Es sind diese Konflikte, die Frauen scheuen. Mut und Risikolust steht nicht auf dem weiblichen Lehrplan. Ebenso wenig wie Wut oder Aggression. Doch genau diese Eigenschaften und Gefühle brauchen wir, um aufzubegehren und nicht in die Grube zu stolpern.
Frauen wollen frei sein – wollen es aber auch wieder nicht. Sie lassen sich auf das Weibliche reduzieren und zurichten. Freiwillige Unterwerfung nennt die Tiefenpsychologie dieses Phänomen.
Freiwillige Unterwerfung macht uns Frauen zu Komplizinnen des männlich beherrschten Systems. Wir bestätigen durch unser Handeln die Verhältnisse und sorgen mit dafür, dass sie sich nicht verändern. Wir sind Geiseln, die gelernt haben, ihre Geiselnehmer zu lieben. Sind dem verfallen, was wir angeblich bekämpfen.
Doch Unterwerfung und Geiselmentalität passen nicht in unsere freie Gesellschaft und schon gar nicht zum Selbstbild der meisten Frauen. Deshalb muss das Rollenkorsett samt weiblicher Unterordnung verleugnet werden.
All die Frauen, die sich plötzlich in traditionellen Rollen wiederfinden, haben individuell entschieden – sagen sie. Sie haben lange mit ihrem Lebenspartner diskutiert und dann angemessen reagiert – behaupten sie. Sie wollten eine Wahl treffen, die für alle das Beste ist – verkünden sie. Dass das Ergebnis vorgestanzt ist, dass sie damit ein Muster erfüllen – bestreiten sie.
Oder halten es für Zufall.
Nichts ist hier Zufall. Unsere persönliche Entscheidung ist nur gefühlt individuell. Im Gegenteil. Wir erfüllen Rollenerwartungen, die noch tief in der Gesellschaft und im kollektiven Bewusstsein von Männern und Frauen verankert sind. Wie sonst ist zu erklären, dass es zwar in modernen Beziehungen großartige Aushandlungsprozesse gibt, für die Frauen am Ende aber das gleiche Leben herausspringt wie bei ihren Müttern und Großmüttern? Und die wurden in der Regel nicht gefragt. Wie sonst kommt es zustande, dass die angeblich so persönlichen Entscheidungen von Frauen sich millionenfach bei ihren Geschlechtsgenossinnen wiederholen – und immer dem gleichen Schema folgen?
Die alten Rollen, denen sich Frauen ergeben, stehen in krassem Widerspruch zu ihrem egalitären Verständnis und ihren Lebensentwürfen, die sich an den Freiheitsidealen einer hoch individualisierten Gesellschaft orientieren. Deshalb leugnen sie, was sie tun: Einem weiblichen Mantra folgen, das seit Ewigkeiten vorgebetet wird.
Ihr Selbstbetrug hat eine private und eine politische Seite. Im Privaten nehmen sich Frauen durch ihre Verleugnungsstrategie die Chance, alternative Entscheidungen zu treffen. Sie nehmen sich aber auch gesellschaftlich die Kraft, endlich für eine Politik zu sorgen, die den Namen Gleichheit verdient.
Hier wird das Private politisch – und umgekehrt das Politische privat. Wenn die tradierten Geschlechterrollen im Privaten nicht mehr gelebt werden, lassen sich auch die männlich dominierten Gesellschaftsstrukturen aufbrechen. Was wiederum die Rollen im Privaten beeinflussen wird.
Wir reden hier von einer Herrschaftsbeziehung, sie regiert unsere Köpfe und Herzen. Aber wir können uns gegen sie entscheiden und gegen die damit verbundene Abhängigkeit. Schließlich gibt es keine biologische Disposition zur Unterwerfung, sondern nur antrainiertes Verhalten.3 Wer das bestreitet, leugnet die Freiheit.
Erst wenn wir unseren eigenen Unabhängigkeitsdrang ernst nehmen, wenn wir für unsere Vorstellungen eintreten, werden wir lernen, uns zu weigern, ein Regime zu stützen, das die Ungleichheit festschreibt. Erst wenn wir bereit sind, auf den Profit zu verzichten, den uns die alten Rollen versprechen, werden wir sie ablehnen. Und nur, wenn wir unsere eigene Verwicklung in das Spiel von Macht und Ohnmacht, von Dominanz und Unterwerfung erkennen, erst dann können wir neue Spielregeln entwickeln, die nicht an Geschlechterrollen gekettet sind. Wir müssen Subjekte unseres Lebens werden. Biologie mag Schicksal sein – alles Weitere nicht!