Die Kapelle Im Wald - Barbara Cartland - E-Book

Die Kapelle Im Wald E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Lord Rothingham lehnt ein Angebot des Prinzen von Wales ab, ihm eine Braut auszuwählen und bricht auf sein Gut auf. Während er in seinen Wäldern reitet, trifft er auf Silvia Melton, die sich gebrochenen Herzens von ihrem Hengst verabschiedet, um ihrem hochverschuldeten Vater zu helfen. Das schicksalhafte Treffen führt Sylvia in die Londoner Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, und später, in den Alptraum des Newgate Prison, bevor Liebe über Verrat triumphiert.

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Die Kapelle im Wald

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2016

Copyright Cartland Promotions 1985

Gestaltung M-Y Books

Die Kapelle im Wald

Wie gewöhnlich hatte der Prinz von Wales nach dem Boxkampf zum Essen geladen. Als sich nach mehreren Stunden und unzähligen Gängen die Gäste zu gehen anschickten, forderte er seinen Freund, den Earl of Rothingham auf, doch noch einen Moment zu bleiben.

„Ich möchte mit Ihnen sprechen, Rothingham“, sagte er, als sie endlich bei einem weiteren Cognac allein waren.

„Aber gern, Sire“, sagte der Earl und lächelte. „Was habe ich denn jetzt schon wieder getan, das Euer Mißfallen erregt hat?“

„Von Mißfallen kann nicht die Rede sein, Rothingham. Ich meine es nur gut mit Ihnen.“

„Oh weh!“ rief der Earl und lachte. „Dann handelt es sich sicher um etwas Unangenehmes.“

„Nein“, erwiderte der Prinz von Wales. „Ich würde eher sagen, daß die Angelegenheit leicht peinlich ist.“

 „So?“ sagte der Earl und zog die Augenbrauen in die Höhe.

„Ja. Lady Elaine Wilmot hat nämlich mit Mrs. Fitzherbert gesprochen.“

„Tatsächlich?“ Der Earl tat erstaunt. „Und worüber denn?“

„Als ob Sie das nicht wüßten, Rothingham! Über Sie natürlich. Und Mrs. Fitzherbert ist der Meinung, die ich übrigens teile, daß Lady Elaine die passende Frau für Sie wäre.“

„Passend“, fragte der Earl. „Inwiefern?“

„Sie ist ausnehmend hübsch zum Beispiel.“

„Was mir nicht entgangen ist, Sire.“

„Sie ist amüsant, geistreich und nicht unerfahren, was ich persönlich an Frauen besonders schätze.“

„Ich ebenfalls, Sire“, sagte der Earl, der natürlich wußte, daß Mrs. Fitzherbert neun Jahre älter war als der Thronfolger. Ob die beiden nun heimlich verheiratet waren oder nicht, kümmerte ihn wenig. Er gab nichts auf Gerüchte.

„Also“, fragte der Prinz.

Der Earl setzte das für ihn so typische Lächeln auf und wirkte damit wie ein Mann, der sich einfach das nahm, was er begehrte und notfalls mit Gewalt. Kein Wunder, daß ihn die Frauen so unwiderstehlich fanden.

„Sire“, sagte er, „wenn es um mein Schwert oder mein Vermögen geht, bin ich Euer gehorsamer Diener, das wißt Ihr. Was jedoch eine Heirat meinerseits anbelangt, muß ich Euch bitten, die Wahl der Frau, mit der ich mich vermählen will, mir zu überlassen.“

Der Prinz schüttelte den Kopf.

„Mrs. Fitzherbert wird sehr enttäuscht sein.“

„Und Lady Elaine leider auch“, fügte der Earl hinzu. „Aber Sire, ich finde so viele Frauen begehrenswert, daß ich mich nicht bis an mein Lebensende mit einer einzigen zufriedengeben kann.“

„Soll das heißen, daß Sie überhaupt nicht heiraten wollen?“

„Das soll heißen, daß ich beabsichtige, mich zu amüsieren. Wenn man unter vielen schönen Blumen wählen kann, warum soll man sich dann mit einer einzigen begnügen?“

Der Prinz warf den Kopf zurück und lachte.

„Sie sind unverbesserlich, Rothingham! Der Lebemann, wie er im Buche steht!“

„Und nicht bereit, sich zu ändern, Sire.“

„Aber die Ehe ist doch eine Institution, die beide Partner immer wieder von neuem herausfordert.“

 „Wozu, wenn ich mir die Frage erlauben darf?“

„Zum Beispiel, die Zuneigung des anderen bewiesen zu sehen.“

„Oder die zum eigenen Bankkonto“, sagte der Earl trocken.

„Ich bitte Sie, Rothingham!“ rief der Prinz. „So zynisch können Sie doch nicht sein.“

„Um mir meinen Zynismus abzugewöhnen, Sire, muß ich erst noch die Frau treffen, die eine Ehe mit mir in Erwägung zieht, obwohl sie keine Ahnung von meiner finanziellen Lage hat.“

„Aber derlei Überlegungen sind doch einer Frau nicht übel zu nehmen“, sagte der Prinz fast vorwurfsvoll. „Mittellos zu sein ist ein Fluch des Himmels, was ich nur zu gut weiß. Sie sind ein Mann, Rothingham, dem keine Frau widerstehen kann. Es muß doch mehr als eine geben, die Sie um Ihrer selbst willen liebt.“

„Wir sprachen aber von Heirat, Sire, Liebe ist etwas ganz Anderes.“

„Wie Sie wollen, dann bleiben Sie eben ein leichtsinniger Lebemann!“ rief der Prinz verdrießlich aus. „Nein, das trifft es doch nicht ganz“, fügte er, einer plötzlichen Eingebung folgend, hinzu. „Sie sind viel zu selbstherrlich und unbeugsam, um ein wahrer Lebemann zu sein, viel zu ...“ Er suchte nach Worten.

„Vielleicht meint Ihr skrupellos“, schlug der Earl vor.

 „Das ist es“, stimmte der Prinz zu. „Sie sind skrupellos, Rothingham. Denken Sie zum Beispiel an unseren Freund Mainwaring. Sie haben ihn gesellschaftlich erledigt, so daß er jetzt von jedem verachtet wird.“

„Er hat es verdient, Sire“, erwiderte der Earl.

„Mag sein, aber wohl kaum ein anderer Mensch wäre so hart mit ihm verfahren.“ Der Prinz hielt einen Augenblick inne. „Ja, Rothingham, skrupellos ist eine gute Beschreibung für Sie aber vielleicht könnte eine Frau Sie doch ändern.“

„Das bezweifle ich, Sire.“

„Gleichwohl“, fuhr der Prinz fort, „Sie brauchen einen Erben. Es heißt, Ihr Vermögen sei gigantisch.“

In den Augen Seiner Königlichen Hoheit stand unverhohlene Neugier.

„Dieses Gerücht entspricht der Wahrheit. Tatsächlich sind meine Mittel nicht unbedeutend.“

„Ich möchte zu gern wissen, woher Sie das ganze Geld haben“, brach es aus dem Prinzen heraus. „Denn wenn ich richtig informiert bin, so haben Sie England im Alter von einundzwanzig Jahren ohne einen roten Heller verlassen.“

„Mein Vater war finanziell ruiniert.“ Die Stimme des Earls war hart. „Er hatte jeden Pfennig des Familienvermögens verspielt und dann, als hätte er noch nicht genug angerichtet, verlor er auf unwürdige Weise in einem skandalösen Duell sein Leben.“

„Das war alles sehr bedauerlich“, sagte der Prinz mitfühlend. „Ich erinnere mich noch daran, wie der König mit tiefer Betroffenheit von den Vorfällen sprach.“

„Ich hatte Gott sei Dank das Glück, in ein Regiment nach Indien versetzt zu werden. Es wird Eure Königliche Hoheit nicht besonders interessieren, aber eine harmlose kleine Verwundung änderte mein Leben von Grund auf.“

„Inwiefern?“ fragte der Prinz gespannt.

„Als Invalide wurde ich aus der Armee entlassen. Da ich kein Geld besaß, um nach England zurückzukehren, sah ich mich nach einer lohnenden Tätigkeit um. Englands Adel wird es vielleicht für unstandesgemäß halten - ich schloß einige lohnende Geschäfte ab.“

„Geschäfte?“ unterbrach ihn verwundert der Prinz.

 „Mit etwas Glück gelang es mir, die einflußreichsten Kaufleute dieses orientalischen Märchenlands kennenzulernen.“

„Erzählt alles“, forderte der Prinz.

„Eure Königliche Hoheit wissen sicherlich, daß England seinen ständig anwachsenden Bedarf an Indigo, Zucker, Elfenbein, Tee, Sandelholz und Seide in Indien deckt. Und das war mein Geschäft. Später gelang es mir, Teilhaber der Handelsflotte zu werden. Kurz, ich habe so gut verdient, daß ich nicht nur meine eigene gesellschaftliche Stellung festigte, sondern auch den guten Ruf meines Vaters wiederherstellen konnte.“

 „Mrs. Fitzherbert behauptet, Sie hätten alle seine Schulden beglichen.“

„Bis auf den letzten Penny“, erwiderte der Earl. „Auch im eigenen Interesse, denn mit Verlaub zu sagen, der Leumund unserer Familie ist wieder unbescholten.“

„Und Ihre Besitzungen?“

„Auch die gehören wieder mir, aber erst seit wenigen Wochen“, sagte der Earl. „Vor dreiundzwanzig Jahren, als mein Vater anfing, seine Besitztümer nach und nach in leichtsinnigen Spielen zu verlieren, erklärte sich ein Cousin, Colonel Fitzroy Roth, bereit, den Familiensitz und das dazugehörende Land zu kaufen. Er übernahm sämtliche Verpflichtungen, die entstanden waren, unter der Bedingung, zu seinen Lebzeiten alle Rechte auf den Besitz zu behalten.“

„Das heißt, daß er gestorben ist?“ fragte der Prinz.

„Ja, vor ein paar Wochen“, entgegnete der Earl, „und so ist alles wieder in meinen Besitz übergegangen.“

Ein Anflug von Stolz lag in seiner Stimme.

„Das freut mich für Sie, Rothingham, umso mehr als Sie nun unbedingt ein Eheweib brauchen, die als Lady Rothingham Ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen wahrnimmt.“

„Ich versichere Euch, Sire, für diese Stellung gibt es viele Bewerberinnen“, antwortete der Earl.

„Davon bin ich überzeugt“, rief der Prinz aus. „Aber sind Sie denn immer noch entschlossen, nicht zu heiraten?“

„Es ist mein fester Entschluß, mich noch viele Jahre wie bisher zu amüsieren“, erklärte der Earl. „Vielleicht finde ich später einmal, wenn ich alt und kindisch geworden bin, ein freundliches und anpassungsfähiges Wesen, das meinen altersbedingten Albernheiten schmeichelt und meine kränkelnde Gesundheit verhätschelt. Bis dahin…“

 „Bis dahin“, unterbrach ihn der Prinz, „nehmen Sie alles mit, was sich Ihnen bietet.“

„Richtig. Eure Königliche Hoheit hätten es nicht besser ausdrücken können.“

„Nun, da muß Lady Elaine wohl ziemlich lange warten“, sagte der Prinz und stand auf.

„Das wird sie“, stimmte der Earl zu. „Aber ganz ohne Zweifel wird sie nach einem Ersatz suchen, mit dem sie sich schnell trösten kann.“

„Ihr unterschätzt die Treue einer liebenden Frau und den Schmerz, den Sie ihr zufügen können.“

„Ich habe häufig festgestellt, daß Diamanten eine ungewöhnlich belebende Wirkung haben. Ich kenne keine Frau, bei der diese Medizin nicht wirkt.“

Der Prinz lachte auf.

 „Wollen Sie mit mir morgen nach Newmarket fahren?“ fragte er dann.

„Es tut mir leid, Sire, daß ich einer solche Einladung nicht nachkommen kann, aber ich habe alle Vorbereitungen getroffen, meine Besitzungen zu inspizieren. Es ist schon ein halbes Leben her, seitdem ich King’s Keep zum letzten Mal gesehen habe, und sicherlich müssen einige Verbesserungen und Veränderungen vorgenommen werden. Wahrscheinlich werde ich nach etwa drei Tagen wieder in London sein.“

„Dann bleibt mit nichts weiter, als auf Ihre Rückkehr zu warten“, erklärte der Prinz, „denn die langweiligste Gesellschaft wird amüsant, sobald Sie auftauchen.“

„Danke, Sire, doch langweilige Gesellschaften sollten wir von vornherein meiden. In ein paar Tagen werde ich einen Abend mit dem Ballett der Oper arrangieren. Es wäre mir eine außerordentliche Ehre, Euch begrüßen zu können.“

„Natürlich komme ich“, erwiderte der Prinz. „Geben Sie die Gesellschaft?“

„Auf jeden Fall trage ich die Kosten.“

„Und wer könnte es sich eher leisten“, scherzte der Prinz. „Ah, dabei fällt mir ein, Rothingham, man sagt, Sie hätten zweitausend Guineen für die beiden Grauschimmel bezahlt, die Sie gestern vorgespannt hatten. Das prachtvollste Gespann, das ich seit langem gesehen habe! Ich hätte sie selbst gern gekauft, als sie angeboten wurden, aber ich konnte sie mir nicht leisten.“

„Ihr habt sie gesehen?“ forschte der Earl.

„Ich sah sie und war voller Bewunderung“, antwortete der Prinz, „und Mrs. Fitzherbert war ebenfalls der Ansicht, daß es außergewöhnlich schöne Tiere seien.“

„Nun, wenn Mrs. Fitzherbert Gefallen an den Pferden gefunden hat“, sagte der Earl bedächtig, „so gestattet mir, Sire, daß ich sie ihr schenke. Ich möchte nicht, daß sie enttäuscht ist.“

Die Miene des Prinzen hellte sich auf.

„Ist das Ihr Ernst, Rothingham? Bei Gott, Sie sind wahrhaftig großzügig. Aber ich sollte ein solches Geschenk nicht annehmen, wie Sie wissen.“

„Wenn wir uns nur danach richten, was wir tun sollen und was nicht, wie langweilig wäre doch dann unser Leben.“

Der Prinz lachte und legte den Arm um die Schulter seines Freundes.

 „Wenn es also wirklich Ihr Ernst ist, Rothingham, nehme ich das Geschenk an. Es ist großzügig von Ihnen, sehr großzügig, und ich werde es nicht vergessen.“

„Morgen werden die Pferde in Euren Stallungen sein“, entgegnete der Earl. „Und Sire, ich verlasse mich darauf, daß Mrs. Fitzherbert dadurch versöhnlich gestimmt wird. Vielleicht bringt sie sogar so viel Freundlichkeit auf, die verletzten Gefühle Lady Elaines zu besänftigen.“

„Ich hätte wissen sollen“, erwiderte der Prinz lachend, „daß Ihre Großzügigkeit nicht ganz uneigennützig ist.“

„Ihr könnt nicht erwarten“, gab der Earl schlagfertig zurück, „daß ich von heute auf morgen meinen Geschäftssinn verliere.“

Der Prinz lachte noch immer, als sie den Salon verließen und in die geräumige Eingangshalle traten. Die blauen Augen des Earls funkelten spöttisch.

Vor dem Carlton-House wartete bereits die elegante vierrädrige Kutsche des Earls, in der er sich zu einer Villa in der Curzon Street fahren ließ.

Ein Diener öffnete die Tür.

„Wie geht es Ihnen, John“, grüßte Seine Lordschaft vertraulich. „Ist Ihre Herrin zu Hause?“

„Ja, Mylord. Die gnädige Frau hält sich in ihren Räumen in der ersten Etage auf und wählt mit Madame Bertin Kleiderstoffe aus.“

„Das klingt recht kostspielig“, bemerkte der Earl. „Ihr braucht mich nicht anzumelden.“

Eilig ging er die Treppen hinauf, klopfte an eine Tür und ohne auf eine Antwort zu warten betrat er den Raum. Es war ein mit roséfarbener Seide ausgeschlagenes Schlafgemach. Mitten im Raum stand Lady Elaine Wilmot. Sie war in ein durchsichtiges Negligé aus lindgrünem Chiffon gehüllt und betrachtete prüfend ein Kleid, das Madame Bertin, die exklusivste Modeschöpferin aus der Bond Street, vor sie hinhielt.

Lady Elaine wandte sich flüchtig zur Tür hin, als erwarte sie einen Bediensteten.

„Ancelin, ich habe dich gar nicht erwartet“, rief sie beim Anblick des Earls freudig überrascht aus. Sie lief ihm entgegen, völlig vergessend, daß sich ihr nackter, schöner Körper durch den hauchdünnen Stoff ihres Gewands deutlich gegen das Licht abzeichnete.

Der Earl nahm ihre beiden Hände, die sie ihm entgegenstreckte, und zog sie an die Lippen.

„Ist es denn möglich“, scherzte er, „daß du noch mehr Flitterkram brauchst?“

Lady Elaine schürzte die Lippen zu einem entzückenden Schmollmund.

 „Ich habe überhaupt nichts mehr zum Anziehen, und du hast gesagt...“

„Ja, ich habe gesagt“, unterbrach sie der Earl gutgelaunt.

Lady Elaine seufzte erleichtert auf und drehte sich zu Madame Bertin um.

 „Lassen Sie die vier Kleider, die wir ausgewählt haben, möglichst schnell anfertigen“, befahl sie.

„Gern, Mylady, und die Rechnung wie gewöhnlich an Seine Lordschaft?“

„Gewiß“, stimmte der Earl zu, ehe Lady Elaine antworten konnte.

Madame Bertin und ihre Gehilfin, die taktvoll im Hintergrund gestanden hatte, sammelten ihre Schachteln und mehrere Ballen Seide ein und verließen mit einem tiefen Knicks den Raum.

Sobald die Tür hinter ihnen ins Schloß gefallen war, schlang Lady Elaine die Arme um den Hals des Earls.

 „Du bist so gut zu mir. Ich fürchtete schon, du würdest mich für verschwenderisch halten, da du doch eben erst die letzte Rechnung beglichen hast.“

„Du und verschwenderisch“, neckte sie der Earl. „Wie kommt denn dieser Gedanke in deinen hübschen kleinen Kopf?“

Er sah auf sie herunter, in ihre schrägen Augen mit den dichten dunklen Wimpern. Er sah auf ihr tiefschwarzes Haar, das in modischen Locken das vollendete Oval ihres Gesichtes umrahmte. Zweifellos war Lady Elaine eine Schönheit.

Ihre weiße Haut, ihre verführerischen, großen Augen und ihre vollen, sinnlichen Lippen wurden in ganz London gerühmt.

„Warst du heute beim Prinz geladen?“ fragte sie mit scheinbarer Gleichgültigkeit.

„Ja“, entgegnete der Earl langsam.

 Ein leichter wachsamer Unterton in ihrer Stimme hatte ihm verraten, worauf sie hinauswollte.

„Warst du allein mit dem Prinzen?“ forschte sie weiter.

„Nachdem die anderen Gäste aufgebrochen waren, haben wir uns recht lange unterhalten.“

Er spürte ihre Unsicherheit, und ein harter Zug umspielte seine Lippen.

„Hat der Prinz auch über mich gesprochen?“ Ihre Worte kamen zögernd.

„Er sprach von dir wie ein Vater, oder besser wie ein väterlicher Heiratsvermittler.“

„Und was hast du ihm geantwortet?“ flüsterte sie.

Sie hob das Gesicht zu ihm empor, und ihre halb geöffneten Lippen berührten ihn fast.

„Ich habe ihm klargemacht“, antwortete er und zog sie dicht zu sich heran, so daß er die Wärme ihres Körpers spürte, „daß ich meine Freiheit mehr liebe als eine schöne Frau.“

„Wie konntest du nur!“ Ihre Stimme klang scharf.

„Warum bist du nur so habgierig!“

Der Earl umarmte sie noch fester.

„Was meinst du mit habgierig?“ begehrte sie auf.

„Ich bin bereit, dir so viel zu bieten. So viel, das wir beide genießen können. Alles, mein Liebling, außer einem Ehering. Der ist selbst für mich zu teuer.“

Lady Elaine nahm den Kopf ihres Geliebten in ihre Hände und zog ihn zu sich herunter.

„Ich liebe dich doch“, sagte sie kaum hörbar, „ich liebe dich so sehr.“

Anstatt zu antworten, preßte der Earl seine Lippen auf die ihren. Ein brennendes Verlangen stieg in ihm auf, und er nahm sie auf seine Arme.

Sie spürte, wie er sie zu ihrem Bett trug, löste ihre Lippen von seinem Mund und warf den Kopf zurück.

„Du begehrst mich, und ich begehre dich“, sagte sie leidenschaftlich. „Warum kannst du mich nicht heiraten?“

„Du bist so anziehend, daß sich mehrere Männer an dir erfreuen sollten“, erwiderte er, und sie wußte, daß er sich nur über sie lustig machte.

Er warf sie auf das Bett, und ihr letzter Versuch, zu protestieren, wurde von seinen fordernden Küssen erstickt.

Am späten Nachmittag kam der Earl zu Hause im Rothingham-House an. Er stieg aus seinem Wagen und ging an den sich tief verbeugenden Bediensteten vorbei zu seinem Butler, der in der Halle auf ihn wartete.

„Bringen Sie Wein in die Bibliothek und bereiten Sie das Vierergespann vor, ich breche in einer halben Stunde auf“, befahl er kurz. „Außerdem brauche ich andere Kleidung, bevor ich aufs Land fahre. Könnten Sie mir behilflich sein, Meadstone?“

„Ich stehe sofort zu Euren Diensten, Mylord“, entgegnete der Butler. „Haben Eure Lordschaft vor, nach King’s Keep zu fahren?“ fragte er dann zögernd.

„Ja, Meadstone, und mir ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken, King’s Keep wiederzusehen. Man sollte nie in die Vergangenheit zurückblicken, die Enttäuschung könnte allzu groß sein.“

„King’s Keep hat dreihundert Jahre lang allen Stürmen standgehalten. Eure Lordschaft werden bestimmt nicht enttäuscht sein“, versicherte der Butler.

„Ich würde keinen Eid darauf leisten“, versetzte der Earl sehr ernst.

Der Earl erwachte am frühen Morgen in dem prachtvollen Himmelbett, das schon seit Generationen im Besitz seiner Familie war. Der Gedanke an sein Zuhause erfüllte ihn so stark, daß er sich erst nach einer ganzen Weile erhob und die schweren Vorhänge an den Fenstern zur Seite zog.

Er blickte in einen sonnigen Apriltag und fand seinen Eindruck vom Vortag, als er bei Sonnenuntergang in King’s Keep eingetroffen war, bestätigt. Dies war der schönste Platz auf Erden. Zarte Nebelschleier lagen auf dem silbern schimmernden See, den eine weite Brücke gleichsam als Auffahrt zum Park überspannte.

Hier blühten unter den mächtigen Eichen üppige Narzissen, die sich wie ein goldener Teppich bis hin zum Seeufer ausbreiteten und sich mit den gerade aufbrechenden Irisblüten und Sumpfdotterblumen vermischten. Sogar unter den Büschen, die die samtenen Rasenflächen umsäumten, lugten die gelben Blüten hervor.

Ursprünglich war King’s Keep ein Kloster gewesen, aber nach den Plünderungen unter Heinrich VIII. wurde der Besitz halb zerstört der Krone zurückgegeben.

Ein Höfling Königin Elisabeths I., Sir Thomas Roth, hatte später die Überreste des Klosters erworben und ein prunkvolles Gebäude errichten lassen, das seiner Stellung am Hofe entsprach und seinem riesigen Vermögen ein Denkmal setzte.

Es war ein atemberaubend schönes Bauwerk entstanden, und nur die beiden Innenhöfe, die auf den Grundmauern der ehemaligen Kreuzgänge errichtet waren, erinnerten noch an die mittelalterliche Vergangenheit des Gebäudes.

„Ein Diamant in einer grünen Fassung“, hatte jemand poetisch beim Anblick des Besitzes ausgerufen, der in einer Talsenke zwischen zwei dicht bewaldeten Hügeln eingebettet lag.

„Für einen Untertanen viel zu gut“, hatte einer der vielen Könige, die sich hier aufgehalten hatten, neidvoll bemerkt.

Der Name King’s Keep stammte aus der Zeit, als sich Charles II. als Prinz in einem der geheimen Gemächer vor den Truppen Cromwells verborgen hatte.

„Sobald ich den Thron bestiegen habe, soll dieses Haus in King’s Keep umbenannt werden, da es einmal einem König Zuflucht und Schutz gewährte“, hatte der Prinz dem damaligen Besitzer, Sir John Roth, versprochen.

Sir John Roth war es allerdings nicht mehr vergönnt gewesen, die Zeit der Restauration zu erleben. Aber sein Sohn war zum ersten Earl von Rothingham ernannt worden, und seitdem war King’s Keep der Lieblingsort des Königs und seiner leichtlebigen Höflinge.

In der Person des ersten Earls war eine entscheidende Wende im Geschlecht der Rothinghams eingetreten, die sich bis zum heutigen Earl hin fortgesetzt hatte.

Die Portraits der vorhergehenden Besitzer von King’s Keep zeigten gutaussehende Männer mit ernster aufrechter Gesinnung. Der erste Earl jedoch hatte den Anfang für ein Geschlecht von Abenteurern gesetzt, umwoben von Gerüchten über ihre Erfolge bei Frauen und über ihr beispielloses Glück im Spiel.

Es war einfach Pech, sinnierte der Earl, daß mein Vater eine Ausnahme unter den Rothinghams war. Zumindest was sein Glück im Spiel betraf.

Er war ein besessener Spieler ohne jegliches Glück gewesen und hatte bereits in jungen Jahren einen beträchtlichen Teil des Familienvermögens verspielt.

Allerdings hatte er dieselbe starke Anziehungskraft auf Frauen wie alle Rothinghams gehabt, und seine Frau war nicht nur eine vollendete Schönheit gewesen, sondern sie hatte ihm obendrein eine ansehnliche Mitgift in die Ehe gebracht.

In wenigen Jahren war es ihm gelungen, auch ihr Vermögen durchzubringen, und nach ihrem Tod hatten ihn seine wilden Ausschweifungen an den Rand des Ruins getrieben.

King’s Keep konnte damals nur von einem Cousin, Colonel Fitzroy Roth, gerettet werden, der sich den inständigen Bitten seiner Verwandten gebeugt hatte, einen Teil englischer Geschichte nicht auf grünen Spieltischen verrinnen zu lassen. Er war es auch gewesen, der den Besitz den Klauen der Wucherer entrissen hatte.

Am Vortag hatte der Earl nach dem Dinner das ganze Gebäude besichtigt. Er war durch die Salons geschlendert und hatte die kostbaren Schnitzereien, die Bilder von Van Dyck und Rembrandt und die einzigartige Porzellansammlung bewundert.

Im großen Festsaal hatte er an seinen Großvater gedacht, der dem Besitz wahrhaft königlichen Glanz verliehen hatte. Aus Italien hatte er Künstler aller Richtungen kommen lassen, die die Decken und Wände mit kunstvollem Stuck und kostbaren Vergoldungen versehen und in die Salons prunkvolle marmorne Kamine eingebaut hatten.

Der Earl atmete tief auf. Seine Angst, von King’s Keep vielleicht enttäuscht zu werden, war unbegründet gewesen. Seit er im Alter von neun Jahren King’s Keep verlassen mußte, hatte er von diesem Ort geträumt und sich sogar im entferntesten Teil der Erde an den Platz seiner Kindheit zurückgesehnt.

„Es gehört mir, mir ganz allein“, sagte er laut, „und ich werde es niemals aufgeben.“

Er erkannte nun, warum er all die Jahre in Indien so hart gearbeitet hatte. Nicht nur deswegen, weil er die Demütigungen der Armut nicht ertragen hatte, weil so vieles, was mit Geld bezahlt werden mußte, für ihn unerreichbar gewesen war und ihn der Gedanke mit Abscheu erfüllt hatte, daß der Name Rothingham gleichgesetzt wurde mit Schulden, Wortbrüchen und Scharen von Gläubigern.

Das waren zwar alles Dinge, die er nicht noch einmal ertragen könnte, doch unbewußt hatte er nur ein Ziel gehabt: King’s Keep zurückzukaufen und hier zu leben.

„Jetzt habe ich King’s Keep“, sagte er voller Stolz, „aber was fange ich damit an?“

Langsam setzte er seinen Weg fort, den Kopf voll mit Zukunftsplänen.

Am nächsten Tag ritt der Earl aus, um sich über den Zustand des Besitzes zu informieren. Er war tief in die Wälder eingedrungen und genoß die frische Landluft.

Plötzlich vernahm er einen Klagelaut. Er straffte die Zügel des Pferdes und lauschte.

War es ein Tier, das von einem Dachs oder einem Wiesel gerissen worden war? Oder ein Vogel, der gegen das Eindringen eines Fremdlings in die einsamen Wälder protestierte?

Als er so dasaß, drang durch das sanfte Rauschen des Waldes und das Flüstern des Windes ein leises Schluchzen an sein Ohr. Überrascht stellte er fest, daß das Geräusch viel näher war, als er angenommen hatte.

„Oh Liebling, wie soll ich denn ohne dich leben“, hörte er jetzt deutlich eine Stimme sagen. „Wie soll es denn weitergehen, wenn ich mir Sorgen um dich machen muß? Ich weiß ja nicht einmal genau, wo du leben wirst und wie man dich behandeln wird.“

Der Earl war über die Verzweiflung, die aus dieser Stimme sprach, bestürzt. Dann aber huschte ein leises Lächeln über sein Gesicht, denn offensichtlich nahmen zwei Liebende voneinander Abschied.

„Niemals werde ich mehr schlafen können“, fuhr die Stimme fort, „weil mich der Gedanke an dich quälen wird, und weil ich weiß, daß du mich vermißt und gar nicht begreifst, warum wir getrennt sind.“

Die Worte rissen ab, und wieder ertönte ein herzerweichendes Weinen.

„Wenn ich mir vorstelle, daß sie dich grausam behandeln, daß sie gar nicht verstehen, wie gutmütig, klug und gehorsam du bist. Oh mein Liebling, ich kann dich doch gar nicht gehen lassen. Ach, wäre ich doch tot.“

Der letzte Satz erstickte in einem hemmungslosen Weinkrampf.

Der Earl ließ sich vom Pferd gleiten. Er schlang die Zügel um einen Ast und ging leise in die Richtung, aus der die Stimme kam.