Die Fugger - Mark Häberlein - E-Book

Die Fugger E-Book

Mark Häberlein

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Beschreibung

Wie keine andere Familie verkörpern die Fugger wirtschaftlichen Erfolg und soziale Aufstiegschancen des süddeutschen Bürgertums an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Unter der Leitung Jakob und Anton Fuggers baute die Familienfirma binnen weniger Jahrzehnte das größte europäische Handels- und Bergbauunternehmen seiner Zeit auf. Als Geldgeber des Kaisers und als Bankiers der römischen Kurie spielten die Fugger eine wichtige Rolle bei der Finanzierung der europäischen Politik. Ihr Erfolg ermöglichte ihnen den Kauf großer Landgüter in Schwaben und den Aufstieg in den Reichsadel. Als überzeugte Anhänger der alten Kirche exponierten sie sich in den konfessionellen Auseinandersetzungen der Reformationszeit. Als Stifter, Sammler und Mäzene prägten sie die Kultur der süddeutschen Renaissance.

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Inhalt

Cover

Titelei

Vorwort zur zweiten Auflage

Einleitung

1 Die Fugger im spätmittelalterlichen Augsburg

»Fucker advenit«

Aufstieg und Fall der Fugger vom Reh

Wirtschaftlicher Aufstieg und soziale Verflechtung der Fugger von der Lilie

Barchentkonjunktur und Fernhandel – der ökonomische Hintergrund

Politische Ämter und soziale Stellung

Die Anfänge Jakob Fuggers des Reichen

2 Jakob Fugger »der Reiche«: Der Aufbau eines Großunternehmens 1485 – 1525

Die Ordnung des Handels

Die Montanunternehmungen in Tirol und Ungarn

Die Geschäfte mit der römischen Kurie

Die Fugger in den Welthandelszentren der beginnenden Neuzeit

Geschäftspartner und Konkurrenten

Kontrollieren, Schenken und Verhandeln: Die »Beziehungsarbeit« Jakob Fuggers

Weichenstellungen 1519 – 1525

3 Anton Fugger, das Haus Habsburg und die europäische Weltwirtschaft 1525 – 1560

Der neue »Regierer«

Kaiser Karl V., Spanien und die Neue Welt

Ferdinand I., Tirol und Neapel

Der Ungarische Handel

Jenseits des Habsburgerreiches: Beziehungen zu europäischen Fürstenhöfen

Die niederländische Finanzkrise und die Zukunft des Handels

Ein Zeitalter der Fugger?

4 Niedergang oder Neuorientierung? Die Handelsgesellschaften der Fugger von 1560 bis 1650

Krisen und Krisenbewältigung

Die Geschäfte der Erben Anton Fuggers

Die »Georg Fuggerischen Erben«

Die Handelsgesellschaft in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts

5 Diener und Herren: Das Personal der Handelsgesellschaften

Die Angestellten: Rechtsstellung, wirtschaftliche Situation, soziale Mobilität

Exemplarische Karrieren

Matthäus Schwarz

Hans Dernschwam

Pompejus Occo

Schwierige Beziehungen: Silvester Raid und Matthäus Örtel

Handelsdiener in der Spätzeit des Unternehmens

6 Kunstpatronage, Stiftungen und Repräsentation

Die Augsburger Fuggerhäuser

Die Grabkapelle bei St. Anna

Die Fuggerei

Kunst- und Musikförderung: Christoph Amberger und Melchior Neusidler

Bibliotheken und Sammlungen

Das Ehrenbuch der Fugger

7 Die Fugger in der reichsstädtischen Gesellschaft

»Sonderstruktur« und Elitennetzwerk

Die Fugger im vorreformatorischen Augsburg

Die Fugger und die evangelische Bewegung

Der Schmalkaldische Krieg und die Verfassungsänderung von 1548

Die Fugger in der bikonfessionellen Reichsstadt

8 Zwischen Bürgertum und Adel: Investitionsstrategien, Karrieremuster und Lebensstile

Vom Stadtbürgertum zum Landadel?

Die Fugger als Grundbesitzer in Schwaben

Geistliche, Fürstendiener und Offiziere: Karrierewege im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert

Schluss

Quellen- und Literaturverzeichnis

Online-Quellen zur Geschichte der Fugger

Genealogie der Fugger

Ortsregister

Personenregister

Abbildungs- und Kartenverzeichnis

Urban-Taschenbücher

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

https://shop.kohlhammer.de/urban

Der Autor

Mark Häberlein ist Inhaber des Lehrstuhls für Neuere Geschichte unter Einbeziehung der Landesgeschichte an der Universität Bamberg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Geschichte des Fernhandels und der städtischen Eliten in der Frühen Neuzeit.

Mark Häberlein

Die Fugger

Geschichte einer Augsburger Familie

(1367 – 1650)

2., erweiterte und aktualisierte Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

Dieses Werk enthält Hinweise/Links zu externen Websites Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat und die der Haftung der jeweiligen Seitenanbieter oder -betreiber unterliegen. Zum Zeitpunkt der Verlinkung wurden die externen Websites auf mögliche Rechtsverstöße überprüft und dabei keine Rechtsverletzung festgestellt. Ohne konkrete Hinweise auf eine solche Rechtsverletzung ist eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten nicht zumutbar. Sollten jedoch Rechtsverletzungen bekannt werden, werden die betroffenen externen Links soweit möglich unverzüglich entfernt.Umschlagabbildung: Thomas Burgkmair, Bildnis Jakob Fuggers und seiner Frau Sybilla Artzt, wohl anlässlich der Hochzeit des Paares im Jahr 1498 entstanden.

2. Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-042450-0

E-Book-Formate:pdf:ISBN 978-3-17-042451-7epub:ISBN 978-3-17-042452-4

Vorwort zur zweiten Auflage

Die Erstauflage dieser Geschichte der Fugger ist 2006 erschienen; die Anregung dazu ging vom damaligen wissenschaftlichen Leiter des Fuggerarchivs, dem 2022 verstorbenen Augsburger Frühneuzeit-Historiker Johannes Burkhardt, aus. Im Jahre 2012 erschien eine aktualisierte englische Übersetzung bei University of Virginia Press. Seither wurden insbesondere zur Kulturgeschichte der Familie etliche Arbeiten publiziert, während sich die Zahl einschlägiger wirtschaftsgeschichtlicher Publikationen in Grenzen hielt. In dieser Neuauflage habe ich mich bemüht, neue Erkenntnisse der Forschung einzuarbeiten, Fehler und Ungenauigkeiten der Erstausgabe zu korrigieren sowie einzelne Aspekte klarer zu akzentuieren, ohne allerdings die aus meiner Sicht bewährte Grundstruktur des Buchs zu verändern.

Bamberg, im April 2023 Mark Häberlein

Einleitung

Der Name Fugger hat einen guten Klang. Zugreisende werden am Augsburger Bahnhof in der »Fuggerstadt« Augsburg willkommen geheißen, und Augsburg-Touristen können in der Fuggerei – der ältesten noch heute bestehenden Sozialsiedlung der Welt –, in der Fuggerkapelle der Kirche St. Anna und vor Albrecht Dürers eindrucksvollem Porträt Jakob Fuggers des Reichen in der Augsburger Staatsgalerie auf den Spuren der berühmtesten Kaufmannsfamilie der Lechstadt wandeln. Die Fugger begegnen als literarische Figuren in viel gelesenen historischen Romanen, in Fernsehdokumentationen und sogar in Video- und Kartenspielen, in denen die Spielenden durch geschickte Spekulation Reichtümer anhäufen können.

Schon seit langem ist die Geschichte dieser Familie auch Gegenstand historischer Forschung. Die Anfänge der Fuggergeschichtsschreibung liegen im 16. Jahrhundert, als das »Geheime Ehrenbuch« und die »Fuggerchronik« zum Zwecke der familiären Traditionsbildung und der Erinnerung an frühere Generationen angelegt wurden. Entscheidend für die weitere wissenschaftliche Erforschung wurde allerdings die Gründung des »Fürstlich und Gräflich Fugger'schen Familien- und Stiftungsarchivs« im Jahre 1877. Mit der Bestellung eines wissenschaftlichen Leiters (1902) und eines hauptamtlichen Archivars (1949) sowie mit einer eigenen Schriftenreihe, den »Studien zur Fuggergeschichte«, trug das Haus Fugger maßgeblich zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte bei. Die 1907 begründeten »Studien zur Fuggergeschichte« sind bis heute auf 45 Bände angewachsen.1

Die seit dem späten 19. Jahrhundert intensiv betriebene Fuggerforschung hat die faktische Kenntnis der wirtschaftlichen Unternehmungen und sozialen Stellung, der mäzenatischen Aktivitäten und des stifterischen Engagements der Familie sukzessive erweitert. Doch Forschung spiegelt stets auch die Interessen, Weltbilder und Vorannahmen der Forschenden wider. Für die Wissenschaftler, die sich zwischen den 1870er und den 1920er Jahren mit der Geschichte der Fugger beschäftigten, stand der phänomenale wirtschaftliche Aufstieg der Familie im Vordergrund. »Wie reizvoll ist es,« schrieb Max Jansen 1907, »die Entwickelung eines Geschlechtes zu verfolgen aus der Werkstatt eines Webers durch das weltumfassende Kontor zweier Kaufleute bis zum Palaste des Fürsten.«2 Richard Ehrenberg und Jakob Strieder charakterisierten das 16. Jahrhundert als eine der großen Epochen der deutschen Wirtschaftsgeschichte und sahen in den Fuggern vor allem Vorläufer der »großen Wirtschaftsführer« und »Industriekapitäne« ihrer eigenen Zeit. Im »Zeitalter des Frühkapitalismus« an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit erblickten sie die Wurzeln des industriellen Kapitalismus. »In schnellem Tempo verbreitete sich im 15. und 16. Jahrhundert der kapitalistische Geist,« schrieb Jakob Strieder 1925, »der Geist eines konsequenten, rastlosen, ungehemmten, mit keinem Erfolg zufriedenen Erwerbsstrebens über eine breitere, wirtschaftlich tätige Oberschicht des deutschen Volkes.«3 Als Exponent dieses »rastlosen, ungehemmten« Gewinnstrebens galt Jakob Fugger, in dem Strieder den Träger einer neuen, zunächst in Italien entwickelten wirtschaftsliberalen kapitalistischen Gesinnung sah. Fuggers Äußerung, er wolle »gewinnen, dieweil er könne,« wurde aus ihrem historischen Entstehungskontext (der Situation des Ungarischen Handels am Beginn der 1520er Jahre) isoliert und zum Lebensmotto eines Kaufmanns stilisiert, für den der Gelderwerb zum Selbstzweck geworden war. Bis heute ist das Bild der Fugger, insbesondere Jakobs des Reichen, stark von dieser Perspektive des Wilhelminischen Zeitalters und der Hochindustrialisierung geprägt.4 Die ebenfalls weit verbreitete Sicht der Fugger als skrupellose Großkapitalisten und politische Strippenzieher, die durch das Buch »Kauf dir einen Kaiser« des Wirtschaftsjournalisten Günter Ogger popularisiert wurde, ist im Grunde nichts anderes als die Negativfolie des Bildes von den großen Wirtschaftsführern.5

Von den 1930er bis in die 1960er Jahre hat vor allem ein Mann die Fuggerforschung geprägt: Götz Freiherr von Pölnitz, langjähriger wissenschaftlicher Leiter des Fuggerarchivs und späterer Ordinarius für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Erlangen-Nürnberg. Pölnitz' Verdienste um die Fuggerforschung sind kaum zu überschätzen: Er machte neben Jakob Fugger, dem bis dahin hauptsächlich das Augenmerk der Geschichtsschreibung galt, auch dessen Neffen und Nachfolger Anton Fugger zum Thema und arbeitete sein Leben umfassend auf. In seinen voluminösen Biographien Jakob und Anton Fuggers verwertete Pölnitz nicht nur die gesamte ältere Literatur, sondern auch archivalische Quellen aus ganz Europa, die in dieser Vollständigkeit von keinem anderen Historiker berücksichtigt wurden. Und er überwand die bis dahin dominante wirtschaftsgeschichtliche Perspektive zugunsten einer integralen Sicht auf Politik, Gesellschaft und Kultur des 16. Jahrhunderts.

Doch Pölnitz hat der Fuggerforschung nicht nur ein reiches, sondern auch ein problematisches Erbe hinterlassen. Als Wissenschaftler war er von der historistischen Tradition des 19. und frühen 20. Jahrhunderts geprägt. Ihm ging es darum, durch die Biographien großer Männer die gestaltenden Kräfte und Ideen seiner Epoche, im Falle Jakob Fuggers besonders das »zwiespältige Ringen einer zerrissenen Generation« sichtbar zu machen. Diese Zerrissenheit kam für ihn im Gegensatz zwischen Kaiser Maximilian, den er als »Träumer auf dem Kaiserthron« charakterisierte,6 und Jakob Fugger zum Ausdruck, den er als Inbegriff kaufmännischer Rationalität und Nüchternheit sah. Pölnitz porträtierte Jakob Fugger als »Kaufmann mit jeder Fiber seines Wesens«, der »erfüllt mit durchsichtig kühler Klarheit« gewesen sei und »seine Zahlen mit der gleichen Inbrunst« geliebt habe »wie andere ihre Klassiker«. Dieser Mann »wußte seine ökonomisch-politische Welt so genial zu berechnen und mit ihnen [den Zahlen] zu bauen wie irgendein echter Könner unter den großen Architekten.« »Auf rationaler Durchdringung der Welt und Meisterung ihrer Probleme aus nüchternen Einsichten beruhte« für Pölnitz »ein Gutteil dieser kaufmännischen Genialität«. Da Jakob Fugger indessen nur wenige Selbstzeugnisse hinterlassen hat, blieb Pölnitz darauf angewiesen, seinen Charakter aus verstreuten Äußerungen, bildlichen Repräsentationen und in den Quellen belegten Handlungen herauszulesen. Die moderne historische Forschung steht einer derartigen Gleichsetzung von Handlungen und Repräsentationen mit individuellen Charakterzügen und Persönlichkeitsmerkmalen sehr skeptisch gegenüber.

Aber nicht nur in methodischer Hinsicht erscheint Pölnitz' Verfahrensweise problematisch, sondern auch wegen der »nationalen« Kategorien, die ihr zugrunde liegen. Pölnitz sah in Jakob Fugger den »kühlen Geist romanischer Rationalisten« verkörpert, der »sonder [ohne] Ehrfurcht vor Tradition und Glauben in italienischen Kontoren herrschte«. In die »zarte Welt« der altdeutschen Gotik habe Fugger eine neue Geisteshaltung importiert, die sich gegen Ende seines Lebens zu einem »Geist rastlosen Wirkens und Kämpfens« radikalisiert habe. Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, den Pölnitz selbst als traumatische Lebenserfahrung schildert, hatte diese Argumentation offensichtlich eine psychologische Entlastungsfunktion.7 Dass sie letztlich mehr über den Autor verrät als über den Gegenstand seiner Biographie, bestätigt ein Blick in den Aufsatz »Fugger und Medici«, den Pölnitz 1942 in der Historischen Zeitschrift publizierte. In diesem Artikel, der auf eine Vortragsreise im faschistischen Italien zurückging, wurde die Kooperation der beiden berühmten Handelshäuser noch unverhohlen für die Traditionsbildung der damaligen Achsenmächte in Anspruch genommen.8 Erst unter dem Eindruck der militärischen Niederlage des nationalsozialistischen Deutschland gelangte Pölnitz zu einer kritischeren Einschätzung der »italienischen« Prägung Jakob Fuggers. Diesem Transformationsprozess eingehender nachzugehen, wäre eine lohnende Aufgabe.9

Und noch in einer weiteren Hinsicht hat Pölnitz der Fuggerforschung ein problematisches Erbe hinterlassen: in der Konzentration auf zwei Generationen der Familien- und Unternehmensgeschichte. Wie bereits Ehrenberg und Strieder sah Pölnitz in der Ära Jakob und Anton Fuggers die große Zeit der Familie, in der sich ihr Aufstieg in engem Zusammenhang mit dem Geldbedarf europäischer Fürsten, insbesondere der Habsburgerkaiser Maximilian I. und Karl V., vollzog. In den Nachfolgern Anton Fuggers, die sich für das Unternehmen ihrer Vorfahren nicht mehr interessiert und auf der Basis des ererbten Reichtums einen »signorilen« Lebensstil gepflegt hätten, erblickte er hingegen lediglich Epigonen »eines Geschlechts, das mehr von seinem Ruhm als für neue Taten lebte«. In Pölnitz' in den 1950er Jahren erschienener und seither mehrfach neu aufgelegter Geschichte der Fugger werden den Generationen nach Anton Fugger gerade einmal zwanzig der über 300 Textseiten eingeräumt.10 Das Desinteresse an der Geschichte der Familie im späteren 16. Jahrhundert prägt auch das Werk des Wirtschaftshistorikers Hermann Kellenbenz, der in seinen zahlreichen Arbeiten zu den spanischen Geschäften der Fugger kaum über 1560, das Todesjahr Anton Fuggers, hinausblickte.11 Dieses Defizit ist durch neuere Arbeiten bislang teilweise, jedoch keineswegs vollständig behoben worden.

In den 1960er und 70er Jahren wurde die bis dahin dominante historistische Perspektive auf große Persönlichkeiten, prägende Ereignisse und leitende Ideen zunehmend durch eine strukturgeschichtliche Betrachtungsweise ersetzt, die weniger an der Individualität von Personen und Familien interessiert war als an wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen. Auch die Fuggerforschung hat von dieser veränderten Perspektive profitiert: So untersuchte der französische Historiker Robert Mandrou die Rolle der Fugger als Grundbesitzer in Schwaben und setzte sich kritisch mit der These auseinander, die Fugger hätten sich im späten 16. Jahrhundert vom städtischen Leben abgewandt und seien im Landadel aufgegangen. Reinhard Hildebrandt ging in einer Studie zu den »Georg Fuggerischen Erben« – eines Familienzweigs, der 1578 aus der Fuggerschen Handelsgesellschaft ausgeschieden war und eine eigene Firma betrieb – der Frage nach, wie sich veränderte gesellschaftliche Leitbilder auf die unternehmerische Tätigkeit und den sozialen Status der Familie auswirkten. Katarina Sieh-Burens schließlich interpretierte in einer Untersuchung der politischen Führungsschicht der Reichsstadt Augsburg die Fugger als eigenständigen Typus einer städtischen Führungsgruppe.12

Inzwischen vermag viele Historikerinnen und Historiker jedoch weder die historistische noch die strukturgeschichtliche Perspektive völlig zu befriedigen. Zunehmend wurde die Frage laut, wie sich Individuum und Struktur, historische Persönlichkeit und langfristige Entwicklungsprozesse in Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sinnvoll aufeinander beziehen lassen. Sozialwissenschaften und Kulturanthropologie stellten dazu neue Interpretationsangebote bereit: Individuen handeln demnach nie autonom, sondern reflektieren in ihrem Handeln und Verhalten stets auch gesellschaftliche Rollenerwartungen und kulturelle Leitbilder. Dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu zufolge kommt im Habitus und in den Praktiken des Individuums zum Ausdruck, wie gesellschaftliche Strukturen und Erwartungen der Umwelt individuell angeeignet und verarbeitet werden.13

Dass eine solche Perspektive neue Sichtweisen auf die Geschichte der Fugger eröffnen kann, zeigen mehrere Dissertationen, die die Fugger weder als große Individuen noch als bloße Repräsentanten eines gesellschaftlichen Typus sehen, sondern ihre Handlungsfelder und Praktiken untersuchen. So verortet Benjamin Scheller die Stiftungen Jakob Fuggers des Reichen im Spannungsfeld von Stifterwillen, Stiftungsempfängern und den am Vollzug der Stiftungen beteiligten Personen. Gregor Rohmann demonstriert am Beispiel des »Geheimen Ehrenbuchs« der Fugger, wie die Familie ihren eigenen Aufstieg interpretierte und familiäre Traditionsbildung betrieb. Stephanie Haberer zeigt in einer Biographie Ott Heinrich Fuggers, eines Urenkels Anton Fuggers, wie dieser in unterschiedlichen Rollen – als Fürstendiener, Offizier, Leiter der Handelsgesellschaft, Grundbesitzer und Mäzen – agierte. Regina Dauser analysiert den Transfer von Gütern, Informationen und Gefälligkeiten im Korrespondenznetz Hans Fuggers im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts. Diana Egermann-Krevs legt in ihrer Studie zu Hans Fuggers Bruder Jakob – den sie zur Unterscheidung von seinem berühmten Großonkel »Jacob Fugger-Babenhausen« nennt – den Schwerpunkt auf dessen Güterverwaltung und Herrschaftspraxis. Britta Schneider analysiert familieninterne Konflikte, die sich im späten 16. Jahrhundert in einer Reihe von Prozessen vor den höchsten Reichsgerichten äußerten, und Alexander Kagerer vergleicht die Repräsentationsstrategien der Fugger mit denjenigen des Hauses Habsburg.14

Für eine Geschichte der Familie Fugger von ihrem ersten Auftreten in der Reichsstadt Augsburg im Jahre 1367 bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges, an dem mit der Auflösung der Fuggerschen Handelsgesellschaft eine wichtige Zäsur steht, ergeben sich daraus mehrere Schlussfolgerungen. Zunächst gilt es, die zeitliche und personelle Verengung auf die beiden großen Unternehmergestalten Jakob und Anton Fugger zugunsten einer stärkeren Beachtung der nachfolgenden Generationen und ihres personellen Umfelds zu überwinden. Auch die Söhne, Neffen und Enkel Anton Fuggers, die das Unternehmen unter veränderten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen fortführten, sowie die große Gruppe der Angestellten, die die personelle Infrastruktur des Handelshauses bildeten, sind dabei angemessen zu berücksichtigen. Zweitens gilt es, teleologische Sichtweisen zu vermeiden: Der Weg der Fugger führte keineswegs geradlinig vom zünftigen Weberhandwerk über Fernhandel und Unternehmertum in den Reichsadel. Bemerkenswert ist vielmehr, dass die Angehörigen der Familie im 16. und frühen 17. Jahrhundert gleichzeitig auf unterschiedlichen Handlungsfeldern agierten – im Montanhandel, in der Stadt- und Reichspolitik, im Fürstendienst, als Großgrundbesitzer, in der Kunstpatronage, in kirchlichen und militärischen Laufbahnen.

Drittens sollte eine Darstellung der Fuggergeschichte die sozialen Leitbilder beachten, die in der ständischen Gesellschaft des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit von fundamentaler Bedeutung waren und die auch den Fuggern als Richtschnur dienten. Ungehemmtes Gewinnstreben war ganz gewiss kein solches Leitbild. Vielmehr vertritt diese Darstellung die These, dass die Fugger Handel trieben, ein europäisches Großunternehmen aufbauten, Kunstwerke sammelten, Stiftungen tätigten, Grundbesitz und Adelsprivilegien erwarben, um den Nutzen und die Reputation der Familie zu mehren. In der ständischen Gesellschaft war es durchaus legitim, dass Individuen und Familien ihren Nutzen förderten – durch harte Arbeit, rechtschaffenen Handel und mit dem Segen Gottes Vermögen erwarben und an ihre Nachkommen transferierten. Im Normensystem dieser Gesellschaft blieb der Nutzen des Individuums und seiner Familie – der Eigennutz – aber stets dem Gemeinen Nutzen, also dem Wohl der Allgemeinheit untergeordnet. Den Fuggern wurde immer wieder der Vorwurf gemacht, sie würden auf Kosten des Gemeinen Nutzens Handel treiben und Reichtümer anhäufen. Umgekehrt waren die Fugger bestrebt, die Vereinbarkeit ihrer Geschäfte mit dem Gemeinwohl zu beweisen: Sie gaben dazu Gutachten bei Juristen und Theologen in Auftrag, tätigten große Stiftungen und unterstützten Künstler und Gelehrte.

Wie der Gemeine Nutzen war die Ehre ein grundlegender Wert in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesellschaft. Personen wurde entsprechend ihrem Stand, Geschlecht, Vermögen, Bildung und Charakter ein bestimmtes Maß an Ehre – ein Ehrvermögen – zugeschrieben. Die Reputation von Familien, Gruppen, Korporationen und Gemeinwesen bemaß sich nach derjenigen ihrer Mitglieder. Die Zuschreibung von Ehre war jedoch nicht unveränderlich: Vielmehr konnte Ehrvermögen durch steigenden Wohlstand, kirchliches und soziales Engagement, Repräsentation und politische Ämter gemehrt werden oder durch geschäftliches Scheitern, nonkonformes Verhalten und persönliche Fehltritte verloren gehen. Ehre war in dieser Gesellschaft ein Feld fortwährender Rangkonflikte und Auseinandersetzungen.15 Gerade am Beispiel der Fugger lässt sich zeigen, wie Ansehen und Reputation der Familie auf unterschiedlichen Handlungsfeldern erworben, gemehrt und gefestigt werden konnte. Nimmt man diese handlungsleitenden Normen und Werte ernst, dann lassen sich die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aktivitäten der Fugger besser verstehen, als wenn moderne Vorstellungen von kapitalistischen Unternehmern und sozialen Aufsteigern auf sie projiziert werden. Dass dennoch jede historische Darstellung die persönlichen Standpunkte des Autors und seine Wahrnehmung der eigenen Zeit widerspiegelt, dessen ist sich der Verfasser bewusst.

Endnoten

1Karg, Herstellung einer Geschichte.

2Jansen, Anfänge, S. 7.

3Strieder, Jakob Fugger, S. VII f., 2 f., 29, 41.

4Strieder, Jakob Fugger, S. 15 – 17; vgl. Pölnitz, Jakob Fugger, Bd. 1, S. 465, 476 f.; Wurm, Johannes Eck, S. 42; Böhm, Reichsstadt Augsburg, S. 106; Roeck, Geschichte Augsburgs, S. 100.

5Ogger, Kauf' dir einen Kaiser.

6Pölnitz, Jakob Fugger, Bd. 1, S. 231, 266.

7Pölnitz, Jakob Fugger, Bd. 1, S. 81, 131, 477.

8Pölnitz, Fugger und Medici. Vgl. besonders den letzten Absatz (S. 23)!

9Vgl. dazu Häberlein, Die Fugger: Konkurrenten der Hanse im Ostseeraum?, S. 49 – 54.

10Pölnitz, Die Fugger, Zitat S. 310.

11Vgl. vor allem Kellenbenz, Fugger in Spanien.

12Mandrou, Fugger; Hildebrandt, Georg Fuggerische Erben; Sieh-Burens, Oligarchie.

13Bourdieu, Die feinen Unterschiede; ders., Kapital.

14Scheller, Memoria; Rohmann, Ehrenbuch; Haberer, Ott Heinrich Fugger; Dauser, Informationskultur; Egermann-Krebs, Jacob Fugger-Babenhausen; Schneider, Fugger contra Fugger; Kagerer, Macht und Medien.

15Grundlegend: Dinges, Ehre; speziell für die Fuggerforschung: Rohmann, Ehrenbuch.

1 Die Fugger im spätmittelalterlichen Augsburg

»Fucker advenit«

Im Jahre 1367 wurde im Augsburger Steuerbuch die Ankunft des Webers Hans Fugger vermerkt. Der Zuwanderer zahlte eine Vermögenssteuer von 44 Pfennigen, die auf ein nicht geringes Vermögen von 22 Pfund schließen lässt. Hans Fugger wohnte zunächst zur Miete in einem Haus nahe der Heilig-Kreuz-Kirche, konnte dieses aber bis spätestens 1378 käuflich erwerben. Ein Jahr nach Hans ist im Augsburger Achtbuch sein Bruder Ulin (Ulrich) Fugger als Knecht eines Webers erwähnt. Seit 1382 bewohnte auch Ulin ein eigenes Haus. Der im16. Jahrhundert verfassten Familienchronik der Fugger zufolge stammten die Brüder aus Graben, einem Dorf auf dem südlich der Reichsstadt gelegenen Lechfeld,16 während noch unpublizierte Forschungen ihre Herkunft aus dem Raum Jettingen-Scheppach im heutigen Landkreis Günzburg vermuten.17 Nachdem Ulin 1394 einem Totschlag zum Opfer gefallen war, lassen sich seine Nachkommen noch etwa 50 Jahre lang in Augsburg nachweisen, ehe sich ihre Spuren verlieren. Es sind die Nachkommen Hans Fuggers, die auf Dauer eine wichtige Rolle in der Reichsstadt spielen sollten.18

Der erste Eintrag im Steuerbuch – »Fucker advenit« – markiert den Beginn der Geschichte der Familie in der Lechmetropole, und die Geschichtsschreibung hat deren »Stammvater« Hans Fugger zu einer geradezu mythischen Figur verklärt, die die Geschicke der Familie in neue Bahnen gelenkt habe. Tatsächlich war der Umzug vom Land in die Stadt nichts Ungewöhnliches, denn Textilgewerbe und Fernhandel Augsburgs befanden sich damals im Aufschwung, und die günstige konjunkturelle Entwicklung zog zahlreiche Landweber an. Bereits das Augsburger Stadtrecht von 1276 belegt eine exportorientierte Leinwandproduktion, die das Umland mit einbezogen haben dürfte, und die um 1300 errichtete städtische Leinwandschau diente auch der Qualitätskontrolle von Tuchen, die vom Land geliefert wurden.19

Abb. 1:»Fucker advenit«: Erwähnung der Niederlassung des Webers Hans Fugger im Steuerbuch von 1367.

Wichtige Anhaltspunkte für Hans Fuggers weiteren Lebensweg bietet die familiäre Überlieferung, insbesondere das Ehrenbuch, das der Augsburger Ratsdiener Clemens Jäger in den 1540er Jahren im Auftrag Hans Jakob Fuggers anfertigte, und die Fuggerchronik aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Demnach heiratete er 1370 Klara Widolf, möglicherweise eine Tochter des Oswald Widolf, der 1371 Zunftmeister der Weber wurde, und hatte mit ihr zwei Töchter. Spätestens mit dieser Heirat dürfte er das Augsburger Bürgerrecht erworben haben. Archivalisch gesichert ist, dass er 1380 mit der Webertochter Elisabeth Gefattermann verheiratet war. Sein Schwiegervater wurde 1386 Zunftmeister der Weber und Hans Fugger im selben Jahr zum Zwölfer der Zunft, also in deren erweiterten Vorstand, gewählt. Er gehörte damit auch dem Großen Rat der Reichsstadt Augsburg an. Steigendes soziales Ansehen dokumentiert auch die 1389 belegte Übernahme der Vormundschaft für die Kinder des Kaufmanns Konrad Meuting. Im Januar 1397 kauften Hans und Elisabeth Fugger von Heinrich Grau und dessen Ehefrau für den stattlichen Betrag von 500 ungarischen Gulden ein Haus im zentral gelegenen Augsburger Steuerbezirk »vom Ror«. Einige Jahre später erwarben die Eheleute auch ländlichen Grundbesitz: 1403 gaben sie 200 Gulden für einen Hof und eine halbe Hufe im westlich von Augsburg gelegenen Dorf Scheppach aus, und zwei Jahre später kauften sie für 240 Gulden einen Hof, vier Sölden und ein Grundstück im Dorf Burtenbach. Auch das Haus des verstorbenen Bruders Ulin in der Augsburger Klebsattlergasse ging offenbar an Hans über.20

Die seit 1389 nahezu lückenlos überlieferten Augsburger Steuerbücher, die eine herausragende Quelle zur städtischen Sozialgeschichte darstellen, erlauben es, die Entwicklung von Hans Fuggers Vermögen genauer zu verfolgen. Spätmittelalterliche Steuerbücher sind schwer zu interpretieren, doch dank der mühevollen Rekonstruktionsarbeit von Sozialhistorikern wissen wir, wie sie funktionierten. Grundsätzlich hatte jeder Augsburger Bürger sein Vermögen zu deklarieren, wobei das Steuersystem zwischen »liegend gut« – Haus- und Grundbesitz sowie Ewigrenten und Leibgedingen – und »fahrend gut« – der beweglichen Habe außer den Dingen des täglichen Gebrauchs, die steuerfrei waren – unterschied. »Liegend gut« wurde nur halb so hoch belastet wie bewegliche Habe. Bürger, die über kein nennenswertes Vermögen verfügten – in spätmittelalterlichen Städten stets eine große Gruppe –, zahlten die sogenannte »Habnit«-Steuer. Der Steuerfuß wurde jedes Jahr vom Großen Rat der Stadt festgelegt und schwankte vor 1472 meist zwischen 1/60 und 1/240 des deklarierten Vermögens, danach zwischen einem halben und einem Prozent. Die Bürger mussten ihr Vermögen allerdings nicht jedes Jahr neu deklarieren, sondern nur alle drei bis sieben Jahre, in den sogenannten Schwörsteuerjahren. Geschäftliche Erfolge von Kaufleuten äußern sich daher nicht in einem allmählichen Anstieg der Steuersumme, sondern in kräftigen »Sprüngen« von einem Schwörsteuerjahr zum nächsten. Da die Steuerbücher die Zahlungen lediglich summarisch vermerken, liegende und fahrende Habe aber unterschiedlich veranlagt wurden, lässt sich das Vermögen nur ungefähr eingrenzen, doch hat die Forschung herausgefunden, dass die Augsburger Steuermeister aus dem fahrenden Gut und dem halben Wert der Liegenschaften eine Rechengröße, das »Anschlagvermögen«, ermittelten. Dieses Anschlagvermögen bildet den wichtigsten Indikator für die Rekonstruktion des wirtschaftlichen Aufstiegs der Fugger.21 Die Steuerbücher wurden übrigens bereits um die Mitte des 16. Jahrhunderts von Clemens Jäger als Quelle herangezogen, als er das Ehrenbuch der Fugger erstellte: »Vnd wirt jnn alten Steurbuechern warhaft Zu vilmalen befunden,« schrieb Jäger über den Zuwanderer Hans Fugger, »das er vber Dreitausent guldin, welchs dann derselben zeit, für ein gar grosse hab geschetzt worden, reich gewesen ist.«22

Die Ergebnisse der modernen Forschung kommen der Angabe Jägers recht nahe. Sie zeigen, dass Hans Fugger weniger als drei Jahrzehnte nach seinem ersten Auftreten in Augsburg sein Startkapital beträchtlich vermehrt hatte. Dem Steuerbuch von 1396 zufolge lag sein Anschlagvermögen damals bei 1806 Gulden; er rangierte damit in der Hierarchie der städtischen Steuerzahler an 40. Stelle. Von der reichsten Augsburgerin, der Witwe Dachs, die über 20 000 Gulden versteuerte, trennten ihn zwar noch Welten, doch gehörte der zugewanderte Weber bereits zum reichsten Prozent der Augsburger und konnte sich finanziell mit Angehörigen alteingesessener Patrizierfamilien messen.23

Wie kam Hans Fugger zu diesem Vermögen? Der Nationalökonom Werner Sombart vertrat vor über einem Jahrhundert die Ansicht, er sei bereits mit einem »beträchtlichen Vermögen« vom Lande in die Stadt gekommen. Der Wirtschaftshistoriker Jakob Strieder widersprach ihm jedoch: Seiner Meinung nach hatte Hans Fuggers Vermögen erst in Augsburg »eine ganz eminente Steigerung erfahren«, und dieser Zuwachs konnte nur auf erfolgreichen Handel zurückzuführen sein.24 Wir verfügen zwar über keine Belege für Aktivitäten Hans Fuggers im Fernhandel, doch erscheint es ausgeschlossen, dass er sein Vermögen am eigenen Webstuhl verdiente. In den folgenden Jahren bis zu seinem Tod (1408/9) entwickelte sich Hans Fuggers Anschlagvermögen hingegen eher unspektakulär: Es sank bis 1399 auf 1560 Gulden und stieg bis 1408 wieder auf 2020 Gulden an.25

Nach 1408 entrichtete Hans Fuggers Witwe Elisabeth die Vermögenssteuern. Elisabeth, so heißt es in der älteren Literatur, »hielt bis 1436 das Vermögen, also das Geschäft zusammen«.26 Dies ist allerdings eine starke Untertreibung, denn die Steuerbücher belegen, dass ihr Anschlagvermögen von einem Schwörsteuerjahr zum nächsten kontinuierlich wuchs. Bis 1434 hatte Elisabeth das Vermögen ihres verstorbenen Mannes mehr als verdoppelt und stand mit 4980 Gulden an 27. Stelle der Augsburger Vermögenshierarchie.27 Auch wenn konkrete Nachrichten über ihre wirtschaftlichen Aktivitäten fehlen und die erwachsenen Söhne Andreas (Endres) und Jakob, die im Steuerbuch von 1434 zusammen mit der Mutter veranschlagt wurden, ihr tatkräftig zur Seite standen, muss HansFuggers Witwe eine geschäftstüchtige Frau gewesen sein. Sie steht damit beispielhaft für ein häufig zu beobachtendes Phänomen: Im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Handel standen auch Frauen ihren Mann.28

1441, im ersten Schwörsteuerjahr nach dem Tod der Mutter, versteuerten die Brüder Andreas und Jakob, die zunächst bei Goldschmieden in die Lehre gegangen waren, zusammen ein Vermögen von 7260 Gulden. Die gemeinsame Veranlagung ist ein sicheres Zeichen dafür, dass die Brüder geschäftlich zusammenarbeiteten. Da die Steuerbücher wiederholt Jakobs Abwesenheit verzeichnen, ist außerdem zu vermuten, dass er Geschäftsreisen unternahm. Auf den Fernhandel der Brüder weist auch der Umstand hin, dass sie zu einer Gruppe von Kaufleuten gehörten, die der Rat im Jahre 1442 verwarnte, weil sie eine durch das Territorium Herzog Ottos von Bayern führende Straße umgangen und dadurch keinen Zoll entrichtet hatten. Ihre Vermögensentwicklung zeigt überdies, dass die Geschäfte gut liefen. Im Jahre 1448 verfügten die Brüder mit 10 800 Gulden bereits über das fünftgrößte Vermögen der Reichsstadt. Nur der mächtige Peter von Argon, die Erben Hans Meutings sowie die Witwen Hans Laugingers und Ulrich Meutings waren ihnen damals an Kapitalkraft überlegen.29 Doch dann trennten sich die geschäftlichen Wege der Brüder. Im Steuerbuch von 1455 sind sie erstmals separat veranlagt: Andreas mit 4440 und Jakob mit 5697 Gulden. Auf diese Trennung gehen die beiden Linien der »Fugger vom Reh« – nach einem der Überlieferung zufolge 1462 verliehenen Wappenbrief – und der »Fugger von der Lilie« zurück.30

Aufstieg und Fall der Fugger vom Reh

Andreas Fugger starb bereits 1457, und seine Witwe Barbara, eine Tochter des Kaufmanns Ulrich Stammler, konnte das Vermögen im folgenden Jahrzehnt erhalten, wenn auch nicht vermehren.31 Möglicherweise beteiligte sie sich an der Handelsgesellschaft ihres Schwiegersohns Thoman Grander, für die auch ihr Sohn Lukas gearbeitet haben könnte. Darauf deutet der Umstand hin, dass Lukas Fugger erstmals 1469, kurz nach dem Tod des Schwagers, als selbstständiger Kaufmann belegt ist. Vielleicht war es sogar Lukas Fugger, der die Grander-Gesellschaft weiterführte. Der erwähnte Thoman Grander hatte seine Laufbahn als Faktor (Angestellter) der Meuting-Gesellschaft begonnen und war 1449 durch Heirat mit einer Tochter Hans Meutings des Jüngeren Mitglied der Augsburger Kaufleutezunft geworden. Nach dem Tod seiner ersten Frau hatte er 1453/54 Andreas Fuggers Tochter Barbara geheiratet. Um 1460 ist eine Niederlassung Thoman Granders in Nürnberg belegt. Dem Fuggerschen Ehrenbuch zufolge war er »ein gwaltiger Kaufman zu Augspurg.«32 Granders Schwager und mutmaßlicher Nachfolger Lukas Fugger erscheint erstmals 1472 mit einem Anschlagvermögen von 2588 Gulden als selbstständiger Steuerzahler im Augsburger Steuerbuch. In den folgenden beiden Jahrzehnten nahm sein Vermögen stetig zu und belief sich 1492 auf 17 200 Gulden.33

In Lukas Fuggers wachsendem Vermögen spiegelt sich der Erfolg seiner Handelsgesellschaft wider, deren Teilhaber seine jüngeren Brüder Matthäus, Hans und Jakob waren. Dem Ehrenbuch der Fugger zufolge führte er einen »gewaltigen handel mit Specerien, Seiden, vnd wullin gewand«.34 Die Grundlage dieses Handels bildete das Textilgeschäft. In den Augsburger Stadtgerichtsbüchern sind zahlreiche Klagen verzeichnet, die seine Vertreter gegen Weber führten, die Baumwolle oder Wolle erhalten hatten und mit der Lieferung der fertigen Tücher in Verzug waren. Große Bedeutung hatten ferner die Geschäftsbeziehungen nach Italien: Für den Handel mit Mailand, einem Produktions- und Handelszentrum für hochwertige Stoffe und andere Luxuswaren, erhielten Lukas und Matthäus Fugger 1475 einen Geleitbrief des Herzogs. In Venedig, dem wichtigsten Einkaufsort für Baumwolle aus dem östlichen Mittelmeerraum, waren die Söhne seines Onkels Jakob Fugger zeitweilig für Lukas Fugger und seine Gesellschaft tätig. Max Jansen zufolge herrschte zwischen Lukas Fugger und seinen Brüdern »eine Art Arbeitsteilung«, bei der Lukas in der Augsburger Zentrale »die Fäden zusammenhielt«, Matthäus für die Beziehungen nach Mailand zuständig war, Markus die Verbindung nach Venedig pflegte und Hans auf der Achse Nürnberg – Frankfurt an der Oder tätig war. Die Interessen des Handelshauses in den Niederlanden wurden von Lukas Fuggers Schwiegersohn Christoph Müller wahrgenommen.35 Hans Fugger siedelte 1481 nach Nürnberg über und erwarb dort 1484 ein Haus. Im folgenden Jahr lieh er – wahrscheinlich im Auftrag der Handelsgesellschaft – einem Rat Erzherzog Sigismunds von Tirol 8000 rheinische Gulden und erhielt dafür eine Anweisung auf Tiroler Silber. Geschäftliche Verbindungen nach Frankfurt an der Oder sind für das Jahr 1486 belegt. Die Klage eines »Thomann Tonnstedt von Lunden uss Engelland« gegen Lukas Fugger, die 1495 im Augsburger Stadtgerichtsbuch verzeichnet ist, unterstreicht die Reichweite der Geschäftsbeziehungen.36

Das Rückgrat dieser weiträumigen Handelsbeziehungen bildeten familiäre und verwandtschaftliche Verbindungen. So arbeitete Lukas Fugger auch mit seinem Schwager Gastel Haug, einem reichen Augsburger Kaufmann, eng zusammen. Im Jahre 1484 stellten sich die beiden gegenseitig Generalvollmachten »von ihrer Gesellschaft wegen« aus. Enge Beziehungen bestanden ferner zu den Gebrüdern Stammler, die ebenfalls zum engeren verwandtschaftlichen Umfeld gehörten.37 Im Jahre 1490 wurde im Valsugana im Trentino ein Warentransport von Lukas Fugger, Ulrich Stammler, dem Augsburger Balthasar Wolf und einem Kölner Kaufmann beraubt.38 Bei der Aufnahme von Fremdkapital zur Finanzierung der Geschäfte waren verwandtschaftliche Beziehungen ebenfalls von Vorteil. Lukas Fugger und Gastel Haug legten 2705 Gulden, die sie seit 1488 als Vormünder der Kinder des reichen Patriziers Bernhard Rehlinger verwalteten, in Lukas Fuggers Handelsgesellschaft an.39

Neben den Warenhandel trat in den 1480er Jahren das Finanzgeschäft. 1482 transferierte Lukas Fugger im Auftrag der Stadt Augsburg 1000 Dukaten nach Venedig, und für die Jahre 1484/85 sind Überweisungen nach Rom belegt, die Lukas Fugger während eines Rechtsstreits der Stadt Augsburg mit dem dortigen Domkapitel tätigte. Seit Ende der 1480er Jahre rückten dann die Niederlande, wo König Maximilian um das burgundische Erbe seiner ersten Frau kämpfte, in den Mittelpunkt der Finanzgeschäfte der Fugger vom Reh. Lukas Fuggers Gesellschaft transferierte Gelder, die für die Bezahlung der Söldner Maximilians bestimmt waren, und übermittelte 1489 für den König 6700 Gulden von Antwerpen nach Innsbruck. Im Kontext der Auseinandersetzungen um das burgundische Erbe stand auch ein Darlehen über 9600 Goldgulden, für das die Stadt Löwen in Brabant die Garantie übernahm. Dieses Darlehen wurde Lukas Fugger zum Verhängnis, weil die Stadt ihm die Rückzahlung verweigerte. Die Fugger vom Reh strengten vor dem Rat von Brabant, später auch am Reichskammergericht einen Prozess gegen die Stadt Löwen an. Obwohl ihnen letzteres Gericht 1497 Recht gab, erfolgte weiterhin keine Zahlung. Selbst die Erklärung der Reichsacht über Löwen im Jahre 1499 blieb ohne Wirkung. 1504 schlug König Maximilian den Prozess schließlich nieder, doch zu diesem Zeitpunkt waren die Fugger vom Reh bereits bankrott.40

Aufgrund massiver Zahlungsschwierigkeiten setzte sich Lukas Fuggers Sohn Markus 1494 aus Venedig ab. Nachdem 25 der 30 venezianischen Gläubiger Bereitschaft signalisiert hatten, mit ihren Schuldnern zu verhandeln, erhielten Lukas und Markus Fugger für drei Monate freies Geleit zugesichert, d. h. sie durften mit ihren Gläubigern verhandeln, ohne befürchten zu müssen, in Schuldhaft genommen zu werden. Das Geleit wurde 1497/98 erneuert, und es gelang Lukas und Markus Fugger, einen Vergleich mit ihren Gläubigern zu schließen. Auch in Augsburg, wo sich ihre Schwäger Andreas Lang und Georg Mülich als Vermittler betätigten, standen die Chancen für einen Ausgleich zunächst nicht schlecht. Die Lage spitzte sich jedoch zu, als auch das Handelshaus von Martin Winter und Gotthard Stammler den Offenbarungseid leisten musste, denn Lukas Fugger schuldete diesem noch Geld und hatte nun auch dessen Gläubiger am Hals. Im Jahre 1501 eskalierten die Auseinandersetzungen: Der Nürnberger Christoph Scheurl forderte den Augsburger Rat auf, das Vermögen der Fugger vom Reh zu beschlagnahmen, und Georg Mülich bedrohte Lukas Fugger auf dem Heimweg vom Augsburger Perlach mit einem Messer und beschimpfte ihn als »besswicht« (Bösewicht), dem er am liebsten »den kopf abhauen« würde. Nun machten auch Familienmitglieder und nahe Verwandte ihre Forderungen geltend. Die Kinder Lukas Fuggers aus seiner ersten Ehe forderten die Auszahlung ihres Erbes, und seine zweite Frau Klara Konzelmann hatte laut ihrem Heiratsbrief Anspruch auf 1500 Gulden, die Lukas Fugger als Widerlegung und Morgengabe in die Ehe eingebracht hatte. Auch die Witwe Matthäus Fuggers, Helena Mülich, ließ durch ihren Bruder ihre Forderungen vortragen. Von seinen Gläubigern bedrängt, zog sich Lukas Fugger aus Augsburg zurück. Im Jahre 1504 erlangte eine Gruppe von Gläubigern, zu der die Brüder Bernhard, Hans und Christoph Rehlinger gehörten, die Rechte am Vermögen des Bankrotteurs. Sein Vetter Jakob Fugger, inzwischen zum reichsten Mann Augsburgs aufgestiegen, übernahm 1511/12 Lukas Fuggers Güter in Graben und Burtenbach und zahlte dafür dessen Kindern ihr Erbe aus. Kurz darauf starb Lukas.41

Für einen Kaufmann des 15. und 16. Jahrhunderts hatte ein Bankrott nicht nur wirtschaftliche Folgen, sondern auch soziale Konsequenzen: Er führte zum Entzug der Stubenfähigkeit, also des Zugangsrechts zur sozial exklusiven Kaufleute- bzw. Herrentrinkstube, und damit zu einem erheblichen Ansehensverlust. Bankrotteure wie Lukas Fugger hatten »glaub‍[e]‌n vnd vertrawung« verwirkt, sie genossen also bei anderen Kaufleuten keinen Kredit mehr und konnten daher nur schwer wieder im Handel Fuß fassen. Als selbstständige Kaufleute spielten die Fugger vom Reh nach Lukas' Konkurs in Augsburg keine Rolle mehr. Sie arbeiteten fortan als Handwerker oder waren als Handelsdiener für ihre reichen Vettern tätig. Schließlich warf ein Bankrott auch einen Schatten auf den Familiennamen. Dies zeigt noch das um die Mitte des 16. Jahrhunderts verfasste Ehrenbuch der Fugger von der Lilie, das den Konkurs der verarmten Vettern zu rechtfertigen versuchte. Lukas Fugger, heißt es dort, sei ein »gar Schwerer vnfall« zugestoßen, als die Stadt Löwen die Rückzahlung des Darlehens verweigerte. Außerdem hätten ihm etliche Personen »zu vast [fest] zugesetzt, vnd nach seinem verderben getrachtet«,42 und sein Sohn und Mitarbeiter Matthäus sei im Gardasee ertrunken. Diese Rechtfertigung ist deshalb relevant, weil in Bankrottverfahren sorgfältig zwischen unverschuldeten Konkursen, die auf Unglücksfälle und Missgeschicke zurückzuführen waren, und selbstverschuldeten, vielleicht sogar betrügerischen Fallimenten unterschieden wurde.43 Während es Lukas Fugger in Schutz nahm, unterstellte das Fuggersche Ehrenbuch seinem Bruder Matthäus, er sei »ein hinlessiger kaufman gewesen«, der wegen seiner Nachlässigkeit »Jm handel verarmet« sei.44

Darüber hinaus ist vermutet worden, dass »sich die Fugger vom Reh in allzu gewagte Unternehmungen« eingelassen hätten und Lukas, der auch zahlreiche städtische Ämter bekleidete, möglicherweise »den Überblick« über seine Geschäfte verloren habe.45 Wir werden jedoch später sehen, dass auch seine Vettern, die Fugger von der Lilie, hohe Risiken eingingen. Eine entscheidende Schwachstelle der Gesellschaft Lukas Fuggers scheint allerdings das Verhältnis von Eigenkapital und Fremdkapital gewesen zu sein. Die Expansion seiner Geschäfte wurde offenbar vor allem mit Depositen finanziert, die wohlhabende Augsburger und Nürnberger Bürger gegen feste Verzinsung in seiner Handelsgesellschaft angelegt hatten. In der 1494 einsetzenden Krise seiner Firma gelang es Lukas Fugger offenbar nicht, die Gläubiger zu überzeugen, still zu halten und abzuwarten, bis sich seine Lage wieder verbesserte. Mit ähnlichen Problemen waren in der Blütezeit der Augsburger Wirtschaft im 16. Jahrhundert zahlreiche Handelshäuser konfrontiert.46

Wirtschaftlicher Aufstieg und soziale Verflechtung der Fugger von der Lilie

Der ältere Jakob Fugger, auf den die Linie der Fugger von der Lilie zurückgeht, hatte 1441 Barbara Bäsinger, eine Tochter des Goldschmieds und Münzmeisters Franz Bäsinger, geheiratet. Bäsinger war durch Fernhandel und Münzprägung zu einem der reichsten Einwohner Augsburgs aufgestiegen, hatte dabei aber auch hohe Schulden gemacht; der Chronist Burkhard Zink spricht von 24 000 Gulden. Im Jahre 1444 musste er seine Zahlungen einstellen und löste dadurch dem Chronisten zufolge »ain groß geschrei und murmelen« in der Stadt aus. Obwohl sich Bäsinger beim Kaiser um einen Zahlungsaufschub bemühte, wurde er vom Augsburger Rat inhaftiert – der erste dokumentierte Bankrott im Umfeld der Fugger! Ein Teil seiner Schulden wurde Bäsinger allerdings erlassen, und für die Bezahlung der Restsumme verbürgte sich eine Gruppe von Verwandten, zu der offenbar auch Jakob Fugger gehörte. Der ehemalige Münzmeister ging später nach Schwaz in Tirol; über einen Zusammenhang dieses Umzugs mit dem späteren Engagement der Fugger im Tiroler Montangeschäft ist öfters spekuliert worden, aber sichere Belege dafür fehlen.47

Für die Rekonstruktion von Jakob Fuggers Karriere sind wir einerseits wieder auf die Daten der Augsburger Steuerbücher, andererseits auf einige Sätze im Ehrenbuch der Familie angewiesen. Dem Ehrenbuch zufolge war er ein »Reicher vnd wolhabender Herr, vnd ein Vorgeer der Erbern Zunft von Webern, dartzu auch ein handelsman.« Es gäbe »etliche Historien, wie es Jm durch Kriegsleufft Jnn dem Kaufmanshandel ergangen, zumelden«, doch diese »Historien« wurden leider nicht aufgeschrieben. Dafür wird in knappen Strichen ein allgemeines Charakterbild des Mannes gezeichnet: »aufrecht, redlich, gegen den guten milt vnnd freuntlich, Aber den Jhenigen, so die billichait gehasset, vnd hochmut gegen Jme geubet, seer hert vnd streng ist Er gewesen«. Außerdem habe er »die fuggerischen Gueter wol beyeinander gehalten«.48

Die Steuerbücher ermöglichen es, dieses Bild zu präzisieren. Vor allem zeigen sie, dass nicht nur Jakob, sondern auch seine Witwe den Besitz der Familie »wol beyeinander gehalten« und sogar beträchtlich vermehrt haben. Zwischen 1472 und 1486 verdoppelte sich ihr versteuertes Anschlagvermögen von 6471 auf 13 200 Gulden, und bei ihrem Tod im Jahre 1497 hinterließ Barbara Bäsinger ein Vermögen von 23 293 Gulden.49

Im Steuerbuch von 1480 erscheint auch Ulrich Fugger, der 1441 geborene älteste Sohn Jakobs und der Barbara Bäsinger, mit einem Anschlagvermögen von 5067 Gulden; sechs Jahre später hatte sich dieses auf 9300 Gulden erhöht. Im Jahr 1492 begegnen dann die drei Brüder Ulrich, Georg und Jakob Fugger im Steuerbuch, wobei Ulrich 16 971 Gulden, Georg 13 971 und Jakob 11 971 Gulden versteuerten.50 Diese Angaben machen zweierlei deutlich: Zum einen zeigen sie, dass der Zweig der Fugger von der Lilie bereits vor dem Bankrott Lukas Fuggers über ein größeres Vermögen verfügte als die Fugger vom Reh. Die Behauptung im Ehrenbuch, dass Lukas und seine Brüder »als die Reichisten fugger von menigclich beschrait vnd beruft gewesen sein«, ist also nicht für bare Münze zu nehmen.51 Zum anderen zeigen die Steuerbücher, dass die Witwe des älteren Jakob auch dann noch die Kontrolle über einen Großteil des Familienvermögens behielt, als ihre Söhne längst erwachsen waren. Die Söhne haben zweifellos bei der Fortführung des Handelsgeschäfts mitgeholfen. So erhielt Ulrich der familiären Überlieferung zufolge während des Aufenthalts von Kaiser Friedrich III. in Augsburg im Jahre 1473 das Wappen mit der Lilie verliehen, nachdem er dessen Gefolge mit Tuch und Seidenstoffen ausgestattet hatte. Außerdem traten die Brüder der Kaufleutezunft bei und erwarben Immobilienbesitz. Ulrich und Jakob kauften 1488 für 2032 Gulden ein Haus am Augsburger Rindermarkt.52 Die vollständige Verfügungsgewalt über das Familienvermögen erlangten sie jedoch erst nach dem Tod der Mutter im Jahre 1497. Die wichtige Rolle Barbara Bäsingers wird im Ehrenbuch aus den 1540er Jahren jedoch – wahrscheinlich bewusst – verschwiegen. Da die Frauen der Fugger im 16. Jahrhundert aus der Leitung der Handelsgesellschaft ausgeschlossen waren, hatten geschäftstüchtige Frauen auch in der familiären Erinnerung keinen Platz mehr.53

Die Fugger von der Lilie betätigten sich zunächst im klassischen Warenhandel. Im Entwurf zum Ehrenbuch heißt es, Ulrich Fugger habe »sich mit seinen Bruedern Jn ein geselschafft, den handel zufieren, zusamen gethon, Vnd fiengent an mit Seidin, Specerey, vnd wullin gewand zu handlen, welches der Zeit der gröst handel gewesen« sei. Wie sein Vetter Lukas brachte auch Ulrich Fugger in den 1480er Jahren vor dem Augsburger Stadtgericht mehrfach Klagen gegen Weber vor, die Barchenttuche, ein Mischgewebe aus einheimischem Leinengarn und importierter Baumwolle, nicht vereinbarungsgemäß geliefert hatten.54 Und ähnlich wie bei Lukas Fugger und seinen Brüdern ist auch in der Handelsgesellschaft der Fugger von der Lilie eine innerfamiliäre Arbeitsteilung zu beobachten. Während Ulrich Fugger in Augsburg die Geschäfte koordinierte, kümmerte sich sein Bruder Georg von Nürnberg aus um die Handelsbeziehungen im mittel- und ostdeutschen Raum. Bis 1486 arbeiteten die Brüder eng mit dem Nürnberger Kaufmann Hans Kramer zusammen; 1493 kauften die Fugger in Nürnberg ein eigenes Haus. Die Achse Augsburg – Innsbruck – Venedig hingegen war das Ressort Jakob Fuggers. Im Jahre 1484 wurde der Gesellschaft die Kammer der Stadt Judenburg (Steiermark) im Haus der deutschen Kaufleute in Venedig, dem Fondaco dei Tedeschi, übertragen, und 1490 erlangten die Brüder einen Geleitbrief für den Handel mit Mailand.55 Aus den frühen 1490er Jahren sind mehrere Handelsdiener namentlich bekannt: Hans Suiter und Konrad Meuting vertraten die Fugger in Tirol, Hans Mairhofer in Salzburg, Wolfgang Hofmann in Nürnberg, Sebastian Rem und Hans Keller in Venedig, Onophrius Varnbühl in Antwerpen, Otto Russwurm und Hans Metzler in Breslau.56

Neben dem Warenhandel spielten Geldgeschäfte eine zunehmend wichtige Rolle. Für das Jahr 1476 ist eine erste Überweisung von 706 Gulden an die römische Kurie belegt.57 Die Anknüpfung geschäftlicher Verbindungen nach Rom wurde vor allem dadurch begünstigt, dass Marx Fugger, ein 1448 geborener Bruder von Ulrich, Georg und Jakob Fugger, seit 1471 als Schreiber in der päpstlichen Registratur arbeitete, bei der die Bittgesuche an die Kurie verzeichnet wurden. Von dieser Position aus konnte er die römischen Geschäftsinteressen seiner Familie effektiv fördern. Daneben sammelte Marx geistliche Pfründen und erlangte Propsteien in Regensburg (1475) und Freising (1477). 1474 war ihm auch eine Domherrenstelle in Augsburg verliehen worden, doch verweigerte ihm das von Adeligen dominierte Domkapitel die Aufnahme unter Berufung auf ein päpstliches Privileg, das Söhne Augsburger Bürger ausschloss. Obwohl die Fugger im Streit mit dem Domkapitel vom Augsburger Rat unterstützt wurden und ihre Beziehungen an der Kurie spielen ließen, bestätigte Papst Sixtus IV. das Statut des Domkapitels. Der frühzeitige Tod Marx Fuggers im Jahre 1478 beendete den Rechtsstreit, der allerdings in der Folgezeit in ähnlich gelagerten Fällen immer wieder aufflammte.58 Auch nach dem Tod von Marx konnten seine Brüder ihre Geschäftsbeziehungen zur Kurie weiter intensivieren. So zahlte der Erzbischof von Mainz 1485/86 Ulrich Fugger mehrere Beträge zurück, die dieser ihm vorgestreckt hatte. Zwischen 1485 und 1489 transferierte Ulrich Fugger im Auftrag der Reichsstadt Augsburg Gelder nach Rom, und 1490 war ihm der Bischof von Kammin (Pommern) 1675 Gulden schuldig.59

Wie im Falle der Fugger vom Reh war auch der wirtschaftliche Aufstieg der Fugger von der Lilie von einer zunehmenden familiären Verflechtung mit Familien der Augsburger Oberschicht begleitet. Handelstätigkeit, sozialer Status und Heiratspraxis bedingten und verstärkten sich wechselseitig. Ulrich Fugger hatte 1479 Veronika Lauginger, eine Tochter des langjährigen Zunftmeisters der Salzfertiger60 Hans Lauginger, geheiratet. Georg Fugger ehelichte 1486 Regina Imhof, eine Tochter des erfolgreichen Kaufmanns Peter Imhof. Auch die Schwestern heirateten in angesehene Familien ein: Anna wurde 1468 die Ehefrau des Hektor Mülich, Barbara heiratete Konrad Meuting, und Walburga wurde 1484 die Frau Wilhelm Rems.61 Durch diese Eheschließungen schmiedeten die Fugger Allianzen mit politisch einflussreichen und gesellschaftlich angesehenen Familien. Neben ihrem Sozialprestige mehrten sie auch ihr ökonomisches Kapital, denn das Vermögen ihrer Ehefrauen konnten Ulrich und Georg Fugger in ihrer Handelsgesellschaft anlegen, und die Schwäger Konrad Meuting und Wilhelm Rem arbeiteten zeitweilig für sie. Darüber hinaus prägten die mit den Fuggern verschwägerten Familien auch das kulturelle Leben der Stadt. Der Kaufmann Hektor Mülich, der Ehemann Anna Fuggers, spielte als langjähriger Zunftmeister der Kramer nicht nur eine Rolle in der Stadtpolitik, sondern war auch ein weit gereister Mann, der 1450 eine Pilgerfahrt ins Heilige Land unternommen hatte, und ein bedeutender Vertreter der städtischen Geschichtsschreibung. Nachdem er zunächst die ältere Chronik des Sigmund Meisterlin fortgesetzt hatte, verfasste er eine eigene Stadtchronik der Jahre 1348 – 1487. Im Gegensatz zu den Reichs- und Weltchroniken des 15. Jahrhunderts stellte Mülich darin die innere Entwicklung der Stadt Augsburg in den Mittelpunkt.62 Als sich die Fugger später selbst literarischen und wissenschaftlichen Interessen zuwandten und humanistische Gelehrte förderten, dürften ihnen nicht zuletzt gebildete Mitbürger und Verwandte wie Hektor Mülich als Vorbild gedient haben.

Barchentkonjunktur und Fernhandel – der ökonomische Hintergrund

Der Aufstieg der beiden Linien der Fugger und ihrer Handelsgesellschaften vollzog sich vor dem Hintergrund einer allgemeinen demographischen und wirtschaftlichen Expansion. Die Bevölkerung Augsburgs, die von der großen Pestepidemie um die Mitte des 14. Jahrhunderts ohnehin weitgehend verschont geblieben war,63 wuchs im 15. Jahrhundert deutlich an: Die Zahl der Steuerzahler stieg von 2957 im Jahre 1408 auf 4798 im Jahre 1461. Nach einer Phase der Stagnation, die bis in die 1480er Jahre anhielt, setzte gegen Ende des Jahrhunderts eine stürmische Aufwärtsbewegung ein, und im Jahre 1498 zählte die Stadt 5351 Steuerzahler. Von etwa 12 000 Einwohnern um 1400 stieg die Bevölkerung der Reichsstadt auf etwa 19 000 Menschen um 1500.64

Den Motor der Augsburger Wirtschaft bildete das Textilgewerbe, vor allem die Herstellung von Barchent. Die Forschung sieht in der Einführung der Barchentweberei einen »grundlegenden Innovationsvorgang der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts«. Kaufleute in den schwäbischen Reichsstädten Nördlingen, Ulm, Ravensburg, Memmingen, Biberach, Konstanz und Kaufbeuren nutzten ihre Handelsbeziehungen nach Venedig, um Baumwolle einzuführen, und organisierten über Rohstoffverkäufe, Kreditvergaben und die Vermarktung des Endprodukts die regionale Textilproduktion. Zwischen Bodensee, Donau und Lech erstreckte sich eine der großen europäischen Gewerberegionen des Spätmittelalters. Im Laufe des 15. Jahrhunderts kristallisierten sich Augsburg und Ulm mehr und mehr als Zentren der Textilproduktion und des Fernhandels heraus. Der Durchbruch des Barchentgewerbes in Augsburg erfolgte in den 1370er Jahren. Auf der Grundlage der Ungeldeinnahmen, also der von der Stadt erhobenen indirekten Steuern, lässt sich für das Jahr 1385 bereits eine Produktion von fast 12 000 Tuchen und für 1410 eine Produktion von über 85 000 Tuchen ermitteln. Der Kauf eines eigenen Zunfthauses durch die Weberzunft im Jahre 1389 stellt ein Indiz für die günstige Konjunktur dar. Seit 1395 wurde Augsburger Barchent auf den Frankfurter Messen vertrieben, an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert auch in Köln, Prag, Breslau, Krakau und Wien. Die Ungeldunruhen von 1397/98, in denen ärmere Weber gegen eine indirekte Steuer protestierten, zeigen allerdings auch, dass die Barchentkonjunktur mit wachsenden sozialen Spannungen zwischen erfolgreichen Fernhändlern und ärmeren Handwerkern einherging.65

Auch im 15. Jahrhundert blieb der Textilsektor nicht von Krisen verschont. In den Jahren 1412, 1418 – 1428 und 1431 – 1433 beeinträchtigten Handelssperren Kaiser Sigismunds gegen die Republik Venedig die Baumwolleinfuhren. Der Zweite Städtekrieg (1449/50) sowie der Krieg von Kaiser und Reich gegen Herzog Ludwig von Bayern-Landshut (1462 – 1466) zogen die schwäbische Wirtschaft wiederum in Mitleidenschaft, und die Entwicklung der Ungeldeinnahmen deutet auf eine schwere Krise des Augsburger Gewerbes zwischen 1450 und 1480 hin. In diesen Zeitraum fallen auch die Ungeldunruhen von 1466/67, in denen sich der Unmut der Bevölkerung über hohe Abgaben entlud. Im Jahre 1475, also noch mitten in der Wirtschaftskrise, brachten 550 Weber 43 400 Stück Barchent auf die städtische Bleiche. Einschließlich der schlechteren Tuchsorten, die nicht gebleicht, sondern gefärbt wurden, dürfte sich die Gesamtproduktion auf etwa 65 000 Tuche belaufen haben. Ein Viertel aller Augsburger Zunftmitglieder war damals in der Barchentherstellung tätig.66

Krisen und Konjunkturen des Gewerbes spiegeln sich auch in der Aufnahme von Neubürgern. Während das Augsburger Bürgerbuch nach 1390 eine Zunahme der Einbürgerungen fremder Weber verzeichnete, gingen die Bürgeraufnahmen nach der Verhängung der Handelssperre gegen Venedig 1410 deutlich zurück. Seit den 1430er Jahren stiegen die Einbürgerungen dann wieder sprunghaft an; neben Zuwanderern aus dem Augsburger Umland wurden nun auch Weber aus Städten wie Günzburg und Weißenburg ins Bürgerrecht aufgenommen. Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise in den 1460er Jahren sind überhaupt keine Einbürgerungen verzeichnet, doch seit den späten 1480er nahm der Zuzug von Webern nach Augsburg wieder deutlich zu.67

Die Entwicklung der Bürgeraufnahmen zeigt zugleich, dass sich die gewerbliche Entwicklung in einem dynamischen Wechselspiel zwischen Stadt und Land vollzog. Um 1400 hatte sich im östlichen Schwaben ein Verlagssystem entwickelt, in dem städtische Kaufleute Baumwolle an ländliche Weber lieferten und diesen die Fertigwaren abnahmen. Augsburger Kaufleute lassen sich auch in Nördlingen und im Raum Memmingen als Verleger nachweisen. Nach Protesten städtischer Weber gegen die ländliche Konkurrenz verbot Augsburg 1411 den Textilverlag in einem Umkreis von drei Meilen (ca. 20 km) um die Stadt. Dieses Verbot wurde in der Folgezeit mehrfach wiederholt.68 Von großer Bedeutung für die städtische Barchentproduktion blieb hingegen die Herstellung von Flachsgarn und Wepfen, einem Halbfabrikat, im Umland. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts waren Garn- und Wepfenimporte aus dem Umland gängige Praxis; das Einzugsgebiet der Stadt Augsburg reichte bis ins Allgäu und nach Bayern. Die seit Mitte der 1480er Jahren belegten Garnimporte aus Mitteldeutschland und Schlesien lösten wiederum heftige Auseinandersetzungen aus, die sich von 1494 bis 1501 hinzogen. Ärmere, rein handwerklich tätige Weber betonten, dass die Garnimporte zu einer stärkeren Abhängigkeit von den Kaufleuten führen würden. Außerdem befürchteten sie einen Verfall der Tuchpreise infolge verschärfter Konkurrenz zwischen den Produzenten sowie nachteilige Folgen für Flachsanbau und Garnspinnerei im Augsburger Umland. Die Befürworter der Garnimporte – zu denen neben anderen Kaufleuten auch Lukas Fugger gehörte – machten hingegen Rohstoffengpässe im Textilgewerbe, die bessere Qualität des mitteldeutschen Garns sowie die Aussicht auf eine Steigerung der Produktion und damit auch auf höhere Ungeldeinnahmen der Stadt geltend. Der Rat folgte zunächst der Argumentation der Kaufleute, schränkte im Jahre 1501 allerdings die Garneinfuhr ein und erließ eine detaillierte Schauordnung.69

Viele der reichsten Augsburger des 15. Jahrhunderts waren im Barchentverlag tätig. Einige Familien, wie die Artzt, Hämmerlin und Kramer, waren selbst »Aufsteiger« aus der Weberzunft. Verstärkt wurden die Reihen der Augsburger Kaufmannschaft durch Zuwanderer aus anderen schwäbischen Textilstädten wie Lauingen, Nördlingen und Donauwörth.70 Auf der Nördlinger Pfingstmesse, einem wichtigen Umschlagplatz des süddeutschen Fernhandels, sind zwischen 1393 und 1440 insgesamt 36 Augsburger Kaufleute nachweisbar, die fast alle im Textilhandel aktiv waren. 1434 etwa brachte Hans Meuting weiße Barchenttücher auf die Nördlinger Messe, 1468/69 die mit den Fuggern vom Reh verschwägerten Ulrich und Wolfgang Stammler. Auch Hektor Mülich, der Ehemann der Anna Fugger, ist als Tuchhändler in Nördlingen belegt.71 Das früheste nachweisbare Barchentgeschäft eines – namentlich nicht näher identifizierten – »Füker von Augsburg« datiert vom Januar 1440: Dieser »Füker« verkaufte dem Sohn des Kaufmanns Marquard II. Mendel in Nürnberg 102 schwarze Barchenttuche für 137 Goldgulden. Anlässlich dieses Geschäfts ist auch die Fuggersche Handelsmarke, der Dreizack, erstmals dokumentiert.72

Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Reichsstadt Augsburg beruhte indessen nicht allein auf der Barchentproduktion. Bereits um die Mitte des 15. Jahrhunderts konnte das städtische Gewerbe mit einem breiten Sortiment an Textilien und einer hoch entwickelten Textilveredelung aufwarten. Auch Kürschner und Leder verarbeitende Gewerbe spielten eine wichtige Rolle, und gegen Ende des Jahrhunderts entstand ein differenziertes Metallgewerbe.73 Auf dem Finanzsektor dominierten um 1400 noch Nürnberger Firmen, aber auch Augsburger Gesellschaften tätigten um diese Zeit bereits Finanzgeschäfte mit dem bayerischen und dem französischen Hof und überwiesen Servitiengelder aus deutschen Bistümern nach Rom. Als dynamischstes Augsburger Handelshaus um die Mitte des 15. Jahrhunderts stellte sich die Meuting-Gesellschaft dar. Sie unterhielt enge Geschäftsbeziehungen nach Venedig, Genua und Brügge und gewährte Herzog Sigismund von Tirol 1456 ein Darlehen von 35 000 Gulden, für das ihr Silber aus den Tiroler Bergwerken verschrieben wurde.74 Diese Verbindung von Kreditgewährung und Edelmetallhandel wurde drei Jahrzehnte später eine tragende Säule des Geschäftsmodells der Fugger. Der Aufschwung des Augsburger Fernhandels ging mit einer starken Vermögenskonzentration einher. Die 22 Personen, die 1492 Vermögen von über 10 000 Gulden versteuerten, besaßen 30 Prozent des Gesamtvermögens der Stadt.75

Vor diesem Hintergrund vollzog sich der Aufstieg der Fugger: Als Hans Fugger 1367 nach Augsburg zog, stand der Barchentboom noch am Anfang, und dank eines gewissen Startkapitals und zweier vorteilhafter Heiraten konnte er von der günstigen Konjunktur profitieren. Die Klagen Lukas und Ulrich Fuggers gegen Augsburger Weber vor dem Stadtgericht sowie ihre intensiven Handelsbeziehungen nach Venedig deuten darauf hin, dass sie sich im Textilverlag betätigten. Die positive Vermögensentwicklung während der Krisenzeiten von 1410 bis 1430 sowie zwischen 1450 und 1480 macht aber auch die Fähigkeit der ersten Generationen der Fugger deutlich, schwierige Zeiten erfolgreich zu meistern. Als gegen Ende des 15. Jahrhunderts ein erneuter konjunktureller Aufschwung einsetzte, waren die Fugger dafür personell, finanziell und organisatorisch gut gerüstet.

Politische Ämter und soziale Stellung

Seit einem Handwerkeraufstand im Oktober 1368 hatte Augsburg eine von den Zünften beherrschte Stadtverfassung. Die zunächst 18, seit 1397 dann 17 Zünfte als Zusammenschlüsse der Gewerbetreibenden waren die »Grundeinheiten für die politische Partizipation der Bürger«. Das wichtigste politische Gremium bildete der aus 44 Mitgliedern bestehende Kleine Rat, der sich aus den 17 Zunftmeistern, 12 weiteren Vertretern der großen und angesehenen Zünfte sowie 15 »Herren« – Mitgliedern des Patriziats – zusammensetzte. Das Patriziat, das bis 1368 die Stadt allein regiert hatte, nahm nach 1383 keine neuen Mitglieder mehr auf. Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts veränderte sich die Zusammensetzung des Kleinen Rates nochmals leicht: Er bestand nun aus jeweils zwei Vertretern der 17 Zünfte sowie acht Patriziern, hatte also insgesamt 42 Mitglieder. Der Große Rat, in dem neben den Zunftmeistern auch die sogenannten Zwölfer der Zünfte und acht »Herren« saßen, umfasste um 1500 rund 230 Mitglieder. In der Tagespolitik spielte dieses Gremium zwar kaum eine Rolle; seine Bedeutung als Organ der Meinungsbildung und der Vermittlung zwischen Stadtregiment und Bürgerschaft ist jedoch nicht zu unterschätzen. An der Spitze der Stadtregierung standen je ein patrizischer und ein zünftiger Bürgermeister. Gemeinsam mit den drei Baumeistern, die für die städtischen Ausgaben zuständig waren, drei Einnehmern, zwei Sieglern und drei weiteren Ratsherren bildeten sie den Dreizehnerausschuss, der sich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts zum eigentlichen politischen Entscheidungszentrum entwickelt hatte. Die Dreizehner bereiteten die Ratsbeschlüsse vor und erledigten einen Großteil des politischen Tagesgeschäfts. Der Ausbau der städtischen Verwaltung brachte bis 1500 etwa 40 weitere Ämter hervor, die alle mit Ratsmitgliedern besetzt wurden. Dazu gehörten beispielsweise die städtischen Oberpfleger, die Schaumeister, die Hochzeits- und Bußmeister sowie die Richter am Stadtgericht.76

Zwischen politischem Einfluss und wirtschaftlicher Potenz bestand ein enger Zusammenhang: Von 1396 bis 1516 zählten 94 Prozent der Inhaber der vier höchsten städtischen Ämter zu den reichsten drei Prozent der Augsburger Steuerzahler. Die kaufmännische Oberschicht dominierte nahezu unangefochten die wichtigsten Ämter. Ein wichtiger Grund für diese Dominanz war die Tatsache, dass Ratsmitglieder keine Besoldung, sondern nur eine geringe Aufwandsentschädigung erhielten. Sie mussten abkömmlich sein, also sich die Ausübung politischer Ämter finanziell leisten können. Darüber hinaus spielte in der politischen Kultur der Reichsstadt die Überzeugung eine Rolle, dass Ratsämter von den tugendhaftesten und angesehensten Männern ausgeübt werden sollten, und als solche galten vorrangig große Kaufleute und erfolgreiche Gewerbetreibende. Die jährlich stattfindenden Wahlen waren daher auch keine demokratischen Abstimmungen, sondern Bestätigungswahlen, bei denen die Amtsinhaber fast immer wiedergewählt wurden.77

Welche Rolle spielten nun die frühen Fugger innerhalb dieses oligarchischen Stadtregiments? Hans Fugger saß als Zwölfer der Weberzunft im Großen Rat und ist für das Jahr 1398 als Weinungelter, also Einnehmer des Weinungelds, belegt.78 Für die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts fehlen jegliche Hinweise auf eine politische Betätigung. Um die Jahrhundertmitte wird dann Jakob Fugger der Ältere als Zwölfer der Weberzunft und Mitglied des Großen Rates genannt. Außerdem übernahm er die Ämter eines Leinwandungelters, Leinwandschauers und Richters am Stadtgericht. Diese Ämter zeugen von seinem Ansehen innerhalb der Augsburger Bürgerschaft; sie gehörten jedoch nicht zu den höchsten Ratsämtern, die ausschließlich von den Angehörigen des innersten Machtzirkels besetzt wurden.79 Höher als Jakob Fugger stieg sein Neffe Lukas Fugger vom Reh in der städtischen Ämterhierarchie auf. Er gehörte seit 1474 als Zwölfer der Weberzunft dem Großen Rat an und bekleidete in den 1480er Jahren eine Reihe von Rats- und Pflegämtern – Seelhauspfleger, Einunger, Wollschauer, Heringsschauer, Findelhauspfleger, Barchent- und Weinungelter. Von 1484 bis 1494 hatte er das wichtige Amt des Steuermeisters inne, und von 1490 bis 1494 gehörte er als Einnehmer zum Führungsgremium der Dreizehner. In dem langwierigen Streit zwischen dem Rat und dem Domkapitel um die Aufnahme Augsburger Bürger engagierte er sich um 1485 als Vermittler, und 1489 war er als Zunftmeister der Weber beim Empfang König Maximilians vor den Toren der Stadt zugegen. Über seine zweite Frau Klara Konzelmann und seine Schwiegertochter Justina Riedler verfügte Lukas Fugger zudem über familiäre Verbindungen zu anderen politisch einflussreichen Familien. Möglicherweise hat sein Bankrott seine Wahl zum Bürgermeister verhindert.80

Obwohl Lukas Fugger es fast bis an die Spitze der Augsburger Ämterhierarchie geschafft hatte, spielten die Fugger insgesamt gegenüber Patrizierfamilien wie den Rehlinger, Langenmantel und Welser, aber auch im Vergleich mit Kaufmannsfamilien wie den Riedler, Walther und Hörnlin nur eine untergeordnete Rolle in der Stadtpolitik des 15. Jahrhunderts.81 Wichtiger als die Übernahme politischer Ämter dürfte die Tatsache gewesen sein, dass die Familie sukzessive ihr Ansehen mehrte, modern gesprochen: soziales Kapital akkumulierte. Dazu trugen nicht zuletzt ihre Heiratsbeziehungen bei: Lukas Fuggers Brüder Matthäus und Jakob erlangten durch ihre Eheschließungen mit Helena Mülich (1478) und Ursula Rem (1480) Zutritt zur Herrentrinkstube, einem exklusiven Zusammenschluss des Patriziats mit angesehenen Zunftmitgliedern. Die Stubenfähigkeit konnte nur durch Geburt oder Heirat mit einer Person aus einer stubenfähigen Familie erlangt werden.82 Zu dieser Herrentrinkstube, die als »gesellschaftliche‍[r] Mittelpunkt der wirtschaftlichen und politischen Oberschicht« und zugleich als »wirtschaftliches Kommunikationszentrum« der reichen Kaufleute fungierte,83 erlangte auch Lukas Fugger durch seine zweite Ehe mit Klara Konzelmann (1488) Zutritt.84 Zu diesem Zeitpunkt hatten auch die Fugger von der Lilie durch ihre Heiratsverbindungen mit den Lauginger, Imhof, Rem und Mülich bereits Aufnahme in den Kreis der stubenfähigen Familien gefunden. Dass der Familie diese Stubenfähigkeit sehr wichtig war, unterstreicht ein Eintrag im Fuggerschen Ehrenbuch. Dort heißt es, dass Jakob Fugger angeboten habe, das Haus auf dem Augsburger Perlach, in dem sich die Herrentrinkstube befand, auf eigene Kosten neu errichten zu lassen, wenn die Stubengesellschaft ihm bewilligt hätte, »der herren fugger Wappen von der Lilien, zu ainer danckbarkeit vnd Eer dem fuggerischen Namen« darin anzubringen. Die Stubengesellschaft habe dies abgelehnt, doch ihre Entscheidung habe »sie hernach zu mermalen seer gerewet«.85

Neben dem Rat als politischer und der Herrenstube als geselliger Institution fungierten die Pfarrkirchen als Arenen der Zuschreibung von sozialem Ansehen. Auch dieses Forum nutzten die Fugger Ende des 15. Jahrhunderts gezielt. Im Jahre 1479 kaufte die Witwe Jakobs des Älteren, 1485 ihr Sohn Ulrich einen Kirchenstuhl in der Stiftskirche St. Moritz, zu deren Pfarrgemeinde zahlreiche Mitglieder der Oberschicht gehörten. Den Schwerpunkt des Engagements der Fugger bildete zu dieser Zeit allerdings die Abteikirche St. Ulrich und Afra, die damals im spätgotischen Stil ausgestaltet wurde. 1478 übernahmen Ulrich, Georg und Jakob Fugger die Bezahlung von zwei Gewölbebögen und erklärten ihren Willen, ein Altarbild malen und ein Fenster verglasen zu lassen. Dafür erhielten sie das Recht, ihr Wappen am Altar anzubringen. Zwei Jahre später ließen sie ein Gestühl für zwei Kapellen errichten und an einem ihr Wappen anbringen. 1485 erging der Auftrag an den Ulmer Bildhauer Michel Erhart, »eine rohe geschnittene Tafel von Holzwerk« anzufertigen, die 40 bis 60 Gulden kosten durfte. Mit der Bemalung dieses Altars wurde 1490 der Maler Gumpold Gültlinger beauftragt, der dafür bis zu 200 Gulden erhalten sollte.86 Auch wenn die Stiftungen und das Mäzenatentum der Fugger im 16. Jahrhundert ganz andere Dimensionen erreichten, zeigen bereits diese frühen Aktivitäten, dass die Familie bestrebt war, ihr Ansehen durch die Gestaltung öffentlicher Räume zu mehren.

Die Anfänge Jakob Fuggers des Reichen

Zu den wiederkehrenden Topoi der Geschichte der Fugger gehört die Feststellung, dass ihr bedeutendster Kaufmann, der am 6. März 1459 als zehntes von elf Kindern Jakob Fuggers des Älteren und der Barbara Bäsinger in Augsburg geborene Jakob, zunächst für den geistlichen Stand bestimmt gewesen sei. »Jakob hatte bereits die niederen Weihen und war Kanonikus in Herrieden,« so Max Jansen, da »gewann Ulrich seinen Bruder Jakob 1478 dem weltlichen Leben zurück und in ihm dem Fuggerischen Handel den genialsten Vertreter.«87 »Der Theologe wurde zum Kaufmann,« schrieb Jakob Strieder; und Götz Freiherr von Pölnitz stellte fest, dass »man des Jüngsten zum Handel nicht bedurfte« und es daher nahe gelegen habe, »ihn für die geistliche Laufbahn zu bestimmen.«88 Eine Kette von Schicksalsschlägen – der Tod des Vaters 1469, das frühe Ableben der Brüder Hans und Andreas während der Kaufmannslehre in Venedig, der Tod des Bruders Peter 1473 in Nürnberg und schließlich Marx