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Ein spannender Blick auf die allerersten Anfänge des Christentums
Eine differenzierte Besinnung auf die Frühzeit der Kirche
Die vollständige Überarbeitung eines Klassikers der sozialgeschichtlichen Bibelauslegung
Wer waren die Menschen, die Jesus folgten? Wie lebten sie? Was erhofften sie - und warum gerade von diesem Wanderprediger aus Nazareth?
Gerd Theißen beschreibt die sozialgeschichtliche und sozialpsychologische Wirklichkeit der »Jesusbewegung«, aus der das Urchristentum als eine neue Religion hervorging. Seine sorgfältige Erschließung der Welt und Umwelt der Bibel zeigt, dass diese Bewegung in einer »revolutionären« Situation wurzelte: Sie vollzog eine Revolution der Werte, Normen und religiösen Überzeugungen, die bis heute nachwirkt.
Theißen macht in einleuchtender und origineller Weise Jesu Auftreten, die Entstehung der Jüngerschaft und die Bildung der Urgemeinde in ihrer sozialen Dimension verständlich.
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Seitenzahl: 553
Den Theologischen Fakultätender Universität Lund und Aarhusals Dank für die Verleihung der Ehrendoktorwürde gewidmet
Als ich um 1970 die erste Lehrveranstaltung zur Soziologie des Urchristentums anbot, prophezeite mir ein Kollege, dass mir der Stoff während eines Semesters ausgehen werde. Er hat sich geirrt. Mir und vielen anderen ist der Stoff bis heute nicht ausgegangen. Aufgrund der inzwischen geleisteten Arbeit müssen die einmal entwickelten Theorien alle überprüft werden. Das vorliegende Buch ist eine Neubearbeitung einer kleinen Schrift »Soziologie der Jesusbewegung« von 1977. Diese vertrat vier Thesen:
– Am Anfang des Urchristentums standen heimatlose Wandercharismatiker mit einer radikalen Ethik.– Sie gehörten zu einer innerjüdischen Erneuerungsbewegung.– Deren Entstehung war durch eine Krise der jüdisch-palästinischen Gesellschaft bedingt.– Ihre Antwort auf diese Krise war eine Vision von Liebe und Versöhnung.Als ich diese Thesen entwickelte, befand sich die sozialgeschichtliche Erforschung des Urchristentums in den Anfängen. Inzwischen wurde sie zu einem breiten Strom. Es gab viel Kritik an meiner Konzeption einer »Soziologie der Jesusbewegung«, aber auch viel positive Resonanz. Das Büchlein wurde in elf Sprachen übersetzt. Die Forschung ging weiter. An vielen Stellen habe ich selbst weitergearbeitet. All das hat dazu geführt, dass aus der Überarbeitung einer kleinen Schrift ein neues Buch entstand. Der Grundriss ist geblieben.
Die These vom Wanderradikalismus wird auch in diesem Buch vertreten. Beim Durchsehen der Literatur habe ich mich gefreut, dass die »Wandercharismatiker« noch immer durch die Köpfe der Exegeten wandern – und nach der Überzeugung vieler auch im 1. Jh. n.Chr. durch Syrien und Palästina gewandert sind. Manche muten ihnen nicht so lange Wanderstrecken zu wie ich. Viele wollen sie familienfreundlicher haben. Einige sehen in ihnen nur Boten zwischen den Dörfern. Aber sie bewegen sich trotzdem! Sie wurden oft unterschätzt, aber ihre Existenz und Bedeutung wurde in jüngster Zeit auch umfassend (von M. Tiwald) verteidigt und dargestellt.
Die Wandercharismatiker galten als Kern der Jesusbewegung, einer innerjüdischen Erneuerungsbewegung. Sie wird in diesem Buch durch Vergleich mit anderen Erneuerungsbewegungen im Judentum noch mehr in die Geschichte des jüdischen Volkes eingebettet. So wird die These vertreten, dass sie aus dem Scheitern vorhergegangener Bewegungen gelernt und vorhergehende Erfahrungen verarbeitet hat. Ein interkultureller Vergleich mit anderen »millenaristischen Bewegungen« soll darüber hinaus ihr Proprium noch deutlicher herausarbeiten: Nur ihr gelang es, in Gestalt des aus ihr hervorgegangenen frühen Christentums aus der einheimischen Kultur in die überlegene Fremdkultur einzudringen und diese umzugestalten.
Die Entstehung dieser Erneuerungsbewegung habe ich durch eine Krise der jüdischen Gesellschaft erklärt – nicht allein durch eine Krise der jüdischen Religion. Diese Krisendeutung der jüdischen Gesellschaft wurde oft bestritten. Richtig ist: Zwischen den Unruhen nach dem Tod des Herodes (4 v. Chr.) und der Caligulakrise (38/40 n.Chr.) entstand die Jesusbewegung in einer vergleichsweise friedlichen Phase. Aber die vorher und nachher sichtbar werdenden Spannungen waren auch in dieser Zeit latent da. Das findet sich so schon in der »Soziologie der Jesusbewegung«. Neu ist die Idee, dass die Konflikte in dieser entspannteren Zwischenzeit symbolpolitisch ausgetragen werden konnten. Damals konnte eine Alternative zu Lösungen mit Gewaltanwendung entstehen – eine Veränderung von Werten und Überzeugungen. Aber ohne den harten Verteilungskampf um Macht, Besitz und Bildung bleibt diese Veränderung unverständlich – wobei der Verteilungskampf nicht immer generelle Verelendung zur Folge haben muss, wie meine Krisendeutung der Jesusbewegung oft (miss-)verstanden wurde. Krisen entstehen bei Veränderungen, deren Schnelligkeit eine Gesellschaft überfordern. Sozialer Aufstieg gehört ebenso dazu wie sozialer Abstieg.
Was die »Vision« angeht, mit der die Jesusbewegung auf diese Krise antwortete, so habe ich sie als eine Revolution von Werten neu gedeutet: In der Jesusbewegung werden Oberschichtwerte für den Umgang mit Gütern (mit Macht, Besitz und Bildung) von kleinen Leuten angeeignet und Unterschichtwerte für den Umgang mit Menschen durch »aristokratisches« Selbstbewusstsein aufgewertet. Nach wie vor meine ich, dass dabei die überall vorhandene menschliche Aggressivität in Träumen und Vorstellungen verarbeitet wurde und dass erst dadurch ein Freiraum für Liebe und Versöhnung entstehen konnte. Zwischen den aggressiven Bildern und Phantasien der urchristlichen Überlieferung, die auch heute noch »Heulen und Zähneklappern« verursachen, und ihrer nicht-aggressiven Ethik besteht ein funktionaler Zusammenhang. Psychologische Überlegungen haben m.E. einen legitimen Ort bei der Erforschung der urchristlichen Religion. Unverändert blieb, dass die Jesusbewegung eine innerjüdische Erneuerungsbewegung ist. Ihre Revolution der Werte ist tief im Judentum verwurzelt. Ihm verdanken wir einige unserer wertvollsten Traditionen.
Leider lässt der knappe Stil dieses Buches keine ausführlicheren Auseinandersetzungen zu. Manche Diskussion konnte nur implizit geführt werden. Eine Reihe der hier vertretenen neuen Gedanken habe ich in den letzten zwanzig Jahren in Einzelstudien veröffentlicht, darauf wird jeweils hingewiesen. Bibelzitate werden nach dem revidierten Text der Lutherübersetzung, der Zürcher Übersetzung oder der ökumenischen Einheitsübersetzung wiedergegeben. Wo ich abweiche, wird das durch »[gt]« angezeigt. Die bibliographischen Angaben in den Fußnoten sind möglichst knapp gehalten, nur beim ersten Mal finden sich die notwendigsten Informationen, ohne Untertitel, Reihe und Verlag. Das Literaturverzeichnis bringt die vollständigen Angaben.
Die Entstehung des Buches verpflichtet mich zu mannigfachem Dank. Ich danke den Studierenden zweier Seminare im Jahr 2003 und 2004, in denen ich diese Neufassung der »Soziologie der Jesusbewegung« vorbereitet und diskutiert habe. Für das Lesen der Korrekturen, kritische Kommentare und die technische Bearbeitung des Manuskripts danke ich Anke Geisdorf, Kristina Wagner und Friederike Wendt. Vor allem danke ich meiner Frau, mit der ich schon viele Jahrzehnte durch das Leben zusammen »gewandert« bin und die meine Gedanken zum Wanderradikalismus am längsten kennt.
Wir widmen dies Buch in Erinnerung an unsere gemeinsame Zeit in Skandinavien den Theologischen Fakultäten der Universität Lund und Aarhus, die mir 2002 und 2003 die Würde eines Ehrendoktors verliehen haben.
Heidelberg, im Mai 2004
Gerd Theißen
Das Urchristentum begann als eine von Jesus hervorgerufene innerjüdische Erneuerungsbewegung. Erneuerungsbewegungen erfassten damals in zwei Wellen das Judentum. Die erste Welle entstand im 2. Jh. v.Chr. als Reaktion auf das Vordringen der hellenistischen Kultur bis nach Palästina, als die Seleukiden die Ptolemäer als Herrscher ablösten. Zu ihr gehörten Essener und Pharisäer, die sich zur Zeit Jesu zu etablierten Religionsparteien entwickelt hatten. Als Reaktion auf die Machtübernahme durch die Römer kam es in Palästina im 1. Jh. v.Chr. zu einer zweiten Welle von Erneuerungsbewegungen. Diese bildeten sich um einzelne charismatische Führer, um Schriftgelehrte, Propheten wie Johannes den Täufer oder Königsprätendenten. Zu den jüngeren Erneuerungsbewegungen gehörte auch die Jesusbewegung. Von Jesus von Nazareth erhofften die Menschen alles, was damals als Erwartung an charismatische Führungsgestalten im Volk lebendig war: Er sollte ein Schriftgelehrter sein, der die Thora überzeugender auslegt als die anderen Schriftgelehrten; ein Prophet, der nicht nur eine bessere Zukunft ankündigt, sondern auch verwirklicht; ein messianischer Volkskönig, der den Juden ihre Freiheit wiedergibt. Und doch durchbrach Jesus all diese Erwartungen und Rollen.
Als Jesusbewegung bezeichnen wir die innerjüdischen Anfänge des Urchristentums, die vom historischen Jesus geprägt wurden. Als Jesusbewegung unterscheidet sie sich von einem jüngeren Zweig des Urchristentums, für den Paulus repräsentativ ist und in dem die religiöse Verehrung eines zu Gott erhöhten Menschen im Zentrum steht. Als Jesusbewegung unterscheidet sie sich vom organisatorisch gefestigten späteren Urchristentum, das den charismatischen Charakter der Anfänge zurückdrängte. 1
Als äußeres Abgrenzungskriterium kann ein geographisches und chronologisches Datum dienen: Das hellenistische Urchristentum breitete sich (schon vor 70 n.Chr.) außerhalb Palästinas aus; die Jesusbewegung blieb eine Erscheinung in Palästina und Syrien mit einzelnen Fernwirkungen auf andere Gebiete. Außerhalb Palästinas verselbständigte sich das Urchristentum schon vor der Tempelzerstörung 70 n.Chr. zum Heidenchristentum, innerhalb Palästinas trennte es sich als Judenchristentum erst nach 70 n.Chr. vom Judentum. Zuvor hatte es mit anderen Erneuerungsbewegungen konkurriert. Die Jesusbewegung blieb im Rahmen des Judenchristentums und seines Einflussbereichs.
Die Jesusbewegung ist also die von Jesus hervorgerufene innerjüdische Erneuerungsbewegung im syrisch-palästinischen Bereich, die zwischen 30 und 70 n.Chr. ihre Blütezeit hatte. Auswirkungen lassen sich bis in entfernte Regionen wie Kleinasien registrieren (wie die Gegenmission zu Paulus oder die Johannesapokalypse zeigen), Nachwirkungen in Syrien bis ins zweite und dritte Jahrhundert (wie die Didache und die Pseudo-Klementinen bezeugen). Unschärfen der Abgrenzung darf man in Kauf nehmen, da sie für solche Aufbruchsbewegungen typisch sind.
Wenn wir im Folgenden diese Bewegung soziologisch untersuchen, so ist damit die Annahme verbunden, dass sie eine mit anderen Bewegungen vergleichbare Struktur hat und von gesellschaftlichen Faktoren bedingt ist.2 Die theoretischen Annahmen und Modelle, die wir zugrunde legen, sind soziologisch; sozialgeschichtlich ist ihre Anwendung auf die Geschichte einer Erneuerungsbewegung, die wie jede Geschichte nur annäherungsweise in allgemeinen Kategorien erfasst werden kann.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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