Die Hirntod-Falle - Richard Fuchs - E-Book

Die Hirntod-Falle E-Book

Richard Fuchs

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Beschreibung

»Ohne Frage sind in diesem Buch viele Dokumente zusammengetragen, die sonst schwer auf einen Blick zu finden sind. […] Das Buch von Richard Fuchs konfrontiert den Leser mit vielen Argumenten und Fakten, die ohne Zweifel bedacht werden müssen, wenn sich Vertrauen der Bevölkerung und der potentiellen SpenderInnen in einen transparenten und ›gerechten‹ Umgang mit den Wartelisten wieder einstellen soll. Solche Argumente zu kennen, ist für den Diskurs wichtig.« (Ein Professor der Universität Bremen zur 1. Auflage unter dem Titel, Organspende - Die Verschwiegene Wahrheit, emu-Verlag, Lahnstein 2012) - Wo findet man Rat, hinter dem man nicht irgendeine Lobbygruppe vermuten muss? Richard Fuchs ist diesen Fragen nachgegangen. Er hat den Mut, die Antworten der BÄK (Bundesärztekammer) zu hinterfragen und zum Teil zu widerlegen. In seinem Buch bleibt kaum eine Frage offen. Ich habe es mit großem Interesse und Respekt vor der hartnäckigen und gründlichen Recherche des Autors, bis zu Ende gelesen. Wer Hilfe sucht und klare Antworten nicht scheut, ist mit diesem Buch gut beraten.« (Zeitschrift der Telefonseelsorge Deutschland AUF DRAHT im April 2013) - Dr. Christina Krumreich, eine Leserin, schrieb: »Sehr geehrter Herr Fuchs, Ihr Buch ›Organspende - Die verschwiegene Wahrheit‹ las ich mit Gewinn und Respekt! Was mich am stärksten beeindruckte: Die breite und differenzierte Basis und Ihre behutsame und informative Interpretation. Ihr Mut ist ein Labsal. Ihnen gebührt Dank, Anerkennung und Erfolg. Ich werde Ihr Buch allen Betroffenen und Ärzten empfehlen.«

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DIE HIRNTOD-FALLE

Richard Fuchs

Tot oder lebendig?

DIE HIRNTOD-FALLE

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2017

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Webseiten kommen und gehen, und manchmal geschieht es, dass eine Information, die noch eben unter einer bestimmten Adresse im Internet zu finden war, plötzlich nicht mehr oder zumindest nicht mehr dort zu finden ist. Autor und Verlag haben die angegebenen Hyperlinks sorgfältig geprüft, können aber nicht dafür garantieren, dass diese Informationen so lange verfügbar sind, wie dieses Buch auf dem Markt sein wird.

ISBN 978-3-96145-501-0

Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Leipzig

2. ergänzte und überarbeitete Auflage des 2012 erschienen Buches »Organspende – Die verschwiegene Wahrheit«, emu-Verlag Lahnstein.

Titelbild: Surgeons team working with Monitoring of patient in surgical © satyrenko

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der Verbreitung in elektronischen Medien und der Übersetzung vorbehalten.

Alle Rechte beim Autor

www.engelsdorfer-verlag.de

INHALT

Vorwort

Organe lebendiger Personen als lebenswichtige Gesundheitsressource

„Survival Lottery“ – Überleben durch Recycling von Organen

Der unstillbare Bedarf an Ersatzorganen

Organentnahme nach aktiver Sterbehilfe

Organexplantationen von euthanasierten Patienten in Kanada – auch in den Niederlanden und Belgien

»New York Organ Donor Network« setzt Angehörige unter Druck

Mehr Organe durch Verzicht auf zweite Hirntod-Untersuchung

»Hirntod« – der Tod bei Bedarf

Wer zahlt, wenn der Hirntote weiterlebt?

Der Fall einer Falle

Ist die »Hirntod«-Diagnose schmerzhaft?

Hat der »hirntote« Patient noch Schmerzempfindung?

Hat der »hirntote« Patient vor der OP ein Recht auf Narkose?

Eine Operation mit planmäßig tödlichen Folgen

Endloses Bewusstsein, selbst wenn das Gehirn nicht mehr durchblutet ist

Eine kurze Geschichte der Un- und Halb-Wahrheiten

Die Geburt des »Hirntodes«

Wann ist der Mensch wirklich tot?

Hirnaktivität zehn Minuten nach Eintritt des klinischen Todes

Das Menschenbild der Bioethik

Die Bundesärztekammer und ihr Deutungsmonopol

USA – der lange Abschied vom Hirntod-Konzept

Deutscher Ethikrat: Forum Bioethik

»Organspende« 1997 als Unwort des Jahres nominiert

Ein Akt der Nächstenliebe?

Organspende von Minderjährigen ab 16

Sind Lebendorganspender Organempfänger von morgen?

Ist Deutschland vor Organhandel sicher?

EU ermittelt wegen Organhandel

Organhandel rund um den Globus

Vermeidbare Krankheiten, die Transplantationen erforderlich machen

Deutschland – eine kritische Bestandsaufnahme

Essen: Star der Leber- und Transplantationschirurgie saß in Haft

Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelte gegen Oberarzt

Betrug ohne Konsequenzen

Freispruch trotz »moralisch verwerflicher« Manipulation

Vertrauensschwund in der Öffentlichkeit und bei Ärzten

Was fordert die Richtlinie 2010/53/EU von nationalen Gesetzgebern?

Bioethisches Sonderangebot im Supermarkt

»Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes«. Was ist neu?

Wer schützt uns vor dem Datenschutzbeauftragten?

Andere Länder, andere Gesetze

Schweiz: Vollnarkose bei Organentnahme, ja oder nein?

Im Netz der Stiftungen und Organisationen

Prof. Dr. H. Lang: »Deregulierte Verantwortungslosigkeit«

Ein Geschlossenes System

DSO-Budget für das Jahr 2017

Eurotransplant International Foundation, Registrierung und Vermittlung

Budget für Eurotransplant - Registrierungspauschale

»Old-for-Old«, das Eurotransplant-Senioren-Programm (ESP)

Die Leber eines 95-Jährigen

Wirtschaftsfaktor Organtransplantation. Zahlen und Fakten

Ein guter Schnitt: Fallpauschalen für Organtransplantationen

Rund 1,6 Milliarden für Immunsuppressiva

Das professionelle Gespräch mit trauernden Angehörigen

Werbung, PR, Lobbying

Kirchenvertreter als Werbeträger im Dienste »postmortaler Organspenden«

Vorausverfügungen können Leid verhindern

Muster einer Patientenverfügung

Danke

Personenregister

Vita

VORWORT

Wer umfassende Informationen zu den umstrittenen Themen Hirntod und Organtransplantaition sucht, findet in dem vorliegende Buch Antworten, die von offizieller Seite der Öffentlichkeit gegenüber vorenthalten, verkürzt oder sogar irreführend offeriert werden. Dabei geht es um die Beantwortung lebenswichtiger Fragen wie:

• Ist der Hirntod wirklich der Tod des Menschen?

• Ist die Hirntod-Diagnose totsicher?

• Wie viele Fehldiagnosen gab es in der Vergangenheit?

• Darf eine Hirntod-Diagnose ohne informierte Zustimmung gestellt werden?

• Ist die Hirntod-Diagnose schmerzhaft?

• Leidet der Patient Schmerzen, wenn er zum Zweck einer Hirntoddiagnose schmerzmittelfrei sein muss?

• Dürfen Daten ohne Zustimmung des Patienten zu dessen Lasten weitergegeben werden?

• Werden damit die ärztliche Schweigepflicht und der Datenschutz verletzt?

• Wer zahlt, wenn ein als hirntot definierter Patient weiter intensivmedizinisch versorgt wird, obwohl er offiziell als tot gilt.

• Was kostet es, wenn Angehörige in der Hoffnung, der komatöse Patient werde wieder aufwachen, auf die Fortsetzung der intensivmedizinischen Behandlung bestehen? Das Buch schildert einen solchen Fall der einer Widwe teuer zu stehen kam.

Seriöse Informationen sind wichtig, bevor ein Organ-/Gewebespende-Ausweis unterschrieben und damit stillschweigend auch in eine Hirntod-Diagnostik eingewilligt wird. Im Falle eines unerwarteten »Hirntodes« ist es zu spät für eine informierte Zustimmung. Wenn aber seriös über alle Implikationen einer möglicherweise schmerzhaften Hirntod-Diagnostik und Organentnahme – Letztere mit oder ohne Narkose – aufgeklärt wird, steigt die Skepsis in der Öffentlichkeit. Ein ehemals prominenter Transplantationsmediziner, nach dessen Tod sogar eine Straße in Hannover genannt ist, gab dazu eine ehrliche Erklärung: »Wenn wir die Gesellschaft über die Organspende aufklären, bekommen wir keine Organe mehr.«1

Prof. Dr. jur. Wolfram Höfling, Universität Köln, stellt fest: »Ich glaube nicht, dass es den Anforderungen des Grundgesetzes entspricht, bei einem so heiklen Thema wie der Organspende, bei dem es um die Verteilung von Lebenschancen geht, demokratisch legitimierte Institutionen fast völlig außen vor zu lassen. Wenn die Leute wüssten, wer welche Regeln wie macht, dann würden sie es sich vielleicht nochmal überlegen, ob sie ihre Organe zur Verfügung stellen.«2 Jetzt räche es sich, dass die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) 1997 im Zuge des Transplantationsgesetzes ohne große Diskussion zur offiziellen Koordinierungsstelle ernannt worden sei, sagt Höfling: »Das war der Geburtsfehler des ganzen Systems.«

Das Transplantationsgesetz (TPG) von 1997, mit schweren Geburtsfehlern behaftet, installierte ein nicht leicht durchschaubares Transplantationssystem, das bis heute Kontrolldefizite aufweist, mit Akteuren einer privaten Stiftungen, einem nicht rechtsfähigen Verein, dem vom Gesetzgeber die Richtlinienkompetenz3 und die Deutungshoheit für die Todesdefinition übertragen wurde. Dieser Verein, die Bundesärztekammer (BÄK) – Arbeitsgemeinschaft der deutschen Ärztekammern e. V., ist nicht mehr als ein Lobbyist, der die Interessen seiner Zwangsmitglieder, nicht zuletzt auch deren kommerzielle Interessen vertritt. Neben weiteren 607 Verbänden und Organisation, wird die BÄK beim Präsidenten des Deutschen Bundestages auf der »öffentlichen Liste über Registrierung von Verbänden und deren Vertreter« geführt (Stand 28.07.2017). Dort heißt es: »Die Eintragung in die Liste begründet keinen Anspruch auf Anhörung oder Ausstellung eines Hausausweises.«4 Dennoch gibt es Querverbindungen zwischen Lobbyisten und Regierungsmitgliedern. Das zeigt schon die Liste über Nebeneinkünfte von Bundestagsabgeordneten, die durch ihre Aufsichtsratstätigkeit oder als Anwälte für Mandanten aus der Industrie Nebeneinkünfte erwirtschaften. Die Kontakte zwischen Abgeordneten des Bundestages zu Vereinen, Organisationen, Gewerbe oder Industrie sind zwar auch von Bedeutung. Wenn aber auch das TPG zum Vorteil einer Spartenmedizin unter starkem Druck von Lobbyisten zustande kam, geht es dabei um Verletzung elementarer Menschenrechte.

Auch nach in Krafttreten der Novelle des TPG bestehen die struktuellen Defizite weiter fort, wie auch die verfassungsrechtliche Verlustliste. Das Bundesverfassungsgericht schweigt zu den lebenswichtigen Fragen, die das TPG nicht beantwortet hat, obwohl verschiedene Verfassungsbeschwerden gegen das TPG Anlass dazu gegeben hätten.

Der Staatsrechtler Prof. Dr. Heinrich Lang spricht im Zusammenhang mit dieser Konstruktion von »deregulierter Verantwortungslosigkeit«5, weil der Gesetzgeber ein System installiert habe, »in dem sich Verantwortlichkeiten verflüchtigen«. Die Betrugsfälle in Göttingen und weiteren elf Fällen, wie in Regensburg, München und Leipzig oder auch vor wenigen Jahren in Essen, lassen darauf schließen, dass die handelnden Personen nicht damit rechnen mussten, entdeckt zu werden. Das spricht für ein Kontrolldefizit, möglicherweise auch für eine Dunkelziffer von noch unentdeckten Fällen. Staatsanwaltschaften ermittelten gegen Ärzte wegen vermuteter Manipulationen der Labordaten.

Ein Star der Leber- und Transplantationschirurgie, der wegen Bestechlichkeit in 30 Fällen sowie Nötigung, Betrug, Abrechnungsbestrug, Steuerhinterziehung zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, saß sogar im Gefängnis.

Die für die Organisation der Organtransplantation in Deutschland zuständige Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) musste sich 2011 einem Wirtschaftsprüfungsverfahren stellen. Ihr wurde u. a. Vetternwirtschaft bei der Verwendung von Geldern vorgeworfen. Nun lassen repräsentative Umfragen erkennen, dass ein deutlicher Vertrauensverlust gegenüber Medizinern droht und die Bereitschaft für die Organspende gesunken ist, »Das ist ein Niedergang, bedingt durch Misstrauen«, sagte sogar der damalige DSO-Vorstand Günter Kirste.6 Anlässlich einer Strategiesitzung der DSO am 11. November 2011 in Frankfurt hatten Ärzte und die DSO-Spitze noch darum gestritten, wie offen mit Gesetzesverstößen und angeblichem Organhandel umgegangen werden soll. Der neue DSO-Vorstand seit 2013, Axel Rahmel sagte, ich habe nicht damit gerechnet, dass das Tief so lange anhält«7.

Schließlich hat sich in Deutschland und auch international so viel ereignet, dass ein aktuelles Buch über diese Veränderungen notwendig wurde. Es beantwortet nicht zuletzt auch die Frage nach den kommerziellen Hintergründen dieser weitestgehend abgeschotteten Medizinsparte. Das aktuelle Buch soll ein Nachschlagewerk sein für Ärzte, Pflegepersonal, Sozialarbeiter, Theologen, Verantwortliche in Politik, Gesundheitswesen, in der Pädagogik, Erwachsenenbildung, für Journalisten und nicht zuletzt für alle, die vor der Frage stehen: »Soll ich einen Organ-/Gewebespende-Ausweis unterschreiben oder nicht?«

Richard FuchsDüsseldorf, November 2017

ORGANE LEBENDIGER PERSONEN ALS LEBENSWICHTIGE GESUNDHEITSRESSOURCE

Nach unserer Auffassung scheint es ganz natürlich, zu sagen, dass die Organe lebendiger Personen lebenswichtige Gesundheitsressourcen sind, die wie alle anderen lebenswichtigen Ressourcen gerecht verteilt werden müssen. Wir können uns daher gezwungen sehen, darauf zu bestehen, dass alte Menschen getötet werden, damit ihre Organe an jüngere, kritisch kranke Personen umverteilt werden können, die ohne diese Organe bald sterben müssten. Schließlich benutzen die alten Menschen lebenswichtige Ressourcen auf Kosten von bedürftigen jüngeren Menschen.8

Im Kielwasser der globalen bioethischen Debatte entstand die Bioethik-Konvention des Europarats (Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin). Sie erhielt 1999 Rechtskraft durch die Unterzeichner-Länder Slowakei, Slowenien, Griechenland, San Marino und schließlich von Dänemark als ausschlaggebendem Land. Kritisiert wurde nicht nur Artikel 17,2 (fremdnützige Forschung an nichteinwilligungsfähigen Menschen), sondern auch Artikel 20 (Entnahme regenerierbarer Organe und Gewebe vom selben Personenkreis). Dass Dänemark der Konvention zugestimmt hat, war kein Zufall. In Dänemark erfuhr bereits 1994 der Blick auf den Menschen als Material, über das disponiert werden kann, in der damaligen bioethischen Debatte eine weitere Eskalation. Peter Sandoe, Senior Research Fellow an der Universität Kopenhagen und Vorsitzender der Dänischen Tierethik-Kommission, wie Klemens Kappel, Mitglied der bioethischen Forschungsgruppe der Universität Kopenhagen, schrieben den oben zitierten beitrag in der Zeitschrift »Bioethics«.

„SURVIVAL LOTTERY“ – ÜBERLEBEN DURCH RECYCLING VON ORGANEN

Großbritannien verdanken wir die Einführung des Begriffs Utilitarismus. Der britische Jurist und Philosoph Jeremy Bentham, (1748 – 1832) veröffentlichte 1789 seine berühmt gewordene Schrift, „An Introduction to the Principles of Morals and Legislation“. Bentham gilt neben John Stuart Mill (1806 – 1873) als Urheber des klassischen Utilitarismus (Nützlichkeitslehre), nach dem es Ziel des Staates sein sollte, „für das Glück der größten Zahl“, zu sorgen. Dabei ist nicht auszuschließen, dass die Verwirklichung dieses Konzepts, dem „größten Glück für die größte Zahl“ zu Lasten von einzelnen Menschen geht. Der Utilitarismus Benthams übte großen Einfluss auf das Denken des 20. Jahrhunderts, insbesondere auf die nicht auf Religion fußende Sittlichkeitslehre. Kurz vor der Julirevolution fand z. B. unter den Kommunisten das Nützlichkeitsprinzip Benthams großen Anklang.

Ganz im Sinne der Nützlichkeitslehre entwarf der britische Medizinethiker John Harris 1975 sein Konzept „Survival Lottery“. In diesem Gedankenexperiment stimmt jeder seiner eigenen Tötung für den Fall zu, dass mit seinen Organen das Leben von mindestens zwei Menschen gerettet werden kann. Dieses Verfahren weist das Ergebnis auf, dass die Menschen im Durchschnitt länger leben, da im Bedarfsfall mit einem Leben mindestens zwei andere verlängert werden können. Wer sich in der Survival Lottery-Gesellschaft dem per Computer bestimmten Los seiner Tötung, die ja dem Fortleben von zwei anderen Menschen dienen soll, entzieht, den muss man, sagt Harris, folglich einen Mörder nennen. Diese Sichtweise scheint dem britischen Gesundheitsministerium nicht ganz fremd zu sein. Dort bezeichnet man die menschlichen Organe als „nationale Ressource“. Ein Spendenverweigerer bereichert sich demzufolge, negativ, am Volksvermögen. In Deutschland wird ebenfalls durch Termini wie „Gemeinschaftsaufgabe der Bevölkerung“ oder Versorgungsauftrag der Ärzteschaft“ suggeriert, Organspende sei sozialpflichtig. In Kanada, Belgien und den Niederlanden ist man dem von Harris erdachten Konzept mit der Vereinbarkeit von Euthanasie und Organspende bereits ein Stück näher gekommen.

DER UNSTILLBARE BEDARF AN ERSATZORGANEN

Wann immer in Medien, in der Werbung der Bundeszentrale für öffentliche Aufklärung (BZgA) im Auftrag des Bundesgesundheitsministerium, der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), in sogenannten Aufklärungs-Proschüren der gesetzlichen Krankenkassen für Organspende geworben wird oder am Tag der Organspende, heißt es unverdrossen: soundsoviel Menschen sind in einem Jahr auf der Warteliste gestorben – in Deutschland sollen es 2016 über 900 Patienten gewesen sein. Diese Sprachregelung soll an das schlechte Gewissen derjenigen appelieren, die noch keinen Organspende-Ausweis unterschrieben haben. In Wirklickeit handelt es sich aber dabei um Menschen, die als Folge ihrer Krankheit gestorben sind, nicht selten an Krankheiten, die selbst verursacht wurden, im schlimmsten Fall auch an iadrogenen Erkrankungen, also an ärztlichen Behandlungsfehlern. Krankeiten als Folge von Suchtmittelmissbrauch durch Alkohol, Nikotin, Tabletten, harten Drogen oder Zivilisationskrankheiten durch Zuckerkonsum, denaturierter, vitalstoffarmer Industriekost, werden in Zukunft weiter zunehmen und damit einen unstillbaren, immer weiter steigenden Bedarf an Ersatzorganen erzeugen. Ein Teil des Bedarfs ist den Re-Transplantationen geschuldet nach Abstoßung des transplantierten Ersatzorgans.

Jedes Jahr sterben laut Statistisches Bundesamt in Deutschland pro Jahr 110.000 Menschen infolge von Nikotinkonsum, davon 3.300 Passivraucher. Rauchen kann Ursache für Lungenkrebs, auch andere Krebsarten sein, für Atemwegserkrankungen oder Herz/Kreislauf-Beschwerden. Nikotintote führen bei den insgesamt rund 890.000 Sterbefällen in Deutschland die Statistik an, gefolgt von Todesfällen durch Alkoholkonsum mit fast 15.000 Todesfällen durch 7.812 Leberschädigungen pro Jahr und zwei Dutzend weiterer alkoholbedingter Todesursachen. Da die Daten durch Auswerten von Todesbescheinigungen erhoben werden, ist mit einer noch größeren Dunkelziffer zu rechnen. Eine Studie der Universität Greifswald aus dem jahr 2002 geht von 80.000 alkoholbedingten Todesfällen aus.

Laut Urteil des Bundesgerichtshofs Leipzig, muss nun ein Alkoholker nicht einmal trocken sein, um einen Anspruch auf eine frische Ersatzleber zu haben. Eine Wartezeit von einem halben Jahr Abstinenz sei wegen des verfassungsmäßigen Gleichheitsgrundsatzes verfassungswidrig – so die Richter.

Zucker pur oder in Süßgetränken und eine Unzahl von Nahrungsmitteln kann offiziell per Gerichtsbeschluss als Schadstoff bezeichnet werden. Auf das Konnto der neun Millionen an Diabetes in Deutschland erkrankten Menschen (davon 95 % an Diabetes Typ 2 (Altersdiabetes) gehen jährlich 24.000 Todesfälle. Diese ernährungsbedingte Volkskrankheit mit Übergewicht als Begleiterscheinung wird weiter zunehmen, wie auch der Tablettenmissbrauch. In Deutschland zählt man 2 Millionen Tablettensüchtige und 58.000 Todesfälle jahrlich bedingt durch Einnahme falscher Medikamente und deren Wechselwirkung. Die Folge sind Magen-Darm-Blutungen, Leberversagen, Nierenschäden Herzinfarkt. In machen Fällen könnte da ein Ersatzorgan helfen.

Was liegt da näher, als nach neuen Gruppen sogenannter »Organspender« zu fahnden, wie im Eingangskapitel oben bereits geschildert. Während des Gesetzgebungsverfahrens der Novelle des Transplantationsgesetzes (TPG) wurde von interessierten Kreisen z. B. eine gesetzlich geregelte Widerspruchslösung als eine Möglichkeit gefordert, um das Aufkommen an Ersatzorganen zu erhöhen. In Großbritannien nimmt man dagegen den Ganzhirntod nicht so genau und erhöht damit so die Zahl sogenannter Organspender.

ORGANENTNAHME NACH AKTIVER STERBEHILFE

Eine weiere Option zur Organgewinnung soll sein, Menschen zu bestimmen, deren entscheidende Teile ihres Gehirns intakt sind und die ohne technische Unterstützung atmen können. Sie würden solange als tot gelten, wie sie keine bewussten Gedanken mehr haben. Indem man die Definition des Todes ein wenig erweitert, hätten Transplantationsmediziner Zugang zu einem erheblich umfangreicheren Spender-Pool als derzeit und könnten zahllose Leben retten wie es immer wieder heißt.

Würden Praktiken anderer Länder nicht Gefahr laufen, Nachahmer im Medizinbetrieb auch in Deutschland zu finden, müsste man man folgenden Bericht aus Kanada nicht unbedingt zur Kenntnis nehmen. Schließlich ist das Hirntod-Konzept in Deutschland auch ein Import aus Übersee, damals made in USA.

ORGANEXPLANTATIONEN VON EUTHANASIERTEN PATIENTEN IN KANADA – AUCH IN DEN NIEDERLANDEN UND BELGIEN

Indem sie sich auf das neu eingeführte Gesetz berufen, haben Transplantationschirurgen in Kanada Dutzenden von Euthanasie-Patienten die Organe entnommen. Nach Angaben der »National Post« haben 26 Menschen, die durch eine tödliche Injektion starben, ihr Gewebe oder Organe gespendet. Dies bezog sich überwiegend auf die Hornhaut der Augen, die Haut, Herzklappen, Knochen und Sehnen.

Der Bericht der »National Post« bezog sich nur auf Ontario. Bioethiker, »Transplant Quebec« und ein Ethik-Komitee der Regierung von Quebec sprachen sich im letzten Jahr dafür aus, dass Euthanasie eine gute Quelle für Organgewinnung sein könne, daher ist es sehr wohl möglich, dass auch in dieser Provinz ähnliche Vorgehensweisen stattgefunden haben.

»Wenn wir es akzeptieren, dass Menschen selbst über ihr Lebensende entscheiden dürfen, und wenn wir den Herzstillstand als Voraussetzung für die Organspende akzeptieren, dann sollte dies akzeptabel sein«, sagte Dr. James Downar vom Verein »Dying with Dignity Canada« gegenüber der »National Post«, um Befürchtungen zuvorzukommen, dass auf Patienten Druck ausgeübt werden könnte, damit sie ihre Organe spenden.

Interessanterweise ist dies ein Thema, das in Diskussionen über Euthanasie nicht erörtert wurde, bevor der »Supreme Court« im Jahr 2015 Euthanasie legalisierte. Ein einflussreicher Bericht des »Royal Society of Canada Expert Panel« z. B. erwähnte es noch nicht einmal, und auch nicht die Entscheidung des Supreme Court: Carter gegen Canada.

Organexplantationen von euthanasierten Patienten werden schon seit mehreren Jahren in Belgien und den Niederlanden vorgenommen. Über etwa 40 Fälle in den beiden Ländern wurde berichtet. Im letzten Jahr veröffentlichten holländische Mediziner am »Maastricht University Medical Center« und des »Erasmus Medical Center Rotterdam« ein fachübergreifendes Handbuch für diese komplexe Vorgehensweise.

Ein vor kurzem veröffentlichter Artikel im »Impact Ethics« Blog von Professorin Jennifer A. Chandler von der Universität Ottawa stellte dar, dass die Kombination von Euthanasie und Organspende problematische Aspekte mit sich bringe in Hinsicht auf Ethik, Gesetzeslage und Gewissensgründe:

- Was wäre, wenn ein Patient euthanasiert werden will, damit ein Angehöriger seine Organe erhält? Das Potenzial für Missbrauch ist offensichtlich.

- Was wäre, wenn ein Angehöriger einer Organspende zustimmen soll, nachdem ein Patient euthanasiert worden ist, der aber keine genauen Anweisungen hinterlassen hat?

- Was wäre, wenn der Transplantationschirurg aus Gewissensgründen diese Prozedur ablehnt? Sollte er dann dazu gezwungen werden?

- Was wäre, wenn ein Empfänger es ablehnt, ein Organ von einem euthanasierten Patienten anzunehmen?9

»NEW YORK ORGAN DONOR NETWORK« SETZT ANGEHÖRIGE UNTER DRUCK

Auch in Deutschland gibt es Schulungen für professionelle Gesprächsführung im Umgang mit trauernden Angehörigen, die in der Situation unter Schock stehen und deshalb keine verantworbare Entscheidung treffen sollten. Inwieweit hierzulande Ärzte auch Druck ausüben, werden Betroffene beantworten können. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist die Frage bereits entschieden, wie folgender Bericht zeigt. Dort werden sogar Familieprofile erstellt, um den richtigen Zugang zu den Trauernden zu finden.

Das »New York Organ Donor Network« übte Druck auf Klinikangestellte aus, Patienten für hirntot zu erkären, damit man ihnen Körperteile entnehmen konnte – und beauftragte sogar »Unterweiser«, welche die Mitarbeiter darin schulen sollten, wie sie überzeugender sein könnten. Dies behauptete eine 2012 eingereichte aufsehenerregende Klage. Die vom Staat finanzierte Non-profit-Organisation setzte ein Quoten-System ein und übte starken Druck auf die Angehörigen aus, ihre schriftliche Zustimmung zu erteilen, wenn die Patienten nicht als Organspender registriert waren, behauptete die Klage.

Die Klageschrift, die vor dem Manhattan Supreme Court eingereicht wurde, bezog sich auf vier Fälle von Organentnahmen, die nicht nach den vorgeschriebenen Regeln vorgenommen wurden. In einem Fall versuchte der sogenannte Hirntote noch eigenständig zu atmen und wies laut Klageschrift Anzeichen von Hirnaktivität auf. Hirnaktivitäten wurden auch bei einem weiteren Patienten nachgewiesen wie auch Lebenszeichen bei einer Frau, eine weitere Patientin wurde nach einer Überdosis an Drogen eingeliefert und für hirntot erklärt, obwohl ihr Körper noch zuckte. Deshalb verabreichte man ihr muskelentspannende Mittel.

Patrick McMahon, ausgerechnet ein aufmerksamer Transplantations-Koordinator und Krankenpfleger, sagte zu den Vorfällen, »Sie spielen Gott«, und reichte eine Zivilkläger ein. Daraufhin sei er nach einigen Monaten entlassen worden, nachdem er gegen diese Vorgehensweise protestiert habe.

Das Netzwerk »New York Organ Donor Network« hat Marketing- und Verkaufs-Strategen beauftragt, die Mitarbeiter zu schulen, damit sie maßgeschneidert anhand der Familiengeschichte Zugang fanden zu den Angehörigen, so lautet die Klage, die von den Anwälten von McMahon – Michael Borrelli, Alexander Coleman und Bennitta Joseph – eingereicht wurde.10

MEHR ORGANE DURCH VERZICHT AUF ZWEITE HIRNTOD-UNTERSUCHUNG

In vielen Kliniken der USA wird eine zweite Hirntod-Untersuchung durchgeführt, die auf den Richtlinien beruht, die 1995 von der »American Academy of Neurology« (AAN) herausgegeben wurden. 2012 revidierte die AAN ihre Richtlinien und empfahl, dass eine einzige Hirntod-Untersuchung genügt, um den Hirntod festzustellen. Begründet wurde diese Entscheidung u. a. damit, dass Angehörige innerhalb der Wartefrist zwischen der ersten und zweiten Untersuchung zu einer ablehnenden Einstellung gegenüber einer Einwilligung zu einer Organentnahme kommen können.

»Falls es eine der Ziele des im Bundesstaat New York geltenden Gesetzes war, über mehr Organe für die Transplantation verfügen zu können, dann ist die Erfordernis von zwei Hirntod-Untersuchungen eindeutig ein Hindernis, jedenfalls wenn längere Zeitabstände zwischen beiden Untersuchungen liegen«, sagten die Autoren des Vorworts Dr. Gene Sung und Dr. David Greer.11

Bei hirntoten Patienten ist eine zweite Hirntoduntersuchung, um den Tod festzustellen, nicht nur unnötig, sondern sie könnte auch zur unerwünschten Konsequenz führen, dass die Familienmitglieder sich eher gegen eine Organspende des Patienten aussprechen, wie es eine Studie nahelegt, die in der Zeitschrift Neurology veröffentlicht wurde.

Dr. Dana Lustbader, Leiterin der Palliativ-Medizin am North Shore University Hospital und Autorin der Studie schreibt in einer E-Mail: »Eine einzige Untersuchung reicht aus, um den Hirntod zu diagnostizieren und sollte medizinischer Standard sein. Es gibt einfach keinen Vorteil für eine zweite Untersuchung. Keinen einzigen.«

Die Verfasser der Studie überprüften die Krankenakten von 1.311 Patienten in den Jahren zwischen 2007 und 2009 in 88 Kliniken in New York. Wenn sich der Zeitabstand zwischen erster und zweiter Hirntoduntersuchung verlängerte, stieg auch Wahrscheinlichkeit an, dass die Familie die Organspende verweigerte – von 23 % auf 36%, das ergab die Studie.

Befürworter der neuen Regelung ist auch das im vorigen Kapitel zitierte »New York Organ Donor Network«.

Nach Auskunft der »National Institutes of Health« warten in den USA mehr als 105.000 Menschen auf eine Organtransplantation.

»HIRNTOD« – DER TOD BEI BEDARF

Manche Formulare und Dokumente bekommt der Normalsterbliche, wenn überhaupt, nur selten zu Gesicht oder erst dann, wenn es zu spät ist. Dazu zählt die Todesbescheinigung. Sie ist in Deutschland im Rahmen des Bestattungswesens Angelegenheit der Bundesländer. Das erklärt auch das Phänomen, dass die Texte in den 16 Bundesländern z. T. unterschiedlich sind. Was dazu auf den Formularen von Nordrhein-Westfalen zu lesen ist – kann, je nach Interessenlage – unterschiedlich interpretiert werden.

Wäre es nicht toternste Wirklichkeit was auf dieser Todesbescheinigung zu lesen ist, könnte der geneigte Leser verwundert zu dem Schluss kommen, es handele sich um einen makaberen Scherz, was noch schlimmer wiegen würde, um eine vorsätzliche Täuschung. Da sind unter der Rubrik »Sichere Todeszeichen« zunächst zutreffend und korrekt die Positionen »Totenflecken, Totenstarre, Fäulnis« aufgeführt, schließlich aber auch »Hirntod«.

Um es in aller Kürze vorweg zu sagen: Der sogenannte Hirntod ist nicht der Tod des Menschen, sonst würden dem als Hirntod diagnostizierten Patienten keine lebendfrischen Organe mehr entnommen werden können, die in einem anderen Körper weiterleben. Das lässt sich, wie wir später sehen werden, auf jeder Ebene belegen. Erschwerend kommt hinzu, dass der weitaus größte Teil der Ärzteschaft nicht qualifiziert ist, den »endgültigen, nicht behebbaren Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Stammhirns«, wie es im Transplantationsgesetz (TPG) von 1997 heißt, zu diagnostizieren. Der Patient stirbt letztlich erst durch die Hand des Chirurgen nach Entnahme der Organe und Abstellen der Beatmung.

In einem anderen Formular, keineswegs so geheim wie die Todesbescheinigung, geht man noch einen Schritt weiter und verzichtet selbst auf den Begriff »Hirntod«, sondern spricht vom »Tod«. Dabei handelt es sich um den offiziellen »Organspendeausweis« mit Aufdruck des Bundesadlers, herausgegeben von der »Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung« BZgA im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit. Dort heißt es im Kleingedruckten auf der Rückseite: »Für den Fall, dass nach meinem Tod eine Spende von Organen/Geweben zur Transplantation in Frage kommt, erkläre ich: …«

Obwohl der Begriff »Hirntod« im TPG nicht zu finden ist, wohl aber der Begriff »Leichnam« nach erfolgter Organentnahme (§ 6 Abs. 2 TPG), hat er durch die amtliche Todesbescheinigung, nicht nur eine folgenschwere Konsequenz für die ungeschützten sterbenden Patienten, sondern auch für Angehörige, wenn sie Ihre Zustimmung zu einer Organentnahme verweigern, dennoch den Wunsch haben, den Patienten weiter intensivmedizinisch betreuen zu lassen, wie folgendes Beispiel zeigt.

WER ZAHLT, WENN DER HIRNTOTE WEITERLEBT?

Dabei handelt es sich um seltenen Fall und eine komplizierte Rechtslage. Da der Hirntod als der Tod des Menschen gilt und dieser auch auf der Todesbescheinigung eingetragen wird, erlischt damit das Vertragsverhältnis mit der Krankenversicherung des so zu Tode definierten Patienten. Das bestätigte dem Verfasser auch der GKVSpitzenverband mit den Worten: »Die Zuständigkeit der Krankenkasse endet mit dem Hirntod, so wie Sie auch geschrieben haben. Danach beginnt die Zuständigkeit des Transplantationsgesetzes.

Wird ein Mensch (potenzieller Organspender) im Hinblick auf eine mögliche Organspende im Krankenhaus nach seinem Tod (Hirntod) weiter versorgt, ist die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) für die Vergütung zuständig. Das Krankenhaus kann seine Leistung mit der DSO über die vereinbarten Pauschalen abrechnen.

Wenn aber der Patient einen Widerspruch dokumentiert oder die Angehörigen eine Organentnahme verweigern und der Patient nach dem »Hirntod« weiterlebt, können Angehörige zur Kasse gebeten werden, da offenbar kein Kostenträger mehr zur Verfügung steht – und das kann, wie bereits geschehen, sehr teuer werden.

In einer TV-Dokumentation der Fernsehjournalistin Silvia Matthies, ausgestrahlt im Bayerischen Rundfunk am 11. 06. 2012, 23:34 Uhr, wird ein solcher Fall vorgestellt. Auf der Sendungshomepage heißt es u. a:

DER FALL EINER FALLE

»Das Drama beginnt, als Horst L. (Name dem Autor bekannt) seine goldene Hochzeit feiert. Beim abendlichen Festessen verschluckt er sich, durch Luftnot kommt es zum Herzstillstand, der 73-jährige muss reanimiert werden. Horst L. kommt – künstlich beatmet – auf die Intensivstation. Sein Zustand ist lebensbedrohlich, eine Prognose aber schwierig.« Der Patient wird an die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) gemeldet, ohne das Wissen der Ehefrau und unter Verzicht ihrer Zustimmung eine Hirntod-Diagnose durchgeführt. Als der Oberarzt der Intensivstation die Ehefrau schon am nächsten Morgen vor die Alternative stellt: Abbruch der künstlichen Beatmung oder Organspende ist sie entsetzt und lehnt ab, Denn ihr Mann hatte einen ausgeprägten Lebenswillen und sie wollte alles für ihn tun. In dieser Ausnahmesituation wehrt sich die Ehefrau gegen die Einstellung der Therapie und unterschreibt unter Druck ein Schriftstück, in dem ihr – quasi als Sanktion – die Behandlungskosten ab dem Zeitpunkt der Hirntod-Diagnose aufgebürdet werden. Das könnte man als einen Fall einer Falle bezeichnen.

In der Folge kommt es weiter zu einem Nervenkrieg zwischen dem Intensivarzt und der Familie. Schließlich drängt der Arzt darauf, dass das Betreuungsgericht das Abstellen der künstlichen Beatmung verfügt. Doch der Richter lehnt ab. Über 20 Tage lebt Horst L. weiter an der Beatmung bis er schließlich wirklich stirbt.

Die Intensiv-Behandlung des durch die Hirntoddiagnose für tot erklärten Patienten kosten »nach seinem Tod« 26.500 Euro (pro Tag etwa einen Tausender). Dafür kommt nun kein Kostenträger mehr auf. Die Familie verweigert zunächst die Zahlung und zieht vor das Landgericht Mainz. Wegen der zu erwartenden hohen Anwalts- und Gerichtskosten lassen sich die Kläger schließlich auf einen Vergleich ein, 10.000 Euro in Raten zahlen zu müssen. Auch diese Summe überfordert die Familie. Schließlich milderte das Ergebnis eines Spendenaufruf von KAO (Kritische Aufklärung über Organtransplantation) die finanzielle Belastung.

Dass ein hirntoter Patient u. U. noch weiterlebt – und das ist nicht ungewöhnlich – zeigt ein aktueller tragischer Fall einer 13-jährigen hirntoten Patientin in Kalifornien, die über zwei Jahre lang durch künstliche Beatmung am Leben erhalten wurde.12

Wer einer solchen Hirntod-Falle entkommen will, dem sei geraten, in seiner Patientenverfügung ausdrücklich einer Hirntod-Diagnose zu widersprechen. Sie ist u. U. schmerzhaft, kann, wie das beschriebene Beispiel zeigt, zu erheblichen finanziellen Verlusten führen. Ein weiteres gravierendes Problem besteht außerdem bei der spendezentrierten Lebensverlängerung darin, dass sie in seltenen Fällen zur Ausbildung eines appalischen Syndroms (Wachkoma) führen kann, indem der Patient wieder selbstständig atmen und schlucken kann.

Sollte unter Verzicht einer schriftlichen Einwilligung des Patienten oder der Zustimmung eines Betreuers dennoch eine Hirntod-Diagnose durchgeführt werden, bleibt der Klageweg gegenüber den Ärzten oder der Klinik. Denn jeder ärztliche Eingriff erfordert eine Information über die Folgen des medizinischen Eingriffs und eine Zustimmung des Patienten oder dessen Betreuer. Wird darauf verzichtet, handelt es sich um den Straftatbestand einer Körperverletzung.

IST DIE »HIRNTOD«-DIAGNOSE SCHMERZHAFT?

»Unsere Schwestern haben einen Riesenschreck bekommen, als sie von Patienten, die nach den Hirntodkriterien definitiv tot waren, beim Kopfkissenbetten umarmt wurden.«

Detlef B. Linke (1945 – 2005), Die Welt, 05. 09. 1995/Linus Geisler, Ausschussdrucksache des Deutschen Bundestages 13/114, S. 36 – 43.

Ist die »Hirntod«-Diagnose schmerzhaft? Bevor diese Frage beantworten werden kann, stellt sich zunächst eine andere heikle Frage – nach der Erlaubnis des Machbaren.

Präfinale Spenderkonditionierung

Eine Hirntoddiagnose wird in der Regel im Interesse Dritter gestellt. Das wurde im Zusammenhang mit der Novelle des Tranplantationsgesetzes von 201213 wiederholt gefordert, damit mehr Organe beschafft werden. Die Hirntoddiagnose berührt aber den Straftatbestand einer Körperverletzung, es sei denn, der Patient hat in einem einwilligungsfähigen Zustand nach vorheriger Aufklärung ihr zugestimmt. Erschwerend kommt hinzu, der Patient muss, um eine solche Diagnose zu ermöglichen, konditioniert werden und zwar in einem Zustand, in dem er rechtlich gesehen noch als lebend gilt. Erst nach abgeschlossener Hirntoduntersuchung und wenn das Hirntodprotokoll vollständig ausgefüllt ist, gilt der Patient als tot, obwohl sein Zustand sich in der Regel nicht verändert hat.

Während der Dauer der zeitlich getrennten zweimaligen Hirntoddiagnose muss auf die Behandlung des Patienten mit Schmerz-, Beruhigungsmitteln und Muskelrelaxantien verzichtet werden, wohl wissend, dass der Patient unter Umständen Schmerzen erleidet. Diese Situation wäre beispielsweise vorstellbar bei einem verunglückten Motorradfahrer, der als potenzieller »Organspender« geeignet erscheint. Dann hätte der Patient womöglich nicht mehr die Chance auf eine Behandlung, die seinem Wohl dient. Bei bloßem Verdacht auf Hirntod würde dann schon auf Schmerzmittel verzichtet, unabhängig davon, ob der Verletzte Schmerzen leidet oder nicht. Der fachliche Hintergrund ist, dass die zuvor genannten Arzneimittel abgebaut sein müssen, bevor eine Hirntoddiagnose gestellt wird. Anderenfalls wäre das Ergebnis der Diagnose gefälscht. Auch nach den Richtlinien der Bundesärztekammer müssen Medikamentenwirkungen zur Durchführung einer Hirntoddiagnostik ausgeschlossen sein.

Der Verzicht auf Schmerzmitteltherapie bei bloßem Verdacht auf Hirntod ist nicht nur rechtlich, sondern auch ethisch zu bewerten. Ärzte, die auf Schmerzmitteltherapie im Interesse Dritter, zugunsten einer reibungslosen zeitnahen Organentnahme verzichten, verletzen damit sträflich ihre ärztliche Fürsorgepflicht gegenüber dem komatösen Patienten im Todeskampf.14 Die klinische Medizin verzichtet allerdings auch in anderen Fällen kurzfristig auf Schmerzmittelgaben und Sedativa bei Patienten, die ähnliche Verletzungsmuster aufweisen wie die zur »Organspende« vorgesehenen Menschen, um zu sehen, wie sie reagieren, ob sie wieder zum Bewusstsein kommen. Das geschieht aber nicht im Interesse Dritter.

»Hirntod«-Diagnose im Interesse Dritter

Die klinische »Hirntod«-Diagnose an dem komatösen Patienten kann, je nach Zustand des Betroffenen, ein schmerzhafter Prozess sein – wie gesagt, obligatorisch unter Verzicht auf Schmerzmittel. Es ist ein nicht indizierter Eingriff, der in der Regel der Organbeschaffung dient. Angehörigen, die über die Schritte einer Hirntoddiagnose aufgeklärt werden sollten, wird nicht selten diese Information vorenthalten. Die klinischen Untersuchungen können u. a. folgende Tests beinhalten: Provokation der Augenhornhaut mit einem Fremdkörper, testen des Pupillenreflexes durch Lichteinfall, Stechen in die Nasenwand, Reizen des Rachenraums mit einem Gegenstand zum Testen des Würge- und Hustenreflexes, schnelles Drehen oder Kippen des Kopfes, Setzen eines heftigen Schmerzes zur Reizung von Reflexen, Reizung des Bronchialraums durch Absaugkatheter, festes Drücken der Augäpfel, Gießen von Eiswasser in die Gehörgänge.

Am Ende muss der Arzt einen Apnoe-Test durchführen. Die Bundesärztekammer empfiehlt, diesen Test zuletzt zu machen, »wegen der physiologischen Folgen der Hyperkapnie« – des CO2-Überschusses in einem Körper mit Sauerstoffmangel. Die Beatmung wird abgestellt, um zu beobachten, ob der Patient noch selbst Luft holt, wenn die Erstickung einsetzt. Dazu schreibt der brasilianische Neurologe Cicero Coimbra, dieser Test könne zu einem Kollaps der Blutzirkulation im Hirn, auch zum Herzstillstand führen. Potenzielle Folge sei dann ein unwiderruflicher Hirnschaden. International wird darüber diskutiert, dass organprojektive Maßnahmen das Risiko bergen, dass ein Patient in ein Wachkoma fällt, bevor der Hirntod diagnostiziert ist oder dass präfinale Patienten, die einen Herzstillstand erleiden, reanimiert werden, damit danach der Hirntod und dadurch wieder die Organentnahme möglich wird.

Wenn auch ein Teil des Repertoires zu den normalen neurologischen Tests zählt, darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Interesse einer Organentnahme dazu keine Einwilligung des Betroffenen vorliegt, geschweige denn, zuvor darüber aufgeklärt wurde. Wer jemals solche Prozeduren in einer Filmaufnahme gesehen hat, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Patient wie ein »Werkstück« behandelt wird.

Die Koma-Forschung zeigt: Der Patient reagiert auf ein schweres, schockartiges Erlebnis mit einer tiefgreifenden gesamtkörperlichen Stilllegung, einer Hemmung, einem »Totstellreflex« oder einer »Katastrophenreaktion«. Sein intuitives Verhalten kann dann lebensbedrohliche Folgen haben, wenn er sich bei einer invasiven Hirntod-Diagnose aus Furcht davor tot stellt.15 Der untersuchende Arzt findet dann u. U. bei einem regungslosen Patienten das bestätigt, was er erwartet hat.

Andererseits zeigen als hirntot diagnostizierte Patienten durchaus noch sichtbare Lebenszeichen. Der als »Lazarus-Zeichen«16 bezeichnete spinale Reflex macht deutlich, dass der Patient noch lebt. Wenn ein Hirntoter eine Krankenschwester umarmt – wie geschehen – kann es sich um einen solchen Reflex handeln, dem Transplantationsmediziner allerdings keine besondere Bedeutung beimessen. Heute weiß man aber, dass das Rückenmark als integraler Bestandteil des Zentralnervensystems Sensibilität und Motorik des Körpers steuert. Aktivitäten des Körpers und andere Fähigkeiten setzen keineswegs und ausschließlich eine intakte Gehirntätigkeit voraus. Wie Forschungen zeigen, dienen das Rückenmark und der Vagusnerv als eine Art Standleitung für die Kommunikation zwischen dem Kopfhirn und dem »zweiten Hirn«, dem »Bauchhirn«. Wenn landläufig von »Bauchgefühl« die Rede ist, das nicht selten als Entscheidungshilfe dient, könnte man auch an eine umgekehrte Reihenfolge denken. Dieses zweite Gehirn, so haben Neurowissenschaftler herausgefunden, ist quasi ein Abbild des Kopfhirns – Zelltypen, Wirkstoffe und Rezeptoren sind exakt gleich.17 Wenn also Vertreter der BÄK behaupten, der Ausfall des Gehirns eines Menschen bedeute »schließlich den Verlust der unersetzlichen physischen Grundlage seines leiblich-geistigen Daseins in dieser Welt«18 und sei deshalb ein sicheres Todeszeichen, spricht das für eine sehr verengte Sicht auf den menschlichen Körper.

Wie sicher sind »Hirntod«-Diagnosen?

Eine Hirntoddiagnose setzt viel Erfahrung voraus, sicher muss sie dennoch nicht sein, soweit auf apparative Untersuchungen verzichtet wird. Das Fachwissen für diese Diagnose scheint nicht in jeder Klinik vorhanden zu sein, wie eine Studie in Niedersachsen zeigt. Das zumindest beklagte der Präsident des Verbandes der Leitenden Krankenhausärzte (VLK), Prof. Dr. Hans-Fred Weiser, 2006 im Deutschen Ärzteblatt. Er kritisierte die Reduzierung fester, mobiler Spezialteams für die Hirntoddiagnostik aus Kostengründen. 2004 hatte die Deutsche Stiftung Organtransplantation beschlossen, den Bereitschaftsdienst für die mobilen Ärzteteams abzuschaffen, die vor allem in den kleinen Krankenhäusern den Hirntod eines hirngeschädigten Patienten feststellen sollen.

Seit Anfang 2006 wurden nun die Konsiliar-Teams pauschal pro Einsatz bezahlt. »Die Folge ist, dass keine festen Teams mehr zu Verfügung stehen«, sagte der ehemalige Leiter des mobilen Konsiliarteams der Region Nord, Prof. Dr. Hermann Deutschmann (1949 – 2014).19 Stattdessen müssten die Teams von Fall zu Fall nach dem »Lasso-Prinzip« zusammengestellt und »eingefangen werden«. »Da geht viel Zeit verloren. Wird der Hirntod zu spät festgestellt, sind die Organe verloren«, sagte der leitende Oberarzt vom Klinikum Hannover-Nordstadt.20 Ähnlich sieht das auch der VLK-Präsident Weiser: »Es klappt – aber auf fraglichem Niveau«.21

Niedergelassene Neurologen, die seit Jahren kein Beatmungsgerät mehr gesehen haben

Die DSO greife vermehrt auf niedergelassene Neurologen zurück, die aber keine aktuellen Erfahrungen mit der Arbeit auf Intensivstationen hätten. »Ein Niedergelassener, der seit Jahren kein Beatmungsgerät mehr gesehen hat, kann nicht einfach Apnoe-Tests22 durchführen oder den Hirntod diagnostizieren.« Zudem kümmere sich die DSO nur noch eingeschränkt um die Qualität der vormals zum Teil zertifizierten Spezialteams. »Die Untersucher bescheinigen sich die Qualität jetzt selbst und machen sich so zu Experten«, so Weiser. Bei der DSO wollte man hingegen von den Problemen nichts wissen. Laut dem damaligen Vorstandsvorsitzenden der DSO, Kirste, sei das Ganze seit 2000 bundesweit geregelt.

In über einem Drittel der Fälle wurde ein Hirntod fälschlicherweise vermutet

Wie oben bereits erwähnt, untersuchte der Neurologe Prof. Dr. Deutschmann in einer internen Studie über die DSO-Regionen Mitte und Nordost, wie sicher die Hirntoddiagnostik in den Kliniken in der Region sei. Das Ergebnis war: »Nicht selten werde zudem der Hirntod von den Ärzten in kleineren Krankenhäusern, aber auch in Unikliniken fälschlicherweise vermutet oder nicht exakt nach den Regeln der Bundesärztekammer festgestellt. Das Team der Deutschen Stiftung Organtransplantation aus Niedersachsen etwa habe bei knapp 50 Untersuchungen in 21 Fällen den Hirntod nicht sichern können.«23

Das entspricht mehr als einem Drittel der Patienten. Es ist wahrscheinlich, dass diese potenziellen »Organspender« Stunden vorher keine Schmerzmittel mehr bekommen haben. Wenn also ein Hirntod nur vermutet und über entsprechende Diagnosen nicht seriös aufgeklärt wird, nimmt man billigend in Kauf, dass das Unwissen gutwilliger Menschen im Interesse der Organbeschaffung ausgenutzt wird. Wenn Angehörige zur Freigabe des Patienten gebeten werden, geschieht das zudem noch unter Ausnutzung des vagen Begriffs »mutmaßlicher Wille«.

1992: Die Leichen leben noch

Spätestens der Fall des »Erlanger Babys« hätte auch Kirchenvertretern die Augen öffnen können. Denn 1992 entbrannte erstmals die öffentliche Diskussion um die Transplantationsmedizin. Mit der 40-tägigen »posthumen« Schwangerschaft der 18-jährigen Marion P. in der Universitätsklinik Erlangen wurde plötzlich klar, was Transplantationsmediziner Jahre verschwiegen hatten: Die Leichen leben noch. »Hirntod«, ein Vierteljahrhundert als Tod des Menschen propagiert, war nun ein viel diskutiertes Thema in den Medien und in der Öffentlichkeit. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass für die noch lebende schwangere Frau am 8. Oktober 1992 drei Tage nach der Einlieferung der Totenschein ausgestellt wurde – zunächst mit der Option auf Entnahme der Organe. Prof. W. Höfling schreibt hierzu: »Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass im Fall des sog. Erlanger Babys nach Feststellung des Hirntodes die Mutter Marion P. im strafrechtlichen und – da ein Leichenschauschein ausgestellt war – auch im bestattungsrechtlichen Sinne als tot galt. D. h.: eine – mit intensivmedizinischer Hilfe – atmende Leiche war formell zur Bestattung freigegeben. Der zuständige Standesbeamte weigerte sich jedoch, den Tod personenstandsrechtlich zu beurkunden mit der Begründung, ›er stehe dann später vor der Notwendigkeit, die Geburt eines Menschen zu beurkunden, der keine Mutter habe, und das könne er nicht‹ (so der seinerseits am Geschehen mitbeteiligte Rechtsmediziner Hans-Bernhard Wuermeling, in: G. Bockenheimer-Lucius/E. Seidler (Hrsg), Hirntod und Schwangerschaft, 1993, S. 21.)24

Der Philosoph Hans Jonas schrieb damals an seinen Freund Prof. H.-B. Wuermeling: »Keiner von Euch und keiner, der Euren Versuch gut geheißen hat, darf hinfort dafür sein, einem Gehirntoten unter Beatmung, also ›bei lebendigem Leib‹, Organe zu entnehmen.«25

Vermuteter Hirntod, mutmaßlicher Wille

Wenn nun eine Person selber einen Organ- und Gewebespende-Ausweis unterschreibt, bleibt in dem mehr als oberflächlich und irreführend abgefassten Dokument offen, was den »Gutgläubigen« vor und während einer Hirntoddiagnose erwartet. Auch an dieser Stelle ist die Frage erlaubt: Ist das Oberflächlichkeit oder was viel schwerer wiegen würde, Absicht? Die Bevölkerung in Deutschland ist relativ wenig aufgeklärt über die Zusammenhänge zwischen Organspende und Hirntoddiagnostik. Wann immer mir Menschen begegnen, die einen Organspende-Ausweis besitzen, stelle ich in Gesprächen zu meinem Erstaunen fest, dass sie in der Regel gutgläubig und uninformiert sind – und das bei einem Thema, bei dem es um elementare Fragen des Lebens und Sterbens geht.

Deshalb haben die Aussteller von Organspende-Ausweisen eine Bringeschuld, indem nicht nur die Zustimmung zur »Hirntod«-Diagnostik dokumentiert wird, sondern auch eine Aufklärung darüber erfolgt, was das bedeutet. Denn jemanden ohne Zustimmung ausschließlich oder in sonst bedenklicher Weise für fremde Zwecke zu »benutzen«, ist ethisch strikt unzulässig. Wer in eine Organspende einwillige, stimme zugleich auch den dazu erforderlichen Maßnahmen zu, würde nur insoweit gelten, solange diese Maßnahmen keine Belastung und Risiken für ihn darstellen. Dies ist aber im Zusammenhang mit einer Hirntoddiagnose nicht sicherzustellen.

Bleibt zum Schluss: Vor fremdnützigen Eingriffen kann sich letztlich nur der schützen, der durch eine Patientenverfügung oder eine Bevollmächtigung sicherstellt, dass lebensverlängernde Maßnahmen bei einer terminalen Erkrankung unterbleiben, bei gleichzeitiger Basis- und eventueller Palliativ-Versorgung.

HAT DER »HIRNTOTE« PATIENT NOCH SCHMERZEMPFINDUNG?

»Nach dem Hirntod gibt es keine Schmerzempfindung mehr. Deshalb sind nach dem Hirntod bei Organentnahme keine Maßnahmen zur Schmerzverhütung (zum Beispiel Narkose) nötig.«

»Erklärung zum Hirntod« der Bundesärztekammer 2001.

»Es ist in der Tat nicht zu belegen, dass eine für hirntot erklärte Person tatsächlich über keinerlei Wahrnehmungsvermögen, insbesondere Schmerzempfindlichkeit verfügt.«

Prof. Dr. med. Werner Lauchert, damaliger Geschäftsführender Arzt der DSO-Region Baden Württemberg in einem Schreiben vom 25. 9. 2000 an die Pastorin Ines Odaischi (†).

Diese Frage ist so lange im Sinne der Humanität von großer Bedeutung, solange sie nicht eindeutig beantwortet ist. Denn es handelt sich zu Beginn einer Explantation um einen noch lebenden komatösen Patienten, der letztlich durch den schweren Eingriff einer Organentnahme getötet wird. Während bei jeder anderen Operation Patienten zur Abwehr von Schmerzen narkotisiert werden, soll laut einer Erklärung der Bundesärztekammer bei Organentnahmen darauf verzichtet werden. Dabei ist keineswegs auszuschließen, dass der wehrlose Patient Schmerzen empfindet. Er wird bis zur Entnahme des letzten Organs beatmet. Als besonders belastend beschrieb eine Anästhesistin im Deutschen Ärzteblatt (Dr. Friederike Schlemmer, 16. 07. 2001) die undankbare, belastende und schwierige Aufgabe, den Herzkreislaufstillstand nach erfolgter Explantation herbeizuführen.

Bei einer Organentnahme bleibt es dem Anästhesisten überlassen, ob er Schmerzmittel gibt oder nicht. Weder das Transplantationsgesetz von 1997 noch die BÄK