Die Glücksformel - Stefan Klein - E-Book
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Die Glücksformel E-Book

Stefan Klein

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Beschreibung

***Der Sachbuch-Klassiker in einer aktualisierten und erweiterten Neuausgabe!*** Über ein Jahr stand ›Die Glücksformel‹ auf allen deutschen Bestsellerlisten und machte den Wissenschaftsautor Stefan Klein international bekannt. Denn ihm ist mit diesem Buch gelungen, was bisher keinem zum unerschöpflichen Thema Glück gelang: er fasst unterhaltsam und kompakt all das bisherige Wissen über die guten Gefühle zusammen und gibt so seinen Lesern die entscheidenden Werkzeuge in die Hand, ihrem Leben eine glückliche Wendung zu geben. Er räumt darin auf mit Wissenschaftsmythen und zeigt wie die Erkenntnisse der Neurophysiologen, Verhaltensforscher und Mediziner uns Wege zeigen, die guten Gefühle zu erlernen. Eine einzigartige Entdeckungsreise, die uns alle glücklicher macht.

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Stefan Klein

Die Glücksformel

oder Wie die guten Gefühle entstehen

FISCHER E-Books

Für Alexandra

»Aufs Glücklichsein passt das Glück ganz einfach nicht auf.«

ROBERT WALSER

Vorwort zur Neuausgabe

Als ich kurz nach der Jahrtausendwende meinen Freunden von meiner Absicht erzählte, ein Buch über die Wissenschaft vom Glück zu verfassen, erntete ich ungläubige bis verständnislose Reaktionen. Ob ich meine Kraft nicht auch für ein sinnvolles Projekt einsetzen könne?, fragte mich manch einer, mehr oder minder behutsam verpackt.

Natürlich fanden meine Warner die Suche nach dem Glück interessant. Doch Glück sei zu persönlich, um es zu erforschen, erklärten sie. Darüber könne man bestenfalls philosophieren – oder Gedichte verfassen.

Heute argumentiert niemand mehr so: Die Einstellung zum Glück hat sich geändert. Ein gutes Jahrzehnt nach dem Erscheinen des Buchs, dessen Neuausgabe Sie in den Händen halten, hat sich Wissenschaft vom Glück etabliert. Regierungen in Paris und London, auch die EU wollen messbares Wohlbefinden der Bürger als Politikziel verankern; die Zahl der Fachveröffentlichungen selbst in den besten Journalen ist kaum mehr zu ermessen; und Zeitungen behaupten, das Bundesland mit den nachweislich glücklichsten Deutschen gefunden zu haben (Hamburg).[1]

Von den vielen wirklich überraschenden Erkenntnissen der letzten zehn Jahre allerdings las man kaum. Wir verdanken sie dem neuen Interesse am Glück und besseren Methoden der Wissenschaft. Manche dieser Einsichten davon berühren die großen Fragen der menschlichen Existenz. Wie etwa entsteht Glück in unserem Zusammenleben? Eine ganze Forschungsdisziplin wurde geboren, die solche Fragen angeht: die soziale Neurowissenschaft. Neuen Aufschluss gibt es auch über die Hirnsysteme, die für Lust, Begehren, Genuss und Elternliebe verantwortlich sind – und folglich darüber, wie man am besten mit diesen Regungen umgeht.

Einige Fragen, die die Erstausgabe nur streifen konnte, sind Gegenstand intensiver Forschung geworden: Wie beispielsweise wirkt Meditation? Warum vermehrt Achtsamkeit unser Glück? Und was sich damals noch als ein starker Verdacht ankündigte, hat sich bestätigt: Depressionen sind zugleich eine Ursache und eine Folge von zu geringer Gehirnaktivität.

Andere Thesen der Erstausgabe lassen sich heute besser begründen. Wo seinerzeit nur ein Tiermodell den Beleg liefern konnte, gibt es jetzt Forschung an Menschen. Und neue Daten aus der Sozialforschung zeigen noch eindringlicher, wie wenig Glück vom Geld und wie sehr es von unserer Entscheidungsfreiheit abhängt.

Die Neuausgabe von 2012 erzählt von diesen und noch mehr Erkenntnisfortschritten. Jede Bearbeitung eines bekannten Buches ist ein Balanceakt: Ich habe mich bemüht, die Neuigkeiten hinzuzufügen, ohne den Fluss des Textes allzu sehr zu verändern. Hinzugekommen ist ein ausführliches Schlusskapitel. Es handelt vom Glück, sein Leben mit anderen zu teilen – und davon, wie wir es finden.

Die mit Abstand wichtigsten Anregungen gaben mir allerdings weder die Wissenschaft noch der Gewinn an eigener Lebenserfahrung: Ich verdanke sie meinen Lesern. Zehn Jahre lang war die »Glücksformel« Gegenstand vieler Veranstaltungen in den verschiedensten Teilen der Welt. Dabei haben mir Interviewer, Diskussionspartner, vor allem aber die Zuhörer gute Fragen gestellt. Die vorliegende Neuausgabe soll die Antworten geben.

 

Einführung

Jedem begegnet das Glück anderswo. Für den einen bedeutet Glück, barfuß im Morgentau über eine Wiese zu laufen, für den anderen, sein Baby im Arm zu halten. Sex kann glücklich machen oder ein neues Designerkostüm, eine Bratwurst oder Mozarts Konzert No. 13 für Klavier und Orchester. Oder auch die Abwesenheit von alldem: Ein Zen-Mönch findet Seligkeit, wenn er sich in die Leere versenkt.

Was ist das für ein Gefühl? »Als habe man plötzlich einen leuchtenden Schnitz Nachmittagssonne verschluckt«, beschrieb die Dichterin Katherine Mansfield einen Augenblick der Verzückung. Wir alle jagen dieser Empfindung hinterher, aber sie überfällt uns, wenn wir am wenigsten mit ihr rechnen – nur um zu verschwinden, noch ehe wir sie ausgekostet haben. Und wieder blieb keine Zeit, sich das Glück genauer anzuschauen und herauszufinden, nach welchen Regeln es eigentlich mit uns spielt.

Im Frühjahr 2000 besuchte ich in Kalifornien den Hirnforscher Vilayanur S. Ramachandran. Dieser ebenso geniale wie exzentrische Wissenschaftler indischer Herkunft hatte mit seiner Theorie eines »Gottesmoduls« im Gehirn Aufsehen erregt. Außerdem hatte er das Kunststück fertiggebracht, Menschen nach einer Amputation von der Pein ihrer Phantomschmerzen zu heilen, indem er sie in eine ausgeklügelte Anordnung von Spiegeln blicken ließ.[2] Für das amerikanische Magazin »Newsweek« zählt er zu den hundert einflussreichsten Menschen des neuen Jahrtausends. Wir unterhielten uns über die Unkenntnis des Menschen seiner selbst. Während wir redeten, tigerte der Forscher zwischen Hirnmodellen, Fernrohren (er ist Hobby-Astronom) und Statuen von Hindugottheiten in seinem Büro auf und ab, denn Ramachandran ist ein Mensch, der keinen Augenblick stillsitzen kann. Mit einem Mal platzte es in seinem singenden, indisch gefärbten Englisch aus ihm heraus: »And we don’t even know what happiness is.« – Wir wissen ja noch nicht einmal, was Glück ist.

Das war der Auslöser für dieses Buch. Ich wollte es wissen. Das eigene Streben nach guten Gefühlen hat sicher keine geringe Rolle gespielt, die Hoffnung, sein Glück zu finden, wenn man weiß, wo es zu suchen ist. Der andere Antrieb war Neugier, eine Berufskrankheit von Naturwissenschaftlern und Journalisten; ich bin beides.

Je mehr ich mich in die Materie vertiefte, je mehr ich las, mit umso mehr Forschern, Weisen in West und Ost und ganz normalen Menschen ich mich unterhielt, desto mehr machte ich eine Entdeckung, die mich selbst überraschte: Ramachandran hat unrecht. Wir wissen heute schon sehr viel darüber, was Glück ist. Nur ist der größte Teil dieses Wissens kaum zugänglich. Es liegt verstreut in unzähligen Fachartikeln vor, von denen sich viele keineswegs leicht erschließen, und manches ist noch nicht einmal veröffentlicht. Schon gar nicht wurden diese Einsichten zu einem schlüssigen Bild zusammengefügt und so beschrieben, dass jeder sie verstehen und nutzen kann. Genau das hoffe ich mit diesem Buch zu erreichen.

Vielleicht stutzen Sie, wenn Sie lesen, dass man Glück, dieses komplexe, scheinbar überirdische Gefühl, wissenschaftlich erforschen kann. Dabei haben wir uns längst daran gewöhnt, dass Menschen das Unglück studieren. Klinische Psychologen kümmern sich seit jeher um die unangenehmen Gefühle. Und seit ungefähr zwei Jahrzehnten finden auch Hirnforscher immer mehr darüber heraus, wie Wut, Angst und Niedergeschlagenheit entstehen. Von ihren Erkenntnissen profitiert eine ganze Industrie, die Pillen gegen krankhaft schlechte Stimmung verkauft, und nicht zuletzt viele Patienten. Für das Glück aber fühlte sich lange niemand so recht zuständig.

Das hat sich erst in den letzten Jahren geändert: Hirnforscher begannen, ihr Interesse nun auch auf die guten Gefühle zu richten. In kürzester Zeit haben sie beeindruckende Fortschritte gemacht. Denn vieles, was vor kurzem noch Science-Fiction war, ist heute in den Labors Wirklichkeit. Neue Abbildungstechniken erlauben es, das Gehirn beim Denken und beim Fühlen zu beobachten. Sie machen sichtbar, wie im Kopf zum Beispiel Freude aufkommt, wenn wir an einen geliebten Menschen denken. Und die Molekularbiologie macht offenbar, was dabei im Inneren unserer zehn Billionen Hirnzellen geschieht. Psychologische Versuche wiederum weisen nach, wie diese Veränderungen der Innenwelt unser Verhalten bestimmen. So fügt sich das Wissen darüber, wie die guten Gefühle entstehen, zusammen.

Damit können wir heute Fragen angehen, über die Menschen immer schon nachgedacht haben: Ist Glück mehr als nur das Gegenteil von Unglück? Ist es erblich? Vergeht Ärger, wenn man ihn herauslässt? Kann man die guten Augenblicke verlängern? Macht Geld glücklich? Können wir ein Leben lang in denselben Menschen verliebt sein? Und was ist das höchste Glück?

Zentral für die Antworten auf diese Fragen sind zwei ziemlich junge Einsichten der Hirnforschung. Die eine betrifft die Teile des Gehirns, die Wohlbefinden erzeugen: In unseren Köpfen sind eigene Schaltungen für Freude, Lust und Euphorie eingerichtet – wir haben ein Glückssystem. So, wie wir mit der Fähigkeit zu sprechen auf die Welt kommen, sind wir auch für die guten Gefühle programmiert. Diese Entdeckung wird unser Bild vom Menschen so prägen, wie es Freuds Theorien vom abgründigen Unbewussten im vergangenen Jahrhundert getan haben.

Die andere, noch überraschendere Erkenntnis war, dass sich auch das Gehirn eines erwachsenen Menschen weiter verändert. Bis vor wenigen Jahren glaubten Wissenschaftler, dass das Gehirn, ähnlich wie die Knochen, spätestens am Ende der Pubertät ausgewachsen sei. Doch das genaue Gegenteil trifft zu: Wann immer wir etwas lernen, verändern sich die Schaltkreise in unserem Gehirn, neue Maschen im Geflecht der Nervenzellen werden geknüpft. Mit geeigneten Mikroskopen kann man diese Verwandlungen unter der Schädeldecke sogar sichtbar machen. Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, wird es in Ihrem Kopf anders aussehen als vorher!

Nicht nur Gedanken, sondern erst recht Emotionen bringen diese Umbauten in Gang. Das heißt: Mit den richtigen Übungen kann man seine Glücksfähigkeit steigern. Wir können unsere natürliche Anlage für die guten Gefühle trainieren, so, wie wir uns eine Fremdsprache aneignen.

 

Von den Erkenntnissen der Genforschung fasziniert, neigen wir seit einiger Zeit dazu, in unseren Erbanlagen die Erklärung für unser ganzes Wesen, für all unsere Eigenarten zu suchen. Leicht übersehen wir, dass diese Mitgift nur im Wechselspiel mit unserer Lebensweise ihre Wirkung entfaltet. Wie glücklich wir sind, hängt mindestens ebenso stark von unserer Umwelt, unserer Kultur ab wie von unseren Genen. Deshalb betrachtet dieses Buch nicht bloß die Entstehung des Glücks im Gehirn, sondern auch die kulturellen Einflüsse und Begebenheiten des Alltags, die diese Vorgänge erst in Bewegung setzen.

In Deutschland hat das Glück keine allzu große Tradition. Wir misstrauen ihm. Die Deutschen haben den eigentümlichen Begriff »Weltschmerz« erfunden, der sich in andere Sprachen kaum übersetzen lässt. Das Wort »Glück« hingegen fand erst sehr spät Eingang in unsere Sprache. Es leitet sich vom mittelhochdeutschen »gelücke« ab, was in etwa »passend« bedeutet, und ist erst um das Jahr 1160 bezeugt. Bis heute müssen Deutsch und andere germanische Sprachen mit einem Begriff für »Glück haben« und »Glück empfinden« auskommen. Die übrigen europäischen Sprachen unterscheiden in dieser Hinsicht meistens sauber, das Englische etwa in »luck« und »happiness«. Doch das ist nichts im Vergleich zu Sanskrit, der Sprache des alten Indiens: Sie kennt ein gutes Dutzend Wörter für die verschiedenen Weisen, Glück zu empfinden.[3]

So bleiben schon unsere westlichen Sprachen hinter der Vielfalt an positiven Empfindungen zurück, zu denen wir fähig wären. Eindrucksvoll zeigt das ein Vergleich zwischen amerikanischen Studenten und Bürgern einer indischen Stadt: Beide Gruppen bekamen ein stummes Video zu sehen, in dem zwei Meister des indischen Tanzes Gebärden zeigten. Dazu gab es eine ungeordnete Liste mit den Bedeutungen der gezeigten Gesten – freudige Überraschung, entspannte Befriedigung nach vollbrachter Arbeit oder schüchterne Erregung. Für das indische Publikum bestand dieses Verzeichnis aus wenigen treffenden Worten.[4] Den jungen Amerikanern dagegen mussten die Forscher lange Umschreibungen der indischen Gefühlsbegriffe zur Verfügung stellen. Und trotzdem hatten sie keine Schwierigkeiten, die Gesten des Glücks richtig zuzuordnen – sie hatten die Gebärden verstanden, nur fehlten ihnen eigene Worte dafür. Genauso sprachlos stehen wir oft vor den Schattierungen unseres eigenen Glücks. Offenbar sind unsere Gehirne zu Gefühlen imstande, die in der westlichen Kultur wenig Aufmerksamkeit genießen.

 

Für diese Missachtung des Glücks bezahlen wir teuer. Jeder fünfte Deutsche leidet im Laufe seines Lebens mindestens einmal an einer psychischen Störung, die meisten an Angst oder Depression. Jeder zehnte erlag sogar im Verlauf des vergangenen Jahres einer mehrwöchigen Depression.[5] Mehr als zehntausend Menschen jährlich treibt ein seelisches Leiden gar in den Selbstmord. In anderen Teilen der Welt ist die Suizidrate weit niedriger.[6]

Die Häufigkeit der schweren Depressionen nimmt rapide zu – in Deutschland wie in praktisch allen Industrieländern. Vor allem trifft diese Krankheit immer mehr Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Junge Menschen leben heute mit einem dreimal höheren Risiko, eine schwere Depression zu erleiden, als noch vor zehn Jahren.[7]

Gleichzeitig greift das seelische Leid aus den Industrieländern auf andere Gegenden der Welt über.[8] International werden in 20 Jahren Depressionen bei Frauen mehr Schäden anrichten als jede andere körperliche oder seelische Krankheit, bei Männern werden einzig Herz-Kreislauf-Erkrankungen noch mehr Leid anrichten.[9] Die Depression droht zu einer Pest des 21. Jahrhunderts zu werden. Die Ausbreitung des krankhaften Unglücks mit einem Seuchenzug zu vergleichen trifft in einem erschreckend buchstäblichen Sinn zu. Denn wie neue sozialmedizinische Untersuchungen zeigen, stecken Menschen einander mit ihrer Niedergeschlagenheit an.[10]

Bei weitem nicht jeder, der unglücklich ist, leidet an einer seelischen Krankheit. Trotzdem hängen die alltägliche Niedergeschlagenheit und die Depression viel enger zusammen, als man lange Zeit dachte. Beide sind eine Konsequenz ähnlicher Vorgänge im Gehirn. Es gilt gegenzusteuern: Die Epidemie der Depression zeigt, wie dringend wir eine Kultur des Glücks brauchen. Und wer sich um positive Emotionen bemüht, tut nicht nur sich selbst, sondern auch der Welt Gutes: Denn nicht nur eine Niedergeschlagenheit, sondern erst recht Glück überträgt sich auf andere.[11]

 

»Freude ist der Übergang des Geistes in einen perfekteren Zustand«, schrieb der niederländische Philosoph Baruch Spinoza. »Schmerz dagegen ist der Übergang in einen niedrigeren Zustand.«

Dabei wirkt Freude nicht nur auf den Geist, sondern zuallererst auf den Körper. Unglück richtet ihn zugrunde, Glück baut ihn auf. Neue Forschungsarbeiten werfen ein Licht auf Verbindungen zwischen Leib und Seele, die Wissenschaftler lange übersehen haben. Andauernde Angst und Niedergeschlagenheit bergen eine Gefahr für die Gesundheit, weil sie Stress bedeuten. Und Stress steigert zum Beispiel das Risiko, an Herzinfarkt oder Schlaganfall zu sterben. Wer es dagegen gelernt hat, seine düsteren Stimmungen im Zaum zu halten und sein freudiges Erleben zu stärken, pflegt seinen Körper. Gute Gefühle wirken Stress und dessen gesundheitlichen Folgen entgegen. Sie regen sogar das Immunsystem an.

Erst recht fördern sie die Leistungen unseres Geistes. Denn im Gehirn sind Gedanken und Gefühle zwei Seiten derselben Medaille: Glückliche Menschen sind kreativer. Wie viele Studien zeigen, lösen sie Probleme besser und schneller.[12] Glück macht klug, und zwar nicht nur für einen Augenblick, sondern auf Dauer. Positive Gefühle lassen die Nervenverbindungen im Gehirn wachsen – die Freude geht mit neuen Verknüpfungen in unseren Köpfen einher.

Und schließlich sind glückliche Menschen auch nettere Menschen. Sie sind aufmerksamer und eher bereit, das Gute in anderen zu sehen. Sie setzen sich mehr für das Gemeinwohl ein und schaffen es bei Verhandlungen besser, allen Beteiligten zu ihrem Recht zu verhelfen.[13]

Glück ist also ein Lebensziel und zugleich ein Weg zum besseren Leben. Negative Stimmungen schränken den Menschen ein, gute Gefühle dagegen erweitern seine Möglichkeiten. Glück ist Lebendigkeit.

 

Nur wer das Glück kennt, kann es finden. Dieses Buch will Sie mitnehmen auf eine Forschungsreise zu den guten Gefühlen. Sie werden viele Tipps entdecken, wie man die neuen Erkenntnisse der Neurowissenschaften anwenden kann, um glücklicher zu leben. Trotzdem ist dieses Buch kein Ratgeber im herkömmlichen Sinn. Es will Hintergründe vermitteln, keine Patentrezepte. Denn schließlich ist das Glück eines jeden Menschen ebenso einzigartig wie seine Persönlichkeit. Zwar erleben wir alle Freude und Lust auf ähnliche Weise, weil unsere Gehirne nach demselben Plan aufgebaut sind. Aber darin, was diese Gefühle auslöst, unterscheiden wir uns. Deswegen helfen allgemeine Ratschläge nicht weiter. Letztlich muss jeder seine eigene Glücksformel finden. Dafür möchte dieses Buch, wie ein Reiseführer, das nötige Wissen vermitteln.

Im ersten Teil des Buchs werden Sie erfahren, wie Glück entsteht und wozu die Natur die guten Gefühle erfunden hat. Im Mittelpunkt dieser Kapitel stehen die Teile des Gehirns, die Wohlbefinden erzeugen und die es uns erlauben, negative Emotionen unter Kontrolle zu bringen. Wie einen Muskel können wir auch diese Systeme trainieren. Denn das Gehirn verändert seine Struktur nicht nur durch äußere Erfahrungen, sondern auch durch den Umgang mit den eigenen Gefühlen: Das Gehirn kann sich selbst umprogrammieren. Erstaunlicherweise bestätigen viele neue Einsichten der Hirnforschung uralte Weisheiten; deshalb steht am Ende des ersten Teils ein kurzer Vergleich mit dem Erfahrungsschatz der Antike und der östlichen Kulturen.

Der zweite Teil des Buchs erkundet die Anatomie der Leidenschaften: Genießerisches Schwelgen und Freude an der Entdeckung, Liebe und die Lust am Sex haben vieles gemeinsam, und doch kommen sie auf unterschiedlichen Wegen zustande – und dienen verschiedenen Zwecken. Diese elementaren Regungen sind uns angeboren, sie haben sich im Laufe von Jahrmillionen entwickelt; manche von ihnen sind schon bei vergleichsweise simplen Geschöpfen wie Mäusen oder sogar Bienen zu beobachten. Die Leidenschaften sind so tief in Mensch und Tier verwurzelt, dass es sinnlos ist, sie loswerden oder auch nur ändern zu wollen. Vielmehr kommt es darauf an, mit ihnen umgehen zu lernen: Wir können unser Leben so einrichten, dass wir aus diesen Programmen der Evolution möglichst viel Freude und wenig Verdruss ziehen. Anregungen dazu gibt das Schlusskapitel dieses Teils.

Doch die Evolution hat den Menschen, anders als Insekten und Nagetiere, auch mit einem hochentwickelten Großhirn ausgestattet. So sind wir dafür eingerichtet, unsere angeborenen Triebe, Lüste und Ängste in geordnete Bahnen zu lenken. Von solchen Leistungen des Bewusstseins und davon, wie man sie einsetzt, handelt der dritte Teil. Ob wir das berühmte Glas als halb voll oder als halb leer ansehen, hat viel mehr Einfluss auf unsere Gefühle als der tatsächliche Inhalt des Bechers. Indem wir unsere Gedanken und Gefühle bewusst steuern, können wir der Niedergeschlagenheit und sogar Depressionen entgehen. Aber das Großhirn befähigt uns zu noch mehr: Im Gegensatz zu allen Tieren können wir Empfindungen von Freiheit, Grenzenlosigkeit und Einssein mit der Welt erleben, können verzückt das Spiel der Lichtreflexe auf dem Meer betrachten oder ganz in einer Tätigkeit aufgehen. Gerichtete Wahrnehmung und Konzentration sind die Schlüssel zu solchen Momenten der Euphorie. Möglicherweise erklären diese Zustände des Gehirns sogar, wie mystische Erfahrungen im Kopf eines Menschen zustande kommen.

Eine wichtige Quelle des Glücks liegt in der optimalen Entfaltung unserer Talente und Möglichkeiten. Aber keiner lebt für sich allein. Darum stellt der vierte und letzte Teil dieses Buches die Frage, welche Bedingungen eine Gesellschaft schaffen muss, um, wie es die amerikanische Unabhängigkeitserklärung sogar vorschreibt, dem Bürger sein »pursuit of happiness«, das Streben nach Glück, zu ermöglichen. Wo Gemeinschaftsgefühl, Gerechtigkeit und Kontrolle über das eigene Leben gegeben sind, stehen die Chancen des Einzelnen gut, ein glückliches Leben zu führen.

Die Frage ist also, wie jeder Einzelne, aber auch die Gesellschaft sich eine Kultur des Glücks aneignen kann. Dass es möglich ist, das Glück der Menschen zu vermehren, haben die Weisen schon vor mehr als zweitausend Jahren geahnt. Heute besteht im Licht der Neurowissenschaften, denen wir so tiefe Einsichten in unser Fühlen und Erleben verdanken, wie man sie in der Antike allenfalls den Göttern zugeschrieben hätte, kein Zweifel mehr: Glück kann man lernen.

Teil 1Was Glück ist

Kapitel 1:Das Geheimnis des Lächelns

Im Jahre 1967 suchte ein junger Mann aus San Francisco nach einem Naturvolk, das so weltfern leben sollte wie auf einem anderen Planeten. Würde es auf der Erde wirklich noch Menschen geben, zu denen nie Besucher vorgedrungen waren, die keine Schrift kannten und erst recht keine Fernsehbilder? Alles, was Paul Ekman wusste, war, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Noch ein paar Jahre vielleicht, dann hätten Funksignale, Fahrwege und Flugzeuge auch die letzten Dörfer im Urwald erreicht.

Papua-Neuguinea galt seinerzeit als das Ende der Welt: eine Insel, von der man als dem Land der Kopfjäger und Kannibalen sprach. Doch Furcht kannte der Dreiunddreißigjährige nicht – er brach allein auf in die Steinzeit. Allerdings kümmerten ihn exotische Bräuche wenig; Ekman dachte gar nicht daran, die anthropologischen Bibliotheken um noch ein paar Spielarten der Fremdheit zu bereichern. Er wollte vielmehr das erforschen, was allen Menschen gemeinsam ist: Er suchte nach dem Geheimnis des Lächelns.[14]

Niemand gab viel auf sein Unternehmen. Im Mienenspiel der Gesichter sei nicht viel zu entdecken, hatten ihn Kollegen gewarnt. Eine Mutter lächelt ihr Baby an, der Säugling ahmt sie nach und lächelt zurück: So einfach würden Gefühle entstehen, dachte man damals. Denn vor vierzig Jahren, als Ekman sich aufmachte, wagte niemand zu bestreiten, dass der Mensch als unbeschriebenes Blatt auf die Welt kommt. Ein Kind sah man als leeres Gefäß an, in das Eltern und Umgebung ihr Wissen und ihre Umgangsformen einfüllten. Wie alles andere hätten wir deswegen auch das Mienenspiel in der Kindheit gelernt. Nur Ekman wollte das nicht glauben: Könnten, so fragte er sich, die Gefühle bei der Geburt nicht schon angelegt sein? Haben wir vielleicht eine Art fertige Schaltung für das Lächeln im Kopf? In diesem Fall müssten alle Menschen der Welt in vergleichbaren Momenten dasselbe Mienenspiel zeigen. Hatte nicht schon Charles Darwin dergleichen vermutet?

Mienen aus der Steinzeit

Zu Fuß machte sich der junge Forscher auf seinen Weg in das Hochland von Neuguinea. Im Rucksack schleppte er Kameras, Tonbandgeräte und Tafeln mit Porträtfotos. Ein Einheimischer führte ihn; nach ein paar Wochen des Marschierens erreichten sie Gegenden, die noch kein Weißer je betreten hatte. Es war das Gebiet eines Volkes, das sich die Fores nannte und dem es vor acht Jahren verboten worden war, nach deren Tod die Gehirne ihrer Angehörigen zu verspeisen. Die Frauen trugen Grasschürzen, die Männer Tangas aus Rinde. Sie lebten in Hütten, die sie sich aus Gras und Blättern geflochten hatten, und benutzten Werkzeuge aus behauenem Stein. Den Wissenschaftler und seinen Führer empfingen sie freundlich.

Ekman ließ sich auf dem Platz ihres kleinen Dorfs nieder und packte sein Tonbandgerät aus. Noch nie hatten die Menschen hier so einen schimmernden Kasten gesehen, auf dem sich zwei Kreise drehten, scheinbar ganz von alleine. Und plötzlich hörten sie ihre eigenen Stimmen! Ihre Münder begannen sich zu öffnen, die Wangenknöchelchen hoben sich, und die Augen der Fores funkelten – sie lächelten. Offensichtlich waren sie von der Überraschung begeistert. Aus dem Hintergrund hatte Ekmans Führer die Begebenheit gefilmt: der erste Beweis, dass Menschen am anderen Ende der Welt auf dieselbe Weise lächeln wie wir.

Von nun an wichen die Fores Ekman keinen Moment von der Seite. Schon bevor er erwachte, umringten sie seinen Schlafplatz und warteten gespannt, womit er sie heute unterhalten würde. An manchen Tagen ging er mit einem Gummimesser auf Kinder los, damit sein Begleiter erschreckte Gesichter aufnehmen konnte. An anderen Tagen zeigte er ihnen Porträts von fröhlichen und traurigen Amerikanern und ließ den Führer fragen, welcher der abgebildeten Menschen den Tod seines Kindes erwarte. Einmütig deuteten die Fores auf das traurige Gesicht – anscheinend konnten sie die Mimik aus dem fremden Amerika ohne Schwierigkeiten verstehen. Nach ein paar Wochen bat Ekman seinen Begleiter, Überraschungsbesuche zu inszenieren. Ein Dörfler sollte seinem Freund wie zufällig begegnen; die Kamera des Forschers zeichnete das freudige Begrüßungslächeln auf.

Als Ekman nach vier Monaten im Dschungel nach Amerika zurückkehrte und seine Aufnahmen auswertete, hatte er keinen Zweifel mehr: Die Mienen der Fores zeigten genau denselben Ausdruck wie die von Menschen in der westlichen Welt. Sprachen mochten sich von Volk zu Volk unterscheiden. Gefühle aber sind den Fores im Hochland von Neuguinea auf dieselbe Weise ins Gesicht geschrieben wie einem Bürger von San Francisco.

Für die Wissenschaft war das ein aufregender Befund. Andere Forscher brachen auf; um Ekman zu widerlegen. Sie reisten in den Urwald von Borneo, zu Nomaden im Iran, in die entlegensten Teile der Sowjetunion – und kamen mit leeren Händen nach Hause. Überall zeigte sich, dass die Kultur kaum Einfluss hat auf die Klaviatur der menschlichen Emotionen. Zwar mochten manche Völker ihre Empfindungen mehr und andere sie weniger offen zeigen.[15] Freude und Trauer, Angst und Wut aber waren allen Menschen gemein. (Spätere Untersuchungen ergänzten Ekmans Liste um zwei weitere Grundemotionen: Überraschung und Ekel.)

Mit seiner Entdeckung erledigte Ekman gleich zwei Irrtümer auf einmal. Erstens ließ sich von nun an schwerlich behaupten, Kinder lernten Emotionen von den Menschen ihrer Umgebung. Denn dann müsste es bei den Völkern der Welt verschiedene Arten des Lächelns geben, ganz so, wie »Freude« bei den Amerikanern »joy« heißt und in China »gaoxing«. Nachdem die Mimik aber überall dieselbe ist, müssen die elementaren Emotionen und die Art, wie unsere Körper sie ausdrücken, angeboren sein.

Selbst von Geburt an blinde Kinder, die ihr Mienenspiel bei niemandem abgeschaut haben können, lächeln spontan. Eigentlich hätte allein diese Tatsache bei denjenigen Zweifel wecken müssen, die glaubten, Freude sei gelernt. Schließlich hatte bereits Charles Darwin in seinem Buch über die Mimik des Menschen eine Untersuchung in einem Blindenheim angeregt. Doch dieses Werk des großen Evolutionsbiologen war so gut wie vergessen, und der Glaube an gelernte Gefühle war so unerschütterlich, dass kein Forscher auf die Idee kam, einfach Darwins Vorschlag zu folgen und sich mit ein paar Blindenlehrern zu unterhalten. Also musste Paul Ekman bis in die Südsee reisen. Auch die Wissenschaft ist von Vorurteilen nicht frei.[16]

Noch einflussreicher zeigte sich Ekman in einer zweiten Hinsicht. Mit seinen Filmen vom Mienenspiel der Fores hatte er nachgewiesen, dass Gefühle Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung sein können. Das war keine kleine Erkenntnis, denn wer sich Ende der sechziger Jahre mit Emotionen beschäftigte, galt als ein Schmuddelkind der wissenschaftlichen Psychologie. Wahrnehmen, Denken und Handeln galten als die Themen ernsthafter Forschung. Gefühle zu erörtern überließ man dagegen den Philosophen und Dichtern, spielen sie sich doch im Inneren des Menschen ab, das allen Blicken von außen verschlossen schien. Ekman aber hatte vorgeführt, dass private Erfahrung Experimenten durchaus zugänglich sein kann.

Dieser junge Mann aus dem entlegenen Hochland von Papua-Neuguinea hat nie zuvor Menschen anderer Völker gesehen, trotzdem ist uns sein Freudestrahlen vertraut: Die elementaren Gefühle und die Art, wie wir sie ausdrücken, sind angeboren. Deswegen wird die Sprache des Lächelns weltweit verstanden. Das Foto stammt von der Forschungsexpedition des Psychologen Paul Ekman.

Echtes und nützliches Lächeln

Von seinen Erfolgen ermutigt, erfand der junge Forscher ein ganzes System, Gefühlsäußerungen in Zahlen und Tabellen zu übersetzen. Gewissermaßen zerlegte er das Mienenspiel in seine Atome. 42 Muskeln im menschlichen Gesicht erzeugen die Mimik; Ekman ordnete jeder ihrer Regungen eine Nummer zu. »9« bedeutete zum Beispiel Naserümpfen, »15« das Zusammenpressen der Lippen. Nun konnten die Forscher auch die wildesten Grimassen im Computer erfassen.

So entdeckte er 19 verschiedene Weisen des Lächelns. 18 davon sind nicht echt – und uns trotzdem von großem Nutzen. Sie dienen als Maske, wenn wir andere nicht die ganze Wahrheit über unsere Gefühle wissen lassen wollen. Es gibt ein Lächeln, mit dem wir peinlich berührt nach einem schlechten Witz Höflichkeit zeigen; ein Lächeln, hinter dem wir Angst verbergen; eine gute Miene, die wir zum bösen Spiel machen. Stets tritt dabei der große Jochbeinmuskel (Musculus zygomaticus major) in Aktion, der sich vom Jochbein zur Oberlippe spannt und die Mundwinkel nach oben zieht. Aber jedes Mal orchestrieren andere Muskelgruppen im Gesicht die verschiedenen Typen des falschen Lächelns. Ohne diese Signale würde menschliches Miteinander kaum funktionieren. Mit Freude allerdings haben sie wenig zu tun.

Nur eine Weise des Lächelns ist echt. Wenn nicht nur die Mundwinkel nach oben wandern, sondern sich zudem die Augen etwas zusammenkneifen, Lachfalten in den Augenwinkeln erscheinen und sich die oberen Hälften der Wangen heben, zeigt das Gesicht Glücklichsein an: Der Augenringmuskel hat sich zusammengezogen. Ekman nannte diese Gesichtsregung »Duchenne-Lächeln«, zu Ehren des französischen Physiologen Guillaume-Benjamin Duchenne. Dieser hatte im Jahre 1862 als Erster den Muskelstrang mit dem lateinischen Namen Musculus orbicularis oculi untersucht, der das gesamte Auge umschließt.

Mit feinen elektrischen Drähten, die er ins Gesicht seiner Versuchspersonen legte, konnte der Physiologe Guillaume-Benjamin Duchenne im Jahre 1862 ein künstliches Freudestrahlen auslösen. Schwache Ströme reizten die Gesichtsmuskeln dieses alten Mannes so, dass seine Miene ein echtes Lächeln zeigte: Die Mundwinkel sind nach oben gewandert, die Augenringmuskeln zusammengezogen.

Mit Hilfe seines Zahlensystems für das Mienenspiel konnte Ekman zeigen, dass einzig das Duchenne-Lächeln wahres Wohlgefühl ausdrückt. Wenn er Versuchspersonen fröhliche Filme zeigte, huschte häufig spontan dieses, aber kaum jemals ein anderes Lächeln über ihre Gesichter. Und je häufiger seine Probanden bei einer Vorführung Lachfältchen sehen ließen, desto eindeutiger erklärten sie hinterher, der Film hätte ihnen gefallen. Bei furchterregenden Szenen hingegen, die Brandopfer oder Amputationen zeigten, verschwand das Duchenne-Lächeln. So ist die Bewegung des Augenringmuskels ein untrügliches Signal für Freude.[17]

Duchenne nannte dessen Kontraktionen »die süßen Gemütsbewegungen der Seele«. Er wusste bereits, dass wir die Tätigkeit dieses Muskels kaum mit Willenskraft steuern können – der Grund, warum die meisten Menschen jämmerlich versagen, wenn sie »bitte recht freundlich« in die Kamera schauen sollen. Bei seinen Experimenten hat Duchenne Versuchspersonen deswegen auf andere Weise zu einem Freudestrahlen verholfen – indem er über feine Drähte einen elektrischen Strom auf ihre Wangen leitete.[18] Auf diese Weise gelang es ihm, den Augenringmuskel so kräftig zu stimulieren, dass seine Probanden ein geradezu übernatürlich fröhliches Lächeln zeigten. Die Fotos von diesen Versuchen hängen heute im New Yorker Museum of Modern Art.

Nur knapp zehn Prozent aller Menschen beherrschen ihre Gesichtsmuskeln so gut, dass sie ohne besonderes Training auf Wunsch ein Duchenne-Lächeln hervorbringen können. Wahrscheinlich ist diese Fähigkeit angeboren. Der Mehrheit der anderen bleibt nur, auf Umwegen zu einem echten Lächeln zu kommen: Ein guter Witz hilft, oder sich in der Erinnerung eine Situation auszumalen, in der man sich besonders wohlgefühlt hat.

 

Selbst Schauspieler, und erst recht Politiker, kämpfen mit diesem Problem. Wie schwer es ist, Gesichtsregungen und Gefühle unter Kontrolle zu bringen, führt jede billig produzierte Seifenoper vor. Keinen Moment lang nehmen wir den Akteuren ihre mäßig gut dargestellten Regungen ab. Unter den besseren Mimen gibt es hingegen viele, die nach langem Training ihre Gesichtsmuskeln zu steuern gelernt haben. Lawrence Olivier etwa war dafür bekannt, dass er von jedem Gefühl wusste, wie es aus Sicht des Zuschauers auszusehen hatte. Aber selbst unter Hollywoodstars lernen es manche nie, ihre Gesichtszüge willentlich zu formen. Aus gutem Grund haben Steve McQueen und John Wayne das unbewegte Pokerface zu ihrem Markenzeichen erhoben.

Glück entspringt dem Körper

Man hat Ihnen ein Kompliment gemacht, jemand hat Ihnen Blumen geschenkt, oder Sie genießen gerade ein sehr gutes Essen? Die guten Gefühle zeigen sich nicht nur im Gesicht. Ganz gleich, was Sie freut – in Ihrem Körper hat sich ein angeregter Zustand eingestellt. Es lohnt sich, einmal darauf zu achten, denn viele der damit einhergehenden Veränderungen kann man spüren.

Wenn Sie glücklich sind, pulsiert das Blut etwas schneller in Ihren Adern. Bei den meisten Menschen trennen drei bis fünf Herzschläge pro Minute das Glück vom Normalzustand. Ihre Hauttemperatur steigt um etwa ein Zehntel Grad, weil sich die Durchblutung verbessert. Aufgrund der Erregung wird Ihre Haut etwas feuchter, der elektrische Hautwiderstand sinkt. Sogar Ihre Finger zittern jetzt anders, nicht so eckig, etwas weicher als sonst. Diesen Unterschied werden Sie allerdings höchstens dann bemerken, wenn Sie einen Faden in eine Nadel zu fädeln versuchen, denn diese ständige Bewegung macht nur Zehntel Millimeter aus. Aber vielleicht können Sie wahrnehmen, woher das Zittern rührt: In den Mikrobewegungen der Finger, die Forscher genau vermessen laben, spiegelt sich nämlich die Spannung der Schulter-, Arm- und Handmuskulatur. Wenn Sie sich gut fühlen, entspannen sich die Muskeln an den Gliedmaßen und werden geschmeidiger.[19] Hinzu kommen wichtige Veränderungen, die wir nicht direkt spüren können: Freude verschiebt auch das Gleichgewicht der Hormone, mehr davon später.

Und noch bevor Sie selbst oder die Menschen in Ihrer Umgebung den Anflug eines Lächelns wahrnehmen, hat sich auch im Gesicht einiges getan. Der Jochbeinmuskel, der die Mundwinkel nach oben zieht, hat sich ein wenig angespannt. Der Augenringmuskel, der Lachfalten hervorbringt, hat sich ebenfalls leicht zusammengezogen. Dafür hat sich der Augenbrauenmuskel gelöst: Der sogenannte Korrugator, der bei Ekel, Trauer und Furcht die Miene des Entsetzens erzeugt, indem er die Brauen hinaufzieht, ist jetzt nicht im Einsatz.

So sieht das Glück aus. Wie alle Gefühle nimmt es seinen Ausgang ebenso sehr im Körper wie im Gehirn. Denn Wohlbefinden entsteht erst dann, wenn das Gehirn die richtigen Signale von Herz, Haut, Muskeln empfängt und deutet. Ohne unseren Körper wären wir zum Glücklichsein außerstande.

Dieser Gedanke mag zunächst irritieren. Kein Zweifel, manche Glücksempfindungen, etwa beim Essen oder bei der Liebe, verdanken wir leiblichen Genüssen beinahe in Reinform. Was aber geschieht, wenn wir uns an einen fröhlichen Abend mit Freunden erinnern oder uns auf eine Urlaubsreise freuen? In solchen Momenten des Glücks scheint schließlich die Vorstellungswelt die entscheidende Rolle zu spielen. Doch das ist eine Täuschung: Gedanken, Erinnerungen, Hoffnungen allein lassen uns keine Emotionen erleben. Erst wenn sie sich mit den richtigen Körpersignalen verbinden, können wir Freude empfinden. Denn aus diesen Signalen konstruiert das Gehirn die Wahrnehmung leiblichen Wohlbefindens. Versuchen Sie einmal, mit verspannten Muskeln und Angstschweiß auf der Stirn glücklich zu sein!

Das Glück entspringt also mindestens ebenso sehr unserem Körper, Armen und Beinen, Herz und Haut, wie unseren Vorstellungen und Gedanken. Deshalb täten wir gut daran, den Körper viel ernster zu nehmen, als wir es gewohnt sind.

Das Eigenleben der guten Gefühle

Die guten Gefühle sind mit dem Körper verknüpft. Darum ist es so schwer, auf Wunsch Glück zu fühlen oder zu zeigen – eine ärgerliche Tatsache, die mit der Architektur des Gehirns zusammenhängt. Für die Steuerung des Körpers und damit auch für Emotionen sind nämlich Nervenbahnen zuständig, auf die das Bewusstsein kaum Einfluss hat. Um das zu verstehen, müssen wir die Datenverarbeitung in unserem Organismus etwas genauer betrachten.

Anatomiebücher zeigen das Nervengeflecht des menschlichen Körpers meist als Baum, der auf dem Kopf steht und gewissermaßen im Gehirn wurzelt. Dort entspringt der Stamm des Rückenmarks, aus dem sich die Signalwege immer feiner in die Organe und Glieder verzweigen. So entsteht der Anschein, all diese Bahnen seien zu einem einheitlichen Gebilde verflochten.

Aber das stimmt nicht. Tatsächlich zerfällt das menschliche Nervensystem in zwei Teile, die weitgehend getrennt voneinander arbeiten: Man unterscheidet das willkürliche vom unwillkürlichen Nervensystem. Das willkürliche (oder somatische) Nervensystem steuert die meisten Muskeln, die unsere Knochen bewegen. Über seine Leitungen laufen die Befehle, wenn ich meinen Zeigefinger abknicken will, um diesen Text weiter zu tippen. Solche Kommandos kommen aus der Großhirnrinde, jener zerfurchten, grauen Kuppel gleich unter der Schädeldecke, wo die Wünsche, Vorstellungen und Gedanken entstehen. Das willkürliche Nervensystem steht direkt mit diesem Teil des Gehirns in Verbindung.

Das unwillkürliche (oder autonome) Nervensystem dagegen nimmt an der entgegengesetzten Seite des Gehirns seinen Ausgang. Es entspringt im Hirnstamm, dem ersten Ansatz der grauen Zellen auf Nackenhöhe. Hier sitzen Schaltungen, die grundlegende Funktionen des Organismus regeln. Sie steuern Wachen und Schlaf, kontrollieren den Herzschlag, regen die Geschlechtsteile an. Die Leitungen des unwillkürlichen Nervensystems führen deshalb kaum zu den Skelettmuskeln, sondern vielmehr zu den inneren Organen, den Blutgefäßen und sogar bis zu den winzigen Hautmuskeln, die unsere Körperhaare aufrichten. Dieser Teil des Nervensystems bewirkt, dass wir bei Scham erröten, dass uns bei Angst die Haare zu Berge stehen und dass das Herz rast, wenn wir verliebt sind.

Und da wir auf das unwillkürliche Nervensystem kaum Einfluss haben, wie es der Name schon sagt, können wir nicht einfach beschließen, glücklich zu sein. Nicht nur der für das echte Lächeln notwendige Augenringmuskel hängt an diesem Teil des Nervensystems, sondern auch Herzschlag, Durchblutung, die Tätigkeit der Schweißdrüsen sind daran gebunden. Es steuert all jene unbewussten Regungen des Körpers, aus deren Wahrnehmung das Gehirn die guten Gefühle erzeugt. Deshalb können wir auf direktem Weg unsere Emotionen kaum verändern, sondern müssen schon raffinierter vorgehen.

Unser Körper weiß mehr, als wir selbst wissen

Es wäre im Übrigen nicht sinnvoll, das unwillkürliche Nervensystem mit unseren Wünschen zu beeinflussen. Weil es die lebenswichtigen Vorgänge des Körpers regelt, könnte sich eine falsche Entscheidung fatal auswirken. Deshalb ist das Gehirn so programmiert, dass wir zum Beispiel nicht beschließen können, den Atem für längere Zeit anzuhalten oder das Herz stillstehen zu lassen.

Die meisten seiner Aufgaben erledigt das unwillkürliche Nervensystem im Zusammenspiel mit chemischen Botenstoffen, den Hormonen. Das Gehirn verfügt damit über zwei Wege, um das Funktionieren des Organismus zu überwachen: Im Nervensystem werden elektrische, über die Hormone chemische Signale verteilt. In der Hirnanhangdrüse kann das Gehirn selbst Hormone erzeugen und in die Blutbahn abgeben. Das ist praktisch, denn auf diese Weise können Hirnschaltungen ohne Umweg über die Nerven direkt mit Organen in Verbindung treten. Manche Organe, zum Beispiel die Geschlechtsteile oder die Nieren, können dem Gehirn auf demselben chemischen Weg antworten. Die Botenstoffe helfen dem Gehirn, ständig den Spiegel lebenswichtiger Substanzen im Körper zu überwachen und, wenn nötig, einzugreifen. So halten unwillkürliches Nervensystem und Hormone gemeinsam den Organismus in seinem optimalen Betriebszustand.

Das automatische Überlebensprogramm hat noch einen Vorteil: Es hält uns den Kopf frei. Denn es verhindert, dass wir zu viel Aufmerksamkeit an simple Körperfunktionen verschwenden. Wir kämen zu wenig anderem mehr, wenn wir uns zum Beispiel eingehend mit der Frage befassen müssten, ob unsere Leber gerade genug Enzyme herstellt, um den Alkohol vom Vorabend abzubauen.

Wir spüren nur, wenn dieses System ernstlich aus dem Gleichgewicht gerät. Dann nämlich zwingen uns die Reaktionen des Körpers zum Handeln. Sinkt der Blutzuckerspiegel, quält uns Hunger. Verschwindet der Alkohol nach einem Gelage nicht schnell genug aus dem Blut, dröhnt der Kopf, eine Warnung für das nächste Mal.

So funktioniert die Steuerung unseres Organismus ähnlich wie die Benutzeroberfläche eines Computers. Beide legen sich einer schützenden Schale gleich um die komplizierten Vorgänge im Inneren des Systems, mit denen wir uns gar nicht befassen sollen. Alles, was der Benutzer am Bildschirm von der Technik sieht, ist ab und zu eine Fehlermeldung, wenn das Programm sich nicht mehr selber helfen kann. Viele unangenehme Gefühle entsprechen genau einer solchen Meldung.

Aus diesem Grund sind nicht nur die Vorgänge der Körpersteuerung, sondern auch die Emotionen selbst vom direkten Einfluss des Willens abgeschirmt. Wir können sie nur indirekt steuern, indem wir uns Gutes tun, also unsere Umwelt oder unsere Gedanken verändern, oder indem wir uns an schöne Situationen erinnern. Aber wir können nicht wählen, ob wir Angst haben wollen, wenn im Wald plötzlich ein riesiger Bär auf uns zukommt. Wir fürchten uns, noch bevor wir nachdenken können. Das Herz beginnt zu rasen, die Atmung wird flacher – der Körper macht sich bereit zu rennen. In den Sekunden, die für eine bewusste Entscheidung verstrichen wären, hätte ein angriffslustiges Tier sein Opfer womöglich schon zerfleischt. Deswegen hat der Körper schon auf die Bedrohung geantwortet, noch ehe wir die Angst zu spüren beginnen.

Umgekehrt empfinden wir Lust, sobald wir etwas bemerken, was uns nützen könnte. Dies sind die kleinen Augenblicke des Glücks: Sind wir hungrig und wittern den Duft einer Bäckerei, läuft uns das Wasser im Mund zusammen. Kommt uns ein Freund entgegen, huscht ein Lächeln des Willkommens über unser Gesicht, und im selben Moment empfinden wir Freude. So erleben wir Gefühle, indem wir die unwillkürlichen Reaktionen unseres Körpers wahrnehmen.

Wissenschaftler entdecken die Intuition

Läuft also die Reaktion des Körpers den Gefühlen voraus wie eine Bugwelle dem Schiff? Eines der eindrucksvollsten Experimente zu dieser Frage stammt von Mitarbeitern des portugiesisch-amerikanischen Neurologen Antonio Damasio. Sein Labor an der Universität von Iowa im Mittleren Westen gilt bei der Erforschung der Emotionen als führend. Unter anderem haben Damasio und seine Frau Hanna das weltgrößte Archiv von Bildern geschädigter Gehirne zusammengetragen. Mehr als 2500 Köpfe haben die Damasios inzwischen durchleuchtet – mit der Technik der Computertomographie lassen sich räumliche Bilder vom lebenden Gehirn erzeugen. Diese Innenansichten kranker Hirne kombinieren die Wissenschaftler mit den Geschichten ihrer Patienten, die an allen erdenklichen Störungen des Denkens, Fühlens und Handelns leiden. So gewinnt das Forscherpaar Einblicke in die Arbeitsweise des menschlichen Geistes. Weil ihre Archive so einmalig sind, werden Versuche aus dem Labor der Damasios in diesem Buch noch öfter erwähnt werden.

Mit vergleichsweise einfachen Mitteln haben die Wissenschaftler aus Iowa gezeigt, wie sich Freude und Widerwille, Angst und Wut tatsächlich zuerst im Körper abspielen. Sie gaben Versuchspersonen ein Glücksspiel und schlossen diese dabei an einen Lügendetektor an.[20] Das Spiel, inzwischen als Iowa Card Test bekannt, besteht darin, wiederholt aus zwei verdeckten Stapeln Karten zu ziehen: Der gute Stoß beschert mäßige Gewinne im Wechsel mit kleineren Verlusten; der schlechte Stoß ab und an einen ziemlich großen Gewinn, aber häufig riesige Verluste.

Ungefähr nach dem zehnten Zug begannen die Probanden den schlechten Stoß zu meiden, und der Lügendetektor meldete leichten Angstschweiß und Herzklopfen, sobald sich ihre Hand den riskanten Karten näherte.[21] Trotzdem wussten die Versuchspersonen weder, warum sie so handelten, noch bemerkten sie die Reaktionen ihres eigenen Körpers. Erst nach etwa dem fünfzigsten Zug berichteten sie von einer gefühlsmäßigen Abneigung gegen den schlechten Stapel. Noch länger, nämlich meist bis ungefähr zum achtzigsten Zug, dauerte es, bis die Testpersonen diese Empfindung begründen und das Prinzip des Spiels erklären konnten.

Es gibt sie also tatsächlich, die Intuition – dieses seltsame Gefühl, das wir manchmal etwa bei der ersten Begegnung mit einem Menschen verspüren, der sich später als uns gar nicht wohlgesinnt erweist. Solche Vorahnungen können wir deswegen nicht recht begründen, weil sie auf unbewussten Emotionen beruhen. Bei dem ersten Treffen mit einem späteren Widersacher ist es oft ein Augenblick der Angst, die wir nicht wahrnehmen, ausgelöst von einer bedrohlichen Miene, die kurz über das Gesicht des anderen huscht.

Die Intuition arbeitet selbst in unübersichtlichen Lagen für uns – egal, ob wir davon wissen oder nicht. Einige weniger intelligente Versuchspersonen verstanden das System des Kartentests sogar bis zum Ende nicht und entschieden sich trotzdem richtig. In diesem Punkt hat der Volksglaube gegenüber der Wissenschaft recht behalten, denn sie hat jahrhundertelang alle Erkenntnis außerhalb der Vernunft geleugnet.

Aber die emotionalen Eingebungen speisen sich nicht aus irgendwelchen übersinnlichen Phänomenen, wie oft vermutet. Die Intuition ist ganz handfest in unseren Körpern verankert. Wir erwerben sie durch Erfahrung: Bei ihren allerersten Zügen im Kartenspiel hatten die Versuchspersonen noch kein Gefühl für den besseren Stapel. Ihre Gehirne mussten erst lernen, das Ergebnis vorherzusagen. Eine Vorahnung kommt zustande, wenn diese Kalkulation – ein Stapel ist gut, der andere schlecht – an den Körper übermittelt wird, noch bevor sie ins Bewusstsein gelangt.

Am Beispiel des angriffslustigen Bären, das von dem amerikanischen Psychologen William James stammt, haben wir schon gesehen, wozu solch intuitives Handeln am bewussten Denken vorbei dient: Es erleichtert dem Individuum das Leben und spart bei Gefahr wertvolle Zeit. Manchmal weiß der Körper also mehr als der Verstand, oder, wie es der französische Philosoph Blaise Pascal ausdrückte: »Das Herz hat Gründe, die die Vernunft nicht kennt.«[22]

Bilder aus der Innenwelt

Wie den Testpersonen ihre Angst vor dem üblen Kartenstapel, so sind auch uns im Alltag Emotionen oft nicht in ihrer ganzen Tiefe bewusst. Wir erröten und fühlen es erst, wenn uns jemand darauf aufmerksam macht. Unsere Augen funkeln vor Begeisterung, und wir wissen selbst nicht, wie sehr wir uns freuen.

In solchen Momenten wird deutlich, dass Emotionen und Gefühle nicht ein und dasselbe sind. Zwar verwenden wir in der Umgangssprache die beiden Begriffe meist austauschbar. Es gibt aber einen Unterschied: Eine Emotion ist eine automatische Antwort des Körpers auf eine bestimmte Situation – das Blitzen der Augen vor Lust, das Erröten der Gesichtshaut, wenn wir bei einer Ausrede ertappt worden sind. Ein Gefühl erleben wir, wenn wir diese Emotion bewusst wahrnehmen – als Freude oder als Scham.[23]

Emotionen sind also unbewusst, Gefühle bewusst. Die meisten Emotionen empfinden wir auch als Gefühl, weswegen der Volksmund zwischen beiden gar nicht erst unterscheidet. Trotzdem können manche Emotionen uns verborgen bleiben, etwa, wenn wir erröten und uns niemand darauf hinweist.

Wie wird nun aus einer Emotion ein Gefühl? Mit ihren Geräten gelang es den Wissenschaftlern um Antonio Damasio, dem Gehirn im entscheidenden Moment zuzusehen. Sie baten gesunde Versuchspersonen, sich in sehr glückliche und sehr traurige Momente ihres Lebens zurückzuversetzen: dem Wiedersehen mit einem geliebten Menschen oder dem Tod der Eltern. Bei ein paar Probeläufen kontrollierten die Forscher ihre Testpersonen mit dem Lügendetektor und wählten diejenigen aus, die besonders heftige Reaktionen zeigten. Dann schoben sie die Probanden auf einer Liege in den Positronen-Emissionstomographen. In einer solchen Maschine, die einen ganzen Raum einnimmt, liegt man eingezwängt in einer engen Metallröhre und angeschnallt, damit die Bilder nicht verwackeln – nicht gerade eine Umgebung, die zu Phantasiereisen anregt. Durch eine Kanüle im Arm tropft eine Lösung mit schwach radioaktivem Traubenzucker ins Blut, der als Kontrastmittel dient. Trotzdem glitten die Probanden so tief in die Welt ihrer Erinnerungen, dass sie all die Technik um sich vergaßen. Manche begannen im Tomographen sogar zu weinen. Währenddessen konnten Damasio und seine Kollegen auf dem Bildschirm verfolgen, welche Hirnstrukturen aktiv sind, wenn jemand starke Gefühle empfindet.[24]

Die Aufnahmen, von den Wissenschaftlern im Jahre 2000 vorgelegt, erregten aus zwei Gründen Aufsehen: Zum einen zeigten sie in einer nie dagewesenen Genauigkeit, was bei Freude und Trauer, Ärger und Wut in den Köpfen der Menschen geschieht. Der Tomograph macht tatsächlich von außen sichtbar, welches Gefühl jemanden in seiner Innenwelt gerade bewegt. Zum anderen boten diese Bilder die bislang stärksten Indizien dafür, dass Gefühle tatsächlich den Reaktionen des Körpers folgen. Auf den Monitoren leuchteten nämlich genau die Regionen auf, die nötig sind, um ein Abbild des Körpers im Kopf zu erzeugen: unten der Hirnstamm, der den ganzen Organismus überwacht; in der Mitte Teile des Klein- und Zwischenhirns, die diese Daten verarbeiten; oben schließlich Gebiete im Großhirn, die diese Informationen zu einem einheitlichen Bild zusammenfügen und sie mit unseren bewussten Wahrnehmungen, Gedanken und Phantasien verknüpfen.[25] Bewusst wird eine Emotion uns also erst dann, wenn das Großhirn sie verarbeitet hat (siehe Graphik S. 46).

Jedes Gefühl – und damit auch das Glück – beruht demnach darauf, dass das Gehirn Signale vom Körper empfangen und diese verarbeiten kann. Selbst in Momenten größter Seligkeit, wenn wir glauben, gleichsam ätherisch in anderen Sphären zu schweben, entstehen unsere Gefühle der Euphorie, indem wir unseren eigenen Körper wahrnehmen. Von Damasio stammt die Bemerkung, unser Geist sei in der eigentlichen Bedeutung des Wortes verkörpert, nicht bloß verhirnt. Ein körperloses Wesen würde deshalb weder Freude noch Trauer empfinden. Wer jedoch die Regungen des Leibes bereits zur Genüge erfahren hat, dessen Gehirn vermag nach Ansicht von Damasio den Körper sogar unbewusst zu simulieren. Wie ein Phantasiebild vor dem inneren Auge entsteht, so kann dann der Hirnstamm Impulse vortäuschen, die er in Wirklichkeit gar nicht empfängt. Damasio glaubt, dass der Organismus auf diese Weise in weniger wichtigen Situationen, wenn ihm zum Beispiel nur eine kleine Annehmlichkeit widerfährt, den Aufwand spart, seinen Puls zu beschleunigen und das ganze Programm der positiven Emotionen abzufahren. Trotzdem empfindet der Mensch in diesem Moment angenehme Erregung – sozusagen im Energiesparmodus. Dieser Mechanismus trägt höchstwahrscheinlich dazu bei, Menschen, die nach einem Unfall querschnittsgelähmt sind, ihr Gefühlsleben zu erhalten.[26]

Die Gefühle im Gehirn. Das Gehirn ist wie ein Gebäude aus mehreren Stockwerken aufgebaut (kleine Graphik). Das Fundament ist der Hirnstamm, der die Signale aus dem Körper empfängt. Er wächst aus dem Rückenmark hervor und läuft im Mittelhirn aus. Das Zwischenhirn, darüber gelegen, ist für Erregung zuständig. Es steuert den Organismus, indem es über die Hirnanhangdrüse Hormone ausschüttet. Ganz oben, unter der Schädeldecke, wölbt sich die Kuppel des Großhirns. Es überwacht alle anderen Teile des Gehirns. Seine Funktionen sind die Sinneswahrnehmung, das Denken und Planen und alle Leistungen des Bewusstseins. Die tomographische Aufnahme zeigt, wie Glück und Trauer im Kopf entstehen. Denn jedem Gefühl entspricht ein eigenes Muster der Hirntätigkeit. Manche Teile des Gehirns sind allerdings an beiden Gefühlen beteiligt: Im Hirnstamm laufen die Daten aus dem Körper ein. Dabei tritt vor allem das Mittelhirn in Aktion, erkennbar an der dunkleren Färbung. Das Kleinhirn, das wie ein Rucksack am Hirnstamm hängt, verarbeitet die Impulse aus dem Hirnstamm und gibt Befehle an die Muskeln – etwa das Kommando zu lächeln, wenn wir uns freuen. Das darüber gelegene Zwischenhirn wird tätig, um die emotionale Erregung auszulösen. Im Großhirn sind besonders die Windungen hinter den Augen aktiv, das sogenannte Stirnhirn. Es setzt die Emotionen in Pläne und Handlungen um. Nach Damasio (2000).

Macht Lächeln froh?

Der Volksmund ist überzeugt: Ein Lächeln reicht, um einen Griesgram in gute Stimmung zu versetzen. Und Robert Baden-Powell, der Gründer der Pfadfinder, riet seinen jungen Leuten sogar, ein Lächeln aufzusetzen, wenn sie sich fürchteten oder wenn etwas Unangenehmes geschah – die Welt würde ihnen freundlicher erscheinen.[27]

Können wir uns wirklich mit Hilfe unserer Gesichtsmuskeln Glücksgefühle verschaffen? Paul Ekman ist dieser Frage nachgegangen – und konnte wissenschaftlich erhärten, dass Lächeln glücklich macht. Wenn Gefühle auf Körperzustände zurückgehen, liegt der Gedanke schließlich nahe, dass sich umgekehrt über Beeinflussung des Körpers Gefühle ändern ließen. Aber leider stellte sich dieser Weg zur Heiterkeit als nicht so eben heraus, wie es die alte Redensart verheißt. Denn keineswegs jedes Lächeln erfüllt seinen Zweck. Die höfliche Mimik, die wir bemühen, wenn wir unseren Vorgesetzten um eine Gehaltserhöhung bitten, mag Unsicherheit wirksam verbergen. Doch für Euphorie sorgt sie nicht, weil wir die gute Stimmung nur bewusst vorgetäuscht haben. Da beim echten Duchenne-Lächeln nicht nur die Mundwinkel nach oben wandern, sondern sich zudem die Augenwinkel zu Lachfältchen verziehen, erleben wir Wohlbefinden einzig dann, wenn beide Gesichtsbewegungen zusammenkommen.

Da sich diese Regungen bei den meisten Menschen ja der Kontrolle entziehen, lehrte Ekman seine Versuchspersonen, ihren Augenringmuskel zu trainieren. Er verriet ihnen allerdings nicht, wozu dieses Kunststück dienen sollte. So konnte er zeigen, dass die Signale der Freude sich nicht auf einer Einbahnstraße bewegen: Je besser die Versuchsteilnehmer ihren Augenringmuskel zu beherrschen lernten, umso mehr berichteten sie von guter Stimmung, die sie sich selbst nicht recht erklären konnten. Ekman gab sich damit nicht zufrieden. Er zeichnete zusätzlich die Hirnströme seiner Schüler auf, wenn diese ihr Gesicht bewusst zu einem echten Lächeln verzogen.[28] Und wirklich sahen die elektrischen Signale genau so aus, als hätte er seine Probanden mit einem gelungenen Witz in gute Laune gebracht: Lächeln macht glücklich – aber eben nur das richtige Lächeln. Das Gehirn lässt sich nicht so leicht foppen.

Kapitel 2:Die guten Gefühle als Kompass

Warum haben wir eigentlich Gefühle? Emotionen steuern den Organismus, aber das könnten sie ebenso, wenn sie ähnlich Reflexen still im Hintergrund blieben. Wenn der Arzt mit dem Hämmerchen auf die Kniescheibe schlägt, schnellt der Fuß hoch, ohne dass wir viel dabei empfinden. Auch regeln viele Maschinen ihre inneren Vorgänge auf höchst komplizierte Weise, ohne dass jemals ein Schweißroboter zu Freudensprüngen angesetzt oder tränenerstickt nach Druckluft gejapst hätte.

Es gibt sogar Menschen, die nicht fühlen. Einer von ihnen, ein Patient des Neurologen Damasio, wurde unter dem Namen Elliot bekannt.[29] Elliot war ein erfolgreicher Jurist, ein guter Ehemann und Vater, bis ein Tumor von der Größe einer Mandarine sein Stirnhirn oberhalb der Nasenhöhle zerstörte.[30] Das Geschwür, ein sogenanntes Meningeom, wurde entfernt, aber Elliot war nicht mehr derselbe.

Schon morgens musste man ihn nun drängen, aufzustehen wie ein müßiges Schulkind. Bei der Arbeit konnte er seine Zeit nicht mehr organisieren, er verzettelte sich in Belanglosigkeiten. Statt etwa einen Stapel Akten auf seinem Schreibtisch rasch zu sortieren, grübelte er stundenlang, nach welchem Prinzip er die Papiere ordnen sollte: Elliot konnte sich nicht mehr entscheiden, er hatte den Blick für das Wesentliche verloren.

Sein gesellschaftlicher Abstieg begann. Die Firma kündigte ihm. Er verlor sich in immer neuen Geschäftsinteressen und finanziellen Abenteuern und tat sich mit einem dubiosen Partner zusammen. So verspielte der erfahrene Geschäftsmann Elliot sein ganzes Vermögen und ging bankrott. Auch seine Ehe zerbrach, eine zweite Beziehung scheiterte nach kurzer Zeit. Schließlich endete Elliot, noch keine 40 Jahre alt, mit einer Invalidenrente in der Obhut seiner Geschwister.

Dabei hatte Elliots hohe Intelligenz die Hirnschädigung unvermindert überstanden, wie Damasio feststellte. Seine Reflexe funktionierten ebenfalls normal. Wenn man ihn erschreckte, zeigte er die üblichen Körperreaktionen der Angst. Auch sonst fanden die Ärzte keine Anzeichen einer Störung. Elliot war charmant, aufmerksam, manchmal sogar witzig – und immer etwas unterkühlt. Nie ließ er sich aus der Ruhe bringen, und schon gar nicht konnte man ihn zu einer emotionalen Äußerung hinreißen. Selbst die Tragödie seines eigenen Lebens erzählte er so distanziert, als hätte er sie irgendwo gelesen. So fand Damasio in vielen psychologischen Tests heraus, dass sein Patient ein Mann ohne Gefühle war. Manchmal regten sich seine unbewussten Emotionen zwar noch, aber Elliot hatte den Zugang zu ihnen verloren.

Als Damasios Mitarbeiter ihm Bilder von Menschen zeigten, die aus brennenden Häusern flohen oder bei Überschwemmungen zu ertrinken drohten, erklärte Elliot kühl, er wisse, dass er diese Szenen wohl schlimm finden müsse. Aber leider empfinde er nichts. Genauso erging es ihm, als man ihm Fotos seiner Geschwister vorlegte oder ihm Musikstücke vorspielte, die vor Ausbruch der Krankheit seine liebsten waren: Er antwortete empfindungslos wie ein Computer.

Computer sind gut darin, immer wieder dasselbe zu tun; auf neue Situationen einstellen können sie sich nicht. Elliot ging es genauso. Zwar verschaffte ihm seine Intelligenz nach wie vor alle Daten, die er brauchte, um eine Entscheidung etwa über die Reihenfolge im Aktenstapel zu treffen. Trotzdem war er zu keiner Entscheidung mehr fähig, denn er konnte die Informationen nicht bewerten. Logik vermag zwar verschiedene Möglichkeiten aufzuzeigen und unsinnige Varianten zu verwerfen. Doch wenn der Verstand allein sich zwischen zwei scheinbar gleich guten Varianten entscheiden soll, ist er verloren. Ihm bleibt nur, sämtliche möglichen Folgen einer Entscheidung bis an ihr Ende zu durchdenken. Oft dauert das unangemessen lange (was Elliot seinen Job kostete) – und ist noch nicht einmal nützlich, weil wir vieles im Leben doch nicht voraussehen können. Darum braucht der Verstand Hilfe.

Gefühle machen uns flexibel

Er findet sie bei den Gefühlen. Wo der Kopf lange Ketten von Für und Wider bildet, hat der Bauch längst entschieden: Wir mögen etwas, oder wir mögen es nicht, ohne Angabe von Gründen. Denn Urteile aus dem Gefühl speisen sich nicht aus logischen Schlüssen, sondern aus zwei Quellen, die beide in der Vergangenheit entspringen. Einerseits bestimmt die genetische Programmierung unsere Intuition. Zu bittere Speisen schmecken uns nicht – so schützt der Körper uns vor Giften. Und auf Risiken, die unser Leben in Gefahr bringen, antworten wir automatisch mit Unlust.

Andererseits nähren sich die Gefühle aus unseren Erfahrungen. Diese sind in den emotionalen Systemen des Gehirns viel dichter und eindringlicher gespeichert, als das im Bewusstsein geschehen kann. Wie ein Bild mehr als tausend Worte ausdrücken kann, so sagt eine Emotion oft mehr als tausend Gedanken. Wer einen glühenden Zigarettenanzünder auf seine Hand zukommen sieht, muss die möglichen Folgen einer Berührung nicht erst erwägen. Gebranntes Kind scheut das Feuer.

Es ist gut, auf seine Gefühle zu hören. Aber es ist nicht immer ratsam, ihnen blindlings zu folgen. Eine zu emotionale Antwort auf einen Vorwurf des Chefs hat schon manche hoffnungsvolle Karriere beendet, und nicht jeder, der uns mit netten Worten in gehobene Stimmung versetzt, verdient unser Vertrauen. Emotionen entstanden im Lauf der Evolution, damit Lebewesen vergleichsweise einfache Fragen schnell lösen können. Sie sind das richtige Mittel, um zu entscheiden, ob wir vor einer Schlange Reißaus nehmen oder einen Angriff mit einem Gegenschlag erwidern. Wie wir gesehen haben, bieten Emotionen in solchen Situationen Menschen, Mäusen und anderen Tieren eine oft lebensrettende Antwort.

Die meisten Probleme aber, die wir Tag für Tag zu lösen haben, sind verwickelter. Eine schnelle Antwort aus dem Bauch macht viele zwischenmenschliche Schwierigkeiten nur noch schlimmer. Ein unkontrollierter Wutausbruch schafft zwar einen Widersacher vom Hals, kann aber auch eine Beziehung zerstören. Während Tiere dem Diktat ihrer Emotionen folgen müssen, können wir uns auch gegen unsere Gefühle entscheiden. Dadurch gewinnen wir mehr Möglichkeiten, angemessen zu reagieren.

Die Freiheit, Emotionen zu folgen oder auch nicht, haben wir nur, weil uns viele unserer Affekte bewusst sind: Gefühle, die wir wahrnehmen, machen uns flexibel. Erst wenn wir spüren, dass wir wütend werden, können wir das Beben in unserer Stimme unterdrücken und ganz bewusst leise sprechen – was oft viel wirksamer ist, als aus der Haut zu fahren. Wenn wir Angst aufkeimen spüren, können wir ihr sogar genau entgegenhandeln, weil wir uns vom Zittern in den Knien nicht von einer neuen Erfahrung abhalten lassen wollen. Hunde dagegen würden schon deswegen nie Bungee springen, weil ihnen ihre Angst unbewusst bleibt; so sind sie ihrer instinktiven Furcht wahllos ausgeliefert.

Leben ohne Unglück ist auch kein Glück

Mr Spock, der gefühllose Vulkanier aus dem Science-Fiction-Epos »Star Trek«, wäre im wirklichen Leben ein Sozialfall. Denn selbst dann, wenn wir uns gegen den Ruf unserer Emotionen entscheiden, bleibt die Fähigkeit zu empfinden unerlässlich dafür, dass wir vorausschauend handeln. Gefühle nämlich entscheiden über den Erfolg selbst in jenen seltenen Lebenslagen, die zu lösen der Verstand allein eigentlich ausreichen sollte.

Diese erstaunliche Tatsache demonstrierte der Patient Elliot, als ihn die Hirnforscher dem Glücksspieltest unterzogen.[31] Elliot sollte sich also entscheiden, ob er lieber Karten vom Stapel ziehen wollte, der ihm regelmäßig 50 Dollar Gewinn und selten 100 Dollar Verlust einbrachte, oder ob er den anderen Stoß bevorzugte, bei dem zwar Gewinne von 100 Dollar winkten, die Verluste aber bis zu 1000 Dollar betrugen.

Gesunde Versuchspersonen ziehen schon nach wenigen Runden nur noch vom ersten Stapel; der Mensch ohne Gefühle dagegen blieb unbeirrt dabei, sein Glück mit dem gefährlichen Stapel auf die Probe zu stellen. Als Elliot nach ein paar Runden pleite war, wollte er vom Versuchsleiter ein Darlehen.

Erstaunlicherweise hatte der hochintelligente Elliot nach ein paar Runden das Spiel durchschaut und konnte die Regeln nennen, vermochte aber sein Wissen offenbar nicht zu nutzen. Dabei liegen die Dinge bei diesem Glücksspiel völlig klar, anders als etwa beim Sortieren von Aktenstapeln, wo es viele gleichwertige Möglichkeiten gibt. Hat man erst einmal das Spiel begriffen, lässt sich der zu erwartende Kontostand durch eine einfache Rechnung statistisch vorhersagen. Selbst ein Computer, auf Gewinnmaximierung programmiert, würde sich nach einer Reihe von Probezügen für den 50-Dollar-Stapel entscheiden. Allein Elliot ritt sich in den Ruin, und die Ergebnisse machten deutlich, weshalb er auch im wirklichen Leben alles verspielte.

Elliot wollte durchaus gewinnen, wie er erklärte, und genau dieser Wunsch wurde für ihn fatal. Er ging jeder vermeintlichen Chance nach. Denn das Gehirn bewertet nicht aus einer rationalen Erwägung, sondern emotional. Dazu dienen die Teile des Stirnhirns, die der Tumor bei Elliot zerstört hatte. Hier werden verschiedene Möglichkeiten durchgespielt, und indem das Gehirn sich ausmalt, wie wir uns in diesem oder jenem Fall fühlen würden, trifft es seine Entscheidung.

Bei Elliot war dieser Prozess gestört. Er konnte ja nicht einmal eine Abneigung gegen die riskanten Karten entwickeln, wenn er nach einem Zug von diesem Stapel wieder einmal eine hohe Summe verloren hatte. Deswegen war ihm zwar klar, dass dieser Stoß zu hohen Verlusten führen konnte, aber er fühlte keinen Grund, dieser Einsicht zu folgen, denn Angst oder Ärger waren ihm fremd. Sein Scheitern zeigt, wie wenig die Vernunft allein in der Lage ist, unser Verhalten in sinnvolle Bahnen zu lenken.

Eine Vorliebe für Tragik

Glück und Unglück sind also Lehrmeister, mit denen die Natur uns erzieht. Am unmittelbarsten spüren wir ihre Anweisungen in den elementaren Dingen des Lebens. Ziele, die wir zur Erhaltung unseres Daseins verfolgen sollen, machen uns Freude: Essen, Trinken, Sex, Freundschaften. Und das Vergnügen ist umso stärker, je mehr wir vorher Mangel gelitten haben. Der erste Schluck Wasser auf eine ausgetrocknete Kehle schmeckt am köstlichsten: Mit dem Mittel des Vergnügens verführt die Natur uns zu tun, was uns am meisten nützt. Diese Steuerung durch Lust und Unlust muss aus biologischen Gründen vor allem danach streben, den Organismus in dem Betriebszustand zu halten, in dem er am besten funktioniert. Darum überwiegt Schmerz fast immer alle anderen Affekte. An dem Signal, dass etwas nicht stimmt, sollen wir nicht vorbeikommen. Es wird uns so lange quälen, bis wir alles für unseren Körper tun, was wir können – oft leider noch länger.

Generell erleben wir negative Gefühle intensiver als positive, und die unangenehmen Affekte werden auch leichter ausgelöst. Es ist leicht, uns mit einem Melodram zu rühren, und viel schwerer, uns mit einem lustigen Film zum Kichern zu bringen. Diesen unangenehmen Zug unseres Wesens verdanken wir der Biologie: Zeigt man im neuropsychologischen Experiment Versuchspersonen fröhliche und traurige Bilder, so reagieren sie unwillkürlich auf die zweiten stärker, wie am heftigen Ausschlag der Hirnströme abzulesen ist.[32] Der Mensch hat eine Vorliebe für Tragik.

Diese Voreinstellung hat sich im Laufe der Evolution bewährt: Angst, Trauer und Wut brachten unsere Vorfahren dazu, beim leisesten Rascheln im Gebüsch jede noch so fette Jagdbeute zu vergessen und sich in Sicherheit zu bringen. Auch heute noch scheuen wir das Risiko stärker, als wir das Glück suchen. Schlechte Nachrichten geben in jeder Zeitung größere Schlagzeilen als gute. Und Verluste tun mehr weh, als Gewinne in gleicher Höhe Freude bereiten. Ist dieser Mechanismus gestört, droht ein Schicksal wie jenes von Elliot.

Wir sind also eher auf die Erfahrung von Unglück als auf den Genuss des Glücks gepolt, empfinden Ärger und Niedergeschlagenheit schneller und heftiger als Freude. Dieses Erbe der Evolution, so lebensnotwendig es in kritischen Situationen auch ist, erklärt viele große und kleine Tragödien. Man muss gar nicht an Dramen wie das von Othello denken, dessen eifersüchtige Raserei die Liebe zu seiner Frau so sehr überwog, dass er seine Desdemona ermordete. Eine kleine Missstimmung am Ferienort: Die Sonne scheint, eine leichte Brise kühlt Ihre Haut, das Meer ist herrlich warm, und das Essen schmeckt. Mit Ihrem Begleiter verstehen Sie sich großartig. Doch mitten in diesem Idyll, vor dem Fenster Ihres Hotelzimmers, steht ein Baukran und surrt: von morgens bis abends. Ein unerheblicher Schönheitsfehler angesichts all der Urlaubsfreude, und doch sind Sie außerstande, über das Ärgernis hinwegzusehen. Ihr Zorn droht Ihnen die ganze Reise zu vergällen. So erklärt unsere evolutionäre Programmierung nicht zuletzt, warum Jahr für Jahr Tausende von Deutschen wegen geringfügiger Malaisen Prozesse gegen ihre Reiseveranstalter anstrengen.

Warum es das Glück nicht gratis gibt

Das Unglück kommt also von allein, um das Glück hingegen müssen wir uns bemühen. Denn während Angst, Wut und Trauer Antworten auf die Gefahren der Außenwelt sind, hat die Natur die angenehmen Gefühle eingerichtet, um uns in wünschenswerte Situationen zu locken. Nicht nur Menschen sind so programmiert. Männliche Laborratten zum Beispiel suchen wieder und wieder die Orte in ihren Käfigen auf, an denen sie einmal Sex genossen haben – als ob sie alles daransetzen wollten, um den Spaß noch einmal zu haben.