Die Glücksfrauen – Das Geheimnis der Rosen - Anna Claire - E-Book

Die Glücksfrauen – Das Geheimnis der Rosen E-Book

Anna Claire

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Beschreibung

Das mitreißende Finale der Glücksfrauen-Saga

Deutschland, 1938: Nachdem ihre Freundin Luise Deutschland bereits verlassen hat und auch Maria weg will, stützt Anni Graf sich mehr und mehr auf ihren Verlobten Siegfried. Doch je strenger der Würgegriff der Nazis wird, umso weniger kann Anni die Augen vor der Wahrheit verschließen. Ein schrecklicher Betrug führt schließlich dazu, dass auch sie Hals über Kopf flüchten muss ...

Tansania 2024: Das Testament ihrer Großmutter Luise hat June und Sandra nach Tansania geführt. Hier finden sie Annis Enkelin Wendy und erfahren endlich mehr über Annis Flucht und die Gründung ihrer erfolgreichen Rosenfarm, die heute von Wendy geführt wird. Doch können die drei jungen Frauen auch herausfinden, welche Schuld Luise vor so vielen Jahren auf sich geladen hat, und werden sie die Wunden von damals heilen können?

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Seitenzahl: 414

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über die Autorin

Anna Claire

Impressum

Widmung

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

Anmerkung der Autorin

Danksagung

Über das Buch

Deutschland, 1938: Nachdem ihre Freundin Luise Deutschland bereits verlassen hat und auch Maria weg will, stützt Anni Graf sich mehr und mehr auf ihren Verlobten Siegfried. Doch je strenger der Würgegriff der Nazis wird, umso weniger kann Anni die Augen vor der Wahrheit verschließen. Ein schrecklicher Betrug führt schließlich dazu, dass auch sie Hals über Kopf flüchten muss …

Tansania 2024: Das Testament ihrer Großmutter Luise hat June und Sandra nach Tansania geführt. Hier finden sie Annis Enkelin Wendy und erfahren endlich mehr über Annis Flucht und die Gründung ihrer erfolgreichen Rosenfarm, die heute von Wendy geführt wird. Doch können die drei jungen Frauen auch herausfinden, welche Schuld Luise vor so vielen Jahren auf sich geladen hat, und werden sie die Wunden von damals heilen können?

Über die Autorin

Anna Claire ist das Pseudonym einer deutschen Erfolgsautorin, deren Romane es immer wieder in die Bestsellerlisten schaffen (mehrere Top 1 Kindle-Bestseller und Top 1 BILD-Bestseller). Sie arbeitet als Drehbuchautorin und Dramaturgin für das Fernsehen. Seit 2013 schreibt sie Romane (zeitgenössisch/historisch) und hat sich damit in die Herzen von vielen Leserinnen und Bloggerinnen geschrieben und eine große Social-Media-Fanbase aufgebaut. Die Autorin lebt seit vielen Jahren mit ihrer Familie in Berlin.

Anna Claire

Das Geheimnis der Rosen

Roman

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Michael Gaeb.

Copyright © 2025 by Anna ClaireCopyright © 2025 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Textredaktion: Anne Schünemann, SchönbergUmschlaggestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.deunter Verwendung von Motiven von © arcangel: Joanna Czogala und © shutterstock: Elonalaff | aksoleBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-6096-6

luebbe.delesejury.de

»Wir sind alle Kinder Afrikas, und keiner von uns ist besser oder wichtiger als der andere. Das könnte Afrika der Welt sagen: Es könnte sie daran erinnern, was es heißt, ein Mensch zu sein.«

Alexander McCall Smith (Britischer Schriftsteller)

1. KAPITEL

Berlin, Oktober 1936

Ihr Herz raste, ihre Aufregung wuchs. Der Herbstwind zog in jede Ritze ihres Mantels. Ihr ganzes Leben würde sich heute auf den Kopf stellen, wie die Sanduhr, die sie immer zum Backen nahm. Anni freute sich riesig, zitterte, stand in ihrem Wollmantel mit einem Kuchenpaket in der Hand vor ihrer Lieblingsbäckerei in Schöneberg, trat von einem Bein aufs andere. Sie versuchte, sich abzulenken, drehte sich zum Schaufenster, betrachtete die Zimtschnecken in der Auslage. Siegfried liebte ihre selbst gebackenen Zimtschnecken. Mehr als alle anderen auf der Welt, hatte er gesagt. »Wie dich.«

Ihre Gedanken rasten. Heute würde es endlich geschehen. Das, worauf sie schon so lange wartete. Sie musste es Maria gleich erzählen. Auch wenn die sie wieder so besorgt ansehen und die Stirn runzeln würde. Natürlich machte sich Anni selbst viele Gedanken, erst recht in letzter Zeit, seit es in Deutschland immer kühler wurde. Menschen veränderten sich, und manche nicht zum Guten. Sie sah das. Alles, was um sie herum geschah. Den Hass und die Wut vieler Leute. Das Aggressive, das hier in Berlin immer mehr zunahm. Die Unzufriedenen, die Umsturzgedanken hatten. Sie war nicht das naive Blondchen, wie ihre Freundinnen manchmal glaubten. Zumindest ihre Freundin Luise dachte das von ihr, und das ärgerte Anni. Luise hatte sie vor ihrer Abreise nach Amerika so hingestellt, zumindest hatte es sich für Anni so angefühlt. Aber sie hatte sich nichts anmerken lassen, war ein harmoniebedürftiger Mensch. Und Luises Idee, dass die Freundinnen als Notfallplan ein Restaurant in New York eröffnen sollten, wenn jede etwas von ihrem Ersparten dazugab, fand sie ja auch gut. Notfallpläne waren immer klug. Auch Maria hatte mitgemacht. Sie drei. Drei beste Freundinnen, schon so lange und für immer. Und dennoch. Anni konnte es sich nicht vorstellen, dass sie ihn brauchen würden, diesen Plan. Dass sie ihre Heimat verlassen mussten. Sie auf keinen Fall. Maria als Jüdin fühlte sich in Berlin seit einiger Zeit nicht mehr wohl, was Anni traurig fand. Sehr traurig. Aber ihrer Ansicht nach war das noch lange kein Grund, die Heimat zu verlassen. Und sie, sie hatte jüdische Verwandte, sehr entfernte, daran hatte Luise sie erinnert. Aber das spielte doch keine Rolle. So ein Unsinn. Sie war ein deutsches Mädel. Dennoch hatte dieser Satz von Luise etwas in ihr angestoßen. Und sie hatte eingewilligt, in ihren Vorschlag. So war das von ihren Eltern geerbte Geld wenigstens gut angelegt. Wenn auch in Amerika.

Ihrem Vater hätte es gefallen. Sie vermisste ihn sehr, auch ihre Mutter. Seit dem Tod ihrer Eltern war Siegfried ihre Familie geworden. Wie gut er sich nach dem Tod ihrer Mutter um sie gekümmert hatte. So einfühlsam, liebevoll, verlässlich. Und dann wieder nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters. Siegfried war eindeutig ein guter Mensch. Das sahen ihre Freundinnen ja zum Glück auch in ihm, kannten ihn seit Jahren. Aber Anni eben noch länger, seit der Schulzeit. Seit er ihr damals immer den Tornister getragen hatte. Siegfried war ein Kavalier. Mein Rosenkavalier, dachte Anni lächelnd. Sie liebte Rosen, und Siegfried wusste das und brachte ihr oft eine mit. Er wollte sie glücklich machen, immer.

Die Tür der Bäckerei rechts neben ihr ging ruckartig auf, sodass Anni unwillkürlich zusammenzuckte. Der Duft von Brot und Kuchen strömte mit einem Herrn in Wehrmachtsuniform heraus. Er hielt ein in Papier eingewickeltes Brot in der Hand, warf ihr einen interessierten Blick zu, grüßte und lächelte. »Heil Hitler. Habe ich Sie erschreckt, Fräulein? Die Uniform bestimmt, habe ich recht? Ich komme gerade aus der Kaserne.«

»Nein, nein. Ich habe nichts gegen Uniformen. Heil Hitler«, grüßte Anni zurück, blickte sofort wieder ins Schaufenster. Der Mann war stehen geblieben, schaute sie intensiv an, das sah sie aus den Augenwinkeln. Manchmal sagte sie wirklich naive Sachen. Ich habe nichts gegen Uniformen. Hoffentlich ging er schnell weiter. Mit ihren blonden langen Haaren und ihrem lieben Gesicht, wie Siegfried es immer nannte, zog sie die Blicke einiger Männer auf sich. Sie mochte das nicht. Wollte nur, dass Siegfried sie so ansah, ihr Leben lang. Aber gab es das überhaupt? Die Liebe bis zum Lebensende? Sie sah keinen Millimeter nach rechts.

Endlich ging der Mann weiter. Anni atmete aus, sah sich nach Maria um. Wo blieb sie denn nur? Siegfried war immer pünktlich, ließ sie nie warten, Maria eigentlich auch nicht. Anni legte großen Wert auf Zuverlässigkeit, und auf Treue. Ihre Mutter hatte sie immer eine treue Seele genannt, auch die Freundschaften zu Luise und Maria waren Anni enorm wichtig.

Sie sorgte sich auch nicht, dass ihre Freundschaft zu Luise Schaden nehmen würde, wenn diese jetzt eine Zeit lang in Amerika lebte. Die drei Freundinnen würden für immer zusammenhalten, das hatten sie sich geschworen. Wie Luises Überfahrt mit dem Schiff nach New York wohl war? Schon spannend, was sie dort erleben würde.

Wieder sah Anni die Straße entlang, da endlich kam Maria, die dunklen Haare hochgesteckt, was ihr Gesicht schmal wirken ließ. Sie hielt ein Papier in der Hand, ihre Miene wirkte, als habe sie auch Neuigkeiten. »Entschuldige, aber Tabea wollte unbedingt, dass ich ihr noch den Brief vorlese, Luise hat endlich geschrieben!«

»Oh wie schön, ist sie gut angekommen? Geht es ihr gut?«

»Ja, ein Glück. Die Überfahrt war wohl sehr angenehm, sie hat sich gefühlt wie eine feine Dame. Und sie hat schon eine neue Freundin kennengelernt.«

Anni und Maria sahen sich einen Moment an. Anni spürte Eifersucht in sich aufsteigen, wollte das aber nicht. »Ist ja klar, dass sie viele neue Menschen kennenlernt. Aber Luise vergisst uns nicht.«

»Natürlich vergisst sie uns nicht«, pflichtete Maria ihr bei, strich sich eine kurze Haarsträhne zurück, die sich gelöst hatte. »Willst du lesen? Mehr steht aber eigentlich nicht drin.« Sie reichte ihr den Brief. Anni gab ihr gleichzeitig das Paket mit dem Streuselkuchen in die Hand. »Halte bitte mal.«

Dann besann sie sich, lächelte Maria an. »Den Brief les ich mal in Ruhe. Ich bin ganz schön aufgeregt. Bei mir gibt es nämlich auch Neuigkeiten.«

»Wie du aussiehst, zum Glück gute. Wie schön. Erzähl.«

Anni wurde etwas unwohl, denn sie wusste, dass es Maria nicht gefallen würde. Aber sie hoffte dennoch, dass sich die Freundin mit ihr freuen konnte.

»Lass uns erst was vom Streuselkuchen essen, mein Magen fühlt sich flau an.«

»Jetzt bin ich richtig neugierig.« Maria lächelte sie an, öffnete das Kuchenpaket, hielt es Anni hin. Beide nahmen einen Streuselkuchen in die Hand, begannen zu essen, spazierten dabei los, wie sie es immer taten, jeden Donnerstag, seit Jahren, normalerweise auch mit Luise. Anni kaute und schluckte. »Also, ich habe etwas gesehen, und deshalb bin ich mir ziemlich sicher.« Maria ging neben ihr her, hielt inne, sah sie an. »Was hast du gesehen? Was meinst du, du bist dir sicher?«

Sie kamen an dem kleinen Blumenladen vorbei, der sich ein paar Meter weiter befand. Anni hatte gerade erneut einen Bissen genommen, deutete auf den Blumenladen, musste auflachen. »Das ist ja lustig.« Sie verschluckte sich, hustete.

Maria klopfte ihr auf den Rücken. »Mein Gott, was gibt es denn so Aufregendes? Jetzt sag schon.«

Anni deutete hustend auf den Blumenladen. Auf einen Bund roter Rosen, der in einem Eimer stand. Maria folgte ihrem Blick, sie ahnte es wohl, ihre Miene wurde ernster.

Anni musste nicht mehr husten, schluckte den Bissen herunter. »Die Rosen. Siegfried hat Rosen für mich gekauft. Einen Bund wie diesen. Ich habe sie gestern zufällig bei ihm gesehen. Sie stehen in einer großen Vase, hinter der Tür seiner guten Stube.«

Maria blickte sie besorgt an, runzelte die Augenbrauen. Genau wie Anni es sich gedacht hatte.

»Freust du dich denn gar nicht für mich?«

Maria suchte nach Worten. »Ich freue mich, wenn du glücklich bist. Aber bist du dir denn ganz sicher, dass die Rosen das bedeuten, was du meinst?«

»Warum sollte er sonst rote Rosen besorgen? Für seine achtzigjährige Tante? Der würde er weiße Gerbera schenken. Oder gelbe Lilien. Ich warte ja jetzt schon lange genug, das weißt du.« Anni hörte selbst, dass sie etwas traurig und bedürftig klang. Sie hoffte schon so lange auf einen Antrag von Siegfried. Maria war längst verheiratet, Luise würde ihren Richard bald in New York heiraten, und sie?

»Ich weiß, aber jetzt in diesen Zeiten eine Hochzeit?«, erwiderte Maria sanft. »Siegfried ist so vielbeschäftigt bei der Gestapo. Da bleibt wenig Zeit, um eine schöne Feier zu organisieren.«

Anni sah ihre Freundin traurig an. Maria wollte es ihr ausreden, konnte sich nicht wenigstens etwas mit ihr freuen.

»Ich habe Zeit, zu organisieren. Und wie oft noch? Siegfried ist ein ehrenvoller, treuer, liebevoller Mensch. Er arbeitet bei der Geheimen Staatspolizei, um sich für unser aller Sicherheit einzusetzen. Ich liebe ihn über alles. Soll ich etwa Nein sagen?«

»Nein. Ich meine, ich verstehe das ja, du kennst ihn schon lange, bevor das mit der NSDAP und so losging.« Maria blickte ihre Freundin nachdenklich an. »Sag dann erst mal Ja. Aber ihr könnt doch später erst heiraten. Verlobt zu sein ist auch ein schönes Gefühl. Jakob und ich waren auch länger verlobt.«

»Ich weiß, aber ich fühle mich die ganze Zeit schon wie verlobt. Ich will lieber gleich heiraten. Außerdem: So viele gute Männer gibt es nicht, hat meine Mutter immer gesagt. Und Siegfried ist meine Familie. Ich vertraue ihm wie dir und Luise.«

2. KAPITEL

Arusha, TansaniaRosenfarm, Mai 2024

Die Nachmittagssonne schien durch das Glasdach des riesigen Gewächshauses, wärmte die vielen Rosenbüsche, die hier in langen Reihen gediehen. Wendy stand aufgeregt inmitten ihrer Rosen, atmete den herrlichen Duft ein, die warme Luft, betrachtete das Meer aus grünen Sträuchern. Dazwischen die vereinzelt roten Farbtupfer, die Rosenblüten, noch geschlossen. Von der Decke hingen die gelben und blauen Insektenfallen, jede Farbe zog eine andere Mückenart an.

Wendy hatte ihre kurzen, störrischen Haare zu einem Zopf zusammengebunden, so gut das ging. Es sah eher aus wie ein Dutt. Ihre Mama, die wie ihre Großmutter aus Europa stammte, hatte glattes Haar gehabt, aber Wendys Vater kam aus Tansania, sie hatte eher seine Haarstruktur geerbt. Wendy trug ein T-Shirt und eine kurze grüne Latzhose, kontrollierte die Computersteuerung für die Sprenkleranlage. Doch heute war sie nicht bei der Sache. Denn heute würde es passieren, das hatte sie im Gefühl. Sie lächelte vorfreudig.

»Was lächelst du denn so?«, fragte Nafia, die gerade die Rosenbüsche nach Ungeziefer absuchte und in ihrer Nähe stand. Sie war eine der Arbeiterinnen der Farm und für Wendy eine Freundin geworden. Wendy hatte ihr vor drei Jahren bei der Geburt ihres Kindes geholfen, eher unfreiwillig, eine Sturzgeburt zwischen den Rosenbüschen, aber es war ein überwältigendes Erlebnis gewesen. Seitdem gab es ein Band zwischen ihnen. Und seitdem wünschte sich Wendy ein eigenes Kind. Jetzt mit Muhambo, der Kinder liebte. Mit Mitte dreißig wurde es ja auch Zeit.

Nafias Kopf war mit einem bunten Kopftuch bedeckt, geknotet über der Stirn, wie es viele Frauen in Tansania trugen. Sie sah Wendy herausfordernd grinsend an. Sie war, wie auch Muhambo, für Wendy dagewesen, seit sie die Rosenfarm nach dem Tod ihrer Mama vor zwei Monaten alleine führen musste.

Muhambo war ein stolzer Mann, seit Jahren Vorarbeiter auf der Rosenfarm, seine Eltern lebten in Arusha in einer Lehmhütte, wie so viele Tansanier. »Aber sie sind glücklich«, betonte er immer wieder. »Du weißt ja, wir sind eine Gemeinschaft, bei uns muss keiner Hunger leiden.«

Genau das liebte Wendy an ihrer Heimat. Dieses Gemeinschaftsgefühl, die Fröhlichkeit der Menschen. Muhambo arbeitete hier auf der Farm, um seine Mama mit ihren zehn Kindern zu unterstützen. Sein Vater reparierte Fahrräder, was nicht viel einbrachte für die Familie. Dass Wendy nun seit dem Tod ihrer Mama seine Chefin geworden war, gefiel ihm nicht, das hatte sie schon gemerkt. Aber in Wendys Augen spielte das keine Rolle für ihre Beziehung. Sie hatte sich bereits vor einem Jahr in Muhambo verliebt, in seine fürsorgliche Art, und dieses Gefühl war immer stärker geworden. Seit fast einem Jahr waren sie jetzt zusammen. » Du bist etwas Besonderes «, hatte er gesagt. »Nicht nur wegen deiner helleren Haut. Gut, dass deine Großmutter aus Deutschland hierherkam.«

Und dieses Gefühl, etwas Besonderes zu sein, gab er ihr jeden Tag, und das tat gut.

Wendy war ein sensibler Mensch. Lange war sie Single gewesen, da sie auf der Farm keine Chance hatte, jemanden kennenzulernen. Auch eine beste Freundin fehlte ihr sehr. Alle hier hatten in ihr stets die Tochter der Chefin gesehen, und jetzt die Chefin selbst. Ihre Mama hatte die Rosenfarm von ihrer Mama übernommen, Wendy hatte ihren Vater nie kennengelernt. »Ein Mann aus Dar es Salaam«, hatte ihre Mama nur erzählt. »Kein Mann, auf den Verlass ist. So sind die meisten Männer.«

Auf Muhambo war Verlass, das hatte er die letzten Jahre auf der Farm bewiesen. Wendys Mama vertraute ihm, hatte ihm die Leitung der Farm übergeben. Ihr plötzlicher Herztod hatte Wendy in eine tiefe Krise gestürzt. Sie hatte ihre Mama so geliebt und bewundert, eine starke Frau, wie ihre Großmutter den Erzählungen nach schon, Wendy durfte sie leider nur kurz kennenlernen, nur als Kind. Auch war ihre Großmutter immer nur zu Besuch auf die Rosenfarm gekommen. Wendy wäre auch gern so stark und organisiert wie ihre Mama, von klein auf wusste sie, dass sie die Farm einmal übernehmen sollte. Aber irgendetwas in ihr hatte sich früh überfordert gefühlt. »Nicht jeder ist zur Chefin einer so großen Farm geboren«, hatte sie ihrer Mama einmal gesagt. »Natürlich nicht«, hatte diese erwidert. »Aber ich traue es dir zu. Du musst es dir nur selbst zutrauen. Und Hilfe zulassen.«

Nach ihrem Tod musste Wendy die Leitung der Farm von einem Tag auf den anderen übernehmen. Die Projekte, die Wendys Großmutter schon angestoßen hatte, weiterführen. Eine Krankenstation und gute Arbeitsbedingungen für die Frauen, die hier arbeiteten. Männer gab es außer Muhambo keinen. Sie stellten, immer wenn möglich, Frauen ein. Vor ein paar Jahren hatten sie das Fair-Trade-Label erhalten, seitdem konnten sie noch mehr für ihre Arbeiterinnen tun. Denn dank der Fair-Trade-Organisation gab es einen kontrollierten Handel und Unterstützung durch Schulungen und technische Hilfe. Fair-Trade-Standards verlangten, dass die Arbeiter und Arbeiterinnen die lokalen Mindestlöhne erhielten, es wurde aber angestrebt, dass höhere Löhne gezahlt werden konnten, was Wendy auch tun wollte, solange es ging. Die Zufriedenheit ihrer Arbeiterinnen lag ihr sehr am Herzen.

Nafia musterte sie neugierig. »Wendy, jetzt sag schon, ich sehe dir an, dass etwas Wichtiges ist.«

»Also gut, du lässt ja eh nicht locker. Ich ahne, dass Muhambo mich heute fragt«, platzte sie heraus.

Nafia klatschte in die Hände, lachte. »Was? Dann bekommst du endlich einen Mann! Und einen guten Mann.« Sie wurde ernster. »Mein Baba sagt: Eine Frau ohne Mann ist wie eine Rose ohne Blüte.«

»Unsinn! Auch eine Frau ohne Mann ist vollkommen. Aber bitte mit niemandem darüber reden, das bringt nur Unglück. Ich hätte selbst nichts sagen sollen.«

Nafia hielt sich die Hände vor den Mund, zog sie wieder herunter, lächelte. Eine andere Arbeiterin sah auf. Hoffentlich hatte sie nichts gehört.

»Und wieso glaubst du, dass er dich heute fragt?«, hakte Nafia nach.

»Es ist einfach so ein Gefühl. Er war vorgestern so nervös, als er zu seinem Cousin nach Kenia fuhr. Der hat auch eine Rosenfarm und kürzlich geheiratet. Und heute kommt Muhambo wieder. Aber jetzt pscht.« Wendy trat lächelnd von Nafia weg, die grinste.

Sie kontrollierte die Anschlüsse der Schläuche. Nicht nur Wärme durch die Sonne, sondern auch Wasser schenkte ihnen die Natur. Wasser war nahe den Bergen Arushas nicht knapp, mit ein Grund, warum es hier so perfekt war, Rosen anzubauen. Durch die intensiv scheinende afrikanische Sonne und das Wasser vom Mount Meru hielten sich die Kosten in Grenzen. Auch der Boden war fruchtbar und gut für die Rosen. Sie betrachtete die roten Knospen, höchste Zeit, sie bald zu ernten. In einer anderen Reihe standen die gelben Rosenbüsche, in noch einer anderen die weißen.

Wendy versuchte, sich abzulenken. Sie warf erneut einen Blick auf die Computersteuerung der Sprenkleranlage. Hoffentlich fiel heute nicht wieder der Strom aus, wie kürzlich. Normalerweise kümmerte sich Muhambo dann darum, aber der war ja noch nicht da. Und vielleicht kam er ja auch doch erst morgen.

Feierabend. Die Arbeiterinnen verabschiedeten sich fröhlich von Wendy, und sie wünschte ihnen einen schönen Abend. Auch Nafia ging, wirkte jetzt aber bedrückt.

»Alles gut, Nafia?«

Sie wiegelte den Kopf. »Ich hoffe, Joseph hat nicht wieder getrunken.«

Wendy sah sie besorgt an. Nafias Mann trank in letzter Zeit immer mehr, steckte den Verdienst seiner Frau oft in Alkohol. Wendy gefiel das gar nicht, aber Nafia war traditionell erzogen, er war der Vater ihrer Rashida, sie lebten in Arusha. Eine Nachbarin passte auf die Kleine auf, damit Nafia arbeiten konnte.

»Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid.«

»Mach ich. Gut, dass Muhambo nicht trinkt. Ich freue mich für dich, Wendy.«

»Danke.«

Nafia ging, Wendy checkte noch schnell ihr Handy. Morgen würde sie Besuch bekommen, von zwei Frauen aus Brasilien. Sie interessierten sich anscheinend für die Rosenfarm und für ihre Großmutter Anni, die die Farm aufgebaut hatte. So ganz hatte Wendy nicht verstanden, was sie von ihr wollten. Es ging wohl um ein Geheimnis von früher, das ihrer aller Leben beeinflussen würde. Mehr wollten sie ihr bei ihrem Besuch erzählen. Wendy war sehr neugierig, musste sich aber wohl bis morgen gedulden. Leider gab es keine neuen Nachrichten, auch nicht von Muhambo.

Wendy steckte das Handy in ihre Latzhose. Sie hörte einen Wagen vorfahren, ihr Herz schlug schneller. Das musste Muhambo sein. Erstaunlich früh. Rasch verließ sie das Gewächshaus, sah den Jeep, der zur Farm gehörte, streifte sich ihre Haare zurück, auch wenn aus ihrem kurzen Zopf keine Locke herausgerutscht war. Freudig lief sie ihm entgegen.

Muhambo parkte, stieg aus, seine Miene wirkte gestresst, so hatte sie ihn noch nie gesehen. War etwas geschehen? Oder lag es an der langen Fahrt? Über zehn Stunden fuhr man von Kenia nach Arusha, kein Wunder.

»Jambo, wie schön, dass du zurück bist«, begrüßte sie ihn und wollte ihn umarmen, ihn spüren, aber er trat einen Schritt zurück, versteifte sich.

Wendy hielt inne, musterte ihn besorgt. Normalerweise umarmten und küssten sie sich zur Begrüßung, aber Muhambo stand steif da und knetete seine Hände. Ihr Magen krampfte sich zusammen.

»Ist etwas geschehen? Hattest du einen Unfall?«

Aber Muhambo schüttelte nur den Kopf, blickte jetzt zu Boden.

»Bist du müde? Hast du Hunger?«

»Nein, ich habe keinen Hunger.«

»Was ist denn dann? Bitte rede mit mir!« Normalerweise erzählte er ihr viel, und sie ihm. Zusammen über alles reden können, das machte ihre Beziehung unter anderem aus.

»Ich habe lange nachgedacht.«

Irritiert sah sie ihn an. »Über was?«

Jetzt sah er auf, ihr in die Augen, aufgewühlt. »Über uns.«

Ihr Herz schlug schneller. Wollte er ihr hier auf dem Parkplatz den Antrag machen? War er deshalb so nervös? Sie lächelte ihn erleichtert an.

»Wendy, ich kann nicht mehr mit dir zusammen sein«, platzte er heraus.

Ihre Gesichtszüge entglitten. Damit hatte sie nicht gerechnet. Nicht im Entferntesten. Mit einem Mal fühlte sich ihr Magen an, als lägen Steine darin.

Ihr ganzer Körper zitterte, sie hielt sich am Wagen fest, um nicht umzufallen.

Er sagte nichts mehr, starrte wieder auf den Boden.

»Und warum nicht?«, flüsterte sie. Er hatte jemanden kennengelernt. Eine andere Frau, ganz sicher.

»Weil du meine Chefin bist, das habe ich dir gesagt, dass das nicht gut ist für mich. Und du wirst immer meine Chefin bleiben.«

Sie sah ihn erleichtert an. Das war es nur. Sie hatte absolut kein Problem damit, darüber hatten sie schon geredet. »Nein. Ich meine, ich bin nicht deine Chefin, wie ausgemacht leiten wir die Farm gleichberechtigt, wenn wir … egal. Ich habe wirklich überhaupt kein Problem damit.«

Er starrte sie an. »Aber ich. Ich bin der Mann. Und du die Frau.«

Wendy schluckte. Es ging traditionell zu in Tansania, aber so musste es nicht immer sein. »Viele Frauen arbeiten, andere Männer finden das gut.«

»Ich habe nichts dagegen, wenn eine Frau arbeitet, das weißt du. Aber wie oft noch, meine Frau soll nicht mein Boss sein. Und du hast deiner Mama das Versprechen gegeben, die Farm zu leiten, darfst die Leitung also nicht abgeben. Es würde also immer so sein, unser ganzes Leben lang. Es tut mir leid, Wendy. Ich kann so nicht leben, ich will so nicht leben. Du bist mir wichtig, aber es geht um meine Ehre, das weißt du, aber du nimmst meine Worte nicht ernst. Und deshalb muss ich eine Entscheidung fällen. Und das habe ich getan. Ich habe mit meinem Cousin gesprochen. Ich steige bei ihm auf seiner Rosenfarm ein. In Kenia. Es ist entschieden.«

»Was?! Du? In Kenia?!« Fassungslos und zutiefst enttäuscht sah Wendy, die ihm die ganze Zeit betroffen zugehört hatte, ihn an.

»Ja. Manchmal ist es besser, etwas Neues anzufangen. Es ist auch besser für dich. Oder willst du, dass ich unzufrieden bin?«

»Natürlich nicht. Oder steckt eine Frau dahinter?«, entfuhr ihr.

Muhambo sah sie enttäuscht an. »Nein, so bin ich nicht, das weißt du.«

Wendy traten Tränen in die Augen. Muhambo war ein guter Mann, genau deshalb liebte sie ihn so sehr.

»Du schaffst das mit der Farm, ich wünsche dir alles Glück dieser Welt«, sagte er leise, drehte sich um, ließ den Jeep stehen und verließ zu Fuß die Farm.

Aufgelöst sah sie ihm nach. Das konnte doch nicht sein. Wieso hatte sie denn nichts geahnt? Konnte sie sich gar nicht mehr auf ihre Gefühle verlassen? Und wie sollte sie das alles schaffen, wie sollte sie leben ohne ihn?!

Ihre Beine fühlten sich jetzt noch mehr an, als würden sie jeden Moment in sich zusammensacken.

Plötzlich hörte Wendy einen Schrei. Dann sah sie Nafia mit der kleinen Rashida im Arm über den Hof rennen. Wieder schrie sie, und Joseph, ihr Mann, rannte angetrunken hinter den beiden her, torkelte etwas, rannte weiter. »Bleib stehen, du bist mein Weib! Das ist mein Kind!«

Nafia entdeckte sie, lief zu ihr, berichtete ihr panisch, dass Joseph sie geschlagen hatte, flüchtete sich mit der Dreijährigen im Arm schutzsuchend hinter Wendy.

Sofort stellte sich Wendy breitbeinig vor sie, blickte wütend zu Joseph, wehrte ihn gestisch mit den Händen ab. »Stopp! Du fasst sie nicht mehr an!«

Er wollte an ihr vorbei, doch sie hielt ihn an den Armen fest, roch seinen Alkohol-Atem, rang mit ihm, entwickelte eine nie gekannte Kraft. »Nein! Joseph, du fasst sie nicht an!«, schrie sie wie eine Löwin und schien ihn damit zu beeindrucken. Er starrte sie an, einen Moment war nicht klar, wie er weiter reagieren würde.

Joseph machte eine ruckartige Armbewegung, befreite sich von Wendys Griff. Er war eindeutig stärker als sie. Aber sie blieb stehen, sah ihn drohend an. Jetzt besann er sich, fluchte auf Suaheli, spuckte aus, winkte ab.

»Du wirst diese Farm nie wieder betreten, Joseph, hast du mich verstanden? Man schlägt keine Frauen!«

»Lass mich in Ruhe, Wendy, lasst mich in Ruhe, ihr Weiber!«, schrie er, drehte sich dann endlich um, ging, verließ das Gelände der Farm.

Wendy atmete erleichtert aus, sie zitterte, wandte sich besorgt an Nafia und die kleine Rashida. Das Kind sah sie verängstigt an. Jetzt erst bemerkte Wendy die Schramme auf Nafias Wange. »Mein Gott, Nafia, wie lange geht das schon?«

Sie zuckte mit den Schultern.

»Wieso hast du mir nie etwas gesagt?«

Nafia sah betreten zu Boden, drückte das Kind an sich, setzte die Kleine dann auf die Füße und flüsterte ihr zu, sie solle noch mal zu Halima laufen, einer befreundeten Arbeiterin. Sie wartete, bis Rashida außer Hörweite war. »Zu lange«, gab sie dann leise zu. »Ich habe mich geschämt.«

»Das musst du nicht. Er muss sich schämen.«

Rashida kam zurückgerannt. »Ich bleib bei dir, Mama«, sagte sie und schmiegte sich an Nafias Beine. Diese bedeutete Wendy mimisch, vor dem Kind nicht weiter darüber zu reden.

»Ich weiß nicht, wo wir heute schlafen können«, gestand Nafia. »Zu Joseph nach Arusha will ich nicht.«

Wendy überlegte. »Ihr könnt bei mir schlafen. Das Haus ist riesig, wir haben Gästezimmer. Bis morgen sind sie frei.«

»Nein, nein, auf keinen Fall. Das ist sehr nett, aber das möchte ich nicht.«

»Nafia, es ist wirklich kein Problem.«

»Nein, wirklich nicht.«

Wendy wusste, sie würde sie nicht umstimmen können. Sie war für Nafia nach wie vor die Chefin. »Wie wäre es in der Krankenstation? Da sind zwei Liegen. Der neue Arzt kommt erst morgen, dann sehen wir weiter.«

Nafia willigte sofort dankbar ein. »Danke, Wendy, du bist so ein guter Mensch.«

Sie lächelte. »Dann kommt.«

Rashida streckte ihre Ärmchen zu Wendy, wollte von ihr getragen werden. Wendy nahm sie gern, der kleine Körper schmiegte sich an sie. Wie gut Rashida roch. Nach Kokosöl und Kleinkind. Sie musste die beiden beschützen, und immerhin war ihr das gerade gelungen. Vielleicht war sie ja doch stärker als gedacht?

3. KAPITEL

Arusha, TansaniaRosenfarm, Mai 2024

Am nächsten Morgen wachte Wendy schweißgebadet in ihrem Bett auf. Die weißen Vorhänge in ihrem Zimmer flatterten leicht im Wind, die Sonne schien durch einen Spalt herein. Sie rieb sich die Augen, dann über die klitschnasse Stirn. Sie hatte von Muhambo geträumt, von einer Hochzeit mit ihm, traditionell, in seinem Dorf, mit viel Gesang. Hühner liefen herum, Kinder spielten mit Blechbüchsen, Frauen in bunten Gewändern lachten. Doch dann hatte sich sein Gesicht in ihrem Traum zu einer Fratze verzogen, er hatte gelacht und sich in Luft aufgelöst. Nun, da sie wach war, fühlte sie den Schmerz mit voller Wucht. Ein Ziehen in ihrem Magen. So sehr hatte sie ihm vertraut, niemals an seiner Liebe gezweifelt. War sie zu naiv gewesen? Hatte sie in ihrer Verliebtheit ignoriert, dass er sich von Anfang an gegen eine Beziehung mit der Tochter der Chefin gewehrt hatte? Sie hätte seine Worte ernster nehmen müssen, dass er ein Problem damit hatte, nicht der Boss zu sein, mehrfach hatte er es angesprochen. Sie hätte ahnen können, dass er sie verlassen würde.

Wendy fühlte sich allein und unendlich schwach. Wieder rieb sie sich übers Gesicht, beschloss, einfach liegen zu bleiben, nie wieder aufzustehen. Doch dann fiel ihr siedendheiß ein, dass heute die beiden Frauen ankommen würden. Die Frauen aus Brasilien, eine Amerikanerin namens June und eine Brasilianerin, Sandra, wenn sie das richtig verstanden hatte. Auf den Spuren ihrer drei Großmütter. So hatte diese June es am Telefon genannt. Sie wollten mehr erfahren über Wendys Großmutter Anni, um das Geheimnis herauszufinden.

Seufzend setzte Wendy sich auf und sah zur Uhr, die in ihrem Zimmer an der Wand hing. Sie hatte das ehemalige Schlafzimmer ihrer Großmutter bezogen, vor einigen Jahren. Sich neu eingerichtet, nur ein paar wenige Möbelstücke behalten.

Ihr stand heute überhaupt nicht der Sinn nach Besuch. Aber dann fiel ihr auch noch ein, dass sie sich um eine neue Bleibe für Nafia und Rashida kümmern musste. Ein paar Arbeiterinnen wohnten in Hütten auf dem Farmgelände. Ihre Großmutter hatte diese bauen lassen. Vielleicht würde sich da ein Plätzchen finden.

Wendy stand auf, ging in ihrem Schlafshirt ins Bad, nahm eine Dusche, putzte sich die Zähne und richtete sich die Haare, band sie mit einem Haargummi wieder zu einem Zopf zusammen.

Wendy zog sich eines ihrer bunten Kleider an, um den Besuch zu empfangen, und ging hinunter in die Küche. Dort schnitt Malaika, die ihr im Haushalt half und sie auch mit großgezogen hatte, Mangos und Ananas auf. Die Frauen begrüßten sich, Wendy bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen. Malaika war eine kleine, füllige Frau, immer fröhlich, stets gut gelaunt. Wendy pflegte zu allen Angestellten auf der Farm ein gutes Verhältnis. Auch ihre Mama und ihre Großmutter hatten das so gehalten. Aber zu Nafia und zu Malaika war das Verhältnis besonders eng, Malaika war, erst recht nach dem Tod ihrer Eltern, wie Familie, sah sie forschend an.

»Hoffentlich mögen die Frauen aus Brasilien Mangos. Wir haben viele reife gerade.«

Hinter dem Haus standen ein paar Mangobäume, Wendy liebte diese Frucht ganz besonders. »Wer mag denn keine Mango, noch dazu so köstliche? Und in Brasilien wachsen sie doch bestimmt auch.«

»Das stimmt auch wieder«, erwiderte Malaika. »Frühstückt Muhambo mit?«

Als sie nicht reagierte, sah Malaika sie erschrocken an. »Du siehst so traurig aus. Ich habe es gleich gedacht, als du hereingekommen bist. Was ist passiert?«

»Du kennst mich einfach zu gut. Ich bin traurig. Sehr sogar. Muhambo hat mich verlassen.«

»Nein!« Maleika schlug sich die Hände vors Gesicht. »Dieser Dummkopf, eine Frau wie dich, warum?!«

»Weil er nicht damit klarkommt, dass ich seine Chefin bin. Dabei wäre mir das egal, wir könnten gleichberechtigt sein. Aber er sieht es so. Er hat entschieden.« Ihre Stimme brach. Sie seufzte, fuhr fort: »Er geht nach Kenia, zu seinem Cousin, und steigt da ein in seine Rosenfarm.«

Malaika kam auf Wendy zu und umarmte sie fest. Wie gut das tat, diese Nähe, dieser vertraute Geruch. Malaika war wie ihre zweite Mama, einfühlsam, herzlich, immer für Wendy da. »So ein dummer Mann. Dann sei froh, dass er vor der Hochzeit erkannt hat, dass er kein Selbstbewusstsein hat. Bevor ihr Kinder bekommt.«

»Du hast recht.«

»Dann bekommst du Kinder mit einem anderen Mann, der dich über alles liebt«, versuchte Malaika zu trösten.

»Nein. Ich glaube, ich kann jetzt erst mal keinem Mann mehr vertrauen. Niemals hätte ich das von Muhambo gedacht. Wir waren doch glücklich, oder habe ich mir das alles nur eingebildet?« Tränen schossen ihr in die Augen. Wieder zog Malaika sie an ihren üppigen Busen.

»Das wart ihr. Und das kann dir keiner mehr nehmen.« Dann löste sich Wendy wieder von ihr, schniefte, wischte sich die Tränen ab.

Malaika atmete durch. »Du wirst dich wieder verlieben. Du musst dein Herz schnell öffnen. Sonst schließt es sich, wie eine Muschel. Und sonst kannst du nicht glücklich werden im Leben, kleine Wendy.« So hatte sie Wendy immer als Kind genannt.

»Ja, Malaika, das sagst du so. Aber es tut weh, diesen Schmerz will ich nicht noch einmal erleben. Du doch auch nicht, du wurdest doch auch verlassen.«

Malaika machte eine wegwischende Handbewegung. »Das ist etwas anderes. Mein Herz ist offen, aber es ist noch keiner gekommen.«

Wendy seufzte. »So viele Frauen bleiben mit ihren Kindern allein zurück. Fast alle, die bei uns arbeiten.«

Maleika wollte davon nichts hören. »Du musst trotzdem an die Liebe glauben.«

»Jetzt glaube ich, brauche ich erst mal einen Kaffee. Und Mango.«

Wendy schnappte sich einen kleinen Teller voller Mangostücke, setzte sich an den alten Küchentisch, der inmitten der Wohnküche stand. Dort stand schon eine Thermoskanne, wie jeden Morgen, sowie eine ihrer Lieblingstassen. Sie goss sich Kaffee ein, der Duft erfüllte den Raum.

Wendy ging zum Gewächshaus, musste jetzt erst mal zu sich kommen, die Arbeit bei den Rosen tat ihr gut. Eigentlich hatte sie die Gäste selbst am Kilimanjaro International Airport abholen wollen, aber jetzt schickte sie eine ihrer Arbeiterinnen zum Flughafen, um die beiden Gäste aus Brasilien abzuholen. Sie fühlte sich so elend. Und die Computersteuerung der Sprenkleranlage bereitete ihr dazu noch Sorgen. So oft fiel sie in letzter Zeit aus, oder der Strom. Und jetzt war sie alleine mit alledem. Mit der Technik kannten sich die Arbeiterinnen nicht aus. Muhambo fehlte, aber vor allem fehlte er ihr als Mann, ihr fehlten seine Zuneigung und Liebe.

Zwei Stunden später, Wendy schnitt die Rosen, entfernte von ein paar Rosen die Dornen am unteren Ende, legte sie beiseite. Da hörte sie den Jeep auf die Farm einfahren. Kurz darauf das Klappen der Wagentüren und weibliche Stimmen. Sympathisch klingende Stimmen. Sie sprachen Deutsch, beide mit unterschiedlichen Akzenten. Wendy hatte es von ihrer Mama gelernt, diese von ihrer Mama. Es war die »Geheimsprache« in der Familie gewesen. Seltsam, dass noch jemand sie sprach.

Sie nahm die Rosen, verließ das Gewächshaus, die Sonne blendete sie, und Wendy musste blinzeln. Neben dem Jeep und ihrer Arbeiterin, die die beiden abgeholt hatte, standen zwei hübsche Frauen Mitte, Ende dreißig, eine Zierliche mit langen, schwarzen, lockigen Haaren, in die sie eine gelbe Blume gesteckt hatte, eine größere Frau mit brünetten, schulterlangen Haaren. Beide sahen sich neugierig um, entdeckten Wendy und lächelten sie fragend an. Wendy versuchte, sich ihre Traurigkeit nicht anmerken zu lassen. Viel lieber würde sie jetzt wieder ins Bett legen und hemmungslos weinen. Aber diese beiden waren den ganzen weiten Weg nach Afrika gekommen, um irgendetwas von ihr zu erfahren. Und wenn dieses Geheimnis auch ihr Leben beeinflussen würde, musste sie es ja schon erfahren. Neugierig trat sie auf die beiden zu und hieß sie willkommen.

»Jambo, ich bin Wendy, herzlich willkommen auf meiner Rosenfarm.« Als sie das ausgesprochen hatte, fühlte sie sich plötzlich stolz. Ihre Rosenfarm. Es klang gut, wenn auch nach sehr viel Verantwortung. Sie reichte jeder ein paar der Rosen. »Sie blühen bald auf.«

»Guten Tag, vielen lieben Dank«, sagte die größere Brünette, nahm die Rosen entgegen. »Ich bin June, das ist Sandra.« Sie gaben sich alle drei die Hand. June hatte einen festeren Händedruck als Sandra, die Brasilianerin, die insgesamt etwas lockerer und quirliger wirkte. Sandra schnupperte sofort an den Rosenknospen, freute sich riesig. »Sie duften schon, ich liebe Blumen, ich danke Ihnen!«

»Und was heißt Jambo?«, fragte die Brünette, etwas Größere nach.

»Jambo heißt Hallo. Und wir können gerne Du sagen, wo wir schon alle drei Deutsch sprechen können. Verrückt, oder?«

»Ja, das ist es. Schön. Jambo.«

»Es ist ein Traum«, sagte Sandra jetzt begeistert und drehte sich mit den Rosen im Arm im Kreis. »Eine Rosenfarm in Afrika, überhaupt, dass ich in Tansania bin, ich kann es immer noch nicht fassen.« Sie lachte auf. »Entschuldigung, ich habe lange außer Brasilien, meiner Heimat, nichts von der Welt gesehen. Dank unserer Großmütter haben June und ich schon einige Länder in Europa bereist, ich bin immer noch zutiefst beeindruckt von dieser Reise und der Fluchtroute.«

»Fluchtroute?«, hakte Wendy nach.

»Ja, das erzählen wir dir alles in Ruhe.«

»Gerne. Ich bin gespannt. Ihr wart also zusammen in Europa, wie aufregend. Ihr kennt euch schon lange?«

»Nein, nicht sehr lange.«

»Aber nach so einer Reise ganz gut«, fügte Sandra lächelnd an. »Können wir die Rosen ins Wasser stellen? Sie verwelken ja sonst.«

»Oh natürlich, entschuldigt. Maleika!«, rief sie in Richtung Haus. Und da kam Maleika schon mit einem Tablett, auf dem drei Erfrischungsgetränke standen, mit Melone und Ananas garniert, auf die Terrasse.

»Kommt.«

Die Arbeiterin, die sie mit dem Wagen abgeholt hatte, hievte das Gepäck aus dem Kofferraum, schulterte beide Rucksäcke auf einmal, als wären sie leer, und ging damit in Richtung Haus. June sah sie erschrocken an. »Oh nein, das ist doch viel zu schwer, wir tragen unser Gepäck selbst.«

»Ja, auf jeden Fall«, bestätigte Sandra, wollte schon los, aber Wendy hielt sie zurück, erklärte: »Feister ist stark, gebt ihr nachher lieber ein Trinkgeld, das ist so üblich. Sie hat zwei Kinder und einen kranken Mann.«

»Das machen wir auf jeden Fall«, versicherte June. Sie folgten Wendy auf das Haus zu.

Sandra äußerte sich begeistert. »Das Haus sieht so hübsch aus, wie in einem alten Film.«

»Ja, meine Großmutter, meine Bibi, hat das Haus, das noch aus der Kolonialzeit stammt, damals übernommen und hier eine Farm gegründet. Und als das Rosengeschäft lief, hat sie es immer wieder umbauen lassen. Bibi heißt hier Großmutter.«

»Verstehe. Der Garten ist auch sehr schön«, sagte June.

»Meine Mama hat großen Wert auf einen gepflegten Garten gelegt, ich finde ihn auch sehr schön. Eine Arbeiterin ist nur für den Garten zuständig.« Der Rasen wurde immer bewässert, es standen Palmen und blühende Sträucher darin.

»Genauso habe ich mir eine Farm in Afrika vorgestellt«, erklärte Sandra freudig. »Ich habe Bücher über Farmen in Afrika gelesen, in meiner Fantasie bin ich oft gereist. Aber über eine Rosenfarm habe ich kein Buch gefunden. Wird Zeit, dass es bald eines gibt.« Sie lächelte und zwinkerte June zu.

»Sie ist Buchhändlerin«, erklärte June. »Und ihr Freund Schriftsteller.«

»Wie schön. Ich lese auch gerne. Zumindest wenn ich die Zeit dafür habe. Also nicht zu oft, hier auf der Farm ist immer etwas zu tun«, gab Wendy zu.

»So geht es den meisten. Aber selbst, wenn es nur ein paar Seiten ab und zu sind, Bücher geben einem so viel.«

Wendy gab ihr recht. Sie betraten die Holzterrasse.

Maleika hielt ihnen das Tablett mit den Getränken hin.

»Jambo.«

»Jambo. Wie nett«, freute sich Sandra. »Das ist jetzt genau das Richtige.«

Wendy gab jeder ein Glas, bedankte sich bei Maleika. »Und das ist Maleika, die gute Seele des Hauses. Sie hat mich mit aufgezogen.« Sie übersetzte es für Maleika auf Suaheli. Diese nickte lächelnd. »Sie spricht auch ein wenig Englisch.«

»Wie schön. Ich bin June«, sagte sie auf Englisch.

»Und ich Sandra«, erklärte diese ebenso auf Englisch.

Nachdem sie sich mit den Getränken erfrischt hatten, bat Wendy die Gäste, ins Haus zu kommen. »Kommt erst mal an, ich zeige euch die Gästezimmer.« June und Sandra folgten Wendy und Maleika hinein. Sie traten ein. Innen war es kühler, die Ventilatoren liefen. Der Eingangsbereich sah immer noch so aus, wie ihn ihre Großmutter eingerichtet hatte. Eine Kommode, auf der ein Spiegel stand, ein Schuhschrank, eine große afrikanische Figur, geschnitzt aus Ebenholz. Ob es den Frauen gefiel? Wendy kannte es nur so, vermutlich lebten die beiden moderner.

»Euer Gepäck ist schon in den Zimmern. Kommt.« Sie führte sie in eines der Gästezimmer, darin stand Junes Rucksack, wie diese sagte. »Dann ist das dein Zimmer. Und nebenan ist deines, Sandra.«

Die Zimmer hatte ihre Mama eingerichtet, sehr liebevoll, mit selbst genähten Rüschengardinen, einer genähten Tagesdecke auf den Betten, das eine in Rosa gestrichen, das andere in Hellgelb. Sandra freute sich, das gelbe Zimmer bekommen zu haben. »Ich liebe Farben, mein Haus und vieles darin ist auch sehr bunt. Meine Großmutter Maria liebte Farben, sie schaffte es nach Brasilien ins Exil. Deshalb lebe ich da.«

»Wow. Ich muss gestehen, ich weiß sehr wenig darüber, wie meine Bibi von Deutschland hierherkam.«

Enttäuscht warfen sich June und Sandra einen Blick zu. »Aber ein paar Erzählungen fallen mir bestimmt ein«, erklärte Wendy, um die beiden nicht zu sehr zu enttäuschen.

»Wenn ihr euch frisch machen wollt, da drüben ist ein Bad für euch beide. Wenn ihr fertig seid, können wir ja auf der Terrasse einen Kaffee trinken, und Maleika hat auch etwas zu essen vorbereitet.«

»Sehr gerne. Vielen Dank für deine Gastfreundschaft!« June lächelte sie an.

»So sind wir in Tansania.«

»Wie in Brasilien«, pflichtete Sandra ihr bei.

»Nur die Deutschen tun sich oft schwer«, erklärte June lächelnd. »Aber auch nicht alle. Ich habe viele sehr Gastfreundliche kennengelernt in meiner Zeit in Deutschland. Dort lebe ich seit meiner Studienzeit, aber jetzt wird wieder New York mein Lebensmittelpunkt werden.«

»June hat sich verliebt, wie ich, und unsere Großmütter sind schuld daran«, scherzte Sandra.

Wendy freute sich mit ihnen, konnte jetzt aber keine Geschichten über die Liebe hören, fragte deshalb auch nicht nach. Ihre Gedanken schweiften zu Muhambo ab. Wie konnte er nur plötzlich so abweisend sein? Er hatte sie vor seiner Abfahrt nach Kenia noch so leidenschaftlich geküsst. Dann war das also schon ein Abschiedskuss gewesen?! Natürlich, wie naiv von ihr. Sie ließ die beiden alleine, ging hinunter in die Wohnküche zu Maleika. Die hatte sich wirklich Mühe gegeben, und all die tansanischen Gerichte gekocht, die man hier gerne aß. »Du bist ein Schatz, Maleika, da werden sich die beiden freuen.«

Es klang sehr traurig, das merkte Wendy selbst. »Und du wirst dich auch bald wieder freuen können, kleine Wendy. Hakuna Matata.«

Wendy musste lächeln. Hakuna Matata. Ein Spruch auf Suaheli, der Lieblingsspruch der Tansanier. Es gibt keine Probleme, alles ist gut, bedeutete er, und genau das mochte sie so an ihrer Heimat. Die Menschen mochten noch so arm sein, sie waren fröhlich, zuversichtlich und zufrieden. Meist zumindest. Und genau das wollte Wendy auch bald wieder sein. »Danke, Maleika, dass du mich daran erinnerst. Ich ziehe mich kurz in mein Zimmer zurück. Nur ein paar Minuten.«

Sie ging in ihr Zimmer, legte sich aufs Bett und starrte an die Decke. Jetzt war sie allein, zumindest ohne Mann. Aber all die Frauen auf der Farm waren für sie da. Es fühlte sich wie eine Gemeinschaft an, und das tat gut.

Als sie wenig später June und Sandra die Treppe herunterlaufen hörte, stand sie rasch auf und ging auch hinunter auf die Terrasse. June und Sandra saßen schon in den Korbstühlen, bewunderten den Ausblick über die afrikanische Landschaft und fragten angetan nach, welche Speisen das seien, die vor ihnen auf dem Tisch standen.

»Maleika hat das alles für euch zubereitet, sie ist wirklich die gute Seele des Hauses. Das hier ist Ndizi na Nyama, ein Eintopf mit grünen Bananen. Das sind Maandazi, Krapfen und dieses Fladenbrot heißt Chapati. Ich hoffe, ihr habt jetzt nicht amerikanisch-europäisches Essen erwartet?«

»Nein, ich finde es genial«, entgegnete June. »Mein Freund Hendrik wäre ebenso begeistert. Er ist Koch und liebt neue Einflüsse in der Küche.«

»Oh, schön.«

Wendy setzte sich in den knautschenden freien Korbstuhl, Maleika kam, schenkte ihnen Limonade ein, die Frauen fingen an, die Speisen zu kosten und waren begeistert. Maleika freute sich über das Lob ihrer Kochkünste.

Wendy hakte nach. »Du hast ja am Telefon gesagt, dass es um ein Geheimnis geht, das auch mein Leben betreffen wird. Kannst du mir darüber mehr sagen?«

June nickte. »Wo fange ich an? Am besten ganz von vorne. Unsere drei Großmütter waren lange beste Freundinnen, haben in Berlin gelebt. Luise, also meine Großmutter, Maria, die von Sandra, und Anni, deine. Luise war in den Dreißigerjahren im Widerstand gegen Hitler, flog auf, flüchtete ins Exil nach New York. Maria war als Jüdin in Nazi-Deutschland in größter Gefahr und hat es mit ihrer Familie 1939 gerade noch geschafft, zu fliehen. Auf einer sehr gefährlichen Fluchtroute bis nach Brasilien.« Sie hielt kurz inne, fuhr zögerlicher fort: »Und Anni, deine Großmutter, war wohl mit einem Mann zusammen, den sie geliebt hat, den sie heiraten wollte, der aber in der Partei von Hitler war.«

»Oh, das wusste ich nicht«, entfuhr es Wendy. »Du meinst, er war Nazi?«

»Ja«, bestätigte Sandra aufgebracht, hielt sich aber weiter zurück.

June erzählte weiter: «Jedenfalls hat mir ein Anwalt einen Brief meiner Großmutter Luise verlesen. Einen Brief, in dem sie mich bat, Maria und Anni oder ihre Nachfahren zu finden. Das habe ich ja tatsächlich geschafft, auch dich, mit Sandras Hilfe. Aber jetzt gibt es eben noch etwas herauszufinden. Denn meine Großmutter Luise hatte mit ihren damals besten Freundinnen seit 1939 keinen Kontakt mehr, hatte, wie sie schrieb, eine große Schuld auf sich geladen.«

Wendy hörte gebannt zu. «Eine Schuld?«

Sandra sprang jetzt bei. «Ja, 1939 muss Luise etwas getan haben, wonach keine Freundschaft unter den Frauen mehr möglich war. Und das belastet June natürlich auch sehr. Wir hoffen, dass du uns auf eine Spur bringen kannst, durch deine Erzählungen über deine Großmutter, weil wir dieses Geheimnis auch noch herausfinden müssen.«

Wendy überlegte. «Wie gesagt, viel weiß ich nicht von ihr von damals, ich war noch ein Kind. Aber meine Mama hat mir natürlich auch ab und zu etwas erzählt. Ich will natürlich helfen.« Sie fasste sich an die Schläfen, ihr Kopf tat weh.

«Aber was ich mich frage: Wie habt ihr mich ausfindig gemacht, wenn ihr keine Adresse von meiner Großmutter hattet, wie du am Telefon gesagt hast, June?«

June erzählte, dass sie durch ein Fluchttagebuch von Sandras Großmutter Maria, das diese geschrieben hatte, und durch drei Bücher, die Maria mit auf die Flucht genommen hatte, Hinweise bekommen hatten, dass Anni erst nach London und dann über Umwege nach Tansania fliehen konnte. »Und dass sie dort eine Rosenfarm gegründet hat.«

Sandra half June bei der Erläuterung, warf immer wieder Erklärungen ein, aber Wendy schwirrte der Kopf immer mehr, sie konnte sich kaum noch konzentrieren, versuchte, sich ihre Trauer weiter nicht anmerken zu lassen.

»Aber es gibt ja ein paar Rosenfarmen in Tansania«, erwiderte sie.

»Ja, das hat uns wirklich überrascht«, erklärte Sandra. »Dass Rosen in Afrika angepflanzt werden.«

»Ja, das wundert viele. Aber in manchen Gegenden in Afrika, wie hier, herrschen einfach die besten Bedingungen für Rosen. Ich führe euch später gerne herum und zeige euch alles. Und wie habt ihr dann mich gefunden?«

»June ist eine geniale Journalistin.« Sandra lächelte. »Sie hat wahnsinnig viel recherchiert, auch in Archiven. Ich allein wäre viel zu chaotisch und unorganisiert dafür, ohne June hätten wir nie so viel über unsere Großmütter herausbekommen. Und als wir dann das, was wir auf unserer Reise durch Europa herausgefunden haben,und alles andere wie einzelne Puzzleteile zusammengesetzt haben, wussten wir, dass Anni wirklich nach Tansania fliehen konnte. Und eben das mit ihrer Rosenfarm.«

»Ja, diese hier ist die einzige Rosenfarm, die eine deutsche Exilantin gegründet hat«, fügte June lächelnd an. »Es gab einen alten Zeitungsartikel in einer Zeitung. Sie scheint eine tolle Frau gewesen zu sein.«

»Ja, meine Großmutter Anni war eine bewundernswerte Frau.« Wendy nahm einen Schluck Limonade.

June hakte nach: »Hat denn Anni damals die Farm ganz allein gegründet?«

»Nein, mit meinem Großvater zusammen, soviel ich weiß. Er hatte aber noch anderes zu tun. Im Grunde war es ihre Farm. Sie hat Rosen sehr geliebt.«

»Und heißt dein Großvater Siegfried?«, fragte June vorsichtig weiter und warf Sandra einen gespannten Blick zu.

Wendy schüttelte den Kopf, dachte nach. Ihr fiel etwas ein, was ihr ihre Großmutter früher einmal erzählt hatte, von einem Siegfried. Schmerzlich erinnerte es sie an sie selbst. Denn auch Anni hatte als junge Frau einmal geglaubt, einen Antrag zu bekommen. »Aber von einem Siegfried hat sie mir als Kind einmal erzählt«, fuhr sie fort.

»Und was? Bitte entschuldige, aber alles kann wichtig sein für uns. Ich erkläre dir dann gerne mehr darüber.«

Wendy sah sie nachdenklich an, erzählte. »Meine Großmutter Anni hat sich wohl damals einen Heiratsantrag von ihm erhofft. Sie war sich so sicher.« Bitter hielt sie inne. Dachte an sich selbst, fuhr dann fort. »Sie hat sich große Hoffnung gemacht, denn dieser Siegfried hatte Rosen in seiner Wohnung versteckt, und sie liebte Rosen.«

4. KAPITEL

Berlin, Oktober, 1936

Voller Freude und Nervosität stand Anni in dem Berliner Treppenhaus vor Siegfrieds Wohnungstür. Es roch nach Gemüsesuppe, Stimmen aus der Wohnung gegenüber waren zu hören, ein Kind schrie: »Du kriegst das nicht! Mama!«

Sie atmete durch, drückte auf den Klingelknopf. Die Glocke schellte.

Anni hatte sich hübsch zurechtgemacht, ihre blonden langen Haare zu Schnecken geflochten, wie Siegfried es mochte. Sie trug ihr blaues Lieblingskleid. Ob sie wohl nach der Hochzeit sofort schwanger werden würde? Bisher hatte Siegfried »aufgepasst«, wie er es nannte. Was ja gut war, denn unverheiratet wollte sie natürlich auf keinen Fall Kinder bekommen. Aber nach der Hochzeit ganz bald.

Wieder hörte man das Kind schreien: »Du kriegst das nicht!« Auch wenn Kinder anstrengend sein konnten, sie liebte sie.

Niemand öffnete. Vielleicht hatte er sich hingelegt? Der Arme arbeitete so viel. Sie drückte erneut auf die Klingel. Hörte erneut das Schellen.

Schon früh hatte sie es sich zum Lebensziel gesetzt, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Deshalb hatte sie bisher keine Ausbildung oder gar ein Studium begonnen, wie Maria und Luise. Maria hatte Buchhändlerin gelernt, Luise studierte Philosophie, die Meisterin der Worte. Anni liebte es, zu zeichnen, Handarbeiten anzufertigen, hätte sich etwas in der Richtung vorstellen können.

Aber Siegfried hatte deutlich gesagt, dass seine Frau einmal nicht zu arbeiten brauchte. Sie solle sich lieber so mit ihren Basteleien beschäftigen. Anni nähte, stickte, häkelte so gern. Und sie liebte es, zu backen, vor allem Zimtschnecken für ihn. Doch in der Damenpension, in der sie ein Zimmer hatte, konnte sie das nicht tun.