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Warum sollten die Bedingungen für die funktionale Entwicklung von Kindern, die unter Zerebralparese in jeder ihrer Erscheinungsform leiden, identisch sein mit den Bedingungen, die gesunde Kleinkinder brauchen, um sich gesund zu entwickeln? Dies erläutert ausführlich das vorliegende Buch. Nur durch gleiche oder zumindest ähnliche Bedingungen wird es einem Säugling oder Kleinkind mit einem verletzten Nervensystem möglich, sich aus seiner Behinderung ganz zu befreien. Was sollte unbedingt Teil dieser Bedingungen sein? Die sogenannte Strategie der kleinsten Schritte, insbesondere beim Umgang mit behinderten Kleinkindern, ein Lernen unter niedrigster Spannung, das auch Low-Tension-Learning genannt wird. Das ermöglicht einem behinderten Kind, sich aus seiner Behinderung zu befreien, ohne dass das Kind seine Behinderung überhaupt wahrnimmt. Diese Strategie entspricht der (Wachstums-)Strategie, die ein gesund geborenes Kind von selbst anwendet, um all das zu lernen, was es in seinen ersten drei Lebensjahren zu lernen hat. Förderung und Blockaden beim Lernen entstehen immer auf die gleiche Weise. Jemand, der noch kein Musikinstrument erlernt hat, wird genauso wenig als behindert eingestuft wie ein gesundes Kind, das wegen seiner noch unreifen funktionellen Entwicklung sein Kleid noch nicht selbst zuknöpfen kann. In beiden Fällen wird das Erlernen der gewünschten Fähigkeit nicht funktionieren, wenn seelisch und physisch traumatisierende Bedingungen vorliegen. Nicht anders ergeht es einem behinderten Kleinkind, das unter hochtraumatisierenden physischen Bedingungen, die als "Therapie" getarnt werden, niemals Koordination und Feinmotorik wird entwickeln können. Die Strategie der kleinsten Schritte ist Teil der Feldenkrais-Methode. Moshe Feldenkrais konnte mit seiner Methode Künstlern wie Yehudi Menuhin und Igor Markevitch, zahllosen Leistungssportlern, Tänzern und Schauspielern helfen, ihre Beweglichkeit zu verfeinern. Er befreite mit seiner Methode den ersten Staatsmann Israels, David Ben Gurion, von seinen chronischen Rückenschmerzen, so dass er nach nur wenigen Monaten mit Feldenkrais-Behandlungen Kopfstand am Strand von Tel Aviv machen konnte. Zuvor war es ihm nicht mehr ermöglich, in den Himmel zu schauen. Ebenso half Feldenkrais hunderten behinderter Säuglinge und Kleinkinder, sich vollständig aus ihrer Behinderung zu befreien. Und zwar gerade weil er sich nicht mit der Behinderung dieser Kinder auseinandersetzte, sondern nur mit ihrer Fähigkeit, trotz ihrer Behinderung funktionale Fähigkeiten zu erlernen. Seine Methode schafft die notwendigen Bedingungen dafür, dass auch behinderte Säuglinge und Kleinkinder all das erlernen, was ein gesund geborenes Kind von sich aus und auf natürliche Weise in seinen ersten drei Lebensjahren lernt – ohne die Hilfe spezieller Pädagogik und ohne Physiotherapie. Dieses Buch hat keine therapeutischen Ansprüche, sondern möchte den Eltern eines behinderten Säuglings oder Kleinkindes Anregungen geben und die Bedingungen vorstellen, unter denen sich auch ein behindertes Kleinkind gesund entwickeln kann.
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Seitenzahl: 345
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Dieses Buch ist allen ‘kleinen Gladiatoren’ auf den Therapiebänken der Welt gewidmet,
meiner Mutter, die nicht zugelassen hat, dass meine Sehnen, meine Muskeln und Gelenke vom Messer der Orthopäden berührt werden,
meinem Master und Lehrer Moshé Feldenkrais, dessen Lehre mein ganzes Leben begleiten wird,
meiner Schwester Rodica Doron, deren leidenschaftlicher Beitrag zur sprachlichen Gestaltung dieses Buches im Laufe von vielen Jahren ermöglicht hat, dass dieses Buch in dieser Form erscheinen kann.
Vorwort
Warum noch ein Buch über die Feldenkrais Methode?
Die spastische Lähmung aus der Sicht der Feldenkrais Methode
Die Feldenkrais Methode und wie diese zu meiner Lebensleidenschaft und -aufgabe wurde
Organisches Lernen und seine Gesetze im Nervensystem
„Sein oder nicht sein, das ist die Frage“
Lernen als Heilprozess
Die Feldenkrais Methode und einige Aspekte ihrer Anwendung an spastisch behinderten Säuglingen und Kleinkindern
Der Fall Cornelius
Einige zusammenfassende Bemerkungen als Vorbereitung auf den praktischen Teil
Eine praktische Kostprobe als „erste Hilfe“ für Eltern spastisch gelähmter Kleinkinder
Die Feldenkrais Methode: eine Zusammenfassung
Eine Warnung für Eltern behinderter Säuglinge und Kleinkinder
„Das Körperbild“ – Fragment aus einem Vortrag
„Der Sassower erzählte seinem Jünger, dem Zydaczower:
»Die Erkenntnis wahrer Nächstenliebe verdanke ich einem Gespräche zweier Dorfleute, denen ich zuhörte.
Erster: ‚Sage mir, Freund Ivan, liebst du mich?‘
Zweiter: ‚Ich liebe dich sehr.‘
Erster: ‚Weißt du, Freund, auch, was mir weh tut?‘
Zweiter: ‚Wie kann ich denn wissen, was dir weh tut?‘
Erster: ‚Wenn du nicht weißt, was mir weh tut, wie darfst du auch nur sagen, dass du mich lieb hast?‘
Verstehst du, Hersch,«, führt der Sassower aus, »lieben, wirklich lieben, heißt wissen, was dem andern weh tut. «“
— Hans Joachim Schoeps1
„Des Himmels TAO ist fördern, ohne zu schaden.“
— Laotse
1Jüdische Geisteswelt: Zeugnisse aus zwei Jahrtausenden, Holle Verlag, Darmstadt (1980), S. 218 u. 219.
„… in einer Weise denke ich, dass ich ein Pionier bin, der die Mittel hat … und in der Tat bereits heute kann ich beweisen, dass es genug Wissen gibt, das bereits angewendet werden kann, um Dinge jenseits der menschlichen Vorstellung zu verbessern.“
— Moshé Feldenkrais2
„Wir haben eigentlich keine Erkenntnisprobleme. Deshalb brauchen Sie keinen Wissenschaftler. Wir haben ein Umsetzungsproblem und zwar ein ganz massives.“
— Professor Gerald Hüther3
In diesem Buch möchte ich dem Leser eine Selbstverständlichkeit enthüllen, die seinem Bewusstsein entgangen ist. Sie wird seiner Haltung gegenüber dem eigenen Leben und dem Leben Anderer eine Perspektive eröffnen, die die Verantwortung für unser Handeln auf allen Gebieten menschlichen Tuns, sei dieses Tun Erziehung, Medizin, Politik oder das tägliche Miteinander, unter ein neues Licht stellt.
In der Tat ist die Grundidee dieses Buches einer Ameise zu verdanken, die durch ihr Eindringen und fleißiges Schaffen in meiner Wohnung in Tel Aviv in den 70er Jahren, einen bedeutenden Beitrag zu meinem Verständnis des Lebensphänomens geleistet hat und mir damit auch den Kern, den wesentlichen Sinn der Feldenkrais-Einstellung im Bezug auf das Leben offenbarte. Diese Grundidee erklärt das Besondere an der Feldenkrais Methode, sowie die Bedeutung der dieser Methode als befreiender Faktor in unserem Streben nach Selbständigkeit, Selbstausdruck und maximaler Entfaltung des eigenen Potentials zukommt – ob wir gesund, krank oder behindert sind.
Als ich in meiner damaligen Wohnung in Tel Aviv eine Lektion in „Bewusstheit durch Bewegung“ machte, bemerkte ich auf dem Boden, ungefähr einen Meter von mir entfernt, ein ungewöhnlich großes Reiskorn sich sehr mühsam und wackelig, aber mit eindeutiger Beharrlichkeit in eine bestimmte Richtung fortzubewegen.
Wegen der Perspektive, aus der ich diese Szene betrachtete, schien mir das Reiskorn für länger als eine Minute als selbstbewegend. Als ich hinter dem Reiskorn die mühsam arbeitenden Beinchen einer Ameise entdecken konnte, wandelte sich die Mischung aus Neugier und Angst in ein Liebesgefühl für die kleine Kreatur, die sich bemühte, das Reiskorn zu tragen. Die ungewohnte Sicht im ersten Moment, und die Überraschung, die ich erlebte, als ich mir das Rätsel des „selbstbewegenden“ Reiskorns erklären konnte, hatten eine entscheidende Wirkung auf mein Verstehen des Unterschiedes zwischen „sich bewegen“ und „bewegt werden“, zwischen einer beabsichtigten Bewegung und einer Bewegung, die unbeabsichtigt entsteht – im Allgemeinen zwischen einem lebenden Wesen und einem leblosen Objekt.
Anhand folgender Beispiele aus uns mehr oder weniger vertrauten Situationen werde ich versuchen, den entscheidenden Unterschied zwischen den zwei Zuständen – „sich bewegen“ und „bewegt werden“ – anschaulicher zu machen.
Die Fenster unserer Wohnung sind geöffnet, es ist ein stürmischer Tag und die Gardinen bewegen sich im Windzug. Ein gewöhnliches Bild, das nichts zu bedenken gibt. Wie würden wir aber reagieren, wenn sich die Gardinen bei geschlossenen Fenstern anfangen würden genauso zu bewegen? Ich glaube, niemand möchte sich lange in einem solchen Raum aufhalten. Warum? Weil das leblose Objekt „Gardine“ unserer erfahrungsgestützten Erwartung widerspricht und die entscheidende Grenze zwischen dem Leblosen und dem Lebendigen durch eigenes, beabsichtigtes Tun überschreitet.
Holz verhält sich nur als Baum wie lebendige Materie, im Unterschied zu Holz in der Form eines Möbelstücks. Der lebende Baum wird seine Lebendigkeit durch bestimmte Prozesse erkennen lassen, die bei einem Möbelstück nicht existieren, wie z. B., sich zum Licht richten, wachsen, CO2 in Sauerstoff umwandeln, die unterirdische Nahrung durch sich hindurch ziehen lassen und Feuchtigkeit durch die Blätter ausdünsten etc. Holz, als Möbelstück, wird keine weitere Veränderung widerfahren, außer dem Dehnen und Zusammenziehen – beides keine biochemischen Prozesse mehr – und dem Verkommen, falls es nicht entsprechend behandelt und „gepflegt“ wird.
Die Rolle der Absicht als ausschlaggebender Unterschied zwischen lebendem Wesen und Objekt wird, unbewusst, in vielen Krimis, in der Spannungsliteratur und im Film als besonders effektives leistungssteigerndes Mittel eingesetzt. Wenn der Held sich an einem unheimlichen, für ihn gefährlichen Ort aufhält, erleben wir jede Veränderung in der Umgebung als eine Angstquelle wegen der Unberechenbarkeit der im Verborgenen womöglich lauernden Lebewesen, seien das Menschen, Tiere, Werwölfe oder von Menschen befehligte Waffen oder Roboter. Sobald die Veränderung, sei sie eine Tür, die sich schließt, eine leere Dose, die auf dem Boden rollt etc., sich als eine nur zufällige, d. h. unbeabsichtigte Veränderung erweist, wird unsere Angst verschwinden. In der Tat wurde die Angst nur im Zusammenhang mit der Existenz einer bestimmten Absicht erweckt, die vom Helden, mit dem wir uns identifzieren, als unberechenbar empfunden wird. Auch hier wird der Ausdruck, das „Markenzeichen“ sozusagen, eines Lebewesens als Absicht wahrgenommen.
Man kann sich letztendlich auch fragen, zu welchem Zweck man tötet? Was will man damit eigentlich bewirken? Was unterscheidet ein Lebewesen im „lebenden Zustand“ vom gleichen Lebewesen, das tot vor uns liegt? Die Antwort ist: Tot hat es keine Möglichkeit mehr Absichten zu haben und sie zu verwirklichen. Das ist auch der Grund, warum der „gleichgeschaltete“ Mensch der ideale Untertan der Diktaturen ist – er hat keine eigene, eigenständige Absicht – und warum Diktatoren so viel morden. Die Aufrechterhaltung der Tyrannei, die damit verbundene Notwendigkeit, eine ständige Unterdrückung der Meinungsverschiedenheit auszuüben, hat in der Geschichte der Menschheit das Leben unzähliger Millionen Menschen gekostet.
Jedes System, ob politisch oder organisch, setzt eine Selbstverwaltung, eine Selbstorganisation voraus, – wenn auch zum Glück nicht immer in der drastischen Form einer Diktatur, – in der alle Komponenten einem bestimmten Zweck entsprechend „koordiniert“ oder, wie Feldenkrais sagen mochte, „organisiert zusammenarbeiten“. Alles, was sich in einem geschlossenen, „totalitären“ System eigenständig macht, von Zahnkaries bis zur politischen Meinungsverschiedenheit, wird vom entsprechenden System als Störfaktor empfunden und dadurch unerwünscht bzw. beseitigt.
Organisiert funktionieren bedeutet für einen Organismus, eine funktionale Leistung mit einem Minimum an Energieverlust zu erlangen. Mit anderen Worten, beim Ausüben einer bestimmten Funktion die parasitären, zweckfremden Aktivitätsmuster auf das Minimum zu reduzieren und möglicherweise zu eliminieren.
Es ist gut, sich diese in allen Bereichen menschlicher Tätigkeit uneingeschränkt anerkannte, in der Technologie streng geachtete Tatsache zu merken, um ihre praktische Berücksichtigung in der Therapie der Bewegungsstörungen, d. h. in der Herstellung und Wiederherstellung von Funktionen des Nervensystems, zu untersuchen.
Je komplexer sich die Materie in eine selbststeuernde Einheit organisiert, je höher die Vielfältigkeit dieser Organisation ist, desto instabiler und anfälliger, angreifbarer ist sie. Dieses Prinzip gilt auch für die Funktionen in einem Organismus und für die Spontaneität oder die Schwierigkeit, ganz allgemein für die Fähigkeit, solche Funktionen hervorzurufen oder wiederherzustellen. Je älter eine Funktion ist, umso zuverlässiger und weniger verletzbar ist sie und umso schneller, leichter, im allgemeinen spontaner, wird man sie in Anspruch nehmen oder wiederherstellen können. Je neuer und komplexer die Funktion, umso unzuverlässiger, d. h. verletzlicher und, wenn sie zerstört ist, viel schwieriger wieder aufzubauen ist sie.
In der lebenden Materie gibt es einerseits ein Streben nach mehr Komplexität und Entfaltung und andererseits einen „Gegenzug“ zu einfacheren Strukturen, ein „Zurückziehen“ in „primitivere“ Existenzformen. Wenn die Komplexität in einfachere Formen zerfällt, die nicht mehr zum Erhalt des Ganzen zusammenarbeiten, heißt dies, dass das System stirbt.
Die „letzte Instanz“ des Lebens, welche gleichzeitig allein die potentiell höchste Komplexität der lebenden Materie erreichen und steuern kann, die komplexeste Lebensform in ihren unzählbaren Organisationsmöglichkeiten, ist unser Gehirn. Das Gehirn ist, wie sich Feldenkrais einmal geäußert hat, die wertvollste aller denkbaren Materien der Welt, auch dann, wenn man sie nur mengenmäßig betrachtet. Ihren reellen Stellenwert zu erkennen und sich ihren Gesetzen unterzuordnen ist maßgebend für jedes erzieherische und therapeutische Unternehmen. Diese Gesetze zu verkennen, zu missachten oder interessant ausgedachten Theorien zu opfern hat auf das komplexe und in seiner Komplexität höchst verwundbare Phänomen Leben störende, bzw. zerstörende Wirkung und dementsprechend verheerende Folgen.
Es ist die Befreiung der Absicht – um zum Ausgangspunkt dieses Kapitels und dieses Buches zurückzukehren – das, unter tiefem Verständnis und weiser Befolgung und Anwendung der Gesetze unseres Nervensystems, den Sinn, die „raison d’être“ der Feldenkrais Methode ausmacht und ihr unter den vielen Versuchen, Lösungen für die Behinderungen menschlichen Verhaltens zu fnden, eine einzigartige, eine revolutionäre, noch zu entdeckende Stellung zuweist.
Ich habe versucht, in diesem Buch ein für den noch lange nicht abgeschlossenen, nie endenden Prozess der Menschwerdung wichtiges Thema zu behandeln. Es ist ein Thema, das, bewusster betrachtet, uns zu einem Urteilsvermögen verhilft, das seinerseits zu einem menschlicheren und gewissenhafteren Einsatz unseres Wissens verpflichtet. Am Anfang des dritten Jahrtausends a. d. sind Bereiche wie die allgemeine menschliche Entwicklung und die in ihr unmittelbar wurzelnden Gebiete – Erziehung und Rehabilitation –, ungeachtet des immensen angesammelten und veröffentlichen Wissens, praktisch betrachtet, in ihren Grundsätzen immer noch ein exotisches Gebiet, ein Tabu für den nicht spezialisierten Menschen und sein Urteilsvermögen. Nicht zuletzt die Erwartungen einer autoritätsehrfürchtigen Öffentlichkeit befriedigend, sind sie zu einem oft falsch verstandenen Monopol der Spezialisten geworden, die sich in immer unzugänglichere Höhen eines Spezialistentums begeben, die schwindelerregend genug sind, um eine gelegentlich vollständige Abkoppelung von der Wirklichkeit eines Nervensystems und seiner Gesetze zu überspielen oder sogar vergessen zu machen.
Ich möchte die in ihren Konsequenzen fahrlässige Lücke zwischen dem vorhandenen Wissen und der praktischen Anwendung dieses Wissens auf dem Gebiet der neurophysiologischen Rehabilitation ausfüllen, einem Wissen, zu dessen Grundlagen auch der „nicht spezialisierte“ Mensch Zugang haben kann und sollte. Es ist die Lücke, die zwischen der bloßen Information und der Erkenntnis der Bedeutung dieser Information für ihre praktische Anwendung entsteht: es ist nicht genug zu wissen, dass es dies und das gibt; das Wichtigste ist, auch dort die Information einzusetzen, wo ihre Anwendung notwendig und sinnvoll wäre. Zum Fortschritt der Menschheit haben außer dem Wissen, (auch) das Erkennen und das Gewissen einen großen Beitrag geleistet. Da, wo das Gewissen absichtlich oder fahrlässig nicht mitspielt, wird das Wissen zerstörerisch missbraucht. Die Atombombe und der Schmuggel von Spenderorganen sind nur zwei von vielen Beispielen.
Während in vielen Bereichen der Medizin jede neu gewonnene Erkenntnis so schnell wie möglich in die Praxis umgesetzt wird – was den rasanten Fortschritt, zum Beispiel auf dem chirurgischen Gebiet erklärt – hinkt man auf dem Gebiet, das sich generell mit Bewegungsstörungen und ihrer Therapie befasst, oft Lichtjahre hinter den sich inzwischen stapelnden neurologischen Erkenntnissen zurück.
Der Hauptgrund dafür, dass dieses Buch erst dreizehn Jahre nach seiner Verfassung im eigenen Verlag erscheinen muss, ist so alt wie die Unterdrückung des Fortschritts.
Es ist notwendig, wie ich als ehemaliger Betroffener urteilen kann und als Begleiter von Betroffenen auf ihrem Weg zur Gesundung immer wieder feststellen muss, die äußerst effektiven, in Deutschland leider aus zutiefst unwissenschaftlichem und unprofessionellem Status-Dünkel, beruflichem Kasten-Denken und gesundheitspolitischem Stumpfsinn totgeschwiegenen Möglichkeiten der Feldenkrais Methode all jenen bekannt und zugänglich zu machen, die davon proftieren könnten. Es ist notwendig, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen, die tragischer- und fahrlässigerweise um die von der Feldenkrais Methode eröffneten Perspektiven errichtet wird; die Mauer eines, wie ich in zwei Fällen selbst miterleben musste, auch Tod bringenden Schweigens.
Dies ist dies allerdings eine allgemein vorkommende Erscheinung des menschlichen Verhaltens, wenn es um Fortschritt geht – bekanntlich nicht nur im therapeutischen Bereich. Außerdem ist „ Wir haben davon nichts gewusst …“ seit eh und je für uns alle, nicht nur erst seit sechzig Jahren und nicht nur hier in Deutschland, ein nicht so unpopulärer Satz. Dies ist ein Verhalten, über das sich unter vielen Anderen auch Schopenhauer geärgert hatte:
„Das Wahre und Aechte würde leichter in der Welt Raum gewinnen, wenn nicht Die, welche unfähig sind, es hervorzubringen, zugleich verschworen wären, es nicht aufkommen zu lassen. Dieser Umstand hat schon Manches, das der Welt zu Gute kommen sollte, gehemmt und verzögert, wo nicht gar erstickt.“
— Arthur Schopenhauer4
Es käme einem längst fälligen Akt der Gerechtigkeit gleich, dem Feldenkrais-Ansatz durch öffentliche Bekanntmachung seiner Möglichkeiten gleiche Zugangschancen in der Behandlung spastisch behinderter Kinder einzuräumen, umso mehr, als es ein Weg ist, der sich nicht zuletzt ökonomisch betrachtet schon für die Kostenträger ungemein entlastend im wahren Sinn der Worte lebenslanger Behinderungsunterstützung erwiesen hat: Einige meiner Patienten hatten zum Glück Ärzte, die, angesichts der Fortschritte der Kinder, eine Behandlung bei mir nach der Feldenkrais Methode schließlich verschrieben haben, und Kassen, die die Behandlung auch entsprechend fnanziert haben.
Dank der vollständigen Heilung der Kinder war dies in diesen Fällen der letzte von der Krankenkasse in diesem Zusammenhang fnanzierte Aufwand.
2Physics and My Method, CERN, 1981
3Know How Congress, 2009
4Vorrede zur dritten Auflage der Welt als Wille und Vorstellung
Es ist des klugen Bücherschreibens kein Ende.
Einer vielfältigen und hervorragenden Fachliteratur zum Trotz, die in faszinierender Weise dem breiten Publikum neueste Erkenntnisse auf allen Gebieten des Wissens und des Lebens nahebringt, liegt nun in Ihren Händen ein neuer Versuch Phänomene unseres Verhaltens vor allem unseres Lern- und Bewegungsverhaltens neu zu beleuchten. In diesem Buch geht es um den physiotherapeutischen Umgang mit Behinderten und Schwerbehinderten und die Erkenntnisse, die schon Moshé Feldenkrais für die von ihm entwickelte Lern- und Bewegungsmethode als Grundlage dienten.
Feldenkrais selbst hat sechs Bücher und viele Artikel über seine Methode und ihre Hintergründe geschrieben, die mittlerweile auch in Deutsch erschienen sind. Es gibt andere Bücher, die von Schülern von Feldenkrais’ geschrieben wurden, die den Feldenkrais-Ansatz zu erklären versuchen. Außerdem wurden verschiedene Kommentare der Herausgeber und Übersetzer seiner Bücher sowie diverse Artikel in der Fachpresse veröffentlicht. Wieso also erneut ein Buch, das sich mit der Feldenkrais Methode befasst?
Die erste Antwort auf diese Frage ist, dass trotz des bisher gut und nicht wenig Geschriebenen, ein grundlegender, richtungsweisender Aspekt der Feldenkrais Methode nie unter dem Gesichtspunkt der existentiellen Bedeutung erörtert wurde, die ihm auch in jedem therapeutischen Umgang, in der Tat, in jedem menschlichen Umgang zukommt.
Eine zweite Antwort, die sich direkt aus der ersten ergibt, liegt in einem persönlichen Erlebnis. Sie kommt aus der Praxis und ist zugleich auch Antwort auf ein Problem, das bis heute im therapeutischen Umgang immer noch besteht: Als ich 1992 ein Gespräch mit einem Kinderarzt in seiner Praxis führte, um ihm meine Arbeit als Feldenkrais Pädagoge mit Kindern vorzustellen, hörte ich aus einem benachbarten Zimmer etwa zwanzig Minuten lang ein Kind, das die ganze Zeit pausenlos, und in verschiedenen Intensitätsstufen nur ein einziges Wort rufen: „Mami!“ Das reichte von um Erbarmen bettelnd bis hin zu grellen, schrillen Schreien. Solche Schreie könnte man vielleicht mit einem grausamen Vorgang, mit einer Verstümmelung assoziieren oder als seelische Folter für Eltern, die man im Verhör zu Erpressungszwecken die Stimme ihres gefolterten Kindes zu hören zwingt. Ich war von diesen Kinderschreien derart schockiert, dass ich den Kinderarzt nach dem Grund der Schreie fragen musste. Er antwortete mir mit einer leicht bagatellisierenden Stimme: „Ah, es wird ein Kind im Raum nebenan nach Vojta behandelt.“ Zugleich erklärte er mir, dass er einst Direktor eines namhaften Institutes in Hamburg gewesen sei (eines Institutes, wo vorwiegend Vojta praktiziert wird) und, dass er seit seiner Pensionierung dort nun seine private Praxis leite, in der angestellte Vojta-Therapeuten arbeiten.
Als ich durch den Hof seiner Praxis zur Straße ging, konnte ich ein 6- bis 7-jähriges, zierliches Mädchen mit seiner Mutter sehen, die beide mit stark verweinten Gesichtern noch im Hof standen und sich die Augen abwischten, bevor sie zur Straße gingen. Ich hätte gerne mit der Mutter gesprochen und ihr erzählt, dass es Therapien gibt, in denen ihre Tochter nicht gequält, sondern im Gegenteil, sich ihrer neu gewonnenen Bewegungsmöglichkeiten freuen würde. Ich kam mir lächerlich vor, ähnlich einem Häretiker, der den Menschen auf der Straße eine Wahrheit verkünden will. Wie hätte auch diese Mutter in ihrer Aufregung und Trauer nach einer Therapiesitzung in der Praxis eines alteingesessenen Kinderarztes und Professors ihre Aufmerksamkeit einem unbekannten Menschen auf der Straße widmen können, der sie gerade über das für sie in diesem Moment empfndlichste Thema anspricht und der dazu selbst spastisch behindert ist? Ich hätte mich auf eine kafkaeske Situation eingelassen.
Vor einiger Zeit in einem Gespräch mit einer überzeugten Vojta-Therapeutin, bezeichnete diese die Ursache der Kinderschreie bei der Vojta-Therapie als eine „ein bisschen unangenehme Lage“, die, ihrer Meinung nach, notwendig sei um die Kinder „zur Bewegung zu zwingen“. Über das „zur Bewegung zwingen“ wird in diesem Buch noch viel die Rede sein. Die Schreie, die ich aber in der Praxis des ehemaligen Direktors des Hamburger Instituts gehört hatte, waren nicht der Ausdruck der Widerspenstigkeit oder Laune eines verwöhnten Kindes, sondern eines durchlebten Alptraums.
In meiner Tätigkeit als Feldenkrais Pädagoge habe ich Kleinkinder in Behandlung bekommen, die, wegen ihrer Erfahrung mit den Vojta- und Glenn Doman-Methoden, Wochen benötigt haben, bis sie ihr in diesen Therapien erlebtes Trauma, durch ihre Erfahrung mit der Feldenkrais-Arbeit überwinden konnten, und nicht mehr bei jedem menschlichen Annäherungsversuch wie unter Folter geschrien haben. Es ist vor allem im Namen dieser Kinder, dass ich dieses Buch in der Überzeugung geschrieben habe, dass es, wenn es auch nur einem einzigen Kind eine manipulierende und Gewalt anwendende Therapie ersparen hilft, wert genug ist geschrieben zu werden.
Die Feldenkrais Methode macht durch ihren Ansatz und ihre Arbeitsweise bestimmte Aspekte in unserem Umgang mit uns selbst und mit anderen bewusst; Aspekte, deren Vorhanden- oder Nichtvorhandensein die Qualität dieses Umgangs bestimmt. Dass diese Qualität im Umgang, im heilen-wollenden und heilen-sollenden Umgang mit Behinderten, besonders mit behinderten Kindern, die höchste sein muss, wird allgemein als selbstverständlich erachtet und sollte von niemandem in Frage gestellt werden. Und trotzdem verfährt man, vermutlich in bester Absicht, in den vorherrschenden Therapien in der Behandlung zerebralparetischer Kinder in krassem Gegensatz zu diesen von der Gehirnforschung wiederholt und vielfach belegten hohe Qualitätsmaßstäben.
Es geht in der Feldenkrais Methode in diesem Zusammenhang um den Gebrauch der Berührung. Im Unterschied zu einer in der Therapie leider allgemein verbreiteten leistungserwartenden, korrigieren-wollenden Berührung hebt die Berührung in ihrer heilenden Aufgabe in der Feldenkrais Methode den Wert des Stützens im spezifschen therapeutisch bezogenen Sinn hervor. Es geht um eine Berührung, die, frei von jedem Zwang, nur das bewusst macht, was die berührte Person mit sich selbst tut, um ihr dann eine bessere Alternative des Seins anzubieten. Sie wirkt, wie Feldenkrais dem Vater eines behinderten Kindes sagte, wie ein Skalpell auf der Ebene der Bewegungssteuerung. Sie tut das, was das normale Skalpell nicht realisieren kann: Sie eliminiert nicht Teile des Körpers sondern falsche Bewegungsmuster.
Die Menschen, soweit nicht selbst als Familienangehörige oder Behinderte betroffen, führen ihr tägliches Leben mit ihren Problemen, Beschäftigungen und Vergnügungen, selbstverständlich ohne einen einzigen Augenblick der Frage zu widmen: Was wird eigentlich mit einem behinderten Kind gemacht? Wie geht man mit einem solchen Kind um und was versteckt sich hinter einer therapeutischen Maßnahme? Wie begründet und rechtfertigt eine Therapie den Umgang des sie anwendenden Therapeuten mit den Behinderten, besonders mit behinderten Kindern?
Die Einstellung, die ich in diesem Buch vertrete, beweist seit Langem ihre Richtigkeit auf einem anderen therapeutisch-erzieherischen Gebiet und setzt sich hier mehr und mehr durch: bei der (von der Humantherapie in diesem Bereich grundsätzlich nicht verschiedenen) Pferde-Therapie und Zähmung, wie sie der amerikanische Pferde-Erzieher und -therapeut und, im wahren Sinne des Wortes, Pferde-Freund, Monty Roberts, anwendet:
http://www.youtube.com/watch?v=9Dx91mH2voo
Es existieren unter anderen einige Aufnahmen von Einzelsitzungen Feldenkrais’ mit einem autistischen, hyperaktiven, „wilden“, verängstigten neun Jahre alten Jungen. Anfangs rang der Junge ununterbrochen die Hände, zitternd und schreiend, wie von wilden Tieren umzingelt. In diesen Aufnahmen benutzt Feldenkrais die gleiche Körper- und Beziehungssprache wie Monty Roberts bei der Zähmung eines traumatisierten Pferdes. Er erzielt damit den gleichen für die ungläubig Zuschauenden verblüffenden und spektakulären Erfolg. Das Kind, das sein ganzes bewusstes Leben beziehungsunfähig und von einer aggressiven Panik beherrscht war, kam am Ende der fünften oder sechsten Sitzung, nachdem es einige Zeit durch den Raum geirrt war, unerwartet auf Feldenkrais zu und warf ihm beide Arme um den Hals. Es sind Erfolge, die nichts mit Wunderheilung zu tun haben, die in Wirklichkeit nicht spektakulär, sondern nur folgerichtig sind, und deren Parallelität auf universal gültige Gesetze der Lebensentfaltung zurückzuführen sind: Die Lebensentfaltung schließt das Lernen und das Heilen durch Lernen (nicht durch Gewalt!) als wesentlichen Faktor, ja, als wesentliche Bedingung ein.
Es ist offensichtlich, dass die Selbstverständlichkeit, die Feldenkrais mit seinem Buch Die Entdeckung des Selbstverständlichen uns zu entdecken helfen wollte, bis heute von den meisten, die von dieser Entdeckung proftieren könnten, noch nicht wahrgenommen wurde. Nicht ohne Grund hat Feldenkrais 1981 in der letzten Ausbildung, die er geleitet hat, behauptet, dass das, was er uns vermitteln möchte, wahrscheinlich noch ein paar Jahrzehnte benötige, um vollständig wahrgenommen, angenommen und angewendet zu werden. Dass zum Beispiel in Österreich, Dänemark und in der Schweiz die Feldenkrais Methode inzwischen von den Krankenkassen anerkannt und fnanziert wird, während dort, wie in anderen europäischen Ländern, manche Gewalt anwendende Therapie verboten wird, ist ein Zeichen dafür, dass die erzieherisch-therapeutische und wissenschaftliche Domäne mehr und mehr an Menschlichkeit, an Präzision und Effektivität gewinnt.
Mit dem Wunsch, diesen Prozess des Menschlicher-Werdens zu beschleunigen, habe ich dieses Buch verfasst. Es soll dazu beitragen, dass das Schicksal vieler behinderter Säuglinge und Kleinkinder menschenwürdiger wird. Es ist mir bewusst, dass mein Buch nur ein kleiner Beitrag zur allmählichen Entdeckung unserer Menschlichkeit ist, die sich noch am Anfang eines langen Wegs in unserem Prozess der Menschwerdung befndet.
Über 38 Jahre Erfahrung in der Feldenkrais Methode lassen mich behaupten, dass es noch viel Raum gibt für eine Verbesserung des therapeutischen Umgangs in der Frühförderung spastisch behinderter Kinder. Zunächst konnte ich sie als spastisch Geborener zehn Jahre lang in Tel Aviv von Moshé Feldenkrais erfahren und erlernen. Seit 1986 durfte ich als Anwender der Feldenkrais Methode die deutlichen Verbesserungen sowie Genesungen bei spastisch behinderten Säuglingen und Kleinkindern einleiten und begleiten.
Die Spastik entsteht durch das Absterben von Nervenzellen im Gehirn. Das Absterben führt zu einer teilweisen Ausschaltung der Steuerung bestimmter höheren Nervenzentren. In Folge dieser Ausschaltung verhält sich das Nervensystem wie mehr oder weniger betäubt. Ein Beispiel: Ein Mensch, der nicht mehr so gut hören kann, wird um seine eigene Stimme zu hören viel lauter sprechen als ein normal Hörender. Genauso versucht die überhöhte Muskelspannung beim spastischen Kind ein Defzit auszugleichen: Das Defzit in der Wahrnehmung des eigenen Körpers inmitten der Reize der Umwelt. Dieses Defzit wurde durch das Ausschalten von Nervenzentren verursacht.
Die erhöhte Spannung in der Muskulatur wirkt indes kontraproduktiv. Sie stört ihrerseits massiv die Wahrnehmung der Reize aus der Umgebung, wie z.B. der Schwerkraft, so dass ein Teufelskreis entsteht: Wahrnehmungsstörung führt zu erhöhter Muskelspannung, erhöhte Muskelspannung führt zu noch mehr Wahrnehmungsstörung.
Solange das Kind keine funktionalen Absichten hat, wie z. B. nach einem Spielzeug zu greifen oder sich in eine bestimmte Richtung zu wenden und zu bewegen, lassen sich durch die erhöhte Muskelspannung keine gravierenden funktionalen Störungen erkennen. Erst wenn ein Säugling oder Kleinkind anfängt, seine Absichten in eine Handlung umsetzen zu wollen, beginnt die Spastik ihre Stärke im Kampf mit den Absichten zu behaupten. Die Handlung ist wegen der hohen Muskelspannung (als Folge des erlittenen Schadens im Zentralnervensystem) nur mühsam, wenn überhaupt auszuführen. Je stärker der Wunsch oder die Absicht des behinderten Kindes wird, etwas in die Tat umzusetzen, um so mehr wird es sich verspannen und seine Muskulatur wird mit der Zeit immer steifer.
Die immer komplexer werdende Vielfalt von unterschiedlichen funktionalen Absichten in den ersten Lebensmonaten und -jahren eines Kindes beeinträchtigt das Koordinieren der abwechselnden, gegensätzlichen Tätigkeit der Beuge- und Streckmuskelgruppen immer stärker. Es entsteht ein wachsender Konflikt zwischen den Absichten und Wünschen des Kindes einerseits und seiner Unfähigkeit andererseits, die körperbezogenen Reize aus der Umgebung angemessen wahrzunehmen und für eine gelungene Umsetzung seiner Absichten richtig einzuordnen. Der psychische Aspekt, d. h. die Wünsche und die Absichten eines Kleinkindes spielen damit eine entscheidende Rolle in der Entwicklung der Spastik und auch in den Strategien, die in der Feldenkrais Methode angewendet werden. Eine der wichtigsten Aufgaben in der Anwendung der Feldenkrais Methode ist es, Kinder wie Erwachsene von jedem überfordernden Ziel abzulenken, d. h. vom Ziel, das noch nicht mit einem Empfnden von Leichtigkeit, Erfolg und Selbstverständlichkeit zu erreichen ist.
Mit zwei einfachen Versuchen kann jeder am eigenen Leib nachvollziehen, wie es ist, spastisch zu sein:
Beispiel 1: Versuchen Sie, einige Minuten lang dreißig Kilogramm im Sitzen oder Stehen über Ihren Kopf zu halten und, während Sie das tun, fangen Sie an zu sprechen oder zu singen. Wenn Ihre Anstrengung groß genug ist, wird Ihre Stimme derjenigen eines spastisch behinderten Menschen ähneln. Sie werden auch nicht mehr fähig sein, Ihre Finger einzeln zu öffnen und auch nicht, ihren Kopf zur Seite zu wenden. Falls Sie stehen und nicht sitzen, werden Sie höchst wahrscheinlich auch nicht fähig sein Ihre Zehen vom Boden abzuheben.
Beispiel 2: Hängen Sie eine fünf bis zehn Kilogramm schwere Tasche an Ihr Handgelenk und versuchen Sie mit dieser Hand etwas auf einer senkrechten Ebene zu schreiben.
Was hindert Sie daran, die erwähnten Funktionen (Sprechen, Singen, Finger und Zehen einzeln zu bewegen, Schreiben) mit Leichtigkeit und Genauigkeit auszuführen? Nichts anderes als die Anstrengung, die unumgänglich ist für die Ausführung der genannten Funktionen unter den oben angegebenen Bedingungen. Diese Anstrengung, aber auch eine zu große Aufregung oder Angst sind verantwortlich für eine „teilweise Ausschaltung oder das Versagen der Steuerung im lebendigen Organismus“ (Moshé Feldenkrais5). Das Erreichen von Genauigkeit in der Ausführung einer Funktion des Nervensystems wird ausschließlich durch das Pflegen der Stress- und Anstrengungslosigkeit, der Leichtigkeit und der ruhigen Aufmerksamkeit ermöglicht.
Seit mehr als einem Jahrhundert ist bekannt, dass keine der Nervenzellen in der Hirnrinde stimuliert werden kann, ohne dass auch benachbarte Nervenzellen mehr oder weniger reagieren, besonders wenn der Reiz eine bestimmte Intensität überschreitet. Ein Beispiel dafür ist das Bewegen des Ringfngers bei Menschen, die noch nicht gelernt haben ein Musikinstrument zu spielen – eine Tätigkeit, die eine getrennte Betätigung einzelner Finger voraussetzt. Man kann lernen, den Ringfnger einzeln zu bewegen, d. h. ohne dass sich die anderen Finger mitbewegen, indem die Impulse an die Hirnrinde anfangs sehr schwach, durch sehr kleine und leicht ausgeführte Bewegungen des Ringfngers erfolgen. Dasselbe kann sogar nur durch die Vorstellung der Bewegung durchgeführt werden: Die Vorstellung einer Bewegung allein wird Nervenzentren mobilisieren, die für die Ausführung dieser Bewegung zuständig sind. Das Erlernen einer neuen Funktion im Nervensystem bedeutet demnach in erster Linie das Hemmen von unnötigen, dieser Funktion nicht dienenden Handlungen und Reaktionen. Je heftiger das Ansprechen von Nervenzellen ist, desto größer wird auch die Wahrscheinlichkeit, dass benachbarte Nervenzellen mitreagieren und umso geringer die Möglichkeit, die überflüssige Aktivierung zu hemmen. Jede Aufregung, die von übermäßiger Anstrengung, Angstzuständen oder Schmerzen verursacht wurde, wird große Areale in der Großhirnrinde reizen, was keine Unterscheidung (Differenzierung) in der Reaktion mehr ermöglicht. Zum Beispiel: Ein Schauspieler oder Sänger kann seine Stimme mehr oder weniger so beherrschen, dass er den gleichen Satz leise, lauter und sehr laut sprechen oder singen wird. Das wird nicht mehr möglich sein, wenn der gleiche Schauspieler oder Sänger z. B. nur am Kragen über einen tiefen Abgrund gehalten wird. Sein ganzes Nervensystem wird in einer undifferenzierten, globalen Reaktion mobilisiert, so wie das bei einem heftigen Angstschrei geschieht. In einem solchen Zustand ist kein leises Sprechen mehr möglich und es kann auch keine sanfte Melodie gesungen werden, da hierzu eine wesentlich feinere Motorik und eine viel differenziertere Mobilisierung des Nervensystems erforderlich wäre. Statt dessen wird die ganze Hirnrinde und somit der ganze Körper lediglich in einem Angstschrei mobilisiert werden.
Die von Moshé Feldenkrais entwickelte Bewegungslernmethode ist in der Arbeit mit spastisch behinderten Säuglingen und Kleinkindern besonders erfolgreich, weil sie entstressende Reize und Strategien einsetzt. Diese Reize und Strategien ermöglichen es dem Nervensystem eines behinderten Kindes, unentwickelte und zerstörte Funktionen (Funktionen der ausgeschalteten Nervenzentren) mit anderen, lebendigen Nervenzellen neu aufzubauen.
„Weder heile ich, noch korrigiere oder unterrichte. Ich schaffe nur die Bedingungen, in denen jemand lernen kann.“
— Moshé Feldenkrais
5Der Weg zum reifen Selbst, Junfermann
Als ich etwa vier Monate alt war, wurde festgestellt, dass ich an spastischer Lähmung leide. Während meiner Kindheit haben meine Eltern viele Ärzte, Professoren und Spezialisten für Zerebralparese befragt. Alle Ärzte und Professoren haben nach meiner Untersuchung ein sehr endgültiges Urteil über meine Zukunft abgegeben; ein Urteil, das heute immer noch in den medizinischen Kreisen trotz aller schon seit den fünfziger Jahren erreichten Erfolge von Moshé Feldenkrais mit behinderten Kindern gilt: Keine Möglichkeit für irgendeine Verbesserung, weil abgestorbene Zellen im Gehirn für immer abgestorben sind. Meiner Mutter hat ein Professor, ein Neurologe aus Stockholm, der in Bukarest zu einem Kongress gekommen war, gesagt, dass genauso wie ein amputierter Arm nie wieder wachsen wird, so werde ich aufgrund von abgestorbenen Zellen im Gehirn wegen Sauerstoffmangel bei der Geburt nie gesund sein können. Dieser Professor war in den fünfziger Jahren noch nicht so weit informiert um zu wissen, dass Milliarden von noch lebenden Nervenzellen im Gehirn die Aufgaben der abgestorbenen sofort übernehmen können, wenn dem Nervensystem die notwendigen Bedingungen geschaffen werden, um das zu lernen, was die abgestorbenen Zellen von Natur aus gelernt hätten.
Bereits mit 6 oder 7 Jahren war mir der Unsinn der Therapien, denen ich ausgesetzt war, bewusst, auch wenn diese Therapien eventuell dazu beigetragen haben eine mögliche Muskelatrophie zu verhindern. Ich hatte einen Widerwillen gegen jede Therapie, die nur mit Körper und Muskeln zu tun hatte …
Trotz der Hindernisse, die meine Behinderung mir verursachte, hatte ich kein Bestreben, mich ausschließlich mit meinem eigenen Körper, in dem ich mich während meiner Kindheit nicht besonders unwohl fühlte, zu beschäftigen. Ich wurde sehr viel auf dem Arm getragen und alle Massagen und anderen Therapien, die ich bekam, waren genauso harmlos wie ohne Bedeutung für eine funktionale Verbesserung.
Die erste ernsthafte Auseinandersetzung mit meiner Behinderung erlebte ich in dem Moment, als ich schreiben lernen sollte. Ich beobachtete eine physische Barriere, die mich daran hinderte mit der gleichen Geschwindigkeit fließend zu schreiben wie es meine Klassenkameraden konnten.
Ich konnte schon mit sieben Jahren zwischen einer groberen und einer feineren Funktionsweise des Nervensystems unterscheiden: Wenn ich unter Leistungsdruck geriet, zeigte sich die grobere Funktionsweise beim Gebrauch von evolutionsmäßig niederen Gehirnschichten. Die feinere Funktionsweise ergab sich, wenn ich mir die Ruhe und die Zeit ließ, um neue funktionale Aufgaben, mit denen ich noch nicht vertraut war, zu lernen und auszuführen wie z. B. beim Schreiben, einen Stift leicht nur mit den Fingerspitzen so zu halten und zu führen, dass verständliche und entschlüsselbare Buchstaben und Symbole entstehen.
Ich konnte einen Stift ohne Schwierigkeiten mehr oder weniger entspannt zwischen meinen Fingern halten, solange ich keine andere Absicht hatte, als den Stift zu halten.
Sobald ich jedoch beabsichtigte, eine spezifsche Figur wie einen Buchstaben, eine Zahl oder ein Symbol wie „=“ zu malen, die für die Anderen auch lesbar sein musste, für die aber mein Nervensystem die notwendigen Bewegungen noch nicht differenziert genug steuern konnte, weil es noch funktionale Erfahrung benötigte, spürte ich eine Störung in der Stille meines Körpers, die den Wasserwellen ähnelte, wenn ein Stein in stilles Wasser fällt. In diesem speziellen Moment, in dem ich eine Bewegung ausführen wollte, die die Grenzen meines „Selbst-Bildes“, d. h. meiner Vorstellung dessen, was ich tun konnte, überschritt, begann mein Arm zu zittern; und das gerade in dem Augenblick, in dem ich am entspanntesten blieb.
Ich wurde mir der Tatsache bewusst, dass das Zittern durch meine Gedanken an das Risiko des Zitterns oder des „Überrascht-Werdens“ durch ein Zittern verursacht wurde, z. B. beim Zeichnen eines Kreises oder einer Linie, als Teil eines Zeichens, das für andere verständlich sein sollte. Es war die Idee des Zitterns, das Denken an das Risiko des Zitterns, das mich tatsächlich zum Zittern brachte. Die bloße Erwartung des Zitterns rief das Zittern hervor. Aber ich erkannte auch, dass dieses Zittern durch das Gefühl hervorgerufen wurde, nicht mit dem Zustand der Freiheit und der Leichtigkeit in der Bewegung vertraut zu sein, wie das der Fall war, wenn ich den Bleistift ohne bestimmte (funktionale) Absicht zwischen den Fingerspitzen hielt. Dass dabei die Leichtigkeit und das Vertraut-Sein fehlte und der Vergleich zur Spastik, die sich mir in anderen Handlungen oder Absichten zu handeln zeigte, waren für mein Zittern verantwortlich. Mit anderen Worten, es waren die Grenzen, die ich meinem Selbst-Bild setzte, als nicht in der Lage war, „um über den Fluss zu gehen“, wie Ruthy Alon es so bildhaft darstellt, beim Erwähnen der Giraffe im Vorwort ihres Buches Mindful Spontaneity als ein Symbol für die Grenzen, die man sich selbst setzt.
Um die Gefahr einer weiteren „Verschandelung“ meines Schulheftes zu vermeiden, entwickelte ich eine Strategie: Wenn ich spürte, dass ich zittern könnte, ergriff ich die Feder so kräftig, dass der Druck der Finger zueinander und zur Feder den „Gedanken“ an das Zittern bezwingen und hemmen sollte.
Ich wusste, dass kräftiges Halten eine minderwertigere Verhaltensweise war, als mit Leichtigkeit zu halten, aber damals hatte ich keine andere Wahl: Ich musste mein körperliches „Wohlbefnden“ opfern, um mit den allgemeinen Anforderungen Schritt zu halten und zu verhindern, in der Schule als „zurückgeblieben“ eingestuft zu werden. Ich spürte auch, dass es keinen Sinn ergeben würde, das Zitter-Problem mit jemandem zu besprechen, weil die Leute ganz hilflos drein sahen, als ob sie einem unerforschten Tabu begegneten, wenn ich ihnen Details meiner Behinderung zu beschreiben versuchte.
Die Therapien, die ich bekommen hatte, waren mehr oder weniger mechanisch und damit sinnlos. Ich bekam sie, ohne dadurch irgendeine Veränderung in meinem körperlichen Zustand wahrzunehmen oder zu fühlen. Die Massagen und die Bewegungen als solche waren mehr oder weniger angenehm, aber eigentlich ärgerte ich mich über alle diese Therapien und hatte keine Geduld für sie. Ich fühlte mich auf die Ebene der Gelenke, Muskeln und Organe erniedrigt. Da war nichts, das mein Interesse weckte. Als Kind hatte ich keinen Ehrgeiz und auch kein Bedürfnis „gesund“ zu sein oder zu werden. Bis zum Alter von 13 Jahren nahm ich meinen Zustand an, so wie er war. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass eine Änderung überhaupt möglich sein könnte. Diese Haltung änderte sich eines Tages von einer Sekunde auf die andere, als ich den Mut aufbrachte einen Topf Milch aus dem Kühlschrank zu nehmen und ihn etwa 10 Meter weit entfernt zum Herd zu tragen.
Es war ein sehr weiter Weg, und der Topf war ziemlich breit und flach. Jede unsachgemäße Bewegung konnte die Milch verschütten. Und doch war ich von der Idee fasziniert, die Milch selbst zu tragen, ohne Hilfe von Anderen. Und siehe da, der innere Wunsch mich selbst zu übertreffen, gipfelte in einem Erfolg, der die Grenzen meines Selbstverständnisses völlig verwandelte. Die Aufmerksamkeit, eigentlich die Faszination, mit der ich die Bewegung der Milch in der Schüssel den ganzen Weg über beobachtete, bei jeder meiner unebenen Bewegungen, war für mich wie eine Bedienungs- und Führungs-„Anleitung“, ohne jegliche Bewertung davon, wie ich mich bewegte. In diesen Momenten fühlte ich keinerlei Panik und es kam mir während des Milchtragens gar kein Gedanke an Scheitern in den Sinn. Ich war gerade allein zu Hause, sonst hätten mir meine Eltern oder sonst jemand „geholfen“. Es ging mir lediglich darum keine Milch zu verschütten. Ich möchte daran erinnern, dass mein Gang damals sehr spastisch und zittrig war.
Zum ersten Mal im Leben erlebte ich einen Zustand des Bewusstseins, der es mir ermöglichte „zu wissen, was ich wirklich tat“, bei jedem meiner Schritte. Während ich die Milch trug, nahm ich mir alle Zeit, die nötig war, um so weich wie möglich zu gehen; es war dann auch eine sehr langsame Bewegung, ähnlich wie bei einer T’ai Chi Übung.
Nachdem ich den Topf auf den Herd gestellt hatte, hatte ich das Gefühl, dass eine Verbesserung und Veränderung meines Zustandes nur von meiner eigenen geistigen Stärke abhinge, von meiner Bereitschaft, mir alle nötige Zeit zu nehmen und sie in die analytische Beobachtung meiner Bewegungen zu investieren.
Diese Denkweise im Auge zu behalten und in die Tat umzusetzen ist aber tatsächlich sehr schwierig. Während ich mit dem Milchtopf ging, brauchte ich einen völlig anderen Gemütszustand als meinen sonstigen: Zum ersten Mal im Leben lebte und handelte ich in vollem Bewusstsein. Zum ersten Mal empfand ich, dass es in meiner Macht steht, es zu lernen, mich selbst zu steuern. Obwohl ich das alles als eine Tatsache verstand, verspürte ich keinen besonderen Drang danach, von der Möglichkeit, die sich mir auftat, Gebrauch zu machen: Ich war ein faules Kind. Der Sinn dafür, diese Fähigkeit, meine Wahrnehmung, zu verwenden, um meine Bewegungen gut funktionierend und leistungsfähig zu machen, war mir noch immer verborgen.
Ein Jahr, bevor ich mit meiner Familie nach Israel emigrierte, besuchte mich eines Abends ein befreundeter Nachbarsjunge, ein Jahr älter als ich. Während seines Besuches fragte er mich plötzlich: „Kannst du das auch?“ Spontan warf er die Arme hinter den Nacken und verschränkte sie, während die Hände den Hals umklammerten. Ich war über die Geschmeidigkeit seiner Arme erstaunt, über die Bewegung seiner Schulterblätter, die seitlich nach außen gehen konnten, wie ich es nie zuvor gesehen hatte. Es war eine exotische Eleganz in seinen Bewegungen und Stellungen, die mich sofort faszinierte. Ich fragte ihn, wie er zu dieser Fähigkeit gekommen sei, und er zeigte mir einige Grundübungen für die Selbststeuerung und erzählte mir, dass diese Techniken aus dem Hatha-Yoga kämen. Es waren sehr langsame Bewegungen der Finger, Arme, Beine etc.
Ich war so fasziniert von diesen Techniken, von der hohen geistigen Betrachtungsweise des Körpers, dass ich seit damals nie aufgehört habe, meine Bewegungen zu „analysieren“, mit dem Ziel sie dauerhaft zu verbessern. So wurde ich das erste Mal mit Yoga konfrontiert. Bei den Yoga-Übungen bin ich sehr oft auf Schwierigkeiten gestoßen, die ich nicht lösen konnte, wie z. B. die Unfähigkeit, bestimmte Teile meines Körpers oder bestimmte Muskeln zu fühlen. Ich habe versucht Zeitlupen-Übungen zu machen, die in sich selbst sehr interessant waren, die aber – in einigen Fällen – anstatt Probleme zu lösen noch mehr Schwierigkeiten schafften, natürlich auch wegen meiner damaligen mangelnden Erfahrung, wie man das „Yoga-System“ anwendet. Es war für mich ein völlig neues Feld. Dennoch habe ich dabei eine sehr wichtige, wenn nicht sogar entscheidende Erfahrung für meine weitere Entwicklung gemacht: Es wurde mir bewusst, was ich nicht tun konnte. Ich erkannte die Hindernisse, die mich daran hinderten die Bewegung, die ich machen wollte, auszuführen.
Dieses Bewusstsein – das Bewusstsein der physischen Hindernisse bei der Ausführung von Bewegungen, die ich tun wollte – war die Grundlage für meine Suche nach einer Lösung, nach jemandem, der meine Probleme angehen könnte, nicht in Form einer Diagnose einer bestimmten Krankheit (mit denen ich mich nie identifzieren konnte), sondern durch die Konfrontation mit meinen eigentlichen Problemen, unabhängig von ihren Namen. Das „Ritual“ der Untersuchung und Diagnose, das die meisten Ärzte in gleicher Weise durchführten, so dass ich schon im frühen Alter von 7 oder 8 Jahren seinen Verlauf auswendig kannte, offenbarte jedes Mal eine Art Angleichung der „Spezialisten“ durch ihre eigene Routine.
Diese Routine schien mir so grotesk wie eine Zirkusvorstellung verschiedener Personen, die nichts voneinander wissen, so dass ich nicht anders als lachen konnte, wie jemand der eine Szene aus einem Fellini-Film sieht. Bei den zwei oder drei Malen, wo das vorkam, dachte der Untersuchende, dass ich nicht nur spastisch, sondern auch geistig zurückgeblieben war.
Nach meiner Auswanderung nach Israel im Jahre 1970, begann ich einen Yoga-Lehrer zu suchen, der mir die Fähigkeiten beibringen sollte, die ich erreichen wollte. Nach einer mittelmäßigen Erfahrung mit einem Yoga-Lehrer in Tel Aviv gab ich die Suche nach einem Lehrer, der meine körperlichen Probleme angehen und damit zurechtkommen würde, auf.
Eines Tages, während eines Besuchs, erzählte mir mein Cousin von einem Physiker, der Ben Gurion vor einigen Jahren beigebracht hätte auf dem Kopf zu stehen, nachdem dieser an chronischen Rückenschmerzen gelitten hatte. Als ich später seitens derer, die ich nach „dem Meister“ von Ben Gurion fragte, etwas Misstrauen und Skepsis wahrnahm, wuchs mein Interesse ihn kennen zu lernen noch mehr. Darum fragte ich etwas später meinen Onkel, Dr. Landau, der Dank seiner politischen Aktivitäten alle Persönlichkeiten in Israel kannte, nach dessen Namen und er sagte mir: „Feldenkrais, aber er ist kein Arzt.“ Mit dem Gefühl, dass etwas Entscheidendes in meinem Leben passieren würde, etwas auf das ich, seit ich mich erinnern konnte, immer gewartet hatte, suchte ich im Telefonbuch nach Moshé Feldenkrais. Es war ein Freitagabend, als meine ältere Schwester ihn anrief. Er gab mir einen Termin für den Dienstag in der nächsten Woche.