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In Hérémence erhebt sich ein bedeutendes Zeugnis der Schweizer Architektur des 20. Jahrhunderts. Das weitab städtischer Zentren gelegene Dorf, das von Land- und Viehwirtschaft lebte, avancierte durch den Bau der Grande-Dixence zu einem Vorreiter der Moderne. Die Verwendung von Beton im Kunstwerk eröffnet Gestaltungsmöglichkeiten zu den skulpturalen Volumen der Kirche Saint-Nicolas. Errichtet 1967–1971 nach Plänen von Walter Maria Förderer, zeichnet sich Ihre kühne Architektur aus durch die Abfolge der voluminösen Baukörper, als auch der Sorgfalt, mit der jedes Detail ausgeführt wurde. Diese bahnbrechenden Qualitäten machen sie zu einem einzigartigen Bauwerk.
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Seitenzahl: 51
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Anne-Fanny Cotting · Carole Schaub
Die Kirche Saint-Nicolas in Hérémence Kanton Wallis
Einleitung
Das Val des Dix und die grossen Wasserkraftprojekte
Das frühere Leben
Der Bau der ersten Dixence-Staumauer
Die Grande-Dixence
Die neue Kirche von Hérémence
Der Kontext
Der Wettbewerb
Die Bauarbeiten
Walter Maria Förderer: ein Bildhauer-Architekt auf der Suche nach einem Ideal
Lebenslauf
Denken und Schriften
Architektonischer Spaziergang
Äussere Umgänge
Im Herzen der Kirche
Rezeption und Kritik der Kirche Saint-Nicolas in Hérémence
Sakralarchitektur der Nachkriegszeit im Wallis und in der Schweiz
Anhang
Oberhalb von Sitten im Wallis erstreckt sich das Val d’Hérémence bis zum Lac des Dix, einem riesigen Stausee, dessen Wasser von der majestätischen, zwischen 1951 und 1965 erbauten Staumauer Grande-Dixence zurückgehalten wird; mit ihrer Höhe von 285 m gehört sie zu den höchsten Gewichtsstaumauern der Welt. Ihr Bau hat das Tal in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in visueller wie gesellschaftlicher Hinsicht tiefgreifend verändert.
Vor 1950 leben die Bewohner der Region noch fast autark von Landwirtschaft und Viehzucht, bis der gigantische Staumauerbau die Moderne ins Tal bringt. In diesem Zusammenhang entwickelt sich das Projekt für die Kirche Saint-Nicolas in Hérémence. Als es in den 1960er Jahren an der Zeit ist, die alte Kirche wiederaufzubauen – sie war 1946 durch ein Erdbeben schwer beschädigt worden –, scheinen eine moderne Architektur und Beton die nächstliegende Wahl zu sein. Seit ihrer Errichtung bis heute zieht die Kirche von Hérémence viele Besucherinnen und Besucher an, die dieses wie in einen Findling gehauene Gotteshaus kennenlernen möchten.
Der Glockenturm der Kirche Saint-Nicolas in Hérémence.
Das Dorf Hérémence.
Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts spiegelt die einheimische Architektur des Tals die schwierigen dortigen Lebensbedingungen. Die Baumaterialien sind Holz und Stein, die man in der Nähe findet, während Sand, Kalk und Gips aus dem Rhonetal heraufgebracht werden müssen. Wohnhäuser und Kornspeicher werden mit Hilfe der Gemeinschaft unter Leitung von Zimmerleuten und Maurern errichtet. Vor dem Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es keine Bauvorschriften: Jeder baut nach seinem Gutdünken auf dem Stück Land, das ihm gehört. Im Dorf sind die Gebäude eng ineinander verschachtelt und die schmalen Gassen schwierig zu befahren. Die Wohnhäuser weisen gewöhnlich zwei Räume auf: die Küche und den Gemeinschaftsraum, in dem die ganze Familie lebt und schläft. Da es darum geht, die Stuben im Winter ausreichend zu heizen, sind sie eng und die Fenster klein.
Bis in die 1920er Jahre sind die Kirche und das Burgerhaus die einzigen öffentlichen Gebäude von Hérémence. Das Burgerhaus wird für öffentliche Versammlungen, Abstimmungen und Vereinstreffen genutzt. Im Untergeschoss sind das Gefängnis, ein Lager und ein Archivraum untergebracht. Der Gemeindepräsident, der Richter oder der Grundbuchverwalter üben ihre Tätigkeit oft zu Hause aus, wo sie auch die amtlichen Dokumente aufbewahren. Der Schulunterricht findet ebenfalls in Privathäusern statt, bis 1913 drei Klassenzimmer eingerichtet werden. Ab 1907 herrscht Schulpflicht; der Schulkalender ist dem bäuerlichen Alltag angepasst. Von klein auf arbeiten die Kinder, Jungen wie Mädchen, mit der Familie in der Landwirtschaft mit und erwerben das nötige Sachwissen für Ackerbau, Heuen, Viehpflege, Baumfällen oder kleine Schreinerarbeiten. Nur ausnahmsweise setzt ein Junge seine Ausbildung über die obligatorische Schulzeit hinaus fort. Selbst eine Lehre ist selten, ein Handwerk erlernt sich, indem man es ausübt: «Man stahl den Beruf mit den Augen», um den schönen Ausdruck eines alten Einwohners zu zitieren. Diese Situation hält bis in die 1950er Jahre an.
Die im 18. Jahrhundert erbaute Kirche, die 1946 durch ein Er beben schwer beschädigt wurde.
Die Pfarrei, die dem Gemeindegebiet entspricht, umfasst weitere kleine Ortschaften: Ayer, Euseigne, Mâche, Prolin, Cerise und Riod. Jeder Weiler hat seine Kapelle und seine Schule, da sie bis vor Kurzem häufig durch Lawinen und Erdrutsche vom Hauptort abgeschnitten wurden. Die Kirche von Hérémence ist das Zentrum des geistlichen Lebens der Pfarrei: In ihr werden Sonntagshochamt, Feste, wichtige Zeremonien und Totenämter gefeiert.
Durch den Bau der ersten Dixence-Staumauer (1929–1935) und jenen der Grande Dixence (1951–1965) wird das Leben der Talbewohner tiefgreifend verändert. 1922 nimmt die Gesellschaft Energie Ouest Suisse (EOS) ihre Tätigkeit im Wallis auf. Ihr Zweck ist die Erzeugung von Elektrizität, deren Bedarf seit Beginn des Jahrhunderts durch die Elektrifizierung der städtischen Zentren exponentiell gestiegen ist. Die Schweiz nutzt die Wasserkraft der vielen Gletscherbäche in grossem Umfang. Das Val des Dix gehört zu den für den Bau des ersten Dixence-Stausees ausgewählten Standorten.
Der Bau wirkt sich positiv auf das Tal aus. Die neue Fahrstrasse von Vex nach Motôt ermöglicht ab 1932 einen regelmässigen Postbusverkehr und erleichtert die Anreise der italienischen und deutschen Saisonarbeiter. Die Erschliessung des Tals und die finanziellen Erträge durch die vom Kraftwerk Chandoline erzeugten Einkünfte führen zu ersten wichtigen Veränderungen im Dorf. Die Gemeindebehörden unternehmen grosse Anstrengungen, um die Strassen und das Dorf zu sanieren und die Bewohner zu überzeugen, bestimmte Gebäude umzubauen oder abzureissen oder aber in die neuen Quartiere am Dorfrand zu ziehen. Aus gesundheitlichen Gründen wird ein landwirtschaftliches Quartier ausserhalb des Dorfs geschaffen. Schliesslich erhält Hérémence ein neues öffentliches Gebäude, in das eine Hauswirtschaftsschule und die Gemeindeverwaltung einziehen.
Der Bau der ersten Dixence-Staumauer zwischen 1929 und 1935.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wird eine neue Konzession für den Bau einer zweiten, noch gewaltigeren Staumauer erteilt: der Grande-Dixence. Die Arbeiten beginnen 1951 und dauern bis 1961, gefolgt von vier Jahren, in denen die Infrastrukturen rückgebaut und das Gelände saniert wird. Die von der Grande-Dixence SA gezahlten Steuern und Abgaben nehmen zu mit der Erhöhung der Kapazität des Stausees, so dass die Umgestaltung der Taldörfer und die Sanierungsarbeiten fortgesetzt werden können. In Hérémence werden in