Die heimliche Geliebte - Barbara Cartland - E-Book

Die heimliche Geliebte E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Der Marquis von Ruckford war nicht nur reich, ein herausragender Sportsmann und ein Kunstkenner, sondern auch ein gutaussehender Junggeselle, der keinesfalls heiraten wollte bevor ihm nicht der Sinn danach stand. Vanessa war eine arme Malerin, die ihr Geheimnis vor der modischen Welt des Londons des Prinzregentens geheim hielt. Als Ruckford sie aus den Klauen Sir Julius Stones rettete, warnte er sie daβ schöne Frauen oft schrecklichen Gefahren ausgesetzt seien. Seine Worte würden wahr werden, denn Vanessa sollte viele Risiken eingehen um den Prinzregenten zu retten bevor die Lippen Ruckfords von den ihren Besitz nehmen würden.

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Die Heimliche Geliebte

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2017

Copyright Cartland Promotions 1985

Gestaltung M-Y Books

1.

Der Marquis von Ruckford ließ sich von seinem Kammerdiener aus seiner faltenlos sitzenden Abendjacke helfen, die Weston legerer geschnitten hatte, als er das für den Prinzen von Wales getan hätte, weil der Marquis jedes Gefühl, beengt zu sein, verabscheute.

Das Schlafzimmer in der Poststation war groß und recht gemütlich. Ein helles Feuer brannte im offenen Kamin, und Seine Lordschaft stellte befriedigt fest, daß das breite, vierpfostige Bett mit der dicken Matratze alle Ansprüche erfüllte, die er in Bezug auf Bequemlichkeit stellen mochte.

Auf seinem gutgeschnittenen Gesicht zeigte sich ein leichtes Stirnrunzeln, als aus der Ferne Stimmengewirr und Gelächter an sein Ohr drang, was ihn schon den ganzen Abend gestört hatte.

„Ich habe das Gasthaus noch nie so lärmend erlebt“, bemerkte er irritiert zu seinem Kammerdiener. „Vielleicht hätten wir besser daran getan, bei Lord Lincoln zu übernachten.“

„Ausgerechnet heute hat ein Boxkampf stattgefunden“, erwiderte dieser. ,,Die Börse soll zweitausend Guineen betragen haben, wobei erhebliche Summen auf den Lokalmatador gesetzt wurden.“

„Hat er wenigstens gewonnen?“ fragte der Marquis nur mäßig interessiert.

Da er selbst als ausgezeichneter Amateurboxer galt, hatte er für Boxkämpfe nichts übrig, wenn sich nicht bekannte Champions gegenüberstanden.

„Angeblich soll die Angelegenheit sehr unbefriedigend verlaufen sein“, erklärte der Kammerdiener. „Trotz seiner hochgepriesenen Qualitäten lag der Gegner des Lokalhelden nach einer knappen halben Stunde besiegt auf dem Boden. Ein Großteil der Zuschauer glaubt daher Grund zu der Klage zu haben, den weiten Weg für nichts und wieder nichts gemacht zu haben.“

 „Das war wohl kaum anders zu erwarten“, stellte der Marquis fest. „Leider halten sich als Folge davon viel zu viele lärmende Menschen in der Poststation auf.“

 „Sie sind dabei, sich gegenseitig unter den Tisch zu trinken, Mylord. Nach Aussage des Wirts hat er nie zuvor einen solchen Umsatz gehabt.“

Der Marquis entgegnete nichts. Einerseits entsprach es nicht seiner Gewohnheit, mit seinem Diener zu klatschen, andererseits war er müde, da er bereits in den frühen Morgenstunden Lord Hargraves’ Schloß in Huntingdonshire verlassen hatte.

Nachdem er sich mit Hilfe seines Kammerdieners seiner restlichen Kleidungsstücke entledigt und sich mit warmem Wasser gewaschen hatte, das mit ein paar Tropfen Eau de Cologne angereichert worden war, beherrschte ihn nur ein Gedanke, wie dankbar ihm der Prinz von Wales sein mußte, daß er ihm die beschwerliche Reise abgenommen hatte. Dadurch hatte er allerdings Gelegenheit erhalten, ein Paar Kastanienbrauner auszuprobieren, die er vor zwei Monaten im Tattersall erworben und bisher lediglich in den Hyde Park geführt hatte.

Lord Hargraves Schloß lag von der Hauptstraße weit entfernt, und die staubigen Wege waren nicht dazu angetan, die Fahrt angenehmer zu machen, genauso wenig wie die Tatsache, daß der Marquis unterwegs hatte zweimal übernachten müssen.

Wenigstens hatte sich die Reise gelohnt. Er führte ein Bild mit sich, von dem er wußte, daß es das Entzücken Seiner Königlichen Hoheit erregen würde.

Er hatte kaum einen Fuß in das Schloß gesetzt, als er auch schon begriff, warum Lord Hargraves nach London zurückkehren wollte. Sein Vorschlag, den Marquis von Ruckford zu schicken, um seine Schätze zu begutachten, war von Motiven diktiert worden, die er in seinem wohlformulierten Brief an den Prinzen wohlweislich nicht erwähnt hatte.

Lord Hargraves hatte dem Marquis seine Tochter mit der Grandezza eines Zauberers vorgestellt, der ein weißes Kaninchen aus einem Zylinder zaubert.

Wieder einmal sah sich der Marquis einigermaßen irritiert in die Lage versetzt, klarstellen zu müssen, daß sein Interesse Bildern und nicht der Ehe galt.

Da Miss Emily neunzehn Jahre alt und sehr hübsch war, würde es Lord Hargraves sicherlich nicht schwerfallen, anderweitig einen Ehemann von Rang und Namen zu finden, der zu der dunkeläugigen Schönheit paßte.

Der Marquis jedenfalls ließ deutlich durchblicken, daß er auf dem Heiratsmarkt nicht zu haben war. Dabei überraschte es ihn nicht sonderlich, daß der Lord ihn für seine Tochter ausersehen hatte. In den letzten Jahren hatten immer wieder die Eltern heiratsfähiger Töchter die Angel nach ihm ausgeworfen. Er war nicht nur ein sehr vermögender, sondern auch ein außerordentlich gutaussehender Mann. Nur mit viel Geschicklichkeit und gelegentlicher Strenge hatte er es verhindern können, allgemein Beau Ruckford genannt zu werden, wobei ihm zugutekam, daß er ein ausgezeichneter Sportsmann war. Erstaunlicherweise wurde er nicht nur von den reizenden Damen bewundert, die seine Gunst suchten, sondern auch von den Mitgliedern seines eigenen Geschlechtes.

Er gehörte den besten Clubs an, hatte sich bei Duellen mit dem Degen und der Pistole hervorgetan und war mit Abstand der beste Amateurreiter, der je seine eigenen Pferde durchs Ziel gebracht hatte. Und bei alldem spielte er eine bedeutende Rolle im Oberhaus, wo seine Meinung von jedem Politiker geschätzt wurde.

Der Prinz von Wales fand in ihm einen unentbehrlichen Ratgeber, wenn es sich um Kunstwerke handelte.

Die Vorliebe des Prinzen für Gemälde alter Meister und Stilmöbel versorgte die Karikaturisten mit endloser Munition gegen ihn. Seine enormen Schulden brachten das Parlament und die Bevölkerung auf, während die Kostbarkeiten, für die er solche Summen ausgab, den Neid jedes Sammlers erregten.

 Carlton House konnte mit seinen Bildern, Spiegeln, Bronzefiguren, Sevres-Porzellan und Gobelins den Vergleich mit Versailles und selbst dem Zarenschloß in St. Petersburg aushalten.

Der Prinz durchstöberte Woche für Woche die Londoner Antiquitätenläden und kaufte neue Schätze, mit denen er Carlton House schmückte.

Obwohl zwölf Jahre älter als der Marquis, bezeichnete er ihn als einen seiner engsten Freunde. Die meisten Männer seiner Umgebung zeigten wenig Interesse für sein kostspieliges, aber befriedigendes Hobby oder heuchelten Begeisterung für etwas, wovon sie nichts verstanden, was auf den Marquis nicht zutraf.

In jeder anderen Beziehung unterschieden sich die beiden Männer voneinander. Beide hatten ursprünglich sehr gut ausgesehen, doch während der Prinz durch sein ausschweifendes Leben ständig an Gewicht zulegte, was seiner äußeren Erscheinung nicht guttat, wurde der Marquis höchstens noch schlanker, was seine hohen Backenknochen und das kräftige Kinn betonte.

Die Frauen bezeichneten sein Gesicht als das eines Freibeuters, ein Vergleich, zu dem sein Benehmen ihnen gegenüber geradezu herausforderte.

Während der Prinz sich vom Leben treiben ließ, hatte der Marquis ganz klare Vorstellungen davon, was er von der Zukunft erwartete. Vor allem in einer Beziehung hatte er einen festen Vorsatz gefaßt, nämlich erst dann zu heiraten, wenn es ihm in seine Pläne paßte.

Er war sich wohl bewußt, daß ein Mann mit seinem historischen Namen, seinem riesigen Vermögen und seiner gesellschaftlichen Stellung einen Erben haben mußte. Und obwohl er darüber noch zu niemand ein Wort verloren hatte, hatte er bereits eine Braut im Auge, die Tochter des Herzogs von Tealby, dessen Ländereien an die seinen angrenzten. Lady Adelaide Wilmott war der Typ Frau, den der Marquis am Kopfende seiner Tafel sehen wollte. Sie war ruhig und wohlerzogen, und obwohl keine blendende Schönheit, doch von angenehmem Äußeren. Mit ihren aristokratischen Zügen und der stolzen Haltung würde sie den berühmten Ruckford-Familienschmuck mit Würde tragen.

Zur Zeit war Lady Adelaide Hofdame der Königin, was nach Ansicht des Marquis eine gute Übung für das Leben bedeutete, das sie an seiner Seite führen würde.

Daß sie schon vierundzwanzig Jahre alt war, kümmerte ihn wenig. Junge Mädchen langweilten ihn zu Tode, und daß Lady Adelaide länger als die meisten ihrer Geschlechtsgenossinnen unverheiratet geblieben war, erschien ihm wie eine Garantie dafür, daß sie um so mehr gemeinsame Interessen hatten.

Im übrigen genoß er sein Leben, benahm sich aber ungleich dem Prinzen bei seinen Liebesaffären diskret und zurückhaltend, was ihn in den Augen der Damen der eleganten Welt nur zu einem noch erstrebenswerteren Liebhaber machte.

Es wurden zwar ständig Vermutungen darüber angestellt, wen der Marquis liebte, aber es war schwer, diese Vermutungen bestätigt zu erhalten.

Abgesehen von den Abenteuern mit Frauen seiner eigenen Klasse hielt der Marquis eine Mätresse aus. Mariabelle Kerrin hatte als Polly Peachum in der Bettleroper Triumphe gefeiert. Als der Marquis sie auf der Bühne sah, erwachte sein Interesse, und er suchte sie nach der Vorstellung in ihrer Garderobe auf. Mariabelle erwies sich nicht nur im Bett als reizende Geliebte, sie besaß auch einen kecken Witz, der den Marquis amüsierte.

Zunächst war sie, wie nicht anders zu erwarten, unersättlich in ihren Wünschen, dann wurden ihre Forderungen geringer, und er konnte sich des unbehaglichen Gefühls nicht erwehren, daß sie sich ernsthaft in ihn verliebt hatte.

Sobald eine Frau Besitzansprüche anmeldete oder sich gar an ihn klammerte, fühlte er sich eingeengt und tat alles, um seine Fesseln zu durchschneiden. Diese unvermeidliche Entwicklung hatte noch jede seiner Liebesaffären genommen, und der Marquis fragte sich oft, ob je der Tag kommen würde, wo er der Jäger und nicht der Gejagte war, was er für ziemlich unwahrscheinlich hielt.

Nach Beendigung seiner Toilette schlüpfte er in ein Nachthemd aus chinesischer Seide, das in der Bond Street speziell für ihn angefertigt worden war, und zog einen bodenlangen Morgenmantel aus Brokat darüber, den er mit einer Seidenschärpe um die schlanke Taille befestigte.

„Haben Sie noch irgendwelche Wünsche, Mylord?“

„Nein, danke, Jarvis. Ich möchte morgen früh um acht Uhr geweckt werden, damit ich so bald wie möglich wieder in London bin.“

„Wenn der Verkehr nicht zu dicht ist, dürften Eure Lordschaft einen neuen Rekord aufstellen“, sagte der Kammerdiener bewundernd.

„Das wäre ohne Zweifel befriedigend“, gab der Marquis zu. „Lord Derwent prahlt schon seit Jahren, auf dieser Route den Rekord zu halten.“

„Ich bin sicher, daß er sich dessen nicht mehr lange rühmen kann, Mylord“, erwiderte Jarvis.

Er sah sich noch einmal im Schlafzimmer um, ob alles in Ordnung war, konnte aber keinen Fehler entdecken. Das Bett war mit den eigenen Laken des Marquis überzogen, die Decken aus Lammwolle und Daunenkissen lagen an ihrem Platz.

Eine Matte mit dem Monogramm Seiner Lordschaft bedeckte den Boden, und auf dem Tisch stand eine Flasche Wasser, das aus einer Quelle von seinen Ländereien kam, die schon bei den alten Römern berühmt gewesen war, daneben ein Kristallglas mit seinen Initialen.

Der Kammerdiener nahm die abgelegten Kleidungsstücke seines Herrn über den Arm, beugte respektvoll den Kopf und ging hinaus auf den Korridor, wo er die Tür hinter sich ins Schloß zog.

Der Marquis griff nach der „Morning Post“ und wollte sich gerade in einen Lehnstuhl vor den Kamin setzen, als ihn ein kalter Luftzug vom Fenster her traf.

Er legte die Zeitung zur Seite und durchquerte mit großen Schritten den Raum. Rosengemusterte Chintz Vorhänge verbargen ein Rundbogenfenster, von dem man den Garten auf der Rückseite des Gasthauses überblicken konnte. Ein Flügel stand weit offen, den der Marquis schloß und verriegelte, wobei er sich vornahm, nicht zu vergessen, ihn vor dem Zubettgehen wieder zu öffnen.

Draußen hatten sich die Wolken verzogen, und die Sterne standen an einem klaren Himmel. Die Bäume beugten sich im Wind. Ein weiterer unwirtlicher Tag kündete sich an, der sein Tempo in Richtung London verlangsamen mochte.

Unten fiel durch die vorhanglosen Fenster goldenes Licht in den Garten. Schatten bewegten sich daran vorbei und wieder erklangen laute Stimmen. Er konnte nur hoffen, daß sie ihn nicht im Schlaf stören würden und kehrte zu seinem Platz am Kamin zurück.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür zum Korridor, und eine zierliche weißgekleidete Gestalt kam ins Zimmer, eine Frau. Sie zog die Tür hinter sich zu und drehte den Schlüssel im Schloß herum.

Einen Augenblick lang war er sprachlos, dann trat er resolut ein paar Schritte vor.

„Ich habe das Gefühl, daß Sie sich im Zimmer geirrt haben“, bemerkte er kühl.

Die Frau fuhr mit einem erschrockenen Ausruf herum und sah ihn an. Sie war sehr jung und sehr hübsch. Große, graugrüne Augen beherrschten ein herzförmiges Gesicht. In ihrem blaßgoldenen Haar, das bis über die Schultern fiel, zeigten sich rötliche Lichter.

 Einen Augenblick lang hatte sie offensichtlich Mühe, ihre Stimme wiederzufinden, dann sagte sie zögernd: „Bitte, entschuldigen Sie, aber ich dachte, das Zimmer wäre leer.“

Der Marquis wollte gerade antworten, als draußen auf dem Gang Schritte erklangen, denen lautes Klopfen folgte.

Mit dem Ausdruck des Entsetzens streckte sie die Hände aus und berührte ihn am Arm. „Bitte, verstecken Sie mich“, flüsterte sie so leise, daß er sie kaum verstehen konnte. „Ich werde Ihnen später alles erklären, nur — verstecken Sie mich.“

 Der Marquis hatte nicht den Wunsch, bei einem romantischen Drama mitzuwirken, wobei erschwerend hinzukam, daß das Mädchen nur ein dünnes Nachtgewand und einen weißen Schal darüber trug.

Er wollte schon sagen, daß er es zu seinem Bedauern ablehnen müsse, an etwas teilzuhaben, was nur eine private Angelegenheit zwischen ihr und der Person vor der Tür sein könne, als das Entsetzen in ihrem Gesicht und ihr hilfeflehender Blick ihn zögern ließ.

In diesem Augenblick wiederholte sich das laute und wie ihm schien impertinente Klopfen, worauf er einen Entschluß faßte.

Eine schnelle Handbewegung in Richtung der rosenbedruckten Vorhänge, hinter denen er gerade gestanden hatte, und sie rannte schnell und leise durch das Zimmer. Sekunden später hatte sie sich dahinter jeder Sicht entzogen.

Ohne jede Hast öffnete der Marquis die Tür. Auf dem Korridor stand ein gewisser Sir Julius Stone, den er schon von jeher verabscheut hatte. Die beiden Männer blickten sich schweigend an.

„Ruckford“, rief Sir Julius schließlich, „Sie habe ich hier allerdings nicht erwartet.“

„Ich war gerade im Begriff, zu Bett zu gehen“, erwiderte der Marquis eisig.

Julius Stone war Ende der Dreißig und gehörte nach Meinung des Marquis zu den übelbeleumundetsten und widerwärtigsten Burschen, die die Spielclubs von St. James frequentierten. Obwohl er aus einer guten, alten Familie stammte, verband sich mit seinem Namen der Inbegriff von Ausschweifung, Zügellosigkeit und Prahlerei, wie das für eine ganze Anzahl junger Adeliger am Ende dieses Jahrhunderts typisch war.

Der Marquis lehnte jede Verbindung mit einem solchen Mann ab, und obwohl sie sich gelegentlich in Carlton House oder einem der Spielclubs trafen, standen sie nur auf flüchtigem Grußfuß miteinander.

Nach einigen Sekunden brach Sir Julius das Schweigen, wobei er offensichtlich seine Worte sorgsam wählte.

„Ich habe soeben gesehen, daß jemand dieses Zimmer betrat, eine Frau.“

Der Marquis hob die Augenbrauen.

,,Da hat Ihnen das spärliche Licht auf dem Gang einen Streich gespielt. Sie können nur meinen Kammerdiener meinen. Gute Nacht, Stone.“

Er wollte gerade die Tür schließen, als Sir Julius eine Schulter dazwischenschob.

„Einen Augenblick noch, Ruckford“, sagte er. „Auf meine eigenen Augen kann ich mich verlassen. Ich sah eine Frau hier eintreten, die mir gehört.“

„Zweifeln Sie etwa meine Worte an?“ fragte der Marquis.

 Obwohl er die Stimme nicht erhoben hatte, bewirkte sein Ton, daß Sir Julius einen Schritt zurücktrat.

„Ich war mir meiner Sache völlig sicher“, murmelte er.

„Gute Nacht, Stone“, wiederholte der Marquis, zog die Tür zu und verschloß sie von innen.

Sekunden später teilten sich die Vorhänge, und das Mädchen schlüpfte heraus.

Ein paar Augenblicke vergingen, bis der Marquis vernahm, daß sich die Schritte Sir Julius Stones wiederwillig entfernten. Erst als alles ruhig war, verließ er seinen Posten hinter der Tür.

„Ist er weg?“ fragte eine weiche Stimme.

„Ich denke schon, er könnte aber zurückkommen. Sie sollten daher vorsichtig sein.“

„Ich danke Ihnen mehr als ich sagen kann“, sagte die atemlose kleine Stimme.

„Kommen Sie näher zum Feuer“, schlug er vor. „Wenn Sie Ihrem lästigen Verehrer nicht noch einmal begegnen wollen, müssen Sie noch etwas warten, bevor Sie in Ihr Zimmer zurückkehren.“

„Das kann ich nicht“, rief das Mädchen entsetzt.

Mit einer Handbewegung bedeutete er ihr, auf einem Sessel gegenüber Platz zu nehmen. Sie sank auf die Kante und zog nervös den Schal über ihrer Brust zusammen, als ob ihr jetzt erst klargeworden wäre, wie wenig sie anhatte.

 Als sie den Blick hob, wirkte sie so jung und schutzlos, daß er ihr das Lächeln schenkte, das viele Frauen an ihm unwiderstehlich fanden.

„Wollen Sie mir nicht erzählen, wie Sie in diese Lage geraten sind?“ fragte er.

„Wenn ich das nur selbst wüßte.“ Da er jedoch offenbar auf eine Antwort wartete, begann sie zu sprechen. „Ich bin heute abend in der Postkutsche zusammen mit meiner Dienerin angekommen. Es war vorgesehen, daß die Passagiere hier übernachten sollten. Vorher wurde im Speisesaal ein Essen serviert.“

Der Marquis war nicht besonders an ihren Worten interessiert, sondern lauschte vor allem auf den Klang ihrer weichen, musikalischen Stimme. Inzwischen fand er sie noch reizender, als sie ihm auf den ersten Blick erschienen war.

Im Licht des Feuers wirkte die Farbe ihres Haares wie auf den Bildern früher Renaissanceschönheiten. Er glaubte, noch nie so große Augen gesehen zu haben. Sie hatte eine schmale, gerade Nase, und ihre schön geschwungenen Lippen waren von dem sanften Rot einer erblühenden Rose.

„Wie heißen Sie?“ fiel er ihr ins Wort.

„Vanessa Lens“, erwiderte sie.

„Ich bin der Marquis von Ruckford.“ Da er das Gefühl hatte, daß sich ihre Augen ein wenig weiteten, fügte er hinzu: „Vielleicht haben Sie schon von mir gehört.“

„Aber ja, ich habe gehört, daß Sie einige sehr schöne Bilder besitzen.“

Das war mit Sicherheit nicht die Antwort, die er erwartet hatte.

„Interessieren Sie sich denn für Bilder?“ fragte er.

„Mein Vater ist Miniaturenmaler.“

Er dachte einen Augenblick nach.

„Ich weiß von einem Bernard Lens“, sagte er. „Das kann aber nicht Ihr Vater sein, er lebte vor zu langer Zeit.“

„Bernard Lens war mein Urgroßvater.“

„Wie interessant“, rief der Marquis. „Wenn ich recht informiert bin, war er der erste englische Künstler, der auf Elfenbein malte.“

Vanessas Gesicht leuchtete.

„Wie schön, daß Sie von ihm gehört haben. Seine Arbeiten waren unvergleichlich, wie übrigens auch die meines Vaters.“

„Hoffentlich habe ich das Vergnügen, einige davon zu sehen.“

„Das hoffe ich auch“, erwiderte Vanessa.

Plötzlich schien ihr ihre unkonventionelle Situation zum Bewußtsein zu kommen, und sie setzte nervös hinzu: „Glauben Sie, daß es jetzt draußen für mich sicher ist?“

 „Haben Sie nicht gesagt, daß Sie nicht in Ihr Zimmer zurückkehren wollen?“

„Das stimmt, aber ich könnte zu Dorcas, meiner Dienerin, hinaufgehen. Bei ihr wäre ich bis zum Morgen sicher, wenigstens hoffe ich das.“

Ihre zweifelnde Stimme veranlaßte ihn zu der Bemerkung, daß sie ihre Geschichte noch nicht zu Ende erzählt habe.

„Wollen Sie nicht fortfahren?“ bat er.

„Ja, natürlich, schon damit Sie verstehen, was geschehen ist.“ Sie zog ihren Schal ein wenig fester um sich. „Wir hatten unser Mahl fast beendet, als dieser Mann, den Sie Stone nannten, in das Speisezimmer kam. Er tobte, weil der Wirt ihm keinen Privatsalon gegeben hatte, setzte sich aber schließlich und gab seine Bestellung in ausgesprochen rüdem Ton auf. Sein Tisch befand sich nicht weit von meinem Platz entfernt. Er starrte mich fortwährend an, was mir sehr peinlich war, dann sah ich, daß er einen Kellner rief.“

 „Wie ging es weiter?“ fragte der Marquis.

„Der Kellner kam und fragte, ob ich mit dem Herrn ein Glas Wein trinken wolle, was ich natürlich ablehnte. Dorcas und ich erhoben uns sofort, um unsere Zimmer aufzusuchen.“ Mit leicht zitternder Stimme sprach sie weiter: „Als wir das Speisezimmer verlassen wollten, blockierte der Mann uns den Weg.

,Ich glaube, wir haben uns schon einmal getroffen‘, sagte er. ,Sie würden mich sehr verletzen, wenn Sie meine Einladung ausschlügen.‘

,Ich bin sehr müde und wünsche schlafen zu gehen‘, erwiderte ich.

,Wie können Sie so ungefällig sein‘, beharrte er. ,Was ist schon dabei, wenn Sie ein Glas Wein mit mir trinken. Ich habe Ihnen viel zu sagen.‘

 ,Lassen Sie mich vorbei‘, fuhr ich ihn an. ,Meine Antwort kennen Sie bereits.‘

,Sie sind viel zu hübsch, um so ernsthaft und puritanisch zu sein‘, protestierte er.

„Da er mir im Weg stand, wußte ich nicht, was ich tun sollte“, fuhr Vanessa fort. „Glücklicherweise wollte ein anderes Mitglied unserer Gesellschaft gehen, was ihn zwang, zur Seite zu treten. Dorcas und ich liefen hinauf. Man hatte uns, wie allen anderen Insassen der Postkutsche, winzige Räume auf dem Dachboden angewiesen.“

 „Das ist so üblich, besonders wenn ein Gasthaus voll belegt ist“, meinte der Marquis lächelnd. „Erzählen Sie weiter.“

 „Da Dorcas sich nicht wohl fühlte, half ich ihr ins Bett, bevor ich mein eigenes Zimmer aufsuchte. Sie ist schon alt und hat mich nur begleitet, weil sonst niemand da war und ich die Reise nicht allein unternehmen konnte.“

 „Natürlich nicht“, stimmte er zu.

Im flackernden Licht des Feuers wirkte sie so bezaubernd, daß es ihn nicht wunderte, daß sie Stones Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.

„Ich traf gerade Anstalten, mich auszuziehen, als es an meine Tür klopfte“, erzählte das Mädchen weiter. „Zu meinem Erstaunen war es der Wirt.“

Der Marquis hob die Augenbrauen, ohne etwas zu äußern.

„Als ich ihn nach seinem Begehren fragte, erging er sich in Entschuldigungen. Er habe mein Zimmer bereits vor Ankunft der Postkutsche anderweitig versprochen und es mir überlassen, als der Betreffende nicht auftauchte. Leider sei der Mann inzwischen doch noch angekommen, weshalb er mich bitten müsse, umzuziehen.“

 Vanessa blickte den Marquis verwirrt an.

„Jetzt erscheint es mir sehr töricht, aber ich wußte einfach nicht, was ich tun oder sagen sollte. Und während ich noch zögerte, ergriff der Wirt meine Reisetasche und die bereits ausgepackten Kleidungsstücke und ging die Treppe hinunter. Da blieb mir nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.“

„Wohin führte er Sie denn?“

„In ein Zimmer auf diesem Stockwerk, das weit besser eingerichtet war als mein voriges. Der Wirt stellte meine Sachen hin und verabschiedete sich mit den Worten: ,Sie werden selbstverständlich keine Extrakosten haben, Madame, und es im übrigen hier viel bequemer finden.‘

Er war kaum gegangen, als mir auch schon klarwurde, daß ich ihn hätte fragen müssen, warum er den verspäteten Gast nicht in diesem Zimmer untergebracht hatte. Leider arbeitete mein Verstand so langsam, daß mir das viel zu spät einfiel.“

„Was haben Sie getan?“

„Mir fiel nichts ein, was ich tun konnte. Ich verschloß die Tür, zog mich aus und wollte gerade ins Bett schlüpfen, als ich eine zweite Tür bemerkte. Als ich mich gerade vergewissern wollte, daß auch sie verschlossen war, hörte ich auf der anderen Seite eine Stimme.

,Vielen Dank, mein guter Mann.‘

Ich wußte, wer da sprach.“

„Zweifellos Sir Julius Stone!“

„Allerdings! Mit einem Schlag war mir klar, wer für den Wechsel meines Zimmers verantwortlich war.“

Sie holte tief Atem. In ihren Augen spiegelte sich das Entsetzen wider.

„Ich fragte mich verzweifelt, was ich tun konnte. Ein schneller Blick auf die Tür zeigte, daß auf meiner Seite der Schlüssel fehlte. Da merkte ich, was gespielt wurde. Ich rannte durch das Schlafzimmer und öffnete die Tür zum Korridor. Da ich einen Mann aus diesem Zimmer kommen sah, glaubte ich es leer zu finden und hoffte, mich hier einschließen zu können.“

„Das war sehr vernünftig gehandelt“, sagte der Marquis ruhig. „Nur ein Mann wie Stone kann sich so verachtenswert benehmen, ein mit einer alten Dienerin allein reisendes Mädchen zu belästigen.“ Als sie nichts sagte, fuhr er fort: „In neun von zehn Fällen wären Sie völlig sicher gewesen. War Ihre Reise denn so wichtig, daß Sie sie ohne entsprechende Begleitung unternommen haben?“

„Lord Derwent hatte meinen Vater gebeten, ihm sechs Miniaturen zu bringen, die er kürzlich für ihn restauriert hatte. Seine Lordschaft tat ferner kund, daß sich in seinem Hause noch weitere Kunstwerke befänden, über die er sich den Rat meines Vaters erbat.“

 „Konnte Ihr Vater die Wünsche Lord Derwents nicht selbst erfüllen?“

„Leider war das unmöglich“, erwiderte sie mit einer kleinen Handbewegung. „Er ist krank, sehr krank sogar. Daher wollte ich Lord Derwent die Miniaturen bringen und ihm bei dieser Gelegenheit sagen, welche anderen Miniaturen in seiner Sammlung einer Restaurierung bedürfen.“

„Sind Sie denn Expertin?“ fragte er nicht ohne leisen Spott.

„Ich helfe meinem Vater schon seit langem bei seiner Arbeit“, erwiderte sie würdevoll.

„Entschuldigen Sie, daß ich Ihre Fähigkeiten angezweifelt habe. Andererseits gleichen Sie selbst so sehr einer Miniatur, daß man sich schwer vorstellen kann, daß Sie Künstlerin sind - das heißt, vielleicht irre ich mich gerade in dieser Beziehung, und diese Art der Malerei fliegt Ihnen ganz natürlich zu.“

„Ich habe nicht behauptet, Miniaturenmalerin zu sein“, wurde er von Vanessa getadelt. „Auf jeden Fall besitze ich genügend Erfahrung auf diesem Gebiet, um zu wissen, wie man eine Miniatur behandelt, die verblaßt oder vom Klima angegriffen ist.“

„Sie waren also in der Lage, Lord Derwent zu beraten“, stellte er fest.

„Ich fand vier Miniaturen, die eine Behandlung nötig haben.“

„Hoffentlich war Seine Lordschaft Ihnen auch dankbar, daß Sie ihm seine Miniaturen gebracht und sich dabei persönlichen Gefahren ausgesetzt haben.“

„Das dürfte Lord Derwent wohl kaum bekümmern. Wenn man einem Eigentümer den vollendeten Auftrag persönlich abliefert, bezahlt er gewöhnlich seine Rechnung sofort.“ Mit einem scheuen Lächeln fügte sie hinzu: „Was sehr oft von denen vergessen wird, die nicht für ihren Unterhalt arbeiten müssen.“

„Das ist nur zu wahr“, stimmte er zu, wobei er an den enormen Schuldenberg dachte, den der Prinz von Wales bei Künstlern und Antiquitätenhändlern angesammelt hatte.

„Glauben Sie, daß es jetzt für mich sicher ist, nach oben zu gehen?“ fragte Vanessa nach kurzem Schweigen.