9,99 €
Für die Freiheit
Sie ist ein Meisterwerk interstellarer Ingenieurskunst: eine künstliche Sonne, um die zweihundert Planeten kreisen. Lange galt sie als ein Mahnmal des Friedens, doch das hat sich nun geändert. Die machtgierigen Herren der künstlichen Sonne nutzen ihre Energie, um fremde Planeten aus ihrem Orbit zu ziehen und zu versklaven. Als ein fruchtbarer, grüner Agri-Planet in den Dunstkreis der Sonne gerät, macht sich der Kapitän eines Schmugglerschiffs auf den Weg in ihr Zentrum, um den Planeten zu retten …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 688
Das Buch
Sie ist ein Meisterwerk interstellarer Ingenieurskunst: eine künstliche Sonne, um die zweihundert Planeten kreisen. Lange galt sie als ein Mahnmal des Friedens, doch das hat sich nun geändert. Die machtgierigen Herren der künstlichen Sonne nutzen ihre Energie, um fremde Planeten aus ihrem Orbit zu ziehen und zu versklaven. Als ein fruchtbarer, grüner Agri-Planet in den Dunstkreis der Sonne gerät, macht sich der Kapitän eines Schmugglerschiffs auf den Weg in ihr Zentrum, um den Planeten zu retten …
Packend und voller überraschender Wendungen – Michael Cobley hat die Space Opera des 21. Jahrhunderts geschrieben.
Erster Roman: Die Saat der Erde
Zweiter Roman: Waisen des Alls
Dritter Roman: Die Ahnen der Sterne
Vierter Roman: Die Jäger des Lichts
Der Autor
Michael Cobley, geboren in Leicester, studierte Ingenieurswissenschaften an der Universität von Strathclyde. Als Herausgeber verschiedener Magazine und durch seine Kurzgeschichten machte er sich schnell einen Namen in der Fantasy-Literatur. Schattenkönige, sein erster Roman, war in Großbritannien auf Anhieb ein riesiger Erfolg. Cobley lebt und arbeitet in Glasgow.
Mehr Informationen unter:
diezukunft.de
Michael Cobley
Die Jägerdes Lichts
Roman
Deutsche Erstausgabe
WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN
Titel der Originalausgabe
ANCESTRAL MACHINES
Deutsche Übersetzung von Norbert Stöbe
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.
Deutsche Erstausgabe 02/2017
Redaktion: Lars Zwickies
Copyright © 2016 by Michael Cobley
Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabeby Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,unter Verwendung von Shutterstock / Mike H
Satz: Schaber Datentechnik, Austria
ISBN: 978-3-641-19318-8V001
www.diezukunft.de
Für meinen alten Freund Graeme Fleming,auch bekannt als mächtiger Progmeister-General!
Prolog
Die Drohne Rensik Estemil befand sich gerade auf einer Erkundungsmission auf Schicht 104, als die Abbruchsaufforderung sie erreichte. Sie benötigte dreiundvierzig Stunden, um sich aus Problemzone 3 auszuschleichen und durch den Hyperraum zu Schicht 49 aufzusteigen, zum Garten der Maschinen. Trotzdem bestand sie bei ihrem Eintreffen darauf, wieder in einem der neuen Variodroid-Gehäuse vom Typ Iterant-9 untergebracht zu werden, bevor sie dem Befehl nachkam und sich auf die Suche nach dem Konstrukt machte.
Rensik Estemil verließ den facettierten blauen Umbettungsraum und glitt auf einen der vielen Hundert Verbindungsgänge aus schwarzem Netzgewebe hinaus, die sich um den Garten der Maschinen wanden, bogen und miteinander verflochten. Aus der Ferne hatte die Feste des Konstrukts einem dunklen Gespinst geähnelt, in dem sich tausend Lichtpunkte zwischen den hellen Clustern der Erprobungs- und Versuchslauben hin und her bewegten. Aus der Nähe hatte sie etwas von einem Dschungel.
Rensik fand das Kommandoproximal des Konstrukts in einem kleinen Pavillon an einem der äußeren Verbindungsgänge. Ein von einem blassen Schleier überwölbter Durchgang bot einen wundervollen Ausblick auf das Slegronag-Intervall, einen weitläufigen Raum auf Hyperraumschicht 49, eine höhlenartige Öffnung von anderthalb Millionen Kilometern Breite und fünf Millionen Kilometern Länge, deren Boden eine Ebene darstellte, übersät mit den geborstenen und zerschmetterten Überresten ganzer Welten, den riesenhaften Haufen planetarischer Trümmer. Ein unbelebter, luftloser und verlassener Friedhof, über dem der Garten der Maschinen einen Zickzackkurs entlang des Slegnorag beschrieb.
»Du hast dir Zeit gelassen. Ein Mangel an Schnelligkeit gehört nicht zu den Eigenschaften, die man von einem Aggressionsfeldüberwacher erwartet.«
Das neue Proximal des Konstrukts war eine schwebende neunseitige Einheit, aus der zahlreiche Tentakel und Gliederarme hervorschauten. Davor ruhte auf einem langen flachen Gestell etwas, das auf den ersten Blick einer großen schwarz-grünen Drohne unbekannter Bauart glich. Sie hatte eine stumpfe Nase, am ramponierten Rumpf saßen Kuppeln, unter denen vermutlich Waffen verborgen waren. Mehrere Bereiche waren geöffnet, und das Konstrukt machte sich mit tentakelartigen Werkzeugen darin zu schaffen. Helle Reflexe im dunklen Innern deuteten auf das Vorhandensein von Remotilen, die schwer zugängliche Nischen scannten und umfangreiche Datenströme übermittelten.
Rensik Estemils neuer Varidroid war ein Wunderwerk der Nanokompression und der multifunktionalen Schutzschildtechnologie und entsprechend gut bewaffnet. Dennoch wirkte er neben diesem reglosen Riesenklotz zwergenhaft. Die Aura verstrichener Jahrtausende war für seine Sensoren nahezu greifbar.
Ein segmentierter Tentakel, an dessen Ende eine Gruppe purpurroter Linsen saß, schlängelte sich auf ihn zu.
»Ich habe die Berichte der Operation Julurx gesehen«, sagte das Konstrukt. »Eine riskante Strategie, zuzulassen, dass die Kolonie sich im zweiten Stadium ungehindert entwickelt, doch die Erschaffung einer Gegenhorde hat sich als höchst effektiv herausgestellt. Ausgesprochen erfinderisch. Die lokalen Vermächtnis-Zivilisationen werden sehr erleichtert sein.«
Für das Konstrukt war dies gleichbedeutend mit einer triumphalen Willkommensparade, doch zuvor war Rensik mit einer Zwangslage konfrontiert gewesen, die das Potenzial für schreckliche Folgen barg. Eine Flottille von Hodralog-Nomaden hatte einen erodierten Neigegang an der Peripherie von Schicht 103 geplündert, als sie von überwinternden Meksporen einer replizierenden Maschinenhorde mit der Bezeichnung Julurx gestört worden war. Die Hodralog, ihre Raumschiffe und AIs wurden von den Sporen rasch überwältigt, und diese machten sich sogleich daran, mithilfe der erbeuteten Vorräte an organischem und gereinigtem Material eine Horde im zweiten Stadium zu erzeugen. Rensik und sein Geschwader kampferprobter Aggressionsdestruktoren reagierten auf panische Alarmrufe der Turmstadt-Zivilisation von Schicht 103 und erreichten den Neigegang, mehrere Stunden nachdem die letzten Hodralog getötet worden waren. Zuvor aber hatten die Drohnen des Konstrukts Comm-Nachrichten der unglückseligen Nomaden aufgefangen, und als sie dort eintrafen, hatte Rensik Estemil einen Plan.
»Replizierende Maschinenhorden legen keinen großen Wert auf die Speicherung differenzierter Daten früherer Ausbrüche«, sagte Rensik. »Sonst hätten sie meine brillante Strategie, inaktive Sporen im ersten Stadium einzufangen und mit ihnen eine Antihorde zu erschaffen, die die Julurx auslöschen sollte, konterkarieren können.«
»Wie lange?«
»Einunddreißig Komma vier Stunden.«
»Die Julurx müssen nach diesem Zeitraum eines der letzten Stadien erreicht haben.«
»Stadium Sechs«, sagte Rensik. »Ihre erste Gigatropolis war teilweise fertiggestellt, als unsere Antihorde die erste Angriffswelle flog. Anschließend haben wir die Umgebung wiederholt abgestrahlt und außerdem ein Netzwerk von Scannersonden vor Ort zurückgelassen.«
»Gut«, sagte das Konstruktproximal. »Eine überzeugende Zusammenfassung, wenn auch ein wenig selbstgefällig. Und wie bewertest du die Fortschritte in Problemzone 3?«
»Als zufriedenstellend.«
»Drollig. Und wie ich sehe, hast du wieder einmal deinen Namen geändert.«
»Ich nahm an, kleinere Individualisierungen wären vertretbar«, sagte Rensik. »Hat sich das geändert?«
»Keineswegs. Es sollte jedoch erwähnt werden, dass du deinen Namen seit deiner Verwicklung in den Darien-Konflikt neunmal geändert hast. Wusstest du, dass gewisse Subkulturen der menschlichen Mußeklasse ähnliche Namensänderungen vornehmen? Sie wetteifern miteinander um die ungewöhnlichsten Bezeichnungen.«
»Faszinierend«, sagte Rensik. »Als ich hier ankam, war ich sicher, du würdest mir erklären, weshalb wir dieses rostende Relikt untersuchen – ich konnte ja nicht ahnen, dass mein Name auf so großes Interesse stoßen würde.«
»Sehr scharfsinnig«, sagte das Konstrukt. »Prägnant und ironisch.« Der linsenbestückte Tentakel schwang etwas näher heran. »Wir leben hier in den Schichten des Hyperraums in einer Art Sediment von Relikten, den Trümmern vergangener Universen, die aufeinandergepackt wurden. Dort oben im primären Kontinuum aber kann man den unvergänglichen Fragmenten der unsterblichen Vergangenheit, dem verweilenden Nachhall gewaltiger Symphonien der Zerstörung, dem Vermächtnis vergangenen Wahnsinns nicht entrinnen.« Ein weiterer werkzeugbestückter Tentakel tippte gegen den Rumpf der alten Drohne. »Diese Kriegsmaschine ist wahrlich ein Relikt. Bis vor Kurzem war sie im Permafrost einer Welt an der drehseitigen Grenze der Sendrukan-Hegemonie eingeschlossen. Möglicherweise ist dies das einzige noch intakte Exemplar einer Kampfdrohne des Zarl-Imperiums …«
»Das Zarl-Imperium«, murmelte Rensik nachdenklich. »Vor einer Million Jahren untergegangen?«
»So ist es, wenngleich dieses Exemplar aus der ein wenig weiter zurückliegenden Blütezeit der Tyrannei datiert. Die meisten verwendeten Materialien waren anti-entropisch, sonst wären sie inzwischen zu Staub zerfallen. Aber das ist nicht der Grund, weshalb ich dich hergebeten habe. Hast du schon einmal von dem exotischen Megagebilde gehört, das als Großer Hafen der Gütigen Harmonie bezeichnet wird?«
»Ja, das habe ich«, antwortete Rensik. »Es begann vor etwa einhunderttausend Jahren in der Großen Leuchtenden Galaxis als hochfliegendes altruistisches Gemeinschaftsprojekt, endete als Hort mehrerer psychotischer Spezies, die sich dem Gemetzel verschrieben hatten, und wurde zur Strecke gebracht und vernichtet von der Gerechten Vergeltungsallianz oder etwas Ähnlichem.«
»Das war wohl eher vor fünfzigtausend Jahren«, entgegnete das Konstrukt. »Die archivierten Informationen zur Geschichte der Großen Leuchtenden Galaxis sind fragmentarisch und nicht sehr detailliert, allerdings geht daraus hervor, dass es sich um ein gewaltiges makrotechnisches Gebilde gehandelt hat. Und jetzt sieht es so aus, als wäre es nie zerstört worden. Ungeachtet der massiven konzertierten Angriffe ist es entkommen und hat überdauert.«
Es entstand ein kurzes Schweigen. Wie Rensik aus Erfahrung wusste, erwartete das Konstrukt von ihm einen Erkenntnissprung. Es gab nur eine mögliche Folgerung, und sie war verstörend.
»Ist das Ding bereits in unserer Galaxis eingetroffen?«, fragte er.
»Alle Achtung! Rate mal, was vor mehreren Stunden an der Grenze zwischen der Erdsphäre und der Indroma-Solidarität aufgetaucht ist. Und zwar auf der Indroma-Seite, versteckt in einem der gewaltigen sternenlosen Abgründe, mit denen sich die Diplomaten schon seit Dekaden abmühen.«
In einer dynamischen Erinnerungsnische ließ Rensik rasch ein Szenarienmodell laufen, das die regionalen Mächte gegen das Potenzial eines Gebildes wie dem Großen Hafen ausspielte. Die Ergebnisse waren nicht ermutigend.
»Wir werden eine erhebliche Feuerkraft benötigen, um dieses Ding aufzuhalten«, sagte Rensik. »Eine Angriffsflotte bestehend aus fünf-, nein, sechstausend Aggressionseinheiten mit Versorgungstendern würde die erforderliche Schlagkraft aufbieten, ganz besonders wenn ich das Kommando führe.«
»In so kurzer Zeit können wir keine solche Flotte bauen«, sagte das Konstrukt. »Den Berichten aus dritter Hand von den vorgelagerten Sternenclustern zufolge ist damit zu rechnen, dass der Eindringling jede beliebige isolierte Welt in diesem Gebiet in sehr kurzer Zeit erreichen kann. Daher entsende ich dich dorthin und überlasse dir sogar eines der nachgerüsteten Schimmerschiffe.«
»Ein Soloeinsatz, ich verstehe«, sagte Rensik. »Verdeckte Beobachtung, Funküberwachung, Einschätzung der gegnerischen Stärken und Schwächen, regelmäßige Berichte …«
»Nein, kein Soloeinsatz – ein Vertreter des militärischen Geheimdienstes der Erdsphäre wird dich begleiten.«
Rensik stöhnte auf. »Menschen …«
»Deine Erfahrungen auf diesem Gebiet dürften sich als ausgesprochen nützlich erweisen.« Das Konstrukt hielt inne, während sich einer seiner Tentakel in eine Ritze der alten Zarl-Drohne schlängelte und ein flackerndes helles Licht aufflammte. »Der Auftrag schließt verdeckte Ermittlungen und Informationsbeschaffung ein, deine erste Aufgabe aber besteht darin, herauszufinden, wer das Kommando führt und welche Absicht und welche Strategie sie verfolgen. Ich vermute, dass das Regime oder die Regimes zu einem gewissen Grad despotischer oder tyrannischer Natur sind, deshalb kann man von der Existenz von Widerstandsgruppen ausgehen. Deine Hauptaufgabe – und die deines menschlichen Mitagenten – ist es, die effektivsten Rebellengruppen ausfindig zu machen und ihnen Unterstützung anzubieten. Das bietet Raum für Kreativität.«
»Wie soll ich kreativ sein, wenn ich mich als Babysitter betätigen muss?«
Ein vorrangiges Datenobjekt erreichte Rensiks Eingangspuffer. Als es entpackt war, stellte sich heraus, dass es sich um die spärlichen Hintergrundinformationen zum Großen Hafen sowie die Akte von Lt. Commander Samantha Brock handelte.
»Ich glaube nicht, dass sie einen Babysitter brauchen wird«, sagte das Konstrukt.
»Sie könnte sich als nützlich erweisen«, räumte Rensik ein, nachdem er die Akte blitzgelesen hatte. »Wenngleich Menschen meiner Erfahrung nach dazu neigen, die Dinge zu komplizieren.«
»Und während ihr beide versucht, den Aufstand der Unterdrückten anzufachen, werde ich mich zu verhindern bemühen, dass die Erdsphäre und die Indroma-Solidarität ihre Flotten entsenden. Die Unwägbarkeiten des Großen Hafens sind zu groß und die Berichte der Überlebenden zu schrecklich, um das Risiko ausgewachsener Feindseligkeiten einzugehen. Die Folgen wären …«
Symbolgruppen begannen zu pulsieren und wanderten langsam über den ramponierten Rumpf der Zarl-Drohne. Im vollgestopften Innern waren kaltblaue Blitze zu erkennen. Das Konstrukt zog seine forschenden Tentakel eilig zurück, bevor sich die meisten der offen stehenden Klappen schlossen. Die Zarl-Drohne stieß ein ohrenbetäubendes Geräusch aus, halb metallisches Gebrüll, halb krächzendes Heulen. Sie riss sich von den schwachen Halterungen des Gestells los, stieg empor, fuhr herum und stieß auf Rensik Estemil nieder.
Rensiks Abwehrvorrichtungen wurden in Bereitschaft versetzt. In Sekundenbruchteilen wurden alle taktischen Waffensysteme hochgefahren und die Aktionen und Gegenaktionen von Sensorsonden und Ablenkungssystemen koordiniert sowie Schutzschirmverlagerungen durchgeführt. Rensiks Sensoren registrierten in der Zarl-Maschine eine Kaskade von Energieveränderungen, die von bislang unentdeckten, aber äußerst wirkungsvollen Waffensystemen herrührten. Aus Teilen des Rumpfes traten Waffenmündungen aus, und es bildeten sich Öffnungen, während Rensik seine Abwehr hochfuhr, sich schmerzhaft bewusst, wie unterlegen er auf einmal war, aber gleichzeitig entschlossen …
Als ein zerstörerischer Zusammenstoß unausweichlich schien, verblassten die auf dem Rumpf der Zarl-Drohne leuchtenden kryptischen Symbole und erloschen schließlich ganz. Ein gedämpftes Knacken ertönte, dann geriet die Kriegsmaschine ins Taumeln, fiel schließlich mit einem lauten, dumpfen Geräusch auf den Boden und schaukelte mehrfach hin und her, bis sie sich nicht mehr regte.
Rensik scannte sie, entdeckte aber, abgesehen von einer Restionisation an vier Stellen des Rumpfes, keine Energiequellen und keine Datenstromaktivität.
»Ausgezeichnet!«, sagte das Konstrukt und schwebte näher heran. »Höchst aufschlussreich.«
Rensik begriff sogleich, was es damit meinte.
»Ich verstehe. Dann hast du also diese grausige alte Tötungsmaschine aktiviert, wohl wissend, dass sie sich auf das bedrohlichste Objekt stürzen würde – auf mich. Allerdings hattest du einen Abschaltungsmechanismus eingebaut, um …«
»Ein besonders exotisches Ultrafeld, erzeugt von vier Netzknoten, die kürzlich am Drohnenpanzer angebracht wurden«, sagte das Konstrukt. »Es zerhackt kohärente Energiemuster, wodurch unser antiquierter Freund wirkungsvoll deaktiviert wurde. Manchmal enthüllt nur die praktische Erprobung die wahre Natur eines Objekts.«
»Freut mich, wenn ich dir behilflich sein konnte.«
»Das warst du und wirst du sein, daran habe ich keinen Zweifel. Du solltest jetzt aufbrechen. Das Schimmerschiff steht in Hangar 14 bereit – berücksichtigt man den Aufstieg durch den Hyperraum bis ins Primärkontinuum, solltest du die Nähe des Heimatsystems der Menschen in weniger als neunzehn Stunden erreichen. Die Erlaubnis der höchsten Ebene liegt vor, deshalb sollten Brocks Vorgesetzte bis dahin über ihre Abbestellung zu dem Gemeinschaftseinsatz informiert sein.«
Noch während das Konstrukt den Satz beendete, glitten drei sternförmige Hebemodule in den Pavillon und fixierten sich an der Zarl-Drohne, die emporstieg und mit einer geschmeidigen Drehung auf das Gestell zurückkehrte.
»Gute Reise«, sagte das Konstrukt und setzte die Untersuchung der offenen Luken und Fächer mit den biegsamen Tentakelspitzen fort.
Es wirkt mitteilungsfreudiger als früher, dachte Rensik, als er aus dem Pavillon hinausglitt und sich auf den Weg zu den Hangars machte. Es ist immer noch unerträglich exzentrisch, aber eindeutig umgänglicher …
1. Kapitel
Als Brannan Pyke allmählich erwachte, wanderten Gedanken wie schemenhafte Gespenster durch seinen Geist …
Der Tod kam …
Ihm war kalt, und er lag auf etwas Weichem, Gewichtslosem.
Der Tod kam und flüsterte …
Kalt, das ja, aber nicht weich. Er lag auf gar nichts.
Der Tod kam und flüsterte Befehle …
Er befand sich in der Schwerelosigkeit, machte er sich schläfrig klar, schwebte im Dunkeln, und neben ihm leuchtete etwas rot. Die Worte über den flüsternden Tod kamen ihm irgendwie bekannt vor … dann erinnerte er sich. Es war ein Gedicht, etwas, das Dervla gestern gesungen hatte …
Dann erwachte Pyke fluchend, und alles stürzte als schwarzer, bitterer Schwall auf ihn ein, das Treffen mit Khorr, die Übergabe, der Schlafgasangriff … und jetzt war er hier in einem dunklen Winkel der Scarabus und drehte sich langsam in einer Wolke eckiger Objekte, die ein schwaches rotes Licht auffingen … das Licht der Notleuchte über der Luke.
»Licht«, sagte er mit rauer, trockener Kehle. Nichts geschah. »Scar – hörst du mich, kannst du antworten?«
Stille herrschte, was bedeutete, dass das Comm und/oder die AI offline waren.
Pyke hustete, schluckte und begriff, dass er sich im Sub-Frachtraum 3 befand, wo sie normalerweise Dinge verstauten, die nicht gebraucht wurden, irgendwann aber einmal nützlich sein mochten. Verschiedene Behälter aus Plastik, Karton und Stoff schwebten umher, einige offen und umgeben von ihrem Inhalt, von Komponenten, in Alufolie verpackten Nahrungsmitteln, irgendwelchen Scheiben, die in verdrehten Netzen zusammengepfercht waren, vielleicht Handelsgüter.
Nun ja, dachte er. Jedenfalls bin ich am Leben. Aber weshalb sollte der Schleimbeutel Khorr so etwas tun? Weshalb sollte er Zeugen am Leben lassen, die ihn identifizieren können?
In seiner Fantasie beschwor er verschiedene Antworten in unterschiedlichen Ausprägungen von Sadismus und Grausamkeit herauf und dachte auf einmal an den Rest der Mannschaft, vor allem an Dervla. Er musste hier raus und feststellen, was geschehen war, was immer es sein mochte.
Mehrere lose Stauriemen hingen von der Decke und schwebten umher wie Plaslontang. Er ergriff einen, zog sich daran zur Decke und an den Schlaufen weiter zum nächsten Schott. Kartons und Schläuche waren ihm im Weg und erinnerten ihn an die vielen Gelegenheiten, bei denen er Ancil gebeten hatte, das Durcheinander zu sichten und den nutzlosen Schrott zu beseitigen.
Das Schott war von Regalen gesäumt. Er zog sich daran entlang zur Luke, hielt sich am Metallgriff fest und machte eine Eingabe auf dem Sensorfeld. Wie erwartet erfolgte keine Reaktion, worauf er die Luke manuell öffnete. Die Dichtung ploppte, und er verspürte einen Luftzug, als der Druckausgleich erfolgte. Er schob den Arm zwischen Türgriff und Rahmen und drückte die offene Luke langsam auf. Mit einem Seufzer der Erleichterung schwebte er in den Steuerbordgang des Schiffes hinaus und blickte in beide Richtungen. Auch hier wurde die Dunkelheit von roten Notleuchten trüb erhellt. Kein Geräusch war zu hören, es herrschte dumpfe Stille. Er legte den Arm um eine Wandstrebe und dachte nach.
Das Handelsrendezvous sollte auf einer Schneewelt namens Nadisha II stattfinden, in einem unerschlossenen System an der Grenze zwischen Erdsphäre und Indroma-Solidarität. Die Scarabus war seit über einer Stunde im Orbit gewesen, als Khorrs Raumfahrzeug endlich eingetroffen war. Das Treffen hatte im Haupthangar der Scarabus stattgefunden und war Pykes erste persönliche Begegnung mit dem Kunden. Über Subraum-Comm hatte Khorr sich als Abkömmling von Hochgravitationsarbeitern ausgegeben, doch tatsächlich war er viel mehr, von humanoider Erscheinung, aber vermutlich laborkodiert zu Zwecken, die Kopfjäger als nicht zivile Einsätze bezeichneten. Mit seinem abgenutzten ledrigen Körperpanzer war Khorr etwa zwei Meter zehn groß, kahlköpfig und hatte die kräftige Statur eines Kämpfers, was auch für seine beiden etwas weniger imposanten Begleiter galt. Mit ihrem Körperpanzer und den schweren Stiefeln glichen sie Komparsen vom Set eines ultra-gothic-mäßigen Glowspektakels.
Pyke hatte die üblichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen: Abgesehen von Punzho und Hammadi, war auch der Rest der Mannschaft zugegen und entfaltete die abschreckende Wirkung eines bewaffneten Empfangskomitees. Khorr und seine Männer waren aus dem gedrungenen Shuttle geklettert und Pyke entgegengeschlendert, der neben einer hüfthohen Kiste stand, auf der seine Handelsware lag, ein schaumstoffummantelter Subraum-Scanner-Caster modernster Bauart, geeignet für militärische Zwecke. Als die drei ein paar Schritte davor anhielten und die Arme verschränkten, vernahm Pyke hinter sich Dervlas charakteristisches höhnisches Schnauben. Er schenkte ihm keine Beachtung, sondern setzte ein freundliches Lächeln auf.
»Nun, da sind wir, endlich lernen wir uns kennen. Sehr erfreut.«
Khorr, dessen Gesicht wie aus Granit gemeißelt war, grunzte. Seine dunklen Augen huschten nach rechts und nach links zur Besatzung, dann fasste er wieder Pyke in den Blick.
»Das ist das Gerät?«
Pyke tätschelte den Scanner liebevoll.
»Sie sehen hier den modernsten und leistungsstärksten Scanner von Sagramore Industries vor sich, fabrikneu und einsatzbereit, für Sie bereitgestellt von meinem professionellen Service. Der nicht billig kommt.«
Khorr nickte, langte unter seine dicke Jacke und holte ein flaches Etui hervor, gerade groß genug für einige Geldsplines. Er hielt es vor sich und wartete, bis Pyke die Finger nach der Öffnungstaste ausstreckte, dann sagte er: »Hier haben Sie Ihre Bezahlung!«
Jetzt, da er schwerelos im trüb erhellten Gang schwebte, erinnerte sich Pyke, dass sich in dem Moment sein Gefahrensinn gemeldet hatte, doch seine Hände besaßen ein Eigenleben und öffneten bereits das Etui. Ein dünner Nebel quoll hervor, und obwohl er das Gesicht abgewendet hatte, stieg ihm ein süßlicher Geruch in die Nase. Kälte kroch ihm über das Gesicht. Als er sich umdrehte, um eine Warnung zu rufen, brachen Ancil und Win bereits zusammen, und ein graues Nichts füllte sein Bewusstsein aus.
Aber ich lebe, dachte er. Und dieser Schleimbeutel Khorr ist nicht der Typ, der lose Enden zurücklässt.
Er hangelte sich am Schott entlang durch den Gang zum Sub-Frachtraum 4. Er bremste ab und schwebte zur Luke, glitt hindurch und fluchte. Hammadi schwebte inmitten von blauen und grünen Kartons. Tot. Die heraushängende Zunge und die hervorquellenden Augen deuteten auf Ersticken durch allmähliche und nicht explosive Dekompression hin, andernfalls hätte er geplatzte Blutgefäße und andere schwere Schäden gehabt. Hammadi war der Cheftechniker oder war es vielmehr gewesen – ein Genie, das es verstand, den Antrieb der Scarabus singen zu lassen wie einen Chor harmonierender Furien.
Pyke aber konnte nur an Dervla denken. Lieber Gott, bitte nicht!
Er stieß sich von der Luke ab und wandte sich zur Seitenöffnung, dem mittleren Quergang, der zum backbordseitigen Längsgang und den anderen Sub-Frachträumen führte. Er glitt rasch hindurch, denn er wollte es hinter sich bringen.
Die Stille war unheimlich, nervenzerrüttend. Kein Hintergrundsummen der Bordsysteme, kein Belüftungsrauschen, kein Sirren von Mikropumpen, keine Geräusche der Mannschaft, keine Musik, keine plappernden Nachrichtenfeeds. Nur dumpfe Stille. Aber die Luft … Er schnupperte, atmete tief ein und begriff, dass sie nicht so verbraucht war, wie sie hätte sein sollen. Irgendwo musste ein Belüftungssystem laufen, aber weshalb und wozu? Weitere Fragen, die einer Antwort harrten.
An Backbord war es ebenso düster wie an Steuerbord. An der T-Kreuzung glitt er zum Sub-Frachtraum 2 hinüber, packte den Türgriff und spähte durch das Lukenfenster. Zu seiner Überraschung erblickte er neben einem manuellen Bedienfeld das schnurrbärtige Banditengesicht von Ancil Martel.
»Hey, Chef«, vernahm er seine gedämpfte Stimme. »Von dieser Seite aus klemmt es. Könnten Sie …?«
Pyke nickte und tippte auf dem Außenfeld herum. Nach mehreren Versuchen ploppte die Dichtung. Im nächsten Moment glitt die Luke beiseite, und Ancil zwängte sich durch die Lücke.
»Diese miesen Typen haben uns reingelegt, Chef.«
»Ich weiß.«
»Aber warum leben wir dann noch?«
Pyke knirschte mit den Zähnen und schüttelte den Kopf. »Hammadi ist im Frachtraum Nummer 4. Erstickt. Ich glaube, Khorr, dieser Gauner, wollte, dass wir alle durch einen Ausfall der Lebenserhaltungssysteme umkommen. Aber irgendetwas hat den Plan vereitelt … oder er hat Mist gebaut, weil er’s nicht besser wusste.« Er blickte zur nächsten Luke. »Was ist mit der Nummer 1? Wissen Sie, ob noch jemand da drin ist?«
Ancil zuckte mit den Achseln. »Bin gerade erst zu mir gekommen. Hab ein paar Mal an die Wand gehämmert, aber nichts gehört.«
»Dann sollten wir wohl besser mal nachsehen, oder?«
Er stieß sich ab, packte den Griff der Luke von Frachtraum 1, schwang vor das Fenster und …
»Scheiße noch eins!«, knurrte er.
Vor dem hinteren Schott schwebte einen Meter über dem Deck der mit einem braunen Overall bekleidete Krefom, der henkayanische Spezialist für schwere Waffen, so reglos wie eine Statue. Tote Augen starrten aus dem zerfurchten, leblosen Gesicht hervor. In Pykes Vorstellung schleppten Khorr und dessen Leute seine Männer durchs Schiff und sperrten sie nacheinander ein.
»Das wird mir der Hurensohn büßen!«
Beim letzten zornerfüllten Wort klatschte er die flache Hand und den Unterarm auf die Luke. Der Schlag hallte im Gang wider. Plötzlich stockte ihm der Atem, denn der schwebende Henkayaner zuckte auf einmal krampfhaft und schaute wild umher. Dann machte er die ungläubig durchs Fenster schauenden Pyke und Ancil aus und grinste breit.
»Er hat geschlafen?«, sagte Pyke. »Mit offenen Augen?«
Ancil zuckte stirnrunzelnd die Schultern. »Vielleicht können Henkayaner das, Chef. Ich habe ihn noch nie schlafend gesehen.«
Dann hatte Krefom die Luke erreicht und klopfte mit seiner großen Faust ans Fenster.
»Ich krieg das nicht auf, Captain-Sir«, sagte er mit tiefer, rauer Stimme. »Hab den Notgriff abgebrochen. Tut mir leid.«
»Wir brechen die Luke von hier aus auf, Kref«, sagte Pyke.
Kurz darauf war das Schloss entriegelt, und Krefom öffnete die Luke mit einem einzigen Stoß seines mächtigen Unterarms. Als der große Henkayaner sich aus der Öffnung schob, lachte er knarrend und klatschte sich mit Ancil ab. Bevor die beiden zu plaudern anfingen, griff Pyke ein.
»Kref, ich will wissen, was Sie in dem Schrank bei den Unterkünften verstaut haben.«
»Gutes Zeug – Stabschocker, Sedierer, Sprengstoff und Nebelgranaten, ein paar leichte Körperpanzer …« Der Henkayaner hielt inne. »Und einen Wickler. Glauben Sie, die Kotztüten sind noch an Bord?«
»Keinen Schimmer, Kref«, erwiderte er. »Aber ich will kein Risiko eingehen. Gehen wir.«
Gemeinsam schwebten sie durch den Quergang zur Mitte, wo sie eine Verkleidung abrissen, hinter der ein Zwischendeck-Zugangsschacht zum Vorschein kam. Pyke schwebte als Erster hinein und hangelte sich die Metallleiter hoch. Am Ende der Leiter, wo eine Luke in einen Raum in der Nähe der Unterkünfte führte, hörte er Stimmen und wurde langsamer. Er bedeutete Ancil und Kref, den Mund zu halten, und lauschte angestrengt. Eine Sprecherin war weiblich, und auf einmal lächelte er, denn er hatte den unerschütterlich sarkastischen Tonfall von Win Foskel erkannt, Expertin für taktische Auseinandersetzungen und Nahkampf. Pyke öffnete die Verriegelung, ohne dabei besonders leise zu sein, dann packte er eine Leitersprosse und drückte die Luke nach oben.
»Keine Bewegung!«, ertönte Win Foskels Stimme. »Gebt eure Waffen ab – werft sie raus, sonst werfe ich etwas in den Schacht, das euch von innen her verbrennen wird.«
»Und was sollte das sein?«, fragte Pyke. »Einer dieser Steinburger aus der Kombüse?«
Ancil lachte weiter unten, während Pyke sich auf den Gang schob. Die verlegene Win schwenkte den Sedierer beiseite und nickte. Als Ancil auftauchte, grinste sie. Ihre glitzernden Dreads flatterten, als sie ihm entgegenschwebte. Auf dem Gang traf Pyke auf Mojag, einen hageren Menschen, Punzho, den Egetsi, und Dervla, die eigentümlich ruhig wirkte, als sie ihn in den Blick nahm. Er wollte sie fragen, wie es ihr gehe, doch da war irgendetwas in ihrem Gesicht, genau genommen in der Art, wie sie alle sich verhielten. Dann wurde ihm sein Irrtum bewusst – drei Menschen, ein Egetsi, aber kein behäbiger reptiloider Kiskashin.
»Wo ist Oleg?«, fragte er voller böser Vorahnungen.
Dervla schwebte über ihn und fixierte ihn mit ihren grauen Augen. Ihr Gesicht war blass, und ihr rotes Haar, das sie sich zurückgebunden hatte, wirkte in der Notbeleuchtung fast schwarz. Sie neigte sich ihm entgegen und küsste ihn.
»Das ist dafür, dass Sie am Leben sind«, sagte sie. Dann ohrfeigte sie ihn ohne jede Vorwarnung. »Und das ist für Mojag, denn der ist viel zu höflich!«
»Und deshalb mussten Sie an seiner Stelle handeln?«
Verhaltener Zorn lag in ihrem Blick, doch Pyke nahm auch die dahinter verborgene Verletzung wahr. Oleg war Mojags Partner gewesen, doch seit sie vor vier Jahren zur Mannschaft gestoßen waren, hatte Dervla freundschaftliche Gefühle für den Kiskashin entwickelt.
»Sie haben uns hergebracht, Bran«, sagte sie.
»Wo steckt er?«, fragte Pyke.
»Und es war Ihre Idee, Ihr Deal.«
»Wo?«
Ehe sie antworten konnte, kam Mojag aus dem düsteren Gang herangeschwebt.
»In unserer Kabine«, sagte er leise. »Anscheinend haben sie ihn dort eingesperrt und dann die Lebenserhaltungssysteme abgestellt. Ich weiß nicht, ob er wusste, was da vorging, aber als die Temperatur und der Luftdruck fielen, hat bei ihm anscheinend der Überwinterungsreflex eingesetzt.« Mojag atmete tief durch und rieb sich das Gesicht. »Er wirkt ganz friedlich – wahrscheinlich befand er sich im Winterschlaf, als er erstickt ist.«
»Aber dafür müssen sie Zugang zu den Lebenserhaltungssystemen gehabt haben«, sagte Ancil, hielt inne und schnippte mit den Fingern. »Die Ersatzsteuerung im großen Frachtraum.«
Pyke nickte zornig. »Sie haben recht.«
»Kann es sein, dass noch jemand von denen an Bord ist?«, fragte Ancil.
»Nein – nach vollbrachter Tat haben die Drecksgauner uns für tot gehalten und sich verzogen. Das sollten wir aber besser überprüfen.« Inzwischen hatte sich die ganze Crew um ihn versammelt und lauschte. »Wir gehen folgendermaßen vor – wir leeren den Waffenschrank, sorgen dafür, dass jeder eine Waffe, eine Taschenlampe und vielleicht auch einen Körperschutz hat, dann teilen wir uns auf. Zwei Gruppen. Die eine durchkämmt das Schiff vom Bug bis zum Heck, die anderen schauen, ob sie die Energieversorgung und die Lebenserhaltungssysteme wieder ans Laufen bekommen. Okay? Dann los.«
Die Besatzungsmitglieder wirkten niedergeschlagen, ihre Mienen waren düster. Doch da war auch noch etwas anderes – Trauer über den Tod von Hammadi und Oleg, aber auch eine gewisse Reserviertheit. Vielleicht war Dervla nicht die Einzige, die ihm die Schuld gab.
Die Waffenkammer war nur teilweise geplündert worden. Eine einsame Elektroimpulswaffe schwebte über dem Futteral. Kref reichte sie an Pyke weiter, der den Ladezustand überprüfte, den Lauf hervorzog und verriegelte. Es war eine hässliche, stummelartige Waffe in Brauntönen, doch für Bordauseinandersetzungen hervorragend geeignet.
Pyke wandte sich mit Kref und Win zum Kontrollraum, die anderen begleiteten Dervla zur Brücke. Die Scarabus war ein kleines Schiff, doch der Weg durch die gravitationslosen, trüb erhellten Gänge bis zum Heck war geradezu nervenzerfetzend. Pykes Gruppe arbeitete sich vom großen Hangar zu den Lagerräumen, der kleinen Werkstatt, den unteren und oberen Generatoren und den hinteren Wartungsnischen vor. Schließlich erreichten sie den schmalen Kontrollraum mit seinen zwei Ebenen, von dem aus die Systeme überwacht wurden. Sie hatten gut zwanzig Minuten gebraucht, und kurz darauf traf auch Dervlas Gruppe ein.
»Nichts«, sagte sie, einen Stabschocker mit schwarzem Griff auf der Schulter balancierend. »Keine Hinweise, keine Geräusche, einfach nichts.«
»Soll mir recht sein«, meinte Pyke. »Dann kümmern wir uns vorrangig um die Wiederherstellung der Schwerkraft. Ancil, schaffen Sie das?«
Ancil kniff nachdenklich ein Auge zu. »Äh, wenn Mojag mir zur Hand geht.«
Mojag nickte wortlos und schwebte zu Ancil hoch, der vor einer langen Konsole saß und die Anzeigen zum Leben erweckte.
»Wir sollten uns in Bodennähe begeben«, sagte er zu den anderen. »Damit sich keiner den Knöchel verstaucht oder etwas bricht.«
Flach am Boden liegend, den Kopf auf die Hand gestützt, dachte Pyke über Mojag nach. Er war ein hagerer Typ mittleren Alters, mit dunkelbraunen Augen und kurz geschnittenem braunem Haar, das stellenweise bereits grau wurde. Er und der Kiskashin Oleg waren vor einem Jahr zur Mannschaft gestoßen, doch bereits in den Zwanzigern, bevor er Oleg begegnet war, hatte er so schwere Kopfverletzungen erlitten, dass die Hälfte seines Gehirns durch eine pseudoorganische Kortexprothese ersetzt worden war. Durch die Verletzung und die nachfolgende Operation wurden große Teile seiner Erinnerung ausgelöscht, und die Prothese ersetzte die fehlenden Fakten und Eindrücke durch das von seiner Familie bereitgestellte Material. Wann immer das Thema aufkam, beharrte Mojag darauf, dass er vor der Verletzung ein vagabundierender Playboy gewesen sei, eine Behauptung, welche die meisten Besatzungsmitglieder amüsierte, da der Mojag, den sie kannten, ruhig und nachdenklich und bis zur Undurchschaubarkeit kontrolliert war. So auch jetzt.
Als sich alle in Bodennähe befanden, zählte Ancil von fünf zurück, dann schaltete er das Gravsystem wieder ein. Ein kollektiver Schnaufer war zu hören, als die Schwerkraft wieder einsetzte, dann schepperte und knallte es auf dem Gang und vermutlich im ganzen Schiff.
»Das Geräusch unserer weltlichen Götter, die wieder merken, wo oben und wo unten ist«, meinte Dervla, als sie sich schwankend aufrichtete.
Mit einem trockenen Auflachen stemmte Pyke sich hoch. »Na schön, Ancil – können Sie irgendwelche Comm-Systeme online bringen?«
Im Schalensessel zusammengesackt, runzelte Ancil die Stirn. »Ohne Mithilfe von Scar? Vielleicht finde ich über das Voker-Netzwerk einen offenen Kanal. Aber Sie müssen vielleicht schreien.«
Scar war der Name, den Pyke der Bord-AI gegeben hatte.
»Ja, machen Sie das«, sagte Pyke. »Wir bringen Scar wieder online, und dann finden wir vielleicht heraus, weshalb die Luft noch atembar ist.«
»Ich wette, das ist ein veraltetes System«, meinte Dervla. »Sie wissen schon, das Zeug, von dem der Voth-Händler behauptet hat, es stamme von den Substratknoten. Sie haben den ganzen Haufen vor sechs Jahren gekauft, und es kommt damit noch immer zu den seltsamsten Phänomenen.«
»Na ja, aber diesmal verdanken wir ihm unser Leben«, entgegnete er. »Vielleicht sollten Sie mit Win in den Hauptfrachtraum gehen und die L-Systeme von dort aus neu starten?«
»Was ist mit Oleg und Hammadi?«
»Um die kümmern wir uns, sobald die Scarabus wieder läuft und die Sensoren und Waffen funktionieren, nicht eher.«
Dervla musterte ihn. »Sollen wir anschließend zur Brücke gehen und die Kontrollen einschalten?«
»Nein, darum kümmere ich mich gleich selbst.« Er lächelte schwach. »Wecken Sie Scar auf und machen Sie sie munter.«
»Sie und diese AI, Sie sind für meinen Geschmack etwas zu vertraut miteinander«, sagte Dervla und hob eine Braue. Dann ging sie hinaus, gefolgt von Win, die lächelnd die Augen verdrehte.
Pyke sah ihnen nach und dachte: Also, wenn ich’s nicht besser wüsste …
Er drehte sich um. Mojag und Ancil arbeiteten noch an den oberen Konsolen und machten Eingaben, während verworrene Daten über die Bildschirme scrollten. Krefom, der Henkayaner, machte Streckübungen, um den Muskeltonus wieder aufzubauen, während Punzho Bex, der Egetsi, noch immer an der Wand auf dem Boden lag. Mit seinen zweieinhalb Metern hatte er eine durchschnittliche Größe. Die zweifüßigen Egetsi waren eine schwächere Gravitation gewohnt. Ihre Heimatwelt lag in der Konföderationsallianz Fensahr.
Pyke hockte sich neben ihn. »Wie fühlen Sie sich, Punzho?«
»Ich war eine Weile in der Schwerelosigkeit, Captain«, antwortete der Egetsi leise mit seinem Doppelkehlkopf. »Ich bin voller Verlegenheit über das Unvermögen meines Körpers. Ich sollte bei der Wiederherstellung des Schiffes helfen.«
»Machen Sie sich deswegen keine Gedanken – bald sind Sie wieder auf dem Damm. Ich wollte Sie aber etwas fragen: Haben Sie eine Art von Bedrohung wahrgenommen, als Khorr mit diesen Dumpfbacken an Bord gekommen ist?«
Das schmale Gesicht des Egetsi war ein Bild des Elends. Pyke hatte ihn vor anderthalb Jahren eingestellt, weil er sich hervorragend mit seltenen und wertvollen Handelsgütern (vor allem mit Kunst und Antiquitäten) auskannte. Außerdem verfügte er über schwach ausgeprägte Psifähigkeiten, die sich ab und an als nützlich erwiesen.
»Captain, ich bin voller Bedauern. Mir ist an ihnen nichts aufgefallen, gar nichts. Sie waren sehr ruhig …«
»Vielleicht abgeschirmt«, warf Ancil von oben ein.
»Oder entsprechend trainiert«, sagte Pyke. Das wäre ein bemerkenswertes Profil für einen Haufen angeblicher Schmuggler.
Er klopfte Punzho auf die Schulter und richtete sich auf.
»Wenn sie ihre Gedanken abschirmen konnten, waren Sie machtlos. Wie sie das angestellt haben, ist egal. Also kriegen Sie sich wieder ein, in Ordnung?«
Punzho hob seine langfingrige Hand, griff unter seine blassgrüne Tunika und holte einen kleinen, dunkelblauen Beutel hervor. Er löste die Verschnürung und schüttete mehrere kleine Figürchen heraus. Eines davon wählte er aus, die anderen gab er zurück in den Beutel.
»Sie haben recht, Captain«, sagte er. »Ich muss die wahre Schuld von der falschen scheiden und in der Zwischenzeit wieder zu Kräften kommen. Gst wird mir den richtigen Weg weisen.«
Punzho war ein Anhänger des Großen Musters, einer Religion, die auf dem Leben der neun heiligen Sucher gründete, die zu einer Zeit gelebt hatten, als die Egetsi sich noch in Stämmen organisierten. Die Gläubigen hielten sich an die Drei Katechismen, die Drei Inspirationen und die Drei Verpflichtungen und trugen ständig einen Beutel mit figürlichen Darstellungen der Neun Novizen bei sich. Die Figürchen dienten ihnen dazu, über verschiedene Themen zu meditieren, entweder einzeln oder in einer bestimmten Anordnung. Aus Neugier hatte Pyke Punzho einmal gefragt, ob er die Figuren auch gelegentlich als Vertreter der Mannschaftsmitglieder verwende, doch der Egetsi hatte erwidert, der Lehre zufolge käme dies einer Allegorie gleich und sei somit nicht ratsam. Pyke war sich nicht sicher gewesen, was er von der Antwort halten sollte.
»Gut«, sagte er. »Und jetzt gehe ich auf die Brücke und sorge dafür, dass alles wieder brummt … Ach, und Kref, würden Sie die hinteren Lagerräume auf Bruchschäden untersuchen? Die Sensoren eines Staubots sind so stark beschädigt, dass wir möglicherweise von Hand aufräumen müssen.«
»Wird gemacht, Captain«, sagte Kref. »Da muss man ordentlich was heben.«
Pyke ging grinsend hinaus und folgte dem Steuerbordgang bis zu einer Leiter, die zu einer Ebene mit hohen Portalkränen hochführte, die sich an den beiden Schotts des großen Frachtraums entlangbewegten. Durch eine Sichtluke sah man in den Frachtraum hinunter. Win Foskel inspizierte gerade die Innereien eines hohen ausklappbaren Wartungspaneels. Dervla war nicht zu sehen. Als er sich umdrehte, fiel sein Blick auf eine kleinere, dickere Sichtluke im Schott, das Teil der Raumschiffshülle war; es gab nur etwa ein Dutzend davon in der Scarabus, und alle waren bei der Generalabschaltung doppelt abgedichtet worden. Sie wieder zu öffnen stand ganz oben auf seiner Liste, denn er wollte die Sterne sehen. Den Großen Sternenwald, wie seine Großmutter Rennals das nannte. Sie pflegte zu sagen, es führten viele Pfade durch den Wald, und nicht alle seien sicher.
Damit hast du recht behalten, Omi. Sollte ich jemals nach Cruachan zurückkehren, kann ich dir ein paar Geschichten davon erzählen.
Die wenigen roten Notleuchten vermochten die Dunkelheit auf der Brücke kaum zu zerstreuen. Auch ein paar bernsteinfarbene Lichtpunkte waren zu erkennen. Hier war Pyke zu Hause, bewegte sich von Konsole zu Konsole und schaltete die sechs nachgerüsteten Overhead-Holoprojektoren ein. Silbriges Licht fiel auf die unbesetzten Sessel und einzelne Bereiche des Bodens. Die Konsolenleuchten und Anzeigen flammten auf, als er die Sekundärsysteme aktivierte.
Er ging zur Kommandokonsole weiter, nahm in seinem abgenutzten Ledersessel mit dem kardanisch befestigten Becherhalter Platz und beobachtete mit einer gewissen Genugtuung, wie die Systemanzeigen auf dem Hauptholoschirm grün wurden. Die Scarabus war ein ombilanischer Transporter vom Typ 38, der für seine Robustheit bekannt war, doch die Modifikationen, die er im Laufe der Jahre vorgenommen hatte, hatten das verlässliche Arbeitspferd in ein belastbares, schnelles Vielzweckraumschiff verwandelt, das zu Höchstleistungen imstande war. Inzwischen war es praktisch eine Erweiterung seiner selbst, und seine Reaktivierung war Teil seines eigenen Erwachens.
Die AI Scar arbeitete noch nicht auf Hochtouren. Nach einem Kaltstart brauchte sie immer am längsten, bis sie wieder voll einsatzfähig war, doch da die meisten Sekundärsysteme inzwischen wieder liefen, beschloss Pyke, die Sichtluken zu öffnen. Er begann mit denen auf der Brücke. Die einen Meter langen, dreißig Zentimeter breiten gitterverstärkten Elemente aus gewölbtem Glas widerstanden selbst dem direkten Beschuss mit Puls- und Strahlenkanonen. Als die Außenverschlüsse sich in die Rumpföffnungen zurückzogen, wurde die Welt sichtbar, die sie umkreisten, ein großer Planet mit dunkelblauen und grauen Streifen, umgeben von einem beinahe zart wirkenden Ring.
Das ist nicht Nadisha II, dachte er. Ich sollte eine blassblaue Welt inmitten einer Eiszeit vor mir sehen, aber nicht das hier … was immer das ist.
»Captain, wo sind wir?« Win Foskel stand an der Eingangsluke und blickte bestürzt zum Sichtfenster. »Das ist nicht der Eisplanet …«
»Das weiß ich, Win«, entgegnete Pyke ruhig. »Wenn Sie an der Navkonsole Platz nehmen würden, könnten wir die Lage checken, okay?«
»Okay«, bestätigte sie mit bebender Stimme und ging zu einem der Sessel. »Aber das ist ein Gasriese, und wir waren im Orbit eines bewohnbaren Planeten der P-Klasse, als wir …«
Ein kurzer blecherner Fanfarenstoß unterbrach sie.
»Endlich«, murmelte Pyke erleichtert. »Win, ich habe das Gefühl, dass wir immer noch in dem System sind, aber ich bin sicher, unser Experte weiß bald mehr. Scar, sitzt du wieder fest im Sattel?«
»Hallo, Bran. Kognition bei 98 Prozent … jetzt 100 Prozent.«
Pyke lächelte. Die Stimme der AI klang mit Absicht synthetisch, hatte aber einen weiblichen Unterton.
»Ausgezeichnet, Scar. Prioritätsanfrage – überprüfe die Astroposition.«
»Ich bin noch dabei, die Hauptsensoren zu initialisieren, Bran. Beim Stromausfall wurden mehrere untergeordnete Datenleitungen beschädigt … Sensoren initialisiert … scanne …«
Pyke blickte zu Win hinüber und sagte: »Warten Sie …«
»Positionsanomalie!«, meldete die AI. »Rekonstruiere stellaren Kontext … sammle Systemkomparatoren … vergleiche mit den letzten bekannten Koordinaten … Bran, ich kann bestätigen, dass die Scarabus sich noch immer im Nadisha-Sternsystem aufhält. Allerdings sind wir 594 Millionen Kilometer von unserer ursprünglichen Position entfernt und befinden uns im Orbit um Nadisha IV, einen Gasriesen mittlerer Größe …«
»Und der Orbitalstatus?«
»Elliptisch, hohe Stabilität.«
»Wie lange waren wir weg?«, fragte Pyke, dem der Kopf schwirrte.
»Seit dem Stromausfall sind siebzehn Stunden und vierundzwanzig Minuten vergangen.«
Pyke stieß einen leisen Pfiff aus. »Das ist ganz schön lange – was immer sie vorhatten, inzwischen haben sie sich wohl aus dem Staub gemacht.«
Win Foskel blickte sich über die Schulter um. »Chef, ich kapier das nicht – wenn sie uns töten wollten, weshalb haben sie dann nicht einfach den Antrieb in die Luft gejagt, anstatt uns durchs halbe System zu schleppen?«
»Betrachten Sie es mal von ihrer verdrehten, psychopathischen Warte aus«, sagte er. »Diese Dreckskerle konnten nicht wissen, welche Vorsichtsmaßnahmen wir getroffen haben oder wer davon wusste, dass wir hierhergekommen sind … Äh, Scar, war die Schiffsidentifikation die ganze Zeit über aktiv?«
»Ja, Bran, das war sie.«
Pyke nickte. »Die haben vielleicht ausgesehen wie primitive Schläger, aber es müssen auch ein paar kluge Köpfe darunter gewesen sein. Wäre jemand unserem Identsignal gefolgt, hätte er festgestellt, dass wir Opfer eines tragischen Ausfalls der Lebenserhaltungssysteme geworden sind. Das hätte die Aufmerksamkeit von unserem ursprünglichen Ziel abgelenkt.«
Er lehnte sich in die hochgestellte Lehne zurück, schwelgte einen Moment im Knarren des blauen Leders und überlegte, warum ihr Schiff verlagert worden war und was an ihrem ursprünglichen Ziel vor sich gehen mochte. Dann sagte er:
»Scar, wie ist unser Status? Können wir fliegen?«
»Der Zustand des Schiffsrumpfs ist optimal, auch die Schutzschirme und der Sekundärantrieb funktionieren einwandfrei.«
Pyke nickte, beugte sich vor und rief auf dem Holoschirm einen Comm-Link auf.
»Ancil?« Auf dem Bildschirm blickte Ancil Martel sich um. »Ancil, ich glaube, wir sollten zu der Eiswelt zurückfliegen, die wir umkreist haben, und nachsehen, was mit unserer Fracht und dieser Bande scheißefressender Diebe passiert ist. Was macht der Antrieb?«
»Läuft wie geschmiert, Chef. Die Feldmatrizen sollten in etwa zehn Minuten bereit sein. Führen wir einen Mikrosprung durch?«
»Das ist meine Absicht«, bestätigte Pyke und hielt inne, als ihm bewusst wurde, dass der Platz neben Martel unbesetzt war. »Wo steckt eigentlich Mojag?«
»Als die Generatoren wieder liefen, war so weit alles in der Spur. Mojag kennt sich mit dem Zeug aus, hat eine Menge von Oleg gelernt. Hat gemeint, er müsse sich um seine Kabine kümmern, und ich hab ihm gesagt, das wäre okay, ich hätte alles im Griff.« Ancil runzelte die Stirn. »Er hat ruhiger gewirkt als sonst, als wäre er nicht ganz bei sich.«
»Wie meinen Sie das?«
»Als ich ihn unbemerkt beobachtet habe, hat er den Kopf geschüttelt und gebrummt, wie es seine Art ist, aber es hat niemand mit ihm gesprochen, und einmal hat er vor sich hin gemurmelt.« Ancil zuckte mit den Achseln. »So habe ich ihn noch nie erlebt.«
Pyke nickte. »Mojag hat eine größere Bürde zu tragen als Sie oder ich. Hat dieses Stück Hardmem im Schädel, was es schwer macht, mit Trauer umzugehen.«
»Mojag ist ein sehr sanfter Typ«, sagte Ancil. »Übt normalerweise einen beruhigenden Einfluss aus.«
»Und ich bin sicher, mit der Zeit wird er lernen, mit dem Verlust klarzukommen«, sagte Pyke. »Was machen die Felder?«
»Noch ein paar Minuten, Chef, dann können wir den Staub abschütteln und starten.«
»Guter Mann.« Er spürte etwas in seinem Rücken, schwenkte den Sessel herum und bemerkte, dass Dervla von der Backbordluke aus zu ihm herübersah.
»Wollen Sie wirklich zur Eiswelt zurückfliegen?«, sagte sie. »Könnte gefährlich sein nach allem, was wir durchgemacht haben.«
»Es gefällt mir nicht, wenn ich von einem Haufen aufgepumpter Lederjungs an der Nase herumgeführt werde«, erwiderte er.
»Ah, es geht also um Ihr verletztes Ego. Hm, schön, dass das klargestellt ist.«
Lächelnd drückte Pyke eine Comm-Taste. »Scar, berechne bitte einen Mikrosprung zurück nach Nadisha II.«
»Ja, Bran. In zwei Minuten beginne ich einen Countdown von zweiunddreißig Sekunden.«
»Danke.« Er erwiderte Dervlas Blick. »Nein, meine Blume, um mein Ego geht es nicht. Ich übernehme Aufträge aus geschäftlichen Gründen, nicht um des Abenteuers willen, und ich glaube, ich habe gute Gründe, die Situation zu bereinigen.«
»Und uns bringen Sie dadurch …« Sie zuckte mit den Achseln. »Okay, wie sieht Ihr Plan aus?«
»Also, da sich weder der Comm-Scanner noch die Bezahlung, die diese Eiterbeule Khorr uns schuldet, in unserem Besitz befinden, beabsichtige ich, zum Schauplatz des Verbrechens zurückzukehren und nachzusehen, ob es Hinweise, Ionenspuren, zurückgelassene Gegenstände oder dergleichen gibt, die uns weiterhelfen können.«
Im Hintergrund kündigte Scar den bevorstehenden Mikrosprung an und begann den Countdown.
»Dann sind wir also hinter dem Dreckskerl her«, meinte Dervla. »Ohne zu wissen, über welche Mittel er verfügt.«
»Es gibt auch noch so etwas wie Selbstachtung!«, entgegnete Pyke. »Außerdem brauchen wir das Geld, um die Scarabus einsatzfähig zu halten …«
In diesem Moment schaltete sich der Hyperantrieb ein und krümmte die Subquantenstrukturen der Raumzeit auf sehr spezifische Weise. Pyke nahm das wohlbekannte Druckgefühl wahr und verspürte einen leichten Schwindel, hielt aber nur einen kurzen Moment inne.
»… und … UND … es wäre schön, wenn wir etwas von dem Zeug kaufen könnten, das man ›Nahrung‹ nennt. Ich glaube nämlich, im Unterschied zu unserem Recyceldreck besitzt sie Geschmack …«
Er verstummte, als Dervla mit geweiteten Augen auf die Sichtluken zeigte.
»Ist das wirklich …?«
Während Pyke den Sessel herumschwenkte, meldete sich die Bord-AI.
»Planetarische Anomalie detektiert … Statuskonflikte aller Parameter … Makroscan in Arbeit.«
Nadisha II war eine blassblaue Welt. Die Kontinente waren unter Schnee und Stürmen verborgen, erst in etwa fünfhundert Jahren würde es wieder wärmer werden. Was Brannan Pyke durch die Fenster sah, war jedoch etwas völlig anderes: eine dunkle Welt, gehüllt in zornige Wetterwirbel. Ihn überkam der seltsame Drang zu lachen.
»Scar, was zum Teufel ist das?«
»Die Scanergebnisse sind noch unvollständig, bestätigen aber die vorläufige Einschätzung – wenngleich der Planet die gleiche Position einnimmt wie Nadisha II und die gleiche Umlaufgeschwindigkeit besitzt, ist dies eine andere Welt.«
Pyke nickte bedächtig.
»Also, so was erlebt man nicht alle Tage.«
2. Kapitel
Eine halbe Stunde später waren alle auf der Brücke versammelt, saßen zurückgelehnt an ihren Konsolen und blickten zu den an der Decke montierten Holomonitoren auf. Pyke schaute auf den Monitor an seiner eigenen Konsole.
»Bereit, wenn du es bist, Scar«, sagte er.
»Ausgezeichnet, Bran. Ich fange dann an.«
Die Displays schalteten von netzartigen Animationen auf die hellere Anzeige der Planetendaten um. In der Mitte drehte sich eine blassblaue Welt, umrahmt von Statistiken, den Daten der Atmosphärenanalyse, klimatischem Überblick, durchschnittlichen Temperaturverläufen und anderen Parametern.
»Das ist Nadisha II«, sagte die Bord-AI. »Eine bewohnbare Welt, die sich momentan tief im Temperaturtal einer Eiszeit befindet, die alle siebzigtausend Jahre auftritt – die Welt, um die dieses Raumschiff vor zwanzig Komma acht Stunden gekreist ist.«
Das Bild wechselte unvermittelt zu einer anderen Welt, deren aschgraue Oberfläche mit stumpfbraunen Flecken und dunkelgrauen Streifen bedeckt war, darüber gefährlich wirkende Wolkenwirbel, die über die Meere und Landmassen hinwegbrausten. Die Daten wurden dynamisch angezeigt und von Säulendiagrammen ergänzt, die sich alle dreißig Sekunden veränderten und zusätzliche Informationen zu Atmosphäre-, Wasser- und Bodenzusammensetzung bereitstellten.
»Dies ist die Welt, die wir gegenwärtig umkreisen. Die Oberfläche ist um 7,9 Prozent größer als die von Nadisha II, die Meeresfläche um 21,3 Prozent kleiner …«
»Ist das da eine Stadt?«
Win Foskel deutete auf eine Region, die sie vergrößert hatte und die Scar sogleich auf die anderen Displays umlegte. Pyke beugte sich vor und machte, halb verdeckt von einer Wolkenbank, die unverkennbaren regelmäßigen Strukturen und Raster einer Metropole aus. Auch die Umrisse von Bombenkratern waren deutlich zu erkennen.
»Ja«, bestätigte Scar. »Zu sehen sind die Überreste ausgedehnter hoch entwickelter Gebiete, deren Muster mit den Standardmodellen bewohnter Ballungsgebiete und urbaner Zentren übereinstimmen, außerdem Transportwege und Knotenpunkte. Es gibt zahlreiche solche Siedlungszentren, die aber alle unbewohnt sind, zumindest soweit ich die Planetenoberfläche bislang scannen konnte.«
Punzho Bex deutete mit seinem langen Zeigefinger auf die Verwüstungen.
»Sieht so aus, als hätte hier ein Krieg stattgefunden«, sagte er. »Scar, wurden hier auch die üblichen Begleiterscheinungen des Kampfes freigesetzt?«
»Wenn du damit die Umweltzerstörung meinst, liegst du richtig. Ich habe eine kleine Einmalsonde losgeschickt, um den Makroscan zu ergänzen, und die Daten sind eindeutig. Die Umwelt ist stark verstrahlt, und die Luft ist ein Gemisch tödlicher biologischer Kampfstoffe. Die weitreichenden Biosensoren haben jedoch Hinweise auf kleinere Lebewesen detektiert, die in vereinzelten Rudeln leben, vermutlich Aasfresser. Bei der Vegetation ist eine Kriechpflanze vorherrschend. Flüsse, Seen und Küstengewässer sind stark verschmutzt …«
»Scar, hast du eine Erklärung dafür, weshalb sich hier diese radioaktive Dreckkugel befindet und nicht Nadisha II?« Pyke runzelte die Stirn. »Du weißt schon, irgendeine Hypothese, die sich auf die bislang gesammelten Daten stützt.«
»Tut mir leid, Bran, aber die Daten reichen für eine sinnvolle Hypothese noch nicht aus. Bislang sind wir auf Spekulationen angewiesen.«
»Na gut, dann spekuliere.«
»Ich benötige trotzdem Parameter, innerhalb derer ich spekulieren kann.«
Pyke trommelte mit den Fingern auf die Konsole. »Okay. Dann sag mir, deutet irgendetwas darauf hin, dass es dort unten intelligente Lebewesen, Siedlungen oder Stützpunkte gibt?«
»Bislang habe ich weniger als 18 Prozent der Oberfläche gescannt. Ich habe keine Energiesignaturen festgestellt und keine Unterschiede in der Oberflächentemperatur, die darauf hindeuten würden, dass es verborgene Habitate oder Lebensformen gibt, welche die Kriterien für intelligente Wesen erfüllen.«
»Dann ist der Planet also im Wesentlichen eine unbewohnte radioaktive Dreckkugel«, sagte Pyke. »Genau das, was ich gebraucht habe. Scar, hast du auch die Antriebsspuren in der unmittelbaren Umgebung gescannt?«
»Mehrere Raumschiffe haben hier operiert, und eines der Emissionsprofile entspricht dem von Khorrs Schiff. Sämtliche Antriebsspuren in der größeren gravimetrischen Schale sind jedoch fragmentiert oder zerstreut. Jede Interpretation wäre notwendigerweise spekulativ, doch ich habe an der Subraumgrenze eine eigenartige Restresonanz gemessen, die darauf hindeutet, dass ein Objekt mit äußerst starken Inertialfeldern das System durchquert und eine Trübung des umliegenden Realraums verursacht hat …«
Pykes Stimmung sank. »Willst du damit sagen, wir können diesen Dreckskerl Khorr nicht verfolgen?«
»Bedauerlicherweise findet sich keine Spur von ihm.«
Gar nicht gut, dachte Pyke. Verflucht noch mal – sollen wir etwa in den Orbit um Tajnap zurückspringen? Wenn wir Glück haben, stoßen wir dort vielleicht auf Hinweise auf Khorr und dessen Schiff, aber die Andock- und Treibstoffgebühren würden unsere restlichen Geldmittel aufzehren. Heilige Mutter Gottes, wenn wir mit leeren Händen erscheinen, muss ich womöglich die Belader abstoßen, vielleicht sogar das Shuttle …
Unvermittelt wurde ihm bewusst, dass die anderen ihn ansahen.
»Also, Scar, was den Planeten angeht – willst du uns sagen, dass er vollkommen unbewohnbar ist und dass keine Aussicht besteht, dort intelligentes Leben zu finden?«
»Bislang habe ich 19,3 Prozent der Oberfläche gescannt, ohne entsprechende Hinweise zu entdecken, Bran. Allerdings lässt sich intelligentes Leben nicht ganz ausschließen.«
»Weißt du, ich muss daran denken, dass dieser Rotzklumpen Khorr sich große Mühe gegeben hat, von diesem Ort abzulenken, und deshalb« – er ließ den Blick über seine Mannschaft schweifen – »würde ich sagen, wir lassen Scar die Untersuchung abschließen und warten ab, was er zu Tage fördert.«
Einige nickten zustimmend, andere zuckten mit den Schultern, und Dervla musterte ihn nachdenklich.
»Gut«, fuhr er fort. »Scar, wie lange wirst du noch brauchen?«
»Zwei Stunden und fünfundfünfzig Minuten unter Beibehaltung der derzeitigen Analysetiefe.«
»Gut, dann mach weiter und schließ das ab.« Pyke erhob sich. »In der Zwischenzeit räumen wir die Lagerräume auf.«
»Aber, Chef«, sagte Ancil, »sollten wir nicht herauszufinden versuchen, weshalb sich Nadisha II in eine giftige Hölle verwandelt hat?«
Pyke hielt auf halbem Weg zur Luke inne. »Ich dachte, das läge auf der Hand«, sagte er. »Jemand ist hergekommen und hat die hübsche, saubere Eiswelt gegen diese toxische, ausgebombte Dreckkugel ausgetauscht. Oder haben Sie eine andere Erklärung?«
»Also … nein, aber wollen Sie nicht wissen, wer das getan hat und warum?«
»Eigentlich nicht. Von jemandem, der über eine solche Technologie verfügt, möchte ich mich lieber fernhalten. Khorr hingegen hat uns ausgetrickst und wollte uns umbringen, und ich beabsichtige, mir wiederzubeschaffen, was uns rechtmäßig gehört.«
»Und was ist, wenn Khorr mit den Planetendieben unter einer Decke steckt?«, fragte Dervla. »Was machen wir dann?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen. Weshalb sollten technologisch hoch entwickelte Planetenräuber einen Gauner wie Khorr anheuern, um ein technisches Gerät einer weniger weit entwickelten Zivilisation in ihren Besitz zu bringen? Nein, ich wette, er arbeitet für eine Bande von Schmugglern, die den fiesen Erdlingen einen Schritt voraus sein wollen. Jedenfalls müssen wir alle einfach ein bisschen gefährlicher sein als sie!
Deshalb schlage ich vor, dass wir uns nützlich machen, solange Scar beschäftigt ist. Kref, Sie kommen mit mir – wir müssen die Lagerräume wirklich ausmisten.«
Ein paar Minuten später befanden Pyke und der Henkayaner sich wieder im Heckbereich und überlegten, wie sie vorgehen sollten. Pyke wies Kref an, die leichteren Kisten wieder übereinanderzustapeln. Er selbst beschäftigte sich mit dem Staubot in dem Lager, wo schwere Objekte wie Rumpfplatten, Antriebskupplungen und Waffenbefestigungen untergebracht waren. Als eine halbe Stunde verstrichen war, tauchte Mojag in der offenen Luke auf und sagte: »Captain, auf ein Wort?«
»Natürlich – kommen Sie in mein Büro.«
Mojag ging um einen Haufen loser Rumpfplatten herum, während Pyke ihm eine Kiste hinstellte. Er setzte sich darauf, die Beine nebeneinandergestellt, die Hände auf die knochigen Knie gelegt, und schaute sich mit düsterer Miene um. Pyke, der mit den Innereien des Staubots beschäftigt war, wartete. Nach einer Weile räusperte sich Mojag.
»Captain, ich muss Ihnen etwas sagen …«
»Wenn Sie der Umgang mit Olegs sterblichen Überresten zu sehr belastet, kann ich Kref oder Ancil bitten …«
»O nein, das habe ich schon hinter mir«, sagte Mojag. »Hab ihn in Poly eingewickelt und in einem Stasisfach der Krankenstation verstaut. Ich möchte Ihnen etwas anderes sagen. Etwas über Oleg.«
Über Oleg? Pyke hatte geglaubt, Mojag wolle um seine Entlassung im nächsten Raumhafen bitten, und jetzt war er verwirrt.
»Okay, ich höre.«
Mojag lächelte schwach. »Erinnern Sie sich noch, wie Sie uns vor fast zwei Jahren eingestellt haben?«
»Bei dem Zwischenstopp im Orbit um Darien. Ja, ich erinnere mich.«
»Ich habe Ihnen im Einstellungsgespräch eine Auflistung unserer Fähigkeiten unter Berücksichtigung meines Datenimplantats gegeben.« Er tippte sich gegen die Schläfe. »Alles, was ich Ihnen über die Prothese gesagt habe, entsprach der Wahrheit, aber ich habe Ihnen den ganzen Funktionsumfang verschwiegen. Klar, da ist eine Menge Speicherplatz drin – ich habe beispielsweise die gesamte klassische Musik Europas des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts gespeichert, und die beansprucht nur einen winzigen Teil des Hauptspeichers.«
Pyke musterte ihn. »Ich hoffe doch, diese Auslassung hatte keine Auswirkungen auf unsere Zusammenarbeit.«
Mojag riss die Augen auf. »Nein, nein, Captain, nicht im Geringsten!«
»Okay, und was hat das mit Oleg zu tun?«
Mojags Blick schweifte ab, und er setzte ein sarkastisches Lächeln auf. »Erinnern Sie sich an die Ladung genetisch angepasster Rinderzygoten, die wir vor einem Jahr nach Floresta geschmuggelt haben?«
Pyke lächelte wehmütig. Die befruchteten Eizellen waren in hüfthohen Kanistern verstaut gewesen, insgesamt 400. Sie hatten sie von einem abgelegenen Biolab auf einer Grauwelt im vierten Modynel übernommen, über die Grenze der Erdsphäre geschmuggelt und zu der vergleichsweise jungen Koloniewelt Floresta gebracht. Nach der Übernahme war bis zur Landung auf Floresta alles glatt gegangen. Der vereinbarte Übergabepunkt lag nahe der Mündung eines bewaldeten Tals, und sie hatten etwa ein Drittel der Fracht ausgeladen, als Unbekannte sie unter Beschuss genommen hatten. Mojag und Oleg hatten die Belader bedient und waren gezwungen gewesen, in Deckung zu gehen, während Kugeln und Impulsstrahlen hin und her schwirrten, mit der Scarabus in der Mitte. Grenzstreitigkeiten zwischen ihrem Kunden und dessen gut bewaffnetem Nachbarn hatten sich früher am Tag zu einem Krieg ausgewachsen, und es dauerte eine volle nervenzerfetzende Stunde, bis das Gegenfeuer die Streitmacht des Nachbarn zum Rückzug zwang.
»Ja, das war ein bisschen härter, als mir lieb war«, meinte Pyke. »Aber wir haben eine gute Bezahlung eingestrichen.«
»Und wir wussten beide, dass unser Job gefährlich ist«, sagte Mojag. »Aber kurze Zeit später hat Oleg mich um einen Gefallen gebeten, um einen sehr speziellen Gefallen, den nur ich realisieren konnte.«
»Mit Ihrem Datenimplantat?«, sagte Pyke.
Mojak nickte. »Nach dem kleinen Zwischenfall haben Sie einen Abstecher zu einem System an der Gerlan-Grenze gemacht …«
»Nach Erjef-Sessax, der Habitatsiedlung im Asteroidengürtel.«
»Ja, zu diesem Labyrinth«, meinte Mojag. »Ich und Oleg haben herumgefragt und schließlich einen Verkäufer von Kortodienstleistungen gefunden, der sich bereit erklärte, einen Tiefenscan von Olegs Gehirn durchzuführen und eine metafraktale Kopie seines Bewusstseins zu erstellen …«
»Moment mal …«
»… die in mein Datenimplantat hochgeladen wurde.« Mojag musterte Pyke misstrauisch. »Oleg ist also sozusagen noch am Leben. In einem gewissen Sinne.«
Pyke starrte ihn entgeistert an, dann brach er in Gelächter aus, zwischen Fassungslosigkeit und ungläubigem Staunen schwankend.
»Verzeihung, Mojag – ich wollte mich nicht lustig machen und nicht respektlos sein«, sagte er. »Aber ist das Ihr Ernst – laufen Sie tatsächlich seit Monaten mit einer Kopie von Oleg im Kopf herum? Weshalb … weshalb hat er das gewollt? Hat er geahnt, dass er sterben würde?«
»Er hat trotz der inhärenten Gefahren nicht mit seinem Tod gerechnet, Captain, und er war sich bewusst, dass Sie stets unsere Sicherheit im Auge haben.« Mojag blickte an die Decke und seufzte. »Er wollte einfach nur das Lied vom Ansporn zu Ende bringen.«
»Und was soll das sein?«
»Ein langes Gedicht, das die Schlüsselmomente im Leben eines Kiskashin schildert. Die Kiskashin sind ein altes, weitverzweigtes Volk, und Olegs Zweig, die Idekri, legen großen Wert auf den Erhalt der Tradition des Lieds vom Ansporn.«
Pyke war perplex. »Olegs Kopie, die Sie mit sich herumschleppen … schreibt Gedichte?«
»Nicht nur das«, sagte Mojag. »Wir sprechen über zahlreiche Themen …«
»Wie das?«, Fragte Pyke. »Sprechen Sie im Moment mit ihm? Hört er uns zu?«
»Er nimmt wahr, was ich wahrnehme, und für gewöhnlich begegnen wir uns an einem virtuellen Treffpunkt, den ich im Datenimplantat angelegt habe.«
Ungeachtet seiner Verblüffung nickte Pyke lächelnd. »Also, ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich mal eine Unterhaltung wie diese führen würde. Ich meine, ich kenne die AI-Implantate, die es auf der Erde gibt, bin aber noch nicht vielen begegnet.«
»Nach der Schlacht von Darien und dem gescheiterten AI-Putsch in der Hegemonie sind sie vollkommen aus der Mode gekommen«, meinte Mojag.
»Soll mir recht sein«, bemerkte Pyke. »Ich brauche nur dran zu denken, und schon wird mir ganz flau.«
»Das ist etwas ganz anderes, Captain«, sagte Mojag. »Oleg war … ist mein Freund.«
»Das habe ich kapiert. Haben Sie schon mit Dervla darüber gesprochen?«
»Noch nicht. Ich weiß nicht, was ich ihr sagen soll.«
»Seien Sie aufrichtig – meistens funktioniert das. Und ich bin froh, dass Sie es auch mir erzählt haben – wenngleich ich Ihnen bestimmt kein doppeltes Gehalt zahlen werde!«
Mojag grinste. »Der Gedanke daran liegt mir fern, Captain.«
In diesem Moment meldete sich Scar über die Voker auf dem Flur zu Wort.
»Captain Pyke auf die Brücke – das ist ein dringender Aufruf.«
Die Reparaturarbeiten an den Staubots waren augenblicklich vergessen. Pyke stand auf. »Scar«, sagte er laut. »Was gibt es?«
»Gerade eben haben meine Sensoren ein komprimiertes Funksignal von der Planetenoberfläche aufgefangen. Die linguistischen Subsysteme sind noch mit der Analyse beschäftigt …«
»Gut, bin schon unterwegs.«
Gefolgt von Mojag trat Pyke auf den Gang und eilte Richtung Bug. Kurz darauf betrat er die unbesetzte Brücke.
»Liegt schon eine Übersetzung vor, Scar?«
»Bei dem Signal handelt es sich um eine verbale Botschaft, deren Silbengruppen keine Entsprechung in meiner Datenbank haben. Die syntaktische Analyse deutet jedoch auf einen Hilferuf hin. Die Stressanalyse untermauert das.«
»Also, was ist da unten los?«, sagte Pyke und ließ sich in seinen Ledersessel fallen, der knarrend protestierte. »Irgendwelche intelligenten Lebensformen?«
»Nein, Bran, aber um ein hügelähnliches Gebilde hat sich eine Gruppe einfacherer Lebensformen versammelt, die möglicherweise verhindern, dass die Urheber des Signals vom Scan erfasst werden. Am selben Ort messe ich auch die Entladungen von Energiewaffen.«
Pyke sprang auf und fühlte sich plötzlich wieder voller Energie.
»Ein Rettungseinsatz.« Er schaltete alle Bordlautsprecher ein. »Kref, Win, hier spricht der Captain. Begeben Sie sich in den Shuttle-Hangar und packen Sie die schwere Ausrüstung aus.« Er blickte nach oben. »Scar, wie gefährlich ist die Umgebung dort unten?«
»Das hügelähnliche Gebilde liegt am Rand einer zerstörten Stadt, die einem unmittelbaren Treffer durch Nuklearwaffen entgangen zu sein scheint. Die Luft enthält jedoch zahlreiche Gifte, schwache Reste von Biokampfstoffen und feinen radioaktiven Staub. Ich empfehle volle Schutzausrüstung, Bran, aber falls du Atemgeräte vorziehst und darauf achtest, keine ungeschützten Körperteile der Luft auszusetzen, sollte das keine schwerwiegenden Folgen haben, solange du den Aufenthalt im Freien kurz gestaltest.«
»Verstanden. Was macht die Übersetzung?«
»Tut mir leid, Bran – ich bin noch nicht weitergekommen. Ich müsste zunächst mit einem einheimischen Sprecher Kontakt aufnehmen und mir Grundkenntnisse aneignen.«
»Mal sehen, ob sich das machen lässt.« Pyke wandte sich an Mojag, der ruhig abgewartet hatte, wie die Situation sich entwickeln würde. »Mojag, denken Sie daran, Dervla in Ihr Geheimnis einzuweihen.«
Mojag wirkte wenig begeistert. »Was glauben Sie, wie sie reagieren wird?«
Pyke zuckte mit den Achseln. »Ach, wer weiß das schon bei einer Frau. Aber eins ist sicher – wenn Sie es ihr nicht sagen, und sie kommt irgendwann dahinter, wird sie es nicht gut aufnehmen.«
»Danke für Ihren Rat.«
Pyke grinste und wandte sich zur Luke.
Als er den Hauptfrachtraum erreichte, trat Dervla aus der offenen Gleittür.
»Scar hat mir gesagt, dass Sie mit dem Shuttle auf der giftigen Dreckkugel landen wollen, um eine verrückte Rettungsaktion durchzuführen«, sagte sie, und die Härte ihres Blicks strafte ihr gefasstes Lächeln Lügen.