Die Ironie des Verbrechens - Robert Hubrich - E-Book
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Die Ironie des Verbrechens E-Book

Robert Hubrich

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Beschreibung

Ein Mann wird gejagt. Von Kopfgeldjägern und Killern, von Polizei und Interpol, von der Mafia. Nirgends kann er sicher sein, er flüchtet von Ort zu Ort, von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent. Irgendwann werden sie ihn erwischen und sein Leben beenden. Er ist schlau und clever, aber der ständige Fluchtgedanke zehrt an den Nerven und reizt die Widerstandskraft. Es scheint keinen Ausweg aus dem tödlichen Dilemma zu geben. Oder vielleicht doch? Wenn der Gejagte zum Jäger wird, kann er der Schlange den Kopf abschlagen...

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Robert Hubrich

Die Ironie des Verbrechens

Eine fast schon geheimnisvolle Ruhe hatte sich wie eine unsichtbare Decke sanft und weich über das Land gelegt. Es war dunkel. Es war absolut geräuschlos. So musste sich ein schalldichter Raum anfühlen. Und es herrschte eine Temperatur wie auf einem Eisplaneten.

Die gnadenlose Kälte in der einsamen Stille kroch unbarmherzig in den Schlafsack und verursachte bei dem noch schlafenden Mann ein beginnendes Zittern am ganzen Körper. Es dauerte nicht lange, da erwachte er und nahm gleichzeitig diese mörderische Kälte wahr, die sich wie ein hungriger Wurm über die Zehen und Finger in seinen Körper fraß und keinen noch so winzigen Bereich verschonte. Den Zustand des bloßen Fröstelns hatte der Körper längst hinter sich gelassen und war nun in das heftige Zittern übergegangen, das dazu diente, die Körpertemperatur nicht absinken zu lassen. Mit klappernden Zähnen und erbärmlich zitternd öffnete der Mann die Augen und drehte heftig den Kopf. Trotz der noch herrschenden Dunkelheit war es eigenartig hell auf der Ebene. Instinktiv wollte er sich gerade noch kleiner zusammen rollen, aber ihm wurde schnell klar, dass auch die embryonale Position die alles einnehmende Kälte nicht mehr davon abhalten konnte, jeden noch so kleinen Winkel an ihm ohne viel Widerstand zu durchdringen. Er schälte sich zitternd aus dem Schlafsack und stöhnte schmerzerfüllt auf. Seine Hand mit den dicken Handschuhen tastete behutsam nach der Wunde an der Hüfte. Sie verursachte bei manchen schnellen Bewegungen noch heftig stechende Schmerzen. Vorsichtig erhob er sich und begann, sich langsam zu bewegen. Er lief hin und her, schlug sich mit den Armen auf den heftig zitternden Körper und zog die Mütze noch tiefer ins Gesicht. Den Schlafsack öffnete er ganz und legte ihn sich wie eine Decke um die Schultern. Erst nach fünfzehn Minuten intensiver Bewegung wurde es langsam besser. Sein unkontrolliertes Zähneklappern beruhigte sich und das Zittern ließ nach. Das Frösteln setzte in wellenartigen Bewegungen wieder ein, aber es war nicht mehr so schlimm wie das intensive Fühlen der beißenden Kälte während des Erwachens. Er sah sich um. Die funkelnden Sterne beleuchteten die weiße Ebene und schienen sich darin zu spiegeln. Die Luft war klar wie eine blank geputzte Glasscheibe. Vollkommen unwirklich strahlte und funkelte der Sternenhimmel auf die Erde und erlaubte einen seltenen Blick in die Tiefen des unendlichen Raumes. Die riesige Ebene glich einem zugefrorenen See und mit dem blinkenden klaren Sternenhimmel hätte man leicht auf den Gedanken kommen können, entweder in der Arktis zu sein oder gar nicht mehr auf der Erde. Nur sehr weit in der Ferne war eine dunkle Silhouette wahrzunehmen, die sich wie ein gigantisches Ungetüm gegen den Nachthimmel und die weiße Ebene abhob. Eine Gebirgskette. Es war bitterkalt. Er sehnte den Morgen herbei. Die Sonne. Dann würde es schnell wärmer werden in dieser riesigen Salzwüste.

Er stand mutterseelenallein mitten in der Salar de Uyuni, der größten Salzpfanne der Erde. Im Südwesten Boliviens in den Anden. Einst befand sich hier ein prähistorischer See, der vor zehntausend Jahren austrocknete und eine Landschaft mit schneeweißem Salz hinterließ, nur geprägt von Kakteen bewachsenen Inseln, mancher Felsformationen und eben dieser riesigen Salzebene. Eine unwirtliche Mondlandschaft, deren Anblick jetzt in der noch herrschenden Nacht atemberaubend war - trotz der beißenden Kälte und der damit einhergehenden fast schmerzvollen Empfindung. Trotz der extremen Tag- und Nachtbedingungen und trotz der vielen Gründe, warum er sich überhaupt hier befand.

Seine Hand tastete wieder an die rechte Hüfte. Die tiefe Schusswunde hatte sich zwar schon geschlossen und einen schützenden Schorf gebildet, aber bei der kleinsten Dehnung meldete sich sofort ein ziehender Schmerz, der ihn darauf hinweisen wollte, noch eine ganze Weile vorsichtig damit umzugehen, bis die Narbe vollständig verheilt war. Seine Hand zog das Handy aus der Tasche und er sah auf die Uhr. Es war frühmorgens - 5:20 Uhr. Die Temperatur zeigte -11°. Mit einem Kopfschütteln ging er zu seinem kleinen Offroader und öffnete die Hecktüre, die herunterklappte. Dann nahm er den Gasbrenner heraus und entzündete eine blaue Flamme. In einem Topf erwärmte er Wasser für den Kaffee. Sein Blick verweilte im Osten, wo er schon den beginnenden Tag erahnen konnte. Ein ganz schmaler schwacher heller Streifen zog sich über den östlichen Horizont und verkündete den kommenden Morgen. Keine einzige Wolke trübte den klaren Himmel. Es war ausgesprochen wunderschön, dieser selten bizarre Anblick in dieser lautlosen Einöde, in der man dem beruhigenden Klang der Stille lauschen konnte. Er drehte sich um seine eigene Achse und beobachtete die unglaubliche Weite und Größe der Salzpfanne mit einer tief in sich wahrnehmenden Inbrunst. Das Auge tat sich schwer, diese Größe zu erfassen und die Entfernungen real abschätzen zu können. Die meisten Menschen hatten ihren Blick längst an die visuellen Begrenzungen einer Stadt und den Bebauungen angepasst. Sich an die ungewohnten Weiten zu gewöhnen, dauerte seine Zeit. Dann holte er das Fernglas hervor und suchte den Horizont ab. Langsam drehte er sich um seine eigene Achse mit einem konzentrierten Blick durch das Okular. Aber nichts und niemand befand sich in der näheren Umgebung. Ihn umgaben fast 11.000 km2einer Salz belegten Ebene. 140 km lang und 110 km breit. Die Salzpfanne lag auf einer Höhe über 3600m und es wurde geschätzt, dass sie mehr als 120m dick sein würde. Hoffnungsvoll erwartete er die Sonne, die das Land wieder auf über 10° aufheizen würde. Er beobachtete noch einmal den weiten Horizont. Sollte sich jemand nähern, konnte er ihn schon von Weitem erkennen. Bei Tageslicht sowieso. Er war immer bereit, innerhalb von Minuten von hier zu verschwinden.

Ein leises Blubbern erreichte sein Ohr. Das Wasser begann zu sprudeln und er schaltete den Kocher ab. Dann schüttete er das heiße Wasser in den Filter mit dem Kaffee und sah zu, wie die schwarze Brühe langsam in den verbeulten Becher tropfte. Die dicken Handschuhe wurden beiseite gelegt und mit den dünnen Stoffhandschuhen ergriff er den heißen Becher. Nach den ersten Schlucken fühlte er sich immer besser, die innere Wärme breitete sich aus und die Kälte zog sich langsam aus ihm zurück, hinterließ durch das temperierte Getränk ein wärmendes, leichtes Gefühl einer seltenen Zufriedenheit. Ein kleiner stoffbespannter Klappstuhl wurde ausgeklappt und mit dem Schlafsack um die Schultern setzte er sich hin, schlürfte langsam den heißen Kaffee und wartete geduldig auf den Sonnenaufgang. Er versuchte, an nichts zu denken, aber es gelang nur wenige Augenblicke. Seine Gedanken schweiften immer wieder ab, flogen zurück in eine Vergangenheit, die sich ganz anders entwickelt hatte, als es ursprünglich geplant war oder gar einer abstrusen Vorstellung entsprach. Sein ehemals zugegebenermaßen nicht unangenehmes Leben hatte sich von Grund auf verändert – er hatte ein geheimes Spiel gespielt, das er anfangs lediglich als etwas Prickelndes und Herausforderndes angesehen hatte. Dann wurde er überheblich und gierig und konnte das nicht mehr stoppen. Warum nicht, war auch heute nicht mehr exakt zu sagen. Er trug eigentlich keinerlei Arroganz in sich und er würde sich auch niemals als gierig bezeichnen. Trotzdem war er dem Primat des „Immer-mehr“ gefolgt, hatte sich hinreißen lassen und die warnenden erhobenen Zeigefinger ignoriert, die sich natürlich ab und an zeigten. Vielleicht war er von seinem Können und Wissen zu überzeugt gewesen, konnte sich nicht vorstellen, dass auch seine Mitmenschen clever und intelligent waren. Vielleicht war er wirklich hochmütig geworden...er wusste es nicht und jetzt spielte das keine Rolle mehr. Er hatte hoch gepokert – und verloren. Nein, nicht ganz - er hatte schon gewonnen, aber trotzdem verloren. Das Ziel war erreicht worden, aber zu einem Preis, der es niemals wert gewesen war. Seit seiner Flucht von Zuhause war er von Ort zu Ort gehetzt, von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent. Sein Zuhause existierte längst nicht mehr. Er wusste nicht, wie viele Grenzen er bis jetzt passiert hatte. Hinter ihm lag eine bodenlose Spirale des Kampfes, der längst zur Gewohnheit werdenden Gewalt, der subtilen Angst, der dauernden Flucht und auch dieser stets größer werdenden Sehnsucht nach Ruhe und Frieden. Er hatte gewusst, dass er niemals in Sicherheit sein konnte, weil ihr Kodex es nicht erlauben würde, ihn zu verschonen. Manchmal kam er sich vor wie ein einsamer Wolf, der immer weiterziehen musste, weil man ihn töten wollte. Deswegen war er auch hier, an einem unbestimmten Ende der Welt. Der Salar de Uyuni war ein seltsamer Ort, um sich zu verbergen. Wunderschön und lebensfeindlich, aber offen und ohne irgendwelche Versteckmöglichkeiten. Nur die Salzarbeiter und die Lithiumschürfer waren hier anzutreffen und natürlich die Touristengruppen. Die Salzwüste war eine Touristenattraktion. Wohlweislich wurde von ihm eine Route abseits der Touristenpfade gewählt. Irgendwie war er total fasziniert von dieser schier endlosen weißen Weite und irgendwie war es ja auch kein Versteck. Es war eher ein riesiger Präsentierteller, auf dem er sich aufhielt. Eine plötzlich aufkommende Intuition hatte ihn bewogen, die Straßen und Orte zu verlassen und in diese Wüste zu fahren. Niemand würde wohl auf den Gedanken kommen, dass er ausgerechnet hierher fahren würde, um sich zu verbergen. Er musste sich dringend regenerieren und er musste wieder zur Ruhe finden, um eine nahe Zukunft planen zu können. Er musste dringend einen Ausweg finden, um aus diesem ständigen Kampf um Leben und Tod endlich auszubrechen. Längst hatte sich eine ständige Aufmerksamkeit, permanentes Misstrauen und etwaige Fluchtpläne zur täglichen Routine entwickelt. Sie waren in ihn übergegangen wie das Atmen. Langsam, unbemerkt und schleichend. Ein starker Überlebenswille ließ ihn immer bereit sein, schnellstens zu verschwinden und er ließ auch nicht zu, dass er irgendwie aufgab. Aber sollte so sein weiteres Leben aussehen? Immer bereit zu sein, es zu verteidigen und immer auf der Hut sein zu müssen? Niemals hätte er sich vorstellen können, einen Menschen zu töten. Niemals wurde er darauf vorbereitet, um sein Leben kämpfen zu müssen, weil er sonst sterben musste. Er selbst hatte etwas in Gang gesetzt, das er doch niemals beabsichtigt hatte, aber das ab einem bestimmten Punkt nicht mehr aufzuhalten war. In seiner grenzenlosen Naivität wurde ihm das alles vor die Füße geschleudert mit der einfachen Mitteilung, dass er diesen ganzen Mist selbst verursacht hatte und jetzt sehen konnte, wieder daraus herauszukommen – im Idealfall lebend.

Er beugte sich nach vorne und starrte in den Kaffeebecher. Die Wunde zog und schmerzte leicht, aber er ignorierte es. Selbst das Wegschieben von Schmerzen hatte er lernen müssen. Er war sich über diese vielen vergangenen Monate vorgekommen wie ein Novize, der einst vollkommen unbedarft nun ein gänzlich neues Leben einschlagen musste, von dem er nicht den Hauch einer Ahnung hatte. Sein eigener Intellekt war ihm zum Verhängnis geworden und hatte ihn paradoxerweise aller Rationalität und Vorsicht beraubt. Schneller als es nötig gewesen wäre, war aus dem Novizen ein Profi geworden, der bereits ein inneres Gespür für Gefahr entwickelt hatte. Ein Gespür, das ihn intuitiv aufmerksamer werden ließ, der die Ahnung etablierte, bevor etwas passierte. Ein Automatismus, über den nicht mehr nachgedacht werden musste, weil er fast wie das Atmen zur Selbstverständlichkeit mutierte. Ein inneres Alarmsystem, das sich zu einer seltenen Gabe entwickelt hatte.

Er brannte förmlich seinen Blick in den Becher, so als ob er auf dem schwarzen Bodengrund erkennen konnte, wie ein letzter ultimativer Ausweg aussehen könnte - der aber genauso vage blieb wie seine Hoffnung auf das Ende einer gnadenlosen Jagd. Noch ein Schluck des heißen Kaffees jagte die Wärme durch den Körper und in Gedanken versunken blickte er in die Weite der Salzpfanne, ohne sie in diesem Moment wirklich zu sehen. Seine Erinnerungen rasten zurück an den Tag, als die Deadline ihn mit sich riss, ohne dass er in der Lage gewesen wäre, es noch zu verhindern…

*

Der tiefe Bass vibrierte bis unter die Haarspitzen. Zitternde sanfte Wellen durchströmten seinen Körper von unten nach oben, bis der Eindruck entstand, die letzte Welle würde die Haarspitzen anheben, um sie sofort wieder sachte fallen zu lassen. Die stampfende Musik war klirrend und laut. Zu laut für seinen Geschmack, aber die tanzenden Körper vor ihm kümmerte das nicht. Je lauter, desto besser, schien das Motto zu sein. Das hier war eine Discothek, kein Klavierkonzert. Er drehte sich auf dem Barhocker um und griff nach seinem Caipirinha. Es war mehr zerstoßenes Eis als sonst was drin, der Strohhalm steckte fest wie in getrocknetem Lehm. Er störte sich nicht sonderlich daran, auch nicht an den unverschämten fünfzehn Euro, die die Eispfütze kostete. Seine Gedanken waren nicht im Augenblick – nicht hier an diesem lauten Ort. Warum er überhaupt heute in die Disco gegangen war, konnte er nicht mehr sagen. Eigentlich war ihm dieses monotone Bum-Bum-Bum zuwider, das nur von ein, zwei oder manchmal drei verschiedenen Akkorden unterlegt wurde. Er war doch längst über die Jahre der Discotheken hinweg, hatte nur einem aufkommenden Drang nachgegeben, der ihn hierher kommen ließ. Wahrscheinlich wollte er nur mal wieder ausprobieren, ob er noch eines der Mädchen aufreißen konnte. Rainer Noldau war ein ziemlich gut aussehender Mann, dem man den Erfolg durchaus ansehen konnte. Mit fast vierunddreißig Jahren war er als Banker und Broker nicht unvermögend. Er legte sehr viel Wert auf sein Äußeres und auf seine extravagante Kleidung, die in ihrer Qualität und Mode einen höheren Anspruch erkennen ließ. Die Blicke vieler Frauen blieben oft länger als fünf Sekunden an ihm haften. Rainer hatte wohl das, was viele Frauen als dieses gewisse Etwas bezeichnen würden. Nicht alle Frauen, aber zumindest so viele, dass er es bis jetzt vermieden hatte, sich allzu fest zu binden. Dazu war das weibliche Geschlecht einfach zu reizvoll, als dass er sich vorstellen könnte, nur noch eine einzige anzusehen. Und außerdem war bis jetzt auch noch keine dabei, bei der er sagen würde, nur diese möge es sein. Zumindest war er davon überzeugt, dass ihm die perfekte Frau noch nicht über den Weg gelaufen war. Wobei er wahrscheinlich nicht einmal definieren konnte, was eigentlich perfekt sein sollte.

Während er den türkisblauen Strohhalm aus dem Glas zog, ihn daneben legte und das Glas an die Lippen führte, dachte er an das, was ihn schon lange antrieb. Seine Gedanken schweiften ständig ab und einen Moment überlegte er, diesen Ort wieder zu verlassen. Er war kontraproduktiv in dem, was ihm durch den Kopf ging. Was ihn eben antrieb, über so viele Jahre immer wieder Gelder veruntreut zu haben. Gelder, die ihm nicht gehörten. Gelder, die ihm anvertraut worden waren, mit denen er zu arbeiten hatte. Ob diese immensen Beträge immer sauber waren, konnte er nicht beurteilen und es ging ihn auch nichts an. Ob es Erspartes war oder Verdientes, ob Schwarzgeld oder Blutgeld – es war ihm ziemlich egal. Er hatte keinerlei persönlichen Bezug zu diesen Kunden. Es waren reine geschäftliche Verbindungen und die Leute hatten nicht die geringste Ahnung, was ihnen buchstäblich durch die Finger rann. Rainer Noldau war schlau und clever und ließ sich von der ganz großen Versuchung nicht verführen. Niemals ließ er große Beträge verschwinden, immer nur kleinere, die gar nicht auffallen konnten. So klein, dass man wirklich genau hinschauen musste, um Ungereimtheiten auch nur ahnen zu können. Aber in der Summe von so vielen Transaktionen, dass es kein Misstrauen erregen würde und andererseits diese immense Vielfalt eine Endsumme ausmachte, die manchen außenstehenden Betrachter zu großem Erstaunen bringen würde. Er hatte dutzende Auslandskonten angelegt, auf denen immer verschiedene Beträge ein- und ausgingen. Permanent. Ein Algorithmus, den er selbst entwickelt hatte, war nur damit beschäftigt, Gelder hin- und her zu transferieren. So lange und so oft, bis es so gut wie nicht mehr möglich war, den wirklichen Ursprung definieren zu können. Irgendwann landeten sie gesammelt in der Schweiz, auf den Bahamas, den Virgin Islands und sogar auf einem isländischen Konto. Im Ergebnis war es Geldwäsche im großen Stil mit tausenden kleinen Werten. Wobei er sich auch niemals als realer Mensch personifizierte. Genau genommen war er einfach ein genialer Hacker, ein Trickser, fast schon ein Magier mit durchaus kriminellen Energien, die ihn unauffällig, verborgen und vor allem unerkannt bleiben ließen. Sein ursprünglicher Antrieb war wahrscheinlich nur der gewesen, dass er´s konnte. Die Herausforderung war groß und anfangs war es auch prickelnd und aufregend. Später bestätigten ihm die schnellen und leichten Erfolge, dass die Transaktionen im Universum des Weltkapitals einfach still und heimlich verschwanden, ohne eine offensichtliche Spur zu hinterlassen. Er hatte eine Lücke im System entdeckt. Dann wurde es zur Sucht, zur Obsession. Vielleicht spielte auch von Anfang an der Gedanke mit eine Rolle, irgendwann nicht mehr für irgendwelche Arbeitgeber oder sonstige fremde Menschen tätig sein zu müssen. Was ja im Grunde das letztliche Ziel sein sollte. Nur noch selbst entscheiden zu können, was man wann tun wollte, war wohl der Wunsch der meisten Menschen. Rainer wollte so jemand werden und sein. Aber nicht erst in zwanzig oder dreißig Jahren, sondern schnellstens. Also jetzt. Und wenn es so leicht war, diesen Zustand schnell herbeiführen zu können, dann wurde das eben realisiert und auf die Spitze getrieben. Zum jetzigen aktuellen Zeitpunkt, wo er noch jung genug war, ein gänzlich neues Leben anzufangen, bevor er in irgendwas oder irgendwo so etabliert war, dass die Trennung davon immer schwieriger werden würde. Und zwar real und mental.

Die Cyberwelt mit seinen geheimnisvollen Pfaden und Wegen hatte ihn schon als Jugendlicher fasziniert und auch nicht mehr losgelassen. Über die Jahre entwickelte er ein tiefes Gespür für die digitale Sphäre und deren scheinbar geheimnisvolle Umgebung. Er wurde ein Nerd, ohne es selbst zu merken. Sein herausragendes Können, sein Ehrgeiz und Wissen verdankte er seiner unstillbaren Neugier, die tiefen Cyberreiche zu verstehen und manche verborgene Welten zu erreichen, ohne dass seine Präsenz sichtbar wurde. Seine eigene virtuelle Welt war genauso dunkel wie undurchdringbar. Wie mit einem Nachtsichtgerät konnte nur er sich darin zurechtfinden. Er könnte noch Jahre so weitermachen, aber tief in seinem Inneren war ihm natürlich bewusst, dass auch ein noch so sicheres und ausgeklügeltes System irgendwann durch einen dummen Zufall oder durch irgendeinen Leichtsinn auffliegen würde. Die digitale Welt änderte sich schneller, als man ein Hemd wechseln konnte. Entwickelte man heute noch ein absolut sicheres Programm, war morgen schon eine Entschlüsselung gefunden. Er gab sich keinerlei Illusionen hin. Die Zeit war ein nicht zu unterschätzender Gegner. Wenn er genug hatte, musste er aufhören. Ohne eine Spur seiner Existenz und seines kriminellen Tuns zu hinterlassen. Es gab nur eine Hürde und diese eine Frage stand einfach permanent im Raum und suchte nach der finalen Antwort. Wann würde genug genug sein?

„Es ist nicht gut, so alleine an der Bar zu sitzen...hab ich gehört.“

Er verabschiedete sofort seine Gedanken, drehte leicht den Kopf, um die Störung auszumachen - und sah auf eine lächelnde Schönheit mit blonden Haaren. Sein Gedankenstrom erlosch augenblicklich und machte unwillkürlich Platz für eine paradiesische Erscheinung, die im Moment seine ganzen Sinne forderten. Eine zarte Hand wischte gerade sanft eine blonde Haarsträhne hinter das Ohr.

Ihre braunen Augen leuchteten wie glitzernde bernsteinfarbene Edelsteine und ihr sinnlicher Mund war leicht geöffnet. Rainer musste tatsächlich schlucken. Oh verdammt, dachte er nur.

„Ich bin eigentlich gerne alleine….“ sagte er nur und verzog das Gesicht zu einem leichten Grinsen. Die Augenbrauen hatte er hochgezogen wie zur Rechtfertigung.

„Immer? In einer Discothek?“

Er schüttelte leicht den Kopf, ohne das leichte Lächeln darin zu verlieren.

„Nein. Nicht immer. Manchmal suche ich auch eine gewisse Zweisamkeit, um nicht als Einsiedler oder Höhlenmensch zu gelten oder Gefahr zu laufen, diesen Eindruck zu vermitteln.“

Sie lachte, drehte den Kopf zu einem der Barkeeper und zeigte nickend auf das Glas von Rainer. Dabei hob sie die Hand und streckte zwei Finger nach oben.

„Dein Glas ist fast leer. Darf ich dich zu einem Drink einladen?“

„Wirklich?“

Etwas erstaunt blickte er sie an. Das war neu. In der Regel war er es, der eine Einladung aussprach. Sie nickte bestätigend.

„Klar. Was dagegen?“

Ihre Augenbrauen hoben sich fragend.

„Ääh...nein, bestimmt nicht. Das ist sehr nett. Wie komme ich zu der Ehre?“

Sie sah ihm einen Moment länger in die Augen als nötig - und ganz kurz wurde ihm heiß. So etwas wie eine nicht unangenehme Nervosität machte sich bemerkbar. Ein unbekanntes Aufflammen von einer fremden Emotion.

„Weil du mir gefällst,“ erwiderte sie, als wenn es selbstverständlich wäre, das zu sagen.

Überrascht lächelte er sie wieder wortlos an. Sie war unerwartet direkt - und die Hitzewelle erfasste ihn schon wieder. Im Moment wusste er gar nicht, was er darauf antworten sollte ohne Gefahr zu laufen, Unsinn von sich zu geben. Sie bemerkte sein Zögern.

„Hab ich dich jetzt überfahren?“

Mit hochgezogenen Augenbrauen fixierte sie ihn und ihr Blick und das sanfte Lächeln zog ihn noch tiefer in ihren Bann. Ihre Frage war weder provozierend noch irgendwie ironisch. Er fand wieder ein paar Worte.

„Nein, hast du nicht. Ich mag deine direkte Art, weil sie selten vorkommt. Wie heißt du?“

„Sofie. Und du?“

„Rainer. - Aber meine Freunde nennen mich Rainer.“

Einen Moment war sie verdutzt. Dann lachte sie kurz auf.

„Du bist lustig. Ist das deine Art oder bist du gerade nur schlagfertig?“

Er zuckte leicht mit den Schultern.

„Keine Ahnung...so bin ich eben. Vielleicht habe ich eine spontane Art oder so ähnlich. Wenn ich jemanden kennenlerne, dann will ich mich doch nicht verstellen müssen. Das ist doch Quatsch. Kommt doch sowieso auf.

Meine Meinung...“

Sekundenlang blickte sie ihn nur durchdringend an, so als ob sie herausfinden wollte, ob er es ernst meinte oder nur geschult im Umgang mit Frauen war.

„Ich seh` dich schon seit ein paar Stunden hier sitzen, aber du hast keinerlei Anstalten gemacht, irgend jemanden anzusprechen oder gar kennenlernen zu wollen…aber vielleicht bist du auch nur schüchtern. Oder vielleicht schwul?“

Lachend schüttelte er den Kopf und hob leicht beide Hände.

„Ich bin nicht schwul, ich schwör´s. Ich glaub´, schüchtern auch nicht, vielleicht zurückhaltend. Aber - dafür bin ich heute auch nicht da. Ich wollte eigentlich nur ein bisschen entspannen, Musik hören und den Kopf frei bekommen.“

„Nein, bist du wirklich nicht... Wenn du gestresst bist, sollte ich dich vielleicht in Ruhe lassen.“

Er winkte sofort ab.

„Nein, so meinte ich das nicht. Kein Stress... aber manchmal muss der Alltag einfach aus dem Sinn gehen. Das meinte ich damit...“

Die Drinks kamen und sie stießen an.

„Auf dich,“ sagte er.

„Auf uns,“ berichtigte sie ihn.

Ihre Augen ließen ihn nicht los. Sie flirtete sehr gekonnt und er spürte schon wieder die Wellen aufsteigen, die längst nicht mehr von der Musik kamen. Sofie hatte eine Erscheinungsart, die Rainer ganz selten erlebt hatte und sie als schön und überaus angenehm empfand. Blitzschnell durchschoss ihn ein ferner Gedanke, dass sie perfekt zu ihm passen könnte. Genauso schnell verschwand diese Vorstellung wieder. Kein guter Zeitpunkt. Er beschloss, die Zeit nicht zu vertrödeln.

„Wie schnell kannst du das Glas leermachen?“ fragte er sie.

Seine Augen suchten die ihren. Verdammt, die ist hübsch, dachte er noch. Schon wieder.

„Warum?“

„Ich möchte nichts übriglassen, wenn wir gehen.“

Sie kicherte, beugte etwas den Kopf und legte eine Hand auf seinen Arm.

„Sofort.“

Das Glas wurde in einem Zug geleert. Beide Gläser. Er stand auf und versuchte, die anhaltende Hitze in ihm zu ignorieren.

„Lass´ uns gehen. Einverstanden?“

„Und wohin?“

„Dahin, wo es ruhiger ist. Vielleicht in ein stilles, kleines Lokal mit einem schönen Ambiente... und wo wir uns nicht anschreien müssen, damit wir was verstehen.“

„Und wo Eiswürfel nicht dreiviertel des Drinks ausmachen,“ ergänzte er.

„Okay. Und wo ist das?“

„Bei mir.“

Sie biss sich lächelnd auf die Unterlippe und als ob sie nichts anderes erwartet hatte, nahm sie seine Hand und zog ihn Richtung Ausgang.

*

Als er aus dem Bad kam, lag sie immer noch schlafend auf dem Bett. Ein nackter Fuß lag entblößt auf der Bettdecke, ansonsten hatte sie sich zusammen gerollt wie ein Igel. Blonde Haarsträhnen waren über ihre Wange gefallen und ließen nur die Nasenspitze erkennen. Er lächelte entspannt und fasziniert. Was für eine selten schöne Nacht. Er konnte sich kaum erinnern, jemals mit einer Frau solch eine erotische und sinnliche Stimmung erlebt zu haben. Sofie war ein perfektes Bild einer bezaubernden Frau, die Rainers Vorstellung auf den Punkt abdeckte. Hatte er anfangs noch geglaubt, vielleicht doch eine Discomieze mit nach Hause genommen zu haben, so wurde er schnell eines weitaus besseren belehrt. Sie war weder eine Discomieze geschweige denn ein blondes spät pubertierendes Dummchen. Im Gegenteil. Sie hatte ihn gefangen genommen durch eine intelligente Art und dem richtigen Verhältnis von Humor, Ernst und Erotik…. und er hatte sich dagegen nicht gewehrt. Sie hatte ihn nach allen Regeln der Erotikkunst verführt und ihn trotz seiner Erfahrung mit dem weiblichen Geschlecht gelehrt, dass die Skala nach oben unendlich sein kann.

Immer noch lächelnd, den Blick auf sie gerichtet und in den imaginären Bildern der letzten Nacht schwelgend, wachte sie auf, drehte und hob den Kopf und sah sich um. Als sie ihn sah, lächelte sie kurz und ließ sich wieder mit halb geschlossenen Augen in das Kissen sinken.

„Guten Morgen…“ flüsterte sie leise.

„Morgen,“ sagte er. Immer noch stand er mit einem umgebundenen Handtuch vor dem Bett.

„Kaffee? Croissants?“

„Das wär´ himmlisch…“ sagte sie sanft.

Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und hatte sich aufgesetzt. Die Bettdecke war heruntergerutscht und ihre Brüste kamen zum Vorschein. Sie hatte kein Hemdchen an.

Er begann schon wieder zu schlucken. Sofie war einfach eine traumhafte Erscheinung.

„Darf ich erst duschen?“

Gähnend streckte sie sich.

„Natürlich. Ich hab´ dir Handtücher hingelegt. Und in der Kommode findest du Zahnbürste und ...was auch immer du brauchst, nimm´s einfach.“

Sie grinste ihn an, während sie sich aus den Decken schälte.

„Bist wohl immer gut vorbereitet, mir scheint.“

Er schüttelte den Kopf und wedelte mit einer Hand hin und her. Anscheinend hielt sie ihn für einen …. was auch immer.

„Nein. Auch wenn´s so aussieht. Dafür ist es nicht gedacht.

Aber es schadet auch nicht, wenn man mehr Zahnbürsten hat, oder?“

Sie stand auf, schwebte förmlich auf ihn zu, küsste ihn sanft und strich ihm mit einer Hand über die Wange.

„Du bist süß.“

„Ich weiß.“

Lachend verschwand sie im Bad. Kopfschüttelnd ging er in die Küche. Während er den Kaffee aufsetzte und die Croissants in den Ofen legte, dachte er pausenlos an sie. Er konnte sich kaum erinnern, einer Frau nach wenigen Stunden des Kennenlernens so emotional nahe gewesen zu sein und er grübelte, warum. Irgend etwas war diese Nacht anders gewesen. Er würde sich doch nicht in sie verguckt haben? Abrupt schüttelte er vehement den Kopf. Nein, dafür hatte er nun wirklich keine Zeit und Hals über Kopf ging schon gar nicht. Der Zeitpunkt wäre denkbar ungünstig. Es war doch nur ein One-Night-Stand...nichts weiter.

Er zog sich an und deckte nachdenklich den Tisch. Sofie war nicht mehr so jung wie er zuerst in der Disco meinte. Er schätzte sie zumindest auf die dreißig. Eher etwas darüber. Jedenfalls altersmäßig auf seiner Augenhöhe. Sie war wahrlich keine dieser Discomädels, die noch Teenager waren oder zu der Generation jung und wild gehörten. Sie war eine erwachsene Frau allererster Güte. Schön, intelligent, selbstbewusst und überaus sinnlich. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass sie nicht mit Freunden oder Freundinnen dort gewesen war. Sie war genauso alleine gekommen wie er…

Er richtete sich auf und starrte nachdenklich aus dem Fenster. Was hatte so eine Frau in einer Discothek zu suchen? Nur um einen Mann für die Nacht zu suchen? Er schüttelte den Kopf. Was ging das ihn an? Sein Blick richtete sich in den Himmel. Die Sonne schickte sanfte Strahlen zwischen den Wolken auf den gedeckten Tisch, die den Raum ein klein bisschen unwirklich erscheinen ließen.

Das aufkommende Blobbern der Kaffeemaschine riss ihn aus seinen Tagträumen. Während er noch darüber nachdachte, warum eine Frau wie sie alleine in eine Discothek ging, beendete ein leichtes Scharren seine Gedanken. Sofie betrat den Raum. Sie hatte sich wieder angezogen und sah einfach atemberaubend aus. Jetzt im frühen Sonnenlicht wie eine Prinzessin aus einer magischen Zauberwelt.

„Hallo,“ flötete sie und sah ihn aufmerksam an. Mit einem winzigen Lächeln um die Augen. Er war geliefert. Eigentlich ausgeliefert.

„Hallo...ich...ich hätte auch Marmelade für die Croissants, wenn du willst.“

Er kam sich gerade vor wie ein pubertärer Pennäler. Und genauso ungelenk stand er wohl auch da – nach ihrem aufkommenden Grinsen zu urteilen. Fast war es ihm peinlich und er rollte die Pupillen zur Seite.

„Keinen Aufwand. Alles ist toll, so wie du das machst.“

„Setz´ dich,“ sagte er und zeigte auf einen Stuhl. Er nahm die Kaffeekanne und schenkte ein.

„Milch und Zucker stehen da. Bedien´ dich.“

Sie hatte ihn die ganze Zeit nicht aus den Augen lassen und er spürte das. Er drehte leicht den Kopf und sah sie an.

„Was ist? Alles in Ordnung?“

„Ja, alles in bester Ordnung. Ich...ääh...ich…“

Er stellte die Kanne ab und setzte sich.

„Gestern Abend und heute Nacht hast du nicht gestottert,“ bemerkte er leise und lachte sie an.

Sie schmunzelte fast schüchtern.

„Tja...ääh...ich wollte nur…also, es ist nicht so, dass...ich meine...“

Sie stockte kurz und blickte ihn nicht an. Rainer stellte die Kaffeetasse ab und sah ihr lächelnd in die Augen. Er ahnte, was sie sagen wollte.

„Du brauchst wirklich nichts zu erklären. Es ist alles gut so.

Wirklich. Alles ist mehr als okay.“

Jetzt hob sie wieder den Kopf.

„Nein, nein, ich wollte dir nur sagen, dass...dass...das mit dir wirklich etwas ganz besonders Schönes war. Und ich eigentlich nicht der Typ für so was bin…“

„Für was denn?“

„Na, für einen One-Night-Stand. Das mach´ ich normalerweise nicht. Das...das hab´ ich im Grunde genommen noch niemals gemacht. Du warst der Erste….das wollte ich dir nur sagen, bevor du...“

Er sah sie durchdringend an. Es klang echt. Er glaubte ihr aufs Wort.

„Ich fasse das als großes Kompliment auf und fühle mich sehr geehrt… ich würde auch Menschen nicht nach solchen Kriterien beurteilen. Schließlich war ich ja zur Hälfte beteiligt.“

Er stockte und lächelte dann kurz. Ein seltsamer Anflug von Harmonie und Sehnsucht legte sich auf seinen Geist.

„Ich habe selten so einen schönen Abend und so eine wunderschöne Nacht mit jemandem erlebt. Unabhängig wie er zustande kam und warum. Ich habe das mehr als genossen...wirklich. Du bist wunderbar.“

„Du machst mich jetzt ganz verlegen…“

Er nahm ihre Hand und küsste sie. Wie ein Kavalier alter Schule.

„Charmeur,“ sagte sie augenzwinkernd.

Aber ihr Lächeln war tatsächlich echt. Jedenfalls konnte er keinen Anflug von gespielt oder vorgeschoben erkennen. Es meldete sich kein Wächter in ihm, der ihn vielleicht warnen könnte, auf seine Gefühle aufzupassen und seine Vorsicht möglicherweise zu verlieren. Fast gab er dem Bedürfnis nach, sie nach ihrer Telefonnummer und nach einem anderen Date zu fragen. Aber seine momentane angespannte Situation duldete das keinesfalls. Er wollte nicht durch eine spontane Liebesaffäre seine Lebenspläne in Frage stellen.

Auch Sofie schnitt dieses Thema mit keinem Wort an – was ihn fast dankbar stimmte, weil er dann nicht nach fadenscheinigen Erklärungen suchen musste.

*

Rainer war im HomeOffice und plante den allerletzten Coup. Fieberhaft überlegte er hin und her, ob er dieses Risiko tatsächlich eingehen wollte. Sein bisheriges Leben würde vorbei sein und er musste ein gänzlich neues beginnen. Neues Land, neue Stadt, neue Menschen – eine neue Geburt. Wie war das mit „genug“? Er starrte wieder auf den Bildschirm. Eine Chance, die es so nicht ein zweites Mal gab. Zwanzig Millionen Euro...das war ein Megabetrag, das konnte man nicht kaschieren. Wenn er jetzt die Maschinerie in Gang setzte, musste er so schnell wie möglich verschwinden. Dann würde es so sein, dass er aufgeflogen war. Viel Zeit würde nicht vergehen, dann wären die ersten internen Prüfungen fällig. Es musste abends geschehen. Wenn niemand mehr in irgendwelchen Büros war. Er überlegte, war sich eigentlich schon sicher, aber noch zögerte er. Irgendeine Blockade legte sich auf sein Bewusstsein und er wusste nicht zu sagen, welche das genau sein sollte. Das Innere kämpfte noch um eine Entscheidung. Er wusste nicht, wie lange die Millionen auf diesem Konto blieben. Vielleicht wurden sie bald transferiert. Er würde schnell entscheiden müssen. Er stand auf und lief auf und ab, raufte sich die Haare, fuhr mit den Händen über sein Gesicht, schloss die Augen und öffnete sie wieder. Zwei konträre Systeme meldeten sich, die ein Für und Wider auf den Prüfstand stellten und tiefe Emotionen, Vorstellungen und auch Risiken mit einbezogen.

Sein Untertauchen hatte er längst minutiös geplant. Falsche Pässe hatte er seit Monaten in seiner geheimen Schublade. Einen deutschen, einen britischen und einen amerikanischen. Zur Sicherheit befand sich auch noch ein australischer Pass in seiner Schublade. Mit vier Identitäten fühlte er sich sicher, um sich einen neuen Platz zum Leben auszusuchen. Für ein gänzlich neues Leben. Mit den vielen Millionen konnte er ganz langsam ein eigenes, besseres und vor allem erfüllenderes Leben aufbauen. Schließlich hatte er schon lange genug davon, ständig bei irgendwelchen Vorgesetzten Rechenschaft ablegen zu müssen, nur um am Monatsende das – zugegeben großzügige Gehalt – auf seinem Konto sehen zu können. Es beschränkte irgendwie seine Vorstellung von persönlicher Freiheit. Er würde nichts vermissen, nichts zurücklassen, was immens wichtig gewesen wäre. Sein Freundeskreis war überschaubar und recht oberflächlich. Frauengeschichten ließ er nur auf der Ebene von Sex zu und wenn ihm wirklich einmal eine Frau zu nahe gekommen war, hatte er einfach den Kontakt abgebrochen. Dafür war er bereit, als Schwein zu gelten. Er konnte damit bislang ganz gut leben und unterdrückte erfolgreich etwaige aufkommende Gewissensbisse.

Sofie kam ihm wieder in den Sinn, aber er hatte sich zurückgehalten, die Bekanntschaft zu vertiefen. Und Sofie hatte von sich aus nichts hinzugefügt. Es war und blieb ein One-Night-Stand und Rainer war froh, seinem Gefühl nicht nachgegeben zu haben. Obwohl schon so ein ferner dumpfer Ton nachklang, der sich nicht abschalten ließ und ihn fragte, nicht doch eine perfekte Gelegenheit verpasst zu haben.

Warum er vor Jahren damit begonnen hatte, sich bei den Geldern anderer zu bedienen, wusste er selbst nicht so genau. Wahrscheinlich, weil es so leicht gewesen war. Und gerade weil es so leicht war, wurde es zu einer immer stärker bildenden Obsession. Immer wieder, immer mehr, immer öfter. Nur seiner fast schon angeborenen Vorsicht war es zu verdanken, dass er nicht leichtsinnig und übermütig geworden war. Es sollte niemand nur den Hauch eines Verdachtes schöpfen und es sollte niemand misstrauisch werden. Die Transaktionen dürften gar nicht wahrgenommen werden. Bis jetzt hatte er erfolgreich im Verborgenen agieren können. Aber jetzt ging es nicht um ein paar Euro...jetzt standen da zwanzig Millionen. Mit einer einzigen Transaktion wäre es getan. Aber dann musste er sofort verschwinden. Er ging zum wiederholten Male den Plan und seine Checkliste durch: Koffer packen, Papiere sichern, Pässe kontrollieren, Kreditkarten mit den falschen Daten mitnehmen, Geldtransfers, Festplatten ausbauen und vernichten, die geplanten Flugrouten nehmen. Änderungen nur im absoluten Notfall. Und das Wichtigste: kein Blick zurück. Er beschloss, am Freitag Abend den Deal durchzuziehen. Also übermorgen…

Freitag 18:45 Uhr.

Rainer saß vor dem PC. Seinen Laptop hatte er gelöscht, geschrottet und im Wertstoffhof entsorgt. Das Firmenhandy lag auf dem Tisch. Er würde es nicht mehr brauchen, da sowieso nur nicht relevante Daten darauf waren. Er war fertig für die Abreise. Er stand auf und lief wie ein eingesperrtes Tier hin und her. Ein letztes Mal jagten sich die vielen Gedanken - dann drückte er die Eingabetaste. Der Algorithmus begann sofort zu arbeiten und drei Minuten später erhielt er die Bestätigung des Empfangs. Die Millionen wurden gesplittet, bis nur noch 50-Euro-Teile existierten, die anschließend auf die vielen Konten eingezahlt wurden. Die Kleinbeträge würden hundert oder 1000mal hin- und hergeschoben werden. Das würde einige Zeit in Anspruch nehmen, aber dafür war auch Wochenende. Arbeitsfrei. Zumindest hier in Deutschland und Europa. Zeit genug, um endgültig unterzutauchen. In Gedanken ging er die letzten Minuten in der Wohnung noch durch. Morgen würde er sie verlassen und nie mehr zurückkommen.

Er würde die Festplatte entfernen und sie in die Jackentasche stecken, sie irgendwo unterwegs entsorgen. Keiner würde sie finden, dazu war sie viel zu stark beschädigt. Zur Sicherheit hatte er längst ein Programm erstellt, das bei einem unerlaubten Zugriff auf die Dateien augenblicklich das gesamte Betriebssystem sowie die Festplatte infizieren und sich sofort selbst zerstören würde.

Er würde aufstehen, seine Jacke vom Haken nehmen, den Koffer, einen Rucksack und zur Türe gehen. Er würde sich nicht umblicken, sondern nur die Klinke nach unten drücken. Die Türe würde sich öffnen und dann würde er verschwinden.

Die Jacke nahm er auch jetzt vom Haken. Er wollte noch etwas essen, nebenan beim Italiener. Er ging zur Türe und öffnete sie – und erstarrte erschrocken mitten in der Bewegung vor Überraschung.

Er stand fünf Männern gegenüber, die ihn genauso überrascht und erschrocken ansahen. Drei waren in Uniform, zwei in Zivil. Polizei!! Der Schreck durchfuhr ihn von oben bis unten – und er wusste gleichzeitig, dass man ihm das ansah.

Einer der Männer wollte gerade auf die Klingel drücken und hielt in der Bewegung inne. Die gegenseitige Überraschung war absolut perfekt. Eine vollkommen absurde Situation.

Der vordere zog einen Ausweis hervor und hielt ihn Rainer unter die Nase.

„Kriminalpolizei. Hauptkommissar Ruhland. Sind Sie Rainer Noldau?“

Völlig perplex nickte er. Er war wirklich vollkommen gelähmt und seine Gedanken standen für einen Moment wie paralysiert still.

„Ja...was...was wollen Sie denn von mir?“

„Wollen Sie verreisen?“ fragte stattdessen der Zivilbeamte.

„Was? Ne...nein..Ich...vielleicht demnächst mal. Ich möchte nur etwas Essen gehen. Warum?“

„Das wird wohl nichts werden. Sie sind verhaftet wegen Unterschlagung von Kundengeldern, Betrug und verbotenen Börsenspekulationen. Hier ist der Haftbefehl und ein Durchsuchungsbeschluss.“

Er hielt ihm die Schreiben vor die Nase und schob ihn zur Seite.

„Festnehmen,“ sagte er zu den Uniformierten.

„Wie bitte? Was soll das heißen?“

„Das soll heißen, dass wir Sie in Gewahrsam nehmen und Sie uns zum Verhör aufs Revier begleiten. – Bitte!“

Er hatte sich zu den Beamten umgedreht und trat zur Seite.

Rainer war vollkommen sprachlos und seine Gedanken, die gerade noch vor Lähmung stillstanden, kamen nicht mehr zur Ruhe. Sie flogen umher wie trockene Blätter im Sturmwind, folgten keiner rationalen Regel und keinem bekannten Muster. Er dachte nur noch daran, dass er aufgeflogen war. Und dass er nichts, aber auch gar nichts bemerkt hatte. Die Erkenntnis und eine riesige Verständnislosigkeit trafen ihn wie ein Vorschlaghammer.

Mit einem inneren Wunschgedanken wollte er diese Situation nicht geschehen lassen und wusste natürlich, dass das nicht möglich sein würde. Widerstandslos und ohne auch nur ein Wort des Widerspruchs zu sagen, ließ er sich festnehmen, er spürte die Handschellen, die um seine Handgelenke klickten und er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Er war tatsächlich wie paralysiert.

Wie verdammt nochmal, waren sie ihm auf die Spur gekommen??? Das konnte doch nicht sein, das durfte nicht sein. Nicht jetzt!!! Doch nicht jetzt!!! So kurz vor dem Ziel...nein, nein, nein!!! Er spürte panische Gefühle hochkommen und das Nicht-akzeptieren der niederschmetternden Realität, die ihn so unvorbereitet heimgesucht hatte.

Die Beamten brachten ihn hinunter und schoben ihn in ein Polizeifahrzeug. Rainer hatte nicht einmal bemerkt, dass Polizeifahrzeuge vorgefahren waren. Er kam sich gerade wie ein Schaf vor, das in die Augen eines Wolfes sah und unfähig war, zu reagieren. Noch vollkommen benebelt und fassungslos, nicht in der Lage, auch nur ansatzweise das, was gerade geschah, wahrzunehmen, saß er im Fond des Fahrzeugs. Nicht fähig, auch nur einen einzigen Gedanken des Begreifens aufzunehmen.

Die Beamten sagten nichts, starteten den Wagen und fuhren durch die Stadt. Vor dem Polizeigebäude hielten sie an und führten ihn in ein Büro. Seine Hände waren immer noch gefesselt. Vollkommen ergeben und widerstandslos ließ er alles mit sich geschehen. Irgendwann wurde er an einen Schreibtisch gesetzt. Zwanzig oder dreißig Minuten wartete er, ohne dass sich sein aufgewühlter Geist beruhigen konnte oder zumindest jemand kam, der mit ihm sprach. Ein Beamter stand nur schweigend hinter ihm und passte auf ihn auf. Er sprach kein Wort. Genau wie Rainer. Er atmete nur unregelmäßig aus und ein und starrte in die Leere. Mit Mühe zwang er sich, etwas wie Rationalität in seine wilden Gedanken zu bringen, aber es gelang einfach nicht. Er war völlig durcheinander und konnte sich nicht erinnern, jemals diesen Wirrwarr an Gedanken in seinem Kopf gehabt zu haben. Ihm fehlte im Moment jegliches Verstehen des gerade ablaufenden Geschehens.

Da kam der Beamte, der ihn verhaften ließ und setzte sich mit einer Mappe ihm gegenüber. Er schlug sie auf und las ein paar Seiten durch. Dann klappte er sie zu, sah Rainer an und nickte.

„Ich bin Hauptkommissar Ruhland von der Abteilung Betrug und Cyberkriminalität. - Möchten Sie etwas zu trinken? Einen Kaffee? Wasser oder etwas anderes?“

Rainer nickte. Ganz langsam erfasste ihn wieder Wirklichkeit und eine labile Kontrolle.

„Ein Glas Wasser wäre jetzt gut. Und vielleicht eine klare Erklärung für diese Aktion...bitte. Ich verstehe nämlich im Moment gar nichts.“

Ruhland nickte dem Beamten zu und sagte:

„Nehmen Sie bitte Herrn Noldau die Handschellen ab.“

Erst jetzt nahm er wahr, dass er immer noch gefesselt war.

Nachdem er von seiner Fesselung befreit worden war und ein paar Schluck Wasser zu sich genommen hatte, waren seine Gedanken wieder geordneter. Was nicht bedeutete, dass die vielen Fragen immer noch keine einzige Antwort bekommen hatten.

„Sie sind sich schon klar darüber, warum Sie jetzt hier sitzen, Herr Noldau?“

„Nein, ich habe wirklich keine Ahnung.“

Rainer schüttelte den Kopf und machte auf erschrockene und ahnungslose Unschuld. Wobei er wirklich ahnungslos war, wie man ihm auf die Spur kommen konnte. Er brauchte nichts zu spielen.

Ruhland lehnte sich zurück und sah ihn ausdruckslos an.

Dann stand er auf und nickte dem Beamten zu.

„Kommen Sie bitte mit,“ forderte der ihn auf.

Rainer wurde in ein Verhörzimmer geführt. Keine Fenster, Neonbeleuchtung, eine große Scheibe an der Stirnseite.

´Wie im Film`, dachte er in diesem Moment und spürte wieder den Schauer, der sich über seinen ganzen Körper legte. Er musste schnellstens ruhiger werden, damit er wieder vernünftig nachdenken konnte.

„Setzen Sie sich bitte.“

Zwei Mikrofone waren auf dem Tisch installiert und in einer Ecke stand eine Kamera, die die Befragung aufnahm. Ruhland setzte sich ihm gegenüber und musterte ihn ein paar Augenblicke wortlos. Dann beschäftigte er sich wieder mit der Akte.

„Nun gut. Sie werden beschuldigt, über einen längeren Zeitraum permanent Geldbeträge aus Finanztransaktionen abgezweigt zu haben. Wir haben Sie seit Monaten im Visier, Herr Noldau. Alle Buchungen sind hier dokumentiert und protokolliert. Ihre Vorgesetzten wissen Bescheid und haben uns alle benötigten Daten bereit gestellt. Alle Verdachtsmomente weisen ausdrücklich auf Sie hin. Wir können Ihnen alles lückenlos nachweisen. Leugnen ist also völlig zwecklos und wird Ihre Situation nur verschärfen.

Geben Sie zu, die Unterschlagungen begangen zu haben?“

Er hob die Mappe hoch, um seine Aussage zu bekräftigen.

Doch Rainer gab sich noch längst nicht geschlagen. Die Verdachtsmomente weisen auf Sie hin, hatte Ruhland gesagt. Verdachtsmomente sind längst keine Beweise. Und die Buchungen konnten gar nicht auf ihn hinweisen. Sie hatten nichts Definitives, das ihn festnageln könnte. Ein Begriff namens Hoffnung bereitete einen schmalen Weg.

„Was?? Nein, ich...natürlich nicht. Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen. Ich weiß nichts von irgendwelchen Unterschlagungen und ich würde mich niemals mit so etwas beschäftigen. Wie kommen Sie überhaupt auf mich?“

Rainer beschloss, erst einmal alles abzustreiten und den Überraschten und Unwissenden zu spielen. Doch Ruhland ging gar nicht darauf ein. Er ignorierte einfach Rainer´s Einspruch. Durchaus eine Taktik, die seinem Gegenüber das Selbstbewusstsein einschränken sollte.

„Wie lange machen Sie das denn schon und wo ist dieses Geld?“

Rainer schüttelte den Kopf und machte ein verständnisloses Gesicht.

„Ich habe nicht die leiseste Ahnung, von was Sie sprechen.

Tut mir leid, ich kann Ihnen nicht folgen. Alle Transaktionen, die ich im Auftrag tätige, sind ordnungsgemäß abgespeichert und durch die Firmenleitung abrufbar. Wir sind grundsätzlich jederzeit revisionspflichtig, was ja in meinem Job ganz normal sein dürfte. Ich weiß wirklich nicht, was Sie meinen…“

„Bestreiten Sie die Vorwürfe, Herr Noldau?“

Sofort nickte Rainer.

„Natürlich. Abgesehen davon ist es gar nicht möglich, hier zu mogeln, weil jede Buchung eine Gegenbuchung bedingt und durch einen gesicherten Account personalisiert werden muss.“

Ruhland ging wieder mit keiner Silbe auf seine Ausführungen ein. Er wollte Rainer in die Ecke drängen.

„Ich kann Ihnen nur dringend raten, zu kooperieren. Das sind beileibe keine Kavaliersdelikte, sondern ein Straftatbestand höchster Kategorie. Ein Richter wird Sie verdonnern, dass Sie die nächsten Jahre einsitzen. Möchten Sie das?“

Rainer hob die Handflächen nach oben, um diese Frage ins Absurde zu führen. Warum zum Teufel sollte jemand einsitzen wollen? „Ich will weder einsitzen noch etwas bestätigen, von dem ich gar nichts weiß. Was soll das eigentlich?“

Ruhland hob die Augenbrauen und sah Rainer fast schon mitleidig an. Er versuchte es mit einem kumpelhaften Verständnis.

„Sehen Sie, es ist doch ganz einfach. Mit einem Geständnis und einer weitreichenden Kooperation wird Ihnen das Pluspunkte bringen sprich eine mögliche Haftreduzierung.

Natürlich nur, wenn die Gelder wieder da sind ..Überlegen Sie gut, Herr Noldau.“

Rainer überlegte. Natürlich überlegte er. Solange er nicht wusste, was die wussten, konnte er und wollte er gar nichts zugeben oder einräumen. Er wusste immer noch nicht, wie um alles in der Welt man ihm drauf kommen konnte. Es gab nicht den kleinsten Hinweis auf seine Identität in diesem Falle. Und wenn man ihm keine Beweise vorlegen konnte, war nichts zuzugeben. Es konnte keine schlüssigen Beweise geben. Es blieben Verdachtsmomente, sonst nichts.

„Ich kann Ihnen wirklich nicht helfen. Ich habe nichts getan und ich bin mir absolut nicht bewusst, dass irgend etwas möglicherweise unsachgemäß behandelt worden wäre. Vielleicht könnten Sie einmal ins Detail gehen.“

Demonstrativ trommelte er mit den Fingern auf der Tischplatte, um seine Entrüstung zu zeigen.

„Damit ich wenigstens weiß, was Sie mir genau vorwerfen.“

Ruhland sah ihn wieder regungslos an und öffnete den Akt.

Er zog ein Papier heraus.

„Sie haben in den letzten anderthalb Jahren fortlaufend kleinere Beträge von Börsengewinnen abgezweigt und auf verschiedene Konten weltweit transferiert. Wir sind gerade dabei, die Pfade aufzuschlüsseln. - Zugegeben, recht schlau. Kleine Beträge fallen nicht auf. In der Menge kommt aber eine beachtliche Zahl zustande. Insgesamt belaufen sich die aufgelaufenen Gelder auf circa sechs Millionen Euro. Wobei es noch nicht sicher ist, dass das alles ist. Das sind keine kleinen Gaunereien, Herr Noldau, das ist Betrug. Laut §§266 Abs. 2, 263 Abs. 3 StGB, nennt man das gewerbsmäßige Unterschlagung und kann Ihnen bis zu zehn Jahren Haft einbringen.“

Rainer wurde hellhörig. Sie wussten also wirklich nichts Genaues, sie verdächtigten ihn lediglich und hatten keine relevanten Beweise. Er hatte von Anfang an einen anonymen Account angelegt, der nicht zurück verfolgt werden konnte, ohne dass ein Server gehackt werden musste. Sein eigener Zugang konnte gar keine Unstimmigkeiten aufweisen. Rainer bekam wieder leichtes Oberwasser und seine winzigen Rädchen im Gehirn drehten sich wieder halbwegs rund. Warum ein Haftbefehl ausgestellt worden war, obwohl die mangelnde Beweislage das seiner Ansicht nach gar nicht rechtfertigte, war eine Frage, die er jetzt nicht beantworten konnte.

Das Telefon klingelte. Ruhland nahm ab, meldete sich, aber mehr als ein ´Aha` oder ein ´Okay`, ab und zu ein ´Gut` und ein Brummen war dem Gespräch nicht zu entnehmen.

„Unsere Techniker haben Ihren Computer entschlüsselt. Sie fanden einen nicht zuzuordnenden Account für die Finanzdaten Ihres Unternehmens. Damit sind Sie außerordentlich belastbar, Herr Noldau. Unsere Techniker werden alles finden, glauben Sie mir. Dadurch, dass die Cyberkriminalität in den letzten Jahren immer mehr zunimmt, hat auch die Polizei ihre Fähigkeiten mehr als verstärkt. Glauben Sie mir, dass es auch bei uns Leute mit genialen Hackerfähigkeiten gibt. Ich kann Ihnen nur empfehlen, den Mund aufzumachen. Sie wissen doch selbst, dass es keinen Rechner gibt, der grundsätzlich alles löschen kann. Ihre Festplatte wird ein offenes Buch für uns sein. Ein Geständnis kann allerdings nur nützlich sein, wenn es vorher stattfindet. Sie sind ein intelligenter Mensch, Herr Noldau, und Sie haben bislang eine reine Weste in den Akten. Das wird jetzt zwar anders sein, aber es liegt an Ihnen, auf welchem Niveau diese Akte letztendlich landen wird.“

Er machte eine Pause.

„Ich habe einen Haftbefehl beantragt, dem stattgegeben wurde. Sie werden jetzt in Gewahrsam genommen und ins Untersuchungsgefängnis überstellt, bis die Beweisführungen abgeschlossen sind. Sie können selbstverständlich einen Anwalt konsultieren. Haben Sie mir noch etwas zu sagen?“

Ruhland stand auf und sah ihn aufmerksam an. In diesem Moment dankte Rainer seiner immerwährenden Vorsicht, dass er das Selbstzerstörungsprogramm installiert hatte. Mit dem ersten Zugriff würden auf dem Bildschirm nur immens viele Zeichen erscheinen, die sich nach und nach auflösten.

Die Ermittler konnten das nicht stoppen. Am Ende würde der Akku überhitzen und die Festplatte derart beschädigen, dass sie womöglich in Flammen aufging. Sollte es tatsächlich irgendeinen Beweis gegeben haben, den er möglicherweise übersehen hatte, so würde er damit für immer verschwunden sein.

Im Augenblick konnte sich Rainer nicht vorstellen, etwas vergessen zu haben.

„Ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen soll. Mein Account ist in der Firma vertraulich hinterlegt. Ich kann nur mit dem arbeiten, einen anderen gibt es nicht und kenn´ ich nicht.

Möglicherweise wurde ich lediglich benutzt, anders kann ich mir das nicht vorstellen. Das, was Sie mir erzählen, höre ich das allererste mal.“

Ruhland nickte nur und atmete hörbar aus.

„Nun gut, wie Sie wollen. Vielleicht bringen Sie die nächsten Tage in der Zelle zur Vernunft. Ich kann das Ihnen nur ans Herz legen. Guten Tag, Herr Noldau.“

Er nickte ihm kurz zu und verließ den Raum. Ein Beamter nahm Rainer mit und brachte ihn in eine Zelle. Dort setzte er sich auf das Bett und starrte in die Leere. Ganz langsam wurde ihm bewusst, dass er im Moment voll am Arsch war.

Er haderte mit einem seltsamen Schicksal, das ihm grinsend ein Bein gestellt hatte. Rainer schüttelte innerlich den Kopf, wenn er daran dachte, dass er nur zwölf Stunden später über alle Berge gewesen wäre. Wären die Beamten nur einen Tag später gekommen, hätten sie ihn nicht mehr angetroffen.

Und bis sie vielleicht irgendwann drauf gekommen wären, dass er sich abgesetzt hatte, wäre er längst in den Weiten der Welt entschwunden. Hätte, hätte, hätte...wäre, wäre, wäre...was für eine Scheiße. So eine verdammte Scheiße!!! So schnell werden Pläne pulverisiert, dachte er.

Was, wenn sie ihm doch nachweisen konnten, dass er derjenige war, der die Transaktionen angewiesen hatte. Dann konnte er verrotten in einer verdammten Dreckszelle.

Wie viele Jahre? Er wusste es nicht, aber er glaubte Ruhland, der sagte, dass Betrug in diesem Ausmaß keine Bewährungsstrafe nach sich zog. Er dachte an die zwanzig Millionen, die sich wahrscheinlich im Cyberraum immer noch separierten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Spezialisten den Server ausfindig machen konnten. Er zweifelte allerdings daran, dass sie ihn hacken könnten. Das hatte er zwar geschafft, aber Rainer war kein eitler Idiot, der sich als den Größten betrachtete. Aber einen Server grundsätzlich zu hacken, war so gut wie unmöglich. Er hoffte, dass das Programm bis Sonntag alle Aktionen abgeschlossen hatte. Dann würde es sich selbst vernichten und dann war auch dort nichts mehr zu finden. Doch ein kleiner winziger Zweifel blieb, der sich immer mehr Raum verschaffte. Was, wenn nicht?

Im Büro von Ruhland stand er seinem Kollegen Manuel Britz gegenüber.

„Was meinst du?“ fragte er ihn.

„Also entweder weiß er wirklich nichts oder er ist ein ganz schlauer eiskalter Hund. Der hat sich wirklich gar nichts anmerken lassen. Er wirkte glaubwürdig überrascht und fast entsetzt. Bist du bei ihm wirklich ganz sicher?“

„Aber alles deutet darauf hin, dass er derjenige ist. Ich glaube ihm das Unschuldslamm nicht. Ich bin überzeugt, wir haben den Richtigen. Er ist der einzige Hinweis, den wir haben.“

Britz zuckte die Schultern. Er war nicht überzeugt.

„Wissen wir wohl erst, wenn wir seinen Rechner überprüft haben. Mit den Firmendateien können wir ihn zwar festnageln, aber solange wir nicht nachvollziehen können, wohin und wie die Transaktionen verschwunden sind, wird das nicht reichen. Der schlüssige Beweis fehlt. Im Moment haben wir nur Indizien – das ist zu wenig, denke ich.“

„Ich bin sicher, am Montag ist alles geknackt. Ich halte ihn für den Täter. Bin vollkommen sicher. Er hält sich für superschlau und das ist seine Schwäche.“

„Er ist schlau – zweifellos. Die Beweise der Finanzdateien werden im Moment vielleicht für eine Anklage reichen, aber wenn er wirklich diesen Coup gedreht hat, brauchen wir einen unumstößlichen Beweis und die Pfade der Gelder. Vor allen Dingen, von wo aus alles verarbeitet wurde.“

Ruhland nahm seine Jacke vom Stuhl und nickte.

„Na gut, warten wir. Ich hau´ ab. Schönes Wochenende…“

„Dir auch. Bis Montag.“

*

Das Untersuchungsgefängnis war ein nicht kalkulierbarer Katalysator in Rainer´s Gehirn. Nach zwei Wochen war ihm vollkommen klar, dass er da keinesfalls bleiben konnte. Die Aussicht, zukünftig eine Zelle als sein Zuhause anzusehen, entfachte in ihm panikartige Magenschmerzen. Er hatte keine Ahnung, auf welchem Stand die Anklage und die Beweisführung war, aber dass selbst die deutsche Justiz da nicht ewig brauchen würde, war auch ihm klar. Er musste hier raus – irgendwie. Schnellstens.

Sein Anwalt hatte mehrere Gespräche mit ihm geführt und die Verteidigung dementsprechend angepasst. Aber er teilte Rainer auch unumwunden mit, dass die möglichen Beweise, die die Ermittler schon und vielleicht noch in den Akten hatten, eine erfolgreiche Verteidigung erschweren würde.

Rainer überraschte das alles nicht, aber er konnte nichts einräumen, solange man ihn nicht mit einem konkreten Beweis an die Wand nagelte. Seine Geduld wurde gewaltig ausgereizt.

Der Wärter holte ihn aus der Zelle, um die Mahlzeiten einzunehmen. In einem großen Saal versammelten sich die Gefangenen und standen in einer Reihe vor der langen Theke. Rainer holte sich ein Tablett und stellte sich an. Er war einer der ersten, also setzte er sich an einen leeren Tisch und begann zu essen. Wie immer grübelnd und nachdenklich. Ein Schatten fiel auf ihn und er hob kurz den Kopf. Ein Mann stand vor ihm und sah ihn an. Nicht unfreundlich, eher fragend.

„Kann ich mich setzen?“

Rainer nickte.

„Klar, das ist ein freies Land,“ sagte er schulterzuckend.

Der Mann lachte und setzte sich.

„Du bist lustig...Galgenhumor oder was?“

„Ja, vielleicht. Wer weiß das schon…“

Er stocherte weiter in seinem Essen. Der Mann stocherte auch. Ab und zu hob er den Kopf und sah Rainer an.

„Ich bin Paolo.“

Rainer stocherte weiter und hob die linke Hand.

„Rainer…“

„Du bist derjenige, der die reichen Schnösel richtig abgezogen hat, stimmt´s?“

Rainer wurde augenblicklich misstrauisch und sah Paolo prüfend an. Seine Alarmglocken klingelten Sturm, Hurrikan und Orkan. Niemand wusste davon und niemand konnte etwas wissen. Irgendwelche fremden Gefangenen schon gar nicht. Nur wenige Leute waren involviert. Eigentlich nur die ermittelten Beamten. Sein innerstes Misstrauen meldete Gefahr. Ein neues Gefühl, das sich begann, zu etablieren.

Ein ungutes Gefühl.

„Ich hab´ gar nichts abgezogen. Bin völlig unschuldig wie alle hier. Wird sich schon alles aufklären, wenn es zur Verhandlung kommt. Was weißt du denn davon?“

Der Mann zuckte die Schultern und schob die Unterlippe nach oben.

„Für jemand, der nichts getan hat, bist du die Ruhe in Person. Ich würde verzweifeln, für etwas einzusitzen, das nicht auf meine Kappe geht. Aber grundsätzlich find´ ich´s gut, dass die Bonzen mal was vom großen Kuchen abgeben müssen.“

Rainer hatte fertig gegessen und schob das Tablett beiseite.

„Ich glaube, du verwechselst mich. Dass ich hier bin, kann ich im Moment eh nicht ändern, aber ich bin guter Hoffnung, dass meine Unschuld bald bestätigt wird. Ich bin doch nur ein willkürliches Bauernopfer, das für irgend jemand den Kopf hinhalten soll.“

Paolo grinste.

„Ja, noch…“

Dann wurde sein Gesicht ernst und er sah wieder auf sein Essen. Er hob nicht den Kopf, als er wieder zu sprechen anfing. Diesmal leise aber eindringlich.

„Hör zu und unterbrich mich jetzt nicht. Was du von den Geldsäcken abgezwackt hast, ist mir vollkommen wurscht und verschiedenen Leuten auch. Aber mit den zwanzig Millionen wird das nicht so einfach. Hast du eine Ahnung, wem die eigentlich gehören?“

Rainer ließ sich seine Überraschung und auch sein Entsetzen nicht anmerken. Sein innerer Misstrauenskasperl hopste hin und her und verschickte ein Fragezeichen nach dem anderen.

„Keine Ahnung, was du da laberst. Bist du wirklich sicher, dass du mich meinst?“

Paolo ging nicht auf seine Bemerkung ein. So wie Ruhland.

„Dieses Geld gehört Leuten, mit denen nicht zu spaßen ist. Du hast dich mit den wirklich Falschen angelegt. Im Moment ist dein Leben wahrscheinlich keinen Pfifferling wert. Du lebst nur noch, weil sie dich noch brauchen. Ohne dich keine Moneten. Also...ganz konkret. Du hast die Mafia beklaut, Mann. Niemand beklaut die Mafia, ohne dass das Konsequenzen nach sich zieht. Du bist in einer aussichtslosen Situation, mein Freund. Und du hast nur einen einzigen Trumpf - nämlich die Kohle, die weg ist. Nur du kannst das Geld wieder beschaffen. Ich weiß, du bist jetzt geschockt, dass ich das alles weiß, aber ich bin da nicht der einzige, das kannst du mir glauben. Du bist dermaßen aufgeflogen, dass mich wundert, dich überhaupt noch atmen zu sehen - morgen Mittag treffen wir uns wieder hier. Bis dahin kannst du überlegen, ob du einen Deal machst oder lieber gleich ins Gras beißt. Das ist jetzt richtig ernst. Richtig ernst! Ich geb´ dir eine Chance, weil du mir sympathisch bist. Also überleg´ gut…wir sehen uns.“

Lächelnd stand er auf, nickte ihm kurz zu, nahm sein Tablett und ging. Zurück blieb ein zu Eis erstarrter Mann, dem in dem Moment klar geworden war, dass sein einstiges Spiel jetzt kein Spiel mehr war, weil es sich zum tödlichen Wargame aufgetürmt hatte. Er konnte die aufkommende Panik nur mit Mühe unterdrücken und verlor einen winzigen Augenblick die innere Kontrolle. Mafiageld!! Das war doch nicht möglich. An das hätte er niemals gedacht. Er hatte gedacht, dass...er hatte gar nicht gedacht. Er hatte nicht recherchiert. Meinte, das war lediglich ein großes Handelsunternehmen, das eben jetzt durch einen Datenklau auch mal dran war. Falsch gemeint und falsch gedacht! Zugegebenermaßen war ihm auch niemals auch nur der Hauch eines Gedankens gekommen, das organisierte Verbrechen beklaut zu haben. Er sah das Schicksal neben sich sitzen und sich kringelig lachen. Es war die sprichwörtlich pure Ironie. Jetzt mit einem tödlichen Hintergrund.

Zehn Minuten saß er am Tisch und starrte die graue Tischplatte an. Dann ertönte eine Glocke, die die Häftlinge darauf aufmerksam machte, wieder ihre Zellen aufzusuchen.

Rainer stand auf, brachte das Tablett wieder zurück und ging zu seiner Zelle. Die Häftlinge durften noch ein paar Minuten auf dem Gang verbringen und sich unterhalten. Doch Rainer verschwand schnell in seiner Zelle und setzte sich aufs Bett.

Seine hochkommende Panik hatte sich inzwischen wieder gelegt und einer zerstörerischen Unruhe Platz gemacht, die ihn nicht klar und strukturiert denken ließ.

Vor der Zelle ging ein Mann vorbei und blieb stehen. Rainer hob den Kopf und sah dem Mann in die Augen. Der zog die Augenbrauen nach oben und lächelte dann ein spöttisches Lächeln. Er sagte kein Wort, sondern drehte nur kurz den Kopf. Wie um zu sagen: Tut mir leid für dich, aber dein Leben endet hier.

Dann ging er weiter. Die Zellentüren wurden geschlossen und Rainer war wieder alleine mit sich und dem Raum. Sein Blick fiel auf das vergitterte Fenster und er erhob sich. Die Sonne stand senkrecht am Himmel, der ein seltsam tiefes azurblau aufwies. Die Worte Paolos ließen ihn nicht los.

Woher wusste dieser Kerl das alles? Und wenn er nicht nur der Überbringer der Nachricht war, sondern auch der Killer, der Rainer töten würde, wenn das Geld nicht auftauchen würde? Er bekam Angst, die er noch niemals gekannt hatte.

Er zwang sich, endlich klar zu denken und die Möglichkeiten abzugleichen. Aus dem Gefängnis heraus könnte Rainer sowieso nichts tun, selbst wenn er wollte. Er musste hier unbedingt raus…

Am nächsten Tag saß er wieder an demselben Tisch, als sich Paolo ihm gegenüber setzte. Er lächelte wiederum so freundlich, als ob nichts und niemand seine gute Laune trüben könnte und mit Rainer gut befreundet war.

„Hast du überlegt?“

„Mal angenommen, ich wäre derjenige, was meinst du, könnte ich aus einer Zelle unternehmen. Abgesehen davon, dass ich nicht einmal wüsste, wo ich anfangen sollte.“

Paolo nickte.

„Das ist klar. Verstehe. Ich könnte dir einen Internetzugang verschaffen, wäre dann etwas möglich?“

Er sah Rainer an. Seltsam ruhig, kalt und gleichzeitig fast ein bisschen gelangweilt. Er hatte lediglich einen Auftrag zu erfüllen. Die Nebenschauplätze interessierten ihn nicht. Und die Ausführungen Rainer´s eigentlich auch nicht. Die Fakten lagen längst auf dem Tisch.

„Vielleicht…“

Rainer wurde vage. Er hatte bereits verstanden, dass, was immer er tun würde, das sein Leben nicht verlängern würde.

Er hatte keine Ahnung von der Mafia, aber er war realistisch genug, dass sie ihn nicht weiterleben lassen würden. Selbst wenn er ihnen den doppelten Betrag zurück geben würde, er hätte wahrscheinlich keine große Aussicht auf ein verlängertes Dasein. Die Mafia bestehlen – das war doch schon ein Todesurteil, völlig egal, wie viel er wieder zurückgeben würde. Mit Mühe unterdrückte er die hochschießende Angst und die immer wieder aufkommende Panik. Niemals hätte er sich vorstellen können, in einem Gefängnis mit einem Killer der Mafia verhandeln zu müssen. Das war so abstrus und gehörte in die Filmbranche.



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