Die Gebärhaltung der Frau - Liselotte Kuntner - E-Book

Die Gebärhaltung der Frau E-Book

Liselotte Kuntner

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Beschreibung

Liselotte Kuntner hat 1985 eine Publikation vorgelegt, die als Standardwerk zur Gebärhaltung der Frau gilt. 1994 erschien das Buch bereits in der 4. Auflage und es ist nach wie vor so aktuell, dass es nun – nach fast vier Jahrzehnten – in der 5. Auflage vorliegt. Es thematisiert Schwangerschaft und Geburt aus historischer, ethnologischer und medizinischer Sicht mit dem Fokus auf den unterschiedlichen Gebärpositionen, die Frauen unter der Geburt einnehmen. Gegenwärtig gebären in europäischen Krankenhäusern rund 75 Prozent der Schwangeren in der statischen Liegeposition auf dem Kreißsaalbett. Dazu kommt, dass ca. 60 Prozent der Gebärenden eine PDA gelegt wird, was zusätzliche Passivität zur Folge hat. In der außerklinischen Geburtshilfe dagegen – die beispielsweise in Deutschland allerdings nur von etwa drei Prozent aller Schwangeren bevorzugt wird – begeben sich nur wenige Frauen in die liegende Position, da sie die vertikale Geburtshaltung als wohltuend erleben und im Stehen, Hocken, Knien oder im Vierfüßlerstand ihr Kind zur Welt bringen. Hebammen wissen aus Erfahrung, dass diese Frauen intuitiv jene natürlichen Gebärstellungen einnehmen, die einen günstigen Einfluss auf die Geburtsparameter haben. Durch die Bewegungsfreiheit der werdenden Mutter kann sie ihre Muskulatur optimal einsetzen, was im Zusammenhang mit der Schwerkraft den Geburtsvorgang beschleunigt, ohne dabei mehr Schmerzen zu verursachen. Ferner führt die aufrechte Haltung zu einer stärkeren Durchblutung der Gebärmutter und damit zu einer besseren Sauerstoffversorgung des Kindes. Auch Dammschnitte kommen in vertikaler Geburtsposition wesentlich seltener vor als bei Geburten im Liegen. Vor diesem Hintergrund empfiehlt auch die WHO: „Die Gebärenden sollten während der Wehen und der Entbindung nicht in die Rückenlage gebracht werden. Vielmehr sollten sie ermutigt werden, während der Wehen umherzugehen, und jede Frau muss frei entscheiden können, welche Stellung sie während der Entbindung einnehmen will.“ Im Krankenhaus dagegen wird diese Empfehlung nur selten befolgt; vielmehr ist es für den reibungslosen Ablauf des Klinikbetriebes praktischer, die Schwangeren in ‚Arbeitshöhe‘ – ähnlich wie im OP – vor sich zu haben, was für die beteiligten Helfer:innen bequemer und noch dazu effizienter ist, da auf diese Weise mehrere Geburten gleichzeitig betreut werden können. Es ist ein höchst bemerkenswertes Phänomen, dass sich seit den 1980er Jahren, als Liselotte Kuntner ihre Forschungsergebnisse vorgelegt und auf die oben beschriebenen Zusammenhänge hingewiesen hat, auf diesem Gebiet wenig Veränderungen vollzogen haben. Ganz im Gegenteil scheinen sich die Entbindungsmethoden, die die Frauen durch die zunehmende Medikalisierung der Geburt ans Bett fesseln, neuerdings auch in anderen Kulturen zu verbreiten, so dass weltweit Wissensbestände verloren zu gehen drohen, die von der Autorin bereits seit der Antike verortet und bis in die Volksmedizin des 19./20. Jahrhunderts hinein nachgewiesen werden konnten. Mit zahlreichen Abbildungen gebärender Frauen aus unterschiedlichen Zeiten und Ethnien weltweit untermauert Liselotte Kuntner die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur vertikalen Geburtsposition und legt überzeugend den Zusammenhang der Körperstellungen in den unterschiedlichen Phasen der Geburt auf das Wohlbefinden von Mutter und Kind dar. Vor diesem Hintergrund ist das vorliegende Buch aktueller denn je, zeigt es doch, dass der Akt des Gebärens nicht nur ein medizinisches, sondern vor allem ein kulturelles Phänomen darstellt und dass man Schwangere nicht zur Passivität ermuntern sollte, etwa aus klinischen Praktikabilitätsüberlegungen, sondern ihnen vielmehr die Freiheit einräumen muss, genau jene Geburtspositionen einzunehmen, die ihnen adäquat erscheinen und in der sie sich wohlfühlen.

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Liselotte Kuntner

Die Gebärhaltung der Frau

Schwangerschaft und Geburt aus geschichtlicher, völkerkundlicher und medizinischer Sicht

5. überarbeitete Auflage 2022

Magas Verlag Bonn

5. überarbeitete Auflage 2022

Copyright © 2022 by Magas Verlag, Bonn

Satz: Uli Gersiek, Berlin | www.ulidesign.net

Titelbild: Elisa Maria Elß | www.elisaelss.de

Illustrationen: Elisa Maria Elß nach Daria Lepori

ISBN: 978-3-949537-12-7

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH

Magas Verlag

53177 Bonn

[email protected]

www.magas-verlag.de

Die Freude war groß, als Physiotherapeuten und Hebammen erfuhren, dass demnächst das seit Jahren vergriffene Werk von Liselotte Kuntner – „Die Gebärhaltung der Frau: Schwangerschaft und Geburt aus geschichtlicher, völkerkundlicher und medizinischer Sicht“ – erneut im Magas-Verlag verlegt wird.

Es kann der Verlegerin nicht hoch genug angerechnet werden, dass dieses singuläre Fachbuch mit seinen, wegweisenden, wissenschaftlichen Erkenntnissen zum individuellen Gebärverhalten der Frau und damit zu einer nicht invasiven Geburtshilfe, nun vor dem Vergessen bewahrt bleibt.

Liselotte Kuntners weltweite, ethnologische Feldforschung, ihre seit Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts veröffentlichten biologischen Parameter zur Physiologie von Schwangerschaft und Geburt, stehen weiterhin einer gegenwärtig übermäßig technisierten Geburtsmedizin alternativ gegenüber. Diese, so zeigen Datenerfassungen, favorisiert ganz ohne Notfall, immer häufiger den invasiven Kaiserschnitt, d. h. die Geburt durch Operation. Während aus Wissensmangel zur gleichen Zeit, vielerorts noch immer die obsolete, unphysiologische, vaginale Geburt in Rückenlage praktiziert wird.

Gerade angesichts dieser unbefriedigenden Verhältnisse darf auf Kuntners veröffentlichtem, profunden Wissen und ihrer Erfahrung zur praktischen Gesundheitsprophylaxe von Mutter und Kind unter der Geburt nicht verzichtet werden.

Wenn Gebärende aus eigenen Kräften und mit professioneller, einfühlsamer Unterstützung, selbstbestimmt und bewusst die Geburt ihres Kindes steuern und erleben können, dann haben Liselotte Kuntners aufwendige ethno-anthropologische Forschungen, ihre geistigen und praktischen Leistungen, die diesem Werk zusammengefasst sind, dafür die entscheidenden Weichen gestellt.

So ist zu wünschen, dass die dankenswerte erneute Publikation d i e Aufmerksamkeit im geburtshilflichen Umfeld findet, die sie verdient!

RENATE TANZBERGER

Physiotherapeutin und Urheberin des Tanzberger-Konzepts

München, September 2022

Liselotte Kuntner hat 1985 eine Publikation vorgelegt, die als Standardwerk zur Gebärhaltung der Frau gilt. 1994 erschien das Buch bereits in der 4. Auflage und es ist nach wie vor so aktuell, dass es nun – nach fast vier Jahrzehnten – in der 5. Auflage vorliegt. Es thematisiert Schwangerschaft und Geburt aus historischer, ethnologischer und medizinischer Sicht mit dem Fokus auf den unterschiedlichen Gebärpositionen, die Frauen unter der Geburt einnehmen.

Gegenwärtig gebären in europäischen Krankenhäusern rund 75 Prozent der Schwangeren in der statischen Liegeposition auf dem Kreißsaalbett. Dazu kommt, dass ca. 60 Prozent der Gebärenden eine PDA gelegt wird, was zusätzliche Passivität zur Folge hat.

In der außerklinischen Geburtshilfe dagegen – die beispielsweise in Deutschland allerdings nur von etwa drei Prozent aller Schwangeren bevorzugt wird – begeben sich nur wenige Frauen in die liegende Position, da sie die vertikale Geburtshaltung als wohltuend erleben und im Stehen, Hocken, Knien oder im Vierfüßlerstand ihr Kind zur Welt bringen. Hebammen wissen aus Erfahrung, dass diese Frauen intuitiv jene natürlichen Gebärstellungen einnehmen, die einen günstigen Einfluss auf die Geburtsparameter haben. Durch die Bewegungsfreiheit der werdenden Mutter kann sie ihre Muskulatur optimal einsetzen, was im Zusammenhang mit der Schwerkraft den Geburtsvorgang beschleunigt, ohne dabei mehr Schmerzen zu verursachen. Ferner führt die aufrechte Haltung zu einer stärkeren Durchblutung der Gebärmutter und damit zu einer besseren Sauerstoffversorgung des Kindes. Auch Dammschnitte kommen in vertikaler Geburtsposition wesentlich seltener vor als bei Geburten im Liegen. Vor diesem Hintergrund empfiehlt auch die WHO: „Die Gebärenden sollten während der Wehen und der Entbindung nicht in die Rückenlage gebracht werden. Vielmehr sollten sie ermutigt werden, während der Wehen umherzugehen, und jede Frau muss frei entscheiden können, welche Stellung sie während der Entbindung einnehmen will.“

Im Krankenhaus dagegen wird diese Empfehlung nur selten befolgt; vielmehr ist es für den reibungslosen Ablauf des Klinikbetriebes praktischer, die Schwangeren in ‚Arbeitshöhe‘ – ähnlich wie im OP – vor sich zu haben, was für die beteiligten Helfer: innen bequemer und noch dazu effizienter ist, da auf diese Weise mehrere Geburten gleichzeitig betreut werden können.

Es ist ein höchst bemerkenswertes Phänomen, dass sich seit den 1980er Jahren, als Liselotte Kuntner ihre Forschungsergebnisse vorgelegt und auf die oben beschriebenen Zusammenhänge hingewiesen hat, auf diesem Gebiet wenig Veränderungen vollzogen haben.

Ganz im Gegenteil scheinen sich die Entbindungsmethoden, die die Frauen durch die zunehmende Medikalisierung der Geburt ans Bett fesseln, neuerdings auch in anderen Kulturen zu verbreiten, so dass weltweit Wissensbestände verloren zu gehen drohen, die von der Autorin bereits seit der Antike verortet und bis in die Volksmedizin des 19./20. Jahrhunderts hinein nachgewiesen werden konnten.

Mit zahlreichen Abbildungen gebärender Frauen aus unterschiedlichen Zeiten und Ethnien weltweit untermauert Liselotte Kuntner die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur vertikalen Geburtsposition und legt überzeugend den Zusammenhang der Körperstellungen in den unterschiedlichen Phasen der Geburt auf das Wohlbefinden von Mutter und Kind dar.

Vor diesem Hintergrund ist das vorliegende Buch aktueller denn je, zeigt es doch, dass der Akt des Gebärens nicht nur ein medizinisches, sondern vor allem ein kulturelles Phänomen darstellt und dass man Schwangere nicht zur Passivität ermuntern sollte, etwa aus klinischen Praktikabilitätsüberlegungen, sondern ihnen vielmehr die Freiheit einräumen muss, genau jene Geburtspositionen einzunehmen, die ihnen adäquat erscheinen und in der sie sich wohlfühlen.

MARITA METZ-BECKER

Außerplanmäßige Professorin am Institut für Europäische Ethnologie/ Kulturwissenschaft der Philipps-Universität Marburg

Marburg, Oktober 2022

Inhalt

1. Kapitel Frauenheilkunde, Geburtshilfe, Physiotherapie/Geschichtliche Betrachtungen

Die Frauenheilkunde

Die Behandlung der schwangeren Frau

Die Geburtshilfe

Die Bedeutung der Hebammen

Die volkstümliche Geburtshilfe

Die Entwicklung der Physiotherapie

2. Kapitel Geburt und Geburtshilfe aus völkerkundlicher Sicht

Die Schwangerschaft und die schwangere Frau

Die Geburt

Nachgeburt und Wochenbett

Beispiele des Gebärverhaltens heutiger Naturvölker

3. Kapitel Die Gebärhaltung der Frau

Lage und Stellung der Frau während der Geburt bei verschiedenen Völkern

Der Gebärstuhl

Renaissance des Gebärstuhls

Der Einfluss der Körperhaltung auf verschiedene Faktoren des Geburtsvorganges

Geburtsberichte

4. Kapitel Die Geburtsvorbereitung

Die gebräuchlichsten Methoden und ihr heutiger Status

Elemente einer umfassenden Geburtsvorbereitung

Die krankengymnastische Atemtherapie

Psychosomatische Aspekte von Schwangerschaft und Geburt

5. Kapitel Neue Erkenntnisse und Ansichten über die Gebärhaltung/Der Gebärhocker Maia

Gebärhocker und Matte

Erweiterte Ansichten zum Gebärverhalten

Das Vorgehen mit dem Neugeborenen

Neuere Erkenntnisse über geburtsphysiologische und psychologische Vorteile der vertikalen Körperhaltung

Erfahrungen mit dem Gebärhocker Maia

Abschließende Betrachtungen

6. Kapitel Das Gebärverhalten der Frau

Vorteile der Bewegungsfreiheit der gebärenden Frau und der vertikalen Gebärhaltung

Vorwort zur 4. Auflage

Die 3. Auflage dieses Buches erschien im Jahre 1991. Sie unterschied sich von der 2. Auflage durch den Einbezug neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Vorteile der Bewegungsfreiheit der Frau während der Geburt und über die vertikale Gebärhaltung. Schwerpunkt war die Einführung des Gebärhockers Maia und der zugehörigen Gebärmatte, die als neue Hilfsmittel in der modernen Geburtshilfe der Frau ein aktives Gebärverhalten und die Wahl verschiedener Gebärpositionen ermöglichten. Die damit gewonnenen Erfahrungen von Gebärenden, Hebammen und Ärzten sowohl in Kliniken als auch bei Hausgeburten wurden in der 3. Auflage festgehalten. Zurzeit sind etwa 900 der Hocker in Gebrauch, die meisten in Europa, aber auch in Übersee. Von großer Bedeutung ist für uns, dass der Gebärhocker Maia auch in der Geburtshilfe von Entwicklungsländern benutzt wird, z. B. von Nordkamerun und Tschad.

Durch den Transfer der westlichen Medizin in die sogenannte 3. Welt wurde auch dort die Rückenlage bei der Geburt eingeführt und wird nach wie vor praktiziert. In den letzten Jahren fanden aber die Forschungsergebnisse der Ethnomedizin und die sich daraus ergebenden neuen Ideen und Erkenntnisse über das physiologische Gebärverhalten langsam Beachtung in der modernen Geburtshilfe. Allerdings müssen noch viele Widerstände überwunden werden, die sich aus der historischen Entwicklung der Geburtshilfe ergaben. Dies betrifft insbesondere die Ansichten über das aktive und autonome Verhalten der Frau während der Geburt, das heißt über die „Kunst des Gebärens“. Nach fast 20jähriger Auseinandersetzung mit diesem Thema halten wir fest, dass dieser wichtige Bereich der Frauenkultur in einem mühsamen Lernprozess wieder in unsere Gesellschaft integriert werden muss.

Diese Feststellung und der legitime Wunsch von Frauen und Hebammen, aktiv am Geburtsgeschehen teilzunehmen, veranlasste die Autorin zur Entwicklung von Materialien im Sinne neuerer Methodik. So ist 1990 ein Faltblatt in spanischer Sprache mit Text und Zeichnungen entstanden (La participación natural de la mujer durante el parto), das in Nicaragua in Hebammenkursen erfolgreich eingesetzt wurde. Inzwischen erfolgte auch die Herausgabe einer deutschen, französischen, italienischen und englischen Fassung.

Das zunehmende allgemeine und spezielle fachliche Interesse am Thema hat den Verlag bewogen, den Inhalt der deutschen Fassung des Faltblatts in diese 4. Auflage des Buches zu integrieren. Bei den Zeichnungen der Geburtspositionen im Faltblatt knüpften wir an das 3. Kapitel dieses Buches an, bei den Darstellungen nämlich in der Schrift „Geburt bei den Urvölkern“ von G. J. Engelmann aus dem Jahre 1884. Diese Darstellungen wurden jedoch modifiziert, um Frauen in unserer Gesellschaft die vielseitigen, möglichen Lagen und Stellungen bei der Geburt aufzuzeigen.

LISELOTTE KUNTNER

Küttigen, Frühjahr 1994

Vorwort zur 5. Auflage

Es war vor allem das beiliegende Faltblatt, das Sylvia Reischert von Mother Hood e. V. neugierig auf das Buch machte, das ihr eine Nachbarin schenkte. Damit kam sie zu mir und sagte: „Hier, da ist alles Wichtige drauf. Dieses Blatt sollte in jeder Arztpraxis hängen, damit Frauen sehen, wie man Kinder zur Welt bringt. Wir müssen diese irreführenden Bilder aus Kino und Fernsehen endlich durch diese Bilder ersetzen.“

Beim Lesen des Buches, an dem Liselotte Kuntner sieben Jahre gearbeitet hatte, dachte ich: „Das ist besser als so manche Doktorarbeit.“ Im Sommer 2021 schließlich bekam ich die Gelegenheit Liselotte Kuntner persönlich kennenzulernen. Sie war vor kurzem ins Altersheim gezogen, wenige Straßen von ihrem Haus entfernt. Sie erzählte uns anderthalb Stunden lang von ihren Reisen, wie es damals als eine von ganz wenigen Frauen in der Wissenschaft war, welche Wissenschaftler ihr geholfen haben und wie sie sie kennengelernt hat (meist durch große Eigeninitiative). Auf meine Frage, ob sie schon einen Ehrendoktor bekommen habe, antwortete die 86jährige verschmitzt „was nicht ist, kann ja noch werden…“. Wäre die Besuchszeit nicht zu Ende gewesen, hätte sie zweifellos noch stundenlang weitererzählt, sie hatte eine ansteckende und scheinbar nie versiegende Energie. Und sie freute sich unglaublich, dass das Interesse an ihrer Arbeit nach wie vor besteht. Wir brachten es nicht übers Herz, ihr von den aktuellen Zahlen der Liegendgebärenden zu erzählen, hatte man ihr doch zum 70. Geburtstag gratuliert, sie habe die Gebärenden erfolgreich „in die Vertikale befördert“.

Später im Jahr erkrankte Lieselotte Kuntner an Covid19 mit schwachen Symptomen, erholte sich davon und ist am 20.12.2021 friedlich gestorben.

Ihrem Sohn Peter habe ich zu danken für sein Vertrauen, die Erlaubnis, das Buch erneut aufzulegen und die Geduld, die es bis zum Erscheinen brauchte.

Daria Lepori danke ich dafür, dass wir ihre Zeichnungen auf dem Faltblatt verwenden und abändern durften. Das aktuelle Faltblatt und das Buchcover stammen von Elisa Maria Elß (theimageofbirth.com), auch ihr danke ich sehr.

Nun bleibt mir nur noch, Sie – liebe Leserin – darum zu bitten, das beiliegende Faltblatt in Ihrer gynäkologischen Arztpraxis aufzuhängen. Benötigen Sie weitere oder anderssprachige Exemplare, melden Sie sich gerne beim Verlag.

GERIT SONNTAG, VERLEGERIN

Bonn, Oktober 2022

Frauenheilkunde Geburtshilfe Physiotherapie

Geschichtliche Betrachtungen

Die Frauenheilkunde

Der Mensch des Altertums hat sich, soweit er auf Bildung Anspruch erhob, um seine Gesundheit bewusst viel gekümmert. Philosophen und Ärzte beschäftigten sich intensiv mit der Frage, wie man an Leib und Seele gesund bleibe. Die vorbeugenden, hygienischen und therapeutischen Verordnungen der Ärzte sind uralt. Sie betreffen die seelische, geistige und körperliche Gesundheit des Menschen und beinhalten Anregungen zur Lebensgestaltung sowie Ratschläge, um körperliche Anstrengung und Ruhe in das richtige Maß zu bringen. Wir finden Hinweise auf hygienische Maßnahmen, sinnvolle Körper- und Atemübungen, Übungen der Stimmbildung und diätetische Vorschriften, um sich gesund zu erhalten bzw. um wieder gesund zu werden.

Galen, einer der bedeutendsten Ärzte der Antike, hält sogar die Sorge um die Gesunderhaltung für wichtiger als die Sorge um die Heilung. Er unterscheidet zwischen Heiler und Gesundheitswart; nach seiner Auffassung macht beides zusammen erst den Heilkundigen aus. „Diese Doppelaufgabe des Arztes, Gesundheitswart und Heiler, ist während des ganzen Mittelalters und fast bis auf unsere Tage vergessen worden.“ (ERICH BEITKER, Herausgeber der Werke Galens, 1939). Noch um 1900 haben hervorragende Ärzte gegen die Sozial- und Präventivmedizin Stellung genommen, indem sie sich gegen die Schaffung von Amtsarztstellen wandten. Man vergleiche damit die Tatsache, dass schon um 600 v. Chr. die Schaffung von Gemeindearztstellen in einzelnen griechischen Kolonien üblich war. Gegen Ende des 5. Jahrhunderts hatte sich diese Einrichtung überall auf griechischem Boden verbreitet und eingebürgert.

Die wichtigste Aufgabe der beamteten Ärzte der Antike war der Schutz des Gesunden. Dieselbe Bedeutung erlangte die Prophylaxe auch in der chinesischen Medizin. So war es in der Sung-Zeit (960–1279) üblich, dass die ständigen Hausärzte besserer Familien nur dann ein festes Gehalt erhielten, wenn alle Familienangehörigen gesund waren. Wurde einer krank, so hörte die Zahlung auf, damit sich der Arzt um die schnelle Genesung bemühte. Im Allgemeinen war das Honorar gering und schloss manchmal sogar die Lieferung der Medikamente mit ein.4)

Aufgrund medizinhistorischer Studien darf man also annehmen, dass die Bestrebungen der heutigen Sozial- und Präventivmedizin einige tausend Jahre alt sind und sich in ihren wesentlichen Grundzügen stets gleichblieben.

Während wir die Hochblüten empirischer Medizin bei Griechen und Römern, aber auch bei anderen Kulturvölkern wie Ägyptern, Chinesen, Indern und Japanern finden, blieb es den griechischen Ärzten vorbehalten, die am Krankenbett gewonnenen Beobachtungen und Erfahrungen zur Wissenschaft zu gestalten. Das „Corpus Hippocraticum“ fasst diese medizinischen Lehren zusammen. Die Philosophie hat dabei die Medizin und die Frauenheilkunde der Hippokratiker stark beeinflusst. Deren Säftelehre und damit die Grundlagen ihrer Biologie und Pathologie sind ohne die Philosophie ihrer Zeit undenkbar. Vor allem sei SOKRATES (469-399 v. Chr.) erwähnt. Er war ein Zeitgenosse des großen KOERS, dessen Namen das älteste erhaltene Schriftstück der griechischen Medizin, eben der „Corpus Hippocraticum“, trägt. Der Legende nach war die Mutter des SOKRATES, PHAINARETE, eine Hebamme.

In der Geschichte der Medizin sind PYTHAGORAS (580-493 v. Chr.), PLATON (427-347 v. Chr.) und dessen Schüler ARISTOTELES (384-322 v. Chr.) von größter Bedeutung. Aber auch die alexandrinische Ärzteschule sollte einen ungeheuren Einfluss erlangen. Ihr Haupt war der große Anatom HEROPHILES (4./3. Jahrhundert v. Chr.). Ihm verdankt man eine Fülle von Entdeckungen und Erkenntnissen über die menschliche Anatomie, auch auf dem Gebiet der Geburtshilfe und Gynäkologie.1) HEROPHILES gilt auch als bedeutender Frauenarzt und Verfasser eines verlorengegangenen Hebammenbuchs. Sein Schüler KLEOPHANTES (3. Jahrhundert v. Chr.) sowie DEMETRIOS VON APAMEA (2./1. Jahrhundert v. Chr.) seien ebenfalls als Verfasser verlorengegangener Werke genannt.

Nach dem Einzug der griechischen Wissenschaft in Rom gewinnt dort die Medizin und mit ihr die Frauenheilkunde an Bedeutung. Bekanntlich hat das alte Römertum aus sich heraus zur Förderung der Wissenschaften keine wesentlichen Anregungen erbringen können. Die Geschichte der Heilkunde im alten Rom zeigt, dass es fast ausschließlich griechische Ärzte waren, die die wissenschaftliche Tradition weiterführten und ihre Lehren auf den aus hellenistischer Zeit übernommenen Grundlagen aufbauten. Hier sei in erster Linie SORANUS VON EPHESUS (1./2. Jahrhundert n. Chr.) erwähnt. SORANUS, dessen Wirken den Höhepunkt der antiken Geburtshilfe darstellt, gehörte wie auch CELSUS (1. Jahrhundert n. Chr.) der Schule der Methodiker an. Er überlieferte uns übrigens bedeutende Stellen aus den Werken der früher erwähnten KLEOPHANTES und DEMETRIOS, ja er scheint sogar sein Wissen weitgehend bei diesen erworben zu haben. Wir nennen weiter noch den Landsmann SORANUS, RUFUS VON EPHESUS (ca. 200 n. Chr.).

Unter den römischen Ärzten nimmt GALEN (129–199) eine überragende Stellung ein. Mit ihm fand die griechische Heilkunde des Altertums ihren Abschluss. Wir wissen, dass er die verschiedenen Schulmeinungen seiner Zeit in einer gewaltigen Synthese zusammenfasste. Dadurch wurde er die absolute Autorität aller Ärztegenerationen bis ins 16. Jahrhundert.

Vom Mittelalter bis in die Neuzeit hinein verbreitete sich mit der antiken Medizin auch die Frauenheilkunde: über das byzantinische Reich, durch die Länder der arabischen Kultur und von Rom und den Mittelmeerländern nach dem Westen und Norden Europas. Allerdings erleidet nach Beginn der christlichen Ära die Entwicklung alles Wissenschaftlichen nicht nur einen Stillstand, sondern vielfach einen wesentlichen Rückschritt. Auch die Geburtshilfe sinkt für mehr als ein Jahrtausend von der bereits erreichten Höhe ab.

Die arabische Wissenschaft wird nun Trägerin der griechisch-römischen Lehren und gewinnt an Einfluss. Arabische Ärzte wie AL-RHAZES, AVICENNA oder SERAPION konnten allerdings die Frauenheilkunde nur wenig fördern, weil die Araber mehr als andere Völker die vita sexualis der Frau als Geheimnis betrachteten.

Einige Ärzte des Mittelalters, die unter anderem im Zusammenhang mit der Geschichte des Gebärstuhls von Bedeutung sind, waren AETIOS aus Amida, PAULOS aus Ägina und SAVONAROLA (1390–1462). Weiter sei der Wormser Arzt EUCHARIUS ROESSLIN erwähnt. Sein berühmtes Buch, „Der swangeren Frauen und Hebammen Rosengarten“, erschien 1513; es war eines der ersten gedruckten Hebammenbücher und erlebte dank der neuen Kunst des Buchdrucks eine große Verbreitung. Einen Nachfolger fand ROESSLIN im Zürcher Chirurgen JAKOB RUEFF (1500–1558), der sich als Geburtshelfer und Hebammenlehrer betätigte. In seiner Schrift zur Betreuung und Belehrung der Schwangeren und Wöchnerinnen finden sich viele Verordnungen aus der Antike zur gesunden Lebensführung der Schwangeren, hygienische und diätetische Vorschriften sowie Ratschläge zur Erleichterung der zur Norm gehörenden Schwangerschaftsbeschwerden.

In der griechischen Kultur und damit auch in der Medizin wurden der Frau ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. großes Interesse zuteil; es entstanden die ersten Spezialschriften über Frauenkrankheiten. Da manche der prophylaktischen und therapeutischen Maßnahmen der Hippokratiker bis heute erhalten geblieben sind, ist ein kurzer Blick auf diese Methoden von Interesse.

Die Therapie des Geburtshelfers und Gynäkologen zielten auf eine Allgemeinbehandlung ab. Eine solche wurde oft ergänzt durch konservative Lokaltherapie. In den geburtshilflichen und gynäkologischen Schriften wird wiederholt darauf hingewiesen, dass es mit der Organbehandlung allein nicht getan ist. Diese Ansicht findet sich vor allem bei SORAN. Die Leistungen dieses Methodikers auf dem Gebiet der Frauenheilkunde wurde von keinem der zeitgenössischen Ärzte erreicht.3)

Die Methodiker verneinten die Existenz einer Naturheilkraft und ließen alles unmittelbar vom Eingreifen des Arztes abhängen. Dabei bevorzugten sie die physikalisch-diätetische Therapie zur Herbeiführung von Reizen oder Entspannungszuständen. Solche Maßnahmen wurden insbesondere zur Bekämpfung von chronischen Zuständen eingesetzt. Das Ziel war eine Metasynkrise, das heißt eine den ganzen Körper umstimmende Kur. Es wurden äußere und innere diätetische und arzneiliche Mittel angewendet und in ihrer Wirkung durch Bewegungs- und Atemtherapie, Massage, verschiedene Formen der Hydrotherapie sowie der Klimatherapie unterstützt.

Durch eine solche umfassende Therapie wurden die verschiedenen Funktionskreise des Organismus, nämlich Kreislauf, Atmung, Stoffwechsel, Endokrinum und Säure-Basen-Gleichgewicht nach den Gesetzen der vegetativen Gesamtregulation beeinflusst.

Die wissenschaftliche Medizin, und nicht zuletzt auch die Frauenheilkunde der Griechen, fußen auf den Behandlungsmethoden, die von ihren eigenen und anderen Völkern aus der Erfahrung gewonnen wurden. Ein kurzer Blick auf die seit HIPPOKRATES bei Frauenleiden verwendeten Heilmittel genügt, um eine große Übereinstimmung der Verfahren bei den verschiedensten Völkern anzutreffen.

Über die Wirkung der verwendeten Pflanzen gibt es sehr viel Literatur. Einigen dieser Pflanzen ist eine gewisse blutstillende, auf den Uterusmuskel kontraktionsfördernde Wirkung bzw. ein blutungsfördernder, emmenagoger Effekt nicht abzusprechen. Das Vertrauen in die Heilkraft der Pflanzen ist groß. Die Volksmedizin hat hier aller Nivellierung widerstanden. Für jedes Leiden ist ein Kraut gewachsen. Man verordnete Mittel pflanzlicher Natur zu monatelangem Gebrauch bei spärlicher Menstruation. Als emmenagog galten etwa Fenchel, Rosmarin, Safran, Gewürznelken usw.

Man beschränkte sich aber nicht nur auf die Verabreichung von Tee und Tropfen, sondern setzte gezielt eine Wärme- und Bewegungstherapie ein. Als äußerliche Mittel kamen physiotherapeutische Maßnahmen zum Einsatz, wie heiße Sitzbäder, Fußbäder, Massage, Senfwickel in der Kreuzgegend, Wärmepackungen (heißer Sand), Einreibungen von Wacholderspiritus und anderes mehr. Die Finnen machten ausgiebig Gebrauch von der Sauna, von Dämpfungen und energischen Hautreizungen. Es wird eifrig geschröpft – auch beim Ausbleiben der Menstruation nach Erreichen des 15.-16. Altersjahres – in den den inneren Genitalien entsprechenden HEADschen Reflexzonen. Rein empirisch hat das Volk schon lange vor dem Nachweis der HEADschen Zonen (1893) die Möglichkeit erkannt, die Funktion der Genitalorgane durch Einwirkung auf die Reflexzonen zu beeinflussen.

Der Frau mit einer zu starken Regelblutung wurde Bettruhe verordnet unter lokaler Anwendung von Kälte. Oft aber genügten innerliche Mittel wie Mutterkorn, Safran, Muskat und andere.

Neben diesen Maßnahmen der Ärzte der Antike spielte schließlich, wie in der ganzen Medizin, auch in Gynäkologie und Geburtshilfe die Psychotherapie eine wichtige Rolle. Der Anamnese kam große Bedeutung zu. Sie erstreckte sich auf alle Einzelheiten des Frauenlebens; den geringsten Klagen wurde von hippokratischen Zeiten an Beachtung geschenkt. Man nahm an, dass bei der Frau – die aus Gründen ihrer Konstitution eine psychische Labilität aufweisen kann – Kummer, Sorgen, Angst, Trauer und Leidenschaften wichtige Krankheitsursachen sein konnten. Die Psychotherapie wurde allerdings nie isoliert betrieben, sondern im Zusammenhang mit gezielten somatischen Behandlungsformen, wie wir sie bereits erwähnten.

Die Behandlung der schwangeren Frau

Über die allgemeine Lebenshaltung der Frau hinaus war ihr Verhalten in Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett Gegenstand eingehender Betrachtungen.

Abb. 1 Massage einer Frau; vermutlich aus China übernommene Behandlungsmethode. Japanischer Holzschnitt von Kijonaga, 18./19. Jahrhundert

In den indischen Lehrbüchern der Heilkunde etwa, vor allem in den vedischen Schriften, der Rigveda und der Atharvaveda,3) ist eine große Vorliebe für erzieherische und diätetisch-hygienische Verordnungen zu erkennen. Es wird großer Wert darauf gelegt, die schwangere Frau vor psychischen und anderen Insulten zu bewahren. Daneben gab es Vorschriften über die nötige Ruhe und den Schlaf, über zweckmäßige Bewegung sowie über die sorgfältige Regelung der Stuhl- und Harnentleerung. Dazu kommt für jeden Monat eine besondere Diät; ihr Hauptbestandteil war tierisches und pflanzliches Eiweiß, vor allem aber Milch- und Milchprodukte. Ähnliche Diätvorschriften galten auch für die Wöchnerinnen. Die diätetischen Verordnungen entsprechen der Anschauung, dass Diätfehler eine besonders häufige Ursache von Krankheiten sind.

Die indische Hygiene stand auf hohem Niveau; davon profitierte auch die Frauenheilkunde. Wir erfahren manches über die vita sexualis, die hygienische Behandlung der schwangeren Frau, die Einrichtung des Geburtszimmers und die Behandlung der Wöchnerinnen, z. B. auch über die Bedeutung der Dentalhygiene in Schwangerschaft und Wochenbett. Sowohl in Indien wie in China wird für Schwangerschaft und Wochenbett größte Sauberkeit und eine entsprechende Lebensweise gefordert. Der Schwangeren, der Gebärenden und der kranken Frau werden zur Beruhigung viele Ratschläge gegeben, die von einer guten ärztlichen Erfahrung sprechen. Eine sachgemäße Massage wird in vielen asiatischen Ländern ausgeübt (Abb. 1).

Im Allgemeinen setzte man große Hoffnung auf die medikamentöse Therapie. So finden wir viele wehen- und geburtsfördernde Mittel. Man hat die Vorliebe der Inder und Chinesen für die medikamentöse Therapie aus der Vielseitigkeit der Flora und der üppigen Vegetation ihrer Länder erklärt. Nach neuesten Forschungen besitzen diese Völker sehr wirksame Arzneimittel, deren Erprobung und allfällige Verwendung sich auch für die westliche Medizin lohnen würde.

Auch in der griechischen Epoche war die Behandlung der Schwangeren von besonderer Aktualität. ARISTOTELES zum Beispiel betrachtete Schwangerschaftsbeschwerden als eine Zivilisationserscheinung, als eine Folge der sitzenden Lebensweise der Frau mit ungenügender Verarbeitung der Ausscheidungsstoffe. Bei Völkern, bei denen die Frauen körperlich arbeiten, sind sie seltener und die Geburten leichter.

Die Notwendigkeit einer besonderen Hygiene, angepasstem Verhalten und Lebensführung während der Schwangerschaft ergab sich aus der Erkenntnis ihrer physiologischen Besonderheit und ihrer Gefahren. Den Schwangeren wurden von vielen Seiten Ratschläge gegeben, die sich auf die ganze Lebensführung erstreckten. Die Kleidung wurde locker getragen; SORAN empfiehlt, die Brustbinde loser als gewöhnlich anzulegen. Den Leib stützte man mit einer Binde – für tätige Frauen war sie nach SORAN besonders nötig. Er empfiehlt ein Modell, das mit kreuzweisen Trägern über die Schulter hängt. Am Ende der Schwangerschaft soll man die Binde wieder fortlassen, weil das Gewicht des Kindes den Geburtsakt beschleunigen hilft. SORAN weist auch auf eine bestimmte Diät hin; nach dem achten Monat muss man außerdem die Quantität der Speisen und der aufgenommenen Flüssigkeit beschränken. Allgemein ist man der Ansicht, dass Alkohol den schwangeren Frauen nicht bekommt.

Eine regelmäßige ausgleichende Körperbewegung ist für die schwangere Frau von größter Wichtigkeit, sagt ARISTOTELES und macht in seiner Staatslehre den klugen Vorschlag, den Frauen den täglichen Spaziergang zum Heiligtum einer Geburtsgottheit als Pflicht aufzuerlegen, um damit aber auch der Psyche der Schwangeren Rechnung zu tragen. (Bei den Griechen richteten die schwangeren Frauen ihre Gedanken auf die Göttinnen ARTEMIS und HERA, im antiken Rom war DIANA die Göttin der Geburt.) Geistige Sammlung und Ruhe, Zerstreuung des Gemüts der werdenden Mutter waren nach Ansicht ARISTOTELES auch für das Kind von größter Bedeutung.

Mit Fortschreiten der Schwangerschaft werden die gewohnten Turnübungen in mäßigem Umfang, die Gymnastik und das Tanzen, die Spaziergänge, die Massage und die Bäder wiederaufgenommen. Nach SORAN erweisen sie sich in ihrer Gesamtheit als wirksam zur Bekämpfung von Übelkeit und Schwangerschaftsbeschwerden. Gegen Ende der Schwangerschaft empfiehlt SORAN zur Erleichterung der Geburt häufiges Baden und Schwimmen in warmem Wasser bis zum Geburtstermin.

Frauen, die sich verweichlicht haben, die keine Gymnastik treiben, Diätfehler machen, dem Alkoholgenuss huldigen – sie haben eine erschwerte Schwangerschaft und Geburt zu gewärtigen. Aber auch die äußere Umgebung hat einen Einfluss, wie etwa die ungenügende Vorbereitung des Gebärzimmers, das ein Ort der Ruhe und Geborgenheit sein sollte.

DEMETRIOS führt unter den Geburtsstörungen drei deutlich getrennte Gruppen an: Störungen, die von der Mutter, vom Kind und von den Geburtswegen ausgehen. Zur ersten Gruppe gehören auch seelische Zustände, wie Trauer, Angst und Freude, ebenso wie körperliche, z. B. Atemnot, Beleibtheit und allgemeine Schwäche.1) In der Geburtshilfe nahm man an, dass seelische Depressionen die Geburt erschweren und von der Seele her Fieber ausgehen kann, so dass gutes Zureden an die Gebärende große Bedeutung erlangte.

Auf einige Ärzte des Mittelalters, die sich um die Geburtshilfe verdient gemacht haben, wurde bereits hingewiesen. Nach DIEPGEN3) hat man dem Mittelalter zu Unrecht eine Vernachlässigung des Körpers aus asketischen Motiven nachgesagt und Extreme verallgemeinert. Dies trifft jedenfalls nicht zu auf die Gesundheitspflege und die Hygiene der Frau, insbesondere der schwangeren Frau.

Durch die Abschaffung der Sklaverei trat gegenüber der Antike in der sozialen Stellung der Frau eine wesentliche Wandlung ein. Die schwere Arbeit, die bei Griechen und Römern Sklavinnen verrichteten, wurde die Aufgabe von freien Frauen. In der Welt der kleinen Leute und der wenig bemittelten Bürger hatte die Frau kein leichtes Leben, sondern musste schwer arbeiten. Nur die wohlhabenden und gebildeten Frauen konnten die Ratschläge in den populären, gynäkologischen und hygienischen Schriften befolgen und ihr Leben danach einrichten. Am schwersten hatten es wohl die alleinstehenden Frauen, die in abhängiger oder selbständiger Stellung ihr Brot verdienen mussten. Solche Frauen waren zahlreich, denn es bestand ein großer Frauenüberschuss gegenüber den Männern in heiratsfähigem Alter.

Man kannte die gesundheitlichen Gefahren für das weibliche Geschlecht, insbesondere für die Mütter, so dass schwangere Frauen und Wöchnerinnen manche Privilegien und Zuwendungen vom Staat genossen, die ihnen und ihrer Familie das Leben erleichtern sollten.

DIEPGEN3) schreibt: „Konstanzer Freskogemälde aus dem 14. Jahrhundert beweisen, dass für schwerarbeitende Frauen eine gewisse hygienische Fürsorge eingerichtet war. Die Bilder stellen einen Erholungsraum und eine Badestube für Wöchnerinnen dar. Eine praktische Mitwirkung der Ärzte an solchen gesundheitsfördernden sozialen Bemühungen um arbeitende Frauen ist um diese Zeit noch nicht nachzuweisen, aber in der medizinischen Literatur ist die Hygiene der Frau und ihre Bedeutung wohl bekannt.“

Die Geburtshilfe

Frühgeschichtliches

Die Geburtshilfe trug außerhalb des griechisch-römischen Kulturkreises theurgisch-empirischen Charakter. Die Priesterschaft von Babylon-Assur, Ägypten, Israel, Indien und China hat schon in frühester Zeit religiöse Lehren sowie Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem praktischen Leben schriftlich festgehalten. Neben Papyrusrollen (der sog. Papyrus KAHUN, der auf 2000 v. Chr. datiert wird, ist ausschließlich der Frauenheilkunde gewidmet) geben altägyptische Tempelreliefs, Keilschrifttexte aus Mesopotamien und andere frühgeschichtliche Dokumente vieler Altvölker darüber Auskunft. Ausführliche geburtshilfliche Regeln finden sich auch in indischen Schriften, so in der Charaka-samhita (800–600 v. Chr.) und in der Susrutasamhita. Über die prähistorische Geburtshilfe hingegen wissen wir sehr wenig. Zahlreiche Anhaltspunkte für das einfache geburtshilfliche Handeln finden wir immerhin in den Sitten und Gebräuchen der Naturvölker, wie sie heute noch geübt werden, und in der Volksmedizin verschiedener Völker. Gerade auf geburtshilflichem Gebiet ist die Vielfalt der oft auf richtigen Erkenntnissen beruhenden Gebräuche der Naturvölker überraschend. Auf die Geburtshilfe bezogene archäologische Funde aus dem Paläolithikum zeigen hauptsächlich Darstellungen der Geburt. Jungsteinzeitliche Felsmalereien aus der Zentralsahara (ca.10.–6. vorchristliches Jahrtausend) geben bildliche Darstellungen des Geburtsvorgangs.

Die Geburtshilfe bei den Griechen

Auch in der Geburtshilfe waren griechische Ärzte bahnbrechend. Als erfahrener Praktiker erweist sich insbesondere SORAN in seinen Anweisungen für die Vorbereitung der Geburt: „Bei der normalen Geburt muss man folgende Sachen in Bereitschaft haben: Öl, warmes Wasser, warme Umschläge, weiche Schwämme, Wolle, Binden, ein Kopfkissen, Riechmittel, den Geburtsstuhl oder Geburtssessel, zwei Betten und ein zum Gebären passendes Zimmer.“ Das Öl dient zu Injektionen und Anfeuchtungen, das warme Wasser zur Abwaschung der Geschlechtsteile, die warmen Umschläge zur Linderung der Wehen, die Schwämme zum Abwaschen, die Wolle zur schützenden Bedeckung der Geschlechtsteile, die Binden zu Windeln für das Neugeborene, das Kissen zum einstweiligen Platz für das Kind, bis auch die Nachgeburt abgegangen ist, die Riechmittel, wie Polei, armenischer Bolus, gebranntes Mehl, Quitte und, wenn es die Jahreszeit gestattet, auch Zitrone, reife Melonen und anderes zur Erfrischung der Gebärenden.1)

SORAN ist dafür, alles Einengende vom Körper zu entfernen, um die Atmung nach jeder Richtung zu erleichtern. Neben gütigem Zuspruch, dessen Bedeutung betont wird, suchte man die Schmerzen durch Wärmeapplikationen (Kompressen, Umschläge mit warmem Öl) auf den Leib zu mildern. ASPASIA (die Frau des PERIKLES) verordnete zur Einleitung und Förderung der Geburt ein warmes Wannenbad. Bei der Geburt legte man auf Sauberkeit großen Wert.

Während der Eröffnungsphase bleibt die Kreißende in Bewegung oder liegt auf einem weichen Bett. Die letzte Phase vor der Geburt bringt sie auf einem Gebärstuhl zu, der nach Ansicht SORANS viele Vorteile bietet. Er gibt übrigens die – soweit erhalten – früheste ausführliche Beschreibung dieses Geräts. Laut DIEPGEN3) wird es bereits von ARTEMIDOR ca. 100 v. Chr. erwähnt. Von besonderer Bedeutung sind daran die Querhölzer (Griffe), an denen sich die Kreißende festhalten kann und die Lehne, „die den Hüften und dem Becken das Zurückweichen unmöglich machen“. Eine erfahrene Hebamme wird nach GALEN die Frau nicht eher daraufsetzen, bis der Muttermund völlig erweitert ist.

Um den Geburtsstuhl gruppieren sich, nach SORAN, außer der Hebamme drei Frauen: soviel Hilfe hält er für nötig. Zwei dieser Frauen stehen auf der Seite, sie helfen in der von SORAN beschriebenen Weise mit Drücken und Reiben von oben. Die dritte Frau hält die Kreißende vom Rücken her, um zu verhindern, dass sie während der Wehen nach vorne rutscht. Dieses Trio wurde Tradition, wir finden es oft in späteren Darstellungen. Die Hebamme sitzt nach SORAN am besten auf einem niedrigen Schemel vor der Kreißenden und sorgt durch Zurückhalten deren linken Schenkels dafür, dass ihrer linken Hand die nötige Bewegungsfreiheit bleibt. Sie sucht, wenn die Geburt sich ihrem Ende nähert, in der Wehenpause das Kind mit dem eingeführten linken Zeigefinger anzuziehen, was aber zur Vermeidung von Rissen und anderen Schädigungen niemals während einer Wehe selbst geschehen darf. Mit der rechten Hand massiert sie die Genitalien. Der Dammschutz erfolgt mit einer Wollkompresse, die eine der seitlich stehenden Helferinnen unterlegt. Der Dammschutz wird in der Geburtshilfe der Antike zum ersten Mal bei SORAN erwähnt. Sein Wert besteht hauptsächlich darin, späteren Senkungen der Unterleibsorgane vorzubeugen. Die Naht etwaiger Dammrisse wird in der Antike nirgends beschrieben.

SORAN ermahnt die Hebamme zur Reinlichkeit: ihre Nägel sollen kurz sein und die Hände durch gutes Öl geschmeidig gehalten werden. Die Eröffnung des Muttermundes wurde ständig mit dem Finger verfolgt, was später GALEN genau beschreibt. Die Hebamme hat außerdem für das richtige Mitpressen zu sorgen. Zu frühes Pressen ist verpönt. SORAN war im Übrigen einer der ersten, der die Bedeutung der Bauchpresse für den Verlauf der Austreibungsperiode erkannte. Bei der Austreibung wurde die Gebärende zur Mitarbeit aufgefordert und darauf aufmerksam gemacht, dass „Schreien und Pressen der Luft nach oben“ schädlich sei.

Bei allen konservativen Maßnahmen geht es SORAN darum, eine möglichst weitgehende Entspannung der Weichteile herbeizuführen und die Geburtswege schlüpfrig zu machen. Wie wir gesehen haben, war die antike Geburtshilfe aktiv eingestellt; das gilt auch für die Behandlung der regelwidrigen Geburt. Wehenschwäche und Geburtsverzögerung versuchte man auf verschiedene Weise zu beeinflussen. Man weichte z. B. den Muttermund mit fettigen Substanzen auf, injizierte dauernd warmes Öl, Eiweiß und andere Substanzen, brachte Wärme auf den Leib, bewegte die Gebärende im Tragesessel oder ließ sie spazieren gehen und Treppen auf und absteigen. Dazu kam eine geeignete Diät. Durch Klistiere und Katheterisierung sorgte man für die Entleerung von Darm und Blase. SORAN erwähnt in diesem Zusammenhang auch die Inzision der Fruchtblase bei verzögertem Blasensprung, einen Eingriff, den die Hippokratiker noch nicht zu kennen schienen. Auch wurden manuelle Erweiterungen des Muttermundes vorgenommen. SORAN verurteilte die bei den Hippokratikern als wehenförderndes Mittel beliebten Schüttelungen scharf.

Unter den Vorschriften SORANS für die geburtshilfliche Therapie ist die Knie-Ellenbogenlage beachtenswert, die vor allem bei Lordose der Lendenwirbel gute Dienste leistet, da sich durch sie der Uterus gegen den Bauch senkt und in gerade Richtung mit dem Halsteil kommt1). SORAN verordnete diese Lage bei Hemmnissen der Geburt, die wir heute vielleicht auf eine asynklitische Einstellung des Kopfes zurückführen würden. Die Lage wird heute nach dem englischen Geburtshelfer ROBERT LEE (1793–1877) benannt, obschon sie bereits hier ganz sinngemäß empfohlen wird und auch den Naturvölkern bekannt ist. In vorhergehenden Zeiten, etwa 500 v. Chr., war wahrscheinlich in Griechenland die Kniestellung in der Austreibungsphase die Regel. Im Zusammenhang mit den Anomalien der Geburtswege beurteilt SORAN als erster die Bedeutung der Beschaffenheit der Weichteile richtig. Auch ASPASIA rät, man solle bei stark gekrümmter Lendenwirbelsäule die Frau niederknien lassen. SORAN lässt die Frauen knien, wenn das Kind zu stark nach hinten geneigt ist, dagegen mit dem Kopf nach unten liegen, wenn es sich zu weit nach vorne neigt.

Bei der Geburt wurde das Kind mit der von Leinwand bedeckten Hand in Empfang genommen. Bei den alten Ägyptern wurden die Hände mit einer Lage zarten Papyrus bedeckt, um ein Abgleiten des Kindes zu vermeiden. Vor der Durchtrennung der Nabelschnur wurde zwischen der Schnittstelle und dem Nabel mit einem wollenen Faden abgebunden, einseitig dem Kind zu. Man wartete damit, bis die Plazenta geboren war. Die Hebamme, die den Nabelstrang vorher durchtrennt, wird getadelt. Will die Plazenta nicht folgen, empfiehlt SORAN die doppelte Entbindung. Bei der Asphyxie soll man nicht abnabeln, bis das Kind uriniert, geniest oder geschrien hat. Solange legte man es der Wärme wegen dicht an die Mutter. Das ist das Einzige, was wir über die Behebung der Asphyxie hören.3)

Die normale Nachgeburt

Seit frühesten Zeiten ist es üblich, die Plazenta so rasch als möglich künstlich aus dem Uterus zu entfernen. Infolge der Auffassung, dass die Nachgeburt zu selbständiger Bewegung fähig sei, nahm man an, sie könne sonst emporsteigen oder sich in die Gebärmutter einschließen. Man sah in der Plazenta ein unberechenbares, ja gefährliches Wesen, eine Art Tier im Menschen. So verwundert es nicht, wenn die Ausstoßung der Nachgeburt nicht den Naturkräften überlassen wurde und man zu ihrer raschen Austreibung alles Mögliche versuchte.

Von den Hippokratikern wurde zum Beispiel das Körpergewicht des Kindes oder ein an die Nabelschnur gebundenes Gewicht benutzt, die Bauchpresse mit Nies- und Brechmitteln in Bewegung gesetzt, die Gebärende hochgehoben oder innerlich eingenommene Arzneien und Spülungen angewendet. Es wurde auch die Entfernung der Nachgeburt mit den Händen empfohlen. SORAN verwirft die Methoden der Hippokratiker und empfiehlt nur, die Hand der Nabelschnur entlang einzuführen, wobei er die Gebärende auffordert, bei der Ablösung durch eigenes Drücken mitzuhelfen, wodurch die Nachgeburt leicht und ohne zu zerreißen abgehe. Die hippokratischen Methoden blieben jedoch weiterhin gebräuchlich und wurden von römischen wie auch arabischen Ärzten übernommen.

Es sei erlaubt, hier medizin-geschichtlich etwas vorzugreifen, um das Beharrungsvermögen solcher jahrtausendealten Anschauungen aufzuzeigen. Die überlieferten Methoden zur Austreibung der Nachgeburt sind z. B. noch im Hebammenbuch von RUEFF 1554 aufgeführt. Verschiedene Gelehrte, unter anderem MAURICEAU, glaubten nicht mehr an eine Eigenbewegung der Plazenta, konnten sich jedoch nicht von den bekannten Verfahren freimachen. So geben MAURICEAU und andere den Rat, die Nabelschnur am Oberschenkel festzubinden. MAURICEAU wendet sanftes Ziehen an der Nabelschnur an, aber keinen Druck auf den Unterleib; dafür lässt er, wie die Hippokratiker, zugleich in die geschlossene Hand oder in eine Flasche blasen, um die Bauchpresse in Tätigkeit zu setzen. Erst GUILLEMEAU fordert auf, sanft an der Nabelschnur zu ziehen und dabei gleichzeitig, wenn die Plazenta nicht spontan abgehe, auf den Unterleib zu drücken. Der Handgriff von CREDÉ stammt also, genau besehen, von GUILLEMEAU, wahrscheinlich aber schon von Geburtshelfern viel früherer Zeiten.11) DEVENTER entfernt die Nachgeburt immer mit der Hand. Erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde, gemäß den Lehren von LEVRET und SMELLIE, von der alten Auffassung Abstand genommen, dass die Verzögerung des Abgangs der Plazenta durch Sichschließen des Muttermundes deren spätere Ausstoßung gefährde.

Aus den geschichtlichen Aufzeichnungen erfahren wir auch, dass die operative Therapie, insbesondere die Embryotomie, von den Hippokratikern ausgeübt wurde. Die schriftlichen Überlieferungen von AULUS CORNELIUS CELSUS (1. Jahrhundert n. Chr.) lassen erkennen, dass die Ärzte der Antike alle unentbehrlichen geburtshilflichen Operationen kannten. SORAN beschreibt die Wendung auf den Kopf und kennt die innere Wendung auf die Füße.

In den hippokratischen Schriften finden sich zahlreiche Beispiele von Wochenbetterkrankungen. Nach BUESS1) sind es harmlose Retentionen, Zystitiden und ähnliches. Aus manchen der Krankengeschichten lässt sich jedoch das gefürchtete Wochenbettfieber erkennen. Die Krankengeschichten sind unersetzliche Dokumente hippokratischer Beobachtungsgabe.

Das von SORAN verfasste Kapitel über das Wochenbett ist leider bis auf ein Fragment verloren gegangen. Aus diesem erhalten gebliebenen Teil darf geschlossen werden, dass die Behandlung der Wöchnerin und der Verlauf des Wochenbetts nicht stark vom allgemein üblichen Verhalten abwich.1)

SORAN schrieb auch ausführlich über die Behandlung des Neugeborenen und die Säuglingspflege, nach DIEPGEN3) das Beste, was in der ganzen Antike für tausend und mehr Jahre darübergeschrieben wurde. Mit SORAN ist die Geburtshilfe des Altertums abgeschlossen. Sie sinkt für mehr als ein Jahrtausend von der bereits erreichten Höhe ab; eine ihrer bedeutendsten Errungenschaften, die Wendung auf die Füße, gerät in Vergessenheit. (Erst 1549 wurde sie von AMBROISE PARÉ wiederentdeckt.) „Rückblickend ist vor allem hervorzuheben, dass Soran zwar das Leben der Mutter durchaus in den Vordergrund stellt, dass er aber keinen Versuch unterlässt, selbst unter den schwierigsten Umständen auch das Kind zu retten. In dieser Hinsicht übertrifft er die Ärzte des alten Griechenlands bei weitem und wären seine Lehren nicht über Jahrhundertevergessen geblieben, so hätte die spätere Entwicklung der Geburtshilfe zweifellos einen anderen Verlauf genommen.“1)

Die Bedeutung der Hebammen

Den geschichtlichen Aufzeichnungen über den Hebammenberuf im Altertum entnehmen wir, dass es in erster Linie die Hebamme war, die der Frau während der Geburt die nötige Unterstützung und Hilfe erwies. Sie erfüllte seit ältesten Zeiten eine verantwortungsvolle und wichtige Aufgabe als Geburtshelferin. Der Arzt wurde von ihr meist nur zugezogen, wenn sie mit ihren Mitteln und ihrem Wissen nicht weiterzukommen glaubte. Hinweise auf die Mitarbeit von Frauenärzten bei der Geburt sind selten; es ist meist nur von der Hebamme die Rede. Dass sich aber zum Beispiel im alten Orient auch Ärzte mit der Geburtshilfe befassten, entnehmen wir einer babylonischen Inschrift. Da schreibt eine Frau aus dem Harem des Königs von Mesopotamien an diesen einen Brief, in dem sie um die Erlaubnis bittet, einen Arzt bei der Geburt zuziehen zu dürfen. Aus ägyptischen Papyri wissen wir, dass die Anrufung der Götter bei der Geburt üblich war. Die Geburtshelfergottheiten IPET, BÉ‘S und HEKET wurden um ihren Beistand gebeten. Auf einem ägyptischen Wandrelief erscheinen im Geburtszimmer neben Schutzgeistern und Göttern ausschließlich weibliche Helferinnen.

Auch in Syrien kannte man den Hebammenberuf. Das Hebammenamt der syrischen „Dye“ ging dort von der Mutter auf die Tochter über. Für die altjüdische Frauenheilkunde ist die einzige Quelle das Alte Testament. Die Erwähnung der Hebamme in Exodus 1, 19 zeigt, dass der Hebammenberuf auch dort sehr alt war und der Arzt nur dann ans Geburtsbett geholt wurde, wenn ihn die Hebamme rief und operatives Eingreifen nötig war.

Etwas genauer soll auf den östlichen Kulturkreis – Indien, China und Japan – eingegangen werden. Auch da leisteten Frauen selbständige geburtshilfliche Dienste. Die dortigen Völker haben, gleich wie die Griechen und Römer, der Einrichtung des Gebärzimmers große Bedeutung beigemessen. Die Aufgabe der Hebamme bestand vor allem darin, die Frauen – die meist in kniender Stellung auf Matratzen und Kissen geboren haben – zu stützen. Daneben suchte sie durch leichte Klopf-, Reibe und Druckbewegungen auf den Leib die Geburt zu fördern (Abb. 2). Auch eine Art Dammschutz war bekannt. Beim Durchtreten des Kopfes suchte die Hebamme den After nach vorne zu schieben.

In der altindischen Geburtshilfe wurde gefordert, dass bei der Geburt viele ehrenwerte, geschickte Frauen zur Verfügung stehen, die schon selber geboren haben. Allerdings stellt sich die Frage, ob wirklich immer weibliche Geburtshelferinnen üblich waren. Auf sakralen indischen Darstellungen leisten männliche Gottheiten Hebammendienste. Auch ist in der indischen Literatur die Betätigung des Arztes bei pathologischen Geburten erwiesen. Wie wir aus medizinhistorischen Aufzeichnungen erfahren, übten in Indien erst im 16. nachchristlichen Jahrhundert Frauen operative Geburtshilfe aus. Es wird von solchen gesprochen, die auf diesem Gebiet „geschickt und furchtlos sind, in der Chirurgie bewandert und durch viele glückliche Entbindungen berühmt wurden“.