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Wenn das Leben dir Zitronen gibt, mach einen Cocktail draus! Der spritzige Liebesroman »Die Frauen von Broadstairs« von Jane Wenham-Jones jetzt als eBook bei dotbooks. Endlich haben sich die Freundinnen Gaynor, Sarah und Claire ihren gemeinsamen Traum erfüllt: eine eigene Weinbar in dem malerischen Küstenstädtchen Broadstairs! Doch statt von nun an im »Greens« jeden Abend Drinks zu mixen und mit Gästen zu plaudern, haben sie mit allerlei Problemen zu kämpfen: Während die alleinerziehende Sarah gerne mal wieder einen Abend für sich hätte, sehnt sich Dauersingle Claire nach der wahren Liebe – und Gaynor steht das größte Chaos ins Haus: Denn als sie im Schrank ihres Freundes Victor ein fremdes Damen-Dessous findet, scheint alles darauf hinzudeuten, dass ihr vermeintlicher Traummann es mit der Treue nicht so genau nimmt. Inmitten dieser aufwühlenden Gefühlsstürme wird das »Greens« schon bald zum sicheren Hafen – und so manch ein Gast zu dem perfekten Zuhörer, den die ein oder andere von ihnen gerade braucht … »Lustig, lebensnah und voll Scharfsinn«, sagt Bestsellerautorin Katie Fforde Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der romantische Roman »Die Frauen von Broadstairs« von Jane Wenham-Jones wird alle Fans von Mhairi MacFarlane und Alexandra Potter begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 549
Über dieses Buch:
Endlich haben sich die Freundinnen Gaynor, Sarah und Claire ihren gemeinsamen Traum erfüllt: eine eigene Weinbar in dem malerischen Küstenstädtchen Broadstairs! Doch statt von nun an im »Greens« jeden Abend Drinks zu mixen und mit Gästen zu plaudern, haben sie mit allerlei Problemen zu kämpfen: Während die alleinerziehende Sarah gerne mal wieder einen Abend für sich hätte, sehnt sich Dauersingle Claire nach der wahren Liebe – und Gaynor steht das größte Chaos ins Haus: Denn als sie im Schrank ihres Freundes Victor ein fremdes Damen-Dessous findet, scheint alles darauf hinzudeuten, dass ihr vermeintlicher Traummann es mit der Treue nicht so genau nimmt. Inmitten dieser aufwühlenden Gefühlsstürme wird das »Greens« schon bald zum sicheren Hafen – und so manch ein Gast zu dem perfekten Zuhörer, den die ein oder andere von ihnen gerade braucht …
»Lustig, lebensnah und voll Scharfsinn«, sagt Bestsellerautorin Katie Fforde
Über die Autorin:
Jane Wenham-Jones (1962-2021) wurde in England geboren und arbeitete als Journalistin für das Radio, TV und verschiedene Magazine. Sie ist die Autorin zahlreicher Romane und wurde unter anderem mit dem renommierten Romantic Comedy Award ausgezeichnet. Nach ihrem Tod wurde dieser ihr zu Ehren in den Jane-Wenham-Jones-Award umbenannt.
Die Website der Autorin: janewenham-jones.co.uk/
Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre Romane »Die Frauen von Broadstairs«, »Ein Traumhaus auf den zweiten Blick« und »Liebe braucht kein Alibi«.
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eBook-Neuausgabe Oktober 2023
Die britische Originalausgabe erschien erstmals 2005 unter dem Originaltitel »One Glass Is Never Enough« bei Accent Press Ltd., Wales. Die deutsche Erstausgabe erschien 2008 unter dem Titel »Niemals auf ex« bei Lübbe, Bergisch Gladbach.
Copyright © der britischen Originalausgabe 2005 by Jane Wenham-Jones
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2008 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach.
Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)
ISBN 978-3-98690-851-5
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Jane Wenham-Jones
Die Frauen von Broadstairs
Roman
Aus dem Englischen von Beke Ritgen
dotbooks.
Für Wendy Carr und Jacqui Cookin Liebe und Dankbarkeit
Ein großartiger Champagner; fein perlend, frisch, kraftvoll und von ungeahntem Potenzial
Willkommen im Greens. Küsschen. Willkommen im Greens.
Wie reizend, dass Sie gekommen sind! Küsschen. Willkommen im Greens.
Willkommen im Greens. Küsschen. Jetzt unter neuer, spritziger Leitung. Küsschen. (Oh, hoppla, die kenn ich gar nicht!)
Bitte nehmen Sie sich doch ein Gratis-Glas von unserem Fleur de Lys – unserem für diesen besonderen Anlass ausgewählten roten oder weißen Hauswein! Küsschen, Küsschen. (Mmmh, oh, oh jaa ...) Willkommen im Greens. (Oha, das muss seine Frau sein, die mich so anfunkelt.)
Kommen Sie doch herein! Küsschen. Ein herzliches Willkommen im Greens! Kents erste Adresse für Weinliebhaber und ...
»... ein Geld schluckendes Fass ohne Boden, geführt von drei völlig verrückten Frauen, die überhaupt nicht wissen, was sie tun!« Victor hielt ein Glas Champagner hoch über dem Kopf und bahnte sich einen Weg an Gaynors Seite. Ihr hatte er kein Glas mitgebracht. Gaynor verzog das Gesicht. Ein hilfsbereiter Ehemann war ein solcher Segen fürs Geschäft!
»Guten Abend!« Gaynor schenkte der Blondine, die gerade durch die Tür kam, ihr breitestes Lächeln. »Willkommen im Greens!« Sie verpasste Victor mit dem Ellbogen einen raschen Stoß in die Rippen. »Könntest du für einen Moment übernehmen, Schatz? Muss mal dringend aufs Klo flitzen ...«
Lass ihn doch die Blonde anmachen! Gaynor jedenfalls brauchte mehr Alkohol. Bisher dürfte sie, jedenfalls ihrem eigenen Gefühl nach, so an die fünfhundert Gäste begrüßt haben – alles nur mit einem schnellen Schlückchen Bollinger und einem winzigen Glas Chablis, das sie sich hatte schnappen können, als Sarah, eine ihrer beiden neuen Geschäftspartnerinnen, gerade nicht hingesehen hatte.
»Du darfst allenfalls am späten Abend einen sitzen haben«, hatte Sarah sie ermahnt. (Für jemanden, der soeben dabei war, ein Weinlokal zu eröffnen, vertrat Sarah ganz schön langweilige Ansichten, was das Trinken anging!) »Deine Aufgabe heute Abend ist, die Leute zu empfangen und die Runde zu machen! Du hast einfach nur bezaubernd auszusehen und den Gästen das Gefühl zu vermitteln, alles würde sich nur um sie drehen.«
Hmm. Dieses Gefühl wünschte sich Gaynor selbst auch. Sie trat einen Schritt zur Seite, um den hereindrängenden Gästen Platz zu machen, und blickte auf Victors glänzend braunen Hinterkopf, während er einen Schritt nach vorn machte, um einem hochgewachsenen Herrn im Anzug die Hand zu schütteln. Gaynor seufzte. Sie hatte sich so sehr auf diesen Abend gefreut! Eigentlich sollte sie sich großartig fühlen. Stattdessen stieg das seltsame Gefühl in ihr hoch, sie müsse weglaufen und sich irgendwo verstecken.
Sie, Sarah und Claire hatten so hart für den heutigen Abend gearbeitet. Noch vor sechs Wochen, als sie das Lokal übernommen hatten, war es ein heruntergekommener, schmutziger Ort gewesen, an dessen Theke nur drei alte Trunkenbolde die Zeit totschlugen.
Damals war es schwierig gewesen, sich vorzustellen, der Laden könne tatsächlich einmal so aussehen jetzt. Aber Claire war eine Frau mit Visionen und hatte ihre Partnerinnen mit militärischer Präzision, einer Armee von Handwerkern und einer erschreckend langen Liste von zu erledigenden Arbeiten sicher durch die Schlacht geführt, die geschlagen sein wollte, um diesen Ort zu erschaffen.
Heute hatte das Greens mit einem frisch abgezogenen Dielenboden in aller Pracht neu eröffnet. Die ausdrucksstarken Ölgemälde im mediterranen Stil – sonnige Motive in hellen Gelb- und Blautönen vor weißen Wänden – setzten die riesigen Terracotta-Gefäße, die dunklen Deckenbalken und die zarten Wedel der tiefgrünen Palmen erst richtig in Szene.
Unter dem Überbau aus polierten Eichenbohlen, der die Theke krönte, funkelten Reihen von Weingläsern im Licht der Deckenspots. Gaynor lauschte dem Klirren der gefüllten Gläser inmitten der zahlreichen plaudernden Stimmen und des Gelächters der wunderbar interessanten Menschen, die einander den Platz streitig machten. Unaufdringlich drang Norah Jones’ helle, melodiöse Stimme aus den Lautsprechern; ihr Gesang ging im Stimmengewirr beinahe vollständig unter. Alle hatten gewusst, dass viel los sein würde – aber einen solchen Ansturm hatte niemand erwartet.
In Sechserreihen standen Gäste vor der Bar an. Gaynor sah Sarahs und Jacks Köpfe immer wieder auftauchen, während die beiden geschäftig hinter der Bar hin- und hereilten, um ihre Gäste zu bedienen. Gaynor schlängelte sich durch die Trauben erhitzter Körper, um endlich an den Kühlschrank zu gelangen.
Alle paar Sekunden wurde sie aufgehalten.
»Was für eine Verwandlung!«
»Himmel, ich hab das Lokal gar nicht wiedererkannt!«
»Fantastische Weinkarte, Schätzchen! Hat bestimmt viel Zeit gekostet, die zusammenzustellen, nicht?«
Einiges hatte sie gekostet – vor allem eine ganze Reihe kaum zu überlebender Kater. Wie es schien, hatte Claire mit jedem Weinlieferanten im ganzen Land Kontakt aufgenommen, und die Kisten mit Kostproben ihrer Produktpaletten hatten sich bis zur Decke gestapelt. Eines Abends hatten sie derart viele Cabernet Sauvignons der mittleren Preiskategorie verkostet, dass Gaynor zu keinem mehr hätte etwas sagen, geschweige denn einen hätte auswählen können.
»Reizendes Lokal, das Sie hier haben.« Eine dunkelhaarige Frau mit wilden Augen und einem erschreckend hohen Verbrauch an Eyeliner griff nach ihrem Arm. »Und wir hätten gern gewusst ... Bieten Sie auch Sushi an?«
»Das kann ich Ihnen momentan leider wirklich nicht beantworten.« Gaynor entwand ihr Handgelenk dem Griff der Frau und machte sich davon. Gott allein wusste, wer das war. Und Sushi?
Claire und Sarah hatten Stunden über Rezeptbüchern gebrütet und die Speisekarte besprochen, aber Gaynor konnte sich nicht daran erinnern, dass dort irgendwo roher Fisch aufgetaucht wäre. Claire bestand auf Fleisch von stressfrei und natürlich geschlachteten Tieren aus Bio-Freilandhaltung. Gaynor, für die die Worte »stressfrei« und »schlachten« nicht miteinander vereinbar waren, hatte daraufhin nur losgeprustet, Claire hatte es als leidenschaftliche Vegetarierin jedoch ernst gemeint. »Die Leute erwarten Steaks auf der Speisekarte«, hatte sie bedauernd erklärt, »aber wir können uns zumindest aussuchen, woher wir diese Steaks bekommen.« Sarah hingegen hatte von herrlich einfachen Pasta-Gerichten, bunten Salaten und köstlichen Suppen gesprochen, die sich allesamt im Nu auf die Teller zaubern ließen.
Gaynor blickte auf die Tafel, auf die sie vor einigen Stunden mit bunter Kreide eine Auswahl von Tagesgerichten als besondere Empfehlung geschrieben hatte. Sie war so aufgeregt gewesen. Wow!, hatte sie gedacht und sich selbst beglückwünscht, während sie in Grün und mit großer Sorgfalt die Silhouette eines Weinglases auf diese Tafel gemalt hatte, mir gehört ein Teil dieses Lokals ... Jetzt ließ sie ihren Blick zu Victor an der Tür zurückwandern. Wenn sie nur die Möglichkeit hätte, ihr Glück mit jemandem zu teilen!
Während sie sich zur Bar vordrängte, spürte sie plötzlich Hände, die sich auf ihre Hüften legten, fast schon auf ihren Hintern. Gaynor stieß einen schrillen Schrei aus und wirbelte herum.
Danny, der Dorf-Casanova, grinste sie an. »Hallo, Prachtstück, du siehst scharf aus in diesem Kleid!« Jemand drängelte sich hinter Gaynor vorbei und schubste sie Danny in die Arme. Er zog sie sofort näher an sich heran.
Gaynors Stimmung verschlechterte sich. Danny war groß und sah gut aus: gelockte dunkelblonde bis hellbraune Haare, strahlende haselnussbraune Augen und sehr weiße Zähne. Er war ziemlich von sich eingenommen und hatte mehr Kerben an seinem Bettpfosten, als das Greens Weingläser besaß. »Herrgott noch mal!« Sie warf einen ängstlichen Blick zur Tür. »Victor ist da drüben!«
»Alles in Ordnung – er schaut gar nicht her! Und meine Hände kann er sowieso nicht sehen.« Danny hob die Stimme, um auch über den Lärm um sie herum Gehör zu finden, und Gaynor entwand sich ihm stirnrunzelnd. Sie konnte sich nur wenige Zoll bewegen, ohne die Leute hinter sich gegeneinander zu quetschen. Sie versuchte, sich seitlich an ihm vorbeizuschieben. Vergeblich: Er zog sie erneut an sich und presste seinen Mund gegen ihr Ohr. »Ich will dich!«
»Ach, wie charmant!«, erwiderte sie und drehte den Kopf weg, vor allem, um herauszufinden, ob Victor noch anderweitig in Anspruch genommen war.
Danny presste sich immer noch eng an sie. »Wann können wir uns sehen? Es ist schon Wochen her ...«
»Ich hatte hier ziemlich viel zu tun – hat Ewigkeiten gedauert, bis wir fertig waren. Das Anstreichen, die Aufräumarbeiten. Wir mussten ...«
»Aber jetzt ist doch alles fertig. Dachte, die beiden anderen kümmern sich ums Geschäft.«
»Tun sie auch, aber helfen muss ich trotzdem. Manchmal werde ich schon auch mit anpacken müssen.«
»Anpacken möchte ich dich die ganze Zeit!« Seine Hände schoben den Saum ihres Kleides nach oben.
»Danny! Hier sind jede Menge Leute, die ich kenne!«
»Aber die gucken doch alle gar nicht! Erinnerst du dich daran, dass wir ...«
»Lass das!«
Sie tauchte zwischen zwei wartenden Gästen hindurch und schlüpfte durch die Klappe hinter die Bar, wo sie fast mit Claire zusammenstieß, die ihr dort mit einem Tablett entgegenkam. Gaynor trat einen Schritt zurück.
»Ich bringe gerade noch mehr Frikadellen hoch!«, rief Claire ihr zu, während Danny die Gelegenheit nutzte und sich an Gaynors Schenkel rieb. »Das ist einfach fantastisch! Falls von all diesen Leuten wenigstens jeder einmal die Woche reinschaut ...«
»Klar, das wäre großartig!« Gaynor wollte ihr Glas Wein. Sie warf Danny einen finsteren Blick zu, schob sich an Jack, ihrem jungen und passionierten Chef de Bar, vorbei und ging hinter ihm in Deckung. Mit dem Geschick eines Profis entlockte er gerade der nächsten Flasche Champagner den Korken, drehte sich zu Gaynor um und grinste ihr zu.
»Hallo, Tausendschönchen!«
»Ich brauche etwas zu trinken.«
»Du bist der Boss!« Er stellte die schwere Flasche Bollinger in einen mit Eis gefüllten Sektkühler und griff nach zwei Sektflöten. »Was darf ich dir anbieten?«
Sarah wirbelte zu Gaynor herum. Ihre vornehm blasse Haut wirkte heute Abend gegen ihren roten Haarschopf noch heller und durchscheinender als sonst.
»Wir werden hier ganz schön auf Trab gehalten«, fauchte sie. »Wie wär’s also, wenn du dich stattdessen ein bisschen nützlich machst? Ich muss hoch und nach den Kindern sehen. Mum soll sie eigentlich beaufsichtigen – aber besser, ich schau nach, ob sie sie nicht an den nächsten Stuhl gefesselt haben oder etwas in der Art. Es waren ein paar ziemlich eigenartige Geräusche durch die Decke zu hören!«
Sie schaufelte Eis in zwei Wassergläser, während Gaynor sie voller Zuneigung anlachte. »Nun mach mal halblang! Hier unten kann man doch bei dem ganzen Lärm nicht das Geringste hören!«
Jack legte Sarah auf dem Weg zur Kasse einen Arm um die Schulter. »Jeder hat das Recht auf seine eigene kleine Paranoia!« Er drückte sie kurz. »Aber ich krieg das hier unten auch allein hin, wenn du mal eben nachschauen gehen möchtest!«
Sarah zog eine Grimasse. »In einer Minute. Da stehen noch jede Menge Leute, die bedient werden wollen!« Sie drehte einen Korkenzieher in den Korken einer Flasche Burgunder. »Gaynor, könntest du bitte die Runde machen und Gläser einsammeln?«
»Klar, sofort!« Gaynor öffnete den Kühlschrank und griff nach der Flasche Chablis, die sie geöffnete hatte, als der Abend noch jung gewesen war. Ein, zwei Daumen breit war von ihrem Inhalt noch übrig. Sarah würde sofort mitbekommen, wenn Gaynor sich hier länger aufhielte und eine neue Flasche aufmachte. Gaynor zögerte, leerte die Pfütze in das größte Glas, das sie finden konnte und füllte es dann mit dem trockenen Hauswein auf, ehe Sarah sich wieder zu ihr umdrehte.
»Alles okay?«, fragte Gaynor ihre alte Freundin und neuerdings auch Mitinhaberin des gemeinsamen Weinlokals.
Sarah schenkte ihr unvermutet ein Lächeln. »Ich glaub schon. So in etwa jedenfalls!«
Die letzten Wochen waren für sie alle schierer Wahnsinn gewesen: mit den Anstreichern, Elektrikern, Klempnern, Fliesenlegern, den Männern, die den Dielenboden abschliffen, und all denen, die sonst noch irgendwo hier herumgewuselt waren. Ganz zu schweigen davon, dass Claire sie alle rund um die Uhr zum Dienst an der Putz- und Räumfront eingeteilt hatte, wobei auch Gaynor dazu verurteilt gewesen war, sich die Gummihandschuhe überzustreifen. Was allerdings Sarah anging, die als neuerdings alleinerziehende Mutter von drei Kindern gerade dabei war, von einem Haus in die Wohnung über dem Lokal zu ziehen, und gleichzeitig diese ganze Ex-Ehemann-Kiste in den Griff bekommen musste ... Kein Wunder, dass Sarah ständig so erschöpft, richtig fertig aussah!
Heute Abend aber hatte Sarah sich hübsch gemacht. Kaum zu glauben, wie sie sich abgehetzt hatte, um fertig zu sein, ehe das Lokal zum ersten Mal seine Türen öffnete. Sarah hatte in den letzten Monaten ein paar Kilo abgenommen, sodass der rote Seidenhänger ihr ausgezeichnet stand. Unter ihren herrlich großen grünen Augen hatte sie großzügig Abdeckstift aufgetragen, weshalb die dunklen Ringe nicht mehr zu entdecken waren – jedenfalls nicht, wenn man Sarah nicht zu nahe kam.
»Du siehst großartig aus!« Gaynor strich ihr eigenes schimmernd schwarzes Kleid über den Hüften glatt. Es hatte einen Zeitpunkt gegeben, zu dem sie sich alle drei völlig sicher gewesen waren, sie müssten in schmutzigen Jeans und mit Farbe im Haar eröffnen. Erst gegen fünf am Nachmittag hatte der Elektriker entdeckt, warum der Keller jedes Mal in Dunkelheit versank, sobald oben jemand den Kühlschrank öffnete. Und auch der Klempner war schließlich doch noch fertig geworden.
Die Eismaschine führte zwar immer noch ein gefährlich instabiles Dasein auf einem Bierkasten, und die Spülmaschine für die Gläser verweigerte sich jedem, der sie in Betrieb nehmen wollte. Aber sie konnten eröffnen, hatten es tatsächlich geschafft! Gaynor war ein paar Minuten vor sieben mit den Blumenarrangements so weit gewesen, und Sarah, Claire und Benjamin – ein junger Assistenzkoch in der Ausbildung, den sie eilig noch von der Schulbank einer nahe gelegenen Gastronomiefachschule weg engagiert hatten – hatten das, was am Eröffnungsabend zu essen gereicht werden sollte, nur Sekunden später ebenfalls fertig gehabt. So war kaum Zeit geblieben, den Augenblick zu genießen – rasch ein Schlückchen Champagner und schon hatte sie die Türen weit aufgestoßen.
Sarah wandte sich wieder ab, um die Wartenden am Tresen zu bedienen. »Wir haben’s tatsächlich hingekriegt, was?«, sagte sie über die Schulter hinweg.
»Haben Sie denn auch irgendeinen englischen Wein?« Die Frau, die diese Frage stellte, war etwa fünfundfünfzig und ähnelte auffallend Ann Widdecombe, einer ultra-konservativen Politikerin, die tatsächlich fest daran glaubte, das Fehlen femininer Eleganz und – zumindest verbales – Hardlinertum könnten die Mitglieder ihrer Partei in einem Land wie diesem veranlassen, ihr den Aufstieg in höchste Ämter zu ermöglichen. Sie blickte Gaynor direkt an.
»Wir haben einen recht akzeptablen in einem kleinen Weinstübchen in der Nähe von Canterbury probieren dürfen«, warf ihr in Tweed gekleideter Ehemann unterstützend ein.
Gaynor schauderte es. »Ich bediene im Moment gerade nicht«, erwiderte sie und stürzte sich wieder ins Getümmel zurück. »Unser reizender Barkeeper Jack wird Ihnen sicherlich gleich weiterhelfen ...«
Victor wirkte eigentlich ganz zufrieden vorn an der Tür. Gaynor fand für den Moment ein Plätzchen am offenen, gemauerten Kamin und suchte für ihr Glas einen halbwegs sicheren Platz auf dem Kaminsims. Sie entdeckte einen Nachbarn, der ihr zuwinkte, und winkte zurück. Sie sollte ein bisschen umhergehen. Schließlich erwartete man von ihr, dass sie die Gäste witzig unterhielt. Darin war sie ja auch wirklich gut. »Das ist doch genau dein Ding«, hatte Sarah lachend gesagt, »einfach alle und jeden küssen!«
Aber es war heiß hier drin und sehr laut, und sie war nicht mit dem Herzen dabei.
Gaynor spürte, wie der Alkohol sich in ihrem Blutkreislauf ausbreitete und dort munter zirkulierte – sie hatte seit dem Frühstück keine Zeit gehabt, auch nur irgendetwas zu essen, und fühlte das starke Bedürfnis, sich irgendwo in einer Ecke zusammenzurollen.
Eine Gruppe Zwanzigjähriger brach gleich neben ihr in lautes Gelächter aus. Gaynor presste sich die Hände auf die Ohren und ließ dann wieder los. Zu, auf, zu, auf, genau wie sie es schon als Kind immer gemacht hatte, hörte den Stimmenlärm in schwindelig machenden Wellen auf- und wieder abschwellen.
Gaynors Stieftochter Chloe, die ein bauchfreies weißes T-Shirt und himbeerfarbene Camouflage-Hosen aus Seide trug, gesellte sich zu ihr.
»Was machst du?«
Chloe war wunderschön. Mit den Mandelaugen, der blassen Haut und den dunklen Lippen sah sie aus, als käme sie aus dem Fernen Osten. Bei ihrer ersten Begegnung schon hatte Gaynor auf Chloes samtweiche Teenagerhaut wie hypnotisiert reagiert, weil sie einfach nicht hatte glauben können, jemand könne Wangen mit derart feiner, reiner Haut besitzen, Wangen, die aussahen, als habe ein Airbrushing-Künstler sie gezaubert. Mit siebenundzwanzig war Chloes Teint nicht weniger perfekt. Sie war wie ihr Vater groß, besaß Victors markantes Kinn und seinen selbstsicheren Gang. Wie er zog auch sie die Aufmerksamkeit auf sich: Die Leute schauten Chloe hinterher, wenn sie irgendwo vorbeiging.
»Was ich mache? Nichts. Du siehst toll aus«, sagte Gaynor und nahm Chloes Glas in Augenschein, das eine tiefrote Flüssigkeit enthielt, die wunderbar zur Farbe ihrer Hosen passte. »Cranberry-Saft? Wette, du hast da einen großen Wodka mit hineingeschmuggelt!«
»Nein, habe ich nicht.«
»Na, das solltest du aber!«
Chloe hakte sich bei Gaynor unter. »Das ist echt der Wahnsinn! Was für eine Schande, dass Ollie mit diesem verdammten Klienten beschäftigt ist!«
Gaynor lächelte. Sie fand das nicht so schlimm. Nicht, dass es an Oliver etwas auszusetzen gäbe, aber seit Chloe und er zusammengezogen waren, war nichts mehr so wie früher. Gaynor liebte Chloe. Jedenfalls mit ihr allein zu sein. Gaynor mochte es etwa, mit Chloe noch lange aufzubleiben, während Victor schon ins Bett gegangen war. Mit ihr Wein zu trinken, über Kleider, Schuhe und Frisuren zu klönen und hin und wieder auch darüber, warum Victor so komisch sein konnte.
Chloe würde ihr immer von den Partys erzählen, auf denen sie gewesen war, und wer mit wem bei dem TV-Sender, für den sie arbeitete, ins Bett stieg. Sie hatten einander die Nägel und die Haare gemacht und sich zum Lunch oder auf einen Cocktail getroffen, wenn Gaynor in die Stadt fuhr.
Wenn sie sich dort beide bei Harvey Nichols mit Lippenstiften eindeckten, verschwand das Jahrzehnt, das sie altersmäßig voneinander trennte. Gaynor lächelte bei dem Gedanken daran, wie Chloe das neueste Wunder-Kontur-Gel für die Augen in der Hand gehalten hatte. »Dads Kreditkarte?«, hatte sie schalkhaft wiederholt. Die Verkäuferin hatte sie beide doch tatsächlich für Schwestern gehalten!
»Warum ist Dad so schlecht drauf?« Chloe machte eine Kopfbewegung zur Tür.
»Wahrscheinlich, weil ich ihn da allein gelassen habe und er nett zu den Leuten sein muss.«
Chloe runzelte die Stirn. Gaynor wusste sofort, was sie dachte. Warum sollte das für ihn schwierig sein? Victor hatte schließlich damit Karriere gemacht, dass er nett zu Leuten war! Er war der König der Glattzüngigkeit, der König des Charismas. Mit ein paar aufgetakelten Blondinen mittleren Alters Süßholz zu raspeln, war doch genau sein Fall.
Gaynor warf einen Blick hinüber zur Tür, wo Victor weiterhin Hände schüttelte. In seinem dunklen Anzug sah er Zoll für Zoll exakt so aus wie der erfolgreiche Manager, der er war. Hochgewachsen, selbstsicher, einfach eine gepflegte Erscheinung. Mit seinem charmanten, beinahe schon entschuldigenden Lächeln, den einzelnen Locken, die ihm in die Stirn fielen, und seinen ebenmäßigen, ein wenig jungenhaften Gesichtszügen konnte er jede Frau mehr oder weniger leicht um den Finger wickeln. Chloe und Gaynor beobachteten, wie er sich herabbeugte, um eine zierliche Brünette in einem roten Kleid zu küssen. Einen kurzen, wilden Moment lang dachte Gaynor darüber nach, Chloe alles zu erzählen. Es war noch gar nicht so lange her, da hätte sie es vielleicht getan. Zu einer Zeit, da sie sich noch häufig getroffen hatten, als sie es noch gewohnt waren, hinter Victors Rücken in Gekicher auszubrechen, als sie sich manchmal tatsächlich wie Schwestern gefühlt hatten. Bis Chloe Oliver begegnet war und sich alles änderte.
Mit einer Handbewegung schloss Chloe den ganzen Raum ein. »Habt ihr prima hinbekommen! Wie ist denn diese Claire so? Werdet ihr miteinander auskommen?«
Gaynor nahm einen Schluck Wein. »Ich glaube schon. Na ja, ich bin ja am Tagesgeschäft sowieso nicht beteiligt und eingeplant ...«
Sie hatten alles ganz genau durchdacht: Gaynor sollte ein Drittel des Geschäftskapitals stellen und ansonsten stille Teilhaberin sein. »Hin und wieder werde ich schon hier sein und mich ein bisschen unter die Gäste mischen, die Runde machen eben ...«, hatte sie damals verkündet und sich selbst mit einem Glas Champagner in der Hand an der Bar sitzen sehen, »... und Victor und ich kommen mit all unseren Freunden hierher. Aber in der Küche und so, da habe ich zwei linke Hände, da geht nichts!«
Sarah hatte gelacht. »Nicht doch, ich habe mir bestimmt nicht vorgestellt, dass du den Abwasch machst, keine Sorge!«
»Claire ist tüchtig, sehr effizient in allem, was sie tut«, antwortete Gaynor und dachte an die Unterlagen und die PowerPoint-Präsentation, die Claire für die Bankleute vorbereitet hatte, und an das entschiedene Auftreten, das Claire Anwalt und Steuerberater gegenüber an den Tag gelegt hatte. Und deshalb ist sie auch ein bisschen beängstigend, ging ihr durch den Kopf, bevor sie fortfuhr: »Sie hat für alles ein ausgearbeitetes Konzept. Wir wollen ...«
»Oh, gut, wirklich gut!« Chloe hatte ihr Interesse bereits verloren. »Ich habe morgen einen freien Tag. Hat Dad dir das erzählt? Ich hab mir gedacht, wir könnten uns vielleicht zum Lunch treffen und uns den Bauch vollschlagen – so richtig Versäumtes nachholen!« Sie brachte ein schiefes Lächeln zu Stande. »Vielleicht bleibe ich auch noch eine Nacht länger. Ich hab dir echt viel zu erzählen!«
Gaynor bemühte sich, erfreut zu wirken. Die nächsten Großtaten von Oliver, dem Orakel, ganz bestimmt. Aber ihr wurde das Herz schwer. Victor würde morgen Abend zu Hause zu sein, und sie hatte unbedingt mit ihm reden wollen. Wenn Chloe blieb, bekäme er nur neuerlich Gelegenheit, seiner Ehefrau aus dem Weg zu gehen, und wieder wäre die Chance vertan, ihn mit dem zu konfrontieren, was sie herausgefunden hatte ...
Gaynor wählte einen lebhaften Ton. »Nein, davon, dass du bleibst, hat er mir nichts gesagt. Ich habe ihn ja auch kaum zu Gesicht bekommen.« Und außerdem hat er in letzter Zeit sowieso kaum ein Wort mit mir gewechselt. »Aber das ist fantastisch, wirklich fantastisch! Das wird richtig Spaß machen!«
Sie musste ihren Plan in die Tat umsetzen, sobald Chloe ins Bett gegangen war. Gaynor blickte zur anderen Seite des Raumes hinüber. Victor war verschwunden. Sie nahm einen weiteren Schluck Wein und holte tief Luft. »Ich muss wieder an die Tür!«
»Wer ist denn deine Freundin hier?« Danny versperrte ihr den Weg.
»Meine Stieftochter.«
»Hallo.« Chloe bedachte Danny mit einem kühlen Blick.
»Ich seh dich dann später!« Gaynor sah Danny warnend an, bevor sie sich auf den Weg hinüber zur Tür machte. Sie hoffte, er würde nicht alles Porzellan zerschlagen. Die Dinge waren schon kompliziert genug.
Und ihr Glas war schon wieder leer. Gaynor seufzte.
Willkommen im Greens! Küsschen. Willkommen im Greens ...
»Na«, begann die Blonde mit den Stachelhaaren und fixierte Sarah über den Tresen hinweg, »wie ich sehe, spielt unsere liebe Gaynor immer noch gern die jugendliche Heldin, anstatt ins Charakterfach zu wechseln ...«
Sarah ließ ihren Blick von der Blonden hinüber zu Gaynor am Eingang wandern. »Sie sieht fabelhaft aus, nicht wahr? Ich wünschte, ich hätte ihre Figur.«
Die Blonde warf beiläufig einen prüfenden Blick auf ihre Nägel. »Sie hat ja auch den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als ins Fitnessstudio zu rennen. Wir könnten alle so einen Körper haben, wenn wir nicht arbeiten gehen müssten.«
Sarah nahm ein Tablett mit Gläsern auf. »Sie sind doch mit Gaynor befreundet, oder nicht?«, fragte sie zuckersüß. »Gaynor hat sich ziemlich ins Zeug gelegt, um den Laden hier auf Vordermann und ans Laufen zu bringen.«
Eigentlich hat sich Gaynor vor allem bei den Telefonaten mit John Lewis’ Baumarkt ins Zeug gelegt, schoss es Sarah durch den Kopf, aber dieser Giftspritze würde sie nicht erlauben, ihre neue Geschäftspartnerin schlecht zu machen. »Entschuldigen Sie mich bitte!«
Sie schlüpfte hinter Jack vorbei und wandte sich einem Pärchen zu, das ebenfalls bedient werden wollte. Gaynor begeisterte sich bestimmt nicht sehr für all das Praktische, das es zu tun galt, aber in anderen Dingen war sie großartig – so zum Beispiel darin, jeden neuen Gast mit Küsschen und dem Gefühl willkommen zu heißen, der absolut wichtigste an diesem Abend zu sein.
Sarah konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als Gaynor ihren Busen ein wenig mehr vorstreckte, sobald zwei Kerle ohne Damenbegleitung zur Tür hereinkamen. Sarah fragte sich, ob ihre Freundin eigentlich bemerkte, was sie tat. Einer der Männer küsste Gaynor auf den Mund, seine Hand verweilte einige Sekunden lang auf ihrem bloßem Rücken; sie wiederum verschlang ihn lächelnd mit den Augen. Sarah schüttelte den Kopf. Wenn die Männer sie doch auch nur so umschwärmten!
Unwillkürlich kam ihr in den Sinn, was ihre Mutter vor ein paar Stunden gesagt hatte. »Es ist lange nicht mehr so einfach, verstehst du? In deinem Alter hast du es nur noch mit Paaren zu tun!« Mutter hatte geseufzt. »Wenn ich da an das entzückende Haus denke ...«
Das entzückende Haus, für das eine Pfändungsverfügung vorlag. Das Haus, auf dessen Fensterbänken sich die unbezahlten Rechnungen stapelten. Das Haus, in dessen freistehender Garage der Wagen stand, für den die fälligen Raten ausstanden. Das Haus ...
»Du bist immerhin fast vierzig ...«
Sarah war siebenunddreißig. Obwohl heute Morgen, gleich nach dem Aufstehen, hätt ich auch für zehn Jahre älter durchgehen können, dachte sie wehmütig.
»’ne Flasche Bud bitte, Süße!« Der junge Mann auf der anderen Seite des Tresens könnte beinahe ihr Sohn sein, wenn sie mit vierzehn schwanger geworden wäre wie die Hälfte ihrer Mitschülerinnen, sogar ihr Enkelsohn. Na ja, nicht ganz. Aber er könnte ihr bereits einen Enkelsohn geschenkt haben. Wenn nicht sogar zwei.
Drüben am Eingang wandte sich Gaynor zu ihr um, fing ihren Blick auf und zog vielsagend die Augenbrauen hoch. Sarah schüttelte nur den Kopf.
»Möchten Sie ein Glas für Ihr Budweiser?«, fragte sie den Jungen.
Dieser verneinte mit einem Kopfschütteln, legte den Kopf in den Nacken und setzte die Flasche an die Lippen.
Sarah lächelte. Selbstverständlich brauchte er kein Glas.
Es war schon spät, und neue Gäste dürften jetzt kaum noch den Weg ins Greens finden. Gaynor steuerte erneut auf den Chablis zu. Sarah polierte Gläser, während sie sich mit Seb unterhielt, einem Freund von Claires dreistem Bruder Neill. Die beiden sahen in ihren engen T-Shirts und verwaschenen Jeans eher wie Popstars aus, und nicht wie Banker aus der Stadt.
Sarah hatte gerade ihr Lehrerinnen-Gesicht aufgesetzt. »Ich bin doch viel zu alt für dich – ich habe drei Kinder!«
Seb lachte. »Heiraten wollte ich dich auch nicht. Ich dachte eher daran, mit dir ’ne kleine Nummer zu schieben.«
Sarah verdrehte die Augen, wurde aber dennoch rot. Gaynor war jetzt hinter der Bar angelangt und versetzte Sarah einen leichten Stoß in die Rippen, woraufhin Sarah den Fuß hob und Gaynor mit ihrer Schuhspitze anstieß.
»Wie aufmerksam von dir«, meinte Sarah trocken zu Seb. »Ich behalt’s mal im Hinterkopf, falls ich heute Abend keine besseren Angebote mehr bekomme.«
»Oh jaaaaha!«, hauchte Gaynor, die Sebs Hintern in Augenschein nahm, als der sich auf der Suche nach willigerer Beute davontrollte. »Genau, was man braucht – einen hübschen, festen, jungen Körper ...«
»Etwas zum Spielen?«
»Ich an deiner Stelle hätte nicht Nein gesagt!«
»Du sagst nie Nein.«
Gaynor tat, als wolle sie Sarah mit ihren langen Nägeln die Augen auskratzen. »So etwas zu sagen, ist aber nicht besonders nett! Ich dachte, du und Jack, ihr kämt endlich zusammen.«
»Red keinen Unsinn! Wir sind einfach nur Freunde. Obwohl ich manchmal doch glaube, er ist ein bisschen verschossen in mich. Vorhin etwa haben wir richtig nett miteinander geflachst ...« Sarah lachte ein wenig unsicher. »Ich glaube schon, dass er mich gern ins Bett bekäme.«
»Klar will er das! Herrgott noch mal, er ist neunzehn – der kann doch von dem Thema den Hals nicht vollkriegen!«
»Ja, schon, aber wir machen ihm dann doch Angst!«
»Blödsinn! Geh und mach’s mit ihm – er wird dir bestimmt schrecklich dankbar sein!«
Sarah schüttelte den Kopf. »Dankbar würde wohl eher ich sein – das letzte Mal ist verdammt lang her.«
»Wie? Da ist nichts gelaufen mit ...?«
»Er ist nicht interessiert.«
Beide wandten den Kopf und musterten Richard, der mit einem gequälten Gesichtsausdruck auf einem Barhocker saß. Nach Gaynors Maßstäben war er ein gutaussehender Kerl, jedenfalls wenn man stille Beamtentypen mochte, die vielleicht immer noch bei Mami zu Hause wohnen. Gaynor verstand überhaupt nicht, warum Sarah ihn derart anschmachtete. Ganz offensichtlich hatte er reichlich Sitzungen beim Seelenklempner hinter sich, und Gaynor wunderte sich nicht im Geringsten darüber, dass er noch nie verheiratet gewesen war. Aber Sarah bestand darauf, dass Richard nicht schwul sei, dass er ganz allein in einem großen Haus wohne, mit irgendeiner bedeutenden Position beim Pharmariesen Pfizer richtig Kohle scheffle und jede Menge Frauen beinahe alles tun würden, nur um ihn ins Bett zu bekommen.
Hmmm! Soweit es Gaynor betraf, durfte Richard sich glücklich schätzen, dass eine Frau wie Sarah ihn zweimal ansah, und er hätte sich eigentlich überschlagen müssen, um Sarah zu umgarnen. Bisher jedenfalls, berichtete Sarah bekümmert, scheine er sie aber kaum wahrgenommen zu haben.
»Hmmm«, sagte Gaynor laut, wägte alle Möglichkeiten ab und fällte eine schnelle Entscheidung. »Jack UND Seb – vögel sie beide!«
Sarah lachte. »Das also würdest du tun, ja?«
Die letzten Nachzügler waren endlich gegangen, und sie saßen im Hof. Teelichter und Laternen warfen flackernd ihr Licht zwischen die Kübelpflanzen und die bunt und üppig bepflanzten Blumenampeln malten weiche Schatten auf die weiß getünchten Hauswände und die ersten Spuren von sprießendem Grün. In diesem Märchenlicht hatten die Stiefmütterchen und Geranien das Blutrot und Purpur ihrer Blüten verloren und wirkten dunkel und wie von Samt. Es war bereits nach eins, aber die Nacht war immer noch mild und schwül. Oder Gaynor hatte einfach zu viel Alkohol im Blut. Sie sog den schweren, süßen Duft des Jasmins ein, der zwischen den Efeuranken wuchs und auf die verschiedenen Flaschen und Gläser hinabblickte, die leer auf den hölzernen Tischen standen. Gaynor ließ ihren Blick über die in Kerzenlicht getauchten Gesichter schweifen und fühlte Stolz und Freude in sich aufsteigen.
»Ist das nicht einfach alles entzückend hier?«, fragte sie und machte eine ausladende Armbewegung. »Ist es nicht einfach wunderbar?« Ihre Aussprache war ein bisschen verwaschen, und Victor warf ihr einen missbilligenden Blick zu – aber wen interessierte das schon? Gaynor nahm einen großen Schluck Pinot Grigio und hob ihr Glas zu einem Toast. Er war der vierte der verschiedenen Weine, denen sie heute Abend zugesprochen hatte; sie hatte einfach getrunken, was offen war. »Auf uns!«
»Auf uns!« Claire lehnte sich zusammen mit ihrem Lebensgefährten Jamie, der auf der Lehne thronte, in ihrem Stuhl zurück, und hob ebenfalls ihr Glas. »Es ist doch richtig gut gelaufen, oder nicht?«
Jamie legte ihr die Hand auf die Schulter und drückte sie kurz. »Ja, kaum zu fassen, dass wir das noch erleben durften!«
Neill hockte auf dem Pflaster, den Rücken gegen die Hauswand gelehnt, und zog an einem dicken Joint, den er anschließend an Seb weiterreichte.
»Yeah, und du hast dir zu Beginn des Abends echt ins Hemd gemacht, was, Schwesterchen?«
Claire schnitt ihm eine Fratze.
Sarah lachte. »Als das ganze Wasser durch diese verdammte Decke zu tropfen begann ...«
Claire goss sich noch ein Glas Wein ein. »Morgen kommt unser sogenannter Klempner wieder, und diesmal lass ich ihn nicht mehr raus, ehe er alle Rohre im Lokal unter die Lupe genommen hat! Und es fehlt auch immer noch unser Aushängeschild über der Tür ...«
Sie zog einen Notizblock zu sich heran, runzelte plötzlich die Stirn. »Wir haben noch alle Hände voll zu tun! Jeder muss noch so lange mit anpacken, bis hier alles geregelt ist.« Sie heftete ihren Blick auf Gaynor. »Du bist doch sicher morgen auch wieder dabei, nicht wahr? Da gibt es immer noch das eine oder andere sauber zu machen oder wegzuräumen ...«
»Ich dachte, wir müssten aufs Gericht, um endgültig die Schanklizenz für Spirituosen zu bekommen.«
»Da brauchst du nicht mit dabei zu sein – das betrifft nur Sarah und mich.«
»Ich möchte aber dabei sein, um euch den Rücken zu stärken!«
»Es geht nur um eine Formalität. Wir haben doch schon die Gaststättenkonzession bekommen, und niemand wird jetzt noch etwas gegen uns vorbringen. Wen kümmert’s, ob wir auch Hochprozentiges über den Tresen gehen lassen?« Mit dem Kinn deutete sie auf das Glas in Victors Hand. »Die Leute mögen es, wenn sie ein bisschen Auswahl haben.« Sie blickte wieder Gaynor an. »Außerdem sollte jemand hier sein, wenn die Lieferanten kommen.«
»Entspann dich, Schwesterchen!« Neill warf die braunen Haarsträhnen, die ihm ins Gesicht hingen, mit einer Kopfbewegung zurück und stieß mit geschlossenen Augen Rauch in einer langgezogenen Wolke aus. »Das übernehm ich. Du willst doch keinen Bluthochdruck bekommen! Ihr habt gerade mal einen Tag auf!«
Claire verzog den Mund zu einem sarkastischen Grinsen und widmete sich wieder ihrer Liste. »Das steht wohl kaum zu befürchten!«, meinte sie spitz.
Neill reagierte mit einem schwachen Lächeln. Victor sah Gaynor über den Rand seines Scotchs hinweg an und hob eine Augenbraue mit einer Geste, die einen rasend machen konnte und so viel bedeutete wie »Ach je! Schon wieder Ärger?«. Gaynor ignorierte ihn.
»Und wie läuft’s bei dir so, Chloe?« Sarahs Stimme klang heiter und beschwingt.
Chloe warf Victor einen Blick zu und kicherte, die Hand vor den Mund geschlagen, was sehr mädchenhaft und daher ganz und gar uncharakteristisch für sie wirkte. Dann huschte ihr Blick zu Gaynor hinüber. »Eigentlich wollte ich es euch beiden morgen früh erzählen«, sagte sie.
Gaynor leerte ihr Glas und füllte es dann wieder mit Wein. Als ob das, was jetzt kommen musste, so schwer zu erraten gewesen wäre! Seit Chloe mit Oliver zusammen war und ihre Vorstellung von einer spannenden Unterhaltung sich von Kosmetik- und Modethemen wie Creme de Mer und Manolos fortbewegt hatte zu Themen wie Rentensicherung und Lebensqualität, hatte Gaynor gewusst, dass es nur noch eine Frage der Zeit wäre.
»Und um was geht es, mein Spatz?« Victor lächelte seine Tochter nachsichtig an.
»Na, ich weiß nicht recht ... Wirklich, Ollie sollte eigentlich auch hier sein ...«
Gaynor krümmte sich innerlich zusammen. Wozu, etwa um in ihrer aller Gegenwart vor Chloe auf die Knie zu fallen? Nur Chloe konnte es schaffen, ihrem so lange herbeigesehnten Eröffnungsabend mit der Ankündigung ihrer Verlobung die Schau zu stehlen! Das hier sollte ihre Feier sein: ein Toast auf die Eröffnung von Greens und ihren mutigen Unternehmergeist! Und jetzt sollten alle ihre Begeisterung über Chloe und Oliver kundtun – vielleicht auch noch Magazine mit Hochzeitskleidern und Stoffmuster wegen der Farbzusammenstellungen anschauen, die Chloe aus ihrer Handtasche ziehen würde.
»Na, aber jetzt raus mit der Sprache!« Sarah lächelte Chloe aufmunternd zu.
Chloe senkte für einen Moment den Blick. Im Kerzenlicht wirkte ihr ovales Gesicht exotisch und katzenartig, und es zeichnete sich eine seltsame Mischung aus unsicherer Schüchternheit und selbstgefälligem Stolz auf ihm ab. Chloe nippte an ihrem Getränk, ehe sie zu einer Antwort ansetzte.
Als Gaynor das Glas Fruchtsaft in der Hand ihrer Stieftochter sah, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Eiseskälte ließ ihren Bauch zusammenkrampfen, und die Wände schienen auf sie zuzustürzen.
Jetzt war echtes Triumphgefühl in Chloes Augen. Einen Augenblick lang wollte Gaynor sich auf sie stürzen, ihr die Hand über die weinfarbenen Lippen pressen, um zu verhindern, dass sie es aussprach.
»Ich bin schwanger!«
NEIN.
»Ohhhh!« Der Beifallschor dröhnte Gaynor in den Ohren.
»Champagner!« Victor sprang auf und nahm seine Tochter in die Arme.
Die Wände im Hof drehten sich und verschwammen vor Gaynors Augen. Auch sie erhob sich wie die anderen. Dachte jedenfalls, sie könne es. Könne sich forsch auf Chloe zubewegen, fröhliche Worte finden und entzückte Laute von sich geben. Aber als sie den Mund öffnete und versuchte, etwas zu sagen, kam es ihr hoch. Panisch stolperte sie quer über den Hof und in den Flur hinein, hörte noch, wie Sarah hinter ihr kleine Freudenschreie ausstieß.
Gaynor schaffte es gerade noch bis zum Klo, bevor sie sich übergeben musste.
Ein aufregendes Schlückchen, nicht frei von Nebenwirkungen
»Nurofen Plus«, sagte Sarah und hielt Gaynor zwei Tabletten hoch dosiertes Ibuprofen mit Codein-Beimischung und ein Glas Wasser hin. »Die hättest du schon vor Stunden nehmen sollen!«
Gaynor saß zusammengesunken am Küchentisch oben in der Wohnung über dem Greens, zwischen gebrauchten Kaffeebechern und Packungen mit Frühstücksflocken und stöhnte laut auf. »Ich war völlig weggetreten!«
Sarah, die immer noch ihren Morgenmantel trug und sich noch nicht gekämmt hatte, schüttelte mitleidvoll den Kopf. »Vorausplanen! Ich habe den Wecker auf fünf Uhr dreißig gestellt, damit ich die Dinger runterschlucken kann und noch eine weitere Stunde Schlaf abbekomme, ehe dieses Schicksal auch mich trifft! Und jetzt haben wir keine Milch mehr!«
Sie hielt einen leeren Milchkanister in die Höhe. »Das ist deine Schuld!«, klagte sie ihren ältesten Sohn Luke an, der gerade in Boxershorts hereingeschlendert kam. »Hättest du nicht etwas für die Frühstücksflocken übrig lassen können?«
Luke zuckte mit den Schultern.
Sarah drückte ihm ihr Portemonnaie in die Hand. »Zieh dich an und lauf zum Büdchen rüber und hol einen Liter! – Nein, halt, mach zwei draus!«, schrie sie ihm hinterher, als er schlurfend die Küche verließ. »Dreizehn und verputzt mehr als ich und die beiden anderen zusammen! Lass ihn auch nur eine Sekunde aus den Augen, dann ist der Vorratsschrank bald leer!«
Der zehnjährige Charlie hielt die Packung Cornflakes immer noch besitzergreifend in der Hand und war offensichtlich knatschig. »Er trinkt immer die ganze Milch aus!«
»Was hältst du denn von Toast?«, fragte Sarah ihn. Sie nickte Gaynor zu. »Du solltest übrigens auch etwas essen.« Gaynor schauderte es. Charlie schüttelte einfach nur den Kopf.
»Ich möchte auch Cornflakes ...« Bel erschien im Türrahmen und sah in ihrem Schlafanzug noch schlafwarm und ganz verkuschelt aus. Gaynor breitete für das kleine Mädchen ihre Arme aus.
Sarah seufzte. »Also los, ihr zwei!« Sie klatschte in die Hände, zuckte dabei aber zusammen, was für Gaynor ein untrügliches Zeichen dafür war, dass die Schmerztabletten ihren Zweck nicht erfüllt haben konnten. »Zieht euch an. Luke wird bestimmt gleich zurück sein!«
Die beiden Kleinen trollten sich. Sarah setzte sich wieder an den Tisch und stützte den Kopf in die Hände.
»Verdammte Scheiße!« Sie sah auf. »Wieso bist du eigentlich hier so früh hereingeschneit?«
»Ich wollte Victor und Chloe aus dem Weg gehen.«
Gaynor hatte sich nach dem Aufstehen wie erschlagen gefühlt. Vorsichtig war sie aus dem Bett geschlüpft und hatte gebetet, Victor möge weiterschlafen, während sie mit dem Arm voller Kleidungsstücke die Treppe hinunterwankte.
Sie wusste, dass sie furchtbar aussah. »Kann ich hier mal unter die Dusche springen?«
Sarah machte eine auffordernde Handbewegung. »Klar. Wenn du sie findest.«
Gaynor trank noch einen Schluck Wasser und betrachtete die Stapel von Umzugskartons und die halb gefüllten schwarzen Säcke. »Es wird bestimmt richtig fabelhaft«, meinte sie ermutigend.
»Ach. Eines Tages vielleicht. Wenn ich jemals dazu komme. Ich bin es so leid, aus Pappkartons zu leben! Hast du einen Blick ins Wohnzimmer geworfen? Oder in die Kinderzimmer?«
»Du wirst es euch hier richtig hübsch machen.«
Sarah besaß dieses Talent. Wo sie wohnte, fühlte man sich immer gleich zu Hause. So war auch ihr letztes Haus ein Ort gewesen, den man nicht mehr verlassen wollte. Okay, für Sarah war die ganze Sache mit Paul schrecklich, der reine Stress. Sarah hatte erklärt, die Atmosphäre im Haus sei einfach nur noch grässlich, aber für Gaynor war da immer noch ein heimeliges Gefühl. Sie hatte das Haus geliebt, hatte jedes Detail bewundert, das Sarah stilsicher gesetzt hatte: die Farben der Vorhänge, wie die Decke auf dem Sofa, der Topf im Kamin, ein Kissen in einem alten Korbstuhl drapiert war.
Es hatte eine Zeit gegeben, in der Gaynor geglaubt hatte, alles sei nur eine Frage der Raumgestaltung. Damals war sie immer unzufrieden nach Hause gekommen, immer in der Meinung, auch sie müsse eine gelbe Küche und blutrote Wände haben. Sie konnte sich daran erinnern, wie sie Sarah an einem düsteren Winternachmittag besucht hatte: Das Feuer knisterte im Kamin, die Lampen brannten in den Ecken, und auf dem Boden spielten die Kinder. Gaynor hatte gespürt, wie eine riesige Gefühlswoge in ihr aufwallte. Auf einem Küchenstuhl sitzend hatte sie beobachtet, wie Sarah umsichtig Zwiebeln in Olivenöl wendete, Stücke Hühnerfleisch in eine irdene Kasserolle schichtete, mit der einen Hand im Topf rührte und mit der anderen hinunterlangte, um Bel übers Haar zu streichen, als das Kind die Ärmchen um das Bein seiner Mutter schlang.
Gaynor hatte die nach Wein und Kräutern duftende Luft tief eingesogen, und in diesem Augenblick, der ihr wie ein Stich mitten ins Herz gegangen war, war ihr klar geworden, dass dieses heimelige Gefühl nichts mit der Farbauswahl oder der Art und Weise zu tun hatte, wie Gegenstände im Raum arrangiert waren. Das alles hier war einfach die Essenz eines Zuhauses: die Behaglichkeit, die entstand, wenn Menschen zusammen waren, die zusammengehörten. Gaynors eigenes Haus war wunderschön – alle sagten das –, aber es war eben nur ein Haus, eine Ansammlung von Zimmern. Es gab keine Wärme dort ...
»Aber wann werde ich jemals Zeit dafür haben?« Sarah hob die Stimme. »Charlie! Bel! Zieht euch bitte jetzt an!« Sie schaute wieder zu Gaynor. »Warum wolltest du den beiden denn aus dem Weg gehen?«
Gaynor schluckte. »Victor will mir bestimmt den Marsch blasen. Er war richtig wütend auf mich, hat behauptet, ich hätte mich bis auf die Knochen blamiert. Und Chloe mag ich nicht gegenübertreten.«
Sarah stellte Gaynor eine Tasse Kaffee hin. »Du hast dich übergeben müssen, das ist alles. Oder etwa nicht?«
»Ich habe ein bisschen zu viel getrunken, aber ...«
»Du hast absolut und nicht nur ein bisschen zu viel getrunken! Aber bisher hast du dich nie gleich übergeben.«
»Nein. Na ja, mir ist da eben etwas auf den Magen geschlagen.«
»Und was?«
Das Problem lag ihr wie ein schwerer Stein im Magen. Es war schon schwierig, es auszusprechen.
Sie sah Sarahs Augen besorgt zur Uhr huschen, aber sie beugte sich vor und drückte Gaynors Arm. »Ich dachte, du hättest dich entschieden, keine zu wollen.«
»Habe ich auch. Na ja, in gewisser Weise hatte ich das. Ich bin mir eben nicht sicher, ob ich wirklich eine gute Mutter wäre. Was ganz in Ordnung ist, weil ich ja eh nicht schwanger werden kann. Aber ich ertrage es trotzdem nicht, dass sie jetzt eins bekommt ...«
»Aber war das nicht zu erwarten, dass sie früher oder später schwanger wird?«, fragte Sarah. Sie klang vernünftig. »Wie alt ist Chloe? Siebenundzwanzig?«
»Und ich, verdammt noch mal, werde Großmutter mit achtunddreißig!«
»Nur eine Stiefoma! Das zählt nicht. Besteht denn keine Chance, dass du doch noch schwanger werden könntest?«
»Ich habe keine Ahnung. Tatsächlich habe ich sogar heute Nachmittag einen Termin bei meinem Gyn, schon komisch, nicht?« Sie hob ihren Kaffeebecher, setzte ihn aber gleich wieder ab. »Sogar verdammt komisch! Vielleicht sage ich den Termin ab. Mach dafür die Arbeiten von Claires Liste. Ich glaube, Victor möchte sowieso nicht noch ein Kind. Nicht mit mir jedenfalls. Du hättest ihn letzte Nacht mal hören sollen ...«
Sarah hob die Augenbrauen. »Vielleicht hat sich Victor über Danny geärgert. Du solltest wirklich mal ein Wörtchen mit dem Kerl reden«, fuhr sie in gelassenem Ton fort. »Wer euch beobachtet, könnte auf die Idee kommen, ihr zwei habt eine Affäre.«
»Haben wir aber nicht!«
»Und: Hast du ihm das auch klargemacht?«
Nachdem sie geduscht und etwas Make-up aufgelegt hatte, fühlte sie sich besser – zumindest so viel besser, wie es mit dickem Kopf und chronischer Dehydrierung möglich war. Sarah gab ihr ein Pfefferminzbonbon. »Bitte atme nicht in der Nähe der Richter aus, wenn’s geht«, bat sie und schnitt eine Grimasse. »Du riechst wie Laterne ganz unten!«
Die Anhörung über die endgültige Erteilung der Schanklizenz für Spirituosen sollte an diesem Morgen stattfinden. Zwar würden nur Sarah und Claire Lizenznehmerinnen sein, aber Gaynor wollte sie gern begleiten. Sie wusste, dass es nur darum ging, einen weiteren Stempel abzuholen. Immerhin hatten sie ja schon eröffnet, und wie Claire es so schön ausgedrückt hatte: Wer sollte etwas dagegen haben, wenn sie außer Wein auch gelegentlich Gin Tonic verkauften? Aber das Greens schien ihr momentan das einzig Gute in ihrem Leben, und daher wollte sie dabei sein, wenn dem Weinlokal die offizielle Genehmigung mit Brief und Siegel erteilt würde.
»Wann sollen wir noch mal da sein?«
»Die Anhörung beginnt um zehn. ZIEH DICH ENDLICH AN!« Sarah fuhr sich energisch durch ihr noch feuchtes Haar, während sie über die Diele hinweg Charlie anbrüllte. Sie seufzte, als sie sich im Spiegel sah. »Sieh dir nur an, in welchem Zustand ich mich befinde! Ich weiß wirklich nicht, was ich mit dem verdammten Föhn gemacht habe!«
Gaynor zog Bel auf ihren Schoß. »Soll ich dir die Haare machen, Süße?«, fragte sie das kleine Mädchen, war aber schon dabei, ihr einen Zopf zu flechten. Sarahs Haar stand immer noch wild in alle Richtungen ab. »Kämm es einfach glatt!«, schlug Gaynor vor. »Dann sieht’s schon ganz okay aus.«
»Mr. Darling möchte, dass wir schon um halb zehn da sind.« Sarah drehte sich verzweifelt zur Uhr. »Das kann ich unmöglich schaffen! Mach du dich schon auf den Weg und sag Claire, dass ich unterwegs bin!«
»Okay.« Gaynor befestigte ein rosafarbenes Haargummi am Ende von Bels Zopf und gab ihr einen Kuss. »Zur Mum geeignet, ha!«, sagte sie und erhob sich genau in dem Moment von ihrem Sitzplatz, als Charlie hereinkam – immer noch ohne Hosen. »Dann überlass ich dich hier deinem Schicksal«, sagte sie hastig zu Sarah. Deren Gesichtsausdruck ließ eher auf ein Erscheinen vor Gericht wegen Kindstötung denn wegen Lizenznahme schließen. »Ich halte dir einen guten Platz frei und bringe Popcorn mit.«
»Es wird total langweilig!«, warnte Sarah.
»Das nehm ich in Kauf!«
Alles, dachte Gaynor, alles ist besser, als nach Hause zu gehen. Sarah versuchte sich daran zu erinnern, wie es sich angefühlt hatte, ein Leben wie Gaynor zu haben. Ein Leben, in dem man einfach aufstand, sich duschte und anzog, seine Handtasche nahm und ging. Ein Leben ohne die tägliche Schlacht um die letzte Portion Frosties, die vergebliche Suche nach zusammengehörigen Socken, das Geschrei der Kinder, die sich gerade gegenseitig zu Brei schlugen.
Nach einer letzten Rauferei auf dem Fußboden steckten die Jungs endlich in ihren Schuluniformen, während Bel immer noch keine Schuhe trug. »Kann ich eine Pony-Tapete in meinem Zimmer haben?«, fragte sie mit einem Engelchengesicht.
Sarah rang sich ein Lächeln ab. »Ich bin sicher, dass das möglich ist. Charlie und Luke dürfen sich auch aussuchen, wie ihr Zimmer aussehen soll.« Sie richtete ein letztes Mal ihre Frisur, trug den Lippenstift zu Ende auf und sah auf die Uhr. »Kommt schon, Jungs! Wir sind schon ziemlich spät dran für die Schule, und ich muss Bel noch bei Grandma vorbeibringen!«
Charlies Miene verfinsterte sich. »Ich will nicht mit dem da ein Zimmer teilen! Ich will zurück in unser Haus!«
Luke rülpste. »Glaubst du etwa, ich will neben dir schlafen, du Volltrottel?!«
Sarah reichte Charlie seine Lunchbox und bemühte sich, ruhig zu klingen. »Du weißt doch, dass das nicht geht, Schatz. Das Haus ist schon verkauft.«
Charlie ließ die Box fallen. Sie schlug auf dem Boden auf, sprang auf und spuckte ein in Frischhaltefolie verpacktes Sandwich, eine kleine Tüte Chips und etwas Schokolade aus. Ein Apfel rollte durch den Türsturz hindurch davon. Trotzig fixierte Charlie seine Mutter.
»Ich will Daddy wiederhaben!«
Auch Claire dachte an ihren Vater. Sie hatte versucht, auf die Nachricht ihres Bruders Neill, ihr Dad habe »zu viel zu tun«, um zur Eröffnungsparty zu kommen, gelassen zu reagieren. Sie versuchte immer noch, seinem Fernbleiben gegenüber gleichgültig zu sein. Denn im Grunde war es zu erwarten gewesen.
Es war ein herrlicher Sommermorgen. Es war Flut, und kleine, glitzernde Wellen brachen sich schäumend am Strand, während Fischerboote im Auf und Ab des Wellengangs gegen die Hafenmole tänzelten – ein bezauberndes Bild, wie für eine Postkarte gemacht. Claire beobachtete ihre beiden Airedale-Terrier Henry und Wooster: Sie stürmten die Viking Bay entlang von ihr weg, jagten aufgeregt hinter den Treibholzstücken her, die Claire ihnen in hohem Bogen in diese Richtung warf, und schüttelten sich an der Wasserlinie. Ein Windstoß blies Claire das Haar vors Gesicht. Von der Hafenmole winkte ihr der Hafenmeister.
Neills Freunde hielten sie für verrückt, weil Claire und Jamie in Broadstairs wohnten.
»Das kann doch nur ein Witz sein, Mädchen! So weit draußen zu wohnen – hier am Arsch von ganz England!« Seb war stets derjenige, der sich lauter als die anderen zu Wort meldete.
Er und seine Clique hielten die Vorstellung, zwei Stunden zur Arbeit zu pendeln, für einen ausreichenden Grund, sich vor Lachen auszuschütten und spöttische Bemerkungen zu machen. Manchmal war auch Jamie müde und deprimiert genug, um vorzuschlagen, sie sollten darüber nachdenken, näher an die Stadt zu ziehen. Aber Claire, die Henry und Wooster bei ihrer Jagd auf die Wellen beobachtete, wusste, dass sie nirgendwo anders leben wollte. Gerade jetzt nicht.
Ich habe genug Umzüge hinter mir, mehr als ich brauche, dachte sie und erinnerte sich an eine schier endlose Kette von Pubs in ihrer Kindheit. Ihr Vater hatte immer bereits die nächste Herausforderung im Auge gehabt, die nächste heruntergekommene, nikotinfleckige Bruchbude, die es in einen geschäftigen Hafen aus Wärme und Lärm zu verwandeln galt. Bevor sie erneut umzogen.
»Hast du denn das ewige Umziehen nicht schrecklich satt?«, hatte Claire ihre Mutter eines Tages gefragt. »Willst du nicht einfach irgendwo bleiben dürfen, dich für länger einrichten?«
Und ihre Mutter hatte dieses sanfte, alles akzeptierende Ich-bin-doch-nur-das-kleine-Frauchen-Lächeln aufgesetzt, das Claire so wahnsinnig auf die Nerven ging. »Na ja, manchmal da denke ich schon ...«, hatte sie vage begonnen, sich ihr dünnes Haar aus dem Gesicht gestrichen und den Satz unvollendet gelassen, wie sie es immer tat, wenn es um strittige Themen ging, und war gleich zu »Du weißt doch, wie dein Vater ist ...« übergesprungen.
Natürlich wusste Claire, wie ihr Vater war. Er hatte seine buschigen Augenbrauen gehoben, als sie ihm erzählt hatte, sie wolle das Greens kaufen. Hatte leicht und amüsiert den Kopf geschüttelt und »Na dann, viel Glück, Mädchen!« gesagt. Später jedoch, als ihre Mutter nach dem Lunch damit beschäftigt war, Teller und Schüsseln zu säubern, hatte er Jamie beiseitegenommen und begonnen, ihm eine ganze Latte von Ratschlägen mit auf den Weg zu gegeben. Hatte von Gewinnmargen gefaselt, von Lagerbestückung und der Wichtigkeit, seine Kundschaft genau zu kennen.
»Ich bin diejenige, die das Lokal kauft!«, hatte Claire ihn wild angefahren. »Das wird mein Laden! Jamie bleibt in seinem Job.«
Jamie arbeitete für eine japanische Girobank in der Stadt. Neills Freund Seb war einer seiner Kollegen, wodurch Claire Jamie überhaupt erst kennengelernt hatte. Sein verkatertes Gesicht war vor Müdigkeit weiß gewesen, als Jamie nach einer zu Neills Geburtstag heftig durchfeierten Nacht mit den anderen zum Frühstück in die elterliche Gaststätte eingekehrt war. Dort war Claires Mutter pflichtbewusst und gehorsam um sechs Uhr morgens aus dem Bett gesprungen, um Eier, Würstchen und Speck zu braten.
»Arbeitest du gern hier?«, hatte Jamie Claire später gefragt, als sie die Tische für die Mittagsgäste eindeckte, und sie hatte ihn angelächelt. Es war das allererste Mal, dass jemand sie das fragte.
Sie erinnerte sich noch gut an das Gesicht ihres Vaters, als sie ihm zwei Jahre später, nachdem das Three Crowns gegen das Anglers Arms in Broadstairs eingetauscht worden war und sich das Interesse ihres Vaters an der kleinen Küstenstadt allmählich wieder verflüchtigte, mitteilte, sie bleibe hier. »Ich bin dreiundzwanzig, Dad. Ich möchte nicht mein Leben lang für meine Eltern arbeiten.« Jamie und sie hatten gemeinsam ein Haus gekauft. Claire hatte in der Folge eine Reihe von Jobs in der Umgebung, bis sie im Grand Hotel Assistentin der Geschäftsführung geworden und schon kurze Zeit später zur Geschäftsführerin aufgestiegen war. Ihr Vorgänger war mit einem Herzinfarkt zusammengebrochen, während er versucht hatte, einen wütenden Gast zu beschwichtigen, dessen Frühstück nicht ganz den Erwartungen entsprochen hatte.
An einem klaren, heiteren Morgen wie diesem hatte Claire das erste Mal bemerkt, dass das Greens zum Verkauf stand. Sie war mit den Hunden daran vorbeigeschlendert, stehen geblieben und hatte ihre Nase an einer der Fensterscheiben platt gedrückt. Auf dem Tresen hatten drei oder vier Pint-Gläser und eine leere Barcadi-Flasche gestanden, auf dem Tisch in der Nähe des Lagerraums ein vor Kippen überquellender Aschenbecher. Claire hatte so lange sehnsüchtig auf die abblätternde braune Farbe gestarrt, bis die Hunde hektisch an den Leinen gezogen hatten. Claire hatte dieses Lokal von Anfang an so sehr gewollt, dass es wehtat.
Es hätte auch weiterhin wehgetan, hätte ihr das Schicksal nicht Sarah in die Hotelküche geweht, die dringend mehr Geld gebraucht und deshalb Abendschichten als Chefköchin übernommen hatte. Sarah hatte früher für Claires Eltern gearbeitet, als diese noch das Anglers Arms geführt hatten. Claire konnte sich daran erinnern, wie gut Sarah gewesen war; selbst Claires überkritischer Vater war beeindruckt gewesen. Sarah hatte aus ihrer gescheiterten Ehe genug Geld retten können, um sich ein kleines Haus zu leisten. Auch hatte Claire der Bank das Projekt schmackhaft machen können, aber dennoch reichte ihr Kapital nicht. Da hatte Sarah Gaynor aus dem Hut gezaubert.
Claire pfiff die Hunde zurück. Sie wusste, dass viele Leute sie für verrückt hielten, weil sie mit zwei Frauen, die sie kaum kannte, eine Geschäftsverbindung eingegangen war. Aber Sarah war eine fantastische Köchin, und auch Gaynor schien genau richtig für die ihr zugedachte Rolle. Alle anfallenden Kosten und Arbeiten hatten sie untereinander aufgeteilt: Gaynor hatte abgesehen von der Überwachung der Polsterarbeiten und der Auswahl der Markisen zwar verdammt wenig während der heißen Phase vor der Eröffnung getan, aber als es dann so weit gewesen war, hatte sie ganz zweifellos die Gäste scharenweise ins Lokal gelotst. Allerdings sprach sie dem Alkohol zu sehr zu. Und Sarah hatte die Kinder. Claire zuckte die Achseln. Warum jemand ein Baby haben wollte, das erst in einem heranwachsen musste, wenn man sich doch einfach einen Hund kaufen konnte, ging über ihre Vorstellungskraft.
Sie befestigte die Leinen wieder an den Halsbändern der Airedales und machte sich die Harbour Street entlang, durch den schmalen Bogen aus Flintstein und die Steigung hinauf auf den Rückweg. Kurz vor deren Kuppe blieb Claire wieder einmal vor dem Greens stehen, drückte ihre Nase an den Scheiben platt und betrachtete die glänzenden Zapfhähne und die polierten Tische. Von der anderen Straßenseite aus musterte sie die frische grüne Farbe und die üppigen Blumenampeln. Das angeleuchtete Aushängeschild aus Holz, das einem sofort ins Auge fallen sollte, wenn man die Straße hinunterblickte, musste noch angebracht werden, aber sonst sah alles schon richtig gut aus. Claire sah kritisch auf den olivfarbenen Namensschriftzug quer über der Front. Vielleicht noch eine weitere Traube Wein dahinten ...
Aber es gehörte ihnen. Mir, dachte sie, während sie weiterging. Sie wollte aus dem Lokal richtig was machen, die Erwartungen aller übertreffen. Es zu einem Riesenerfolg werden lassen. Es allen zeigen. Besonders ihrem Vater ...
Eine Minute vor neun bremste Sarah scharf auf der Zickzack-Linie vor den Toren der St. Katherine-Grundschule. Wieder – und entgegen aller guten Vorsätze – war sie reichlich spät dran. Eigentlich war es nicht Gaynors Schuld. Sie war zwar ziemlich überraschend aufgetaucht, aber unabhängig davon hatte es das übliche Gerangel um verlorene Turnbeutel, die Versuche, mittels Lukes frisch angenommenem Neandertaler-Grunzen zu kommunizieren, und Charlies regelrecht aggressives Verhalten gegeben. Sarah legte Wert darauf, ihren jüngeren Sohn bis auf den Schulhof zu begleiten und ihn zum Abschied zu küssen. Er wischte sich angewidert über die Wange. »Äh, Lippenstift!«
Zwei andere Mütter eilten mit gesenktem Kopf an ihr vorbei. Warum nur schenkte ihr keiner einen zweiten Blick, wenn sie – wenigstens ausnahmsweise einmal! – ein Kostüm trug und ein anständiges Make-up, während die Leute immer dann Schlange standen, um mit ihr zu reden, wenn sie im Schlafanzug und mit ungewaschenen Haaren aufkreuzte, sich im Auto verkroch und Charlie einfach nur auf den Bürgersteig hinauskippte?
»Hallo!«, rief sie Roderick freundlich zu. Er war der Schulpflegschaftsvorsitzende, Vater vierer untadeliger und brillanter Kinder und in seinem Anzug und mit dem schwarzen Regenschirm geschniegelter denn je. Im Allgemeinen strafte er sie mit Missachtung. »Herrlicher Morgen!«
Roderick blickte verwundert von Sarah hinauf in den bleigrauen Himmel. Augenscheinlich wusste er sie nicht einzuordnen.
»Hallo auch!« Sarah versuchte sich erneut, diesmal bei Fionamit-der-perfekten-Frisur. Diese zog selbst dann das ganze Programm von Grundierung bis Rouge mit allem Drum und Dran durch, wenn sie den Kindern bei deren Aufbruch zur Klassenfahrt um vier Uhr morgens zum Abschied nachwinkte. Sarah hoffte, Mrs. Perfect würde bemerken, dass auch sie den Versuch unternommen hatte, sich nach allen Regeln der Kunst zu frisieren.
Fiona duckte sich unter eine Jacke, die sie sich über den Kopf hielt, und rief, ohne Sarah überhaupt eines Blickes zu würdigen: »Muss mich beeilen!«
Wer musste das nicht? Sarah sah auf ihre Uhr. Sie hatte Mr. Darling an der Neun-Uhr-dreißig-Front im Stich gelassen, war aber wenigstens seiner anwaltlichen Anweisung gefolgt, sich schick und geschäftsmäßig zu kleiden. Seine Anweisung war eindeutig auf sie gemünzt gewesen: Claire hatte sich an diesem Tag erfolgsbetont in klares Schwarz und Weiß gekleidet und sich ihre Brille aufgesetzt, um seriös zu wirken, während Gaynor mit ihrem üblichen Schmuck beladen und auf glitzernden Absätzen dahergestöckelt gekommen war. So hatte Mr. Darlings Blick zweifellos Sarahs Jogginghose gegolten, die Flecken zierten.
Deshalb hatte Sarah sich heute bis zum Anschlag aufgedonnert, um jeden Zollbreit wie eine Geschäftsfrau auszusehen. Der Regen hämmerte gegen die Windschutzscheibe, als sie vor dem Haus ihrer Mutter anhielt.
»Schnell!«, sagte sie zu Bel. »Grandma steht schon in der Tür!«
Aber Bel hatte anklagend und weit den Mund aufgerissen. »Ich habe Rosie vergessen!«
»Das ist doch nicht schlimm, du siehst sie nachher wieder.« Sarahs Stimmung ging in den Keller, als die Miene des Kindes versteinerte und es die Arme vor der Brust verschränkte. »Will sie aber jetzt haben!«, heulte die Kleine.
»Warum hast du dann nicht gleich an sie gedacht und sie mitgenommen?«
»Sie ist doch erst vier!« Sarahs Mutter erschien mit Kopftuch auf dem Bürgersteig. »Kein Wunder, dass sie nach Halt sucht, gerade jetzt, wo ...«