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Der attraktive Marquis von Aldridge, ein enger Freund des Kronprinzen von England und wohlhabender Junggeselle zieht sich auf seinen Landbesitz Ridge Castle in Essex zurück, um einer sehr besitzergreifenden Mätresse aus dem Weg zu gehen. Auf der Fahrt zu seinem Schloss rettet er die junge und schöne Idylla vor einer Gruppe von aufgebrachten Bauern, die sie als Hexe ertränken wollen. Der Marquis bringt die schwer verwundete Idylla auf sein Schloss, wo seine Amme sie gesund pflegt. Als Idylla wieder aus ihrer Ohnmacht erwacht, kann sie sich aber an nichts erinnern; außerdem versuchen zwei Eindringlinge sie nachts zu entführen. Kann der Marquis das Geheimnis um Idally's Vergangenheit lüften und herausfinden, wer sie wirklich ist? Wie ist sein Nachbar, der spielsüchtige Caspar Trydell, der nach dem Tode seines Vaters seinen Landbesitz verspielt in die ganze Angelegenheit verwickelt? Wird es dem Marquis möglich sein, Idylla von seiner Liebe zu "seiner Hexe" zu überzeugen…
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Seitenzahl: 208
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Der Marquis von Aldridge gähnte. Wenn es etwas gab, was ihn tödlich langweilte, dann war es der Besuch eines Freudenhauses. In all seinen Beziehungen zu Frauen, die seit vielen Jahren immer neuen Gesprächsstoff Tür die Londoner Gesellschaft boten, hatte er es niemals nötig gehabt, sein Vergnügen in einem Bordell zu suchen oder etwa für die Gunst jener Damen zu bezahlen.
Aber an diesem Abend hatte er die Einladung seines Gastgebers beim besten Willen nicht ausschlagen können. Dieser tat nämlich sein Bestes, dem Prince of Wales, dem Thronfolger, Zerstreuung zu bieten und ihn aus einer länger anhaltenden Depression herauszuholen. Der Prinz hatte aber auch allen Grund, deprimiert zu sein. Denn nicht nur seine Ehe hatte sich äußerst unglücklich entwickelt, sondern es bereitete ihm auch größte Schwierigkeiten, seine Liaison mit Lady Jersey zu beenden.
Sehr emotional und in Gefühlsdingen immer ein wenig übersteigert, hatte der Prinz voller Abneigung gegen seine Frau, Prinzessin Caroline, beschlossen, Trost und Seelenfrieden könne er nur finden, wenn er seine innigen Beziehungen zu Mrs. Fitzherbert wiederaufnähme.
Während vor dem Marquis auf der Bühne zwölf vielgepriesene schöne Nymphen das berühmte Fest der Venus auf Tahiti vorführten, war er mit seinen Gedanken nicht bei diesen Damen, sondern beim Kronprinzen, mit dem ihn eine aufrichtige und tiefe Zuneigung verband. Tatsächlich war er schon seit neun Jahren ein enger Freund des Thronfolgers.
Den Marquis wunderte es nicht, daß den Prinzen die voll erblühten Reize Lady Jerseys nicht länger zu fesseln vermochten. Je eher er sich also der Dame entledigte, desto besser: Aber Lady Jersey, eine äußerst resolute Person, war nicht gewillt, sich aus ihrer Stellung als königliche Favoritin hinausdrängen zu lassen. Mit einer Hartnäckigkeit, die gegen alle Verlockungen gefeit war, setzte sie sich dagegen zur Wehr.
In erster Linie war auch Lady Jersey schuld daran gewesen, daß die Ehe des Kronprinzen schon zum Scheitern verurteilt war, bevor sie eigentlich zustande kam. Der Kronprinz hatte sich nämlich bereits vor Eintreffen von Prinzessin Caroline zu Lady Jersey hingezogen gefühlt und ihr seine ganze Zuneigung geschenkt, die zuvor Mrs. Fitzherbert gehört hatte.
Wenn auch die Minister des Königs auf der Suche nach einer passenden Frau für den Thronfolger eine denkbar schlechte Wahl getroffen hatten, so hätte das Paar ohne Lady Jersey doch vielleicht eine Chance gehabt, in Freundschaft miteinander zu leben.
Wie konnte der Kronprinz auch so töricht sein, sich überhaupt in sie zu verlieben? fragte sich der Marquis. Durchaus nicht verwunderlich, daß Mrs. Fitzherbert von Anfang an eifersüchtig war, und das mit Recht.
Lady Jersey war jedoch entschlossen gewesen, den leichtsinnigen und für weibliche Reize äußerst empfänglichen jungen Mann zu erobern, und von diesem Moment an war sie für das nahezu idyllische Glück des Prinzen mit Mrs. Fitzherbert zu einer Bedrohung geworden. Sie hatte den Kronprinzen überall mit ihren Aufmerksamkeiten verfolgt, und dies nicht nur seiner Stellung wegen. Er war auch eine ausgesprochen gute Erscheinung, witzig, geistreich, belesen, und konnte, wie der Marquis wohl wußte, ein glänzender Unterhalter sein.
Lady Jersey selbst war eine anerkannte Schönheit, und viele Männer rühmten ihre unwiderstehliche, verführerische Faszination. Selbst Frauen hatten dem Marquis gegenüber geäußert, sie wäre zwar eine gerissene Person ohne Prinzipien, aber schön.
Die Tatsache, daß sie neun Jahre älter als der Prinz und bereits Großmutter war, bedeutete für ihn kein Hindernis, hatte er doch immer eine Schwäche für etwas ältere Frauen gehabt. Der Prinz, so leicht zu beeindrucken wie ein Schuljunge, war hingerissen von ihren Reizen, die sie mit der Routine einer ehrgeizigen, erfahrenen, sinnlichen und herzlosen Frau ins Spiel zu bringen wußte. Sie war bereits Anfang vierzig, doch er geriet völlig in ihren Bann und verliebte sich leidenschaftlich in sie.
„Wie kann er mich nur so behandeln?” hatte Mrs. Fitzherbert weinend gefragt, als sie dem Marquis von dem Brief berichtete, den der Prinz ihr zugeschickt hatte. Er hatte ihn offensichtlich unter Lady Jerseys Anleitung geschrieben und ihr mitgeteilt, er hätte nun anderswo ein neues Glück gefunden.
„Ich fürchte, Madam”, erwiderte der Marquis, „Lady Jersey ist schon seit einiger Zeit bemüht, seiner Königlichen Hoheit einzureden, daß die Verbindung mit Ihnen Unklug war. Ich habe gehört, wie sie behauptete, die Tatsache, daß Sie Katholikin sind, wäre der Hauptgrund für seine Unbeliebtheit.”
„Wie kann er nur solche Lügen glauben?” schluchzte Mrs. Fitzherbert.
„Sie hat ferner in meinem Beisein erklärt”, fuhr der Marquis fort, „daß es dem Prinzen keinerlei Schwierigkeiten bereitet hätte, seine finanziellen Angelegenheiten zufriedenstellend zu regeln, wenn Sie nicht gewesen wären.”
Mrs. Fitzherbert war darüber begreiflicherweise zornig geworden. Der Marquis wußte so gut wie sie, daß der Prinz das recht stattliche Vermögen ihres verstorbenen Mannes bis auf den letzten Penny ausgegeben hatte.
Der Marquis glaubte aber auch zu wissen, daß es dem Prinzen trotz aller Verführungskünste Lady Jerseys nicht leicht fiel, ohne Mrs. Fitzherbert zu leben. Tatsache war, daß er beide Frauen begehrte. Unglücklicherweise war Mrs. Fitzherbert jedoch, wenn auch manchmal sanftmütig eine unbeherrschte Frau, und so kam es Lady Jerseys wegen immer häufiger zu Auseinandersetzungen.
Schließlich hatte der Prinz vor fünf Jahren jede Verbindung zu Mrs. Fitzherbert abgebrochen und dem König erklärt, wenn seine Schulden bezahlt würden, wäre er bereit, die Möglichkeit einer Heirat ins Auge zu fassen.
Von diesem Zeitpunkt an, meinte der Marquis, war aber alles schiefgegangen.
Die Freunde des Prinzen hatten gehofft, er würde dank seiner Heirat endlich schuldenfrei sein. Doch da ihn die ungeheure Summe von 630 000 Pfund belastete, erwies sich dies als Illusion. Sie hatten weiter gehofft, er würde nun mit Lady Jersey brechen. Stattdessen war er mehr denn je mit ihr zusammen und mietete ihr sogar ein Haus, das direkt neben dem königlichen Carlton House lag.
Der Marquis war so, intensiv mit der Vergangenheit beschäftigt, daß er gar nicht bemerkt hatte, wie weit das ,Fest der Venus‘ inzwischen fortgeschritten war. Die zwölf anmutigen jungen Damen, alle - wie den Anwesenden versichert worden war - ,makellose Jungfrauen‘, gaben ihre Darbietung unter Führung von Mrs. Hayes persönlich zum Besten. Diese Dame hatte die Rolle der Königin Oberea übernommen.
Charlotte Hayes führte schon seit vielen Jahren das glänzend florierende Etablissement ,The Cloisters‘, das sich am King’s Place an der Pall Mall befand. Sie wurde jedoch allmählich älter, und der Marquis vermutete, sie würde sich wie ihre Vorgängerinnen bald vom Geschäft zurückziehen, da sie ein großes Vermögen angesammelt hatte.
In der Tat war es ihr zu verdanken, daß sich das Niveau der öffentlichen Häuser in London erheblich gebessert hatte.
Als der Marquis an diesem Abend seinen Blick in die Runde der Gäste schweifen ließ, war er sicher, daß man selbst in einem Salon der feinen Gesellschaft keine distinguierteren Gäste antreffen würde als hier.
Dreiundzwanzig Herren des Adels waren zugegen, unter ihnen der Kronprinz und fünf weitere Gäste, Mitglieder des Unterhauses. Die Speisen waren von köstlicher Erlesenheit, die Weine hervorragend ausgewählt. Natürlich mußte das alles bezahlt werden, doch es war offensichtlich, daß Mrs. Hayes daran lag, die Herren voll auf ihre Kosten kommen zu lassen.
Die jungen Damen, die die Gäste mit ihren Vorführungen unterhielten, waren zweifellos alle sehr attraktiv, doch die anderen Frauen, die Mrs. Hayes als ,Mitgastgeberinnen‘ vorstellte, hatten bereits längere ,Berufserfahrungen‘ und sahen besonders verführerisch aus.
Die Tischdame des Marquis war eine junge Frau namens Yvette, die sich, da das als patriotisch galt, als Belgierin vorstellte. Der Marquis nahm aber an, daß sie in Frankreich geboren war. Sie besaß sehr viel Witz und hatte eine recht verführerische Art, den Mann ihrer Wahl unter dem Schleier ihrer Wimpern anzublicken. Dies war jedoch ein alter Trick, dem Marquis nur zu vertraut, und er fand es lästig, daß ihre kleinen Hände ihn ständig liebkosten.
„Sie sind sehr schweigsam, Mylord,“ bemerkte Yvette und verzog schmollend die roten Lippen.
Einen jüngeren Mann hätte das vielleicht gereizt, den Marquis veranlaßte es jedoch nur, ein Gähnen zu unterdrücken.
„Scharaden jeder Art finde ich äußerst ermüdend,“ erwiderte er.
Yvette rückte ein wenig näher an ihn heran.
„Vous venez avec moi, mon cher? Wo wir allein sein können? Bei mir finden Sie viel bessere Unterhaltung als hier. Die Tafel wird sowieso gleich aufgehoben. Tout de suite.“
Das tahitische Fest neigte sich tatsächlich seinem Ende zu.
Die Gäste, die zu viel gegessen und offensichtlich dem Alkohol stark zugesprochen hatten, räkelten sich jetzt auf den Sofas und tändelten mit ihren Tischdamen und den spärlich bekleideten Darstellerinnen. Auch der Kronprinz schien voll des süßen Weins und hatte offenbar für den Augenblick all seine Sorgen vergessen.
Ein Gutes hat dieser Abend jedenfalls, überlegte der Marquis. Hierher kann Lady Jersey dem Kronprinzen nicht folgen. Dann fiel ihm plötzlich ein, daß er selbst in einer ähnlich unangenehmen Lage war wie der Prinz. Denn auch Lady Brampton wollte sich partout nicht abschütteln lassen.
Wie kommt es nur, daß Frauen nie begreifen wollen, wenn eine Beziehung beendet ist? fragte er sich wütend.
„Was sagten Sie soeben, Mylord?” erkundigte sich Yvette und schmiegte sich noch näher an ihn. Ihre roten Lippen waren seinem Gesicht sehr nahe, als sie flüsterte: „Kommen Sie, wir machen es uns schön, mon cher. Sie sollen alles vergessen außer Yvette. Ich mache Sie glücklich, oui?”
Der Marquis schob sie von sich weg und stand auf.
„Es tut mir leid, aber ich fühle mich plötzlich gar nicht wohl. Bitte entschuldigen Sie mich bei Mrs. Hayes und sagen Sie ihr, daß ich sie zu diesem ungewöhnlichen und anregenden Abend, den sie uns bereitet hat, beglückwünsche.”
„Mais non, non Mylord!” protestierte Yvette.
Doch sie verstummte, als der Marquis ihr eine hohe Banknote in die Hand drückte.
Hastig, um nicht noch einmal aufgehalten zu werden, eilte der Marquis aus dem Saal, durchquerte das Foyer und war schon draußen am King’s Place, bevor man sein Verschwinden bemerkte. Sein Wagen erwartete ihn, und er ließ sich erleichtert in die weichen Polster fallen. Ein Lakai in der Livree des Hauses Aldridge legte ihm eine leichte Decke über die Knie und wartete auf seine Befehle;
„Nach Hause!” sagte der Marquis kurz.
Die Tür wurde zugeschlagen, die Pferde zogen an, trappelten die Steigung von St. James’s Piccadilly hinauf und dann die Berkeley Street hinunter zum Berkeley Square.
Aldridge House, prächtig anzusehen von außen und noch prunkvoller von innen, war vom Vater des Marquis umgebaut und modernisiert worden. Der alte Herr hatte sich diesen Umbauten so eifrig gewidmet, bis Aldridge House schließlich an Größe und Luxus dem königlichen Carlton House ähnelte.
Die Aldridges waren immer Kunstkenner gewesen, und die Schätze, die sie im Lauf der Jahrhunderte zusammengetragen hatten, bildeten eine Sammlung von hohem Wert. Nur wenige große Familien Englands konnten sich mit ähnlichen Kollektionen schmücken.
Der Marquis war sich jedoch nur seines eigenen Überdrusses bewußt, als er das Foyer durchschritt, und hatte keinen Blick für seine Umgebung. Er betrat die Bibliothek, deren Fenster auf den Park hinter dem Haus hinausgingen. Dort hielt er sich gewöhnlich auf, wenn er ohne Gäste war.
Der Butler, der ihm geöffnet hatte, bemerkte respektvoll: „Auf Ihrem Schreibtisch liegt ein Brief, Euer Gnaden. Der Bote, der ihn gebracht hat, bat mich, Ihnen auszurichten, daß er dringend sei.”
Der Marquis antwortete nicht. Er sah auf den Brief hinunter. Ein Blick genügte schon. Die Handschrift verriet ihm, von wem er stammte.
„Zum Teufel! Warum kann mich diese Frau nicht in Ruhe lassen!”
Er machte keine Anstalten, den Brief zu öffnen. Statt dessen setzte er sich in einen Sessel und nahm geistesabwesend ein Glas Brandy, das der Butler ihm einschenkte. Leise, ohne ein weiteres Wort, ging der Angestellte aus dem Zimmer.
Der Marquis sah flüchtig auf das herrliche Gemälde von Rubens, das ihm gegenüber an der Wand hing. Nur wenige Bilder zierten den Raum, da die Wände größtenteils mit Bücherschränken ausgestaltet waren. Jedoch beeindruckten ihn die lebhaft glühenden Farben des Bildes ebenso wenig wie das allegorische Sujet selbst. Er hatte hingegen Nadine Brampton vor Augen, eine blonde, blauäugige Schönheit. Sie war hartnäckig und vom gleichen Schlag wie Lady Jersey. Es wurde nicht leicht sein, sie loszuwerden.
Obgleich sie erst sechsundzwanzig Jahre alt war, besaß sie doch schon das uralte Wissen der Eva, und der Adam, den sie in ihrem privaten Garten Eden einsperren wollte, war der Marquis. Mit siebzehn Jahren hatte sie einen Mann geheiratet, der wesentlich älter war als sie und zusehends verfiel. Er würde bald bettlägerig sein, doch Lady Brampton war jung und schön. Dazu auch wohlerzogen und reich. Sie hatte London im Sturm erobert.
Dabei wirkte sie zart wie ein Porzellanpüppchen, aber hinter dieser Fassade verbarg sich ein ungezügeltes Temperament. Ihre Liebhaber waren nicht zu zählen. So schnell, wie sie sich für einen Mann entflammte, ließ sie ihn auch wieder fallen, wenn sie seiner müde wurde.
So war es bis zu ihrer Begegnung mit dem Marquis gewesen. Da aber entwickelte sich aus einem zunächst unterhaltsamen Abenteuer, einer pikanten Episode, für Lady Brampton eine ,affaire de coeur‘, und sie verlor ihr Herz an den Marquis.
Der Marquis hingegen hatte das Gefühl, als wäre er gegen seinen Willen in einen gefährlichen Strudel hineingezogen worden. Nadine Brampton stellte ihm solange nach, bis selbst er, der es genoß, als Egoist und Egozentriker zu gelten, Schwierigkeiten hatte, ihrer zielbewußten Beharrlichkeit zu widerstehen.
Wenn der Kronprinz also mit Lady Jersey Probleme hatte, so waren seine eigenen mit Lady Brampton zweifellos genauso groß. Das ging so weit, daß er zum ersten Mal nicht mehr wußte, wie er eine Liaison beenden sollte, die ihm lästig und ärgerlich geworden war.
Lady Brampton bombardierte ihn mit Briefen, Geschenken und Einladungen. Sie suchte ihn zu den unmöglichsten Zeiten in seinem Haus auf, ohne Rücksicht darauf, daß sie damit die letzten kläglichen Reste ihres guten Rufs aufs Spiel setzte.
Irgendwie brachte sie es auch fertig, auf jeder Gesellschaft oder bei jeder Theateraufführung anwesend zu sein, die der Marquis besuchte. Wenn er im Park ausritt, tauchte sie unversehens auf und blieb dann hartnäckig an seiner Seite. War er im Carlton House, um dem Kronprinzen seine Aufwartung zu machen, was praktisch jeden Tag der Fall war, dauerte es gar nicht lange, bis auch Lady Brampton sich dort melden ließ und um eine Audienz bei Seiner Königlichen Hoheit bat. Da der Prinz ein gutmütiger Mensch war und gern hübsche Frauen sah, konnte ihn der Marquis nur mit größter Mühe dazu bringen, Nadine Brampton fortschicken zu lassen.
Nur heute war es ihr nicht gelungen, die Nähe des Marquis zu suchen, und dies hielt er für das einzige Erfreuliche an dem ganzen Abend bei Charlotte Hayes.
Der Marquis bezweifelte, daß die liebreizenden Venusjüngerinnen die düstere Stimmung des Kronprinzen für längere Zeit aufheitern würden. Vielmehr erwartete er schon am folgenden Tag wieder Klagen über Lady Jersey und flammende Beteuerungen des Prinzen, wie sehr er sich eine Aussöhnung mit Mrs. Fitzherbert wünsche.
Genauso wie der Kronprinz bemüht war, Lady Jersey zu meiden, war Mrs. Fitzherbert bestrebt, ihm aus dem Weg zu gehen. Im Augenblick zumindest lehnte sie es ab, die Möglichkeit einer Versöhnung auch nur in Erwägung zu ziehen.
„Ein Band, das zerrissen ist, kann nie wieder zusammengefügt werden”, hatte sie dem Marquis erklärt, als dieser, um dem Kronprinzen zu helfen, sie beschworen hatte, Seine Königliche Hoheit wenigstens anzuhören.
Der Marquis war nicht mit leeren Händen gekommen. Er hatte Präsente des Kronprinzen mitgebracht, darunter ein Medaillon und ein Armband, in das die Worte ,Wiedersehen oder Sterben‘ eingraviert waren. Mrs. Fitzherbert nahm die Geschenke an, lehnte jedoch ein Zusammentreffen mit dem Prince of Wales weiterhin ab.
„Ich werde wahnsinnig! Ich sterbe, wenn sie mich zurückweist!” rief der Prinz dramatisch. „Ach, mein Herz! Mein armes Herz!”
Der Kronprinz war so außer sich, daß der Marquis, wie viele andere seiner Freunde, fürchtete, er könnte tatsächlich ernstlich erkranken. Doch keiner von ihnen konnte wirklich helfen.
Unsere Situationen lassen sich natürlich nicht miteinander vergleichen, sagte sich der Marquis. Krankmachen lasse ich mich von Nadine Brampton bestimmt nicht. Aber es ist klar, daß ich endlich zu drastischen Maßnahmen greifen muß. So kann es nicht weitergehen. Er preßte ärgerlich seine Lippen zusammen bei dem Gedanken, daß er aufgrund ihrer Hartnäckigkeit noch zum Gespött der Leute werden könnte.
Der Marquis hatte schon die Herzen vieler Frauen gebrochen. Eigentlich, ohne es zu wollen. Er sah nicht nur blendend aus, sondern er legte auch der Liebe gegenüber eine Gleichgültigkeit an den Tag, die die Frauen förmlich herausforderte, ihn mit allen Mitteln erobern zu wollen.
Am Anfang war es stets das gleiche: jede Frau war dann überzeugt, daß gerade sie dort, wo ihre Geschlechtsgenossinnen kein Glück gehabt hatten, den Erfolg erringen würde. Er brauchte nur eine Frau anzusehen, und schon glaubte diese, seine ,große Liebe‘ zu werden. Unweigerlich würde sie aber nach bestürzend kurzer Zeit feststellen, daß sie sich geirrt hatte.
*
Der Marquis machte großzügige Geschenke. Seine Komplimente waren geschliffener und zweifellos intelligenter als die anderer Männer seines Standes, und er war ein erfahrener und einfühlsamer Liebhaber. Ausnahmslos alle Frauen, denen er seine Gunst geschenkt hatte, waren bereit, das zu bezeugen.
Doch das war auch alles. Keiner Frau war es bisher gelungen, die innere Zitadelle, nämlich sein Herz, zu erobern. Keine Frau konnte nach einer Liebesnacht mit ihm sicher sein, mehr als seinen Körper geliebt zu haben.
„Du bist unmenschlich!” hatte eine bezaubernde junge Frau einmal zu ihm gesagt. „Hältst du dich für einen Gott, der gönnerhaft seinen Untergebenen Gunst schenkt? Wie sonst könntest du so unnahbar sein?”
Der Marquis hatte ihren Zorn mit Küssen beschwichtigt, doch als er gegangen war, hatte sie verzweifelt geahnt, daß sie ihn wahrscheinlich nie wiedersehen würde.
„Wirklich, Oswin”, hatte der engste Freund des Marquis, Hauptmann George Summers, einmal erklärt, „wenn du deine Pferde so häufig wechseln würdest wie deine Frauen, dann gäbe es bald im ganzen Land keine Vollblüter mehr.” Der Marquis hatte gelacht. Hauptmann Summers hatte mit ihm zusammen bei der Armee gedient. Gemeinsam hatten sie die Härten des Krieges durchgestanden, und dadurch hatte sich zwischen ihnen eine Vertraulichkeit entwickelt, die der Marquis sonst keinem anderen Menschen zugestand.
„Frauen sind entbehrlich”, versetzte er. „Und das ist der Grund, George, weshalb ich nie heiraten werde.”
„Aber du mußt heiraten!” widersprach Hauptmann Summers. „Mein lieber Oswin, das wird von einem Marquis erwartet. Du mußt Erben in die Welt setzen.”
„Ich habe genug höchst achtbare Vettern, die alle hervorragend geeignet sind, meinen Platz einzunehmen. Sie würden ohne Schwierigkeiten die Verpflichtungen des Titels tragen.”
„Es ist völlig unsinnig von dir, dich in deinem Alter in einer so wichtigen Frage festzulegen”, meinte Hauptmann Summers. „Außerdem solltest du langsam daran denken, etwas häuslicher zu werden. Du kannst doch nicht den Rest deines Lebens damit verbringen, die königlichen Tränen zu stillen und Nacht für Nacht in einem anderen Bett zu schlafen.”
„Da hast du wirklich recht”, erwiderte der Marquis. „Ich bin es überdrüssig, knarrende Treppen hinaufzuschleichen und auf Zehenspitzen durch schlecht beleuchtete Gänge zu tasten. Ich werde mich auf Besuche in dem hübschen Haus beschränken, das ich in Chelsea gekauft habe. Es liegt übrigens ganz zweckmäßig direkt in der Nähe des Chelsea Krankenhauses.”
„Du gefällst dir wohl in der Rolle eines Charles II.?” erkundigte sich Hauptmann Summers mit einem Lächeln. „Du hast aber auch tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm. Nach allem, was über ihn berichtet wird, hat Charles stets die hübscheste Frau bei Hof für sich erobert, um dann ein neues Gesicht sehr schnell einem altvertrauten vorzuziehen.”
„Bis er sich tief in die Beziehung zu Barbara Castlemaine verstrickte.”
Hauptmann Summers betrachtete den Marquis verständnisvoll.
„Lady Brampton führt übrigens große Reden”, sagte er. „Weißt du auch, daß Seine Lordschaft im Sterben liegt? Es heißt, er hat keine zwei Monate mehr zu leben. Und dann, Oswin, wird sie dich zum Altar führen.”
„Keine Rede davon!” versetzte der Marquis grimmig. „Ich habe dir bereits erklärt, George, daß ich nicht die geringste Absicht habe, mich zu verheiraten, und schon gar nicht mit Nadine Brampton,”
„Aber mit der Aldridge Tiara auf dem blonden Haar würde sie atemberaubend schön aussehen.”
„Das kann schon sein”, stimmte der Marquis zu. Doch während er sprach, dachte er mit Entsetzen an Lady Bramptons Besitzgier. „Zum Teufel, George! Mir bleibt also nichts anderes übrig, als zu verschwinden. Ich hätte tatsächlich Lust, zu meinem Regiment zurückzukehren und gegen Bonaparte zu kämpfen.”
„Da würde man dich nicht willkommen heißen”, bemerkte George Summers.
„Wieso nicht, zum Teufel? Ich war ein guter Soldat, wie du wohl weißt”
„Das bestreite ich ja auch gar nicht, aber Aristokraten sind an der Front nicht gefragt, und ich kann mir nicht vorstellen, daß es dich befriedigen würde, den ganzen lieben Tag nur in der Wellington Kaserne auf und abzumarschieren.”
Der Marquis erwiderte nichts.
„Wenn du gefangen genommen werden solltest”, fuhr Hauptmann Summers fort, „wäre das ein Triumph für Bonaparte, den er gründlich ausschlachten würde. Glaub’ mir, Oswin, wenn du wieder aktiv werden solltest, würde man dich nicht nach Übersee schicken.”
Jetzt erinnerte sich der Marquis an dieses Gespräch und wußte, daß sein Freund in allem recht hatte. Und er hatte auch den Nagel auf den Kopf getroffen, als er gesagt hatte, der Marquis könnte nicht ewig in London bleiben und das Kindermädchen für den Kronprinzen spielen.
Ich fahre aufs Land, beschloß er daher.
Er stand auf, um dem Butler zu läuten. Dann jedoch zögerte er. Wenn er nach Hertforshire reiste, auf den Stammsitz der Aldriges, war damit zu rechnen, daß Nadjne Brampton ihm folgte. Sie hatte das schon früher einmal getan. Völlig unerwartet war sie in eine kleine Gesellschaft hereingeplatzt, die er mit Sorgfalt ausgewählt hatte. Und es war ihm unmöglich gewesen, sie abzuweisen.
Der Marquis hatte das Gefühl, daß Nadine im Moment ein Skandal willkommen wäre. Sie wünschte das Gerede der Leute, und er war scharfsichtig genug zu erkennen, was sie damit bezweckte. Sie hoffte, auf diese Weise zu erreichen, daß er sie heiratete, sobald sie Witwe geworden war, um ihren stark angeschlagenen guten Ruf wiederherzustellen.
Zum Teufel! Mir geht es wie dem Fuchs, der kein Versteck findet! Dann aber kam ihm ein Einfall. Am Vortag hatte ihm Mr. Graham, sein Sekretär und Faktotum, ein Schreiben von einem seiner Gutsverwalter vorgelegt.
Die zahlreichen Güter des Marquis standen alle unter der Aufsicht von Verwaltern, die allmonatlich ausführliche Berichte über ihre Tätigkeit an Mr. Graham nach London zu schicken hatten. Der Sekretär unterbreitete dem Marquis diese Berichte nur dann, wenn zur Bearbeitung eines Problems dessen persönliche Weisungen erforderlich waren.
Dies war nun bei einem Bericht der Fall gewesen., der kürzlich von Ridge Castle eingetroffen war. Mr. Graham hatte den Marquis auf eine Passage des Schreibens hingewiesen, die folgendermaßen lautete:
,Seit dem Tod von Sir Harold Trydell hat es unter den ansässigen Bauern und Landarbeitern viel Unruhe gegeben. Sir Caspar, Erbe der Trydell-Ländereien, macht große Schwierigkeiten, weil er alte Traditionen auf eine Art und Weise umstößt, die nicht nur die Bauern, sondern auch die Arbeiter verärgert.
Ich habe den Eindruck, daß es möglicherweise zu Aufständen kommen wird, wenn das so weitergeht. Und darum möchte ich Seine Lordschaft bitten, mir Vollmacht zu geben, alles in meiner Macht stehende zu tun, um den wachsenden Zorn zu beschwichtigen. Vielleicht ließe sich das erreichen, wenn wir selbst eine größere Zahl Ansässiger in unsere Dienste nehmen und auf diese Weise die allgemeine Not lindern.‘
„Sir Harold Trydell ist also tot!” hatte der Marquis bemerkt, als er seinem Sekretär den Bericht zurückreichte.
„Er ist schon vor drei Monaten gestorben, Mylord. Ich habe es Ihnen damals berichtet, aber vielleicht haben Sie es überhört.”
„Ja, es ist mir in der Tat neu”, antwortete der Marquis. „Caspar Trydell habe ich nie gemocht. Es ist jammerschade, daß sein älterer Bruder damals ertrunken ist.”
„Ja, Mylord”, entgegnete der Sekretär. „Sie kannten wohl Mr. John.”
„Wir waren in unserer Kindheit befreundet, als er noch auf dem Schloß lebte. Er hätte die Ländereien gut verwalten können, aber man hat ihm nie eine Chance gegeben. Sir Harold war ein ungemein bigotter alter Mann und seinen Söhnen gegenüber ein Tyrann”, bemerkte der Marquis.
„Sir Caspar scheint einige Eigenarten seines Vaters geerbt zu haben.”
„Ganz sicher”, meinte der Marquis nachdenklich. „Ich bin Caspar Trydell ab und zu in London begegnet. Er verkehrt allerdings in anderen Kreisen als ich. Er scheint immer ein Lebemann gewesen zu sein.”
Nach einer Pause fuhr er fort: „Ich weiß, daß John Trydell mir erzählte, sein Bruder stecke ständig in Schulden. Aber ich nehme an, Sir Harold lebte wie eine Made im Speck, und sein einziger überlebender Sohn wird wohl alles geerbt haben, was er besaß.”
„Das stimmt”, bestätigte Mr. Graham. „Aber es wird Schwierigkeiten geben, Mylord, wenn er die Einheimischen verärgert. In Essex reagieren die Leute anders als in den übrigen Grafschaften. Die Gegend liegt ziemlich isoliert, und die Bauern scheinen mir beinahe noch mittelalterliche Ansichten zu haben.”
Der Marquis hielt Mr. Grahams Befürchtungen für übertrieben, doch jetzt erinnerte er sich dieses Gesprächs, und er kam dabei auf einen Gedanken.
Er würde Ridge Castle besuchen: Er war schon seit mehreren Jahren nicht mehr dort gewesen und dachte nur höchst selten an diesen Besitz mit dem alten Schloß, das auf einem Kap lag, auf der einen Seite vom Meer umspült, auf der anderen Seite von den Wassern des Blackwater River. Das Schloß lag in einer wilden, einsamen Landschaft, die er als Junge geliebt hatte.
Ich werde aufs Schloß fahren, nahm er sich vor. Und ich will Graham erklären, daß kein Mensch in London wissen darf, wo ich mich aufhalte. Damit bin ich für Nadine Brampton unauffindbar, und dem Prinzen werde ich persönlich ein paar erklärende Zeilen schreiben.