Die geladene Knarre von Andreas Baader - Thilo Bock - E-Book

Die geladene Knarre von Andreas Baader E-Book

Thilo Bock

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Beschreibung

Der kurze Sommer der Liebe und Rebellion: Sebastian, Leander und Rieke proben den Aufstand Berlin, im Sommer 2005: Gerhard Schröder hat die Vertrauensfrage gestellt und damit vorgezogene Neuwahlen erzwungen. In den Parks ist das Grillen verboten, und dann geht das Ordnungsamt auch noch gegen Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit vor. Das ist zu viel, beschließt eine Gruppe junger Studenten und begehrt auf.Sie alle stecken mitten im Studium, jenseits der Euphorie des Anfangs und noch vor dem Einsetzen der Examenspanik. Hausarbeiten sind ein lästiges Übel, der Stundenplan aber angenehm löchrig, und jetzt sind sowieso Semesterferien. So trifft man sich im Park, am See oder auf Partys – und immer geht es auch um Politik. Besonders Sebastian verfolgt die Parlamentsdebatten, Pressekonferenzen und Diskussionen im Fernsehen, regt sich auf über Heuchelei und Machtpoker, findet aber eigentlich sein Verhältnis mit Rieke viel aufregender.Als die Idee eines Blogs aufkommt, mit dem man eine Gegenposition artikulieren könnte, ist Sebastian noch Feuer und Flamme. Schon mit der Titelfindung geht es aber nicht richtig voran, und währenddessen schmiedet Leander viel radikalere Pläne. Als Rieke plötzlich in ihrer Handtasche eine Pistole mitbringt, die einst Andreas Baader gehört haben soll, eskaliert die Situation. Nur ein Fanal scheint geeignet, die nötige Aufmerksamkeit zu erregen. Und da er auch noch mit Luzie etwas angefangen hat, muss Sebastian dringend eine Entscheidung treffen ...Thilo Bock liefert das schillernde Porträt einer Generation jenseits von Ideologien und Utopien. Die Unzufriedenheit mit den Verhältnissen ist groß, die Angst um die eigene Zukunft noch größer, und ansprechende Alternativen sind eher Mangelware. Trotzdem gibt es eine Bereitschaft zur Radikalisierung, die selbst vor dem Äußersten nicht zurückzuschrecken scheint. Mit großem Gespür für Befindlichkeiten und Sprechweisen erzählt Thilo Bock von Freiheit, Sehnsucht und Verantwortung.

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Seitenzahl: 719

Veröffentlichungsjahr: 2009

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Es ist Freitag, wir liegen auf verschwitztem Laken. Weil Rieke mit dem Fuß nun doch den Knopf am Fernseher getroffen hat, kann die Welt in das abgedunkelte Zimmer suppen. Die Fernbedienung funktioniert mal wieder nicht, die Batterien wollte ich längst ersetzen, und so gucken wir die Tagesschau, Mittagsausgabe, die uns berichtet, was wir auch so schon wußten: Der Kanzler hat heute sein Vertrauen verloren, vor allem das der anderen. Er hat keine Lust mehr, vielleicht weiß er wirklich nicht weiter und will sich daher ein Jahr vor dem regulären Wahltermin vom Volk abwählen lassen; das zeugt nicht gerade von Verantwortungsbewußtsein. Hat der Schröder nicht früher Fußball gespielt? Da muß man doch auch neunzig Minuten durchstehen. Verlängerungen sind möglich, Verkürzungen dagegen unüblich. Ich könnte mit Rieke darüber reden, weil wir, wenn wir nicht gerade ficken oder träumen oder uns bedeutungsvoll anschweigen, sowieso die ganze Zeit reden über uns und die Welt, denn wir sind jung, und wir haben Zeit und ganz guten Sex, weshalb ich auch gerade keine Lust habe zu reden, schon gar nicht über Politik. Ich lasse mich lieber berühren, anfassen, begrabschen von Riekes Händen auf meiner Bauchhaut. ›Acker‹ sollen sie den Schröder früher auf dem Bolzplatz gerufen haben. Das ist lange her, lange vor unserer Zeit. Früher hätte er das Spielfeld gewiß selbst dann nicht verlassen, wenn sein Team gerade eine derbe Klatsche kassierte. Niemand nannte Schröder Ackerkanzler, höchstens Spaßkanzler, was auch schon eine Weile her ist. Der Kanzler bei ›Wetten, dass …?‹, der Kanzler mit Zigarre in teurem Zwirn, der Kanzler sagt: Regieren macht Spaß; der Kanzler, der lacht. In der Küche von Riekes WG hängt ein Foto, auf dem Schröder mit einem Glas Bier in der Hand offenbar lauthals lacht. Dieses Lachen scheint ihm vergangen zu sein. Wir haben verstanden, hat er gesagt, als die SPD bei der Europawahl Punkte verlor, das muß neunzehnneunundneunzig gewesen sein, aber wer hier wirklich was verstanden hat, weiß heute keiner mehr. Heute sieht man Schröder neben Fischer auf der Regierungsbank sitzen wie bei einer Trauerfeier. Rotgrün wird zu Grabe getragen, Regieren macht wohl doch nicht so viel Spaß. Ich dagegen habe Spaß, gerade sogar besonders viel Spaß, auch wenn Rieke und ich seit bestimmt fünfzehn Stunden nicht anderes getan haben, als abwechselnd miteinander und nebeneinander zu schlafen. Der Kanzler sagt, das Volk solle durch Neuwahlen die Richtung bestimmen. Die Kandidatin verhaspelt sich, der Außenminister bekeift die Opposition, ein Abgeordneter der Grünen kündigt eine Klage gegen die Neuwahlen an, er fürchtet wohl um seine eigene Zukunft. Verfassungsrechtler bezweifeln, ob das Mißtrauensvotum gilt, ein Reporter spricht von Plausibilität, von beschränkter Handlungsfähigkeit, ich aber gebe nur Töne von mir, die Rieke zeigen sollen, wie sehr ich das mag, was ihr Mund nicht sagt, sondern tut. Dabei waren es vor allem ihre Worte, die mich verliebt gemacht haben, damals, vor gut einem Jahr, als wir ständig irgendwo hingegangen sind, wo man was zu gucken hatte, bloß nicht einander in die Augen, wo man zuhören konnte, und manchmal sogar den eigenen Worten, leise dazwischengeflüstert, ein Kommentar im Kino, nicht immer verstanden, akustisch, und trotzdem bekichert, schon wegen des warmen Kitzelns am Ohr. Jetzt kitzelt was anderes, und das ist gut zu verstehen, in Ankara wurde ein mutmaßlicher Terrorist erschossen, wir hören gar nicht zu, und ich greife nach Riekes Kopf, ich kann mich nicht an ihrem Haar festkrallen, weil das viel zu kurz ist, Zeichen einer Radikalität, die längst versunken ist im Schlamm meiner Matratze, und jetzt muß ich wirklich stöhnen, und Riekes Mund saugt fester, und dann ist da wieder dieses Gefühl, das wahrscheinlich das höchste von allen ist, da langt das der Geborgenheit nicht heran, und auch wenn es im Grunde stets gleichbleibt, festgelegt im Erbprogramm als Bestätigung maskuliner Zeugungskraft, muß Mann es immer wieder haben, steigt etwas hinauf, drängt etwas hinaus, und die NASA schickt Astronauten ins All, und ich und ich und ich und. Morgen wird das Wetter wieder besser. Riekes Mund schmatzt. Morgen beginnt die Tour de France. Riekes Kopf kommt höher, küßt mich, ich schmecke die salzigen Reste meiner inneren Erdigkeit, und wir spielen Grimassenpingpong, bis Rieke ihre Gesichtszüge in meinen Hals drückt. Wir schmiegen uns aneinander fest und gestatten einer Arztserie, uns in den Schlaf zu streicheln, so schwierig das auch ist bei der übertriebenen Ausdrucksweise der Akteure. Manchmal denke ich wirklich, in einen Groschenroman geraten zu sein, in einen, in dessen Verlauf die Währung geändert wurde, und wir waren gerade zu sehr mit uns selbst beschäftigt, um es mitzubekommen. Wir sind schön und klug und verdammt faul, aber weil wir das erkannt haben, läßt sich das einigermaßen ertragen.

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Später gehen wir noch schnell was einkaufen. Gut, daß Aldi jetzt bis acht aufhat. Die Auswahl ist begrenzt, das letzte Gemüse verwelkt, bei Lidl gegenüber gibt’s bestimmt was Frischeres, aber Lidl beutet seine Kassiererinnen aus, da kaufen wir nicht ein. Wie Aldi mit seinen Angestellten umgeht, weiß ich nicht. Ich frage Rieke danach, während sie Tomaten abtastet. Keine einzige hält dem Drücktest stand. Verzögert reagiert Rieke mit einem Schulterzucken. Keine Ahnung, gehört hat sie davon jedenfalls noch nie was. Außer Frage steht, sage ich und betrachte dabei Champignons unter Cellophan, Aldi ist ein extrem kapitalistischer Verein, Aldi gehört zwei Brüdern, und die zählen zu den Reichsten überhaupt, was man von ihren Angestellten nicht einmal ansatzweise behaupten kann. Rieke ist gegen die Champignons und wirft ein Netz Paprikaschoten in unseren Wagen. Die Aldibrüder haben doch die Welt unter sich aufgeteilt in Aldi Nord und Aldi Süd, sagt Rieke, und ich finde das lustig, denn ein Nord-Süd-Gefälle müßte andere Steigungen aufweisen. Ich erwähne, inzwischen stehen wir am Kühlregal, daß es Aldi übrigens nur in westlichen Ländern gibt. Echt? Rieke stellt zwei Becher Sahnejoghurt in den Wagen und guckt mich kurz an. Nicht mal in Moskau? Soweit ich weiß, nicht. Ich bewege den Wagen ein wenig vorwärts. Es gibt auch kein Aldi Dritte Welt, sage ich. Logisch, Rieke bückt sich nach einer Packung Rostbratwürste und sagt: Aldi ist die Dritte Welt für Wohlhabende. So kann man’s sehen, sage ich, Aldi ist der Tropfen Magerquark inmitten allererster Sahne. Magerquark? Rieke kneift ein Auge zusammen, die haben hier doch alles: Parmesan, sogar Schampus, und der ist nicht mal billig. Der ist mehr was für Besserverdiener, sage ich. Die Warteschlange an der Kasse ist lang. Besonders viele Angestellte hat Aldi nicht. Ob das schon Ausbeutung ist? fragt Rieke, während wir uns in die Einkaufswagenschlange einreihen. Über den Kassen hängen große Schrifttafeln, die das Aldi-Prinzip verkünden. Guck mal, ich zeige drauf, das ist das Konsummanifest der Geizigen und Gepeinigten. Rieke sieht mich fröhlich an und skandiert dann mit gereckter Faust die Formel: Qualität ganz oben – Preis ganz unten. Das kann ja jeder sagen, sagt sie dann, und ich tue ihr den Gefallen. Wir ernten ein paar Blicke, immerhin, Ernte ist Ernte, und stellen und legen unsere Einkäufe, Bier in Plastikflaschen, Dreikorntoastbrot, Olivenöl, Schinken, eine Gurke, Paprikaschoten, Rostbratwürste und die Joghurts, auf das Förderband. Wir sind stolz, lese ich mit Inbrunst von der Tafel ab, auf unsere freundlichen und zuverlässigen Mitarbeiter. Und, übernimmt Rieke, wir sind stolz auf unseren Erfolg. Fünfundachtzig Prozent aller Haushalte kaufen heute schon bei Aldi. Das sind mehr, lese wieder ich, als bei jedem anderen Lebensmittelanbieter. Der Rentner mit der Schiebermütze, unter der verschwitztes, schütteres Grauhaar hervorquillt, schaut sich immer wieder irritiert nach uns um. Die Waren wackeln derweil voran. Immerhin haben sie hier jetzt einen Barcodescanner, sage ich, früher mußten die Angestellten die Nummern aller Artikel auswendig lernen. Und, sagt Rieke, man kann den Champagner bargeldlos bezahlen. Als die Kassiererin unsere Einkäufe aufpiepsen läßt, fragt Rieke sie, ob sie ausgebeutet wird. Die Frau verzieht ihr Gesicht. Hauptsache Arbeit, sagt sie, aber man hört es kaum.

Auf dem Rückweg kommen wir bei Plus vorbei. Wegen der Abwechslung kauf ich da auch manchmal ein, vor allem dann, wenn Aldi schon geschlossen hat. Aber jetzt hat Aldi ja bis zwanzig Uhr geöffnet, bloß samstags nicht, da ist schon um vier Schluß. Eigentlich ein geiles Motto, sagt Rieke, und ich weiß nicht, was sie meint. Na, Plus, sagt sie, Prima Leben und Sparen. Ich gucke sie so tadelnd wie möglich an. Frage, ob sie es denn immer noch nicht verstanden habe, und rufe ihr einen Satz von der Tafel an der Kasse zu, den ich mir gemerkt habe: Wir versprechen, daß wir unser Aldi-Prinzip konsequent einhalten. Rieke lacht wie über einen guten Witz. Es gluckst noch in ihr, als sie an einer Ampel den Tabak zückt.

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Abends in der HaHe, keine Ahnung, wer eigentlich auf diese Abkürzung kam, Leander wahrscheinlich, und wenn Leander sich so was ausdenkt, dann sagen’s bald alle: Wir treffen uns in der HaHe, kommste mit, hängen in der HaHe? Was für ein dämlicher Name für die Hasenheide, aber mich fragt ja keiner, und es ist mir egal, hier in der HaHe, und Leander ist noch gar nicht da, an diesem Tag, der wahrscheinlich die Mitte des Jahres ist, das müßte man mal durchzählen. Rieke und Steff versuchen ihr Bestes, und Toni fragt, ob das auch bei einem Schaltjahr so wäre. Wir liegen an der tiefsten Stelle eines grünen Flußbettes ohne Wasser, ein langer Schlauch Wiese, an dessen Ufern heute keine Türkenfamilien sitzen, nur vereinzelte Jugendliche toben umher. Die Sommerhitze der letzten Tage wurde von starkem Regen fortgespült, wir aber ignorieren das Wetter, unsere Arroganz richtet sich nun mal gegen die Wirklichkeit. In größeren Abständen lagern zudem Pärchen auf der Wiese, wohl um die Welt aus den Augen zu verlieren, denn hier ist die Realität nicht mehr als ein schwachrosa Schimmern am Himmel. Wir sind sechs, wir üben für weitere Sommerabende, vielleicht spielen wir auch nur die besten Tage unseres kurzen Lebens nach. Wobei, was ist schon kurz? Denkt man an all die Augenblicke, die nicht vergehen wollen, addiert zu einem gefühlten Alter, dann sind unsere Leben verdammt lang. Zählten aber nur Momente, die mehr sind als ein bloßes Vorsichhinleben, also die Momente, in denen wir etwas verstehen, etwas gesagt bekommen, in denen wir uns verknallen, uns küssen, miteinander schlafen, uns auf jemanden verlassen, bis er uns verläßt oder wir das tun, das sind schließlich auch Momente, die sich auf das Lebenskonto einzahlen lassen, wenn also nur das zählt, was nicht im Leerlauf einer Daseinsroutine vom Sekundenzeiger zerteilt und zum uninteressanten Ausschuß rutscht, dann sind wir noch verdammt jung. Oder zu alt für unsere Erfahrungen.

Immerhin wissen wir schon, daß eine Decke eine nasse Wiese nur bedingt bedeckt, es sei denn, man legt eine Folie darunter und noch eine zweite Decke darauf. Ich hatte eine Folie im Rucksack, die ist vom Renovieren übriggeblieben, und die Mädchen haben Decken dabei. Meier hat einen Grill herangetragen, auf dem nun ein paar Nackensteaks und einige von unseren Rostbratwürsten liegen sowie Tonis Gemüsespieße. Steff hat eine Riesenschüssel leckeren Nudelsalat mitgebracht und eine Kommilitonin, deren Namen ich nicht verstanden habe und die ihr blondes Haar lang und brav trägt. Sie wirkt grau irgendwie, das mag an ihrer Kleidung liegen, dabei trägt sie eine blaue Jeans. Das Reden überläßt sie lieber anderen. Meier zum Beispiel, der von einem Grillplan erzählt, den er im Internet gefunden hat auf der Seite des Stadtentwicklungssenators, wo die Plätze, an denen man legal grillen darf, aufgelistet sind. In ganz Neukölln ist Grillen verboten! sagt Meier mit Empörung in der Stimme, die er mit einem Grinsen auflöst. Sind wir hier nicht in Neukölln? fragt Steff. Normalerweise grillen auf dieser Wiese doch auch andere, sage ich, und Rieke schlägt vor, diese bei Gelegenheit anzuzeigen. Ich finde, sagt Meier und wendet dabei das Fleisch mit einer Gabel, wir sollten für das Recht aufs Grillen kämpfen! Und wie willst du das anstellen? fragt Toni, die als Vegetarierin ohnehin kein großer Holzkohlefan ist. Meier sagt, es sei ein Menschenrecht, seine Nahrung so zu sich zu nehmen, wie man sie am liebsten mag und vor allem ohne extra Fett. Dem kann auch Toni zustimmen. Rieke spricht von öffentlichen Grünanlagen, die dem Volk gehören, und Steff gibt zu bedenken, daß sich manche vom Qualm belästigt fühlen könnten, wenn zukünftig überall gegrillt werden würde. Das will Meier nicht als Gegenargument gelten lassen. Erst als ich sage, daß es schon gemein sein kann, wenn es lecker nach Fleisch riecht und du nichts abbekommst, hält Meier kurz inne, eine Hand in die Hüfte gestemmt, während die andere die Gabel in den Himmel zeigen läßt, bis er sie auf uns richtet. Teil unseres Kampfes wäre natürlich, daß alle lernen sollen zu teilen, sagt er, wenn einer grillt, dann darf ihn jeder in seiner Umgebung um Fleisch bitten. Das ist ja Schwachsinn! ruft Toni. Dann gibt es bald nur noch Schnorrer, sage ich. Ist schon was fertig? fragt Steff. Man müßte es schaffen, die Masse zur Mäßigung zu erziehen, sagt Steffs Kommilitonin und fährt sich mit einer Hand durchs Haar. Wir anderen aber gucken sie überrascht an, vor allem wohl, weil wir ihre Anwesenheit fast vergessen haben. Rieke fragt, wie sie das denn durchsetzen wolle. Das sei das Problem, sagt die Kommilitonin und guckt zu Boden. Eine Utopie! ruft Steff Richtung Dunkelgraublau und breitet die Arme aus. Ihr Blick leuchtet regelrecht. Und ich dachte immer, Steff würde auf Männer stehen. Wir brauchen aber keine Utopien, sagt Meier, was uns fehlt, sind Taten. Taten? fragt Rieke und richtet ihren Oberkörper auf, an was für Taten hattest du denn gedacht? Na ja, Meier schaut aufs Grillrost, vielleicht auch erst mal bloß Manifestationen, mit denen man auf Mißstände aufmerksam machen könnte, und das vor allem jenseits der ja doch irgendwie gleichgeschalteten Presse. Willst du Flugblätter verteilen? fragt Toni. Wie die Weiße Rose! ruft Steff. Genau, sagt Meier, nur vielleicht etwas zeitgemäßer, ich hatte da an ein Blog gedacht. Ein Blog? wiederholt Steff, was soll das denn sein? Ist das nicht so ’n Internettagebuch? fragt Toni. Im Grunde ja, sagt Meier, das Design ist vorgegeben, die Inhalte folgen chronologisch aufeinander, und die Leser können’s kommentieren. Sehr demokratisches Prinzip, sagt Toni. Aber wer liest das? fragt Rieke. Theoretisch alle, sagt Meier. Und praktisch? frage ich, was bringen Flugblätter, wenn man wissen muß, wo sie liegen? Und daß sie da überhaupt liegen! ergänzt die Kommilitonin. Als ich sie daraufhin angucke, flackert in ihrem Gesicht ein kurzes Lächeln auf. Man muß es natürlich bekanntmachen, sagt Meier derweil, per E-Mail, in einschlägigen Foren, Mundzumundpropaganda, was weiß ich. Wie wär’s mit Flugblättern?! schlägt Rieke vor und guckt keck. Ja, sagt Meier, auch das natürlich. Und wie soll es heißen? fragt Steff. Weiß noch nicht, sagt Meier und wendet eine Fleischscheibe, die schon ziemlich schwarz ist auf einer Seite, was mich auf eine Idee bringt. Nenn es doch ›schwarzweiß‹! schlage ich daher vor. Was soll das denn? fragt Meier, und auch die anderen wirken wenig begeistert. Wir brauchen endlich wieder klare Abgrenzungen, erkläre ich, dieses egale Einheitsgrau ist sowieso scheiße. Meier nickt und zeigt mit der Gabel in meine Richtung. Grau ist keine Farbe, stimmt er einen Singsang an, grau ist keine Farbe. Was ’n das jetzt? fragt Toni. Ach, nichts, sagt Meier, so ’n Song halt. Schwarzweiß, sagt Rieke, das klingt so negativ, nach Schwarzweißdenken und so. Nenn es doch gleich ›Der Holzschnitt‹! sagt Toni. Wie wär’s mit ›Holzwurm‹! sagt Steff und kichert. Hey, Meier fuchtelt mit seiner Gabel, ich meinte das eigentlich ernst. Wie wär’s mit ›Der Sturm‹, ruft Rieke, weil sich was zusammenbraut, oder ›Die Aktion‹! Schon eher, sagt Meier. Du mit deinen Expressionisten! zischt Toni. Was ist eigentlich mit dem Fleisch? frage ich. Willst du? fragt Meier. ›Fleisch‹ könnte auch ein guter Titel sein, sagt Rieke. Für was soll das denn ein guter Titel sein? fragt Toni pikiert, und dreh mal das Gemüse um. Fangt doch erst mal mit den Inhalten an! sagt die Kommilitonin. Wir sollten ein Manifest verfassen! sagt Rieke mit einer gewissen Begeisterung in den Augen. Du bist also dabei? fragt Meier sie, während er das Stück Fleisch auf den von mir hingehaltenen Pappteller fallen läßt. Klar, sagt Rieke, und Bast bestimmt auch. Ja, sage ich und kippe Ketchup über das schwarzgegerbte Steak.

Später trifft auch noch Leander ein. Man sieht ihn schon von weitem, schon weil er so groß ist. Sein helles Hemd leuchtet trotz zunehmender Dunkelheit. Seelenruhig durchschlendert er den Wiesenschlauch auf uns zu, Eile ist ihm fremd. Leander hat nichts mitgebracht, wie immer, Leander rechnet nämlich mit der Großzügigkeit der anderen. Großzügigkeit ist nun mal das Wichtigste, das sagt Leander, der alle überschwenglich begrüßt, auch mich, schon weil ich ihm eins meiner Biere gebe, ich will ja nicht geizig wirken, Riekes Blick im Nacken. Steff reicht Leander einen Teller Nudelsalat, Meier legt ihm eine knusprige Scheibe Fleisch dazu und erzählt ihm von dem Grillplan, worüber sich Leander natürlich freut, weil er so etwas lächerlich findet, was es ja auch ist, aber Leander fällt stets die Aufgabe zu, die Lage zu kommentieren. Jetzt jedoch wischt er sich einige lange Strähnen aus dem Gesicht und beginnt mit vergnügtem Gesichtsausdruck zu kauen.

Später diskutiert er mit Meier und Rieke erregt über die Chancen von Rotgrün. Niemals, mit diesem Kanzler! meint Leander, und Rieke hofft weiterhin auf ein Wunder. Ihr ist eine abgewirtschaftete rotgrüne Regierung immer noch lieber als eine zwischen CDU und FDP. Du spinnst doch! ruft Leander, sind schließlich alles Hartz-IV-Parteien, so was darf man einfach nicht wählen. Was denn dann? frage ich. Leander fragt zurück: Warum denn die Grünen, was haben die denn groß getan, sieht man mal von den Windmühlen ab? Die Grünen sind für uns in den Krieg gezogen, Kosovo, ohne UN-Mandat, das vergeßt ihr ja gerne, das ist auch nicht besser als Steinewerfen und Bullen verprügeln, nur damals hat Fischer wenigstens noch selber gefightet, Leander springt auf, heute aber runzelt er lieber eine Runde Besorgnis in die Kamera, macht einen auf Diplomatie und hinterher vielleicht eine Pulle Barolo auf, weil er sich schon lange nicht mehr schert um das, was wirklich abgeht in der Welt. Leander bückt sich und greift ein neues Bier aus Meiers Tasche. Als er sich wieder aufrichtet, sagt er: Ich wähle das neue Linksbündnis. Bist du verrückt? rufe ich, das ist doch die PDS, die kann man nun wirklich nicht wählen. Ach, wieso nicht? fragt Rieke, sie habe die schon beim letzten Mal gewählt, aber das war vor deiner Zeit, Bast. Sagt es und zwinkert mir zu. Die schwätzen doch nur, rufe ich. Da kracht es, und ich bekomme ein paar Spritzer Feuchtigkeit ab. Für einen Moment weiß ich nicht, ob das Regen ist, dann aber lacht Leander los. Leander hat ein meckerndes Lachen, das man vielleicht mit den Lauten von Ziegen vergleichen könnte, würde man sich mit Ziegen auskennen. Leander zeigt sein zerbrochenes Feuerzeug, der Kronkorken war stabiler. Wir lachen mit ihm, ich reiche ihm eins meiner Plastikbiere, das läßt sich aufdrehen. Dann stoßen wir an. Steff und Toni lästern über einen Kerl, der von Toni was will, was er wohl nie bekommen wird. Steffs Kommilitonin sieht einigermaßen unbeteiligt aus, aber als sie meinen Blick bemerkt, lächelt sie wieder, und das ist schön, so schön sogar, daß ich weggucken muß. Dann lasse ich mir die letzte, schon ziemlich verbrutzelte Wurst vom Grill geben. Reich mir mal das Ketchup, Toni! Sie tut’s und fragt mich, ob ich im Staatstheorieseminar was schreibe. Ich aber verziehe nur den Mund. Wußte gar nicht, daß du noch studierst, ruft Leander fröhlich, und diesmal winke ich ab, ist doch sowieso zwecklos! Na ja, sagt Leander, für mich klingt Staatstheorie ganz interessant, vielleicht weiß ja Toni eine Staatsform, die unserem Land besser täte als diese lästige Demokratie. Toni weiß auch keine, aber sie erzählt irgendwas von Machiavelli, über den hat sie ein Referat gehalten, da war ich sogar im Seminar, bloß habe ich ihr da genausowenig zugehört wie jetzt. Ich beiße von der lauwarmen Wurst ab. Dunkelheit füllt unser Trockenflußbett. Ich schaue in Riekes Richtung, ihr Gesicht kenne ich auswendig, glücklicherweise, denn jetzt erkenne ich es kaum noch. Während Leander weiterhin mit Toni über das Seminarthema spricht und sich besser auszukennen scheint als sie, unterhält sich Steff leise und kichernd mit ihrer Kommilitonin, vielleicht auch über das zu Ende gehende Semester, Biologie interessiert mich nur in der Praxis, mein Blick huscht unbewußt zurück zu Rieke, die erregt auf Meier einredet. Er antwortet leise, woraufhin Rieke ausruft: Dann laßt uns doch verdammt noch mal was tun! Ich stimme ihr innerlich zu, wobei sie wahrscheinlich gerade nicht von Sex gesprochen hat. Aber es geht auch nicht mehr um D-Land, das graue Jammertal ist vollgeweint, jetzt reden sie wohl über den G8-Gipfel in Edinburgh. Die anderen Gespräche sind durch Riekes Ausruf abgebrochen, jetzt gibt es nur noch ein Thema. Daß man da eigentlich hinmüßte, meint Toni, während Steff sagt, es würde ja schon reichen, am nächsten Tag zum Live-Eight-Konzert an der Siegessäule zu gehen. Meier lästert, daß dort doch nur Schabrackenkapellen wie Grönemeyer, die Söhne Mannheims und die Toten Hosen aufträten, das sei erbärmlich, das müsse er sich nicht geben. Er will sich das Konzert sowieso lieber im Fernsehen angucken, natürlich die Übertragung aus London, da spielen U2, Paul McCartney, The Who und vor allem Pink Floyd, zum ersten Mal seit über zwanzig Jahren wieder gemeinsam mit Roger Waters, sagt er, das sei schon was. Steff findet das Event einfach geil, acht Konzerte auf der ganzen Welt gleichzeitig. Neun Konzerte, verbessere ich, Moskau ist jetzt auch mit dabei. Das wird bestimmt so legendär wie Live Aid, meint Meier, der, wie wir alle, neunzehnfünfundachtzig noch zu jung war, um eigene Erinnerungen an das größte Livemusikspektakel, die Mutter aller Benefizveranstaltungen, zu haben. Morgen soll das Wetter ja wieder besser werden. Wird bestimmt ’ne geile Party, sage ich, und Steff schlägt vor, wir könnten uns doch in den Tiergarten hängen, Picknick machen und die Mucke hören, soll ja um acht sowieso vorbei sein. Echt? fragt Rieke, schon um acht? Heißt ja auch Live Eight, sage ich, aber keiner lacht. Du sollst ja danach auch losfahren nach Edinburgh, sagt Meier. The Long Way of Justice! ruft Toni, eine Spur zu pathetisch. Wir können ja nach dem Konzert zu Meier fahren, sagt Steff, das Konzert in London gucken. Klar, sagt Meier, wenn ihr Bier mitbringt! Mitgebracht hat Leander heute doch noch was: Gras. Jetzt zelebriert er den Bau des Doperohrs. Alle gucken erwartungsvoll, nur die Kommilitonin schaut auf ihre Füße. Sie will auch nicht dran ziehen, ich dagegen tue es, obwohl ich den Geschmack nicht sonderlich mag, die Wirkung aber um so mehr, und weil Riekes Hände nur noch schwer von mir lassen können, male ich mir aus, wie wir später vom Weg abkommen könnten, uns auf feuchten Wiesen zu wälzen, stets gewahr vor Schlaflosen und Perversen.

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Samstag. Es ist heiß, es ist viel zu viel los, und ich warte schon ganz schön lange auf die anderen, entweder habe ich sie verpaßt, oder sie haben es sich anders überlegt. Nicht mal Rieke ist da, und dann ist auch noch ihr Handy ausgeschaltet, und in ihrer WG geht nur der verschlafene Freddie ran, der nicht einmal weiß, wie spät es überhaupt ist. Ich entschuldige mich für die Störung und ärgere mich. Eigentlich hatte ich vor, gemütlich mit Rieke zu frühstücken und dann gemeinsam zum Brandenburger Tor zu fahren, aber sie wollte noch unbedingt in die Stabi. An einem Samstag in die Bibliothek! Wegen eines Referats, Weltuntergangslyrik der Expressionisten. Die hätten sich den Ersten Weltkrieg quasi herbeigedichtet, hat Rieke gesagt, auf die mir gerade kein vernünftiger Reim einfällt. Vergiß doch die Antike, Rieke, mir fehlt schon dein Gequieke! Wahrheitsgehalt minimal, schließlich quiekt sie gar nicht, erst recht nicht beim Sex, auf der Wiese gestern sowieso nicht, aber auch im Bett ist ihr Stöhnen eher ein wohliges Wollen, das sich auf mich überträgt. Die anderen fehlen mir genauso, weniger emotional als praktisch. Wer ist schon gern allein inmitten der Masse? Leander kommt sowieso zu spät, wenn überhaupt. Wie der uns hier finden will?! Toni geht nicht ans Telefon, Steffs Nummer hab ich nicht, und Meier wollte sich nicht überreden lassen. Von der Bühne an der Siegessäule, man kann sie von hier aus nicht sehen, wehen verzerrte Klänge herüber, das dürften die Toten Hosen sein, als ich die Kommilitonin von Steff sehe. Die hatte gestern gar nichts zu unserer Verabredung gesagt. Zuerst bin ich mir nicht sicher, ob sie es ist, an ihren grauen Klamotten, die gar nicht alle grau sind, hätte ich sie sicher nicht erkannt, aber doch wohl am Lächeln, das hat Wiedererkennungswert. Ich begrüße sie, und sie lächelt mich vage an. Wo sind die anderen? fragt sie. Ich weiß es nicht. Sie sagt, sie hätte befürchtet, zu spät zu kommen. Ich sage, daß ich schon gar keine Lust mehr aufs Warten habe. Daß ich daher mit der Kommilitonin allein Richtung Bühne gehen müßte, wird mir erst im Moment des Aussprechens bewußt. Mir ist heiß, in meinen Achseln staut sich Schweiß. Ich ärgere mich über die anderen, vor allem über Rieke. Wozu trage ich denn immerzu ein Telefon in meiner Tasche mit mir herum, wenn mich doch niemand anruft? Ganz schön viel los hier, sagt die Kommilitonin und guckt sich um, nicht gerade die Obersympathenversammlung, was? Wieso? frage ich, sehen doch alle ganz normal aus. Ja, eben, sagt die Kommilitonin, die auch ziemlich normal aussieht. Sie meint, es wäre vielleicht doch schlauer, sich die Übertragung aus London anzuschauen. Wo wohnt denn der Michael? fragt sie. Ich halte es für klüger, Meier vorher anzurufen, er geht auch ran, ich kann aber nichts verstehen. Ich höre lediglich, daß er irgendwo hier sein muß, allerdings in Bühnennähe, es sei denn, er hat seinen Fernseher extrem laut gestellt. Tja, ich stecke das Telefon wieder ein und zucke mit den Schultern. Die Kommilitonin sagt, daß sie dann lieber wieder nach Hause fährt. Ja, sage ich, ich auch. Sie guckt mich an, als müßte ich noch etwas sagen, und so sage ich: Manchmal reicht es echt, sich die Leute anzuschauen, um zu wissen, daß es sich nicht lohnt, ihnen zu folgen. Die Kommilitonin grinst. Das stimmt, sagt sie. Dann stehen wir etwas unschlüssig in der Gegend rum. Schließlich nickt die Kommilitonin, klemmt sich eine Haarsträhne hinters Ohr und sagt: Na, dann mach’s gut, Sebastian! Sie hebt ihre Hand leicht zum Gruß und verschwindet in der mir entgegenströmenden Masse. Und ich weiß noch immer nicht, wie sie heißt.

Zehn Minuten später schließe ich mein Fahrrad wieder von der Laterne und fahre nach Hause. Kaum eine Ecke weiter vibriert mein Telefon. Ich halte an. Es ist Meier, der eine Konzertpause wählt, um mit mir zu sprechen. Alter, ruft es mir entgegen, wo bleibste denn? Das frage ich dich, Meier, die anderen sind auch noch nicht hier. Es stellt sich heraus, daß Meier mit Toni und Steff ziemlich nah an der Bühne steht, wo sie auch erst einmal bleiben wollen. In den Tiergarten hängen wir uns später, meint Meier, und London guckt der Videorekorder für uns. Meier gluckst, meine Amüsiertheit hält sich sehr in Grenzen. Er sagt noch was von MP3s, die’s bestimmt schon morgen im Netz gibt, und ob ich denke, daß ich die drei finden werde, doch bevor ich ›nein‹ sagen kann, wird es bei ihm wieder laut. Meine Verabschiedung dürfte er nicht gehört haben. Ich stecke das Telefon ein und trete in die Pedale.

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Mittwoch. Draußen regnet es. Was für eine beschissene erste Juliwoche! Wir liegen im Bett und spielen November. November ist der schlimmste Monat. Der Übergang in den Winter. Sprühregen und der ganze Scheiß, es wird dunkel, bevor man richtig wach ist. Den November über kann man getrost im Bett bleiben. Rieke und ich haben schon einen gemeinsamen November hinter uns, da waren wir gerade einen Monat zusammen, da haben wir die meiste Zeit im Bett verbracht, genauer: in zwei Betten. Noch genauer und insgesamt genommen auf einem Bett und auf zwei Matratzen, das heißt: drei Matratzen, schließlich besteht mein Bett nicht bloß aus einem Gestell, Riekes Matratze aber ist so schmal, daß sie sich eine zweite von ihrer Mitbewohnerin Karen borgen muß, wenn ich in ihrer WG übernachte. Bei mir sind wir sowieso ungestörter, da sind wir ganz bei uns. Punktsieg für Kreuzberg, wobei Friedrichshain und Kreuzberg längst ein Bezirk sind oder vielmehr ein Verwaltungsbezirk. Uns ist das egal. Wir verwalten uns gegenseitig. Wir haben uns vereinigt und dann wieder und immer wieder. Der Körper des anderen gehört uns nicht, doch haben wir uns gegenseitig gewählt, um unsere Kraft dem Wohle des anderen und uns selbst zu widmen nach bestem Wissen und Gewissen, so wahr uns die Lust helfe. Wir liegen beieinander, schauen uns im Halbdunkel des vorhangverhängten Julitages an, auf daß wir nicht den bedeckten Himmel sehen müssen und den Regen nur hören und nicht spüren. Lieber spüre ich Riekes Hand, die meine Bereitschaft auf eine exekutive Fortsetzung unseres Bündnisses testet. Für diesen Teil unserer Verwaltungsarbeit brauchen wir keine Worte, da gelten Blicke und Berührungen. Unsere Oktoberrevolution war erfolgreich. Und sie wird es sein, bis wir uns irgendwann die Vertrauensfrage stellen. Zur Zeit ist alles bis zur Erschöpfung geregelt. Bei kleineren Unstimmigkeiten drehen wir den Ton raus, so wie neulich, als sich Rieke mit Leander in der Stabi verquatscht hat, während ich vorm Brandenburger Tor gewartet habe, immer wieder Leander, der sich ja so gut auskennt! Ein neuer Satz Grimassenpingpong beendet mein dunkles Denken. Wer gewinnt, darf die Musik bestimmen. Die Siegerin rollt sich zum Matratzenrand und kramt in den CDs, die neben dem Bett liegen. Oh, ist die neu? fragt sie und hält eine gebrannte in die Höhe. Ich kann nicht erkennen, was draufsteht, und frage deshalb danach. Kettcar, sagt Rieke, die sollen ganz gut sein. Ich antworte, daß sie das sind, und wundere mich, warum Rieke die Platte noch nicht kennt. Leg mal rein, sage ich, hat Meier mir neulich gegeben. Der erste Track fängt an, kraftvoll. Die Stimme des Sängers ist etwas gepreßt, aber er hat die absoluten Wahrheiten parat. Ein Volk steht wieder auf, singt er, bei Aldi brennt noch Licht, du weißt: der Kuchen ist verteilt, und spürst: die Krümel werden knapp. Rieke guckt mich an, und so wie sie guckt, weiß ich, sie mag den Song. Kenn ich, sagt sie, beschreibt gut den Zustand. Ich nicke. Wir haben unsere Hymne. Du weißt: die Deiche brechen richtig oder eben nicht. Nur weil man sich daran gewöhnt hat, ist es nicht, noch lange nicht egal. Mir hat niemand was erzählt. Das ist unsere Zeit, ich bin dabeigewesen. Ach, sagt Rieke, wo wir schon mal dabeisind, ihr Körper richtet sich auf, und ihr Mund sagt: Ich hab Hunger. Ja, sage ich, wie immer? Ich kann doch nichts anderes, sagt sie. Ich bin doch auch noch da, sage ich. Und? sagt Rieke und guckt frech. Das holt mich von der Matratze, doch bevor ich kitzelnd tätlich werden könnte, bewegt sich Rieke schon Richtung Küche. Ich folge ihr und werde am Herd mit Nacktheit und dem Sparschäler bedroht, doch einen Teil der Waffen läßt Rieke sich kampflos abnehmen und die Nacktheit immerhin berühren, was auf Gegenseitigkeit beruht, denn nackt bin ich schließlich selber. Draußen ist es so trübe, daß man eigentlich das Licht anmachen müßte, aber ich bin auf die Blicke der Nachbarn nicht erpicht, und Rieke kümmert sich genausowenig um mehr Beleuchtung. Während ich mich mit dem Kartoffelnetz an den Tisch setze, läßt Rieke Wasser in den großen Topf laufen. Als sie abdreht, bleibt sie reglos an der Spüle stehen. Wer sind wir eigentlich? fragt sie nach einer Weile, wohl mehr mich als den Topf, obwohl sie diesen anspricht. Ich und du, würde ich sagen, sage ich. Nein, Rieke dreht ihren Kopf zu mir, eher so verallgemeinert. Zwei Nackte? schlage ich vor, zwei sich liebende Nackte beim Kochen. Nein, sagt Rieke und wendet sich ganz um, unsere Generation! Die ist auch nackt, sage ich, so verallgemeinert. Rieke guckt, als gefiele ihr das. Sie stellt den Topf auf den Herd und dreht am Regler. ›Die nackte Generation‹! sagt sie, das klingt auch viel besser als ›Die Nullfünfer‹! Die Nullfünfer? wiederhole ich fragend. Als Analogie zu den Achtundsechzigern, sagt Rieke. Ich nicke, schon verstanden. Rieke nimmt sich einen zweiten Topf, der wohl noch schmutzig ist, denn auch den hält sie unter den Wasserhahn. Aber die Achtundsechziger heißen doch deshalb Achtundsechziger, sage ich, weil sie was getan haben, weil was passiert ist, damals, neunzehnachtundsechzig. Bei uns muß auch was passieren, sagt Rieke, während sie mit dem Schwamm im Topf herumwischt. Nur was? frage ich. Ja, sagt Rieke, irgendwas muß passieren, damit endlich was passiert. Oder wir sind echte Nullnummern, sage ich, niemand braucht uns, jedenfalls sagen sie das doch immer, es gibt zu wenige Fachkräfte, aber gleichzeitig keine freien Stellen, nicht mal Praktikumsplätze. Und trotzdem nennen sie uns die ›Generation Praktikum‹, sagt Rieke und greift nach dem Geschirrtuch, dabei kenne ich niemanden, der in letzter Zeit ein Praktikum gemacht hat. Ich auch nicht, sage ich, ich wüßte sowieso nicht, wo ich eins machen könnte. Du solltest es mal als Callboy versuchen, sagt Rieke. Wenn du mir ein Empfehlungsschreiben geben könntest, sage ich, und Rieke kommt zu mir, ich lasse die halbgehäutete Kartoffel auf die Tischplatte purzeln, um Riekes linke Hüfte zu umfassen. Sie legt ihre Hand auf meinen Hinterkopf, und ich drücke mein Gesicht zwischen ihre Brüste. Ich liebe diesen Geruch und atme ihn tief ein. Dann spitze ich meine Lippen und pruste gegen ihre Haut. Rieke schüttelt sich leicht, kichert und läßt mich los. So bekommst du bestimmt kein Diplom, sagt sie. Da müssen wir wohl noch mal üben, sage ich. Wir? fragt Rieke und tut empört, was schon aufgrund ihrer Nacktheit nicht besonders glaubwürdig wirkt. Hör auf zu grinsen, sagt sie, so kommst du nicht mal durch die Zwischenprüfung. Würdest du mir beim Üben helfen? frage ich und mache einen auf hilflos, sozial und selbstlos wie du bist. Also nee, Rieke verdreht die Augen, so kriegst du allenfalls ’nen Platz in der Hundeschule! Praktikumsplatz? frage ich, und wir müssen beide lachen. Schäl erst mal die Kartoffeln, Rieke holt aus dem Kühlschrank Butter und Milch. Für ein Praktikum als Hund bräuchte ich wenigstens keinen tabellarischen Lebenslauf, sage ich. Aber einen Stammbaum, sagt Rieke. Das wäre zumindest etwas, worauf man stolz sein könnte, sage ich. Weil in deinem Lebenslauf nichts drinstünde, Rieke stellt den Topf auf den Herd. Im anderen rauscht bereits das wärmer werdende Wasser. Wer liest schon Lebensläufe? sage ich, höchstens jemand, der einen unbezahlten Praktikumsplatz zu vergeben hat unter dreitausend Bewerbern, für die er sich alle nicht interessiert, weil seiner Meinung nach Menschen, die ihr Können umsonst darbieten, nichts können. Nehmen wird er die Leute aber trotzdem, einen nach dem anderen, Rieke läßt ein großes Stück Butter in den Topf fallen, Gedemütigte lassen sich nun mal gut ausbeuten. Schon klar, sage ich, wer einmal ohne Lohn einen Zaun angestrichen hat, wird beim nächsten Mal sogar Farbe und Pinsel mitbringen. Genau, Rieke rührt mit einem Löffel im Buttertopf, da lernt man schließlich noch was, dann ist es ja wohl auch angebracht, für seine Arbeitsmaterialien selber aufzukommen. So ist sie, die Generation Praktikum, sage ich und erhebe mich, um ein Messer zu holen. Wahrscheinlich ist das mit der Generation Praktikum auch nur ein Gerücht, sagt Rieke, in die Welt gesetzt von den wenigen Deppen, die sich auf so was eingelassen haben, von den Zaunanstreichern. Ich brumme Zustimmung, während ich die Kartoffeln in grobe Stücke teile. Oder es ist ein Reklameslogan der Medien, sagt Rieke, um kostenlose Arbeitskräfte zu akquirieren, das Angebot bestimmt die Nachfrage. Gut möglich, sage ich, denn eigentlich sind wir, unsere Altersgenossen insgesamt, viel zu konsumorientiert, um unsere wertvolle Freizeit mit kostenlosem Abrackern zu verschwenden, bloß weil wir so vielleicht mal ein Näschen Kreativität schnuppern könnten. Ein Näschen? fragt Rieke, hält sich ein Nasenloch zu und zieht im anderen Schnodder hoch. Ach, sage ich und trage den Teller mit den Kartoffeln zum Herd, ein Praktikant kann sich doch keinen Koks leisten. Sie stimmt mir zu, der schnupft höchstens Espressopulver. Es gibt natürlich Idealisten, sage ich und nehme den Deckel vom brodelnden Wasser. Salz muß noch rein, sagt Rieke, derweil sie mit einem Löffel Mehl auf die brodelnde Butter stäubt. Also ich gehe einfach so gerne mit Holz und Farbe um, sage ich im Tonfall von einem, der einfach gerne mit Holz und Farbe umgeht, das erfüllt mich irgendwie. Dann mal los, sagt Rieke und verrührt Mehl und Butter zu einem gelblichen Brei. Die meisten von uns landen ohnehin im Callcenter, sagt sie, drehen den hilflosen Angerufenen ramschigen Quatsch an, um sich von ihrem mageren Stundenlohn eigenen ramschigen Quatsch zu kaufen. Nicht mal einen dieser Telefondrücker kenne ich, sage ich. Doch, sagt Rieke, Karen! Stimmt, sage ich, Karen! Sie sitzt aber an so ’ner Kundenhotline, sagt Rieke, das ist nicht ganz so kriminell, sagt Karen jedenfalls, weil sie niemandem ramschigen Quatsch aufzudrücken habe, bei ihr geht’s lediglich ums Vertrösten, um das Vortäuschen von Hilfsbereitschaft gegenüber Leuten, die den ramschigen Quatsch bereits zu Hause haben. Ja, sage ich und lasse die Kartoffeln ins Wasser plumpsen; das aus dem Topf spritzende Wasser zischt kurz auf. Möglicherweise ist das die Aufgabe unserer Generation, sage ich, Gespräche führen, die nichts bringen außer Beruhigung, immerhin sind wir hyperkommunikativ, wir sind die ›Generation Kommunikation‹, wir reden permanent, ohne etwas zu sagen zu haben. Weil wir nicht wissen, was wir sagen sollen? fragt Rieke. Weil wir nicht wissen, was wir machen wollen, sage ich, wir wollen ja, wir brennen drauf, das hat man uns doch so beigebracht, lehnt euch auf, Kinder, widersteht gefälligst! Tja, sagt Rieke, man sagt uns nur nicht, worüber wir uns aufregen sollen. Genau, sage ich, und das macht uns wirklich zornig, wir werden immer zorniger, nur wissen wir nichts mit diesem Zorn anzufangen, und das muß einen ja irritieren, oder nicht? Ich greife nach dem Salz. Vielleicht sind wir das ja, sagt Rieke. Was? Ich schaue sie an. Wir sind die Irritierten, sagt sie, und zwar schon lange, seit dem Moment nämlich, in dem uns bewußt wurde, daß da noch mehr ist als Spiel, Spaß und Schokolade. Dann gießt sie Milch zur Mehlschwitze.

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Donnerstag. Heute morgen sind in London Bomben in mehreren U-Bahnen und in einem Bus explodiert. Al Kaida soll’s gewesen sein. Zehn oder zwanzig Tote sind schon bestätigt, aber bestimmt nicht nur ich beim Kaffeekochen weiß, daß es viel mehr Opfer gegeben hat. Wie unfair, wie sinnlos! Und doch irgendwie egal. Die täglichen Todesmeldungen aus dem Irak und aus Israel stumpfen ab, auch wenn London natürlich viel näher und realer ist als Bagdad oder Tel Aviv. Es kann jeden treffen, überall. Ich mache den Fernseher an und lasse mich von Augenzeugenberichten berieseln. Ich logge mich ein und lese bei Spiegelonline neueste Berichte. Eigentlich interessiert mich das gar nicht. Als in New York die Flugzeuge in das World Trade Center einschlugen, waren wir wirklich geschockt. Es war etwas Außergewöhnliches. Das hatte man noch nicht gesehen, jedenfalls nicht in den Nachrichten. Das war spektakulär. Die unfaßbaren Bilder wurden immer wieder gezeigt, man konnte sie nicht oft genug sehen. Die Sterbenden waren zugleich unwirklich, was galt, war die Schönheit des Grausamen. Eine zerborstene U-Bahn im Tunnel läßt sich schlecht abfilmen, und auch der rote Doppeldeckerbus, dessen Dach abgesprengt wurde, ist nur ein zerstörter Bus. Er wird verschrottet, optisch wird von der Katastrophe nichts bleiben. Die Bilder blutüberströmter Menschen, die mit notdürftigen Verbänden hilflos auf der Straße stehen und unter Schock von ihren Erlebnissen berichten, sind mir unangenehm. Ich kann mit dem Leid anderer Menschen nichts anfangen. Ich kenne sie nicht. Vielleicht waren sie bei Live Eight im Hyde Park. Vielleicht habe ich sie also schon mal gesehen für Sekunden, vielleicht fand ich sie nett, schön, sympathisch, aber eben nur für Sekunden, danach habe ich sie wieder vergessen. Mir fällt ein, wie ich am Samstag mit Rieke vor der Glotze gehangen habe, und als nach Berlin geschaltet wurde, beim Kamerablick auf die Menschenmenge auf der Straße des siebzehnten Juni ausgerufen habe: Hey, die Frau da eben, die habe ich schon mal in der U-Bahn gesehen! Echt? hat Rieke gefragt und erst verspätet meinen dummen Witz verstanden. Idiot! hat sie gesagt, damit war das Thema abgehakt. Und trotzdem, sobald irgendwo im Fernsehen Berlin vorkommt, ertappe ich mich tatsächlich dabei, genauer hinzugucken, weil ich hier wohne, so als würde ich jeden Einwohner Berlins persönlich kennen.

Rieke ruft an. Die Anschläge haben sie richtig mitgenommen. Das überrascht mich, doch lasse ich es mir nicht anmerken. Sandra ist gerade in London, sagt sie, offenbar den Tränen nah. Ach so, denke ich. In meinem inneren Melderegister rattert es kurz, ja, richtig, Sandra, da ist sie, Riekes beste Freundin, die beiden kennen sich schon so lange, da muß man sich ja nicht ständig sehen. Oje, sage ich, ihr wird schon nichts passiert sein. Ich kann sie nicht erreichen, sagt Rieke, das kann doch nur heißen. Weiter kommt sie nicht, ich höre sie schluchzen. Ich bin ratlos, dann sage ich, daß wahrscheinlich bloß das Telefonnetz überlastet ist, du mußt es weiter probieren. Ich frage sie, ob ich vorbeikommen soll. Ja, sagt sie, aber, ihre Stimme stockt, komm nicht mit der U-Bahn, wer weiß? Ich schaue aus dem Fenster. Es regnet, recht doll sogar. Du denkst doch nicht? frage ich in den Hörer. Paß auf dich auf, sagt Rieke. Du auch, antworte ich. Bis gleich.

Durchgeweicht steh ich vor Riekes Tür. Sie sieht mich an und lacht. Du bist doch mit Fahrrad gekommen?! Stelle fest, daß Rieke bester Laune ist. Sie hilft mir aus den nassen Klamotten und erzählt, wie sie Sandra schließlich erreicht hat. Katrin hat mir die Nummer von Jörg gegeben, sagt Rieke. Katrin ist die Schwester von Sandra. Und Jörg ist der Freund von Sandra. Die beiden haben noch im Bett gelegen, wußten gar nichts von den Anschlägen, sagt Rieke, gut, daß Jörg vergessen hat, sein Handy auszustellen, nicht so wie Sandra. Ja, das ist gut, sage ich und küsse Rieke.

Später gucken wir Zeichentrickfilme.

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Freitagnachmittag. Meier kommt vorbei wegen des Blogprojekts. Eigentlich wollte Rieke auch dabeisein, aber noch ist sie nicht da. Meier hat Zuckerschnecken mitgebracht und eine Tüte Gummitierchen. Und wann kommt Rieke jetzt? fragt Meier nach einer Weile. Ich weiß nicht, sage ich, soll ich sie mal anrufen? Schon gut, sagt Meier, wir können ja auch erst mal ohne sie. Ja, sage ich und gieße Kaffee nach, was ist eigentlich mit den anderen? Was soll sein? fragt Meier. Will keiner sonst mitmachen? frage ich. Meier zuckt mit den Schultern, mal sehen, erst mal brauchen wir sowieso ein Konzept, mit dem müssen dann weitere Mitarbeiter angeworben werden. So ’n Manifest oder was? frage ich. Ja, sagt Meier, ’n Manifest wäre gut, erst mal müssen wir aber sammeln. Was schwebt dir eigentlich vor? frage ich. Das habe ich doch gesagt, sagt Meier, wir müssen den Leuten klarmachen, wo sie stehen, also wo wir stehen, wir, die Gesellschaft, daß das so nicht weitergehen kann, neue Perspektiven müssen aufgezeigt werden! Ist das nicht anmaßend? frage ich. Ja und? fragt Meier, was ist dagegen einzuwenden, anmaßend zu sein? Wir müssen doch, er denkt kurz nach, ohne ein übersteigertes Selbstbewußtsein geht so was ja auch gar nicht. Unserer Generation fehlt es an Selbstbewußtsein, sage ich, alles verkappte Praktikanten ohne Praktikumsplatz. Fang jetzt nicht an mit ›Generation Praktikum‹ und so, sagt Meier. Will ich ja gar nicht, sage ich, ich meine ja nur, wir müssen das Selbstbewußtsein unserer Altersgenossen vergrößern, denn jetzt kommen eben wir. Genau, sagt Meier, das wäre dann sozusagen eine Selbstbewußtseinserweiterung. Damit wir nicht länger die Irritierten bleiben! sage ich. Die Irritierten? fragt Meier nach. Ja, sage ich, das sind wir doch, unschlüssig, was wir hier eigentlich machen, zornig ins Ungewisse hinein, weil wir nicht wissen, worüber wir uns eigentlich aufregen sollen. Meier hat ein kleines Notizbuch gezückt und schreibt etwas hinein. Die Irritierten, wiederholt er langsam, der gefällt mir. Aber das sollte kein Titel sein, sage ich, eher das Gegenteil. Das Gegenteil von Irritierten? fragt Meier, was soll das sein, die Antiirritierten? Wir schütteln beide unseren Kopf. Ich versuche es anders, sage, wir sollten jegliche Art von Irritation bekämpfen, wenn es Mittel gegen Hautirritation gibt, muß es doch auch Wege geben, die Weltverwirrung einzudämmen. Dann habe ich eine Idee. Ich sage: Wir vernichten Zukunftsängste, indem wir die Zukunft abschaffen! Ich jedenfalls bin begeistert. Meier weniger. Er fragt mich, wie und wieso ich überhaupt die Zukunft abschaffen möchte. Okay, sage ich, das ist natürlich überspitzt formuliert, die Zukunft kann ruhig dort bleiben, wo sie ist, nämlich quasi unerreichbar, ›be here now‹ muß das Motto heißen, wir müssen uns unserer Gegenwart bewußter werden, denn auch wenn sie vergänglich ist, das ist nun mal unsere Zeit, verstehst du, wie in dem Song, wir sind dabeigewesen, klack, ich schlage mit der rechten Handkante gegen meine linke Handfläche, klack, klack, die Zeit tickt, die Gegenwart verfällt einfach so, wir müssen sie uns bewußter machen, wir müssen stolz sein auf die Gegenwart. Gegenwart, sagt Meier nachdenklich und knetet an seinem Kinn herum, ›Gegenwart‹ ist nicht schlecht, aber das gibt’s schon als Titel, oder? Kann sein, sage ich, aber das muß uns egal sein, wir dürfen uns nicht für das interessieren, was vor uns war, es muß uns schnuppe sein, ob vor uns überhaupt Menschen gelebt haben. Total geschichtsvergessen oder was? Meier guckt mich skeptisch an. Wir stehen nun mal auf so was wie einem Flickenteppich aus Vergangenheit, sagt er. Klar, sage ich, das ist auch gut so, nur dürfen wir nicht zulassen, daß wir darin versinken, wir müssen den Teppich platt treten, um uns darauf bewegen zu können, um weder zu versinken noch zu stolpern. Flickenwart, sagt Meier und scheint über das Wort nachzudenken. Als Titel? frage ich. Ist wahrscheinlich zu negativ, sagt Meier. Trampelwart, sage ich. Meier lacht auf. Was ist denn das Gegenteil von ›wart‹? fragt er. Sein? sage ich, sehr unsicher. Gegensein, sagt Meier, nee, vielleicht: Fürsein, Dafürsein. Ich weiß nicht, sage ich. Ich auch nicht, sagt Meier.

Später sagt Rieke, daß ›Flickensein‹ kein guter Titel wäre, und damit hat sie wohl recht. Das mit Gegenwart und Flickenteppich ist ja schon gut, sagt sie, aber es muß deutlicher werden, daß es um eine Fokussierung auf die Gegenwart geht, eine Verstärkung. Gegenwartsverstärker? denke ich laut. Das klingt so nach Geschmacksverstärker, sagt Meier. Zieh dir doch endlich die nassen Klamotten aus, sage ich, denn Rieke ist auf dem Rad total eingeregnet. Du willst mich nur nackt sehen, sagt sie mit keckem Blick. Mir ist das Meier gegenüber ein bißchen unangenehm, der guckt auch angestrengt auf die Dielen, als sich Rieke ihres Tops entledigt und nur im BH dasteht, der auch klitschnaß ist. Nimm am besten eine heiße Dusche, schlage ich vor. Ja, Mama, sagt Rieke und tätschelt im Hinausgehen meinen Kopf. Sosehr ich Riekes Anzüglichkeiten zu schätzen weiß, in Anwesenheit anderer sind sie mir unangenehm. Für einen langen Moment herrscht Stille, ich bereue, keine Musik angemacht zu haben. Und dann, ich zucke sogar zusammen, als hätte ich nicht erwartet, daß heute noch mal gesprochen werden würde, sagt Meier: Ich habe es so verdammt satt, ich bin es echt leid, allein zu sein. Ich möchte endlich wieder aufwachen, sagt er, und da liegt jemand, jemand Bestimmtes, diese eine, über deren Anwesenheit ich mich schon im Schlaf so dermaßen freue, daß ich es kaum abwarten kann, die Augen zu öffnen und nach ihr zu tasten, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie mir das fehlt. Da hat er recht, das kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Meine augenblickliche Vorstellungskraft reicht gerade mal bis hinter die Badezimmertür. Jeden Moment könnte Rieke wieder herauskommen, hoffentlich nicht nackt, denn obwohl ich es mag, wenn sie sich frisch geduscht mit weicher Haut und nassem Haar an mich schmiegt, wäre das gerade äußerst unpassend, allein schon wegen Meiers Verzweiflung. So lange wie er war ich eigentlich noch nie allein, jedenfalls nicht seitdem ich mit sechzehn das erste Mal ein Mädchen geküßt habe, das ist über zehn Jahre her, unglaublich. Ich erinnere mich kaum noch an Andrea, wir sind ja auch gar nicht zusammen gewesen, aber drei Monate später war ich das dann endlich mit Anna, die mir nichts zu sagen hatte, außer, daß sie irgendwann Schluß gemacht hat, ich war ihr angeblich zu antriebslos, was ihre Nachfolgerin Sabse ganz und gar nicht fand, aber das lag wohl vor allem an dem neuen Zeitvertreib, den Sabse und ich für uns entdeckt hatten und der mir so gut gefallen hat, daß ich ihn unbedingt auch mit Melli ausprobieren wollte, was Sabse weniger toll fand. Meier guckt mich an, als erwarte er eine Antwort von mir, worauf auch immer, doch mehr als die Frage nach dem Namen seiner Exfreundin weiß ich gerade nicht zu formulieren, und diese Frage wäre nun wohl mehr als unangebracht, weshalb ich zu improvisieren beginne. Ich sage: Worauf wartest du eigentlich, Alter? Du bist charmant und nicht gerade häßlich, und die eine oder andere würde sicher gerne in deinem Bett aufwachen. Als Meier die Lippen zusammenpreßt, beeile ich mich hinzuzufügen: Und das sicherlich nicht nur an einem einzelnen Morgen! Und woran erkenne ich die? fragt Meier mit hängendem Kopf. Das mußt du schon selber rausfinden, sage ich, guck ihnen in die Augen, sprich mit ihnen, verwickle sie in Gespräche, denen sich irgendwann nichts mehr hinzufügen läßt, außer eben ein Kuß. Meier gibt so etwas wie ein höhnisches Lachen von sich. Du hattest es ja einfach, sagt er, du und Rieke, ihr kanntet euch ja schon, aber ich, ich kenne keine Frauen, zumindest keine, die was mit mir anfangen wollten. Na ja, sage ich und beschließe, nicht darauf einzugehen, wie das mit mir und Rieke letzten Oktober war und davor, denn unter ›einfach‹ stelle ich mir eigentlich was anderes vor. Lieber sage ich, daß es schließlich auch in Meiers Freundeskreis, der ja genauso meiner ist, noch ein paar nette Frauen gibt, also ›nett‹ nicht bloß nett im Sinne von ›nett‹, sondern wirklich interessant. Interessant! wiederholt Meier düster. Hey, sage ich, sei nicht so negativ, das kommt eher selten gut an! So negativ bin ich doch gar nicht! sagt Meier. Nein, sage ich, natürlich nicht, nur Liebe hat nun mal auch immer was mit Wahrnehmung zu tun. Meier zuckt mit den Schultern. Mag sein, sagt er, in meinem einen Seminar sitzt eine, mit der trink ich ab und an danach noch Kaffee, vielleicht sollte ich? Er guckt unsicher zu mir. Ja, mach das! sage ich, und ist nicht nächste Woche diese Party vom Fachbereich? Ja, sagt Meier. Dann frag sie, ob sie nicht kommen mag, sage ich. Hm, brummt Meier, vielleicht. Dann öffnet Rieke die Badezimmertür, gehüllt in meinen alten Bademantel. Mit fröhlichem Blick lehnt sie sich gegen den Türrahmen. Als sie sich unser beider vollen Aufmerksamkeit sicher sein kann, fragt sie: Wie wär’s eigentlich mit ›Duschkopf‹?

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Samstag. Es hat sich endlich ausgeregnet. Mit Bierflaschen an den Lippen sitzen Rieke und ich auf dem Hof des Lovelite, das wohl mal eine Autowerkstatt war. Drinnen findet ein Kurzfilmfestival statt, doch ist es drinnen stickig und warm, die Kurzfilme sind nicht gerade kurzweilig, und für ein Festival fehlt zudem so was wie eine erkennbare Organisation. Da reicht es nicht, wenn zwischendurch jemand in den Saal ruft, daß da irgendwas mit der Überspielung nicht geklappt habe oder daß da eigentlich Ton sein müsse oder daß man an sich einen anderen Film hatte zeigen wollen. Rieke zieht die linke Augenbraue hoch, ich habe sie wohl zu lange angeglotzt, doch ich darf das, mit einer Partie Grimassenpingpong kann ich mich freispielen. Insgesamt sind wir heute ein bißchen träge. Ich lehne an einer Wand, die Beine gerade von mir gestreckt, und Rieke sitzt im Schneidersitz schräg neben mir. Sie hat ihren Tabak gezückt, das Päckchen steckt dort fest, wo sich ihre Unterschenkel kreuzen. Während sie sich eine Zigarette dreht, schaue ich mir den Programmzettel an. Kurzfilme haben es in sich, steht da, sie müssen den Zuschauer in einer sehr begrenzten Zeit fesseln, und das ist nur von Vorteil, denn hier sind langweilige Parts kaum möglich. Da muß ich lachen. Rieke schaut von ihrer offenen Zigarette auf, fragend. Ich lese ihr den Satz vor, damit sie grinst. Und sie grinst. Dann befeuchtet sie ein Blättchenende mit der Zungenspitze. Die haben die Filme anscheinend vorher wirklich nicht gesehen, sagt sie und vollendet ihre Vorbereitungen, steckt sich die Zigarette in den Mund und entflammt ihr Feuerzeug. Ich mag diese Augenblicke, mag es, Rieke dabei zuzuschauen, wie sie aus solchen Tätigkeiten ein Ritual macht. Es gibt dem Alltag eine Konstante. Es sind nun mal nicht bloß Kurzfilme, die einen langweilen können, oder Langfilme, es ist das zerfledderte Leben selbst, das so anödet. Müßte ich arbeiten, wäre die Qualität der Langeweile eine andere, sie würde mich ankotzen, sie würde mich quälen, so aber lasse ich mich von einem Studium langweilen, von dem ich geglaubt habe, es würde mich interessieren, und es interessiert mich eigentlich auch, in Vorlesungen zu sitzen und mir von historischen Zusammenhängen erzählen zu lassen, Bücher über Heeresführer, Widerstandskämpfer oder andere Helden zu lesen und in Seminaren darüber zu sprechen, aber dieses Interesse flaut ab beim Blick aus dem Fenster. Der sanfte Zug der Wolken ist eben viel realer. Oder natürlich Rieke, die mir mit halb geschlossenen Augen gegenübersitzt und sichtlich Freude an ihrer Zigarette hat, die sie anscheinend ähnlich zu befriedigen vermag wie der Sex mit mir, denn so glücklich wie sie jetzt gerade aussieht, sieht sie sonst nur aus, wenn wir nebeneinander im Bett liegen. Ich sehe ihr dabei gerne zu, wie sie an der zwischen gestreckten Zeige- und Mittelfinger steckenden Zigarette konzentriert zieht und das Eingesogene tatsächlich zu genießen scheint. Für einen kurzen Moment ist sie nicht ansprechbar. Dann, ich nehme an, der Qualm hat ihre Lungen aufgebläht und verläßt diese nun wieder, grinst mich Rieke an und bläst den Restrauch aus. Sie fängt meinen Blick auf, und wir gucken uns einfach nur an, und in mir breitet sich etwas aus, das sich anfühlt, als hätte ich selber geraucht. Ich könnte den Rest meines Lebens mit nichts anderem verbringen, als Rieke anzuschauen. Dabei würde mir bestimmt nicht langweilig werden, und wenn doch, dann wäre es die schönste Langeweile, die ich mir vorstellen kann. Die menschliche Existenz besteht nun mal zum größten Teil aus Langeweile, unterbrochen von Aufregungen, die das ganze Adrenalin überhaupt nicht wert sind. Ich bin froh, daß ich das schon früh verstanden habe, sonst wäre ich vermutlich unglücklich, würde wie ein Bekloppter büffeln und pauken, nur um mit einem Diplom in der Tasche immer noch nicht zu wissen, was ich will. Ich müßte mir Hobbys suchen, um mich von der Langeweile abzulenken, weil ich nicht kapiert hätte, daß der Sinn des Lebens genau in dieser Langeweile steckt. Rieke unterbricht meine Gedanken. Ihr verschmitzter Blick ist der einer Verbündeten. Vielleicht wüßte sie gerne, worüber ich gerade nachgedacht habe, aber sie weiß, daß ich es ihr ohnehin irgendwann sagen werde. Außerdem hat sie ihre eigenen Gedanken, nach denen frage ich sie schließlich auch nicht. Rieke tippt mit dem Mittelfinger Asche von ihrer Zigarette, die sie nun zwischen Zeige- und Ringfinger hält, auch diese Geste liebe ich, das sieht so elegant aus. Weißt du, sagt Rieke in das relative Schweigen zwischen uns, das vorgestern mit Sandra, ich hab da noch mal drüber nachgedacht, wieso ich so reagiert habe, sie ist nun mal meine beste Freundin, aber eigentlich ist das ja gar nicht mehr so wie früher, ich mein, allein das, was wir studieren, sie BWL, ich Germanistik, da verlagern sich die Interessensgebiete schon, Rieke zieht kurz an ihrer Zigarette, und dann wohnt sie immer noch in Spandau, das ist doch panne und überhaupt: Jörg! Sie schaut mich an, als wäre die Beurteilung Jörgs meine Aufgabe. Ich aber zucke nur mit den Schultern. Jörg halt, sage ich, und außerdem verdient er Geld. Was soll er denn sonst verdienen? Rieke zieht wieder Rauch ein, stimmt schon, das hat Sandra auf jeden Fall verändert. Rieke mustert ihre Schuhspitzen. Und ich auch, denn wirklich viel zu sagen habe ich zum Thema ›Sandra‹ nicht, ich kenne die ja kaum. Sie ist mir ein bißchen suspekt, doch das behalte ich besser für mich. Sandra ist sicherlich nicht unsympathisch, hat aber so eine schnippische Art, mit der sie sich gern in den Vordergrund drängt. Anstatt das zu sagen, zucke ich lieber noch mal mit den Schultern und versuche ein unbestimmtes Lächeln. Rieke zerdrückt die Reste ihrer Zigarette auf dem Asphalt und schlägt vor, wieder reinzugehen, vielleicht hat die erste Band ja schon angefangen zu spielen.

Wir drängen uns in den jetzt sehr vollen Raum. Auf der Bühne steht eine Band, die in diesem Moment anfängt zu spielen. Und ich fange wieder an zu schwitzen. Vor mir steht einer, der so groß ist, daß ich mit Mühe über seine linke Schulter blicken kann, wenn er sich nicht bewegt. Links neben mich zwängt sich eine Frau, die sofort beginnt, mit einem rechts hinter mir Stehenden zu quatschen, die Haut ihres nackten Arms bleibt – wahrscheinlich nur für Bruchteile einer Sekunde – an meinem haften. Ich würde mich gerne beschweren, weiß aber nicht, worüber eigentlich, es gibt schließlich keine Benimmregeln für Rockkonzerte. Erst jetzt komme ich auf die Idee, nach Rieke zu schauen, die noch einen Kopf kleiner ist als ich. Sie steht rechts neben mir, wird allerdings gerade zur Seite gedrängt, weil ein Mädchen an ihr vorbeiwill. Mit ernstem Gesicht gibt mir Rieke zu verstehen, daß auch sie eher genervt ist, und ich folge ihr in eine ruhigere Ecke. Ganz schön voll hier, sage ich. Wahrscheinlich hat Rieke mich gar nicht verstanden, aber das ist egal, sie kreuzt ihre Arme hinter meinem Kopf und zieht ihn herab, auf daß wir knutschen können. Die Musik ist laut und funky, die Luft warm und stickig, meine Hände tasten Riekes Körper ab, diese Haut ist mir nie unangenehm. Unser Geküsse wird härter, die Zähne klacken aneinander. Riekes Augen leuchten mich an, und dann zieht sie mich fort, weiß zunächst nicht, wohin mit mir, vor der Tür zur Frauentoilette zögert sie, doch als diese aufschwingt, sehen wir, wie voll es dort ist. Wir bewegen uns woandershin, gehen einen Gang lang. Tatsächlich ist es hier leer, und auch die Luft läßt sich leichter atmen. Dennoch sind wir atemlos. Im Dreivierteldunkel steht ein Tisch, auf den setzt sich Rieke, und ich stelle mich vor sie, sie schlingt Arme und Beine um mich, schiebt mein T-Shirt hoch und küßt meine Brust. Ich lege meine Hände an Riekes Kopf und schaue flüchtig nach links. Durch die Ritzen der Tür am Ende des Flurs dringt Licht, jederzeit könnte hier jemand vorbeikommen. Rieke greift an meinen Hosenbund und reckt ihr Gesicht zu meinem herauf, ich beruhige ihr Drängen mit meinem Mund, ihre Zunge macht es sich darin erneut bequem, doch Livemusik, Stimmgewirr, Lachen – all das ist mir einfach zu nah. Ich löse mich von Riekes Lippen. Laß uns gehen, flüstere ich. Okay, sagt sie und lockert die Umklammerung.

Später liegen wir auf Riekes schmaler Matratze unter dem offenen Fenster eng beieinander. Von draußen dringt Straßenlärm herein, vor allem Gesprächsfetzen und Gelächter. Rieke schnurrt schon so schön. Warum langweilt man sich eigentlich niemals im Schlaf? Träume müßten doch auch öde sein. Manche Menschen träumen immer das gleiche, heißt es. Das muß auf die Dauer ziemlich nerven. Und auch das Grundgefühl der Langeweile, diese temporäre Lähmung des Körpers, findet gerade im Schlaf ihre vollste Entfaltung. Ich langweile mich nicht. Sacht streichle ich über Riekes Körper. Vielleicht ist dies hier doch Langeweile, aber eine schöne Langeweile. Sie könnte von mir aus noch eine Weile dauern. Am Ende ist Liebe die Fähigkeit, sich mit jemandem langweilen zu können. Keiner verliebt sich, um sich zu langweilen, das kann man schließlich auch alleine. Doch ist man in den Zustand des Liebens hineingerutscht und wird fortan längere Zeit mit immer dem gleichen Menschen verbringen, dann kann man sich ja nicht andauernd mit der Abwehr der Langeweile beschäftigen.

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Mittwoch.