0,00 €
Sie sprachen vom himmlischen Frieden – und riefen zum Kreuzzug auf: Teil 1 des sechsteiligen Serials zu »Die Hure Babylon« Südfrankreich im 12. Jahrhundert: Der junge Edelmann Arnaut ist verzweifelt, denn wieder hat seine heimliche Geliebte, die Vizegräfin Ermengarda von Narbonne, ihr Kind verloren – ein Fingerzeig des Himmels? Arnaut will Buße tun und sich dem Kreuzzug ins Heilige Land anschließen. Mit dem fränkischen Heer zieht er gen Osten und muss doch bald erkennen, dass es weniger um Erlösung als um Macht und Eitelkeit der Herrschenden geht, dass im Namen Gottes Verrat und unvorstellbare Gräueltaten begangen werden. Gefährliche Abenteuer warten auf ihn, Kampf, Intrigen – und so manche Versuchung …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 81
Ulf Schiewe
Die Hure Babylon
Roman
Knaur e-books
Südfrankreich im 12. Jahrhundert:
Für
SANDRA
»Und er brachte mich im Geist in die Wüste. Und ich sah ein Weib sitzen auf einem scharlachfarbenen Tier, das war voll Namen der Lästerung und hatte sieben Häupter und zehn Hörner.
…
Und das Weib war bekleidet mit Purpur und Scharlach und übergoldet mit Gold und edlen Steinen und Perlen und hatte einen goldenen Becher in der Hand, voll Greuel und Unsauberkeit ihrer Hurerei, und an ihrer Stirn geschrieben einen Namen, ein Geheimnis: Die große Babylon, die Mutter der Hurerei und aller Greuel auf Erden.
…
Und er sprach zu mir: Die Wasser, die du gesehen hast, da die Hure sitzt, sind Völker und Scharen und Heiden und Sprachen.
…
Und das Weib, das du gesehen hast, ist die große Stadt, die das Reich hat über die Könige auf Erden.«
AUS DER OFFENBARUNG DES JOHANNES, 17,3
Januar, Anno Domini 1147
Für die Christenheit kündigen sich große Ereignisse an. Es ist ein Jahr des Triumphes für die Kirche Roms, denn gleich zwei Könige haben sich überzeugen lassen, das Kreuz zu nehmen, um mit gewaltigen Heeren gegen die Ungläubigen zu ziehen.
Sie wollen mir meinen Liebsten nehmen.
Der Gedanke hatte mich die ganze Nacht gequält. Und dies seit Wochen. Dass sie ihm den Kopf verdrehen würden, diese lärmenden Priester und Hetzer, die jetzt nach dem Schwert riefen. Dass er mich verlassen und in den Krieg ziehen könnte.
Edessa, per Dieu. Wo lag das überhaupt? Irgendwo in der Wüste, hieß es, am gottverlassenen Ende der Welt. Als ob das Glück der Menschheit von irgendeiner Stadt in Outremer abhinge. Was ging uns dieses Edessa an und ob es Türken oder Christen gehörte?
Jamila, meine Magd, betrat die Kammer und begann, mein Bett zu machen, als mich unerwartet Schwindel und Übelkeit erfassten und ich mich setzen musste.
»Schnell, die Waschschüssel!«, keuchte ich.
Ein Blick auf mein Gesicht und sie hielt mir so hastig das Gefäß unter, dass ein wenig vom Inhalt auf meinen Schoß schwappte. Nicht zu früh, denn schon ergoss sich heißer Mageninhalt ins morgendliche Waschwasser. Wieder und wieder musste ich würgen, bis nichts mehr kam.
Die Magd reichte mir einen Becher, um den Mund auszuspülen. Dann stellte sie die Schüssel weg und legte mir eine Decke um die Schultern, denn es war eisig in der Kammer, und ich saß nur im Hemd. Wäre doch nur erst der Winter vorüber. Ich bin einfach nicht für Nässe und Kälte gemacht.
Jamila nahm ein Leinentuch und tupfte mir sanft die Lippen sauber. »Ihr seid bleich, Domina. Ihr solltet in den Garten gehen. Etwas frische Luft wird Euch guttun.« Sie lächelte und küsste mich auf die Wange.
Der Gedanke an nasses Laub und braune Sträucher im winterlichen Palastgarten ließ mich schaudern. »Wann kommt endlich jemand, um das Feuer anzuzünden?«
»Schon bestellt, Domina.« Sie berührte sanft meinen Bauch. »Weiß Senher Arnaut eigentlich schon, dass Ihr …«
Ich schüttelte den Kopf. Bei all dem Gerede von Pilgerfahrt und Heiligem Krieg war es mir bisher unpassend erschienen, mein Geheimnis preiszugeben.
»Er musste fort«, sagte ich und atmete tief durch. Das Schwindelgefühl schien sich zu legen. »Seinem Großvater geht es nicht gut.«
»Ach, Domna Ermengarda. Er wird sich so freuen.«
»Vielleicht.« Ich war mir da nicht sicher. Arnaut schien in letzter Zeit so wortkarg und in sich gekehrt, als beschäftigte ihn etwas, das er nicht mit mir teilen wollte.
Eine junge Küchenmagd mit dem Arm voller Brennholz kam herein und machte sich am Kamin zu schaffen.
»Mein Haar, Jamila.«
Ich lehnte mich zurück und genoss, wie sich die Bürste in Jamilas geschickten Händen durch die langen, vom Nachtlager wirren Flechten mühte, ebenso ihr fröhliches, belangloses Geplapper, das dieses allmorgendliche Ritual stets begleitete. Sie tat mir gut, meine liebe Jamila, eine ehemalige Sklavin aus dem Land der Mauren. Seit vier Jahren war sie bei mir und inzwischen mehr als meine Magd geworden.
Freundinnen hatte ich weiß Gott nur wenige. Aber darüber sollte ich nicht klagen. Das ist das Los der Fürsten. In den Jahren, seit ich das Erbe meines Vaters antreten durfte, hatte ich schmerzhaft lernen müssen, Schmeichler und Speichellecker von aufrichtigen Freunden zu unterscheiden.
»Endlich Kinderlachen in diesen Mauern«, sagte Jamila. »Der ganze Hof wird sich um den kleinen Racker reißen, Ihr werdet sehen, Domina.«
Darüber musste ich lachen, und meine Stimmung hob sich. Ach, wie sehr ich mir Kinder wünschte. Fast konnte ich ihr fröhliches Gekreische hören, wie sie durch die düsteren Gänge des alten Gemäuers tobten und zwischen den Beinen der Leibwachen Fangen spielten.
»Alle werden das Kind verwöhnen«, spann Jamila den Gedanken weiter. »Sogar Domna Anhes.«
»Bist du sicher, unsere gute Anhes mag Kinder?«
»Warum, um Himmels willen, soll ich keine Kinder mögen?«, ließ sich die edle Domna Anhes vernehmen, die gerade in die Kammer getreten war.
Anhes war eine Frau unbestimmten Alters, mager wie eine Heuschrecke, immer tadellos gekleidet, selbst in der größten Sommerhitze. Sie war eine entfernte Verwandte meines Vaters, Gott hab ihn selig, und hatte mangels Familienvermögens keinen standesgemäßen Ehemann gefunden. Worüber ich nicht unglücklich war, denn Anhes war die Seele des Palastes und weit mehr als ein maior domus. Mit geradem Kreuz und strengem Blick herrschte sie seit Jahren über den palatz vescomtal von Narbona, so dass Wachen, Köche und Gesinde vor Eifer sprangen, wenn sie auftauchte.
»Als Kind hast du mich kaum beachtet, Anhes«, sagte ich und zwinkerte Jamila verschwörerisch zu.
»Das hatte seine Gründe«, antwortete Domna Anhes etwas spitz. »Deine Stiefmutter liebte es nicht, wenn man allzu viel Aufhebens um dich machte.«
In der Tat. Ich hatte nicht die glücklichste Kindheit verbracht. Meine Mutter war so früh verstorben, dass ich mich kaum an sie erinnern konnte, und das Leben mit la Bela, meiner Stiefmutter, hatte immer etwas von Misstrauen und gegenseitigem Belauern gehabt. Als ich sechs Jahre alt war, hatten Krieger die Waffen und Rüstung meines Vaters heimgebracht. Er war in Spanien, im Kampf gegen die Mauren, gefallen. Und einige Jahre später wurde auch mein älterer Bruder zu Grabe getragen. Diesen traurigen Umständen habe ich es zu verdanken, dass das Erbe der Vizegrafschaft Narbona auf mich gekommen ist, wenn auch erst nach langem Kampf gegen fremde Ansprüche. Nicht zuletzt gegen den mörderischen Ehrgeiz meiner Stiefmutter.
»Ich wünsche nicht, dass man hier von la Bela redet«, sagte ich. »Die hat genug Unheil angerichtet. Gebe Gott, dass wir sie niemals wiedersehen.«
Domna Anhes zuckte gleichmütig mit den Schultern: »Auch wenn es dir nicht gefällt, sie ist immer noch Ninas Mutter.«
Nina war meine jüngere Halbschwester, und ich vermisste sie sehr. Viel zu jung hatte ich sie nach Spanien vermählen müssen als Teil der Vereinbarung mit den mächtigen Katalanen. Mein Narbona war von Barcelonas Wohlwollen und dem der anderen großen Fürstentümer des Landes abhängig.
Domna Anhes sah sich in der Kammer um. Selten entging ihr etwas, und so fiel ihr Blick unweigerlich auf den säuerlich riechenden Auswurf, der auf dem Waschwasser schwamm. Mit Stirnrunzeln beugte sie sich darüber.
»Bist du schwanger?«, fragte sie misstrauisch, und der missbilligende Ton in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
»Freu dich doch«, erwiderte ich. »Mit zwanzig sind andere längst glückliche Mütter.«
»Solange sie keine Bastarde werfen.«
Anhes konnte rücksichtslos ehrlich sein. Ihre harschen Worte trieben mir Tränen in die Augen. Aber Jamilas beruhigende Hand auf meiner Schulter milderte meine Antwort.
»Du weißt, ich kann Arnaut nicht heiraten.«
»Natürlich nicht. Du bist ja schon verheiratet. Auch wenn diese Verbindung nur zum Schein besteht und du diesen Bernard seit der Trauung nicht mehr gesehen hast …«
»Ein Unbekannter, der nie mein Bett geteilt hat.«
»Dann bitte um Aufhebung. Der Papst wird sie dir nicht verweigern.«
Ich senkte den Kopf. »Das ist unmöglich.«
Die Vermählung mit jenem Bernard d’Andusa war nur ein elendes Possenspiel gewesen. Ein Kuhhandel, um die Belange der regionalen Fürstenhäuser zu achten und den Frieden zu wahren. Angeblich konnte man einem schwachen Weib nicht trauen, und so wurde eine Scheinehe zur Gewährleistung, dass das reiche und strategisch wichtig gelegene Narbona nicht als Mitgift in falsche Hände geriet.
Der vorgetäuschte Ehemann, ein Baron aus dem Bergland der Cevenas, besaß laut Vertrag keinerlei Rechte. Meine Einwilligung war die Bedingung für meine alleinige Herrschaft über Narbona gewesen. Ungewöhnlich genug für eine Frau, ich gebe es zu. Doch der Preis war, dass ich nie ein Familienleben so wie andere würde führen dürfen. Natürlich wussten in Narbona alle, wie es um Arnaut und mich stand, aber in der Öffentlichkeit mussten wir die Formen wahren.
Domna Anhes warf mir einen strengen Blick zu. »Ein uneheliches Kind wird nur Wasser auf die Mühlen deiner Feinde gießen. Das weißt du so gut wie ich. Besonders Erzbischof Leveson …«
»Der soll mir gestohlen bleiben«, erwiderte ich trotzig. »Meine Lage ist entwürdigend genug. Ich werde nicht auch noch auf Kinder verzichten.«