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True Crime aus Skandinavien! Drei erschreckende Fälle, die den Norden und auch den Rest der Welt erschüttert haben: "Der Amager-Mann", "Terror auf norwegischem Boden" und "Der Fall Bobby erschütterte ganz Schweden". Anders als ein Krimi sind es hier keine fiktionalen Charaktere, sondern reale Personen, über die aus Perspektive der ermittelnden Kriminologen und Polizisten geschrieben wird. Die Fälle lesen sich so spannend wie ein Krimi, doch lässt sich nicht ganz ausblenden, dass diese Taten tatsächlich begangen wurden. -
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Seitenzahl: 179
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Karl-Olof Ackerot, Tonny Holk, Torgeir P Krokfjord
Übersetzt Patrick Zöller
Saga
Die größten Kriminalfälle Skandinaviens - Teil 1 ÜbersetztPatrick Zöller Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 2020, 2020 Karl-Olof Ackerot, Tonny Holk, Torgeir P Krokfjord und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726482713
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk
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Am frühen Morgen des 25. September 2010 wurde die Hundestaffel der Polizei Kopenhagen in Verbindung mit der Vergewaltigung eines 17-jährigen Mädchens angefordert, um den Tatort und seine nähere Umgebung abzusuchen. Das Opfer war auf dem Weg in seine Wohnung von hinten überfallen und anschließend vergewaltigt worden sowie weiteren Übergriffen des Täters ausgesetzt gewesen.
Zur Staffel gehörten auch der Polizeihund Cooper und sein Hundeführer. Nicht weit vom Tatort entdeckte Cooper ein Kondom, und dieser Fund führte dazu, dass in zwei Mordfällen und mehreren älteren Fällen von Vergewaltigung die Ermittlungen wieder aufgenommen und mit der Verurteilung eines 46-jährigen Mannes zu lebenslanger Freiheitsstrafe abgeschlossen wurden.
In diesem Artikel geht es nicht um eine detaillierte Beschreibung der einzelnen Taten, sondern darum, die Ermittlungsarbeit der Polizei und zum Teil die der Staatsanwaltschaft darzustellen.
Am Montag, 27. September 2010, wurde das Dezernat für personengefährdende Kriminalität / die Mordkommission der Polizei Kopenhagen zwecks Aufnahme weiterführender Ermittlungen über die Vergewaltigung eines 17-jährigen Mädchens in Kenntnis gesetzt, da eine Identifikation des Täters nicht vorlag.
Aus der Strafanzeige ging hervor, dass das geschädigte Mädchen vom Nachmittag des 24. September bis zirka 4:00 Uhr morgens am Samstag, 25. September, mit einigen Freundinnen und Freunden zusammengewesen war. Von den letzten drei ihrer Freunde trennte sie sich an der Metrostation DR-Byen und fuhr von hier weiter bis zur Metrostation Ørestad, wo sie um 4:12 Uhr ankam.
Die Gruppe sei ohne konkretes Ziel ein wenig „um die Häuser gezogen.“
Der Polizei gegenüber beschrieb sie die Route, die sie in den Kongelundsvej und auf den Gehweg gegenüber der Hausnummer 242 geführt hatte. Sie hörte Musik über ihre In-ears, die an ihr Handy angeschlossen waren, und schenkte ihrer Umgebung deshalb keine besondere Aufmerksamkeit. Daher war sie sehr überrascht, als ihr plötzlich ein Mann entgegenkam. Trotz der langen, schnurgeraden und zu dieser Zeit menschenleeren Straße hatten sie ihn bis dahin nicht bemerkt. Es war ihr fast ein bisschen peinlich, denn sie summte zu der Musik in ihren Ohren vor sich hin, und sie lächelte den Mann verlegen an.
Nichts am Aussehen und Verhalten des Mannes deutete daraufhin, dass er sie belästigen oder angreifen würde. Es handelte sich um eine unauffällige, ordentlich gekleidete Person. Sie gingen aneinander vorbei, ohne etwas zu sagen, aber als der Mann an ihr vorüber war, spürte sie, dass er sich umdrehte, und noch bevor sie reagieren konnte, hatte er sie gepackt und ihr die rechte Hand auf den Mund gepresst. Er zog sie fest an sich heran und sagte, sie solle nicht schreien. Außerdem drohte er ihr, er habe ein Messer. Sie versuchte, sich von dem Mann zu befreien und ihm seine Mütze wegzureißen, sodass sie seinen Kopf und seine Haare sehen konnte. So kam es auf dem Gehweg zu einer Rangelei. Sie versuchte, den Täter von seinem Vorhaben abzubringen, indem sie erst einen Asthmaanfall simulierte und dann auf der Erde liegen blieb, als sei sie ohnmächtig geworden.
Der Angreifer reagierte, indem er sagte: „Es ist noch nicht überstanden.“ Gleichzeitig befahl er ihr in aggressivem Ton, sie solle aufstehen. Als sie es nicht tat, zerrte er sie heftig auf die Beine und führte sie weiter den Kongelundsvej entlang.
Er war sehr kräftig und genoss offenbar die Macht, die er über sie hatte. Sie war verängstigt, kam aber auf den Gedanken, heimlich einen Anruf über ihr Handy zu tätigen, das sie in der Jackentasche hatte. Das war keine Schwierigkeit für sie, da sie das Telefon häufig benutzte und mit der Tastatur vertraut war. So gelang es ihr, unbemerkt ihre Eltern anzurufen. Als sie ihren Vater am anderen Ende hörte, rief sie: „Ich will nicht sterben – ich will nicht sterben.“
Der Mann erkannte, was sie tat, nahm ihr Telefon und schaltete es aus. Dabei zerrte er sie weiter zum Eingangstor der Kleingartenanlage Stjernelund, wo ihr eine Besonderheit auffiel, ein Hahn aus Keramik, der krähte, wenn jemand durch das Tor ging. Sie wurde zu dem am weitesten vom Eingang entfernten Bereich gezerrt.
Aufgrund der zuvor ausgesprochenen Drohung des Mannes, er habe ein Messer, und weil er den Anruf an ihre Eltern bemerkt hatte, gab sie jeden Widerstand auf, auch weil sie sich jetzt auf dem Gelände der Anlage wie eine Gefangene fühlte. Deshalb gehorchte sie, als er kurz darauf eine Jacke auf einer Wiese ausbreitete und ihr befahl, sie solle sich hinknien. Sie sah, wie er seine Hose herunterzog und versuchte ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Unter anderem sagte sie, sie habe „es“ noch nie gemacht. Ihre Bemühungen waren nutzlos und sie wurde gezwungen, seinen Penis in den Mund zu nehmen und daran zu lecken. Sie wagte nicht, sich zu widersetzen.
Er zwang sein Opfer zu weiteren sexuellen Handlungen und Demütigungen und zog in deren Verlauf ein Kondom an. Zuerst hatte er ohne Kondom Verkehr mit ihr, danach mit Kondom. Als er einmal hinter ihr stand, hörte sie, wie ein Reißverschluss geöffnet wurde, und ihr kam der Gedanke, dass er sein Messer aus der Tasche holte, mit dem er ihr anfangs gedroht hatte. Dann hörte sie aber, wie der Täter sich ein Kondom überzog.
Als er seine grauenvolle Tat beendet hatte, befahl er ihr, liegen zu bleiben und bis 5.000 zu zählen, bevor sie aufstehe. Er meinte, bis dahin sei er bei seinem Fahrrad und könne verschwinden, bevor sie Hilfe herbeirufen konnte. Er verhielt sich vollkommen ruhig und kontrolliert, es waren keinerlei Anzeichen von Panik festzustellen. Er nahm das Mobiltelefon und die Handtasche des Opfers samt Inhalt an sich und sagte ihr, er werde alles irgendwo ablegen, wo sie es finden könne. Sie hörte, wie der Täter den Kongelundsvej Richtung Süden entlanglief, stand verhältnismäßig schnell auf und ging zum Kleingarten ihrer Eltern, der nur wenige hundert Meter vom Tatort entfernt lag.
Die Polizei wurde umgehend gerufen und Vernehmungen durchgeführt, sowie der Tatort untersucht, zu dem die Geschädigte die Beamten führte. Dabei wurde festgestellt, dass an der angegeben Stelle das Gras niedergetreten war.
Gleichzeitig wurden in dem Bereich, in dem das Opfer anfangs in eine Rangelei mit dem Täter verwickelt gewesen war, ein Headset und ein Mobiltelefon gefunden. Obwohl das Headset stark beschädigt war, konnte es als das der Geschädigten identifiziert werden.
Aufgrund der Aussage des Opfers, wonach der Täter ihre Handtasche und ihr Mobiltelefon mitgenommen hatte, wurde sofort eine Ortung des Mobiltelefons eingeleitet in der Hoffnung, so den Aufenthaltsort des Täters herauszufinden. Das Telefon war aber immer noch ausgeschaltet und tauchte im Verlauf der weiteren Ermittlungen nicht wieder auf.
Hingegen sollte der Fund des Kondoms, durch den Polizeihund Cooper, von entscheidender Bedeutung für die weiteren Ermittlungen sein. Bei der Untersuchung der Umgebung des Tatorts fand der Hund ein Kondom auf dem Gehweg im Kongelundsvej südlich des Tatorts, also in der Richtung, in die das Opfer den Täter hatte flüchten hören, nachdem er sich an ihr vergangen hatte.
Vergewaltigungsfälle, in denen Opfer und Täter zuvor auf irgendeine Weise Kontakt hatten, kommen verhältnismäßig häufig vor, während es sehr selten zu einer Vergewaltigung wie der oben beschriebenen kommt.
In diesem Fall gab es mehrere Punkte, an denen die Ermittler ansetzen konnten.
Schon am Tag der Anzeigenaufnahme war die Geschädigte im Gerichtsmedizinischen Institut des Reichskrankenhauses auf eventuelle Spuren des Täters untersucht worden, außerdem ging es darum, eventuelle körperliche Schäden zu dokumentieren, die sich das Opfer durch die Handlungen des Täters zugezogen hatte. Die Untersuchung ergab, dass das Opfer oberflächliche Verletzungen in Form von Rötungen an den Armen, an den Knien und im Gesicht davongetragen hatte.
Das Gerichtsmedizinische Institut hatte das im Kongelundsvej gefundene Kondom sichergestellt und auf DNA-Spuren untersucht.
Die Aussage der Geschädigten hinsichtlich ihres Tuns in der Zeit vor der Tat wurde genau geprüft, unter anderem wurden Videoaufnahmen von den Haltestellen der Metro gesichtet, außerdem wurden die Freunde befragt, die sie angegeben und mit denen sie zusammen gewesen war. Es stellte sich heraus, dass die Geschädigte vollumfänglich und genau angegeben hatte, wo sie wann gewesen und mit wem sie zusammen gewesen war.
Bei der Beschreibung des Täters wies sie besonders darauf hin, dass der Mann eine schwarze Strickmütze mit Rollrand am unteren Ende und eine schwarze Jacke getragen hatte. Am unteren Teil des einen Ärmels befand sich ein Reißverschluss.
Aufgrund dessen hielt man es für möglich, Überwachungsfotos mit Personen zu finden, die eine solche Jacke trugen. Daher wandte man sich an Banken, Geschäfte, Tankstellen, 24-Stunden-Kioske und ähnliche Einrichtungen in einem verhältnismäßig großen Umkreis des Tatorts, um zu prüfen, ob eine Person dabei war, deren Aussehen und Alter der Täterbeschreibung der Geschädigten entsprach.
Beim Durchsehen der Videos der Seven Eleven-Niederlassung in einer Seitenstraße des Kongelundsvej fand die Polizei eine Aufnahme, auf der zu sehen war, dass ein Mann am 25. September gegen 5:00 Uhr morgens im Laden war, um Zigaretten und Bier zu kaufen. Eine der Kameras zeigte, dass er eine schwarze Jacke mit einem Reißverschluss am Ärmel unten am Handgelenk trug, als er den Arm über den Tresen streckte, um die Waren entgegenzunehmen.
Die Stelle am Handgelenk, der Zeitpunkt etwa eine halbe Stunde nach der Tat, die Kleidung des Mannes und nicht zuletzt die eingekauften Waren, Bier und Zigaretten, erschienen in den Augen der Polizei „passend“. Zu sehen war, dass der Mann mit Kreditkarte bezahlte, was die Möglichkeit bot, den Käufer zu identifizieren. Beim zuständigen Gericht wurde eine Verfügung beantragt, wonach Seven Eleven der Polizei die Kunden-Daten bereitzustellen hatte.
Das Gericht entschied, die Daten seien an die Polizei weiterzugeben, und man machte den Inhaber der Kreditkarte ausfindig, der sich als die Person herausstellte, die im Laden gewesen war. Das Aussehen des Verdächtigen entsprach jedoch nicht ganz der Beschreibung der Geschädigten, aber es kommt nicht selten vor, dass Täterbeschreibungen der Zeugen in hohem Maße von den Realitäten abweichen.
Einige Polizisten fuhren zur Wohnung des Verdächtigen, doch schließlich traf man ihn an seinem Arbeitsplatz an, wo man ihm sagte, dass es um die Ermittlungen in einem Fall schwerer Vergewaltigung am 25. September 2010 ging – verübt im Kongelundsvej. Er bestritt, etwas mit der Sache zu tun zu haben, war aber zu einem Verhör bereit.
Sein Problem war, dass er sich überhaupt nicht erinnern konnte, was er an dem fraglichen Tag gemacht hatte, auch nicht, nachdem er mit der Information konfrontiert wurde, dass er am frühen Morgen im Seven Eleven eingekauft hatte. Er war Angestellter in einer kleineren Firma, deren Inhaber darüber informiert wurde, dass die Polizei wegen eines Schwerverbrechens ermittelte und sein Mitarbeiter die Beamten in diesem Zusammenhang begleiten musste. Der Verdächtige fuhr freiwillig mit zu seiner Wohnung, wo sich sein erwachsener Sohn aufhielt. Im Laufe der Befragung des Verdächtigen bei ihm zu Hause stellte sich heraus, dass er für die Tatzeit ein Alibi hatte.
Da am Tattag ein Kondom sichergestellt worden war, in dem sich vermutlich Sperma des Täters befand, wurde dem Verdächtigen ein Mundabstrich entnommen, um sein DNA-Profil zu erstellen und ihn so möglicherweise als Täter der Vergewaltigung ausschließen zu können.
Der Mundabstrich ist die Methode der Polizei, DNA verdächtiger Personen sicherzustellen. Ein Beamter, ausgerüstet mit Mundschutz und Gummihandschuhen, führt ein Plastikstäbchen mit einem Schaumgummischwamm in den Mund der Person, deren DNA bestimmt werden soll, und führt damit kreisende Bewegungen auf der Innenseite beider Wangen aus. Die von dem Gummischwamm aufgesaugte Flüssigkeit wird auf eine Karte mit einer speziellen Beschichtung aufgetragen, die Karte wird in ein Kuvert verpackt, das wiederum in einem weiteren Umschlag zur Analyse in das Labor für Forensik des Gerichtsmedizinischen Instituts im Reichskrankenhaus geschickt wird.
Die Polizei war von seiner Unschuld überzeugt, und das Ergebnis der Analyse im Labor für Forensik ergab, dass es zwischen der Flüssigkeit in dem Kondom und der DNA, die durch den Mundabstrich sichergestellt worden war, keine Übereinstimmung gab. Die Ermittlungen im Fall der Vergewaltigung mussten also weitergeführt werden.
Nach einigen Wochen lag das Resultat der forensischen Analyse auf der Basis der Untersuchung des geschädigten Mädchens und des gefundenen Kondoms vor.
Es war erfreulich, dass auf der Grundlage des in dem Kondom enthaltenen Spermas ein komplettes DNA-Profil erstellt werden konnte. Dadurch können Abgleiche mit Profilen bereits untersuchter Personen ebenso vorgenommen werden, wie mit sichergestellten Spuren von anderen Tatorten.
Das Labor teilte mit, dass das Kondom mit den Proben verglichen wurde, die im Zuge der gerichtsmedizinischen Untersuchung des geschädigten Mädchens genommen worden waren. Das Ergebnis zeigte, dass sich an dem gefundenen und untersuchten Kondom DNA der Geschädigten befand. Darüber hinaus war DNA sowohl auf der Außenseite, als auch auf der Innenseite des Kondoms gefunden worden.
Dass sich die DNA der Geschädigten sowohl auf der Außenseite als auch auf der Innenseite des Kondoms befand, bestätigte ihre Aussage hinsichtlich der Handlungsweise des Täters und des Verbrechens gegen sie in der Kleingartenanlage Stjernelund und untermauerte so die Glaubwürdigkeit ihrer Angaben. Außerdem zeigte sich, dass die Geschädigte DNA unter ihren Fingernägeln hatte, die mit dem Profil der DNA des untersuchten Spermas in dem Kondom übereinstimmte.
Das gefundene Kondom war also dasjenige, das der Täter benutzt hatte.
Die DNA-Register wurden durchforstet, doch ohne Ergebnis. Die Polizei war also nun im Besitz eines DNA-Profils des Täters, hatte aber keinen Namen dazu.
„Hey Tonny – auf das hier haben wir 20 Jahre lang gewartet.“
Nach diesem telefonischen Bescheid brauchte der zuständige Ermittler Tonny Holck im Polizeipräsidium Kopenhagen ein paar Augenblicke, bis ihm die Tragweite der Mitteilung klar wurde. Die Kollegin aus der DNA-Sektion der Nationalpolizei berichtete weiter, dass man die Profilzahlen in einem Mordfall vom 03. September 1990 durchgegangen war.
Nach Auffassung der DNA-Sektion entsprach das Sperma, das im Fall der Vergewaltigung des 17-jährigen Mädchens untersucht worden war, den Spermaspuren, die man 1990 in Verbindung mit dem Mord an einer Frau sichergestellt hatte. Das Opfer war zunächst sexuell missbraucht und dann erwürgt worden. Man hatte sie unter einem Haufen Zweige gefunden, das eigene T-Shirt um den Kopf gewickelt. Das Verbrechen hatte sich am Amager Fælled ereignet und wurde als Mord im Fasanenwald bezeichnet. Opfer war eine Lehrerin und Hobbyornithologin, die zwecks Vogelbeobachtung dort mit dem Fahrrad unterwegs gewesen war.
Dass es sich dabei ausgerechnet um einen Mordfall von 1990 handelte, machte die Sache nicht weniger interessant, denn in eben diesem Jahr hatte es in Kopenhagen mehrere ungeklärte Morde an Frauen gegeben, und fast jedes Jahr hatte eine Morgenzeitung oder ein Wochenmagazin Artikel über diese ungelösten Fälle veröffentlicht.
Die Mordkommission im Polizeipräsidium Kopenhagen hatte seit 1990 mit allen zur Verfügung stehenden Ressourcen versucht, diese Morde aufzuklären, bis dahin aber vergeblich.
Das Labor für Forensik wurde beauftragt, weitere Tests durchzuführen, doch würde es ein paar Tage dauern, bis das endgültige Resultat vorlag.
Am 22. Oktober 2010 wurde aufgrund der weiteren Tests und eines Vergleichs mitgeteilt, dass es eine Profilübereinstimmung des in Verbindung mit der Vergewaltigung im Kongelundsvej gefundenen Spermas und den Spermaresten auf den schwarzen Shorts gab, die die Vogelkundlerin im Fasanenwald getragen hatte. Die Übereinstimmung erreichte mit mehr als 1:1.000.000 die höchstmögliche Wahrscheinlichkeit.
Der dazugehörige offizielle Bericht wurde am 25. Oktober 2010 zugestellt, und die Ermittlungen im Fall Mord im Fasanenwald konnten wieder aufgenommen werden.
In der Mordkommission war man regelrecht beflügelt, nachdem man von der Übereinstimmung erfahren hatte, und drei Tage später, am 28. Oktober 2010, kam es zu einem weiteren Schub, was den Tatendrang der Beamten betraf, denn es gab noch ein Match des im Kondom gefundenen Spermas, diesmal mit einem Vergewaltigungsfall aus dem Jahr 2005.
Damals war eine 24-Jährige in ihrem eigenen Zuhause im Gebäude des Amager-Kollegiet im Schlaf überfallen worden.
Bei der kriminaltechnischen Untersuchung des Tatorts 2005 hatte man DNA an einem Milchkarton sichergestellt, und sie hatte dasselbe Profil wie das Sperma aus dem im Kongelundsvej gefundenen Kondom. Wieder war die Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung die höchstmögliche, höher als 1:1.000.000.
Damit stand fest, dass es in 1990, 2005 und 2010 auf Amager zu drei Schwerverbrechen gekommen war, einem Mord und zwei Vergewaltigungen, verübt von ein und demselben Täter.
Nur aufgrund der DNA-Technik hatte man eine Verbindung zwischen den drei Verbrechen entdeckt, und der in Dänemark ganz und gar außergewöhnliche Fall eines über einen Zeitraum von mehreren Jahren aktiven Serientäters schien Realität geworden zu sein.
Die Unterlagen der drei Fälle wurden zusammengeführt. Der Fall Kongelundsvej befand sich im Status laufender Ermittlungen, der Mord im Fasanenwald war schon damals im Polizeipräsidium behandelt worden und die Akten bezüglich der Vergewaltigung im Amager-Kollegiet wurden aus dem Archiv des Polizeireviers Amager hervorgeholt.
Dieser Fall wurde innerhalb der Mordkommission bei der Polizei Kopenhagen genauso behandelt wie andere unaufgeklärte Morde. Mord verjährt nicht, und es kommen laufend Hinweise aus der Bevölkerung, woraufhin die Ermittlungen gegebenenfalls wieder aufgenommen werden.
In den Akten zum Mord im Fasanenwald befanden sich über eintausend Berichte, aber während der Ermittlungen 1990 ergaben sich keine konkreten Verdachtsmomente gegen eine bestimmte Person.
Das Opfer war die 40-jährige Lehrerin Lene, die in der Nähe des Fasanenwalds wohnte, ein Teil des Amager Fælled. Am 29. August 1990 fuhr sie von der Schule, an der sie unterrichtete, nach Hause. Zu dieser Zeit wohnte sie zusammen mit ihrem Freund am Sydhavnen. Als ihr Freund von der Arbeit kam, war sie nicht zu Hause, und er fand auch keine Nachricht, wo sie sich aufhielt, was sehr ungewöhnlich war.
Als sie zur Essenszeit immer noch nicht zu Hause war, wunderte er sich, stellte dann aber fest, dass ihr Fernglas und Fahrrad nicht da waren. Daher ging er davon aus, dass sie zwecks Vogelbeobachtungen unterwegs war. Außerdem stand ein Schulausflug mit einer Radtour an, und sie hatte davon gesprochen, bis dahin noch ein wenig trainieren zu wollen.
Als sie spät am Abend immer noch nicht zurück war, machte er sich doch Sorgen und nahm Kontakt zur Polizei auf, aber dort wollte man die ersten 24 Stunden abwarten, da es sich um eine erwachsene Frau handelte, und der Erfahrung nach konnte es mannigfaltige Gründe für ihr Ausbleiben geben.
Der Freund war zu diesem Zeitpunkt allerdings sehr beunruhigt und überzeugt davon, dass ihr etwas zugestoßen war. Also begaben er und die Familie sich zum Amager Fælled, da er es für das Wahrscheinlichste hielt, dass sie dorthin gefahren war. Die mehrere Stunden lange Suche während des späten Abends bis in die Nacht hinein blieb aber ohne Ergebnis. Nachdem sich der Freund am nächsten Tag erneut an die Polizei gewandt hatte, wurde eine Suchaktion eingeleitet. 24 Stunden später entschied die Polizei sich dazu, ein Foto von Lene in den Medien zu veröffentlichen.
In den nächsten Tagen konzentrierte man sich darauf, das Amager Fælled abzusuchen. Ein Hubschrauber wurde hinzugezogen, der am 3. September 1990 ein an einen Baum angelehntes Fahrrad entdeckte. Wie sich herausstellte, war es das Fahrrad der Gesuchten. Es stand in dem Teil des Amager Fælled, der als Fasanenwald bezeichnet wird. Als man in der Nähe des Fahrrads die Brille und das Fernglas der Gesuchten fand, wurde der Bereich abgesperrt und mit Hilfe einer Hundestaffel durchkämmt.
Nach einiger Zeit schlug einer der Hunde neben einem großen Haufen aufgeschichteter Zweige und Geäst an, und bei genauerer Untersuchung des Haufens entdeckte man die Leiche der Vermissten unter den Zweigen.
Die gerichtsmedizinische Untersuchung vor Ort und die spätere Obduktion ergaben, dass die Frau gewürgt worden und aufgrund dessen erstickt war. Außerdem wurden sogenannte Abwehrverletzungen festgestellt, wie sie entstehen, wenn das Opfer sich auf verschiedene Weise gegen einen gewaltsamen Angriff zur Wehr setzt.
Außerdem wurden Tierbisse diagnostiziert, was darauf hindeutete, dass sie seit mehreren Tagen auf der Erde gelegen hatte.
Bei der technischen Untersuchung wurden Spermaspuren auf ihrer Kleidung nachgewiesen, und es waren diese Spuren, die nun zwanzig Jahre später derselben Person zugeordnet werden konnten, die im September 2010 die Vergewaltigung im Kongelundsvej begangen hatte.
Im Zuge der Wiederaufnahme der Ermittlungen im Mordfall im Fasanenwald fiel dem zuständigen Beamten der Mordkommission auf, dass ein sehr langer, durchgängig übersichtlicher und einsamer Weg zu der Stelle führte, an der man die Leiche gefunden hatte. Der Verlauf des Weges und seine Übersichtlichkeit waren vergleichbar mit dem langen, vollständig übersichtlichen und menschenleeren Kongelundsvej, wo in 2010 die Vergewaltigung verübt worden war. Eine Inaugenscheinnahme des Weges und seines Verlaufs durch den zuständigen Ermittler und die Vertreterin der Staatsanwaltschaft, die später vor Gericht die Anklage übernehmen sollte, bestätigte diesen Eindruck.
Im Zuge der Ermittlungen 1990 waren Fotos vom Fahrrad der Ermordeten gemacht worden. Auffällig war unter anderem, dass die Spitze des Sattels in einem 45°-Winkel nach oben zeigte. Auf dem Gepäckträger war ein Korb montiert, der so stark beschädigt war, als habe sich eine Person darauf gesetzt. Der Lenker war leicht verdreht, als sei er hart auf den Boden geschlagen.
Aufgrund der Aufnahmen ging man davon aus, dass der Täter von hinten gekommen war und die Radlerin auf den Gepäckträger und weiter nach hinten gerissen hatte, woraufhin Rad und Radfahrerin zu Boden gestürzt waren.
Der Vergleich beider Tatorte Kongelundsvej und Fasanenwald ließ darauf schließen, dass der Täter sich in beiden Fällen seinen Opfern in übersichtlichen, verlassenen Bereichen näherte und von hinten angriff, bevor er sie sexuell missbrauchte.
Aus offensichtlichen Gründen war nicht bekannt, ob der Täter sein Opfer im Fasanenwald bedroht hatte und die Frau sich so heftig gewehrt hatte, dass er sich gezwungen sah, sie zu töten, aber die Umstände sprachen dafür.
Das Opfer im Kongelundsvej hatte seinen Widerstand aufgegeben – was ihr das Leben gerettet haben kann. Das Gegenteil galt für das Opfer im Fasanenwald.