Die kleine Dorfbäckerei in Himmelbach - Zuckerblütenzauber - Marie Bernstein - E-Book

Die kleine Dorfbäckerei in Himmelbach - Zuckerblütenzauber E-Book

Marie Bernstein

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Beschreibung

In dem beschaulichen Dörfchen Himmelbach fühlt Nina sich zu Hause. Sie hat ihre geliebte Bäckerei übernommen und kann endlich ihrer Leidenschaft folgen und von morgens bis abends backen. Mit Ruth hat sie eine enge Vertraute gewonnen - und in Ben ihre große Liebe gefunden.

Obwohl alles perfekt scheint, spürt Nina die Last der Verantwortung, die sie für die Bäckerei und auch für die Seniorin Ruth trägt. Denn Ben ist durch seinen Job oft in Zürich - und nicht bei ihr in Himmelbach.

Als für Ben dann auch noch eine Beförderung ansteht, werden ihre Beziehung und die gemeinsamen Pläne für die Zukunft auf die Probe stellt.

Ist ihre Liebe stark genug, um diese Herausforderungen zu meistern?

Der 2. Band der warmherzigen Himmelbach-Roman-Reihe ums Backen und die Liebe in den malerischen Schweizer Bergen.

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Danksagung

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

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Über dieses Buch

In dem beschaulichen Dörfchen Himmelbach hat Nina ein Zuhause gefunden. Sie hat ihre geliebte Bäckerei übernommen und kann endlich ihrer Leidenschaft folgen und von morgens bis abends backen. Mit Ruth hat sie eine enge Vertraute gewonnen – und in Ben ihre große Liebe gefunden.

Obwohl alles perfekt scheint, spürt Nina die Last der Verantwortung, die sie für die Bäckerei und auch für die Seniorin Ruth trägt. Denn Ben ist durch seinen Job oft in Zürich – und nicht bei ihr in Himmelbach.

Als für Ben dann auch noch eine Beförderung ansteht, werden ihre Beziehung und die gemeinsamen Pläne für die Zukunft auf die Probe stellt.

Ist ihre Liebe stark genug, um diese Herausforderungen zu meistern?

MARIE BERNSTEIN

Die kleine Dorfbäckereiin Himmelbach

  ZUCKERBLÜTENZAUBER

Für mis liebschte Mami. Danke für dini Unterstützig.

Kapitel 1

»Ben, lass das«, sage ich kichernd und erschauere, als er mir einen federleichten Kuss in den Nacken haucht. Seine Brust drückt sich warm gegen meinen Rücken, während er die Arme um meinen Bauch schlingt und mich davon abhält, die Brandteigmasse für die Eclairs auf das vorbereitete Backblech zu dressieren.

»Wie soll ich das, wenn du so gut riechst?«, murmelt er an meinen Nacken. Wieder ein zarter Kuss, erneut hält er mich von meiner Arbeit ab. Aber es ist eine Ablenkung, die mir gefällt und mich wohlig seufzen lässt.

»Ja, nach Butter und Mehl.« Mein kläglicher Versuch, ihn davon zu überzeugen, mich freizugeben, scheitert, weil Ben mich weiterhin umarmt und mir süße Versprechen ins Ohr raunt.

»Ich liebe es, wenn du so riechst, Nina-Schatz.« Sein stoppeliges Kinn streift meine Schläfe, was mich zum Lächeln bringt. Mein Herz geht vor Wärme und Liebe für diesen Mann auf, nein, es läuft geradezu über.

Seine Nähe gibt mir auch ein Jahr nach der Eröffnung unserer Dorfbäckerei, die wir seiner Oma Ruth gewidmet haben, noch immer ein Gefühl der Sicherheit. Und das brauche ich auch, denn die letzten zwölf Monate waren turbulent.

Es ist so viel passiert, dass ich es immer noch kaum glauben kann, dass ich nun wirklich eine Bäckerei besitze. Vor allem, da Ben und ich uns am Anfang nicht wirklich leiden konnten. Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich ihn als zu kühlen und distanzierten Banker gesehen habe. Sicher, er hatte eine gute Beziehung zu seiner Oma Ruth, dennoch konnte ich ihn als Mann nicht sehen. Erst nachdem wir mehr Zeit miteinander verbracht haben, hat sich das Bild zum Positiven verschoben. Ich denke, ich habe mich so richtig in ihn verliebt, als wir den Ausflug auf die Rigi – die Königin der Schweizer Berge – unternommen haben. Damals hat er sich mir ein wenig geöffnet, sodass ich einen Blick hinter die kühle Fassade von Ben Nussbaum werfen konnte.

»Und ich liebe dich«, sage ich mit geschlossenen Augen, die Erinnerungen noch so frisch und warm in meinem Herzen, wie selbstgemachte Gipfeli. Ben küsst mich auf die Wange und ich atme den frischen Geruch seines Aftershaves ein.

»Ich dich auch«, wispert er. In seiner Stimme schwingt neben der absoluten Wahrheit auch eine Spur von Bedauern mit, was ich auf den erneuten Abschied schiebe, der uns unweigerlich bevorsteht. Ben arbeitet nach wie vor in der Bank in Zürich und pendelt hin und her. Er liebt seine Arbeit und ist einer der Besten, wenn es um Zahlen geht.

Bleib doch noch ein bisschen, würde ich am liebsten sagen, doch ich kann ihn nicht von seiner Arbeit abhalten.

»Ich werde dich schrecklich vermissen.«

Ben lockert den Griff etwas, sodass ich mich in seinen Armen zu ihm umdrehen und ihm ins Gesicht blicken kann. Seine blauen Augen wirken etwas dunkler als sonst, und ich kann spüren, wie sehr es ihn schmerzt zu gehen.

»Und ich dich, mein Schatz. Ich werde immer an dich denken, vor allem, wenn ich eines dieser unfassbar leckeren Plätzchen esse, die du mir mitgibst.«

Mein Schmunzeln wird zu einem breiten Grinsen. Ich verschränke die Arme hinter seinem Kopf und küsse ihn sanft auf den Mund. Bens Hand liegt auf meiner Wange. Mit seinem Daumen wischt er mir das Mehl weg. Unter seinem Blick fühle ich mich wie die begehrenswerteste Frau der Welt.

»Du meinst diese hier?«, frage ich ihn kichernd und lasse ihn kurz los, um nach der Metallbox zu greifen, die neben dem Blech mit den noch fehlenden Eclairs liegt.

Ich gebe sie ihm und weiß genau, welchen Ausdruck ich gleich auf seinem Gesicht sehen werde. Geschickt öffnet er die Box. Seine Augen glänzen voller Wärme und Liebe.

»Genau die meine ich.«

Er küsst mich noch einmal und nascht dann eines der Butterplätzchen, welche ich mit einer Eigenkreation aus Minze und Orange verfeinert habe.

Einige Krümel fallen auf sein weißes Hemd, das Ruth sogar noch gestärkt hat. Ganz alte Schule, aber für ihren Enkel will sie nur das Beste.

Ich stibitze mir auch eines und beiße hinein, ohne Ben dabei aus den Augen zu lassen. Er lacht und schüttelt den Kopf. »Hey, das sind meine. Wenn du alle aufisst, habe ich keinen Proviant für die Fahrt.«

Ich zwinkere ihm zu. »Die sind also schon aufgefuttert, wenn du in Zürich ankommst? Ich dachte, du sparst sie dir auf, um an mich zu denken?«

Ich stemme die Hände in die Hüften und linse zum Brandteig, der langsam, aber sicher aufs Blech muss, ansonsten würde er unbrauchbar werden und schließlich im Müll landen. Und ich bin die Letzte, die das will. Aber der Abschied fällt mir jedes Mal schwerer und ich wünschte mir, dass alles anders wäre.

»Ich denke immer an dich, weil du mein Herzensmensch, das Licht in der Dunkelheit und meine Welt bist.«

Meine Augen weiten sich und ich kann nicht anders, als ihn erneut zu küssen. Voller Liebe und Hingabe.

»Das hast du schön gesagt«, wispere ich und vergrabe mein Gesicht an seinem Hals, atme den Geruch seines Aftershaves ein und versuche, den Moment solange es geht auszukosten. Als sein Handy klingelt, richte ich mich seufzend auf und wappne mich für den kommenden Abschied.

Vom Verkaufsraum dringen gedämpfte Stimmen herein. Vor lauter Ablenkung, die ich wirklich genieße, habe ich ganz vergessen, dass vorn noch Gäste sind, die von einigen freiwilligen Rentnerinnen bedient werden.

Das hat sich durch Ruths Idee mit einem wöchentlichen Stammtisch für Rentner eingeschlichen.

Es gibt viele Menschen, die einsam sind und deshalb haben wir beschlossen, dass wir so etwas anbieten. Und weil der Ansturm so groß gewesen ist, haben sich einige Frauen freiwillig gemeldet und servieren nun Kuchen, Gebäck und Kaffee.

»Ich muss gehen«, meint Ben mit belegter Stimme.

»Ist gut, ich begleite dich noch nach draußen.« Ich will ihn loslassen, um zur Tür zu gehen, doch Ben hält mich kopfschüttelnd ab.

»Du hast noch zu tun und ich möchte dich genau so in Erinnerung behalten, bis ich wieder hier bin. Mit Mehl in den Haaren, die nach Butter und Zitrone riechen, und mit einem Strahlen im Gesicht, das mich auch in stressigen Meetings und nervigen Kundengesprächen aufmuntert.«

Ich lege den Kopf schief und kämpfe gegen die Tränen des Abschieds an. Man könnte meinen, dass Ben in den Krieg ziehen müsste. Aber ihn bei mir zu wissen, mit ihm jeden Morgen gemeinsam aufzuwachen, gibt mir die Kraft, die ich brauche, um das ganze Chaos zu bewältigen. Und ich möchte mit ihm zusammen sein. Für immer und ewig.

»Und wenn es dir zu viel wird, schnappst du dir einen Keks und denkst an mich«, sage ich, bevor ich noch anfange loszuheulen. Der Griff um mein Herz wird fester mit jeder Sekunde, die verstreicht.

»Das werde ich auf jeden Fall machen. Ich rufe dich an, sobald ich kann«, sagt er und küsst mich noch ein letztes Mal, ehe er die Backstube verlässt.

Als er die Tür aufstößt, schaut er noch einmal über seine Schulter und schenkt mir das bezauberndste Lächeln, das ich kenne, und versüßt mir damit den Abschied.

Ich winke kurz, wende mich aber nicht ab. Erst als er aus meiner Sichtweite verschwunden ist, atme ich tief durch, schnappe mir den Spritzbeutel und beginne, die Eclairs aufzudressieren. Die Arbeit lenkt mich von den Gedanken an Ben und vom Trennungsschmerz ab.

In geübten Bewegungen ziehe ich die Teigmasse auf und schiebe nach getaner Arbeit das Blech in den Ofen.

Bevor ich in den Verkaufsraum gehe, räume ich alles auf und wische die Arbeitsplatte noch einmal ab. Der rustikale Charme, der durch die Steinfliesen im Mosaikstil und durch die die Holzdecke, den urigen Arbeitsplatz, den ich mit einer Granitplatte aufgewertet habe und den altmodischen Backofen erzeugt wird, erlaubt es mir, mich wie in einer anderen Zeit zu fühlen.

Die Dorfbäckerei von Himmelbach wurde bereits vor mehr als einhundert Jahren erbaut und vieles hat den Stürmen der Zeit getrotzt. Es ist jedes Mal aufs Neue eine Ehre, in einer solchen Backstube zu backen.

Nach etwa zwanzig Minuten schaue ich nach den Eclairs und befinde sie für reif. Also hole ich sie mit dem Holzschieber heraus und komme mir dabei wie ein Pizzaiolo vor.

Ich stelle die Eclairs auf ein Backgitter, damit sie auskühlen können. Danach werde ich sie mit der selbstgemachten Vanillecreme befüllen und mit einer Glasur aus Zitronensaft und Puderzucker bestreichen.

Dafür nehme ich die Creme aus der Kühlung und schlage sie in der Küchenmaschine einmal auf. Darunter hebe ich geschlagenen Rahm, der die Masse noch luftiger macht. In der Zeit sind die Eclairs ausgekühlt und bereit, befüllt zu werden.

Ich gebe die Vanillecreme in den Spritzbeutel mit einer Sterntülle, diese gibt das typische gezackte Muster, und spritze die Masse in einer geübten Bewegung auf den ausgebackenen Brandteig.

Die Kammern sind schön groß und wenn es Windbeutel wären, würden die Luftkammern noch eine größere Bedeutung haben. Denn je größer sie sind, desto mehr Füllung passt hinein. Zum Schluss setze ich überall den Deckel der Eclairs darauf und bestreiche sie mit der Glasur.

Entzückt vom Endergebnis mache ich ein Foto und schicke es meiner Freundin Melanie, die gerade im Blumenladen steht, mir einen Daumen nach oben schickt und schreibt, dass ich ihr auch eines übriglassen soll.

Lächelnd antworte ich und gebe die Eclairs auf einen Teller aus Kristallglas mit hübschen Blumenverzierungen, damit ich sie in die Auslage neben die ganzen anderen Leckereien legen kann.

Ich hänge die bunte Schürze mit den Blumenaufdrucken, die mir Melanie zum Geburtstag geschenkt hat, an ihren Platz und werfe einen kurzen Blick in den Spiegel, bevor ich mit der Anrichteplatte in den Händen die Backstube endgültig verlasse.

Der Geruch von frischgemahlenem Kaffee vermischt sich mit den ganzen anderen Aromen, die die Tortenstücke, gefüllten Gebäcke und die frischen Brote abgeben. Es ist der Duft, der mein Herz höherschlagen lässt, und das immer wieder aufs Neue.

»Nachschub, das ist gut«, begrüßt mich Theresa, eine der freiwilligen Helferinnen. Sie hat einen frechen Kurzhaarschnitt, der ihre violetten Haare noch mehr betont. Ihre fröhliche und aufgeweckte Art unterstreicht das bunte Outfit, das sie heute trägt.

»Die sehen wirklich zum Anbeißen aus, oder?«, fragt sie Marta, die ebenfalls aushilft und die gerade mit einem Tablett mit schmutzigem Geschirr zur Theke kommt.

»Hm, davon würde ich jetzt auch gern eins verputzen. Aber die Arbeit ruft«, antwortet sie und leckt sich über die pink geschminkten Lippen. Ihre Brille rutscht nach unten und wird mit einer routinierten Bewegung nach oben geschoben, ohne, dass das Tablett wackelt.

»Ich kann das übernehmen und ihr genehmigt euch etwas«, schlage ich vor und sehe beide nicken.

Ich bin um jede Hilfe froh, aber es ist mein Traum, also muss ich genauso anpacken wie alle anderen. Und im Moment ist es recht ruhig, sodass ich nur die Eclairs in die Auslage stelle und bei einem Pärchen vorbeigehe, das bezahlen möchte. Die beiden kommen aus Bern und machen eine kleine Reise durch die Schweiz.

»Ich hoffe, es hat Ihnen gefallen. Himmelbach ist ein wunderschöner Ort und seit über einem Jahr mein Zuhause«, sage ich und gebe ihnen das Wechselgeld zurück.

»Absolut, so etwas Niedliches und Idyllisches wie hier habe ich selten gesehen. Als Pflegekraft hat man kaum Zeit, sich eine Pause zu gönnen, aber für unser Zweijähriges hat mich mein Schatz überrascht und jetzt sind wir hier«, erwidert die Frau und streichelt ihrem Partner über die Wange. Die intime Geste versetzt mir einen kurzen Stich ins Herz.

Wo Ben gerade ist? Wahrscheinlich auf halbem Weg nach Zürich.

»Das kann ich nur bestätigen. Bis ich hierhergezogen bin, habe ich in Zürich in einem Pflegeheim gearbeitet. Die Arbeit war schön, aber die Bedingungen nicht so, wie sie sein sollten. Also habe ich meinen ganzen Mut zusammengenommen und hier bin ich.«

Wir unterhalten uns noch ein bisschen und ich erfahre, dass die junge Frau Samira heißt und schon länger im Nachtdienst arbeitet.

»Am Anfang ist es ungewohnt gewesen, mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt. Aber auf lange Sicht ist das auch nicht mehr das, was ich machen möchte.«

»Das höre ich oft. Es bringt den gesamten Biorhythmus des Körpers durcheinander.« Samira nickt und erzählt noch ein bisschen von ihrer Reise, ehe ich zu einem anderen Tisch gerufen werde.

»Es war schön euch kennenzulernen, viel Spaß auf der Reise«, wünsche ich den beiden.

»Vielleicht kommen wir auf der Rückfahrt noch einmal vorbei und sonst beim nächsten Mal. Das wird es auf jeden Fall geben, dieses Café ist wirklich super hübsch. Großes Kompliment an dich.«

»Vielen Dank euch«, sage ich und winke ihnen zum Abschied. Genau solche Gespräche mit den Gästen sind das, was mich neben meiner Leidenschaft fürs Backen jeden Tag aufstehen lässt.

Natürlich auch für Ruth, mit der ich mich nachher noch treffen werde. Ihr geht es sehr gut, ihre Mobilität hat sich in den letzten Monaten noch einmal um einiges verbessert, sodass sie deutlich selbstständiger ist.

Am nächsten Tisch sitzen Hilde und Heidi bei einem Stück Bienenstich und einem Kaffee und unterhalten sich.

»Gut, dass du kommst, Nina. Wir sind solche Schnattertanten, dass wir uns bereits auf dem Trockenen befinden«, meint Heidi und sieht ihre leere Tasse an.

»Das können wir nicht so stehen lassen. Noch einmal dasselbe?«, frage ich schmunzelnd und sammle das benutzte Geschirr ein.

»Genau, und vielleicht noch etwas Süßes?«

»Da kann ich euch die Eclairs mit Vanillecreme empfehlen, die habe ich gerade erst gemacht«, schlage ich vor und sehe Heidi nicken. Ihre weißen Haare sind frisch frisiert worden, sodass sie sich gern in der Öffentlichkeit zeigt. Ihre beringten Fingernägel sind ebenfalls frisch lackiert und ich muss sagen, dass sie für ihr fortgeschrittenes Alter noch sehr gut aussieht.

»Genau das, was ich jetzt noch vertragen könnte«, sagt sie lachend und tätschelt meine Hand. »Und lass mir Ruth lieb grüßen, sie soll sich auch mal wieder blicken lassen.«

»Du weißt doch, dass sie sich um Walter sorgt«, meldet sich Hilde zu Wort, die mich aus ihren etwas trüben Augen heraus ansieht. Vielleicht ein grauer Star, denke ich und werde von Heidi abgelenkt, die anfängt, von Walters Frau zu reden, die kürzlich verstorben ist.

»Ich werde es ihr nachher ausrichten«, antworte ich, ehe ich zur Theke gehe und ihnen noch Kaffee und je ein Eclair rüberbringe.

»Jetzt übernehmen wir aber wieder«, sagt Marta und richtet sich ihre schwarze Brille.

»Das trifft sich gut, ich muss Ruth abholen und bin etwas spät dran. Vielen Dank euch beiden, ihr seid meine zwei Engel«, sage ich und drücke Martas Hand, ehe ich nach hinten gehe, um meine Sachen zu holen.

Bevor ich »Ruths Dorfbäckerei« verlasse, atme ich tief durch und weiß, dass es die richtige Entscheidung gewesen und jede Hürde wert ist, die noch kommen wird.

Kapitel 2

Den Weg von der Bäckerei bis zu Ruths Haus, in dem ich nach wie vor wohne, habe ich in wenigen Minuten hinter mich gebracht. Der Frühling steckt noch in seinen Anfängen und trotz der wenigen Sonnenstrahlen fröstle ich ein wenig.

Ich nehme den direkten Weg, vorbei an der alten Kirche mit ihrem Spitzdach, dem Dorfbrunnen und durch die Gasse, die durch zwei Häuser gebildet wird.

Es gibt auch einen anderen Weg, der hintenrum führt und über einen kleinen Hügel. Doch die Zeit drängt, also beeile ich mich, öffne das kleine Gatter und folge dem Kiesweg.

Ich treffe die resolute Dame bereits auf der Bank sitzend an. Ihre Daunenjacke hält sie trotz der noch recht niedrigen Temperaturen schön warm. Beruhigt nehme ich wahr, dass sie nicht unterkühlt wirkt.

Ihre Finger tippen in einem regelmäßigen Rhythmus auf den Knauf ihres Gehstocks und die Lippen presst Ruth zu einer schmalen Linie zusammen. Schon jetzt merke ich, dass sie verärgert ist und frage mich, was es damit auf sich hat.

»Da bist du ja«, murrt sie und sieht auf ihre silbrige Armbanduhr, die sie letzte Weihnachten von ihrem Sohn Karl, also Bens Vater, geschenkt bekommen hat. Dass ich pünktlich bin, scheint sie nicht zu erfreuen. Im Gegenteil. Sie wirkt, als hätte sie in eine Zitrone gebissen.

»Walter wartet bereits. Ich habe ihn vorhin angerufen und gesagt, dass wir gleich bei ihm sein werden.«

Walter. Daher weht der Wind, denke ich und setze mich neben sie.

»Was wird das? Wir sind spät dran«, meckert Ruth weiter, doch ich ignoriere es und lege meine Hand auf ihre. Zuerst spannt sich Ruth an, doch dann atmet sie tief durch und sieht mich an.

»Entschuldige meinen Ausbruch, Liebes. Es ist einfach nur so, dass...«, sie verstummt und schaut wieder geradeaus.

»Du machst dir Sorgen, ich weiß und wir werden auch gleich zu Walter fahren, das verspreche ich dir, aber zuerst möchte ich mit dir hier noch etwas sitzen bleiben.«

Ruth schweigt, auch wirkt sie nicht mehr so angespannt wie vorhin. Weshalb ich ihr vom Alltag in der Bäckerei erzähle.

Es lenkt sie von den nagenden Gedanken an Walter ab. Seit seinem Sturz von der Leiter und dem Beinbruch, den er sich dabei zugezogen hat und der gut verheilt ist, hat sich Walter noch mehr zum Einsiedler entwickelt. Ruth hat ihn öfter besucht, doch dass er sie immer wieder weggeschickt oder ignoriert hat, hat ihr wehgetan. Sie hat es zwar nicht offen ausgesprochen, aber ich habe es ihr angesehen. Eine Veränderung, die mir nicht gefällt.

Auch wenn ich mit der Bäckerei viel zu tun habe, bin ich in erster Linie immer noch ihre Pflegerin und das wird sich niemals ändern. Dennoch überkommt mich das schlechte Gewissen, ihr nicht gerecht werden zu können, weil ich ständig mit den Gedanken bei der Bäckerei und dem laufenden Geschäft bin. Es ist schwierig, alles unter einen Hut zu bekommen, und das nagt an mir.

»Ich denke, wir sollten langsam aufbrechen«, sagt Ruth und stemmt sich mithilfe ihres Gehstocks auf die Beine.

»Ist gut. Walter wird sich bestimmt freuen. Soll ich ihm noch ein paar selbstgebackene Madeleines mitnehmen?«

»Oh ja, die werden ihm bestimmt schmecken«, erwidert sie lächelnd und es erreicht ihre Augen, sodass ich beruhigter bin und ins Haus gehe, um die Vorratsdose mit den Madeleines zu holen.

Danach geht's mit meinem Auto zu Walters Haus. Es liegt ein bisschen weiter außerhalb von Himmelbach. Zu dem hübschen Bauernhaus, das vor etwa zweihundert Jahren erbaut und seitdem nur etwas modernisiert wurde, gehören noch einige Hektar Ackerland. Walters Familie besitzt auch einige Obstbäume. Von einem davon ist er letztes Jahr gestürzt.

Ganz in der Nähe soll die alte Mühle liegen, sie besitzt sogar ein Wasserrad aus dem Mittelalter und wurde bis vor knapp fünfzig Jahren noch genutzt, um das Getreide aus Himmelbach und den umliegenden Dörfern zu Mehl zu verarbeiten. Alte Traditionen, die heute durch die modernen Anlagen in den Städten vom Aussterben bedroht sind. Wirklich schade, aber so ist die Zeit nun mal.

Die Fahrt findet beinahe schweigend statt, was die Stimmung ein klein wenig drückt. Dennoch ist Ruths Lächeln wieder da, als wir das Haus erreicht haben. Ich parke so, dass sie es nicht allzu weit zur Tür hat, vor der wir nun stehen und warten, bis Walter aufmacht.

»Vielleicht ist er nicht da«, sage ich zu Ruth, als niemand auf das Klingeln reagiert.

»Oder es ist ihm etwas passiert.« Ruths Gesicht verliert an Farbe. Alarmiert stehe ich da und bin genauso ratlos wie sie selbst.

»Soll ich es noch mal versuchen?« Auf Ruths Nicken klingle ich ein zweites, drittes und ein viertes Mal, aber niemand öffnet.

»Es muss etwas passiert sein. Er weiß doch, dass wir kommen. Außer er wollte nicht mehr länger warten und ist spazieren gegangen.«

Den kleinen Seitenhieb wegen unserer Verspätung stecke ich ohne große Gegenworte ein. Ruth meint es nicht so, sage ich mir und lege ihr einen Arm um die Schultern. Gerade als ich mit ihr zurück zum Auto gehen will, höre ich Schritte.

Wir drehen uns um und da steht Walter. Sein schlohweißes Haar steht ihm leicht vom Kopf ab. Die Hose rutscht ihm ungünstig über die Hüfte, sodass ein Stück von seiner Unterhose hervorblitzt.

Er scheint erneut an Gewicht verloren zu haben. Das verrät mir nicht nur die schlechtsitzende Hose, sondern auch sein Gesicht. Die mit Sommersprossen übersäte Haut wirkt wie Pergament und die Wangenknochen stehen leicht hervor. Ruths Sorgen sind berechtigt und als könnte sie Gedanken lesen, wirft sie mir einen vielsagenden Blick zu.

»Du hast mir eine Heidenangst eingejagt. Ich dachte schon, dir wäre etwas passiert«, murrt Ruth und geht auf ihn zu.

»Wir haben vorhin telefoniert, Ruth. Was soll mir in der Zwischenzeit schon passiert sein?«

»Jede Menge, wir können ein Lied davon singen, wie viel in kürzester Zeit schiefgehen kann.«

Damit spielt sie auch auf ihren Sturz an, der sie fast gezwungen hätte, alles aufzugeben und in ein Altenheim in der Stadt zu ziehen. So hätte ich sie niemals kennengelernt und die Chance auf einen Neuanfang und auf eine neue Liebe gehabt.

»Ja, ja, was du nicht sagst.« Walter macht eine abwehrende Geste mit der Hand und läuft an uns vorbei zur Tür.

»Wollt ihr hier Wurzeln schlagen?«, knurrt er und schüttelt den Kopf. Ruth murmelt etwas, das ich nicht verstehe, und folgt ihm ins Haus. Ich bleibe einen Moment stehen, versuche, die ganze Situation im Geiste zu ordnen, eile dann aber Ruth zu Hilfe, die fast über die hohe Schwelle gestürzt wäre.

»Ich kann das schon, aber danke, Liebes.« In ihren Augen sehe ich die Sorge um Walter und das schlechte Gewissen, das sie immer hat, wenn sie mit ihren Worten über die Stränge schlägt.

Hinter mir schließe ich die Tür und sehe mich um. Das Haus ist genau so, wie ich es mir vorgestellt habe. Es ist sehr klein, verwinkelt und vollgestellt. Die Luft riecht abgestanden und Staubpartikel wirbeln im Sonnenlicht herum, das durch das Wohnzimmerfenster fällt.

Dieses liegt genau vor mir. Der Flur ist ziemlich klein und davon gehen drei Zimmer ab. Geradeaus geht's ins Wohnzimmer, nach rechts in die Küche und gleich neben dem Wohnzimmer ins Badezimmer. Das nehme ich zumindest an, denn ich höre eine Spülung. Gleich darauf kommt Walter heraus und zieht nonchalant seinen Reißverschluss nach oben.

Schmunzelnd wende ich mich ab. Ruth folgt ihm in die Küche und kommt mir dabei wie ein verlorener Welpe vor. Immer auf der Suche nach Anschluss. Aber dieses Mal ist es vielmehr so, dass sie ihm klarmachen will, dass er nicht mehr so tun kann, als wäre alles in Ordnung.

Ich bleibe im Türrahmen stehen, verschaffe mir einen Überblick und verstehe Ruth immer mehr. Das benutzte Geschirr stapelt sich. Darauf tummeln sich ein paar Fliegen, die sich behäbig von Teller zu Teller bewegen. Außerdem klebt der Boden, was Walter aber nicht zu stören scheint. Oder er nimmt es gar nicht mehr wahr.

»Wie kann man nur so leben.« Ruth schüttelt verständnislos den Kopf. Walter setzt Wasser auf und zuckt mit den Schultern.

»Solange ich noch Platz habe, ist es halb so wild.«

»Halb so wild«, wiederholt Ruth erstickt und stützt sich auf ihren Gehstock. Sie atmet schwer und ihre Hände zittern leicht. Das könnte auch nur von der Aufregung kommen.

Wie gern würde ich eingreifen, aber ich habe gelernt, den Mund zu halten. Manchmal ist es besser so.

Walter fragt uns, ob wir auch etwas wollen. Doch Ruth und ich schütteln den Kopf. Walter zuckt erneut mit den schmalen Schultern und schlurft mit seiner dampfenden Tasse in der Hand an uns vorbei.

»Ist das zu fassen? Und niemand kümmert sich darum, das kann ich doch nicht so stehen lassen.« Sie sieht mich fragend an.

»Du kannst ihn nicht zwingen«, setze ich an, werde aber von Ruth unterbrochen. »Das wollen wir doch mal sehen.« Entrüstet macht sie sich daran, das dreckige Geschirr in die Spüle zu stellen und mit Wasser und Spülmittel gründlich einzuweichen. Der Versuch, ihr zu helfen, wird von einem aufgebrachten Handgefuchtel abgewürgt, sodass ich Ruth werkeln lasse.

Ich durchquere den kleinen Flur, betrachte die gerahmten Fotos an der Wand, auf denen Walter und seine Frau Hiltrud zu sehen sind. Sie musste nach einem Schlaganfall in ein Altenheim ziehen, wo sie vor ein paar Monaten friedlich im Schlaf von uns gegangen ist. Ruth ist trotz einer kurzzeitigen Schwäche zur Beerdigung gegangen und hat Walter zur Seite gestanden.

Seitdem sind ihre Sorgen weitergewachsen und wie ich sehe auch zurecht. Sein Enkel, der den Hof einmal übernehmen will, ist noch in der Ausbildung zum Landwirt und muss nun seinen Militärdienst antreten. Rekrutenschule nennen wir das in der Schweiz. Dort werden aus Burschen richtige Männer, das habe ich beim Stammtisch der Männerrunde aufgeschnappt, die im Gasthaus jeden Abend einkehrt. Es sind veraltete Ansichten, aber vielleicht treffen sie beim einen oder anderen zu.

Ich finde Walter auf dem Sofa sitzend vor, das mit unzähligen handbestickten und -geknüpften Kissen vollgestopft ist. Rechts und links neben ihm liegen Fotoalben gestapelt. Die Wohnwand ist aus dunklem Holz und mindestens vierzig Jahre alt, der Fernseher hat wahrscheinlich noch nicht einmal Farbe, so antik sieht er aus. Walter ist etwa im gleichen Alter wie Ruth, scheint für Technik jedoch noch weit weniger offen zu sein als sie.

»Hat Ruth dich geschickt?«, brummt Walter und nippt an seinem noch viel zu heißen Tee. Er verzieht das Gesicht und stellt die Tasse etwas zu grob auf den massiven Salontisch, sodass Tee überschwappt.

»So ein Mist«, flucht Walter. Ich lächle mitfühlend und gebe ihm die Packung Taschentücher, die ich aus meiner Tasche fische. Walter nimmt eines heraus und wischt die kleine Pfütze weg, die nach Pfefferminze riecht.

»Danke, Nina. Du musst mein Verhalten entschuldigen, aber nach Trudis Tod, da bin ich brummig geworden.«

»Du musst dich für nichts entschuldigen«, sage ich und bedanke mich bei Walter, als er zwei Alben wegpackt, damit ich mich setzen kann.

»Es fühlt sich alles viel anstrengender an, seitdem sie... Sicher, sie ist seit dem Schlaganfall nicht mehr bei mir gewesen, aber jetzt kann ich sie nicht einmal mehr besuchen.« Er wischt sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel und startet einen neuen Versuch mit der Teetasse. Dieses Mal bleibt alles trocken.

»Du musst wissen, dass ich kein Grabgänger bin. Die Erinnerungen habe ich hier drin«, er tippt sich auf die Stelle, unter der sein Herz noch immer treu schlägt, »dafür brauche ich keinen Ort, an dem es nur so von verlassenen Seelen wie mir wimmelt.«

Ich verstehe ihn sehr gut, ich denke genauso. Wie lange ich das Grab meiner Mutter nicht mehr besucht habe, ist für den einen oder anderen vielleicht eine Schande, aber wie Walter gesagt hat, trage ich sie immer bei mir.

Meine Kehle wird eng und ich räuspere mich etwas lauter als nötig, um den Kloß zu verjagen, der sich bilden wollte.

»Ist das euer Hochzeitsalbum?«, frage ich, um das Thema in eine andere Richtung zu lenken.

Walter nimmt das in weißes Leder gebundene Album in die Hand und streichelt liebevoll darüber. Sein furchiges Gesicht hellt sich auf und seine Augen glänzen voller Liebe.

»Ja, das war 1966. Ich war damals zwanzig und noch grün hinter den Ohren, aber ich habe Trudi geliebt. Und wie ich das getan habe«, das Letztere wispert er nur noch. Sein Adamsapfel hüpft rauf und runter, so sehr schluckt er.

Ich würde ihn gern trösten, aber ich kenne Walter zu wenig, um zu wissen, ob er das möchte.

Er schlägt eine Seite auf und zum Vorschein kommt ein Schwarz-Weiß-Foto, das Trudi, Walter, Ruth und Oskar zeigt.

»Ruth und Oskar waren unsere Trauzeugen«, erklärt er mir, was ich von Ruth bereits weiß.

»Wie glücklich ihr alle ausseht.« Walter nickt und blättert weiter. Die Kapelle von Himmelbach taucht auf. Ich bin nicht überrascht, dass sie dort geheiratet haben. Immerhin haben Ruth und Oskar dort auch den Bund fürs Leben geschlossen, so wie viele andere Paare in der Umgebung. Außerdem ist es der perfekte Ort für eine Heirat.

Es ist ein unbeschreiblicher Flecken Erde, den ich mit Ruth bereits einige Male besucht habe.

»Ja, das waren wir, oder Walter?«, hören wir Ruth sagen. Ich schaue hoch und sehe, wie sie Schritt für Schritt ins Wohnzimmer läuft und sich schließlich in dem Sessel neben dem Sofa niederlässt. Den Gehstock platziert sie neben der Lehne, sodass sie jederzeit drankommt.

»Das waren schöne Zeiten. Erinnerst du dich an diesen Saxofonisten? Wie hieß der noch mal?«

»Wie könnte ich nicht, der war besser als Louis Armstrong. Irgendetwas mit Benni, oder hat er Sven geheißen? Hm, nein, das war es nicht. Aber es muss hier irgendwo noch sein.« Er tippt sich gegen die Stirn und auch Ruth scheint angestrengt darüber nachzudenken. Es ist süß, den beiden zuzusehen und als es Walter eingefallen ist, sieht er Ruth fast ein bisschen triumphierend an.

»Genau, Bernhard & Severin. Die Brüder sind im ganzen Kanton bekannt gewesen und haben sogar eine Schallplatte aufgenommen.«

Ruth scheint völlig in ihren Erinnerungen versunken zu sein und als Walter anfängt, die Melodie von damals zu summen, klatscht Ruth leicht außer Takt mit.

Die beiden schwelgen weiter in längst vergessenen Zeiten, sodass ich ihnen etwas Freiraum gebe und mich umsehe.

In die Küche hat Ruth einigermaßen Ordnung gebracht. Das Geschirr ist fast ganz abgewaschen und steht zum Trocknen auf der Abtropfhilfe und auch sonst wirkt es deutlich sauberer.

Das kleine Badezimmer sieht ganz okay aus, könnte aber eine Generalüberholung brauchen und nach oben traue ich mich nicht. Es ist immerhin Walters Refugium, sodass ich nach draußen gehe. Ich ziehe mir die Strickjacke enger um den Körper.

Die Sonne hat sich endlich gegen die zähen Wolken durchgesetzt. Hungrig strecke ich ihr das Gesicht entgegen und genieße die Strahlen, die auf meiner Haut tanzen. Der Duft von Löwenzahn, von frisch gemähtem Rasen und einem Hauch von Gülle, der unverkennbar zum ländlichen Charme gehört, steigt mir in die Nase. Aus der Ferne höre ich das Bimmeln der Kuhglocken, oder sind es Ziegen? Ich kann es nicht genau sagen.

Als mein Handy klingelt, öffne ich die Augen und hole es aus meiner Tasche. Es ist eine Nachricht von Ben, die mich lächeln lässt.

Bin heil in Zürich angekommen, aber die Box hat es leider nicht unbeschadet geschafft.

Darunter sehe ich auf einem Foto, dass er alles aufgefuttert hat. Lachend schüttle ich den Kopf und tippe eine Antwort.

Dann musst du eben schon bald wieder nach Hause kommen. Bin bei Walter, es geht ihm ganz gut, aber ich glaube, er könnte Hilfe gebrauchen.

Ich mache ein Selfie mit dem Haus hinter mir und schicke es mit einem Kuss-Emoji an Ben. Die Antwort kommt binnen weniger Sekunden.

Sobald ich wieder da bin, schaue ich nach ihm. Du siehst zum Anbeißen aus. Ich wünschte mir, ich wäre bei dir und könnte dich küssen.

Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Der Stich des Vermissens wütet darin, sodass ich die Lippen zusammenpresse, ehe ich ihm wehmütig eine letzte Antwort schreibe.

Und ich küsse dich. Wir telefonieren morgen, ich liebe dich.

Er schreibt zwar, doch es kommt keine Antwort. Seufzend stecke ich das Handy weg und gehe wieder zurück ins Haus. Im Flur stehend, höre ich die beiden alten Leute reden. Aber dieses Mal sind die Stimmen aufgebrachter und lassen mich aufhorchen.

»Lass dich von ihr untersuchen, wenn du Stephan schon nicht anrufen willst.«

»Ich bin erwachsen, Ruth, und treffe meine eigenen Entscheidungen.«

Sie schnaubt empört und murmelt etwas, das ich nicht verstehe.

»Ich denke, du gehst jetzt besser.« Das ist Walter gewesen, der wohl ein Machtwort gesprochen hat.

»Wenn du darauf bestehst, aber denk darüber nach. Wir machen uns alle nur Sorgen um dich.«

Ruth steht auf, ich höre, wie sie sich ächzend auf den Gehstock stützt und das klackernde Geräusch ihrer leichten Absätze immer näherkommt.

»Oh, da bist du ja, Liebes«, sagt sie überrascht. Ihr Gesicht wird von einer Traurigkeit überschattet, die auf mich übergeht.

»Ist alles in Ordnung?« Die Frage ist schneller über meine Lippen gekommen, als ich es vorgehabt habe.

Ruth schüttelt den Kopf und atmet tief durch.

»Lass uns gehen, ich denke es ist genug für heute.« Mit diesen Worten läuft sie an mir vorbei. Bevor ich ihr folge, verabschiede ich mich von Walter, der einen Punkt in der Ferne fixiert und nicht aufsieht.

»Du bist nicht allein, Walter. Wir sind alle für dich da.« Ich muss diese Worte einfach loswerden, weil er eine unendliche Schwermut ausstrahlt, die sogar den grimmigsten Menschen auf dieser Welt traurig gestimmt hätte.

Auch darauf antwortet Walter nichts, aber ich habe das Gefühl, dass er es gehört hat.

»Wo warst du denn?«, begrüßt mich Ruth, die bereits gegen den Wagen gelehnt dasteht.

»Ich habe mich von Walter verabschiedet.«

»Das ist lieb von dir«, sagt sie, öffnet die Tür und lässt sich auf den Beifahrersitz nieder. »Lass uns heute Abend etwas zusammen machen, vielleicht einen Film schauen. Außerdem gibt es das leckere Zimteis, das du so gern magst«, fügt sie hinzu und sieht mich hoffnungsvoll an.

»Auf jeden Fall machen wir das. Das können wir gut gebrauchen.«

Kapitel 3

»Ich kann Walter ja verstehen, dass er sich zurückzieht. Das ging mir bei Oskar auch so, aber er verwahrlost dort ganz allein noch.«

Ich presse die Lippen aufeinander. So geht das jetzt schon, seitdem wir wieder zurück sind. Ruth ist ein mitfühlender Mensch und ich schätze das auch, allerdings ist Walter mit seiner Trauer beschäftigt.

Er lässt den Haushalt etwas schleifen, er isst nicht regelmäßig, ja, aber er verwahrlost noch nicht. Auch wenn Ruth das nicht so sieht, habe ich es aufgegeben, mich einzumischen, wenn sie erst einmal in Fahrt gekommen ist.

Mit nassen Händen greife ich nach dem Geschirrtuch und fange an abzutrocknen. Die Suppe köchelt vor sich hin, die Dampfnudeln sind im Ofen. Das perfekte Wohlfühlessen nach einem anstrengenden Tag.

»Hast du denn gar nichts dazu zu sagen?«, fragt sie mich mit fast schon anklagender Stimme.

Ich atme durch und drehe mich zu ihr um. Ruth sitzt am Tisch, mit um die dampfende Teetasse gelegten Händen und einem angeknabberten Muffin daneben. Sie sieht mich vielsagend an, als würde sie mich dadurch zu einer Antwort bewegen wollen.

»Es ist seine Entscheidung und ich bin der Meinung, dass er alt genug ist, sich Hilfe zu holen. Er hat seine Frau verloren, Ruth. Trauer ist individuell und nichts, was nach Schema F abläuft. Aber wenn du ihm helfen möchtest, dann sei für ihn da. Zeig ihm, dass auf dich Verlass ist, du ihn aber zu nichts drängen möchtest«, sage ich und lächle sie aufmunternd an. Doch das hat nicht den gewünschten Effekt und ich seufze innerlich auf. Ruth murrt vor sich hin, allerdings spüre ich, dass sie über meine Worte nachdenkt.

Sie dreht die Tasse in den Händen und schaut ab und an aus dem Fenster. Die Sonne ist kurz nach unserem Aufbruch wieder von grauen Wolken verschluckt worden, aus denen es seit einiger Zeit unaufhörlich regnet.

Ich rühre in der Suppe herum und schaue nach den Dampfnudeln, die schön aufgegangen sind und schon herrlich aussehen. Es ist ein Rezept, das meine Oma oft gemacht hat, ich dann jedoch vergessen und erst durch Ruth wieder öfters gebacken habe.

Noch immer bin ich unglaublich dankbar, wie sich mein Leben verändert hat. Obwohl es auch komplizierter geworden ist. Ich meine, ich habe als Pflegerin in Himmelbach angefangen und jetzt gehört mir die Dorfbäckerei. Daneben kümmere ich mich um Ruth und unterstütze sie in ihrem Alltag. Ein Job, der mich nach wie vor fordert, und das fühlt sich gut an. Es ist meine Berufung, genau wie das Backen. Es vergeht fast kein Tag, an dem ich nicht in der Backstube oder in Ruths Küche stehe und etwas backe.

Nachdem das Gemüse weich genug ist, hole ich den Pürierstab heraus, um alles zu mixen. Noch ein Schuss Rahm und ein paar Gewürze dazu und schon ist das Abendessen fertig. Ich stelle den Topf auf den Tisch und schaue noch kurz nach den Dampfnudeln, die ebenfalls raus können und mit etwas Alufolie abgedeckt werden, bis wir sie essen.

Am Tisch schöpfe ich zuerst Ruth und dann mir selbst einen Teller der herrlich wärmenden Suppe auf, die durch die Kräuter aus Ruths Garten noch intensiver schmeckt.

»Es gibt nichts Besseres, als eine Suppe am Abend. Wie oft wir das als Kinder gegessen haben, kann ich fast nicht mehr zählen«, meint Ruth und löffelt genüsslich ihre Suppe. Lächelnd höre ich mir die Geschichten aus ihrer Kindheit an und bin nicht erstaunt, dass sie damals schon resolut gewesen ist.

»Wird Zeit, dass der Frühling kommt«, brummt Ruth, nachdem wir den ersten Teil unseres Abendessens hinter uns haben. Sie schaut dabei aus dem Fenster und deutet mit dem Kopf auf die dicken Regentropfen, die gegen die Scheiben prasseln.

»Wem sagst du das. Ich vermisse die Sonne«, erwidere ich. Ich stehe vor den abgedeckten Dampfnudeln, die ich von der Folie befreie. Es dampft noch herrlich vor sich hin und sieht äußerst köstlich aus. Schnell serviere ich uns je eine Portion und gieße die selbstgemachte Vanillesoße darüber und für Ruth daneben, so wie sie es gern mag.

»Hm, das sieht saulecker aus«, schwärmt sie und reibt sich genüsslich den Bauch. Schmunzelnd nehme ich eine Gabel und verstehe Ruth. Die Dampfnudeln sind wirklich super geworden.

Während wir uns noch über das Wetter und dessen Kapriolen unterhalten, wandern meine Gedanken immer wieder zu Ben, der jetzt wahrscheinlich bei einem Geschäftsessen sitzt und sich bestens amüsiert. Na ja, ab und an denkt er bestimmt an mich.

»Er wird schon eine Lösung für die Situation finden«, reißt mich Ruth aus den Gedanken. Stirnrunzelnd schaue ich sie an und lecke die Vanillesoße von der Gabel.

»Du hast an Ben gedacht und dabei wieder diesen verklärten Blick gehabt. Ja, genau diesen«, sagt sie kichernd, während ich ertappt wegschaue.

Was ich nicht muss, denn Ben und ich sind seit über einem Jahr glücklich zusammen. Dennoch wäre es schön, wenn er nicht ständig pendeln müsste.

»Ben meint, dass es im Moment nicht so günstig wäre zu kündigen. Sein Chef wisse wohl von seinen Plänen, hält ihn aber immer wieder hin.«

»Es ist kompliziert, ja, aber ihr liebt euch und das ändert sich nicht, weil er nicht da ist.«

Da hat sie recht, dennoch wäre es einfacher, wenn er für immer hierherziehen würde. Wir hätten mehr Zeit füreinander und er könnte sich mehr in die Geschäfte der Bäckerei einbringen. Aber so bleibt alles an mir hängen und ich merke langsam, dass ich an meine Grenzen komme.

»Kopf hoch, Liebes. Ihr schafft das schon.«

Ruth legt ihre Hand auf meine und tätschelt sie liebevoll. Für einen Moment betrachte ich sie dabei, ehe ich lächle und ihr noch etwas von der Soße nachreiche.

Eine Stunde später schaut Ruth noch eine ihrer geliebten Kochsendungen. Ich kümmere mich um den Abwasch und gehe anschließend nach oben, um mir ein Bad einzulassen.

Als ich am Gästezimmer vorbeigehe, frage ich mich, wie lange ich hier noch wohnen werde. Sicher, ich kann mich so besser um Ruth kümmern, aber eigentlich ist geplant gewesen, dass wir die Wohnung über der Bäckerei ausbauen und dort dann einziehen. Bis jetzt ist noch nichts in diese Richtung unternommen worden. Es fühlt sich an, als würden Ben und ich privat auf der Stelle treten und daran ist vor allem die Pendelei schuld.

Ich beiße mir auf die Lippe und verscheuche die Gedanken. Die sowieso nichts an der Situation ändern und mich nur runterziehen. Die Tür des kleinen, bescheidenen Badezimmers fällt ins Schloss und ich atme tief durch.

Es ist noch nicht einmal neun Uhr abends und ich bin todmüde. Jeder Muskel meines Körpers fühlt sich verspannt an. Selbst die kleine Massage, die ich mir ab und zu gebe, um die Schmerzen in Schach zu halten, hilft nicht wirklich. Die Schmerzen sind abends wieder da. Pochend sitzen sie mir sprichwörtlich im Nacken.

Ein heißes Bad ist jetzt genau das, was ich brauche. Die Wanne ist klein und recht schmal, weshalb Ruth seit einigen Jahren schon nicht mehr darin gebadet hat. Sie benutzt die Dusche oder macht die altbekannte und verpönte Katzenwäsche am Waschbecken.

Der Badezusatz, den ich heute nehme, beinhaltet Lavendel und Honig, beides wohltuende Zutaten. Natürlich Bio und selbstgemacht. Ich habe es in einem Hofladen zwei Dörfer weiter entdeckt. Sehr niedlich und detailverliebt gestaltet und die Produkte sind super. Der Preis kann sich sehen lassen, aber ich finde, man darf sich auch mal was gönnen.

Während der Zusatz aufschäumt, entledige ich mich meiner Kleidung und steige dann ins herrlich heiße Nass. Seufzend schließe ich die Augen und genieße, wie das Wasser meinen Körper umspielt und die Wärme sich positiv auf meine angespannten Muskeln auswirkt.

Vielleicht hätte ich mir noch ein Hörbuch oder entspannende Musik anmachen und ein paar Kerzen anzünden sollen, aber dafür habe ich keine Zeit. Ich würde sie mit geschlossenen Augen sowieso nicht sehen. Nein, so in aller Stille ist es auch schön.

Meine Zehen schauen aus dem Schaum hervor. Die Badewanne ist wirklich klein, dennoch liebe ich diese kleinen Auszeiten. Hier kann ich meine Gedanken schweifen, den Tag Revue passieren lassen und mich auf morgen vorbereiten.

Ich rechne den zeitlichen Ablauf der Mehllieferung durch, wie lange ich für die Zubereitung des Birnenbrotes brauche, das eine Bewohnerin aus Himmelbach bei mir in Auftrag gegeben hat, und, wie lange der Vorrat an Kaffeebohnen noch reicht, die wir von einem Fairtrade-Händler aus Schwyz beziehen.

Alles Dinge, die morgen anstehen und über die ich mir Gedanken machen muss. Allein, weil Ben in Zürich ist.

Ich will nicht jammern und ich beschwere mich auch nicht, aber es wäre einfach schön, wenn wir gemeinsam ein Leben aufbauen könnten. So ist es fast, als wären wir zu dritt in dieser Beziehung.

Ben, seine Arbeit und ich.

Ich muss eingenickt sein, denn als ich die Augen öffne, ist das Wasser bereits kalt und mein Körper schrumpelig.

Fluchend steige ich aus der Wanne und trockne mich in Windeseile ab.

Frisch angezogen will ich nach unten hasten, doch ich sehe, dass in Ruths Zimmer Licht brennt. Langsam gehe ich darauf zu und spähe durch den Spalt.

»Komm nur rein«, flötet sie. Die Tür quietscht, als ich sie weiter öffne. Ruth sitzt im Bett und liest eine Klatschzeitschrift. Dabei sitzt ihre Lesebrille so tief auf der Nase, dass sie mich an die Großmutter aus Rotkäppchen erinnert.

»Ich hab mir schon gedacht, dass du etwas Zeit für dich brauchst. Deshalb hab ich mich allein die Stufen hochgequält«, witzelt sie und legt die Zeitschrift zur Seite.

Ich nicke dankbar, stütze mich am Bettpfosten ab und studiere das Titelblatt. Es zeigt einen unserer erfolgreichsten Tennisspieler und anscheinend verrät er speziell in diesem Interview, wie es ihm nach seinem Rücktritt geht.

»Geht es dir wirklich gut?«

»Ja, bin nur müde«, wiegle ich mit einem nicht ganz so ehrlichen Lächeln ab. Ruth brummelt etwas, das ich nicht verstehe, und geht Gott sei Dank nicht weiter darauf ein.

»Schlaf gut und träum schön«, meint sie liebevoll. Mein Herz wärmt sich bei diesen Worten auf und ich lächle aufrichtig.

»Danke, du auch, Ruth.« Ich gehe in mein Zimmer und der Blick auf mein Handy sagt mir, dass Ben sich nicht mehr gemeldet hat.

Seufzend schreibe ich ihm eine kurze Nachricht und lege mich dann ins Bett. Wenigstens sehen wir uns in meinem Träumen regelmäßig, denke ich, bevor mich die Müdigkeit übermannt und ich einschlafe.

Kapitel 4