Die geheime Kraft der Liebe - Andrè Michaelim - E-Book

Die geheime Kraft der Liebe E-Book

Andrè Michaelim

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Beschreibung

Die geheime Kraft der Liebe - Roman Erzählt wird die Geschichte des Andreas Seelenbinders, der in seinem Leben unbeirrbar am Glauben an das Satyagraha, die Macht der Liebe festhält und dabei deren geheimen Kräfte in allen Kämpfen, in Siegen und Niederlagen erfährt.

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Das Wort Satyagraha definiert Gandhi als „Sich an die Wahrheit halten, Kraft der Wahrheit und Gerechtigkeit, Sieg der Wahrheit durch die Kräfte der Seele und der Liebe.“

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

1. Kapitel

Vereinzelte Schneeflocken fielen aus einem dunklen, wolkenverhangenen Dezemberhimmel auf ein kleines Häuflein von Menschen, das sich mitten im geschäftigen Vorweihnachtstreiben der Großstadt vor einem Kaufhaus um einen Straßenprediger geschart hatte. Mit lauter, aber ruhiger Stimme redete er auf eine so seltsam eindringliche Weise zu seinen Hörern, dass sich in deren anfänglich nur neugierigen und spöttischen Mienen mehr und mehr gespannte Aufmerksamkeit zeigte.

Mit seiner schlanken, hohen Gestalt überragte er die meisten der Umstehenden, seine Augen waren hinter einer dunklen Brille verborgen, eine Armbinde wies ihn als Blinden aus.

Neben ihm stand eine Frau, im Gegensatz zu ihm war sie von mittlerer, etwas breiter Statur. Sie hatte ein ausgesprochen hübsches, ebenmäßiges Gesicht; ihre großen, braunen Augen, die wie ein Spiegel ihrer Seele waren, offenbarten große Leidenschaft und Sensibilität, sie hingen jetzt an den Lippen des Mannes, nur hin und wieder warf sie einen schnellen, besorgten Blick in die Schar der Zuhörer, wenn etwa ein Lachen oder ein höhnischer Zwischenruf laut wurde.

„Wir haben dieses Land und unsere Stadt, die in Schutt und Asche lag, nach dem Krieg wieder aufgebaut“, rief der Prediger seinen Hörern zu.

„Und ich durfte ein wenig dazu beitragen, dass dies gelang. In der Vorweihnachtszeit merken wir es in den Geschäften und Kaufhäusern mit ihrem reichen Warenangebot wieder, wie viel Wohlstand es gibt. Gerechtigkeit erhöht ein Volk; aber die Sünde ist der Leute Verderben. Dies Wort aus der Heiligen Schrift will uns ermahnen: Nach den Sünden und Verbrechen des Nationalsozialismus, die uns ins Verderben und in die Zerstörung führten, erhöht er uns aus unserem tiefen Fall wieder, gibt uns neue Gnade und erwartet, dass wir nun Gerechtigkeit üben.

Er hielt einen Augenblick inne. „Wir haben unser Land, unsere Stadt zwar äußerlich aber wie ist es in uns, was sieht es in uns aus? Haben wir nicht in den Aufbaujahren nach dem Krieg die Weichen in unserer Gesellschaft und in unserem privaten Leben zu sehr auf den Materialismus ausgerichtet, haben wir uns nicht von der Jagd nach Geld und Gut versklaven lassen und sind nicht die ideologische und staatliche Spaltung unseres Landes, der heutige Terrorismus, die Rauschgiftszene auch in unserer Stadt, die Kriminalität und die Umweltzerstörung Spuren dieser verkehrten Weichenstellung, die bis in unsere Gegenwart reichen?

Wir haben nach Quantität, nach immer mehr Wirtschaftswachstum gestrebt, aber nicht nach Qualität, wir haben die Vergangenheit des Nationalsozialismus nicht wirklich verarbeitet, sondern verdrängt. Wirtschaftliche Rekorde, Leistung und Konsum waren unsere Götter, immer mehr Umsatz auch an dem Weihnachtsfest in diesem Jahr.

Und dabei werden die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer, bei uns und in der Dritten Welt, in der wir Menschen verhungern lassen, während wir im Überfluss leben. Und nun werfen uns unsere Töchter und Söhne dies mit Recht vor, die meisten mit Worten und gewaltlosen Demonstrationen, leider einige auch mit Waffen und mit Gewalt und für eine andere Gesellschaftsordnung.

Haben wir beim Wiederaufbau unseres Landes übersehen, dass der Mensch auch eine Seele hat, haben wir gedacht, unsere seelischen und sozialen Bedürfnisse würden befriedigt, wenn unsere materiellen Wünsche erfüllt seien? Haben wir unseren Egoismus wichtiger genommen als die Nächstenliebe, die Gaben wichtiger als den Geber? Dass es uns doch nicht geht wie den Menschen, denen der Prophet Jeremia sagen muss: Siehe, sie halten des Herrn Wort für Spott und wollen es nicht haben. Darum bin ich von des Herrn Zorn so voll, dass ich ihn nicht zurückhalten kann. Denn sie gieren alle, klein und groß, nach unrechtem Gewinn, und Propheten und Priester gehen alle mit Lüge um und heilen den Schaden meines Volkes nur obenhin, indem sie sagen: „Friede! Friede!“ und ist doch nicht Friede. Sie werden mit Schande dastehen, weil sie solche Gräuel getrieben haben; aber sie wollen sich nicht schämen und wissen nichts von Scham. Darum sollen sie fallen unter den Fallenden, und wenn ich sie heimsuchen werde, sollen sie stürzen, spricht der Herr.“

Ein Betrunkener, der im Eingang des Kaufhauses Schutz vor der Kälte gesucht hatte, machte es dem Straßenprediger durch sein unablässiges Lallen und Grölen schließlich unmöglich, weiterzusprechen. Da versuchte die Frau, den Prediger mit sich fortzuziehen.

„Komm“, sage sie fürsorglich, als spräche sie zu einem Kind. „Wir müssen nun gehen.“ Etwas zutiefst Gütige, ja Demütiges lag in der Art, wie sie dabei ihren Arm unter den des Mannes schob.

„He, he“, grölte der Betrunkene und schwenkte seine Schnapsflasche. „Lass ihn doch weiterreden, den Prediger. Lass ihn reden, wir wollen unseren Spaß haben. Bist wohl scharf auf ihn, deinen Prediger? Willst ihn wohl für dich alleine, du alte Hure.“

Einige der Umstehenden lachten, andere wandten sich, von der Szene angewidert, ab und gingen nun weiter, während der Betrunkene auf den Straßenprediger zu taumelte und ihm seine Flasche vor das Gesicht hielt. „Trink, Prediger, trink, das gibt das richtige Feuer zum Predigen.“

Die Frau fuhr nicht etwa erschrocken zurück, sondern schob sich schützend zwischen den Betrunkenen und den Prediger, der unbeweglich in der Mitte der Gruppe stehen geblieben war, und in dessen hageres, blasses Gesicht jetzt ein entschlossener, feierlicher, ja fast verklärter Zug trat. Es leuchtete im heiligen Ernst der Worte, die es jetzt zu sagen galt im Vertrauen auf die Macht, für die er gekämpft hatte sein Leben lang bis zu diesem Tag, und die allein auch diesem betrunkenen Spötter helfen konnte, dessen war er sich gewiss.

„Auch du kannst ihn gewinnen, den Kampf des Guten gegen das Böse“, rief er mit lauter, fester Stimme. „Wenn du in deiner Seele die Kraft des Satyagraha wirken lässt, dann kann sie dich von der Trunksucht befreien, diese Macht der Wahrheit und der Liebe. Du erkennst dann in Wahrheit, wie sehr sie dich deine Trunksucht in ihrer Gewalt hat, und wenn du dann der stärkeren Macht des Satyagraha vertraust, wird sie deine Seele weit machen. Du wirst aus Liebe zu den Menschen, die dich lieben, und aus Liebe und Achtung vor dir selber mit dem Trinken aufhören. Das verspreche ich dir, der ich jetzt vor dir stehe, äußerlich zwar ein Blinder, aber mit offenen Augen für diese Liebe, die stärker ist als alles andere auf dieser Welt, die auch dich heilen kann“.

„Was faselst du da?“ unterbrach ihn der Betrunkene, der den blinden Straßenprediger aus glasigen, rotgeränderten Augen anstierte. Einen Augenblick war er scheinbar verblüfft über dessen Worte.

„Du willst mir das Einzige nehmen, was ich noch habe, den Alkohol? Dann will ich dir auch sagen, wer mich dazu gemacht hat: Meine Frau war das, diese Hure. Mit einem anderen Kerl hat sie es getrieben, und dann hat sie mir die Schuld gegeben. Ein Säufer bin ich, hat sie gesagt, und dabei hat sie mich erst dazu gemacht. Kommt mal her“, rief er aufgebracht seinen zwei Saufkumpanen zu, die sich der Gruppe genähert hatten.

„Hört euch doch einmal diesen Prediger, diesen Spinner hier an. Will uns hier etwas von Nächstenliebe, die kann er uns jetzt mal beweisen“, schrie er und schwenkte dabei die Schnapsflasche vor dem Gesicht des blinden Predigers hin und her, sodass dieser und die Frau neben ihm über und über vollspritzte. Ruhig wischte sich der Prediger mit der Hand durchs Gesicht, während die Frau nun heftig an seinem Arm zerrte.

„Andreas, nun komm doch endlich“, flehte sie. „Du wirfst hier doch nur Perlen vor die Säue. Sie sind betrunken, sie wissen nicht mehr, was sagen.“ Sie sah, wie sich die zwei Gefährten des Betrunkenen torkelnd einen Weg durch die gaffende Menschenmenge bahnte, man versprach sich eine weitere Eskalation dieses Schauspiels und genoss sichtlich die ganze Szene. Durch das Gegröle des Betrunkenen waren noch weitere Passanten herbeigelockt worden, darunter ein kräftiger, breitschultriger, untersetzte Mann mittleren Alters. Auf seinem gutmütigem, etwas rundlichem Gesicht breitete sich mehr und mehr sich ungläubig-erstaunten Erstaunen aus, als er den Prediger und die Frau ins Auge fasste, und es ihm zur Gewissheit wurde: „Das ist doch Andreas Seelenbinder“, entfuhr es ihm, „und er macht seinem Namen wieder alle Ehre, meint immer noch, er müsste die Leute bekehren.“

Die umstehenden hörten den Namen, trugen ihn weiter, einer raunte es dem anderen zu: Seelenbinder stand dort vorne, „der Seelenbinder“, als blinder Prediger der Macht der Liebe, Gerechtigkeit und Wahrheit. „Seelenbinder, unser früherer Bürgermeister!“

Sie waren bestürzt, ja erschrocken auch über sich selbst, dass sie über ihn gelacht hatten, denn viele erinnerten sich noch an ihn, diesen Mann, der für das Wohl ihrer Stadt gearbeitet hatte, wie kein anderer, den Freund der Armen, der sozial Benachteiligten, den sie fertig gemacht hatten, die Reichen, die eben mächtiger waren, gegen die man zuletzt immer den Kürzeren zog, und das war eben sein Fehler gewesen, dies nicht erkannt zu haben, so wie sie es doch schon immer gewusst hatten. Der untersetzte Herr, der Seelenbinder als erster wiedererkannt hatte, war durch die Menge nach vorne gegangen.

„Andreas Seelenbinder, was treibst du hier, bist du wieder einmal für dein Satyagraha im Einsatz?“, sagte er, während der den Betrunkenen mit der eine Hand bei Seite schob und mit der andern den Prediger mit sich fortzog. Die Frau, sichtlich erleichtert über diese unerwartete Hilfe, folgte ihnen.

„Ach, du bist es, Berthold“, sagte Andreas Seelenbinder, der seinen Freund aus vergangenen Tagen erst jetzt an seiner Stimme wiedererkannt hatte. „Immer ist einer von uns zur Stelle, wenn die Situation für den anderen brenzlig wird. Das war doch schon früher immer so, ich glaube, da hat dich uns doch wieder einmal einer als rettenden Engel geschickt.“

Ein Lächeln erhellte bei diesen Worten sein Gesicht.

„Das mit dem Engel kannst du glauben oder nicht, ganz wie du willst. Du kennst ja meine Meinung dazu“, antwortete Berthold und seiner Stimme war deutlich anzuhören, was er von den Worten seines Freundes hielt. „Nur eines ist sicher: Sollte Ruth durch deine Hirngespinste einmal auch nur ein Haar gekrümmt werden, ziehe ich dich zur Rechenschaft. Das kannst du mir glauben, du Träumer. – Na, ja“, beruhigte er sich wieder, „das warst du ja schon immer, ein Phantast, und wirst es wohl ewig bleiben.“

Die unverblümte, leicht freche, übergriffige Art seines Freundes kränkte Andreas Seelenbinder wie früher auch jetzt zunächst wieder, aber schon immer hatte er gespürt, dass sich hinter dessen verächtlichen Ton ihm gegenüber auch Bewunderung, ja so etwas wie Neid verbarg, dass er ihm geistig so weit überlegen war.

Andreas Seelenbinder seufzte, seufzte über seinen unverständigen Freund, der sich nicht geändert hatte, all die vielen Jahre über nicht, nichts hatte er gelernt, derselbe pragmatische Realist war er geblieben seit ihren gemeinsamen Kindheitstage bis ins Erwachsenenalter, als der Kampf um den „Glaspalast“, jenes Hochhaus, jene „Mietskaserne“ am Rande der Stadt, ihnen zum Schicksal werden sollte. Eigentlich waren sie vollkommene Gegensätze gewesen, aber immer wieder hatte sie das Leben gelehrt, dass sie einander brauchten: Andreas, der idealistische Utopist des „Satyagraha“ und Berthold, der nüchterne Wirklichkeitsmensch und Pragmatiker. Der eine empfand den anderen oft als zu kompliziert, der Zugang zur differenzierten, feinfühligen und tiefgründigen Gefühlslage Andreas Seelenbinders blieb dem schlichteren Gemüt seines Freundes Berthold zumeist verschlossen, für diesen waren die Situationen und Menschen sehr schnell und eindeutig zu beurteilen, alles reduzierte sich auf die beiden Fragen: Wer ist mein Freund, wer ist mein Feind, was ist jetzt zu tun? „Ihr beide habt doch bestimmt heute noch nichts Vernünftiges gegessen“, vermutete Berthold und wartete gar nicht erst auf eine Bestätigung. „Kommt, wir gehen in das Kaufhausrestaurant, man kann da ganz gut essen. Kein Widerspruch, unser Wiedersehen muss doch gefeiert werden, und ihr seid selbstverständlich meine Gäste!“.

Sie fuhren eine Rolltreppe hinauf, kurz vor Weihnachten herrschte jetzt großer Käuferandrang, die Ladentische waren festlich geschmückt, Weihnachtslieder sorgten als Hintergrundmusik zusätzlich für Stimmung und Kauflust. Das Restaurant befand sich im obersten Geschoss des Kaufhauses, sie setzen sich an einen Fenstertisch, von dem man auf den Marktplatz und in die Fußgängerpassage sehe konnte. Ruth nahm Andreas Hand und streichelte sie.

„Überall hängen Weihnachtsgirlanden“, sagte sie, „es sieht sehr romantisch aus. Über den Schaufenstern haben sie Sterne aus Tannenzweigen und bunte Glühbirnen angebracht, über allen Straßen hängen Weihnachtsgirlanden und Lichterketten.“

Andreas Seelenbinder lächelte und legte seinen Arm um Ruth.

„Es sieht gewiss sehr festlich und romantisch aus“, sagte er.

„Warum lässt du dich nur von solchen Pennern fertigmachen“, schimpfte Berthold, der sich noch immer über den weltfremden Idealismus seines Freundes ärgerte.

„Es sind keine Penner, es sind Obdachlose“, wies ihn Andreas Seelenbinder zurecht. „Sie haben irgendwann irgendwie den Boden unter den Füßen verloren und brauchen jetzt Hilfe. Ich habe einmal mit einem gesprochen, dessen Name mir sehr bekannt vorkam. Er stammte aus einer der reichsten Familien unserer Stadt, hatte aber Pech gehabt bei seinen Geschäften und machte Konkurs. Da verließ ihn auch noch seine Frau und er begann zu trinken, jetzt lebt er auf der Straße, ist ohne festen Wohnsitz und geht „auf die Rolle“, wie er sagt. Weißt du noch, wie ich damals für die Streetworker gekämpft habe, bald hätte ich auch die Geschäftsleute so weit gehabt, sich an den Kosten zu beteiligen.“ Berthold lachte, lachte seinen Freund aus, wie er ihn immer ausgelacht hatte, wenn ihm dessen Idealismus allzu weltfremd erschienen war.

„Glaubst du im Ernst, die hätten sich jemals daran beteiligt? Nein, wer arm ist und am Boden liegt, dem gibt man noch einen Tritt, dass er da auch liegen bleibt, wer oben ist, wer Geld und Macht hat, vor dem kriecht man. Geld regiert die Welt, das ist eben so. Weißt du noch, wie sie uns im Glaspalast Gas und Strom fast einmal abgedreht hätten? Weil Herrmann Simon uns beinahe in den Bankrott getrieben hätte. „Herr-Mann“, er trägt ihn ja mit recht, seinen Namen, er ist der „Herr“ und mächtigste „Mann“ in dieser Stadt, der Große und Allmächtige, vor dem sie gekuscht haben, alle wie sie da saßen im Stadtrat, wenn ihm etwas missfiel und er andeutete, er könne seine Produktion auch ins Ausland verlegen. Es ist schon merkwürdig, dass gerade ihr beide ihn zu Fall gebracht habt. Du, Andreas, hast ihn dann doch gewonnen, diesen Kampf gegen den großen Herrmann Simon, damals in deiner Zeit als Bürgermeister!“

„Wie man es nimmt“, wehrte Andreas Seelenbinder ab, es zuckte seltsam um seine Mundwinkel, seine Stimme klang nicht etwa resigniert oder gleichgültig, sondern eher wie aus weiter Ferne.

„Das war ein Kampf, der wichtig war, aber es war nicht der Wichtigste für mich. Der entscheidende Kampf ist nicht der da draußen, Berthold, der entscheidende ist der in uns selber.“

„Ach was“, entgegnete Berthold in barschen Ton, nachdem ihn die Worte seines Freundes einen kurzen Augenblick verunsichert hatten. „Warum kannst du diesen Phantasten nicht zur Vernunft bringen“, wandte er sich an Ruth.

Diese lächelte, sie verstand ja beide, hatte sie immer verstanden, aber geliebt hatte sie nur den einen. „Wie geht es deiner Baufirma?“ fragte sie Berthold, ohne auf dessen Frage einzugehen. „Und vor alle, wie geht es Karin und den Kindern?“

„Ihr wisst ja, wie sie die Aufträge in dieser Stadt vergeben“, antwortete Berthold. „Immer zuerst an die, die am besten schmieren. Den Bau der Umgehungsstraße hätten sie beinahe an die Gebrüder Schuster vergeben. Aber ihr kennt ja euren Berthold. Berthold lässt sich nicht so einfach aus dem Geschäft drängen. Hat mich zwar eine Menge Schmiergeld gekostet, aber jetzt hab` ich den Auftrag und nicht die Gebrüder Schuster.“

„Wenn ich dich so reden höre“, sagte Ruth, „erinnerst du mich sehr an meinen Vater.“ Wieder stutzte Berthold, aber auch jetzt nur einen kurzen Augenblick, dann hatte er sich rasch wieder gefangen. „Du meinst, ich sei auch schon so ein skrupelloser Kapitalist wie der alte Simon? Vielleicht hast du recht, aber dann bis du mit Schuld daran. Hättest mich damals heiraten sollen, als ich dich gefragt habe. Was tust du stattdessen? Läufst diesem Träumer, diesem Weltverbesserer nach! Du hättest bestimmt einen besseren Menschen aus mir gemacht, Ruth, – womit ich nicht sagen will, dass Karin mir nicht eine gute Frau ist“, fügte er hinzu.

„Ach ja, Karin“, sagte Andreas Seelenbinder und wieder zuckte es um seine Mundwinkel. „Wie geht es ihr?“.

„Sie redet noch immer viel von dir“, antwortet Berthold.

„Sie hat sich ein Album zugelegt, in dem sie alle Bilder und Zeitungsberichte von dir aufbewahrt.“

Ruth erhob sich von ihrem Stuhl und sah zur Toilette hinüber.

„Ich glaube, die ganze Sache eben ist mir auf die Blase geschlagen“, sagte sie. „Ihr könnt euch ja noch weiter über die alten Zeiten unterhalten.“ Sie wollte gerade die Tür zur Damentoilette öffnen, als er aus der daneben liegenden Herrentoilette trat. Sie erkannte ihn sofort, obwohl sein Gesicht noch schmaler und seine Haare noch länger als früher waren. Er war unrasiert, sah seltsam bleich, ja beinahe kränklich aus.

In der rechten Hand trug er einen Koffer. Erst als sie ihn anrief, blickte er auf, erkannte sie, blieb wie angewurzelt stehen und starrte sie mit fassungslosem Gesichtsausdruck an.

„Michael“, sagte Ruth und rüttelte ihn an den Schultern.

„Was ist mit dir, warum sagst du nichts?“

„Wieso – wieso bist du hier?“ stammelte der junge Mann.

„Wir haben Berthold wiedergetroffen, Andreas und ich“, antwortete Ruth. „Er hat uns in dieses Restaurant eingeladen. Komm, setz dich zu uns, wir haben einen Tisch drüben am Fester. Dein Vater wird sich freuen!“ Jetzt trat Panik in die Augen des jungen Mannes.

„Warum seid ihr gerade heute hier in diesem Kaufhaus?“ rief er in erregtem Ton, sah sich jedoch gleich besorgt um, ob ihn jemand gehört habe und fuhr dann im gedämpften, fast flüsternden Ton fort: „Außerdem weißt du doch, dass Reden keinen Sinn mehr hat, wir sprechen nicht dieselbe Sprache.“

Ruth spürte die Nervosität, ja Hochspannung, die von ihm ausging und eine große Unruhe, das Vorgefühl kommenden Unheils ergriff sie. „Irgendetwas stimmt mit dir nicht, Michael“, sagte sie und sah ihn besorgt an. „Wir haben uns Sorgen um dich gemacht, Andreas und ich, weil wir in der letzten Zeit überhaupt nichts mehr von dir gehört haben, selbst dein Bruder Martin wusste nicht, wo du steckst.“

In das Gesicht des jungen Mannes, der Michael hieß, trat jetzt ein gehetzter Zug, er schien Ruth wie ein Wild, das vor seinen Jägern flieht. „Hör schon auf damit“, sagte er in barschem, bewusst unfreundlichem Ton. „Wir haben jetzt keine Zeit für Sentimentalitäten, ihr müsst sofort dieses Kaufhaus verlassen.“

Ruth sah ihn durchdringend an. „Warum“ fragte sie. „Was ist nur los mit dir, Michael, du hast doch vor irgendetwas panische Angst. Was ist es denn?“

„Ich kann´s dir nicht sagen“, antwortete er und wich ihrem Blick aus. „Frag nichts, tu einfach, was ich dir sage. Verlasst sofort dieses Kaufhaus“, wiederholte er mit beschwörender Stimme. Plötzlich war er verschwunden, untergetaucht in der Menschenmenge, die sich durch das Kaufhaus schob. Zwecklos, ihm nachzulaufen, dachte Ruth, während sie zu Andreas und Berthold zurückging. Obwohl ihr Michaels Nervosität, ja Panik unerklärbar waren, sagte ihr doch ihr Instinkt, dass sie seiner Warnung folgen sollte. –

Sie hatten gerade den Platz vor dem Kaufhaus zur Hälfte überquert, als die Detonation hinter ihnen erfolgte. Andreas Seelenbinder hörte nur die Explosion, Ruth und Berthold riss es herum und sie sahen, wie sich die Fassade des Kaufhauses langsam abhob, dann in sich zusammenbrach und auf die Erde niedersank.

Rauch stieg auf und nahm ihnen für Augenblicke jegliche Sicht, bis er sich schließlich verzog und einen bizarren Blick in das Innere des noch hellerleuchteten Kaufhauses freigab, das nun aussah wie die offene Front eines reisengroßen Puppenhauses.

Sie sahen das alles und begriffen doch nicht, was sie sahen. Dann spürte Ruth plötzlich, wie Andreas Seelenbinder ihren Arm umklammere, sein Griff war fest, ja beinahe schmerzhaft.

„Sag mir, mit wem du eben vor den Toiletten gesprochen hast“, forderte er. „Wer hat dich gewarnt, sag es mir, Ruth, du wolltest unbedingt, dass wir sofort aufbrechen sollten.“

Sie wusste, dass es sinnlos war, ihn belügen zu wollen.

„Es war Michael“, antwortete sie mit tonloser Stimme.

„Dein Sohn Michael“. Und zum ersten Mal war Ruth darüber froh, dass Andreas blind war, dass ihm der Anblick des entsetzlichen, grauenhaften Szenarios erspart blieb, das sein eigener Sohn angerichtet hatte. Um sie herum war Panik ausgebrochen, Menschen schrien, Sirenen heulten auf.

Unerschütterlich blieb Andreas Seelenbinder auf seiner Stelle stehen, obwohl er immer wieder angestoßen, ja fast umgerannt wurde, er blieb doch seltsam abgehoben, ja unberührt von dem, was um ihn herum geschah, und dies rührte nicht so sehr von seiner Blindheit her. Früher einmal war es so nicht gewesen, im Gegenteil, irrationalen Angstphantasien hatten ihm zu schaffen gemacht, ein körperlich-seelisches Schwächegefühl hatte ihm seine eigene Ohnmacht und Minderwertigkeit immer wieder vor Augen geführt.

„Es ist die Saat des Hasses“, kam es dann langsam und stockend aus ihm heraus. „Sie ist als Gewalt aufgegangen.“

„Ja, und dein Glaube an das Satyagraha hat es nicht verhindern können“, hielt sein Freund Berthold ihm vor.

Andreas Seelenbinder schüttelte den Kopf. „Du hast im Grunde nie an diese Macht der Gerechtigkeit und Liebe geglaubt, Berthold.“

Tatsächlich waren alle seine Versuche, seinem Freund diesen Begriff Gandhis aus seinem gewaltlosen Kampf gegen die Besatzungsmacht der Engländer in Indien näher zu bringen, gescheitert.

Aber auch jetzt noch in dem sie umgebenden Chaos verzichtete Andreas Selenbinder nicht darauf, seinem Freund seine tiefere Sicht auf die Hintergründe des Geschehens begreiflich zu machen:

„Hass, Unrecht, Gewalt und Verlogenheit haben uns begleitet von unserer Kindheit an, und nun geht sie auf, die Saat des Bösen, die immer neues Böse hervorbringt, auch in meinem eigenen Sohn ist sie aufgegangen.“ Er schwieg einen Augenblick und seufzte tief.

„Aber ich werde ihn nie aufgeben, den Kampf für das Satyagraha, am Ende wird doch die Liebe den Hass, die Gerechtigkeit das Unrecht besiegen.“

Dichtes Schneetreiben hatte jetzt eingesetzt. Von irgendwoher klangen noch immer Weihnachtslieder aus dem zerstörten Kaufhaus zu ihnen herüber.

Die Verletzten wurden auf Krankenbahren abtransportiert, die Polizei hatte begonnen, das gesamte Gelände vor dem Kaufhaus abzusperren, auch sie wurden zurückgedrängt.

2. Kapitel

Er liebte diese Nachmittage, an denen der Geruch abgeflämmten Grases, das ferne Grollen der Sprengungen im Steinbruch am Rande der Stadt, das Flirren der Sonnenstrahlen durch die Zweige der Bäume und die warme Luft in der abklingenden Mittagsschwüle so viel abenteuerliches Leben versprach, heute und morgen und in jener Zukunft, in der er die Welt erobern würde, diese herrliche Welt, die immer wieder neue Überraschungen, Entdeckungen für ihn bereit hielt – dort draußen und in ihm selbst, in seiner Phantasie.

Und in der Vorfreude, im Erahnen seines zukünftigen Glücks schien ihm sein Herz unendlich weit zu werden, so weit, so unendlich wie der Himmel über ihm, es war ihm, als wäre er selbst ein Teil dieses sonnenerfüllten, duftenden Spätsommertags, als sei da nichts Trennendes mehr, kein Unterschied zwischen Drinnen und Draußen, sondern nur noch der eine Strom des Lebens, auf dessen Wogen er selig dahin getragen wurde.

Der Reichtum seiner Empfindungen schien ihm wie ein tausendfaches Blütenmeer in einer unbeschreiblich schönen vielfältigen Farbenpracht. Ja, er genoss sie, diese Nachmittage am Morgen seines Lebens, da alle Empfindungen sich zum ersten Mal regen, frisch und unverbraucht im „Status nascendi“, diese Nachmittages gehörten nur ihm, ihm allein, aber manchmal war es auch beinahe zu viel für ihn, was sich da in seinem Herzen tat, was da erwachte und mit Macht in sein Bewusstsein drang; es war ja die Zeit im Leben eines Menschen, da leben und träumen, die Welt draußen und die Welten in uns noch nicht klar voneinander geschieden sind, sondern ineinander fließen, die Zeit, in der ein Mensch dem Leben und seiner ganzen berauschenden Fülle in seinen ersten Empfindungen wohl am nächsten ist, so nahe, wie er es als Erwachsener, wenn so viele Erfahrungen ihn realistisch und nüchtern haben werden lassen, nie mehr sein wird. Andreas Seelenbinder war ein fünfzehnjähriger Jugendlicher, von hoch aufgeschossener Gestalt, er hatte ein schmales, ein wenig spitzes Gesicht, eine hohe Stirn, seine braunen Augen und seine feine, fast hübschen Gesichtszüge offenbarten eine hohe Empfindsamkeit, es mangelte ihm an natürlichem Körpergefühl, seine Mutter hatte jede Umarmung und körperliche Nähe stets zurückgewiesen, ihre Angst vor den eigenen Gefühlen, die sie überwältigen und ihr zu stark werden könnten, war zu groß, und so hatte sich bei ihrem Sohn kein Selbstsicherheit ausbilden können.

Er hatte eine hohe, grüblerische Stirn, braune Augen und dunkelblondes Haar, sein Charakter war in hohem Maße introvertiert, er braucht die Außenwelt nicht, sein Innenleben war so reich, dass es ihm genügte, seinen eigenen Gedanken und Phantasien nachzugehen, Eindrücke von außen, gleich welcher Art, gingen bei ihm immer tiefer, ja sie „setzen sich fest“, wie seine Tante Rike dies ausdrückte, und sie meinte dies kritisch im Sinne eines „Zu sehr fest“, es gelang ihm oft nur mühsam und nach längere Zeit, „über etwas hinwegzukommen“, das ihn gekränkt hatte, dabei half ihm sein Tagebuch, das er führte und das er unter seiner Matratze versteckt hatte.

Um sich zu schützen hatte er so etwas wie eine Art seelische Mauer um sich als Distanz zwischen sich und seinen Mitmenschen aufgebaut, denen er gleichwohl innerlich nahestand und die er liebte, mit denen er größtes Mitgefühl hatte, wer hinter diese Distanz sah, spürte sogleich sein Feingefühl und sein edles, vornehmes Wesen, das ihm allerdings von vielen als Arroganz ausgelegt wurde.

Schönes wie Hässliches empfand er besonders intensiv, vom Aszendenten Skorpion „hörte er die Flöhe husten“, er trug in sich sowohl eine starke innere Kraft als auch einen gefährlichen Stachel, den er aber nur ausfuhr, wenn man ihn zu sehr und zu lange reizte, mit dem er sich allerdings auch immer selbst bedrohte und verletzte,; sein Sternzeichen war Jungfrau, es half ihm, alle Dinge um sich und sich zu ordnen, für sein strukturelles Denken wurde er bewundert, die „Jungfrau“ ließ ihn in allen Lebensumständen stets eine Reinheit und Vollkommenheit anstreben, ohne die es für ihn keinen Frieden gab. Da er selber zu keinem gemeinen, niederträchtigen Gedanken, keinem lügenhaften Wort und zu keiner bösartigen Tat fähig war, stand er dem Unrecht, das andere ihm oder Menschen, die ihm nahestanden, antaten, zunächst vollkommen fassungslos gegenüber, es fehlte ihm das „Auffassungsvermögen“ hierfür, es durfte einfach nicht sein, was da geschah und da es doch geschah, stürzte mit ihm jedes Mal wieder neu die Welt für ihn ein.

Er reagiere auf unerwartete Situationen zunächst kopflos und mit Panik, er sei ein Träumer und „aus Ängsten zusammengesetzt“, wie sich seine Tante Rike ausdrückte, wenn sie es wieder einmal für nötig hielt, ihren Neffen auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Dies habe wohl auch seine Ursache in einem traumatischen Erlebnis in seiner Kindheit, das mit Opa Urbanski und seinem „Dachschaden“ zusammenhing, den er erlitt, als er im Keller seines Hauses verschüttet wurde, er, Andreas, habe sich damals auch dort befunden und wohl Todesängste ausgestanden, bis man sie endlich gefunden und gerettet habe, er habe nur gezittert und vor Angst tagelang nicht sprechen können, dann auch nur noch stotternd. Andreas Seelenbinder selbst konnte sich nur noch schwach an das damalige Erlebnis erinnern, es war wohl zu stark für ihn gewesen als dass er es bewusst hätte verarbeiten können, deshalb war es verdrängt in seinem Unterbewusstsein und wurde als unkontrollierbare Panikreaktion bei jeder extremen Belastungssituation zunächst immer wieder wirksam. Wenn er aber dann einmal seine Ängste überwunden habe, wüchse er jedes Mal über sich hinaus und entwickele auch so etwas wie „Galgenhumor“.

Das Besondere an ihm, seine einmalige, überragende und führende Rolle, die er von Jugend an im Kreis der ihn umgebenden Menschen spielte, war nicht das Äußere, Sichtbare, sondern sein Glaube an das Satyagraha, an die Macht der Liebe und der Wahrheit; diesen Glauben hatte sein Lehrer sehr früh in ihn eingepflanzt und an diesem Glauben hielt er in einer Treue fest, wie sie nur dem Skorpion zugeschrieben wird, sie war seine Stärke, sie ließ ihn immer dann zum Kämpfer werden, wenn es galt, der Macht des Satyagraha gegen andere Mächte zum Sieg zu verhelfen.

Sein Ehrgeiz und seine Neugier brachten ihn auf allen Gebieten schon in der Schule und später in seinen sozialen und politischen Aktivitäten dazu, alle Hindernisse in sich und um sich zu überwinden um eines Zieles willen, das er sich gesetzt hatte und von dem er sich nicht wieder abbringen ließ. Seine „Skorpion-Seele“ machte vor keinem Tabu halt, wenn es um die Wahrheit ging, er hatte ein unbedingte Liebe zu ihr, der er auch Freundschaften opferte, wenn diese nur auf Kosten der Wahrheit zu erhalten waren, die Nähe zum Satyagraha, der Macht der Wahrheit und Liebe in seinem Herzen, war ihm dann wichtiger als die Nähe zu Menschen, ja im Kampf für sie war er auch bereit, zu leiden, körperliche und seelische Schmerzen auf sich zu nehmen – so wie an jenem Tag:

Es war an einem dieser von ihm so tief empfundenen Nachmittage seiner Jugend-und Reifejahre, als Andreas Seelenbinder eine der ersten großen, schmerzhaften Enttäuschung erlebte, die ihm in der Folge aber dazu dienen musste, trotz oder gerade wegen aller Niederlagen den Kampf für das Satyagraha nicht mehr in realitätsferner Träumerei, sondern im Leben umso leidenschaftlicher und hartnäckiger auf sich zu nehmen.

Er hatte sich wie schon so oft wieder einmal unter den mächtigen Kastanienbaum im Park gelegt, es war der Ort, den er am meisten leibte, weil er hier unter dem schützenden grünen Blattwerk des Baumes und erwärmt durch die Sonne, die ihre Strahlen durch das Blattwerk zu ihm sandte, ungestört seinen Gedanken nahhängen konnte.

Heute aber war nicht der Tag zum Träumen, denn Krieg war angesagt, Bedrohung ging aus vom „Glaspalast“, jenem hohen Mietshaus auf dem Hügel am Rande der Stadt, „Glaspalast“ wurde es seiner Größe und der vielen Fenster wegen genannt, es überragte jedes andere Wohnhaus.

Ein „Palast“ war diese Mietskaserne im Gegensatz zur „Mau-Mau“ - Barackensiedlung, die einige hundert Meter entfernt jenseits einer Bahnlinie lag, und in der Andreas Seelenbinder mit seiner Mutter und deren Schwester wohnte.

Verachtung und Hass standen wie eine Mauer zwischen den Bewohnern des Glaspalastes und denen der Barackensiedlung, die man seinerzeit kurz nach dem Krieg für die Flüchtlinge und Vertriebenen aus dem Osten eilig als Notunterkünfte errichtet hatte und die in der Bevölkerung verächtlich nur als die „Mau-Mau“–Siedlung bezeichnet wurde.

Die dort wohnten waren Heimatlose, Flüchtlinge und Vertriebene, „Habenichts“, die nichts mehr besaßen, die allein deshalb schon eine Bedrohung für die einheimische Bevölkerung waren, weil ihr Kommen dieser noch einmal die Niederlage und das Elend ihres Landes vor Augen führte, die eigentlich gar nicht hierher gehörten, jetzt aber in diese Stadt drängten, in der es doch schon Armut und Not genug gab, die Spuren des Bombenkrieges waren an den Ruinen noch deutlich abzulesen.

Die im Glaspalast -– selber arm und am unteren Rand der Gesellschaft, die Männer zumeist Hilfsarbeiter ohne Ausbildung, mit geringem Einkommen und ohne Perspektive auf gesellschaftlichen Aufstieg, einige auch schon straffällig geworden, in ständiger Furcht vor dem sozialen Abstieg – hassten die in der Barackensiedlung, weil sie sich von ihnen bedroht fühlten im Kampf um ihren Platz in der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft, mit ihnen wollten sie auf keinen Fall in einen Topf geworfen werden, wenigsten von ihnen wollten sie sich absetzen, wenn sie auch sonst nicht viel galten, ihr Hass auf sie war wie ein Schutzwand vor dem Abstieg, er richtete sich keineswegs gegen die „über“ ihnen, gegen die Erfolgreichen, die es geschafft hatten, nein, diese bewunderten sie, ihnen versuchten sie es auf ihrem niedrigerem Niveau nachzumachen:

Aßen diese an Festtagen Kaviar, so hatte man selber unter dem Weihnachtsbaum wieder einen Festbraten, Ananas, Kokosnuss oder Orangen, richteten diese sich wieder mit hochwertigen Möbeln ein, so hatte man selber „Aufbaumöbel“, vorgefertigte Möbelteile meist aus Kunststoff wurden selbst zusammengesetzt, statt eines Mercedes strebte man nach einer Isetta oder einem Volkswagen.

Was den Erwachsenen recht war, den Kindern war es billig, sie setzten den Kampf der Erwachsenen mit ihren Mitteln fort.

„Hartmut und seien Bande wollen heute Nachmittag über die Bahnlinie vorrücken“, hatte es morgens in der Schule geheißen, ein Gerücht nur, vielleiht, vielleicht aber war auch etwas daran, und dann musste es zum Kampf kommen, denn die Bahnlinie war die Grenze zwischen denen im Glaspalast und denen in der Barackensiedlung.

Diese Eisenbahnlinie verlief durch eine Senke, über die ein Holzsteg führte, die einzige Verbindung zwischen den beiden feindlichen Lagern.

Wenn er mittags aus der Schule kam, blieb Andreas Seelenbinder oft für einige Zeit auf der Brücke stehen, die Arme auf das Geländer gestützt, in Gedanken den Gleisen folgend, die ihm zu Boten aus fernen, geheimnisvollen Ländern wurden, die er in seiner Phantasie immer wieder neu und immer wieder anders erstehen ließ und mit Leben füllte.

In die Mitte der Brücke hatten sie eine Kerbe geritzt, sie markierte die Grenze zwischen den beiden Herrschaftsgebieten, dem Hartmuts und den Jungen seiner Bande aus dem Glaspalast, und dem Bertholds, dem Anführer der Jungen aus der „Mau-Mau“. Wie konnte Hartmut es nur wagen, diese Grenze nun in Frage zu stellen, da sie doch bisher von beiden Seiten stets respektiert worden war?

Andreas Seelenbinder sah auf seine Uhr, ein Geburtstagsgeschenk seiner Mutter, mühsam gespart vom Lohn für eintönige Fließbandarbeit in der Fabrik.

Es war kurz vor drei Uhr, in zwei Stunden würde sie nach Hause kommen, oder sie kam später, wenn sie noch Überstunden gemacht hatte, auf jeden Fall würde sie müde sein und sich erst einmal auf das Sofa legen, bevor sie das Abendessen machte.

Sollte er wirklich zur Bahnlinie gehen, war es nicht besser, einfach hier im Park zu bleiben, weiter seinen Träumen nachzuhängen und abends zu Mutter nach Hause zu kommen, Tante Rike würde auch da sein, anders als seine Mutter umarmte sie ihn bei der Begrüßung, während ihn seine Mutter immer auf Distanz hielt, als er es einmal von sich aus gewagt hatte, sie zu umarmen, hatte sie von sich gedrängt als sei er ihr lästig oder als habe sie Angst vor der Berührung.

Jetzt werden sie sich gerade neben der Holzbrücke im Gebüsch auf die Lauer legen, dachte Andreas. Berthold wird sie anführen, die Jungen aus der Mau-Mau-Siedlung, er erklärt ihnen, was sie zu tun haben, wenn sie es wirklich wagen sollten, anzugreifen, die Jungen aus dem Glaspalast.

Wie oft hatte Andreas Seelenbinder schon in seinen Träumen kühne Schlachten geschlagen, gegen das Böse und die Bösen, gegen die, vor denen er, seine Mutter und seien Tante hatten fliehen müssen, aber auch gegen die, die in ihrer unbändigen Machtgier diesen Krieg verursacht hatten, und gegen die, die ihnen hier mit ihrer Verachtung das Leben schwer machten, die von oben auf sie herab sahen wie einige seiner reicheren Klassenkameraden es taten, weil er ärmlicher gekleidet war als sie und weil sie wussten, dass er in der „Mau-Mau“ wohnte und weil sie zu denen gehörten, die immer schon hier gewohnt hatten, er aber nur ein „Polacke“ war, wie sie ihn hänselten.

In seinen Träumen jedenfalls war er aus jeder seiner Kämpfe als siegreicher Held hervorgegangen – aber dieser Kampf jetzt dort an der Bahnlinie, das war kein Traum, nein, das war Wirklichkeit.

Es war nicht Feigheit, die Andreas Seelenbinder zögern ließ, sich diesem Kampf zu stellen – es war eher das Zaudern dessen, der einen hohen Turm bestiegen, von dort oben die weite Aussicht von einem erhabenen Standpunkt aus genossen und nun ein Widerstreben dagegen hat, wieder auf die Niederungen dieser Welt hinabzusteigen.

Es war einige Minuten nach drei Uhr, als Andreas Seelenbinder die Holzbrücke erreichte und zu den anderen stieß.

„Wenn du nicht gekommen wärst“, sagte Berthold, „hätten wir dich für einen Feigling gehalten und nicht mehr mit dir gesprochen.“

Andreas Seelenbinder entgegnete nichts, hockte sich wortlos neben Berthold auf den Boden und starrte mit den anderen gebannt auf die gegenüberliegende Seite der Bahnlinie.

Sie kamen gegen hab vier, Hartmut Sommer, ihr gefürchteter Anführer ging ihnen voran, sie nahmen keine Deckung, sondern schlenderten demonstrativ selbstsicher und dreist in aller Ruhe auf die Holzbrücke und lehnten sich dort lässig und herausfordernd über das Brückengeländer.

„Kommt raus“, rief Hartmut. „Wir wissen, dass ihr euch im Gebüsch versteckt habt, wir wollen euch einen Vorschlag machen“.

Hartmut war der Sohn eines ehemaligen Offiziers der „Waffen SS“, Reinhold Sommer, und hatte dessen Lebenseinstellung übernommen:

Ein deutscher Junge hatte „hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder, flink wie ein Windhund zu sein, die Schwäche seines Gegners hatte er rücksichtslos auszunutzen, selber hatte man nie Schwäche zu zeigen. Hin und wieder machte er seinem Sohn gegenüber auch Andeutungen von den „Sondereinsätzen“, zu denen man die „Waffen SS“ herangezogen habe, immer dann, wenn es besonders unangenehme Aufgaben zu erledigen gegeben habe. Bedingungslosen Gehorsam verlangte er von seinem Sohn, das „Führerprinzip“ hatte er ungebrochen für sein Familie übernommen, strafte mit Schlägen bei geringsten Anlässen; und das, was er von seinem Vater erfuhr, gab sein Sohn Hartmut seinerseits weiter an die Mitglieder seiner Bande, seine Herrschaft beruhte auf Einschüchterung und sofortige Bestrafung von Ungehorsam gegen einen seiner Befehle.

Quer über seine Stirn zog sich eine Narbe, er hatte sie von einem waghalsigen Kletterversuch im Steinbruch davongetragen, mit Stolz präsentierte er sie regelmäßig den Mitgliedern seiner Bande, wenn er dies für nötig hielt, mit den Worten: „Sieh sie dir genau an, du möchtest so etwas Schönes wohl auch gerne haben, der Steinbruch wartet schon auf dich.“

Zudem galt Hartmut als verschlagen, ihm war jede Hinterlist zuzutrauen, das wusste Berthold, deshalb gab er den Seinen ein Zeichen, sich versteckt zu halten.

„Was ist das für ein Vorschlag“, rief er zu Hartmut hinüber.

„Was hast du wieder für einen gemeinen Plan?“.

„Hör zu, du Polacke“, rief Hartmut, und keiner konnte dieses Wort so verächtlich aussprechen wie er.

„Wir machen einen Zweikampf. Ihr bestimmt einen von euch, der gegen mich kämpft. Gewinnt er, lassen wir euch in Ruhe. Gewinne ich, gehört uns auch euer Gebiet und die ganze Mau - Mau und ihr seid für immer unsere Sklaven.“

Andreas Seelebinder spürte, wie sich sein Magen umdrehte, wie die Angst in ihm hochkroch und seine Kehle zuschnürte, er spürte gleichzeitig die seltsame Erregung, die von dem bevorstehenden Kampf ausging und dass er es sein würde, der mit Hartmut kämpfen würde.

Einen Augenblick sah er hinauf in den Himmel, sah einem Flugzeug nach, das hoch oben im weiten Blau gen Süden flog, sehnte sich danach, mitzufliegen in jene unbekannten Länder, von denen er so oft geträumt hatte.

Aber er wusste, dass nun der Augenblick für ihn gekommen war, in dem sich entscheiden musste, was an seinen Träumen dran war, ob sie ihn getrogen hatten oder ob ihre Verheißungen sich erfüllen sollten, ob er nur in ihnen für das Gute kämpfen konnte oder ob er sich dies auch in der Wirklichkeit zutraute: Es ging bei diesem Kampf zuletzt um ihn, wer war er selbst, dieser Andreas Seelenbinder, es ging um seine Identitätsfindung.

„Lass mich gehen“, sagte er zu Berthold, und seiner heiseren Stimme merkte man an, wie aufgewühlt er innerlich war.

Alle sahen ihn ungläubig an.

Andreas Seelenbinder fühlte ihre ungläubigen Blicke, ihm war flau im Magen und vor seinen Augen verschwammen alle Dinge, vor Angst vermochte er kaum noch, klar zu denken – aber er sagte:

„Lass mich gehen, ich werde mit Hartmut kämpfen.“

„Du Träumer willst gegen Hartmut kämpfen“ fragte Berthold verblüfft.

„Glaubst du, du hast eine Chance gegen ihn? Hast du keine Angst?“

„Natürlich habe ich Angst, und wie, aber ich muss es einfach tun“ sagte Andreas Seelenbinder, jetzt in ruhigem und festem Ton.

Er schwieg einen Augenblick, und er spürte jetzt auch, wie erleichtert die anderen waren, dass er sich freiwillig gemeldet hatte und keiner von ihnen

Dann ergänzte er:

„Er ist auf der Seite des Bösen, und das Böse muss man bekämpfen. Das Gute wird immer gegen das Böse siegen, das weiß ich.“

Der Kampf fand auf der Holzbrücke statt, die Mitglieder der beiden Banden hatten sich jeweils links und rechts entlang des Geländers um Hartmut und Andreas Seelenbinder aufgereiht.

Obwohl sie beide etwa gleich groß waren, hätte Andreas Seelenbinder gegen den viel wendigeren, rabiateren und kaltblütigeren Hartmut Sommer - Sohn eines ehemaligen Mitgliedes der Waffen SS und im Geist mitleidloser Härte gegen alle Feinde erzogen - gewiss den Kürzeren gezogen, wenn ihm nicht aus seinem Inneren ungeahnte Kräfte verleihen worden wären, Kräfte, die aus seinem starken Glauben an den Sieg des Guten über das Böse kamen, und da der Glaube bekanntlich Berge zu versetzen vermag, so steigerten sich seine Kräfte durch seinen unerschütterlichen Willen auf erstaunliche Weise:

Er kämpfte wie in Trance, spürte kaum die Schläge und Tritte Hartmuts, alles in ihm war nur noch auf das eine Ziel gerichtet, Hartmut „unter sich zu kriegen“, ihn auf den Boden zu drücken und damit so auch das Böse, das er für ihn verkörperte, zu überwältigen.

Und siehe da, er bekam ihn unter sich, eisern mit der ganzen Kraft seines Willens hielt er ihn fest, drückte ihn zu Boden und kniete sich auf ihn.

Selbst als Hartmuts Gegenwehr gänzlich erloschen war, ließ er ihn nicht los, hielt ihn weiter fest auf die Holzplanken unter sich gedrückt, es sollte für immer vernichtet sein, das Böse, und erst als Berthold mehrmals laut seinen Namen rief, erwachte er aus seinem Trancezustand, der ihn für Hartmuts Schläge so unempfindlich gemacht und ihm die unüberwindbare Kraft verliehen hatte, und ließ von Hartmut ab.

„Du hast ihn besiegt“, sagte Berthold, ungläubiges Erstaunen klang in seiner Stimme und machte Andreas Seelenbinder glücklich und stolz, jetzt bemerkte er auch die bewundernden Blicke der anderen Jungen, fast lag auch so etwas wie Scheu und Ehrfurcht in ihnen.

„Du Träumer hast ihn tatsächlich besiegt.“

„Ja, ich habe ihn für uns alle gewonnen, unseren Kampf“, sagte Andreas Seelenbinder. „Weil sie im Unrecht waren und wir im Recht, das Gute muss immer siegen.“

Aber da hatte er sich getäuscht, nein, er hatte ihn noch nicht gewonnen, den Kampf gegen Hartmut Sommer und alles, was dieser für ihn an Bosheit und menschlicher Niedertracht verkörperte.

Auch Hartmut sah Andreas Seelenbinder jetzt von der Seite mit für ihn ungewöhnlicher respektvoller Zurückhaltung an, für einige Augenblicke hatte es ihm die Sprache verschlagen, dann entdeckte er etwas auf einer der Holzbohlen, bückte sich und hob es triumphierend auf.

„Seht mal alle her“, rief er und hielt einen Zahn in die Höhe.

„Ich habe ihm einen Zahn ausgeschlagen.“

Und stolz ließ er ihn durch die Reihen der Jungen gehen.

Es wurde nie geklärt, um wessen Zahn es sich gehandelt hatte, Andreas Seelenbinder vermisste keinen, aber das war auch in diesem Augenblick gleichgültig, kaltschnäuzig benutzte Hartmut Sommer seine Trophäe, als Beweis für seine Schlagkraft, auf eine Lüge mehr oder weniger kam es ihm dabei nicht an, jedes Mittel war recht, wenn es half, den Feind zu demütigen.

Nein, Andreas Seelenbinder hatte ihn noch nicht gewonnen, weder heute an diesem Tag, noch in der Zukunft, seinen Kampf für das Satyagraha, denn das sollte er erst noch erfahren, dass Bosheit und Unrecht sich vieler Mittel zu bedienen wissen, denen ein Träumer wie Berthold ihn zu nennen pflegte, zunächst nicht gewachsen war.

Die Enttäuschung erfolgte unmittelbar auf seinen Sieg. „Werft jetzt die Steine“, schrie Hartmut plötzlich, derselbe Hartmut Sommer, der ihnen eben noch mit Handschlag und Ehrenwort versprochen hatte, die Entscheidung zu akzeptieren, die der Zweikampf bringen würde.

Und jetzt schrie er:

„Lasst sie tanzen und bluten die Flüchtlinge aus der Mau - Mau.“

Derselbe Hartmut schrie es, schrie es mit vor Wut und Hohn heiserer Stimme, schrie es mit hassverzerrtem Gesicht, das ein gemeines Grinsen zu Grimasse entstellte, schrie es in den unschuldigen, erschrockenen Sommernachmittag hinein, und mit seinem Wortbruch stürzte sie ein, die Welt des Andreas Seelenbinders, seine gerechte Welt, in der das Gute über das Böse zu siegen hatte.

Es sollte ja noch oft in seinem Leben ähnlich schmerzhaft sein, er sollte noch oft „aus allen Wolken“ seiner Träume fallen, aber diese ersten Erfahrungen der Kindheit schmerzte besonders und blieben traumatische Erfahrungen auf dem Grund seiner Seele.

Die Jungen aus Hartmuts Bande hatten sich bereits die Hosentaschen voller Steine gesteckt, sie brauchten diese jetzt auf sein Kommando nur noch herauszuholen und sie auf die ahnungslosen, völlig überrumpelten Jungen aus der Mau - Mau zu werfen.

Diese versuchten zwar, davon zu rennen und sich hinter der Böschung in Deckung zu bringen, aber die meisten wurden auf ihrer Flucht dorthin doch vorher von den Steinen getroffen, schrien vor Wut und Schmerzen, versuchten, ihre Gesichter mit den Händen zu schützen und waren doch wehrlos diesem gemeinen, brutalen Hinterhalt ausgeliefert, auf den sie in keiner Weise vorbereitet waren.

Auch Andreas Seelenbinder wurde von mehreren Steinen getroffen, zuerst am Kopf, ein anderer verletzte ihn am Fuß so schmerzhaft, dass er zu Boden fiel, Tränen strömten ihm über das Gesicht, aber noch schmerzhafter war in seiner Seele die maßlose Enttäuschung über die Niederlage des Guten, die mit infernalischem Siegesgeschrei Hartmuts und seiner Bande gefeiert wurde.

Er weinte vor Wut, Kränkung und Schmerz, dabei war der körperliche Schmerz erträglicher als der seelische, alles in ihm fühlte sich an wie eine große Wunde, alles, was in ihm fest und gewiss gewesen war, löste sich auf angesichts einer Welt, in der solches möglich war, und schwamm mit seinen Tränen dahin.

So intensiv und tief wie ihn alles Schöne und Gute berührte, so war er auch schutzlos allem Hässlichen und Gemeinen ausgeliefert, dieses verletzte ihn stets zutiefst, er brauchte immer länger als andere, um sein seelisches Gleichgewicht wiederzufinden.

Als er vom Boden aus in den Himmel über sich sah, gewahrte er wieder hoch oben im Blau ein Flugzeug, aber diesmal hasste er es wegen der Gleichgültigkeit, mit der es unberührt von seinem traurigen Schicksal hier auf Erden in weiter Ferne hinweg zog.-

Als Andreas Seelenbinder an diesem Abend nach Hause kam – er hatte auch einem Stein an die Stirn bekommen, die Wunde aber mit einem Taschentuch, das jetzt blutgetränkt war, zum Stillstand gebracht – hätte er seine Mutter gerne seinen Anblick erspart, sie reagierte mit dem ihrem schwachen Nervenkostüm entsprechendem Entsetzen, brach in hysterisches Schluchzen aus und konnte sich nicht beruhigen, sie war wieder einmal mit einer Situation völlig überfordert.

Tante Rike war da anders, sie hatte die besseren Nerven, sie wusste immer sofort, was zu tun war. Eigentlich hieß sie Friederike, aber schon der Grund, warum sie diesen Vornamen ablehnte, war bezeichnend für sie: Sie fand ihn zu „gespreizt“, er passe nicht zu ihr, die Kurzform „Rike“, so meinte sie, passe viel besser zu ihr und reiche völlig aus.

Sie und ihre jüngere Schwester waren auch äußerlich völlige Gegensätze: Rike, die ältere, war etwa einen Kopf größer als ihre jüngere Schwester, ihr knochiges Gesicht mit den stets wachen Augen strahlte zwar einerseits Energie aus, andererseits aber auch eine Härte, die eher abstoßend wirkte, während die weicheren Gesichtszüge Marias verbunden mit den hellblauen Augen und dem tiefschwarzen langen Haaren einen anziehenden Eindruck vor allem bei dem männlichen Geschlecht hinterließen.

Tante Rike machte ihm keine Vorwürfe, sondern wusch ihm das Blut ab und legte einen Verband an, ohne dabei viele Worte zu machen, sie gab ihm nur knappe Anweisungen, er hätte sie dafür umarmen können.

„Ich weiß nicht, wie es dazu kommen konnte, dass du so aussiehst,“ sagte sie. „Ich vermute, es waren wieder mal die Jungen aus dem Glaspalast.“

Einen Augenblick hielt sie inne und sah ihn fragend an, bis er nickte. Sie liebte Zitate. Auch jetzt hatte sie eines parat.

„Wir haben eine Schlacht verloren, aber nicht den Krieg “, tröstete sie ihn und strich ihm über die Haare.

„Merk dir mal den Satz. Ein großer Franzose, Charles de Gaulle hat ihn im Widerstand gegen die Nazis gesagt, auf Französisch natürlich, da heißt er:

Nous avons perdu une bataile, pas la guerre.“

Tante Rike war stolz auf ihre Französisch- und Englischkenntnisse. Letztere hatte sie als Dolmetscherin bei der englischen Militärregierung genutzt, die ihren Sitz in ihrer Stadt hatte. Sie war sehr froh über ihre Stelle bei der Control Comission for germany/ British Element gewesen. Bis zu ihrer Entlassung im Zuge der Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland 1949 hatte sie alleine für ihrer aller Unterhalt gesorgt, aber auch danach hatte sie immer wieder versichert, „unterkriegen lasse ich mich nicht“.

Ja, so unterschiedlich waren sie, Mutter und Tante Rike, zwei ungleiche Schwestern, die ein durch Krieg und Flucht immer am Rand eines Nervenzusammenbruchs, bei der kleinsten Schwierigkeit schon in Panik geratend, die andere durch alle Schicksalsschläge immer härter und willensstärker geworden.

Es schien Maria Seelenbinder, als hätten die schweren Kriegs- und Nachkriegsjahre ihr das Letzte bereits abverlangt, als seien durch sie ihre Lebenskräfte schon fast verbraucht.

Ihr Sohn war der eine große Lichtblick in ihrem Leben, die Liebe zu ihm hatte ihr bisher immer den Willen und die Kraft zum Durchhalten gegeben, sein Leben war ihr anvertraut, ihr allein, da sein Vater aus diesem schrecklichen Krieg, der ihr ihre Heimat genommen hatte, nicht zurückgekehrt war. Dies war ihr anderer, demgegenüber schwächere Lichtblick, die Hoffnung, dass er doch noch lebe und sie ihn oder er sie eines Tages wiederfinden würde.

Ihr Verhältnis zu ihrer älteren Schwester Rike war ambivalent, einerseits bewunderte sie diese und ließ sich von ihrer Vitalität mitreißen, andererseits warf sie ihr innerlich vor, sie selbst damit in den Schatten zu stellen, der Entfaltung ihrer eigenen Kräfte m Wege zu stehen. Sie beneidete sie oft, weil sie von Kindheit an über jene Robustheit verfügte, die ihr selbst abging. Rike Seelenbinder war es auch, die den letzten Anstoß zur Flucht gab, als sie hörten, dass ihnen beim Einrücken der Russen in das Dorf Vergewaltigung und Deportation nach Sibirien drohten.

So waren sie eines Nachts geflohen, nachdem sie das Kanonendonnern der Front von Tag zu Tag hatten näher kommen hören; nach Tagen schwerster körperlicher, nervlicher und seelischer Belastung und fast ohne Schlaf hatten sie schließlich in Norddeutschland auf einem Bauernhof Unterkunft gefunden, waren aber nach einigen Monaten der besseren Arbeitsmöglichkeiten wegen in diese westdeutsche Industriestadt gezogen, standen nun tagsüber in einer Fabrik am Fleißband und hofften wie alle Menschen in jener Zeit des beginnenden Wirtschaftswunders im Nachkriegsdeutschland auf eine bessere Zukunft.

Diese hätte für sie vor allem darin bestanden, eine Wohnung zu finden, um aus der Notunterkunft in der Barackensiedlung herauszukommen.

„Sie mögen uns nicht, die aus dem Glaspalast“, sagte Tante Rike während sie ihren Neffen weiter verarztete.

„Sie mögen uns nicht, weil sie Angst davor haben, wir könnten sie eines Tages aus ihrem Glaspalst verdrängen. Sie nennen uns die aus der „Mau-Mau“. Warum eigentlich, es klingt so verächtlich, so als wären wir gar keine richtigen Menschen und gehörten nicht hierhin, sondern zu den Wilden nach Afrika.“

Und Andreas Seelenbinder schwor sich, als er das verhärmte, besorgte Gesicht seiner Mutter sah:

Dort werden wir einmal wohnen, im Glaspalast, Mutter, Tante Rike und ich.

Wenn sie uns auch jetzt noch verachten und hassen, einmal müssen sie uns doch anerkennen, ich habe Hartmut Sommer besiegt, ich werde solange kämpfen, bis sie uns neben sich gelten lassen.

„Mau-Mau sagen sie zu unserer Barackensiedlung, weil wir sie angeblich an die aufständischen wilden Schwarzen in Kenia erinnern“, erklärte Tante Rike.

„So sagen sie ja nicht nur hier, sondern überall in Deutschland zu solchen Elendssiedlungen wie unsere. Sollen sie doch in ihrem Elend verrecken, so denken viele über uns Flüchtlinge und Vertriebene aus dem Osten. Sie wollen mit uns nichts zu tun haben, wollen etwas Besseres sein. Wir zerstören ihre Ordnung hier in Deutschland wie die aufständischen Schwarzen die in Afrika, glauben sie. Sie fühlen sich von uns bedroht und behandeln uns wie Aussätzige, die man sich vom Leib halten muss. Sollen sie doch, wir lassen uns von ihnen nicht unterkriegen, du auch nicht, Andreas, du weißt doch, wir sind schon mit ganz anderen Schwierigkeiten fertig geworden, was wir auf der Flucht erlebt haben, davon haben die hier keine Ahnung. “ –

Die Zeit heilt Wunden, körperliche und seelische.

Auch Andreas Seelenbinder erfuhr die Wahrheit dieser Lebensweisheit: als er einige Tage später auf seinem Heimweg von der Schule am Glaspalst vorüberkam, hatte er eigentlich nur den einen Gedanken, wie schön es wäre, wenn er sich gleich nach dem Mittagessen mit einem Buch und seinen Träumen unter den Kastanienbaum im Park legen und dort bis zum Abend ungestört lesen und in seinen Phantasiegebilden leben könnte.

Es war Samstag, ein wundervolles, freies Wochenende in Freiheit ohne beengende, kahle Schulräume, düstere Flure und einen die Phantasie tötenden Unterricht lag vor ihm, ein strahlend blauer Himmel tauchte die Welt in ein so helles, verheißungsvolles Licht – nein, da gab es auch in seinem Herzen keinen Raum mehr für düstere Gedanken, etwa die der Rache.-

Auf der Wiese vor dem Glaspalast hängten Frauen ihre Wäsche auf, die Männer polierten stolz und hingebungsvoll ihre Autos, damit sie für die Ausflugsfahrt am Wochenende auch genügend glänzten. Es waren untere Mittelklasse und Kleinstwagen, wer einen „Käfer“ sein Eigen nannte, gehörte schon zu denen, die es weit gebracht hatten, aber daneben fanden sich auch die BMW Isetta, deren Tür nach vorne aufging, der Lloyd 300, der einen Zweitaktmotor besaß und dessen Karosserie aus Sperrholz bestand und der deshalb den Spitznamen „Leukoplast-Bomber“ trug, der Messerschmitt-Kabinenroller und das Goggomobil. Wer ein Autoradio besaß ließ die neuesten Schlager in den Samstagmorgen hinein klingen: Willy Hagara sang: Ein Häuschen mit Garten und Caterina Valente gemeinsam mit ihrem Bruder Silvio Francesco: Steig in das Traumboot der Liebe-Texte und Melodien gaben genau die Stimmung und Sehnsüchte dieser fünfziger Jahre wieder, in denen man nach den düsteren, beschwerlichen Vierzigerjahren mit all dem, was sie materille und geistig zerstört hatte, nun die Leichtigkeit einer „heile Welt“ suchte, allerdings ohne zuvor die untergegangene, alte verarbeitet zu haben.

In der Mau - Mau hat kaum einer ein Auto, dachte Andere Seelenbinder. Er selbst wäre gern einmal in einem Auto mit möglichst hoher Geschwindigkeit über die Autobahn gerast – ein Wunsch, wie ihn jeder andere Junge in seiner Klasse auch hatte, nur dass es für ihn niemanden in seiner Verwandtschaft oder Bekanntschaft gab, der ihm diesen Traum erfüllen konnte, während sich einige seiner Klassenkameraden gegen seitig mit den Automarken überboten:

„Mein Vater hat sich einen neuen Opel gekauft“, erzählte der eine stolz.

Aber er wurde gleich übertrumpft von einem seiner Kameraden, der genussvoll und mit verächtlichem Blick auf den Jungen mit dem Opel-Vater sagte:

„Das ist doch gar nichts – mein Onkel fährt einen Mercedes, am Wochenende holte er uns wieder zu einem Ausflug ab.“

Der Mercedes des Onkels war unschlagbar, alle schwiegen einen Augenblich beeindruckt und ehrfurchtsvoll, der Opel verlor gegenüber dem Mercedes an Glanz, und das Ansehen des Jungen mit seinem Mercedes- Onkel wuchs in den Augen der anderen, vermutete man doch dahinter auch großen Erfolg und Reichtum. Wie weit war doch ein solches Denken von dem Reichtum der Seele entfernt, von dem ihnen Dr. Weiss, ihr Deutsch- und Geschichtslehrer erzählt hatte:

Dem Satyagraha, der großen Kraft der Seele, die sich in der Liebe zur Wahrheit und Gerechtigkeit äußert. Mahatma Gandhi habe diese Kraft besessen, hatte er ihnen erzählt, er habe sie eingesetzt im gewaltlosen Widerstand gegen die englische Besatzungsmacht Indiens, und deshalb habe man ihn „Mahatma“, „große Seele“ genannt.

Nicht auf die Größe des Autos, nicht auf materiellen Reichtum käme es unter den Menschen an, sondern auf die Größe ihrer Seele, darauf, wie gerecht, wie verständnis- und liebevoll sie miteinander umgingen.

Und dann hatte er mit ihnen eine Exkursion gemacht, um ihnen seinen Traum vom Satyagraha zu zeigen, einen Gedenkstein, der an die Jüdische Synagoge in der Stadt erinnerte. Als sich die Klasse dort versammelt hatte, erzählte er ihnen von der Zerstörung der Synagoge in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. Nov. 1938; in dieser Nacht seien durch Gewaltmaßnahmen, die das nationalsozialistische Regime organisiert hatten, vierhundert Menschen ermordet und über 1400 jüdische Synagogen und andere Gebäude zerstört worden. Er, Dr. Weiss, sei als Jude im Gegensatz zu seinem Vater ganz bewusst in Deutschland geblieben, um Versöhnung zu stiften, um dem Satyagraha, der Macht der Wahrheit und Liebe auch zwischen Deutschen und Juden zum Sieg zu verhelfen. Jedes Mal, wenn er Fortschritte in diesem Kampf sähe, gehe er hier auf das Grundstück der ehemaligen Synagoge, das er erworben habe, und lege einen Stein nieder, dies sei bei jüdischen Gräbern statt Blumen üblich, früher hätte man so die Toten in der Wüste bedeckt, damit deren Totenruhe nicht von Raubtieren und Greifvögeln gestört würde.

Er gehe nun die Wette ein, dass dann, wenn Andreas Seelenbinder seinen Traum vom Satyagraha verwirklicht hätte, sich auch sein Traum von der Errichtung einer Neuen Jüdischen Synagoge erfüllen und er dafür genug ideelle und finanzielle Unterstützung haben werde.

Natürlich wollte man danach von ihm wissen, was das denn für ein Traum sei, den Andreas Seelenbinder habe, und natürlich sagte er ihnen nicht, dass er Bürgermeister dieser Stadt werden wollte, denn die seiner Klassenkameraden hätten ihn nur verspottet und ausgelacht. –

Während er solchen Gedanken nachhing, wurde Andreas Seelenbinder plötzlich aus einem der oberen Fenster des Glaspalastes angerufen:

„He, du Polacke, euch haben wir es aber gegeben, und wie ihr gesprungen seid und getanzt habt und wie schnell ihr laufen konntet! Ihr seid ja auch vor den Russen davongelaufen, ihr Feiglinge!“

Es war Hartmut Sommer, Andreas Seelenbinder entdeckte ihn jetzt, wie er betont lässig aus dem Fenster lehnte und zu ihm herunter grinste.

Einen Augenblick brauchte Andreas Seelenbinder wieder, um mit dieser neuen Provokation Hartmut Sommers fertig zu werden, dann rief er mit fester Stimme zu ihm hinauf:

„Komm doch herunter, dann werde ich dir schon zeigen, wer hier der Feigling ist. Eine hinterhältige Gemeinheit war das mit den Steinen, ihr werdet noch sehen, was ihr davon haben werdet!“

Hartmut lachte laut und verächtlich, sein ganzes Gesicht verzog sich zu einer höhnischen Fratze und er spuckte verächtlich auf Andreas Seelenbinder hinunter, ohne ihn zu treffen.

Abe er machte keine Anstalten, zu ihm herunter zu kommen. –

Am Nachmittag unterm Kastanienbaum im Park nahm dann das weiße Schiff ihn wieder mit auf seine Reise. Strahlend, gleißend in der Sonne tauchte es am Himmel auf, das Schiff seiner Träume und seiner noch unklaren Sehnsüchte nach fernen Inseln und danach, Menschen zu Satyagrahi zu machen und für die Macht der Liebe und Wahrheit zu gewinnen: Solche Menschen bekamen durch ihren gewaltlosen Kampf, ihren Widerstand gegen das Böse in sich und in den anderen eine große Seele, ihre Überwindungskraft veränderte sie und die Welt, das war Gandhi gelungen, dem „Mahatma“, der „großen Seele“, das sollte auch ihm gelingen, jetzt im Kampf gegen Hartmut Sommer und sein ganzes Leben lang, das hatte er sich fest vorgenommen, es war sein großes Lebensziel.

Er schwang sich hinauf in den Himmel und legte sich auf ein Wolkenschiff, und ließ sich von ihm hinaustragen aus der Enge der Mau-Mau- Barackensiedlung, er befreite sich von der Feindschaft Hartmut Sommers und seiner Bande aus dem Glaspalast, von den dunklen, nicht verarbeiteten Erinnerungen an die Flucht und die Ängste, die sie dabei hatten ausstehen müssen; alles Schwere blieb unter ihm zurück, er wurde ganz leicht und begann mit der Wolke zu schweben in einem unendlichen, weiten Blau dort oben über ihm, und immer weiter wurde er getragen bis in jene Ferne, die jenseits des sichtbaren Horizontes mit ihren Geheimnissen lockte.-

„He, was machst du hier in unserem Park?“

Andreas Seelenbinder brauchte einige Zeit, um aus den fernen Ländern seiner Phantasie den Weg zurück in die Wirklichkeit zu finden. Als er sich umwandte, stand da ein Mädchen vor ihm, dessen große, braune Augen ihn zornig anfunkelten.

„Du hast hier nichts verloren, das ist Vaters Park!“

Andreas Seelenbinder richtete sich auf, noch immer benommen von dieser plötzlichen Störung, die ihn so unsanft aus seinen Träumen gerissen hatte.

Noch nie war ihm bisher ein Mensch hier im Park begegnet bis auf den alten Gärtner, der ihm nur freundlich zugenickt hatte, wenn er seiner gewahr wurde, ja, der ihn einmal sogar noch aufgefordert hatte, doch nur getrost alle die Birnen und Äpfeln mit zu nehmen, die auf dem Boden lagen.

„Äh… ich wusste nicht“, stotterte Andreas Seelenbinder und räusperte sich, „ich habe nicht daran gedacht, dass dieser Park jemandem gehört, ich gehe immer hierher, wenn ich allein sein will.“

„Uns gehört er!“, sagte das Mädchen in einem Ton, der keinen Zweifel mehr an dieser Tatsache aufkommen ließ, ihre Augen sprühten noch immer vor Zorn und über ihre Stirn hatte sich eine Falte gezogen.

„Wenn du nicht sofort verschwindest, hol` ich meinen Vater, und dann kannst du was erleben.“