Die Friedenseskalation - Ragnar Lilienwasser - E-Book

Die Friedenseskalation E-Book

Ragnar Lilienwasser

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Beschreibung

Wie sieht der Mensch der Zukunft aus? Mehr oder weniger als der heutige oder wird er deutlich verändert sein? Äusserlich, innerlich oder überhaupt nicht? Dieser Roman ist die hinreißende Geschichte des Menschen der Zukunft. Auf Grund einer entscheidenden genetischen Mutation war eine neue menschliche Spezies geboren. Diese Möglichkeit der zukünftigen biologischen Entwicklung der Menschheit wird hier aus positiver Warte betrachtet. Sie ist in warmen Farben gemalt und in eine spannende Erzählung verpackt. Dieser neue Homo Trihelix ist ein Meister der friedlichen Kriegsführung.

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Inhaltsverzeichnis

I. TEIL

Vorspiel

I. KARIN WERDHEM

II. CARL CRASSASIUS

III. DAS PARISKOP

IV. EINE UNHEIMLICHKEIT

V. DES ENTNABELNS GOLDENER SCHNITT

VI. DIE TRIPPELHELIX

VII. AD MEDINAM

VIII. INTERMEZZO

IX. AD DESERTUM

X. OASENS DAUNENWEICHE DÜNEN

XI. ZU DEN PETROGLYPHEN

XII. GEMEISSELT IN STEIN

XIII. ECCE HOMO HUMILIS

XIV. AD ASTRA VEL NON AD ASTRA

XV. WIEDER IN AHOGGAR

XVI. KOMMUNARDEN DES KALIFATES

XVII. DIE VIPER

Hauptakt

I. DIE MORAL DES GLAUBENS

II. DIE EINSICHT

III. WAHRE FREUNDE

IV. DER STÄRKSTE MANN DER WELT

V. ZWEITAUSEND HIRIS

VI. LÖCHERLICHE HAUFEN

VII. DIE ZIVILEN OPFER

VIII. ZUR CASSASIUS-WERDHEM-HÖHLE

IX. DREIKOMMAVIERZEHN QUADRATKILOMETER

X. KLONREICH

XL DEVASTATIO TELLURIS

XII. SAMARAS MIRAKEL

XIII. AUF DEM WEG

XIV. GHC 1

XV. BERÜHRUNG DER DUNKELHEIT

XVI. DAS LIEBESSPIEL

XVII. ANKER LICHTEN

XVIIL ECCE TERRA NOVA

XIX. GEHEIMNISSE DES LEBENS

Nachspiel

I. GLACIES DULCIS

II. KSC

III. DER SHANGHAI-PLAN

IV. DAS INTERPLANETARIUM

V. WILLKOMMEN NACH HIRISTAN

VI. FRIEDENSGOTT MARS

VII. STIMMEN IM ALL

VIII. EIN SCHWARZES MYSTERIUM

IX. DIE WIEDERVEREINIGUNG

X. ROTE HOCHZEIT

XL AD MARTEM

XII. DE BELLO MARTICO - PARS I

XIII. DIE SCHLACHT BEIM DEIMOS

XIV. MARTIALER FRIEDEN

XV. DAS RÄTSEL DES GRARTSTONES

II. TEIL

Ära der Hirudineae

I. VELA SOLARIS

II. ZU WISSEN ODER NICHT ZU WISSEN

III. FAVUS APIS

IV. DIE EINSAMKEIT DES WELTRAUMS

V. GABELUNG DER SCHEIDEZEIT

VI. QUOANDO VADIS?

VII. CRUSTACEA

VIII. PAX HIRUDINEANA

IX. KONTAKT

X. ZURÜCK ZUM TELLUS

XI. DER WENDEKREIS DES HUMSTERS

XII. DE BELLO MARTICO - PARS II

XIII. URBS ETERNA

XIV. IM GRIFF DER DUNKELHEIT

XV. DE BELLO MARTICO - PARS III

XVI. HEIM NACH HIRISTAN

XVII. END OF STORY

P.S IN SOMNIO VERITAS

EPILOG

Grausamkeit und Realität

CAPUT MUNDI

I. TEIL

Vorspiel

I. KARIN WERDHEM

Die Kinder, die in den Trümmern der Ruinen spielten, konnten nicht älter sein als vier oder fünf. Sie waren vielleicht ein halbes Dutzend oder ein paar mehr, schwer zu sagen, weil sie Versteck spielten und die meisten von ihnen nicht sichtbar waren. Es gab sowohl Jungen in kurzen Hosen als auch Mädchen in geblümten und karierten Kleidchen, aber ansonsten waren sie einfach nur Kinder, Es-Wesen, weder männlich noch weiblich und ohne besonderes Geschlechtsbewußtsein.

Dieser Null-Zustand sollte jedoch nicht mehr lange anhalten, denn bald würden Jungen und Madeln ein getrenntes Dasein dahinleben. Dem gemeinsamen koedukativen Schulgang zum Trotz. Die Jungen würden die Mädchen verachten, sie vermeiden und auf keinen Fall mit ihnen reden. In ihren Schulbänken saßen nur Jungen mit Jungen und Mädchen mit Mädchen, niemals zusammen, neben einander. Dieser Zustand würde mindestens noch weitere sieben Jahre anhalten, wenn das Verlangen nach dem anderen Geschlecht wieder auftauchen würde.

Allen Vorurteilen widersprechend war die Lust jedoch in vollem Gange, als der fünfjährige Calle fieberhaft versuchte, seinen kleinen steifen Penis in den kleinen geschlossenen Schlitz der gleichaltrigen Karin hinein zu bekommen. Die beiden hatten sich von der Gruppe weggeschlichen und waren hinter eine Betonplatte, die einmal Teil einer Badezimmerwand gewesen war, geflüchtet. Da waren sie außer Sicht der anderen Versteck spielenden Kinder. Leider, oder glücklicherweise, je nachdem wie man das Ganze betrachtete, befanden sich die beiden nicht außerhalb des Blickfeldes von Karins Mutter Anna. Die kam mit hochrotem Kopf angerannt, schreiend und mit erhobenen Fäusten fuchtelnd und schrill ausrufend: “Was macht ihr da?” und “Hört sofort auf damit!” und ähnliche klischeehafte Phrasen. Sie riß ihre Tochter gewaltsam weg, sammelte die rosa Wollschlüpfer von der Erde auf und schleifte das arme, verständningslose Kind in die armselige Baracke der nur zweiköpfigen Familie Werdhem zurück.

An diesem Tag war Anna zu Hause geblieben, weil sie sich mit Regelschmerzen, die sich in gewaltige Magenschmerzen entfaltet hatten, “unwohl” fühlte, ganz gelinde ausgedrückt. An einem normalen Tag wäre Anna sonst stundenlang von zu Hause weg gewesen. Sie gehörte zu einer Gruppe von “Ruinenweibern”, deren Aufgabe es war, die Überreste der ausgebombten Gebäude einzusammeln und diese zu säubern. Neben dem Aufräumen bestand die Hauptaufgabe der Ruinenweiber darin, überschüssigen Mörtel von den Ziegeln zu klopfen. Der Fokus lag auf unversehrten Ziegelsteinen, die für die Wiederverwendung in zukünftigem Mauerwerk geeignet waren und in pyramidenähnlichen Haufen für den Abtransport gestapelt wurden.

Das junge Ruinenweiblein Anna Werdhem hatte Karin als Abschiedsgeschenk von dem jetzt heimkehrenden Fahnenjunker Malcolm McShloermatt bekommen. McShloermatt war fasziniert von Annas langem blonden Haar und ihren langen geraden Beinen. Aufgrund der Not in der letzten Kriegsphase hatte der Nahrungsmangel dazu beigetragen, daß die hübsche Anna eine außerordentlich schlanke Figur hatte. Verglichen mit den meist stark übergewichtigen Frauen in seiner Heimat war Anna ein zierliches Mannequin. Im Zivilleben war McSchloermatt Schneider von Beruf, mit eigener Modellagentur, und er mochte es, wenn die Kleider locker von den Schultern ihrer Trägerin herabhingen. Anna ihrerseits war fasziniert von Malcolms scheinbar unbegrenztem Zugang zu Schokolade und Zigaretten, und im Gegenzug ließ sie ihn mit ihr machen, was er wollte. Kein Wunder, daß ihr später eine Engelsbotschaft angekündigt wurde.

Es war damals Sommer gewesen und die Ruine könnte als idyllischer Platz erlebt werden, beinahe pastoral und wie geschaffen für ein Schäferstündchen. Anna war in Sachen Koitalangelegenheiten ziemlich uninformiert und Malcolm McShloermatt verschwendete denn auch keine Zeit damit, sich mit anatomischen Theorien zu befassen, sondern ging mit seinem stumpfen Krumsäbel direkt zum praktizierenden Angriff. Und so wurde aus dieser freundschaftlichen Keilerei eine kleine Karin. Eine Karin, die ohne ihren Vater, also ihren richtigen, leiblichen Vater, aufgewachsen ist. Der war in sein ländliches Elternhaus außerhalb von Albuquerque, in New Mexico, zurückgekehrt. Während seiner Abwesenheit war sein Schneidereigeschäft mit eigener Modellagentur von den Regierungsbehörden wegen unbezahlter Steuern beschlagnahmt worden. Und Malcolm hatte wieder bei Mama und Papa einziehen müssen.

Da saß er, Karins Vater, in Klapperschlangen-Cowboy-Boots, unter einer schlaffen Flagge der Konföderierten, diesem sardonischen Banner der Sklavenbesitzer, und dachte nicht weiter an Karins Mutter. Eigentlich dachte er überhaupt nicht an sie, sondern fantasierte von der Nachbarstochter Elvira und ihrem breiten Hintern. Die beiden waren verlobt und der Hochzeitstermin war festgelegt. Die Ehe war jedoch bereits schon vorher vollzogen worden, als Elvira von dem charmanten Cowboy eingeritten worden war. Das erste Mal am Tag des Fahnenjunker McSchloermatts Heimkehr.

Anna Werdhem heiratete später einen Mann namens Herman Sczermonski. Herr Sczermonski war jedoch kein Gentleman, sondern ein Schrotthändler mit rauen Händen. Wie sich bald herausstellen sollte, war er die brutale Abscheulichkeit in personam. Er würde Karin zwingen, ihn “Vati” zu nennen, und würde sie dann schändlich ausnutzen, als sie gerade einmal sechs Jahre alt war. Als Karin so allmählich verstand, worum es bei Herr Sczermonskis AlfaPet-Spiel ging, schwor sie sich, daß sie ihn eines Tages umbringen würde. Glücklicherweise, zur Rettung ihrer Seele, brauchte sie doch ihr Versprechen nie einzulösen, da Herr Sczermonski unerwartet ums Leben kam, als er im Begriff war, eine verrostete 300-Kilo-Bombe in seinen Besitz zu nehmen. Dieses eiserne Ungetüm hatte seit Jahren auf dem Grund der Ruine gelegen, ohne daß sich jemand darum gekümmert hatte. Das Ding wurde allgemein von den Leuten in der Straße als Blindgänger eingeschätzt. Herr Sezermonskis ungeschickte Beschlagnahme schickte doch die Bombe und ihn selbst in die Luft. Also doch kein Blindgänger. Herr Sezermonskis rauen Hände klebten zusammen mit seinem pockenvernarbten Glied an der Betonwand, die einst zu einem Badezimmer gehört und Karin und Calle etwas Privatraum verliehen hatte.

Nach einer Zeit fing Karin später wieder an zu lächeln, zunächst etwas schüchtern, dann aber zunehmend selbstbewußter. Ihre Mutter Anna strich die zweite Hälfte ihres Nachnamens, die nach Werdhem und dem Bindestrich kam, und versprach ihrer Tochter und sich selbst, daß sie nie wieder einen Schrotthändler heiraten würde.

II. CARL CRASSASIUS

Das andere der beiden kleinen Schmusenkinder, Carl “Calle” Crassasius, wohnte auf der anderen Straßenseite. Calle durfte nie wieder mit Karin spielen, und sie wurde nie wieder zwischen den Ruinen gesehen. In Calles Erinnerung verblaßten die Umrisse von Karins schmalem Körper allmählich und sie wurde zu einer Art farbloses Wolkenwesen. Auf dieser Straßenseite gab es weniger Trümmern, denn das Haus war von den Luftangriffen größtenteils verschont geblieben. Nur die eine Hälfte war weggesprängt. Im übrigen Teil es gab noch bewohnbare Wohnungen auf drei Etagen, und Calle wohnte in der obersten. Es gab keinen Aufzug im Haus und die steilen Treppen waren für Calles Großeltern anstrengend.

Im Gegensatz zur kleinen Karin war Calle nicht mit einem rostigen Eisenlöffel im Mund geboren. Seine Mutter, die gnädige Frau Letitia Crassasius-Levin, hatte ihm erzählt, daß seine Familie von adeliger Herkunft sei. Die Crassasius galten als ziemlich wohlhabend, da sie es sich leisten konnten, Miete für die Unterkunft zu zahlen. Die Mutter behauptete, Calles Vater, Hubertus Crassasius, sei direkt mit Marcus Licinius Crassus verwandt. Crassus war auch allgemein als der ungekrönte Krösus von Rom bekannt. Dieser Krösus war jedoch kein Römer gewesen und hatte mehrere hundert Jahre vor Crassus gelebt. Crassus wiederum lebte - und starb - mehrere Jahrzehnte vor der Geburt Christi. Und deshalb, argumentierte Mutter Letitia, könne die Familie Crassasius nicht mit der christlichen Kirche verbunden werden und brauchte daher keine Kirchensteuer zahlen. Letitia, deren Familie aus dem Osten stammte, hatte eine ausgeprägte wirtschaftliche Neigung.

So aber hatte Crassus seinen Nachkommen keinen einzigen kleinen As hinterlassen. Im Nachhinein muß die Behauptung über den angemessenen Wohlstand der Familie daher unbegründet erscheinen. Aber seiner vermeintlich ruhmreichen Vergangenheit entsprechend hatte sich Hubertus ein lateinisches Zitat zugeignet: UT DESINT VIRES TAMEN EST LAUDANDA VOLUPTAS, was in etwa bedeutet, daß auch bei fehlender Potenz die Wollust gelobt werden müßte. Dieses ziemlich extravagante Motto paßte nicht einmal annähernd zu dem eher farblosen Musikdirektor am Städtischen Konservatorium. Hubertus war zunächst ehrgeizig gewesen, aber das Spielen der ersten Geige war ihm verwehrt geblieben. Später hatte er sich immer mehr zurückgezogen und den Kontakt zu seinen Kollegen vermieden. Schließlich waren die ja nur plebs. Seine Gattin Letitia stimmte mit ganzem Herzen zu.

Calle hatte nie die arrogante Haltung und herabsetzende Attitüde seiner Eltern angenommen. Als Beweis dafür hätte seine innige Verbindung mit Ruinen-Karin gewertet werden können. Aber er war einfach nur geil gewesen. Außerdem, als Fünfjähriger hatte er von nichts eine klare ideologische Vorstellung. Er trug jedoch unbewußt eine vermeintliche Philanthropie in sich, daß alle Menschen gleichwertig wären. Er empfand auch große Liebe zu Tieren. Er liebte es, Pferde, Kühe und Schafe zu streicheln und hatte auch einmal einen toten Spatz beerdigt. Auf dem Grab hatte er einige kleine Blumen der Ruine, meist Löwenzahn, und ein kleines Kreuz aus Stöcken und Schnüren aufgestellt.

In der Grundschule war Calle ein richtiger kleiner Wildling. Er hatte keinen Respekt vor den Lehrern, war frech und konnte es nicht ertragen, wenn man ihn ermahnte. In den Pausen, auf dem Schulhof, verprügelte er die älteren Jungen in den höheren Klassen. Diese hatten seine Mitschüler geschlagen oder sich über sie lustig gemacht. Aber das galt nur für Jungen. Zu den Mädchen hatte er keine Beziehung. Aber es war ganz klar, daß man Mädchen nicht schlägt. Das war feige. So feige wie auf den, der sich ergeben hatte, weiter zu schlagen oder jemanden zu treten, der am Boden lag.

Obwohl Calles wilde Natur wenig mit der schüchternen Natur von Hubertus gemein hatte, hatte er dennoch die Liebe seines Vaters zur Musik geerbt. Calle lebte buchstäblich für die Musik. Er liebte es, zeitgenössischen Künstlern der Avantgarde zuzuhören. Er selbst mißhandelte zärtlich seine Gitarre und hämmerte ekstatisch auf sein selbstgebautes Schlagzeug. Später im Leben, als er etwa zwanzig Jahre alt war, war der Höhepunkt seines Lebens der Tag gewesen, an dem er mit Amon Düül bei “Essen 69” spielte. Essen 69 war doch, wie man vermuten könnte, keine Speisemesse. Die 69 hatte auch nichts mit Sex zu tun. Unanständige Fantasie könnte Essen 69 in Hummer und Champagner mit frischen Erdbeeren verwandeln, die auf einem wunderschön entkleideten Paar serviert werden, wobei die beiden, je mit einer Köstlichkeit im Mund, miteinander Kopf an Fuß liegen.

Im Grunde begann es mit einem dreitägigen Open-Air-Konzert im August 1969 im amerikanischen Woodstock in der Nähe von New York. Das hippe Hippie-Leben während des Festivals erregte erhebliche Aufmerksamkeit bei der amerikanischen Boulevardpresse, da jene kostenlos über Bilder von nackten weiblichen Brüsten kam. Der Verkauf der bunten Bilderblätter schoß wie eine Rakete in die Höhe. Weitere nackte Frauenbrüste würden dann später in einem mehrstündigen Kinofilm gezeigt werden. Woodstocks beispielloser Ruhm als weltbestes Busenfestival war somit eine Tatsache.

Aber nur ein paar Monate später wurde, völlig unabhängig vom Woodstock-Festival, ein weiterer dreitägiger musikalischer Leckerbissen organisiert. In Essen, einer Halb-Millionen-Stadt im deutschen Ruhrgebiet, war die künstlerische Bandbreite mit Künstlern wie Deep Purple, Fleetwood Mac und Pink Floyd kolossal. Andere Kultbands waren East of Eden, Free, Nice, Spooky Tooth, Steamhammer, Tangerine Dream und viele, viele mehr.

Wie eine, damals völlig unbekannte, Band aus England. Ihr internationales Debüt war ein unbeschreiblicher Erfolg. Als Yes anfing zu spielen, erhoben sich die Leute von ihren Decken- und Kissenlagern und standen schaukelnd oder tanzten wild. Schreiend oder klatschend. Dort auf der Bühne stand eine anmutige Gestalt in einem langen Gewand, das einem schwarzen Kaftan nahe kam. Alle wollten den mädchenhaften Engel mit den langen schwarzen Haaren sehen, der so himmlisch sang. I see you ließ die Nackenhaare hochstehen und alle wurden total wild. In dieser Nacht wurde Yes geboren und würde dann noch lange leben. Jeder wollte ihre Platte kaufen, aber auf dem Festival wurde ihr erstes Album kostenlos verteilt! Die Live-Version von end of the night war ihr Finale. Dieser Song ließ die Essener Grugahalle vibrieren wie ein Erdbeben der Stärke acht auf der so wohl bekannten, aber ebenso unverstandenen, Richterskala.

Aber für Calle war das größte Erlebnis Amon Düül. Nicht, weil die Musik von bemerkenswert hoher Qualität war, sondern wegen des enormen Gefühls von Freiheit und menschlicher Gemeinschaft, das ihre darstellenden Künste implizierten. Es wurde zu einem außergewöhnlichen Jam, bei dem Leute aus dem Publikum auf die Bühne kamen und sangen und tanzten. Das Ganze war traumhaft und Calle war wie in Trance, ging zu der fröhlichen Party, fand hinten auf der Bühne ein verlassenes Schlagzeug und fing an, mitzuspielen. Ob es gut oder schlecht oder irgendwo dazwischen war, sei dahingestellt, aber er fühlte sich hingerissen als wäre er ein Ginger Baker. Eingetaucht in eine unbeschreibliche Euphorie.

Dann wachte er enttäuscht auf, als der Wecker lärmend einen neuen Tag einläutete, gefüllt mit neuen, nie endenden Verpflichtungen.

III. DAS PARISKOP

Karin und Calle wurden im erwachsenen Alter wieder vereint. Das war völlig zufällig und sie hatten keine Kenntnis von einander. Sie trafen sich im Pariskop, eine Kneipe im teilweise französischen Stil mit Schildern so wie Bistro, Pernod, Steak Parisien, Escargots & Grenouilles und dergleichen. Eigentümlich wurden da verschiedene Preisangaben aufgewiesen. Sowohl Getränke als auch das Essen kosteten an verschiedenen Wochentagen unterschiedlich. Von Montag bis Mittwoch kostete es mehr als am Freitag, Samstag und Sonntag. Der Grund war, daß, im Vergleich zum Wochenende, an den ersten Tagen der Woche weniger Gäste kamen. Von Seiten des Pariskopbesitzers wollte man doch den Cashflow jederzeit flüssig und gleichmässig strömen lassen. Donnerstags war geschlossen und dann kostete es natürlich gar nichts.

Das Pariskop war äußerst bewußt wie ein U-Boot gebaut, lang, schmal und extrem eng. Wenn die Gäste eintrudelten, typischerweise nach ein Uhr morgens, wurde es schnell sehr, sehr voll. Durch den enormen Andrang rieben sich die Menschen an einander, was durchaus geplant war. Jungen gegen Mädchen, Mädchen gegen Jungen, Jungen gegen Jungen und Mädchen gegen Mädchen. Der Grad des Reibens, und mit wem, wurde durch den persönlichen Geschmack und die sexuelle Orientierung bestimmt. Gelegentlich fand eine männliche Hand den Weg zu Calles Hinterteil, ein Umstand, den er nicht mochte. Doch meistens reichte ein freundlicher Zuruf, um von wiederholten Reibeund Tätschelversuchen verschont zu bleiben.

Auf den schwarz gestrichenen Wänden waren in intensiven, selbstleuchtenden Farben Formen und Figuren gemalt, die an Joan Miró erinnerten. Große Projektionen von bunten Ölklecksen zwischen zwei Glasscheiben veränderten ständig ihre Form. Auf der Tanzfläche im Bug des U-Boots dröhnte die Musik und das stroboskopische Flackern des weißen Blitzlichts ließ die Tänzer in magischer Zeitlupe erscheinen. Die tiefen Bässe waren am ganzen Körper zu spüren und die Vibrationen in der Magengegend bescherten den Tänzern einen Glücksrausch an der Schmerzgrenze. Die Dschungeltrommeln in Iron Butterflys In-A-Gadda-Da- Vida verstärkten nochmals dieses traumhafte Dasein. Die schlechten Noten in der Schule, der stressige Alltag am Arbeitsplatz, die immer nagenden Geldsorgen und der brennende Schmerz eines gebrochenen Herzens waren weit weit weg. Längst vorbei, weit weg von der Gegenwart, vom diesem glückseligen Moment der Gegenwart.

Calle stand an der Bar Schlange, als seine Augen ein paar Meter entfernt eine wunderbare Kreatur mit großen lockigen Haaren und großen runden Augen erblickten. Das wunderbare Geschöpf hatte Calles ungenierten Blick bemerkt. Ein bezauberndes Lächeln kam zur Antwort, während das wunderbare Geschöpf versuchte, zu ihm zu kommen. “Hallöchen, mein Name ist Sofia. Wenn du aufhörst, auf meine Brüste zu starren, kannst du mir sagen, wie du heißt. Dann können wir zusammen ein Pils trinken. Was sagst du dazu?” Calle hatte noch jetzt nicht die Absicht aufzuhören auf ihre Brüste zu starren. Seine Antwort mußte auf sich warten lassen. Schließlich riß er seine Augen von der Garnitur, betrachtete sie und murmelte, “Für meine Freunde Calle. Überaus angenehm, meine schöne Dame.” Dann fügte er hinzu, “ein Pils wäre gar keine schlechte Idee. Ganz und gar nicht. Ich lade dich ein.” Sofias Antwort kam unmittelbar und schnell wie ein Bumerang: “O.K., danach bin ich dran.”

Ein leichtes, fast unmerkliches Reiben ließ Calles Hose über seinem Schambereich enger werden. Er reagierte auf dieses etwas frivole Vorgehen von Sofia, indem er sich leicht zur Seite bewegte und ihr erlaubte, Kontakt mit seinen straffen Schenkeln herzustellen. Sie lachte ihm ins Ohr, “Du kleiner Schelm”, und küßte ihn auf den Hals. Daß sie in dieser ersten Nacht nicht, wie allgemein üblich, miteinander schliefen, steigerte Calles Entzücken angesichts Sofia nur noch mehr.

Das war so, wie sie sich kennengelernt hatten, Calle und Sofia. Im Pariskop. Ein U-Boot, in dem man geknoblauchte Weinbergschnecken und Schenkel von toten Fröschen essen konnte. Und wo man absolut niemals französische Schnulzen spielte.

Neben den leuchtend schillernden Farben wurde die Underground-Musik durch den braunen Marokkaner, den roten Afghanen oder den schwarzen Nepalesen, dessen schwarze Farbe hauptsächlich von dem reichlich beigemischten Opium stammte, an bis dahin selten erlebte Grenzen des menschlichen Empfinden getrieben.

Mit oder ohne Marokkaner, Afghanen oder Nepalesen war dieser Abend im Pariskop absolut magisch. An manchen Tagen, oder besser manchen Nächten, gab es verschiedene Live-Auftritte und irgendwann einmal saß da ein Typ mit seiner Gitarre auf einem Barhocker und spielte etwas, das später als Space Oddity bekannt wurde.

IV. EINE UNHEIMLICHKEIT

Nach vier romantischen Monaten beschloß das Paar Sofia-Calle, das Band der Liebe fester zu binden, indem die beiden zusammenzog. Nach einigem Suchen fanden sie eine kleine, gemütliche Wohnung, deren Preis im Rahmen ihrer gemeinsamen Finanzen lag. Beim Schreiben des Vertrages wurde dann plötzlich aufgedeckt, daß sie die ganze Zeit lang miteinander in völlig gegenseitigem Inkognito verbracht hatten. Karin nannte sich Sofia, weil sie mit dem Namen Karin düstere Erinnerungen verband. Erinnerungen, die sie in den tiefsten Winkeln der Amygdala zu begraben suchte.

Nachdem sie schließlich ihre persönlichen Daten etabliert und sich nach dem Aufruhr der Enthüllungen ein wenig beruhigt hatten, schwebten sie auf einer Graswolke zurück in ihre Kindheit und ihre gemeinsamen Ruinenerinnerungen. Die beiden erinnerten sich noch sehr gut an ihre unbeholfenen ersten Versuche, ihre Genitalien gemeinsam kennenzulernen. Und wie diese frühen Versuche von Sofias, sprich Karins, Mutter vereitelt wurden.

Sofia erzählte Calle, daß sie ihren Vater nie getroffen hatte. Doch verheimlichte sie ihre grausamen Erfahrungen mit dem abschäulichen Herman Sczermonski. Die Schule war größtenteils langweilig gewesen und ihrem wachen Intellekt hatte es an Stimulus gefehlt. Gleiches galt für die männlichen Bekanntschaften, die sie über die Jahre halbherzig gepflegt hatte. Bis sie Calle traf, ihren allerersten Freund. Die Neugier auf alle Aspekte des Lebens, die die Schule und die Männer getötet hatten, wurde wieder zum Leben erweckt. Vor allem war sie weniger schüchtern, ja sogar furchtlos und beinahe übermütig geworden.

Für Calle hatte das Leben eine völlig andere Wendung genommen. Calle, so hatten es seine Eltern formuliert, “sollte was Richtiges werden, Arzt oder Anwalt oder so was.” Sie schickten ihn deshalb auf eine Internat-Schule, die äußerst angesehen war und zumindest formal ein hohes Bildungspotential hatte. Das Motto der Schule war demnach auch ein Zitat auf klassischem Latein, NON SCHOLAE SED VITAE DISCIMUS, das den humanistischen Charakter der Schule betonend unterstrich, aber so einfallslos und langweilig war wie Caesars DE BELLO GALLICO. Alle Türen würden für die Abiturientenklassen weit offen stehen. War es doch eine Schule der alten Schule, in der diese Klassen einmal die Oberklasse der Gesellschaft representieren würden.

Calle hatte die Liebe und Hingabe seines Vaters zur Musik geerbt. So widmete er seiner Band mehr Zeit als der Schularbeit. Die Band hieß Lesbmann und widmete sich hauptsächlich dem Kopieren der Werke anderer Musikgruppen. Das Repertoire enthielt wenig eigenes Material und bestand hauptsächlich aus importierten Stücken. Die Instrumentierung der Lesbmänner war die übliche Besetzung. Darüber hinaus war auch ein Background-Chor mit dabei. Dieser bestand aus zwei schlanken Mädchen, die jedoch eigentlich Transvestiten in einem sehr femininen Design waren. Unter den fantasievollen und farbenfrohen Kostümen verbargen sich die Attribute des männlichen Geschlechts. In einem engen Badeanzug könnten sie daher komisch wirken. Die beiden hatten der Gruppe ihren Namen gegeben, waren selbst aber keine Lesben. Als kleine Anekdote sei angemerkt, daß sie sich gegenseitig Schlampe titulierten.

Calles professionelle Musikerkarriere wurde allerdings ziemlich kurzfristig. Nach zahlreichen beherzten Versuchen, einen seriösen Produzenten für ihre virtuelle Demo Homo Lesbanthropos zu finden, und ebenso zahlreichen Absagen, gab er schließlich auf. Ein geschlagener Mann. Leer von Lebenswillen. Ausgelaugt. Bis zu dem Tag, an dem er Sofia traf. Genau wie sie hatte er die Flamme und den Funken der Freude wiedererlebt. Die beiden gaben den bohemischen Lebenswandel auf und widmeten sich nun dem Studium an der Universität. Sofia hatte Ernährungsphysiologie und Calle Zellbiologie studiert. Sie lebten von Jedermann-Stipendien, einer Art Darlehen des Staates, und Gelegenheitsjobs. Die letzteren um ihre magere Kasse aufzubessern.

V. DES ENTNABELNS GOLDENER SCHNITT

Eines Tages hatte das Paar bei einem gemeinsamen Mittagessen im Kerzenschein eine zunächst interessante, dann immer lebhaftere Diskussion geführt, die allmählich entgleiste und dann schließlich drohte zum offenen Streit zu kommen. Demnach herrschte gewisse Verstimmung im Haus. Aber da sie einmal-Hippie-immer-Hippie waren, würden sie den drohenden Konflikt mit sexueller Aktivität auf Bonobo-Weise lösen. Mit unbändigem, karnalem Verlangen nahm er sie an diesem Nachmittag von hinten. Sofia stand auf allen vieren auf der Bettkante, während Calles Sack rhythmisch ihre empfindlichsten erogenen Stellen traf. Dieses ständige Trommeln auf den Bereich ihrer Klitoris führte zu noch größerer Erregung, gesteigerter Lust, endgültiger Ekstase. Calle feuerte einen gezielten Schuß direkt nach oben auf ihren rechten Eileiter ab. Obwohl dies ein Detail ist, das in diesem Zusammenhang völlig irrelevant ist, ist es doch eine etablierte Tatsache, daß Sofia innerhalb von fünfzehn Sekunden schwanger war.

Die folgenden Schwangerschaftsmonate erlebten die beiden in gespannter und froher Erwartung, gemischt mit furchtbaren Sorgen um den körperlichen und seelischen Zustand des Kindes. Endlich war der Tag der Entbindung gekommen, und die Geburt verlief ziemlich normal, mit überaus langanhaltenden Qualen und endlosen Schmerzen für die Mutter. Das neugeborene Baby war extrem langschmal, ganze achtzig Zentimeter lang, aber mit seinen dreitausend zweihundertachtundfünfzig Gramm blieb das Gewicht nahe der üblichen Norm. Es ist keineswegs ungewöhnlich, daß die Köpfe von Neugeborenen, nach dem Quetschen durch den Geburtskanal, eine deutlich längliche Form haben. Deshalb hatte bei Sofias Entbindung niemand weiter darauf geachtet. Aber wegen des extrem langen Körpers mußte eine zusätzliche Hebamme hinzugezogen werden, um das weiche Rückgrat des Babys zu stützen. Die Gefahr war akut, daß jenes nach der Passage durch den Geburtskanal sonst abbrechen könnte.

Nach neuesten Erkenntnissen sollte das Neugeborene nicht sofort entnabelt werden, sondern daß der Eingriff erst nach drei Minuten durchzuführen wäre. Dies diene dazu, das Kind mit einer angemessenen Durchblutung zu versorgen. Während diesen drei Minuten bestand für alle Anwesenden die Möglichkeit, die Zeit zu nutzen, um die äußeren Proportionen des Kindes zu betrachten. Diese schienen nicht annähernd dem Goldenen Schnitt zu folgen. Abgesehen von der bemerkenswerten Körperlänge schien jedoch alles so zu sein, wie es sein sollte, zehn Finger, also fünf an jeder Hand, und ebenso zehn Zehen an zwei Füssen. Andererseits konnten sie sich bei der Entscheidung über das Geschlecht dieses bemerkenswerten Kindes nicht einigen, das heißt ob es ein Mädchen oder ein Junge sei. Tatsächlich war das Geschlecht des Kindes zunächst völlig unbestimmt. Da schien das Schniepelchen eines kleinen Jungen aus der Scheide eines kleinen Mädchens herauszuhängen. Möglicherweise handelte es sich um eine vergrößerte Klitoris, die sich außerhalb des vorgesehenen, aber geschlossenen, inneren Bereichs ausgebreitet hatte. Als die Eltern kurz darauf über den Namen des Kindes entscheiden sollten, entschied man sich, daß Namen wie Hermes oder Aphrodite aufgrund des ungeklärten Geschlechtsstatus vorerst für ungeeignet erklärt und also ausgeschlossen waren. Sofia und Calle entschieden sich vorerst für die Vorsilbe Eli als Arbeitsnamen. Nachdem später das tatsächliche Geschlecht des Kindes festgestellt worden war, konnte der Rest des Namens genommen werden, das heißt, das adäquate Suffix. Entweder -sa für ein Mädchen, das heißt Elisa, oder -as für einen Jungen, das heißt Elias. Wenn es keines von beiden wäre, also etwas dazwischen, bekäme es Hirudinea. Es wurde von seinen Eltern liebevoll Hiri genannt.

Die aus dem Osten stammende Letitia Crassasius-Levin hatte, wie ihr Mädchenname Levin vermuten läßt, jüdische Vorfahren. Da sie nur zur Hälfte jüdisch war und im mosaischen Glauben nicht besonders bewandert war, hatte sie die traditionellen Gebote für ihre eigene Familie vernachlässigt. Sie hatte ihren Sohn Carl nie zum Schlachthof mitgenommen. Aber in letzter Zeit war sie stolz über die vieltausendjährige Geschichte ihres Volkes und hatte die Auffassung, daß ihre Familie nun diese schönen Traditionen bewahren und weitergeben sollte. Deshalb teilte sie Carl und Sofia mit, daß sie gerne eine ehrenvolle und traditionelle Beschneidung von Hiris männlichem Teil sähe. Die Eltern des Kindes trauten nicht ihren Ohren. Sie waren völlig entsetzt und verärgert über diesen Zitat: “wahnsinnigen Vorschlag” und teilten Letitia mit, daß so etwas völlig ausgeschlossen sei und niemals passieren würde. Aber Letitia hatte in ihrem neu entdeckten religiösen Eifer ihr Enkelkind hinter dem Rücken seiner Eltern entführt und es einem Skalpellmeister namens Nathan Goldblum übergeben. Jener war in gewissen Kreisen dafür bekannt, Genitalverstümmelungen auf eine ganz besondere künstlerische Art und Weise auszuführen Daß die Kinder zur Zeit der Beschneidung ganz jämmerlich geweint und geschrien hatten, wurde weniger beachtet. Infolgedessen brauchte Hiri die Vorhaut nicht herunterziehen, die Eichel war immer stolz und demonstrativ zwischen den äußeren Schamlippen freigelegt. Daß jenen nicht dasselbe Schicksal widerfahren war, lag daran, daß Sofia und Calle, die Eltern des Kindes, Großmutter Letitia ein Besuchsverbot auf unbestimmte Zeit erteilt hatten. Calle und Sofia ließen Hiri nicht eine Sekunde aus den Augen.

VI. DIE TRIPPELHELIX

Nach fünfzehn Jahren unbestimmbarer Bisexualität anseiten Hiris wurde der geschlechtsspezifische, offizielle Name, wie er im Paß einer Person steht, schließlich Hirudinea Crassasius-Werdhem. In das Kästchen auf dem Paßantrag, wo man ein F oder ein M schreiben sollte, hatte die Mutter Sofia ein mf gesetzt. Es sei hinzugefügt, daß eine weitere Unklarheit darin bestand, daß sich Hiris Körpergröße seit der Geburt kaum verändert hatte. Weitgehend waren es noch etwa die gleichen Werte, also achtzig Zentimeter plus-minus eineinhalb Zentimeter, je nachdem, ob die Haare frisch gewaschen waren oder nicht. An Gewicht hatte Hiri auch nicht wesentlich zugenommen. Ob möglich, war der Kopf noch länger geworden. Aber Hiris Makrozephalie war nicht künstlich bedingt, wie es bei den Monbuttu im zentralsten Schwarzafrika der Fall war. Dort wurden die Schädel der Neugeborenen zusammengebunden, um den langköpfigen Effekt zu erzielen.

Hiri war natürlich ein äußerst interessantes Studienobjekt für die Lebenswissenschaften. Bei einer Sequenzierung der genetischen Masse stellte sich heraus, daß es sich um fünf Nukleotide handelte, die aus den üblichen vier Buchstaben A, C, G, T und einem zusätzlichen U bestanden. Diese waren zu einer Triplehelix zusammengesetzt, in einer bunten Mischung von sogenannter DNA und RNA. In der Fachwelt hieß diese Triplehelix jetzt DRNA, ausgesprochen Dirna. Auch der Gensatz der Keimzellen war eigenartig, die Chromosomen waren weder XX noch XY, sondern XYZ.

Die Entdeckung von DRNA war sensationell und natürlich Nobelklasse. Das Bemerkenswerte an diesem Preis war, daß er im Fach Medizin vergeben wurde, als hätte man eine berüchtigte oder bisher unbekannte Krankheit entdeckt und erfolgreich bekämpft. Hiri war jedoch körperlich überdurchschnittlich gesund, so daß von einer Krankheit nicht die Rede sein konnte. Außerdem war das Kind intellektuell überdurchschnittlich begabt. Das zuständige Komitee dachte jedoch nicht eine Sekunde lang daran, den Preis an Hiri zu vergeben, und wählte einen obskuren Biochemiker aus Minnesota. Er war männlich und hatte familiäre Bindungen zur Akademie der Wissenschaften. Die beiden anderen Preisträger, einer aus China und der andere aus Indien, waren ebenfalls männlich und arbeiteten beide am Institute of Humanoid Race Evolution i Birmingham, UK. Alle Nobelpreisträger waren über achtzig Jahre alt und noch am Leben, als die Auszeichnung Anfang Oktober bekannt gegeben wurde, was sie dazu berechtigte, die Auszeichnung im Dezember desselben Jahres im Venedig des Nordens entgegenzunehmen.

Das Chinoindische Laureaten-Duo hatte schon früh vermutet, daß Hiris Genmutation grundlegende Veränderungen der menschlichen Lebensfähigkeit bewirken würde. Sie hatten unter anderem vorausgesagt, daß Hiri einen eigenen Stoffwechsel entwickeln würde, der sich, verglichen mit der Norm, als deutlich energieeffizienter erweisen würde. Zum Beispiel pinkelte Hiri nur alle zwei Monate und machte großes Geschäft alle vier. Daß Hiri äußerst sporadisch Mahlzeiten zu sich nahm, brauchte natürlich nicht explizit erwähnt werden. Hiri konnte oft lange Zeit, sogar wochenlang, bewegungslos dasitzen, wie in einer Art Winterschlaf. Hiri war dann auch völlig nonkommunikativ.

Die wichtigste Schlußfolgerung war ebenso grandios, nämlich daß Hiri extrem langsam alterte. Es wurde festgestellt, daß Hiris DRNA-Telomere nicht im gleichen Maße wie die DNA-Ende “normaler” Menschen abgenutzt wurden. Das Interesse an diesem bemerkenswerten Umstand nahm deshalb extrem schnell zu, insbesondere in den allgemeinen Nachrichtenmedien und in sogenannten Reality-Shows von Verbrauchern mit niedrigem IQ. Regierungsmitglieder rechneten weltweit damit, daß deren Amtszeit legitimerweise unbegrenzt verlängert werden konnte. Man erhöhte dann auch die Forschungsgelder auf ein nie dagewesenes Niveau. Das geschah im globalen Maßstab mit Konkurrenten in vielen Ländern, auch solchen, die sich normalerweise wenig um wissenschaftliche Forschung angehend von nicht explosiver Natur kümmerten.

Die meisten Forschungsergebnisse waren einer sehr kleinen Gruppe von Personen mit besonderen Befugnissen vorbehalten. Das nicht klassifizierte Material wurde jedoch in der neu erschienenen Zeitschrift The Triplehelix Cognitive News Letters veröffentlicht. Diese Publikation war weltweit bekannt und die Forscher fanden es sehr schmeichelnd, darin mit ihrem Namen zu erscheinen. Um den sensationellen Nachrichtenwert der Artikel zu unterstreichen, war die Seitenzahl begrenzt. Die Leute brauchten ja nicht so viel lesen müssen. Man hatte ja so viel anderes zu tun. Dieser unnötige Platzmangel brachte doch oft mit sich, daß der Inhalt nicht ausreichend valide und zuverlässig war.

Einige der normalerweise vielen Artikelautoren wurden im Fernsehen interviewt, welches ein begehrter Job während bezahlter Arbeitszeit war. Da konnte man mit nationaler, oder sogar internationaler, Berühmtheit rechnen. Dieser Spielplatz der Narzissten zog immer mehr Träumer von Ruhm und Reichtum an. Weniger träumten vom Fortschritt des Wissens zum Nutzen und zur Freude der Menschheit.

Die Information, die in den Medien durchsickerte, galt unter anderem Hiris Ernährung. Das Interesse daran beruhte auf der Eitelkeit vieler, eine schlanke Figur zu erlangen oder zu behalten. Unter den Schlankheitsbegeisterten waren vor allem Frauen zu finden, die ihre Besorgnis über Hiris nicht vorhandene Brüste äußerten. Soweit Hiris flache Front auf die magere Ernährung zurückzuführen wäre, fühlten sich die Frauen in ein Informationsvakuum manövriert. Bei ihnen wurde ein Grund zur Besorgnis gesät, nämlich daß sie mit einem erheblichen Büstenverlust zu rechnen hätten. Dies wäre eindeutig ein unerwünschter Nebeneffekt. Diese Befürchtung konnte bisher jedoch nicht durch belastbare Daten untermauert werden. Das wissenschaftliche Gremium schwieg.

In Schottland lagen die Leute jedoch nicht auf der faulen Seite. Dort waren sie dabei, neue Samen zu säen, wie sie dies zuvor erfolgreich getan hatten. Ziel der experimentellen Arbeit war es, Kopien von Hiri durch Klonen herzustellen. Es gab auch weitreichende Pläne, Hiri zur parthenogenetischen Fortpflanzung zu bewegen. Hiri hatte bisher mit Unentschlossenheit geantwortet. Aber Hiri erkannte auch, daß der Zweck und Vorteil einer ganzen Population von “Hiris” darin bestünde, ganz natürlich die Möglichkeit für Langstreckenreisen durch das Universum zu eröffnen.

Obwohl die Technik schon lange beherrscht wurde, war das Klonen von Menschen aus ethischen Gründen bisher nicht erlaubt. Jedenfalls waren keine Fälle von geklonten Personen bekannt geworden. Die Konspirationstheoretiker waren jedoch davon überzeugt, daß weltweit Tonnen von zytoplastischem Material in den Abfalleimern verschiedener Labors eine deutliche Sprache sprechen. Wer hätte der Versuchung widerstehen können?

VII. AD MEDINAM

Sofia und Calle nannten das Kind meist liebevoll Hiri-Liebling, Herzblatt, Engelchen oder ähnliche Epitheta. Bei den äußerst seltenen Gelegenheiten, bei denen sie empfanden, daß das Gör etwas Dummes verbrochen hatte, benutzten sie den alten Namen Eli. Kurz und gut Eli. Nur Eli bedeutete Ärger. Aber meistens waren die Anrufe liebevoll. Und Hiri erwiderte den Eltern diese ungeheure emotionale Wärme. Deren Sprößling liebte die beiden bedingungslos und innig.

An einem sonnigen Spätnachmittag sah Calle, wie Hiri mit hoch gestreckten Armen anmutig in wellenförmigen Bewegungen tanzte. Hiri tanzte auf ihrem Lieblingplatz, eine winzige Lichtung in einem winzigen Wäldchen ein paar hundert Meterchen hinter dem Elternhäuschen.

Hiris Schatten war so gut wie beinahe zehn Meter lang, welches gab dem Tanz eine magische Dimension. Es waren Sommerferien und Hiri war sorglos und glücklich. Vor Schulende, nach nur vier Monaten Studium auf Halbfahrt, beherrschte dieses Kind Finnisch als siebte Fremdsprache. Unglaublich.

Hiri summte ihre eigene finnische Version von dem schwedischen Kinderlied “Die kleinen Fröschlein” . Ihre etwas freie Übersetzung lautete

lyhyet jalat, pitkäät jalat, häntä pois suuret silmät, pienet korvat, mansikka-pensasaidat

Das war so etwas wie

kurze Beinchen, lange Beinchen, Schwänzchen weg große Äuglein, kleine Öhrchen, Erdbeerheck

und so weiter. Hiri spürte die Anwesenheit einer anderen Person, hörte auf zu tanzen und sah sich um. Hiri sah, daß es ihr Vater war und fragte überrascht, “was machst du denn hier?”

Calle: “Ich kam her, um mit dir zu sprechen, mein Liebling. Ich wollte von dir hören, ob du dir überlegt hast, wo wir dieses Jahr Urlaub machen sollten. Hast Du eine Idee?”

Hiri: “Ich weiß nicht, ob du das für eine gute Idee hältst, aber ich würde wirklich gerne irgendwann einmal nach Tamanrasset.”

Calle: “ Wo willst du hin?”

Hiri: “Nach Tamanrasset. In Algerien. Mitten in der Sahara. Zu den Ahoggar-Bergen.”

Calle: “Na klar, du, nach Tamanrasset. Ich werde mit Mama reden. Aber, wie weit ist es übrigens?

Ach, es war nichts.”

Calle machte sich auf die Suche nach seiner Frau. Er wußte bereits, was sie antworten würde, hielt es aber trotzdem für höflich, sie nach ihrer Meinung zu diesem Thema zu fragen. Sowohl sie als auch Calle versuchten, alle Wünsche von Hiri zu erfüllen, das heißt, soweit diese einigermaßen vernünftig und praktisch durchführbar waren. Sie machten sich Sorgen über die Möglichkeit, daß Hiri nicht mehr lange leben würde. Sofia hatte nämlich in der Frau der Welt gelesen, daß Zwerge nicht so lange leben würden.

Es war ja eine Tatsache, daß kein Mensch wußte, was das Zwergtum Hiris verursacht hatte. Wenn es sich um eine Krankheit handelte, bestand ja ein erhebliches Risiko, daß sich ihr Kind schon im Endstadium befand und Herr Tod jeden Tag an die Tür klopfen könnte.

“Ich hatte gehofft, daß unser Goldstück Barbados oder Bora-Bora oder so was Ähnliches gesagt hätte, aber Tameirasslat? Habe noch nie was davon gehört und weiß nicht einmal, wo das liegt”, seufzte Sofia. Calle antwortete lakonisch, “es ist tatsächlich beinahe so groß wie Frankfurt, meine Liebe”. Sofia erwiderte erstaunt “So groß wie Frankfurt? Das war ja eine Überraschung!” Calle antwortete, die Hände wringend, “Frankfurt an der Oder, Liebling.”

Beide Eltern hatten sich ja schon bereits entschieden und begannen sofort mit der Planung der Reise. Paßgültikeiten wurden kontrolliert, Visa wurden eingeholt und Flüge nach Gibraltar in Südspanien gebucht. Von dort dauert es nur eine halbe Stunde mit dem Auto bis zum Fährenpier in Algeciras.

Der kurze Transfer von Algeciras nach Ceuta verlief reibungslos und ohne Zwischenfälle. Es dauert nur eine Stunde mit dem Boot, um von Europa nach Afrika zu hüpfen. Im Sommer sind die Gewässer der Straße von Gibraltar meist ruhig, besonders auf der Mittelmeerseite. Es blieb viel Zeit, das marokkanische Nationalgetränk, ein Glas süßen, heißen Tee mit frischen Minzblättern, zu genießen. Die Familie Crassasius-Werdhem genoß Sonne und Tee und wurde vom warmen Wind umschmeichelt. Sie saßen nahe dem Bug auf einer einfachen Holzbank und erregten nicht viel Aufmerksamkeit.

In Gibraltar hatte Vater Carl einen Mietwagen bestellt, der geländegängig war und eine Seilwinde hatte. Diese war auf der vorderen Stoßstange festgeschweißt. Jetzt aber war er damit beschäftigt, eine große, ausgewickelte Michelin-Karte von Nordafrika zu studieren. Sie war rot und hieß “Carte a 1/4 000 000 - 1 cm pour 40 km, AFRIQUE NORD ET OUEST. Er überlegte, welche Route die beste sei, das heißt, die am wenigsten gefährliche. Durch die Sahara. Die größte Wüste der Welt, ohne Zugang zu Wasser, ohne einen Tropfen Lebenselixier, aber voll von Skorpionen und anderem Ungeziefer.

Mama Sofia hatte ein Kreuzworträtsel auf dem Schoß und kaute auf einem Bleistift. Sie murmelte “Brechungsfehler, senkrecht, dreizehn Buchstaben”, und die Antwort von Hiri, “Astigmatismus”, kam zurück so blitzschnell wie ein Pfeil von Robin Hoods Flitzebogen.

“Jösses, bist du schlau!”

“Ja, aber Mutti! Das war ja nicht schwer. Ich lese ja von solchen Dingen im Anatomieunterricht.”

“Ich weiß, aber du hast ja so blitzschnell geantwortet.”

Sofia sah immer noch nachdenklich aus und ihre weit geöffneten großen runden Augen ruhten fragend auf diesem seltsamen Kind. Sie liebte ihr Kind so sehr, daß es manchmal innerlich richtig schmerzte. Mit ihrem neuen Haarschnitt sah Hiri aus wie ein süßes kleines Mädchen, in “Ti-schört und Jihns” und mit geschminkten Lippen. Allerdings hatte Hiri keinen farbigen Lack auf den Fingernägeln, “man soll sehen können, daß sie sauber sind”.

Vor allen Dingen wollte Hiri so schnell wie möglieh nach Tamanrasset. Hiris Physiognomie nahm daher einen irritierten Ausdruck an, als Vater Calle erklärte, daß sie zuerst nach Fez fahren würden. Calle wollte zur Kasba in der Medina der Stadt. Dort war nun der heimische Markt mit seinen allerlei orientalischen Verführungen beherbergt. Dort sollte nämlich jeder seinen Schalaba, eine Art Kaftan mit Kapuze, kaufen. Laut Calle wäre dieses Kleidungsstück das “absolut Beste in der Hitze und Kälte der Wüste”.

Später würde er ein Experiment durchführen. Er wollte messen, wie hoch oder tief die Temperaturen tatsächlich sind. Es wurde gemunkelt, daß es nachtsüber sogar Frost geben könnte. Das menschliche Kälteempfinden könnte möglicherweise auf die großen Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht zurückzuführen sein. Wenn es mitten am Tag über vierzig Grad sein konnten, würden zwanzig Grad nachts wahrscheinlich als ziemlich kühl empfunden werden, überlegte er.

Um herauszufinden, wie es sich wirklich verhielt, hatte er ein spezielles Außenthermometer angeschafft. Dies war ein herkömmliches Quecksilberthermometer, das jedoch zwischen minus fünfzig und plus fünfzig Grad Celsius graduierte. Temperaturen werden herkömmlich in Grad im Schatten angegeben, aber in der Steinwüste der Sahara gab es ja so etwas gar nicht. Also stellte Calle sein Thermometer einfach direkt auf den Boden, im prallen Sonnenschein. Nach kurzer Zeit explodierte das Thermometer, und Calle notierte später in seinem Reisetagebuch “Mittagssonne, nur Untergrenze von fünfzig Grad; Thermometer kaputt, kann nachts nicht messen”. Mit anderen Worten, verblieb die Temperaturtatsache immer noch ein Geheimnis.

Hiri wies darauf hin, daß Fez eindeutig in der entgegengesetzten Richtung sei und es eindeutig ein Umweg sei, dorthin zu fahren. Außerdem wurden Touristen im Reiseführer davor gewarnt, die Kasba nur in Gruppen und dann nur mit Hilfe lokaler Führer zu betreten. Da der Kasba jede vernünftige Stadtplanung zu fehlen schien, würden sich Touristen leicht verirren und unerwünschten Unannehmlichkeiten ausgesetzt sein. Von Ausländern wurden oft Diebstahl, Raubüberfälle, ja sogar Morde, gemeldet.

Weder Sofia noch Calle waren von Hiris Angstmacher-Propaganda überzeugt. Die demokratische Familienabstimmung resultierte in ein klares Zweizu-Eins für Fez und der Kasba. Vor allem Sofia war sehr daran interessiert die Kasba zu besuchen. Sie hatte von den tollen Lederwaren gehört, die es da zu kaufen gab und wollte ein Paar Satteltaschen für ihr Motorrad erwerben. “Die sind so viel billiger als was man zu Hause für ein Paar leckere Ledersachen bezahlen muß.”

In der Kasba gab es ein Durcheinander von Ständen, Waren und ein fürchterliches Gewimmel von Menschen. Auf der anderen Seite war es doch sehr behilflich, daß die Quartiere nach ihrem Produktsortiment aufgeteilt waren. Hier wurden allerlei schöne Gefäße und Kunstwerke aus Kupfer ausgestellt, dort gab es ein Geschäft nach dem anderen mit Teppichen, dann Goldschmuck und Silberarbeiten und so weiter. Calle machte sich auf den Weg zur Schalaba-Abteilung und nach einer Weile des Suchens fand er schließlich eine Gasse mit vielen bunten marokkanischen Kleidungsstücken.

Calles Blick fiel auf einen weißen Schalaba, der an einem Kleiderbügel unter einem gestreiften Baldachin hing. Als er diesen neugierig befingerte, tauchte der Ladenbesitzer aus einer dunklen Tür auf. “Ach, nette Leite! Wollen nette Leite schehne Schalaba kaufen?” Der Ladenbesitzer wandte sich geschäftsmäßig an Calle und der antwortete mit freundlicher Miene, “wir hätten gerne drei davon, einen für unser Kind, einen für meine Frau und einen für mich.” Der Ladenbesitzer, der, wie sich bald herausstellte, Altair hieß antwortete höflich, aber bestimmt: “Ja, ja, ja! Herrrr schehn. Wirr saigen.” Er verschwand im schwarzen Loch und kehrte kurz darauf mit drei nachthemdsähnlichen Kleidungsstücke zurück. “1400 Dirham fuerr ene schehne Schalaba”, verkündete er, “ene foerr la petite, ene foerr Madame unt ene foerr si, schehne Herrr”.

Zwei Kinder, ein Mädchen und ein kleiner Junge, erschienen in der Tür und sahen abwechselnd ihren Vater und die drei Fremden neugierig an. Das Mädchen könnte fünf, der Junge vielleicht drei Jahre alt sein. Er und Hiri waren ungefähr gleich groß, oder eher, klein. Die Kinder waren von der großen Anzahl Dirhams angezogen worden, die der Vater laut und deutlich ausgerufen hatte. Somit auch die umgebenen Konkurrenten dies hören konnten.