Die Kommunikationsstrategien von Papst Franziskus - Johannes Löffler - E-Book

Die Kommunikationsstrategien von Papst Franziskus E-Book

Johannes Löffler

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Beschreibung

Die Macht des modernen Papsttums beruht auf dem gezielten Einsatz zeitgenössischer Mittel öffentlicher Zurschaustellung historisch gewachsener Autorität und persönlichem Charisma. Ob Twitter, YouTube oder Instagram – nicht zuletzt in den digitalen Medien ist es dem Heiligen Stuhl in den vergangenen Jahren gelungen, auch jenseits des Vatikans die Massen zu mobilisieren. Am Beispiel der Amtszeit von Papst Franziskus analysiert Johannes Ludwig Löffler die verbalen und nonverbalen Kommunikationsstrategien des Papsttums zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Vom gezielten Einsatz päpstlicher Körpersprache über die Kleidung bis hin zur Wahl der richtigen Worte widmet sich das Buch den multiplen Formen päpstlicher Inszenierung.

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Johannes Löffler

Die Kommunikationsstrategien von Papst Franziskus

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Die Macht des modernen Papsttums beruht auf dem gezielten Einsatz zeitgenössischer Mittel öffentlicher Zurschaustellung historisch gewachsener Autorität und persönlichem Charisma. Ob Twitter, YouTube oder Instagram – nicht zuletzt in den digitalen Medien ist es dem Heiligen Stuhl in den vergangenen Jahren gelungen, auch jenseits des Vatikans die Massen zu mobilisieren. Am Beispiel der Amtszeit von Papst Franziskus analysiert Johannes Ludwig Löffler die verbalen und nonverbalen Kommunikationsstrategien des Papsttums zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Vom gezielten Einsatz päpstlicher Körpersprache über die Kleidung bis hin zur Wahl der richtigen Worte widmet sich das Buch den multiplen Formen päpstlicher Inszenierung.

Vita

Johannes Ludwig Löffler ist Politikwissenschaftler und war von 2016 bis 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centrum für Religion und Moderne der Universität Münster.

Meinen Eltern und Großeltern.

Übersicht

Cover

Titel

Über das Buch

Vita

Inhalt

Impressum

Inhalt

Vorwort

I.

Papsttum und Moderne

1.

Kommunikation als Ressource päpstlicher Macht

2.

Päpstliche Kommunikationsstrategie als charismatischer Anführer

3.

Der päpstliche Leviathan als Modell politischer Macht

3.1

Päpstlicher Leviathan: Macht und Mobilisierung

3.2

Päpstlicher Leviathan: Macht und Inszenierung

3.3

Päpstlicher Leviathan: Macht und Körper

3.4

Päpstlicher Leviathan: Macht und Kommunikation

4.

Methodik

4.1

Zur Zielsetzung des methodischen Vorgehens

4.2

Zum Intentionalismus von Kommunikation

4.3

Zum Vorgehen nonverbaler Kommunikation

4.3.1

Ikonische Gesten

4.3.2

Deiktische Gesten

4.3.3

Metaphorische Gesten

4.3.4

Zusammenfassung: Vorgehen nonverbaler Kommunikation

4.4

Zum Vorgehen verbaler Kommunikation

4.4.1

Assertive (Strategie der Tatsache)

4.4.2

Kommissive (Strategie der Festlegung)

4.4.3

Deklarative (Strategie der Änderung)

4.4.4

Expressive (Strategie der Emotion)

4.4.5

Direktive (Strategie der Überzeugung)

4.4.5.1

Überzeugungen durch Autorität:

4.4.5.2

Überzeugungen durch Charisma:

4.4.6

Zusammenfassung: Vorgehen verbaler Kommunikation

5.

Aufbau

6.

Forschungsstand und Literaturüberblick

II.

Aktivierung globaler Öffentlichkeit

1.

Über die Autorität Papst Franziskus’

1.1

Die Macht der Autorität: Max Weber

1.2

Die Macht geteilter Vorstellungskraft: Heinrich Popitz und Richard Sennett

1.3

Die Autorität des modernen Papsttums: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

2.

Über das Charisma Jorge Bergoglios

2.1

Die Macht des personenbezogenen Charismas: Max Weber

2.2

Die Macht zu mobilisieren und zu überzeugen: Serge Moscovici und Joseph Nye

2.3

Das Charisma des Papsttums: Zwischen soft power und digitalen Medien

3.

Über die institutionelle Kommunikationsstrategie des Heiligen Stuhls

3.1

Der päpstliche Kommunikationsapparat

3.1.1

Päpstlicher Rat für soziale Kommunikationsmittel (1984)

3.1.2

Miranda Prorsus (1957)

3.1.3

Boni Pastoris (1959)

3.1.4

Inter Mirifica (1963)

3.1.5

Communio et Progressio (1971)

3.1.6

Richtlinien für das Kommunikationswesen (1989)

3.1.7

Aetatis Novae (1992)

3.2

Die päpstlichen Kommunikationskanäle

3.2.1

Die Vatikanische Druckerei

3.2.2

Die Vatikanische Verlagsbuchhandlung

3.2.3

Der L’Osservatore Romano

3.2.4

Der Vatikanische Radiofunk

3.2.5

Das Presseamt des Heiligen Stuhls

3.2.6

Das Vatikanische Fernsehzentrum

3.2.7

Das Vatikanische Internetbüro

3.2.8

Der Vatikanische Fotoservice

3.2.9

Die Vatikanischen Nachrichten

3.3

Die institutionelle Kommunikationsstrategie des Papsttums

3.3.1

Das Sekretariat für Kommunikation (2015)

3.3.2

Das Dikasterium für Kommunikation (2018)

4.

Über die Agenda als Element päpstlicher Kommunikationsstrategie

4.1

Franziskus und die Botschaft zum Welttag der sozialen Kommunikationsmittel

4.2

Franziskus und die Kommunikation

4.3

Franziskus und das Internet

4.4

Franziskus und die öffentlichen Medien

5.

Über die Inszenierung öffentlicher Auftritte

6.

Kommunikationsstrategie und Öffentlichkeit – Zwischenfazit

III.

Bildmacht

1.

Der Papst ist im Bilde – Bildmacht und Machtbild der Moderne

2.

Der Papst trägt Weiß – Kleidung als nonverbale Kommunikation

2.1

Das Pileolus: Make the Holy See Great Again

2.2

Die Soutane: Die Uniform des Papstes

2.3

Die Mozetta: Die vergessene Hierarchie

2.4

Das Pallium: Der Kontrast der Kreuze

2.5

Die Pluviale: Ein Symbol feierlicher Anlässe

2.6

Die Stola: Das Accessoire zum Umhängen

2.7

Die Ferula: Ein Hirte ohne Stab

2.8

Der Fischerring: Das Funkeln im Bild

2.9

Das Pektorale: Die Inszenierung des Kreuzes am Herzen

3.

Der Papst im Netz – Bildrituale auf Instagram

3.1

Die Inszenierung von Gestik auf Instagram

3.2

Die Inszenierung von Mimik auf Instagram

3.3

Die Inszenierung von Kleidung auf Instagram

4.

Der Papst ist kein YouTuber? – Die YouTube-Seiten von Vatican News

4.1

Die YouTube-Kanäle des Heiligen Stuhls

4.2

Die YouTube-Videos des Heiligen Stuhls

4.2.1

Das Angelusgebet

4.2.2

Die Generalaudienz

4.2.3

Die Papstreisen

4.2.4

Die Heilige Messe

4.3

Inszenierung unsichtbarer Massen: YouTube und die Corona-Krise

5.

Der Papst im Fotoalbum – Die Website des Heiligen Stuhls

5.1

Die Inszenierung durch visuelle Gestaltung

5.1.1

Die Startseite – Der erste Eindruck zählt

5.1.2

Die Homepage des Heiligen Stuhls – Das Gerüst digitaler Öffentlichkeit

5.2

Die Inszenierung von Gestik auf der Website des Heiligen Stuhls

5.2.1

Das Fotoalbum des Papstes – Die Inszenierung einer Chronik

5.2.2

Die Reisen des Papstes – Die Inszenierung des Unterwegsseins

5.3

Die Inszenierung von Mimik auf der Website des Heiligen Stuhls

5.4

Die Inszenierung von Kleidung auf der Website des Heiligen Stuhls

6.

Der Papst auf dem Cover – Medial vermittelte Bildsprache Papst Franziskus’

7.

Kommunikationsstrategien und Bildmacht – Zwischenfazit

IV.

Wortmacht

1.

Der Papst hat das Wort – Wortmacht und Machtwort der Moderne

2.

Der Papst zwitschert (nicht)? – Kurzpredigten auf Twitter

2.1

Die Inszenierung digitaler Legionen

2.2

Die Inszenierung päpstlicher Agenda auf Twitter

2.3

Die Inszenierung verbaler Kommunikation auf Twitter

3.

Der Papst im Textarchiv – Die Homepage des Heiligen Stuhls

3.1

Die Inszenierung der Vergangenheit: Das Angelusgebet

3.2

Die Inszenierung der Zukunft: Der Weltjugendtag

3.3

Die Inszenierung der Gegenwart: Der Welttag des Migranten und Flüchtlings

3.3.1

Migration als Papstmacht – Eine kurze Geschichte päpstlicher Migrationspolitik

3.3.2

Der Welttag des Migranten und Flüchtlings – Die Strategie des Mottos

3.3.3

Der Welttag des Migranten und Flüchtlings – Die Strategie der Worte

3.3.4

Der Welttag des Migranten und Flüchtlings – Die Strategie der Chance

3.3.5

Der Welttag des Migranten und Flüchtlings – Die Strategie des Bittens

3.3.6

Migration als soft power – Ein Zwischenfazit päpstlicher Migrationspolitik

4.

Der Papst macht Schlagzeilen – Ansprachen und Interviews in den Medien

4.1

Die Inszenierung in den deutschsprachigen Printmedien

4.2

Forschungsdesign

4.2.1

Kriterien für die Quellen- und Themenwahl

4.2.2

Vorgehen

4.3

Die Medien und das Angelusgebet: Unter dem Radar

4.4

Die Medien und die Papstaudienzen: Vor offenen und verschlossenen Pforten

4.5

Die Medien und der Missbrauchsskandal: Ein unberührbarer Papst?

4.6

Die Medien und die Papstreisen: Reisen machen Päpste

4.7

Die Medien und die Direktive: Auslegung päpstlicher Aufforderungen

5.

Kommunikationsstrategien und Wortmacht – Zwischenfazit

V.

Papstmacht

Literatur

Quellen Heiliger Stuhl

Vorwort

In den frühen Abendstunden des 27. März 2020 betrat Papst Franziskus während eines Regenschauers die überdachte Altarinsel des Petersplatzes. Der von Berninis Kolonnaden gerahmte Platz, der für gewöhnlich als Bühne des modernen Papsttums für Angelusgebete, Generalaudienzen und päpstliche Messen genutzt wird, war menschenleer. In scharfem Kontrast zu den üblichen Motiven einer versammelten, dem Papst zujubelnden Menschenmenge, zusammengesetzt aus fahnenschwenkenden Pilgergruppen und fotografierenden Touristen aus aller Herren Länder, stand Franziskus ohne die Masse allein und im Regen. Den Anlass für diese außergewöhnliche Form eines Papstevents ohne sichtbare Öffentlichkeit lieferte die durch das Virus SARS-CoV-2 ausgelöste globale Pandemie, die binnen kürzester Zeit auch den Vatikan erreicht hatte und auf die die italienische Staatsmacht nach anfänglicher Passivität mit Quarantäneverordnungen, Versammlungsbeschränkungen und Veranstaltungsverboten zu reagieren versuchte. Der Vatikan, der alle öffentlichen Events mit dem Papst vorläufig ausgesetzt hatte, stand nun vor der Herausforderung die verbliebenen Auftritte des Papstes in Rom ohne Publikum zu planen. Für das Papsttum ging es zunächst darum, die eigene Handlungs- und Kommunikationsfähigkeit in Krisenzeiten zu demonstrieren. Auf längere Sicht steht sogar die Papstmacht selbst auf dem Spiel.

Institutionell kann das Papsttum dabei auf seinen eigenen Medienapparat zurückgreifen, der insbesondere unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. kontinuierlich ausgebaut und um die Säule digitaler Medienpräsenz erweitert worden war. Da der Heilige Stuhl sich dazu entschieden hatte, den in Italien implementierten Regeln bezüglich Mindestabstand und Versammlungsobergrenzen Folge zu leisten, war die übliche Strategie einer Inszenierung der Masse bzw. einer unmittelbaren Kommunikation zwischen Papst und Gläubigen während der ersten Hochphase der Pandemie im Frühjahr/Sommer 2020 nicht mehr praktikabel. Der vatikanische Medienapparat versuchte dieser Krise mit einem Strategiewechsel zu begegnen: Die Notwendigkeit einer räumlichen Trennung von Papst und Gläubigen resultierte in dem Format päpstlicher Videobotschaften in denen Franziskus zur gewohnten Zeit von den Bühnenbildern des apostolischen Palastes aus öffentlich mit der Welt kommunizierte. Vom 8. März an wurde etwa das Format des allsonntäglichen Angelusgebets, bei dem der Papst für gewöhnlich vom Fenster seines Arbeitszimmers aus zu den Gläubigen spricht, mit ihnen gemeinsam betet und sich in Form von Appellen direkt an die Gläubigen sowie an Akteure aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wendet als Live-Videoansprache übertragen, um auf diese Weise die Inszenierung einer öffentlichen Veranstaltung mit dem Papst zumindest virtuell aufrecht zu erhalten. Dabei verzichtete der vatikanische Medienapparat zunächst darauf Bilder des menschenleeren Platzes zu zeigen.

In der Situation des gesellschaftlichen Ausnahmezustandes, in der es dem Papst nicht mehr möglich war Massen vor dem eigenen Fenster zu mobilisieren oder gar direkt mit den Gläubigen zu interagieren, reagierte der vatikanische Medienapparat schließlich mit der Kommunikationsstrategie einer Flucht nach vorne. Franziskus hatte sich dazu entschieden die Situation zum Vorteil seines Pontifikats zu nutzen, als er am 27. März den außerordentlichen Segen Urbi et Orbi vor dem Motiv eines menschenleeren Petersplatzes abhielt. Die Aufnahmen jenes Märzabends, in denen Franziskus in Dunkelheit und Regen zu einem leeren Platz spricht wirken wie aus einem Hollywoodfilm. Das Licht der im vorderen Bereich des Platzes befindlichen Straßenlaternen berührt den von Pfützen übersäten Boden; die im Regenschauer tänzelnden Blaulichter einiger wohl am Übergang zur Via della Conciliazione parkender Streifenwagen transportieren die Nässe des Kopfsteinpflasters in das verlassene Rund.

Drei Säulen waren es, die dieses Event zu einem Paradebeispiel moderner Papstmacht werden ließen: 1.) Die päpstlichen Kommunikationsakte; 2.) die mediale Inszenierung von Papst und der Leere und; 3.) die Narration einer Legion digitaler Gläubiger. Über Worte und Gesten schlüpfte der Papst in unterschiedliche Rollenbilder, hier die eines Bittstellers, der den Himmel mit Hilfe gleich zweier christlicher Ikonen im Namen aller Menschen um ein schnelles Ende der Pandemie bat; Franziskus’ Fürsorge umfasste dabei sowohl die Erkrankten und deren Angehörige als auch die im Gesundheitssystem tätigen Menschen, die sich dem unsichtbaren, aber sehr realen Risiko einer Ansteckung täglich ausgesetzt sahen. Der kommunizierte Inhalt wurde über die päpstliche Körpersprache ergänzt, die sich neben christlicher Symbolik von Segen und Verehrung auch sozialer Konventionen nonverbaler Kommunikation bediente; in einem zweiten Schritt konstituiert sich die Macht des Papstes über die mediale Inszenierung. Die ausgestrahlten Bilder der Liveübertragung erzeugten einen narrativen Dreiklang aus Papst, Platz und Ikonen. Franziskus wurde zum Bittsteller für eine Masse stilisiert, die zu ihrem eigenen Schutz zu Hause bleiben musste, während die Ikonen an eine christliche Tradition der Bitte um göttlichen Beistand in Krisenzeiten anzuknüpfen suchten. Die Massen, das waren nicht länger die sich auf den Platz drängenden Menschen, sondern potenziell alle, die sich zu Hause schützten und dem Event folgten. Die abwesende Masse selbst wurde dabei in doppelter Hinsicht repräsentiert, einmal über den leeren Platz und ein zweites Mal über die virtuellen Zuschauerzahlen auf den YouTube-Kanälen von Vatikan News. Das Publikum wurde zu Legionen digitaler Gläubiger.

Die vorliegende Dissertationsarbeit entstand im Rahmen des von der Deutschen Forschungs-Gemeinschaft (DFG) finanzierten Drittmittelprojekts »Legions of the Pope: A Case Study of Social and Political Transformations/Die Legionen des Papstes. Eine Fallstudie sozialer und politischer Transformation«, das seit Herbst 2015 am Centrum für Religion und Moderne (CRM) der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster unter Leitung von Prof. Dr. Mariano Barbato betrieben wurde. Erste Überlegungen hierzu entstanden im Anschluss an die, im März 2017 am Campo Santo Teutonico in Rom vom CRM und dem Römischen Institut der Görres-Gesellschaft, ausgerichtete Tagung Popes on the Rise! Mobilization, Media and the Political Power of the Modern Papacy/Der politische Aufstieg des modernen Papsttums: Mobilisierung, Medien und die Macht des Modern Papsttums. Mein Dank gilt meinen Betreuern und Gutachtern Prof. Dr. Mariano Barbato, Prof. Ph. D. Rebecca Pates und Prof. Dr. Daniel Göler für Ihre Geduld und Unterstützung. Danken möchte ich schließlich den Lektoren des Campus Verlags, Catharina Heppner und Jürgen Hotz, für ihre freundliche Betreuung und Unterstützung.

I.Papsttum und Moderne

»This is a man with a sense of timing. He lives not in the papal palace surrounded by courtiers but in a spare hostel surrounded by priests. He prays all the time, even while waiting for the dentist. He has retired the papal Mercedes in favor of a scuffed-up Ford Focus. No red shoes, no gilded cross, just an iron one around his neck.«1

Papst Franziskus ist eine Inszenierung. Die Geltungsmacht des Papsttums beruht zu weiten Teilen auf dem gezielten Einsatz zeitgenössischer Mittel perpetuierter öffentlicher Zurschaustellung von Autorität und Charisma: Die Wahl des Papstes hinter den für die Öffentlichkeit verschlossenen Türen durch das Konklave, ein Instrument zur Inszenierung ritualisierter Macht; der erste öffentliche Auftritt des neu gewählten Papstes vor der Kulisse des Petersplatzes, ein Mittel öffentlichkeitswirksamer Inszenierung ungeteilter Amtswürde; die Vielzahl apostolischer Auslandsreisen, Pilgerfahren und Papstbesuche, das stete Streben um eine Inszenierung der dem Papsttum zugeschriebenen Bedeutung in der Öffentlichkeit; das Zusammentreffen des Oberhauptes der Katholischen Kirche mit Pilgerinnen und Pilgern in Rom, an christlichen Gedenk- und Wallfahrtsstätten oder an Orten historisch-moralischer Tragweite, ein unentwegter Versuch der öffentlich sichtbaren Mobilisierung einer globalen Gefolgschaft der Gläubigen.2 Der Papst empfängt und besucht Staatsgäste, spricht vor Parlamenten, gibt öffentliche und private Audienzen, hält Ansprachen vor religiösen Würdenträgern sowie Vertretern aus Wirtschaft und Gesellschaft. All diese Inszenierungen sind Teil einer übergeordneten Strategie öffentlicher Kommunikation, durch die der Heiligen Stuhl, über die Veröffentlichung des Papstkörpers als die physische Repräsentation der Katholischen Kirche, auf religiöse, theologische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Diskurse – im Kontext der strukturellen Bedingungen des frühen 21. Jahrhunderts – einzuwirken versucht. Mittels der Aktivierung digitaler Kommunikationskanäle und deren Einbettung in die vorhandenen Strukturen päpstlicher Öffentlichkeitsarbeit, versucht das Papsttum gegenwärtig eine globale Öffentlichkeit der Menschen guten Willens anzusprechen und die eigene Diskursmacht jenseits konfessioneller Barrieren auszuweiten.

Strategische Kommunikationsakte sind ein zentraler Bestandteil der Inszenierung des modernen Papsttums und bestimmen maßgeblich die öffentliche Wahrnehmung eines Pontifikats. Als Oberhaupt der Katholischen Kirche hat sich Jorge Mario Bergoglio in der Wahl seiner Agenda, der Artikulation seiner Botschaften und der Darstellung seiner öffentlichen Auftritte für eine Strategie der Visualisierung von Bescheidenheit, Menschlichkeit und Nähe entschieden, die den Stellenwert des Papstes als mitunter politischen Akteur und die Bedeutung des Papsttums als relevante Diskursinstanz auch jenseits theologischer Debatten zu betonen versucht. Im vermeintlich scharfen Kontrast zum imperialen Purpur seines Amtsvorgängers Benedikt XVI. verzichtet die Bildsprache des Bergoglio-Pontifikats vornehmlich auf eine visuelle Zurschaustellung gottgewollter Autorität und tritt, den Narrationen der Papstliteratur und der internationalen Presse zufolge, sowohl auf vatikanischem Boden als auch bei seinen In- und Auslandsreisen, als Mann in Weiß auf die Bühnen globaler Öffentlichkeit. Hinzu kommt eine leicht zugängliche, von Metaphern3 geprägte und zumeist unkomplizierte Sprache, die auch in den offiziellen Übersetzungen des Heiligen Stuhls darauf abzielt, der päpstlichen Agenda einer Kirche der Armen verbal Glaubhaftigkeit zu verleihen. Es ist diesem öffentlichen Zusammenspiel von Amt und charismatischem Auftreten zu verdanken, das Franziskus in den ersten Jahren seines Pontifikats verstärkt als mediated persona,4 als Bezugsperson jenseits religiöser oder konfessioneller Diskurse, öffentlich wahrgenommen und in diesen – bis auf wenige Ausnahmen – überwiegend positiv konnotiert wurde. Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit stehen darum die Kommunikationsstrategien Papst Franziskus’, sein Umgang mit der Öffentlichkeit und den sich daraus ergebenden Folgen für das moderne Papsttum. Die Analysen der vatikanischen Kommunikationsarten und -kanäle sollen dabei helfen, die Macht des Papsttums zu Beginn des 21. Jahrhunderts für die Politikwissenschaft zu erschließen.

1.Kommunikation als Ressource päpstlicher Macht

Strategische Kommunikation ist eine Grundvoraussetzung politscher soft power.5 Für die Politikwissenschaft bieten die in dieser Arbeit angeführten Ansätze zur verbalen und nonverbalen Kommunikation die Möglichkeit, Formen öffentlich-repräsentativer Inszenierungen unter funktionalen Gesichtspunkten zu sondieren und als Ressource politischer Macht zu erschließen.6 Die Arbeit zielt also darauf ab, die Machtfrage des modernen Papsttums anhand der öffentlichen Inszenierung päpstlicher Kommunikationsakte zu beantworten. Auf welche Weise werden Sprache und Bild als Machtressource des modernen Papsttums eingesetzt? Welche Methoden der Inszenierung werden verwendet? Auf welche Weise werden Gläubige und Nichtgläubige als Empfänger angesprochen? Lässt sich eine kohärente Strategie verbaler und nonverbaler Kommunikation nachweisen? Schließlich soll die Frage beantwortet werden, auf welche digitalen Kommunikationspfade das Papsttum zurückgreift, beziehungsweise in welchem Maße es auf diese zum gegenwärtigen Zeitpunkt angewiesen ist.

Fragen bezüglich der Macht sozialer Kommunikation sind der Politikwissenschaft nicht unbekannt: Zurecht weißt Jürgen Habermas auf die Bedeutung der Sprache als Metainstitution hin, die soziales Handeln einerseits konstituiert, andererseits als Kommunikationskanal selbst zu einem Medium von sozialer Macht und institutionalisierter Herrschaft wird bzw. werden kann.7 Als solche ist sie für die Politik- und Sozialwissenschaften von besonderem Interesse. Denn im gesellschaftlichen Sprachspiel ist, so der verstorbene Philosoph Hans-Georg Gadamer, jeder dran »und immerfort am Zuge«.8 Aussetzen oder das Spiel sprachlicher Kommunikation zu verweigern sind keine echten Optionen. Nicht mitspielen zu können oder zu dürfen bedeutet, kein physisches Objekt und keine abstrakte Idee benennen oder beschreiben zu können.9

Während verbale Kommunikation zu einem institutionellen Bestandteil der gesellschaftlichen Ordnung wurde, stellen nonverbale Kommunikationsakte einen nicht unerheblichen Teil zwischenmenschlicher Face-to-Face Interaktion dar. Die Sichtbarkeit des menschlichen Körpers, dessen physische Beschaffenheit und der Vollzug intendierter wie unbeabsichtigter Bewegungen, kann für sich genommen bereits Kommunikation hervorbringen. Dies beginnt bei der Betrachtung des menschlichen Gesichtes, das über die Gesichtsmuskulatur detailliert Auskunft über den emotionalen Zustand der betreffenden Person geben kann. Expressive Gefühlszustände wie Angst, Heiterkeit oder Zorn können so auf einen Blick erkannt werden. Mehr noch, das Gesicht ist dazu imstande, Emotionen auf einen Betrachter zu übertragen oder eine bestimmte Art einer emotionalen Reaktion bei anderen zu erzeugen.10 Auch im Zusammenspiel mit verbalen Äußerungen kann die Mimik dazu verwendet werden, den propositionalen Aussagegehalt zu unterstützen. Beispielsweise kann eine ernste Miene, zusammengesetzt aus einem festen Blick (die Augenlieder leicht geschlossen, die Augen auf einen Punkt fixiert) und einem versteinert anmutenden Gesichtsausdruck (die Mundwinkel sind horizontal) dazu verwendet werden, die Ernsthaftigkeit eines parallel vorgebrachten verbalen Kommunikationsaktes visuell sichtbar zu verstärken. Je nach Bedarf lässt sich auf diese Weise die emotionale Verbundenheit des Senders kommunizieren oder aber der besondere Stellenwert der Kommunikationssituation bzw. des Sprechers noch einmal herausstellen. Der gezielte Einsatz der Mimik und ihre Inszenierung bietet also ein breites Spektrum öffentlicher Darstellungsformen.

Die Bewegungen der Arme, Hände und Finger sind wiederum besser für die Beschreibung abstrakter Sachverhalte geeignet.11 Neben der formalen Zeichensprache, einer Sonderform institutionalisierter Kommunikation der Hände (teils auch unter Einbeziehung des Gesichts), sind konventionelle Gesten imstande wortlos einfache Informationen und Emotionen zu transportieren. Wie das gesprochene Wort besitzen viele Gesten ein eigenes Set ihr zugehöriger Bedeutungen, die mit dem Vollzug der entsprechenden Hand-, Finger- und Körperbewegung assoziiert werden.12 Eine Körperbewegung oder -Haltung wird im Folgenden also nur dann als Geste bezeichnet, wenn es sich um einen Kommunikationsakt handelt, sie also aufgrund ihrer konkreten Ausführung und ihres Wiedererkennungswertes dem Betrachter als nonverbaler Kommunikationsakt auffällt und dabei Informationen zu kommunizieren vermag.13

Die vorgeschlagene Definition unterscheidet zwischen der Intention eines verbalen/nonverbalen Kommunikationsaktes und die der ausführenden Person. Ein Satz bzw. eine Geste kann eine Intention kommunizieren, ohne dass diese mit der ursprünglichen Intention der ausführenden Person übereinstimmen muss. So kann ein Lügner etwa Mimik und Gestik dazu nutzen seine Lüge zu verschleiern, während die nicht intendierte Körpersprache von sich aus Informationen kommunizieren und den Lügner als solchen entlarven kann. Ein nach oben gerichteter Daumen signalisiert auch dem nicht unmittelbar angesprochenen Betrachter einen Akt der Zustimmung, gleichwohl sich der vollständige Sinnzusammenhang erst durch zusätzliche Informationen über den ausführenden Akteur (Sender), die Zielgruppe (Empfänger), den Kontext oder eben über parallel vorgebrachte Äußerungen erschließt.

Die geschickte Abstimmung zwischen nonverbaler und verbaler Kommunikation dient somit der Minimierung von Informationsverlust bzw. fehlerhafter Interpretation seitens der Empfänger. Sich mitzuteilen heißt dabei immer eine bestimmte Absicht zu verfolgen, sei es eine Information zu teilen, etwas in Erfahrung zu bringen, eine bestimmte Reaktion auf Seiten des jeweiligen Empfängers zu erzeugen oder, wie im Falle des sogenannten Smalltalks, einfach nur zu interagieren. Mit dem Zusammenspiel von Mimik, Gestik und Sprache (Co-Speech-Gesture) lässt sich ein kommunizierter Inhalt kontextuell einordnen oder der emotionale Stellenwert beim Sender auch öffentlich betonen.14

Am Fallbeispiel der ersten sieben Jahre des Pontifikats Jorge Mario Bergoglios (Papst Franziskus) soll dabei der Frage nachgegangen werden, auf welche Weise das Papsttum mit der Öffentlichkeit kommuniziert und ob eine strategische Ausrichtung nachgewiesen werden kann. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den verbalen und nonverbalen Kommunikationsakten des Heiligen Stuhls und den Formen gezielter Inszenierung päpstlicher Kommunikationsakte in Bild und Schrift durch die vatikanischen Kommunikationskanäle.

2.Päpstliche Kommunikationsstrategie als charismatischer Anführer

Zu den hier vorgestellten originären Akten päpstlicher Kommunikation tritt deren medial vermittelte Inszenierung hinzu.15 Die These lautet, dass die päpstliche Kommunikationsstrategie des beginnenden 21. Jahrhunderts eine Strategie der visuellen und verbalen Repräsentation ihres Oberhauptes als charismatischer Anführer16 auf den säkularen und religiösen Bühnen der Welt ist. Solange es dem Papsttum gelingt in der Öffentlichkeit als diskursrelevanter Akteur im Kontext unterschiedlicher Themenbereiche regelmäßig in Erscheinung zu treten, kann es sich auch im Rahmen einer sich stetig transformierenden digitalen Medienkultur behaupten. Um im Kampf um öffentliche Aufmerksamkeit dauerhaft bestehen zu können, bedarf es aber des Refugiums eigener digitaler Trutzburgen, von denen die pontifikale Agenda ungefiltert kommuniziert und in passende Papst-Narrative gekleidet wird. Die Kommunikationsstrategie zielt darauf ab den Papst in der Rolle eines aktiven und gesprächsoffenen Kommunikators zu inszenieren.

Unter der Bezeichnung Kommunikationsstrategie werden zwei Dinge verstanden: Die strategische Erzeugung einer Narration des Papstes über wiederkehrende Akte verbaler wie nonverbaler Kommunikation sowie die strategische Reform der institutionellen Rahmenbedingungen des vatikanischen Medienapparates und seiner Kanäle. Es soll gezeigt werden, dass neben der Bedeutsamkeit der Bühne17 und dem propositionalen Inhalt, der als handelnder Akteur präsentierte Papst von entscheidender Bedeutung ist. Wie Jürgen Habermas vor dem Hintergrund des Sprachspiels Ludwig Wittgensteins zurecht kritisch bemerkt hat, wirken Sprache und Sprecher nie losgelöst voneinander, sondern in einer wechselseitigen Beziehung von Informationsgehalt und Persönlichkeit.18 In diesem Kontext scheint Papst Franziskus’ persönliche Interaktion mit der Öffentlichkeit und die mit ihr einhergehende Narration eines Papstes aller Menschen, augenscheinlich perfekt in das Zeitalter digitaler Kommunikation zu passen. Die ihm öffentlich weitgehend zugesprochene Popularität korrespondiert mit den zeitgenössischen, soziologischen Bedürfnissen nach Individualität, gepaart mit einer gewissen Skepsis gegenüber unpersönlichen, gesichtslosen Institutionen.19

Vergleichbare Äußerungen bezüglich der vermeintlichen Popularität des argentinisch-stämmigen Papstes finden sich in Beiträgen und Büchern, die sich mit der Person Jorge Mario Bergoglios und den ersten Jahren seines Pontifikats beschäftigen. Der Journalist Marco Politi eröffnet sein Buch Franziskus unter Wölfen etwa mit einer detaillierten Beschreibung des Alltages von Jorge Bergoglio zu seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires. Wiederholt betont er dessen bescheidenes Auftreten, das sich seiner Behauptung nach markant von der traditionellen erzbischöflichen Autorität unterscheidet.20 Paul Vallely verweist in Papst Franziskus – Vom Reaktionär zum Revolutionär auf die Bedeutung der physischen Nähe zwischen Franziskus und den Menschen als konstituierendes Element des bisherigen Pontifikats. In seiner exemplarischen Beschreibung des Verhaltens Jorge Bergoglios für den Zeitraum während und kurz nach seiner Wahl zum Papst, in der er auch auf die päpstliche Symbol- und Bildsprache eingeht, kommt Vallely zu dem Schluss, dass der erste öffentliche Auftritt des Papstes am 13. März 2013 als Vorbote einer Macht der Bescheidenheit verstanden werden kann.21 Dieselbe Erzählung eines nahbaren Papstes finden sich beispielsweise bei dem deutschen Journalisten Daniel Deckers, der in dessen Buch Papst Franziskus. Wider die Trägheit des Herzens den vermeintlichen Wechsel des päpstlichen Kleidungsstils zwischen Benedikt und Franziskus als Indiz eines menschennahen Papsttums heranzieht.22 Selbst entschieden papstkritische Bücher wie das im November 2017 unter dem Pseudonym Marcantonio Colonna zunächst auf Italienisch erschienene Il Papa Dittatore hoben die päpstliche Bildmacht als eine der bedeutsamsten Säulen pontifikaler Öffentlichkeitsarbeit bei Franziskus hervor.23

Die Frage, ob es sich in all den beschriebenen Papstnarrativen nicht um ein ausgeklügeltes Schauspiel zur Steigerung von Popularität handelt, wird meist nicht diskutiert. Demgegenüber gibt es in der gegenwärtigen Papstforschung ein gestiegenes Interesse am Zusammenspiel von Öffentlichkeit, Macht und Mobilisierung.24 Der Zeithistoriker René Schlott verweist etwa auf das symbiotische Verhältnis zwischen Papsttum und medialer Inszenierung, dass bereits während des Pontifikats Joseph Ratzingers zu erkennen war. Die Fixierung der journalistischen Berichterstattung auf Personalisierung spiegelt sich ihm zufolge in der öffentlichen Faszination für die Figur des Papstes wider.25

Mit der zunehmenden Verbreitung des Internets ging auch eine Diversifizierung der vatikanischen Kommunikationskanäle einher. Zu den klassischen Medien journalistischer Berichterstattung über Fernsehen, Radio und Printmedien, gesellen sich zunehmend digitale Nachrichtenportale und Blogging-Dienste. Dank Internetanschluss, der Entwicklung mobiler Endgeräte, einer Erhöhung der verfügbaren Bandbreite, der Datentransfer-Geschwindigkeit, erfolgt die digitale Echtzeitkommunikation nicht allein über das geschriebene und gesprochene Wort, sondern zunehmend auch über hochauflösende Audio-, Bild- und Videodateien bzw. Live-Übertragungen. Sowohl der Vatikan als auch die säkulare Presse versuchen mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten. 1995 ging die offizielle Homepage des Heiligen Stuhls zum ersten Mal online. Es folgten offizielle Kanäle von Radio Vatikan auf der Videoplattform YouTube (ab 2005), päpstliche Profile auf dem Kurznachrichtendienst Twitter (ab 2012) und schließlich ein Benutzer-Account von Papst Franziskus auf der Plattform Instagram (ab 2016). Hinzu kommen Aktivitäten des Vatikans auf Facebook, Google+ und Flickr. Besagter Trend zum digitalen Papsttum26 lässt den Schluss zu, dass sich das Papsttum dazu genötigt sieht, sich den gegenwärtigen Transformationsprozessen von Öffentlichkeit und Kommunikation anzupassen bzw. diese selbst mitzugestalten. In diesem Zusammenhang soll insbesondere der Frage nach der aktuellen Rolle digitaler Medien für die Inszenierung von Papst und Papstmacht nachgegangen werden, der bislang kaum Beachtung geschenkt wurde.27 Die Arbeit widmet sich den Strategien päpstlicher Kommunikationsakte und diskutiert, anhand politikwissenschaftlicher Grundbegriffe von Autorität, Charisma und Macht, den aktuellen Stand des Papsttums in einer noch jungen digitalen Öffentlichkeit.

3.Der päpstliche Leviathan als Modell politischer Macht

Die im folgenden Abschnitt vorgebrachten Überlegungen erfüllen zwei Funktionen: Sie fungieren erstens als eine kurze Einführung in die im vorangegangenen Abschnitt angesprochenen Theorien verbaler und nonverbaler Kommunikation. Zugunsten einer Beschreibung der für die Beantwortung der Forschungsfrage notwendigen Elemente besagter Theoriestränge wird dabei auf eine detaillierte Zusammenfassung verzichtet. Der Abschnitt dient zweitens als Anknüpfungspunkt zu dem philosophisch-politikwissenschaftlichen Unterbau der Arbeit. Die vorgestellten Überlegungen sollen den Stellenwert strategischer Kommunikationsakte für die politikwissenschaftliche Forschung erläutern.

Die theoretischen Überlegungen verstehen sich als Antwortversuch auf die von Otto Kallscheuer gestellte Frage nach der politischen Präsenz des Vatikans: »Gibt es nun vernünftige Gründe, die heute – 350 Jahre nach Hobbes’ Leviathan – dennoch für eine weitere politische Präsenz des Vatikans auf der Bühne der Weltpolitik sprechen?«28 Die Antwort lautet, ja. Als absoluter geistlicher Monarch entdeckte das Papsttum die postsäkulare Öffentlichkeit zunehmend als Machtinstrument für sich. Wie gezeigt werden soll geschieht dies über strategische Kommunikationsakte die den Papst als eine relevante themenübergreifende Diskurs-Instanz auf den Bühnen globaler Öffentlichkeit darzustellen versuchen und über eine Transformation des vatikanischen Medienapparates. Ausschlaggebend für das Überleben des päpstlichen Leviathan ist somit dessen Fähigkeit sich ohne die Mittel politischer hard power gegenüber anderen gesellschaftspolitischen Akteuren, den Staaten und internationalen Organisationen, als auch insbesondere im Kontext einer digitalen Kommunikationskultur, regelmäßig Gehör zu verschaffen, Teil öffentlicher Debatten zu werden und in den Diskursarenen zu überzeugen.29 Die Annahme lautet, dass es dem Papsttum als letztem verbliebenen Leviathan gelungen ist, sich, anders als dessen ikonisches Abbild des 17. Jahrhunderts, den Transformationsprozessen medialer Inszenierung und politischer Mobilisierung weitgehend anzupassen. Um diese Annahme zu überprüfen, gilt es zunächst eine grundlegende Frage zu beantworten: Was verbindet den Hobbesschen Leviathan mit dem modernen Papsttum? Was macht die Person Jorge Mario Bergoglio in dessen Rolle als Papst Franziskus zum Sinnbild eines päpstlichen Leviathan?

3.1Päpstlicher Leviathan: Macht und Mobilisierung

Kein Bild hat die westliche politische Philosophie und Staatstheorie derart geprägt und die Vorstellungskraft zu den juristischen Konzeptionen von Macht, Souveränität und Staatlichkeit auf eine ähnliche Weise beflügelt, wie das berühmte Frontispiz zu Thomas Hobbes’ Leviathan aus dem Jahr 1651. Die Vereinigung unterschiedlichster Repräsentationstypen – des politischen Körpers, des Schwertes und Stabes, von Masse und Volk um nur einige zu nennen – offenbarte die politische Macht des Bildes und die im Bild festgehaltene Macht des Politischen; im Vergleich dazu wirken zeitgenössische Darstellungen moderner politischer Institutionen wie die Pyramiden- oder Säulenmodelle politischer Lehrbücher statisch; geometrische Formen und Zeichensymbole haben die Fiktion des politischen Körpers ersetzt, wodurch die Masse an Bedeutung einbüßt und das Volk zumeist in Gestalt einer Silhouette jenseits der politischen Sphäre als Wähler in Erscheinung tritt; die zeitgenössische visuelle Abstraktion hatte die Macht des Bildes vergessen und das Zusammenspiel von Staat und Gesellschaft auf die Abbildung von Linien und Pfeilen reduziert; die Struktur einer hybriden politischen Entität wie die des modernen Papsttums, die, wie zuletzt Mariano Barbato und Stefan Heid gezeigt hatten die Öffentlichkeit sichtbar mobilisieren muss, lässt sich anhand der Hobbesschen Metapher des politischen Körpers erklären.

Den durch die Metapher gesetzten Rahmenbedingungen folgend, erhält der Hobbessche Leviathan seine äußere Form durch das Zusammenspiel zweier Bestandteile, namentlich von Körper und Haupt.30 Ein prominentes Beispiel für die theoretische Bezugnahme des politischen Körpers nach Thomas Hobbes auf das Papsttum wurde von dem Kunsthistoriker Horst Bredekamp vorgebracht. Am Beispiel eines vatikanischen Postkartenmotivs Papst Johannes Pauls II. zieht Bredekamp eine Parallele zwischen der bildlichen Herrschaftsrepräsentationsfunktion des Hobbesschen Leviathan und der Repräsentation päpstlicher Macht in der Moderne, verweist dabei jedoch auf einen seiner Meinung nach entscheidenden Unterschied:

»Dieser katholische Leviathan braucht keine zellenhaft seinen Leib ausfüllenden Gläubigen, weil die Architektur bereits als solche ein materielles Abstraktum des Gemeinschaftsbegriffes darstellt. Die Unbefangenheit, mit der das Oberhaupt des Katholizismus in die Pose des staatlichen sterblichen Gottes schlüpft, beruht auf einer anthropomorphen Auffassung der Kirche, die weiter zurückreicht als der Leviathan. Der Vatikan kann Hobbes Staatsemblem so unbefangen nutzen, weil dem corpus mysticum der Kirche gewi[ss] ist, die Geltung des im Leviathan Symbolisierten zu überdauern.«31

Folgt man Bredekamp, so konstituiert sich die Macht des modernen Papsttums ähnlich wie bei Hobbes über die Mobilisierung einer Gemeinschaft der Gläubigen. Aufbauend auf Bredekamp soll im Folgenden die Funktionalität eines päpstlichen Leviathan am Beispiel von Thomas Hobbes’ Metapher des politischen Körpers diskutiert und im Anschluss an die Forschungsfrage weiter ausgeführt werden.

Der Vorschlag, auf Basis der von Horst Bredekamp vorgebrachten Überlegungen zum Bildakt, die Bild- und Mobilisierungsmacht des modernen Papsttums anhand der fiktionalen Kräfte von Hobbes’ Leviathan für die Politikwissenschaft zu erschließen, wurde bereits von Mariano Barbato angeführt.32 Über die öffentlich sichtbare – und medial vermittelte – Mobilisierung der Pilger als zelebrierende Menschenmasse wird, Barbato zufolge, die Macht des modernen Papsttums in »eine politische Latenz [umgewandelt], die den politisch ungenutzt vorübergehenden Moment überdauern kann und in ihrer Aggregation strukturelle Transformationen anschiebt.«33 Der Preis dieser Repräsentationsmacht ist die Notwendigkeit die Massen immer wieder aufs Neue erfolgreich zu mobilisieren, um so dem Narrativ von öffentlichem Zuspruch gerecht werden zu können.34 Während Bredekamp zuzustimmen ist, der katholische Leviathan bedürfe nicht der direkten Darstellung eines aus den Gläubigen zusammengefügten Kompositkörpers, so ist die visuelle Repräsentation der Gläubigen als Bestandteil einer, den päpstlichen Leviathan umgebenden und mit ihm kommunizierenden Menschenmasse gegenwärtig von zentraler Bedeutung.35 So handelt es sich bei dem von Bredekamp angeführten Beispiel um ein Postkartenmotiv von Johannes Paul II., das den Papst in Gestalt eines Riesen oberhalb des Petersplatzes zeigt. Aufgrund der gewählten Perspektive der Supertotalen bleiben dem Betrachter die Details auf dem Platz weitgehend verborgen. Wie Bredekamp zurecht bemerkt sind die Gläubigen als sichtbare Glieder des Leviathan nicht Teil des Papstkörpers selbst, sondern sie sind diesem vorgelagert. Platz und Masse stehen mit dem Papst in Verbindung, da sie im übertragenen Sinn Teil des bildlich dargestellten Fundamentes des als übergroß porträtierten Körpers sind – wie bei dem Frontispiz so ragt auch das Portrait des Papstes ohne die Schranken einer äußeren Rahmung in den Himmel. Die Repräsentation päpstlicher Herrschaft erfolgt in diesem Fall also über die Visualisierung von einem Fundament bestehend aus Historizität (über die Architektur des Petersplatzes) und gegenwärtigem Zuspruch (über die Anwesenheit der Gläubigen).

Im Gegensatz zu der geteilten Funktion visueller Inszenierung zur Repräsentation von Herrschaft über die Fiktion des politischen Körpers, unterscheiden sich Papsttum und Leviathan v.a. hinsichtlich ihrer Darstellung der zu repräsentierenden Macht. Hobbes’ Leviathan ist allein eine Repräsentation seiner selbst, mit der Fiktion des alttestamentarischen Ungeheuers als Verkörperung der abstrakten Ideen des Gesellschaftsvertrages, demgegenüber das Papsttum darüber hinaus auch den Anspruch des alleinigen Vertreters Christi auf Erden erhebt und damit eine zusätzliche Repräsentationsfunktion erfüllt. Dies wird im Postkartenmotiv durch den Schriftzug »Jubilaeum 2000« deutlich kommuniziert. Die Ironie der Hobbesschen Herrschaftsmetapher liegt in dem Umstand, dass nichts über dem Leviathan steht – unter Ausnahme der Möglichkeit weiterer Herrschaftsgebilde, mit denen er auf Augenhöhe in diplomatischen Kontakt steht und interagieren kann –, während das Papsttum immer auch auf die Nachfolge Jesus Christus nach Petrus und Gott als den Allmächtigen verweist. Dieser Anspruch wird über die Darstellung päpstlicher Insignien, Kleidung und Gesten nonverbal repräsentiert.

Die hinter dem Bildakt des Leviathan verborgene visuelle Strategie des Frontispiz der ursprünglichen englischsprachigen Erstauflage wurde von Horst Bredekamp bereits ausführlich herausgearbeitet. In Thomas Hobbes – Visuelle Strategien36 plädiert er dafür, die Darstellung des unsterblichen Gottes als ein visuelles Vorwort selbst zu interpretieren, das den Leser die Ordnung des politischen Körpers im Augenblick des abgeschlossenen Gesellschaftsvertrags bildhaft vor Augen führt. Die Mobilisierung erfolgt dabei über die Wirkmacht von Blick und Blickrichtung:

»Der Blick, den die Menschen von allen Standorten aus auf den Kopf des Riesen richten, kehrt über dessen Augen zum Betrachter zurück, der die Froschperspektive der Rückenfiguren nachzuvollziehen sucht und zugleich auf Augenhöhe des Souveräns von diesem direkt angesprochen wird. Der widersprüchliche Charakter des Staatskörpers, Produkt der Menschen zu sein, die sich ihm unterwerfen, äußert sich bereits im Wechselspiel der Blickformen zwischen den Bürgern, dem Leviathan und dem Betrachter.«37

Diese visuelle Genese des politischen Körpers auf dem Frontispiz, in Form einer nonverbal kommunizierten Appellation des Hauptes an den Betrachter, der durch den Blick auf den Kopf des Leviathan zu einem Proto-Bestandteil der mobilisierten Masse wird und damit den politischen Körper über den Bildakt selbst mit konstituiert, findet ihr Gegenstück in den visuellen Mobilisierungsstrategien des modernen Papsttums. Die Päpste selbst werden zu Betrachtern von Öffentlichkeit, während sie zugleich immer selbst Objekte von Öffentlichkeit sind. Das dadurch entstehende fiktive Wechselspiel der Blicke bedient sich dabei gleichsam der Autorität des Amtes und dem Charisma des Amtsträgers; über den Bildakt des Blickes kommuniziert das Papsttum seinen Anspruch, zu der ihn betrachtenden Öffentlichkeit sprechen zu können, um sich auf diese Weise Diskursarenen zu erschließen bzw. zu erhalten. In den Medien zeigt sich dies v.a. darin, dass dem Papst bestimmte Eigenschaften, Narrative und Rollen zugesprochen bzw. Erwartungshaltungen an ihn gerichtet werden, wie z.B. bei der Reise Papst Franziskus’ nach Myanmar im Jahr 2019, die in den Medien bereits im Vorfeld ganz im Zeichen eines politisch-diplomatischen Papsttums stand.

Dem Kompositcharakter liegt auch ein normatives Verständnis von Gemeinschaft und Gemeinwohl vor. Indem Hobbes den Leviathan aus der Gesellschaft zusammensetzt und dem Gesamtkörper die Schutzfunktion als oberste Aufgabe zuordnet, trägt die Inszenierung als Körper zur Narration einer homogenisierten Gesamtgesellschaft bei. Dieselbe Inszenierung findet sich auch bei der Katholischen Kirche, die darum bemüht ist, die multinationale Masse der Gläubigen als eine Gesamtgesellschaft der Menschheit abzubilden. Dabei ist die Inszenierung des Papsttums dem Frontispiz zumindest einen Schritt voraus. Wie auf dem Postkartenmotiv zum Jubilaeum 2000 exemplifiziert, inszeniert sich das Papsttum über eigene Bühnenbilder, während der Hobbessche Leviathan seinem biblischen Namensvetter nach sich aus dem Meer erhebt und keine persönliche Beziehung zu der abgebildeten Landschaft oder den Menschen zu haben scheint; Hobbes’ Bildakt repräsentiert einen ungeteilten Herrschaftsanspruch und ein auf Autorität ausgerichtetes Verständnis von Souveränität; sein Leviathan benötigt keine Bühne, denn sein Stück spielt einzig und allein in dem von ihm juristisch beanspruchtem Territorium, über das er sich erhebt; demgegenüber rückt das Papsttum die Bühne in den visuellen Vordergrund, auf der es christliche Territorialität über die mobilisierten Gläubigen erzeugt. Im Bildakt der Massenmobilisierung werden die Kathedralen, Kirchen, Pilgerstätten und Parlamente zu Orten, über deren Bedeutung das Papsttum sich selbst und die Masse in verschiedene Rollen schlüpfen lässt und sich entsprechend vielfältig verbal äußern kann; durch das reisende Papsttum werden die besuchten Veranstaltungsorte zu quasi extraterritorialen Gebieten des Heiligen Stuhls.

Neben dem Körper ist es jedoch das Haupt, dass der Fiktion einer politischen Entität erst die notwendige Geltungskraft verleiht. Das Haupt entspricht dem physischen Abbild der Person des lebendigen Herrschers. Dieser ist der Kopf, der bei Hobbes »im Gegensatz zu Korpus und Gliedmaßen von Bürgern frei geblieben war«,38 also mit der Masse des Körpers einerseits verbunden, andererseits von dieser getrennt war. Er symbolisiert die temporäre Entscheidungsinstanz, das sichtbare und zugleich einzig individuelle Element des Staatskörpermotivs, dem sich die Öffentlichkeit als Orientierungspunkt zuwendet, um schließlich durch den Akt der Zuwendung selbst Teil seiner Inszenierung von Amt und Würde zu werden. Entsprechend funktioniert der aus der Epoche des Absolutismus stammende Spruch, der König ist tot, lang lebe der König39 nur durch eben jene Differenzierung von Amt und Amtsträgern. Jedoch darf diese Trennung nicht komplett vollzogen werden, da dies den Hobbesschen Leviathan zu entkernen und damit zu Fall zu bringen droht. Vielmehr müssen Hilfsfiktionen von Macht hinzugezogen werden, wie die der Autorität, des Charismas oder des Rituals, um die persona ficta,40 das funktionierende öffentliche Schauspiel, stetig aufs Neue aufführen zu können, wobei die Art der Inszenierung nicht entgegen der zeitgenössischen und kulturellen Konzeptionen von Öffentlichkeit und öffentlicher Kommunikation ausgerichtet sein sollte. Ein Publikum wird das Schauspiel der Macht nur dann würdigen, wenn die zu beobachtende Rolle41 bestimmte Erwartungen erfüllt, das Stück ohne größere Zwischenfälle aufgeführt wird und die Schauspieler ihre Rollen darüber hinaus auch glaubhaft zu verkörpern wissen. Wie bei Hobbes steht das Haupt der Person, hier das Gesicht des Pontifikats, im Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit. Es gibt der Fiktion seine äußere Gestalt und beeinflusst die Mobilisierungsfähigkeit und die Außenwirkung des Leviathan. So heißt es bei Hobbes: »Wer diese Person verkörpert, wird Souverän genannt und besitzt, wie man sagt, höchste Gewalt, und jeder andere daneben ist sein Untertan.«42 Indem eine Person – beziehungsweise je nach Regierungsform auch eine Personengruppe – zum Oberhaupt eines politischen Körpers wird, werden dem Hobbesschen Leviathan personenbezogene Charakteristika übertragen, die sich mit den Normen und Gesetzen des bestehenden Körpers vereinen müssen.43 Darin liegt eine wichtige Gemeinsamkeit: Wie bei Hobbes, so kann das Papsttum nicht ohne den Blickfang des Hauptes als vermeintlich sichtbares Indiz der Funktionsfähigkeit des Kompositkörpers und seiner Versprechen gedacht werden.

Diese Übertragungsleistung wird durch die Gesellschaft fortgeführt, die sich parallel auf Institution (Amt) und Personen (Charisma) stützt. In der Hobbesschen Metapher beeinflusst das sterbliche Gesicht die Zusammensetzung des fortbestehenden Körpers, indem es in Interaktion mit der Umwelt bzw. seinen Gliedern tritt und zu diesem Zweck mit seinem (un-)eigenen Körper der Anhänger und Untertanen kommunizieren muss, diese als Empfänger verbaler- und nonverbaler Handlungen anspricht, sie zu kategorisieren imstande ist und sich dieser damit als Machtressource (als Staatsbürger oder Gläubige) bedienen kann. Während sich die Art und Weise der Kommunikation bei Hobbes je nach der Zusammensetzung von Regierungsform und Regierenden verändern und die Beschaffenheit der Kommunikationskanäle die Interaktionen zwischen Haupt und Körper beeinflussen kann, sind Kommunikationsakte an sich für das Überleben des päpstlichen Leviathan in der Moderne unvermeidlich. So identifiziert der Historiker John Pollard die Verehrung der Person des Papstes durch die Gemeinschaft der Gläubigen als einen der wohl entscheidendsten Gründe für den Wiederaufstieg des Vatikans in der Moderne.44 Wie die vorliegende Arbeit zu zeigen versucht, hat sich eine Kommunikationsstrategie der Inszenierung des Papstes nunmehr auch auf die Öffentlichkeit der Nicht-Christen ausgeweitet.

3.2Päpstlicher Leviathan: Macht und Inszenierung

Was den Leviathan des modernen Papsttums von seinem historischen Idealtypus strukturell unterscheidet ist zunächst die bereits oben angedeutete Komposition seines Körpers und das ihm damit zur Verfügung stehende Gewaltmonopol. Während die den Leviathan konstituierenden Personen auf dem Frontispiz nicht mit- und untereinander verschränkt sind,45 stellt dessen politischer Körper eine geordnete Kommunikation zwischen sich und seinen Gliedern als Untertanen erst her. Demgegenüber sind die Gläubigen bereits in die Strukturen moderner Staatlichkeit jenseits von Kirche und Vatikan eingebunden. Auch im Umgang mit seinen Gliedern gibt es markante Unterschiede. Nicht länger bedient sich das Haupt allein einer Repräsentation majestätischer Autorität und zeremonieller Ordnung, sondern es verwendet darüber hinaus zeitgenössische Inszenierungstechniken des politischen Körpers.46 Der Leviathan des modernen Papsttums vereint somit die juristische Körperhaftigkeit im Verständnis der klassischen Staatsphilosophie, mit einem öffentlichen Schauspiel verbaler- und nonverbaler Kommunikation zur Inszenierung seiner selbst und der ihn umgebenden Gläubigen. Wie das Ballett Royal Ludwigs XIV. ist die Aufführung des modernen Papsttums auf den Fixpunkt des Souveräns ausgerichtet. Doch im Gegensatz zum Sonnenkönig setzt sich das partizipierende Publikum nicht länger primär aus Adel, Klerus, Ministern und Höflingen zusammen, die sich in der Abgeschiedenheit des königlichen Hofes auf minutiös abgesteckten Pfaden im Takt um den zur Sonne stilisierten und zur Musik tänzelnden Monarchen herum bewegen, sondern aus Gläubigen, Pilgern, Anwohnern, Touristen oder spezifischen Personengruppen – Ältere, Gefängnisinsassen, Jugendliche, Obdachlose und Flüchtlinge –, die dem Papst vor Ort oder eben vor dem Bildschirm während seines Balletts der Barmherzigkeit verfolgen und in Form von Gebet, dem Spiel mit den Kameras und durch ihre bloße Teilnahme daran zu unterschiedlichen Graden partizipieren. Diese Macht der inszenierten Partizipation transformiert die Gläubigen zu »öffentlichen Beamten« die, im Augenblick der Kommunikation mit dem Papst, kurz in die Rolle der »Vizekönige und Gouverneure« schlüpfen, um so öffentlich zu »den Sehnen und Flechsen [zu werden], die die verschiedenen Glieder eines natürlichen Körpers in Bewegung setzen«.47

Der wohl markanteste Unterschied zu Hobbes politischem Körper ist dabei die Art der Inszenierung des Gewaltmonopols in Bild- und Zeichensprache. Hält die bildliche Darstellung des Leviathan auf der Frontispiz-Seite der Ausgabe von 1651 demonstrativ Schwert und Hirtenstab als eindeutiges Indiz eines ungeteilten und uneingeschränkten Herrschaftsanspruchs fest in seinen Händen, bedient sich das moderne Papsttum einer Bildsprache symbolischer soft power.48 Der Verlust des Schwertes als Ikone säkularer Herrschaft ist für die Transformation des Papsttums von zentraler Bedeutung. Als juristische Metapher des römischen Rechts bezeichneten die Formulierungen ius gladii und potestas gladii das Recht bzw. die Autorität verurteilte Straftäter zu exekutieren.49 Außerhalb der römischen Rechtsprechung fand die Schwert-Metapher über die Hinrichtung christlicher Märtyrer und über den späteren Aufstieg des Christentums zur Staatsreligion des Spätrömischen Reiches auch Einzug in die Theologie und Herrschaftsikonografie. Die Bezeichnung des unter dem Schwert seins entwickelte sich schließlich zu einer von Christen verwendeten Metapher der Gefolgschaft zu Gott und Kaiser.50 Nachdem dem Papsttum das Schwert entrissen wurde, bediente es sich der freigewordenen Hände seines Oberhauptes. Nicht das Schwert als Repräsentation physischer Herrschaftsgewalt, sondern die dem Haupt zugehörigen Hände selbst wurden zum strategischen Element päpstlicher Kommunikation.

Ein belastbares Beispiel für die Entwicklung des Status’ als politische Macht bietet ein Blick auf die diplomatischen Beziehungen des Heiligen Stuhls. Zwar bewahrte sich das Papsttum im westfälischen Zeitalter sein ständiges Gesandtschaftswesen und damit ein eigenständiges diplomatisches Netzwerk zu den aufstrebenden europäischen Mächten der Zeit – unter der prominenten Ausnahme Russlands –, doch gelang es dem Papsttum des 18. und 19. Jahrhunderts nicht, den zwischenzeitlichen politischen Abstieg zu verhindern. So markiert der Tod Pius’ VI. in französischer Gefangenschaft 1799 und die anschließende mehrmonatige Sedis Vakanz einen vorläufigen machtpolitischen Tiefpunkt. Anders als den meisten europäischen Regional- und Großmächten war es dem Papsttum nicht gelungen ein Gegenmodell zu den aufkeimenden nationalen Identitäten zu entwickeln, die, wie im Falle der italienischen Staatsgründung, die eigene territoriale Hoheit bedrohten. So führt der Politologe Mariano Barbato den Abstieg des Papsttums unter anderem auch auf dessen nicht länger zeitgemäßes Selbstverständnis als moralisches Vorbild zurück, an dem sich weltliche Herrscher zu orientieren hätten: »Ein idealer Modellstaat aber ist kein realpolitischer Machtstaat;«51

Mit der Besetzung des Kirchenstaates durch die Truppen des italienischen Königs Viktor Emanuel II. im Jahr 1870 wurde das Papsttum politisch entmachtet und der Kirchenstaat formal aufgelöst. Der Papst verschwand indes nicht von der weltpolitischen Bühne. Das Gesetz des italienischen Staates über die Vorrechte des Papstes und des Heiligen Stuhls und über das Verhältnis des Staates zur Kirche (Garantiegesetz), ließ das Recht des Papstes diplomatische Gesandte zu empfangen, bzw. eigene diplomatische Vertreter zu benennen und zu entsenden unangetastet.52 Auf diese Weise konnte der Heilige Stuhl auch für die Zeit der sog. Römischen Frage zwischen italienischer Staatsgründung und dem Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien (Lateran-Verträge, 1929) eigenständig diplomatische Beziehungen unterhalten.53

Der oben angedeutete Verlust des Schwertes weltlicher Macht führte auch zu einer Anpassung der öffentlichen Inszenierung der Päpste, deren größte Herausforderung nun darin bestand, sich einerseits den politischen Rahmenbedingungen anzupassen, andererseits den eigenen Anspruch moralischer Autorität in der Moderne möglichst aufrechtzuerhalten. Ein geeignetes Beispiel ist die schrittweise Abkehr der öffentlichen Zurschaustellung der Papstkrone als machtpolitisches Repräsentationsinstrument des Papsttums. Paul VI. verzichtete darauf die Tiara zu tragen, Johannes Paul I. auf eine zeremonielle Papstkrönung. Seit Benedikt XVI. ist die Tiara nicht länger Bestandteil des persönlichen Papstwappens.54 Durch diese schrittweise Veränderung der öffentlichen Repräsentation päpstlicher Autorität im postsäkularem Zeitalter fand die Fiktion päpstlicher Herrschaftsikonen ihren vermeintlichen Endpunkt: »Mit dem langsamen Verschwinden der Tiara aus der päpstlichen Symbolsprache scheint der globale und zwischenstaatliche Machtanspruch zu verblassen«.55 Ein anderes Beispiel findet sich in der Transformation der Inszenierung des Papsttodes, von einem geheimen Trauerzug hin zu einem öffentlichen Event unter Anwesenheit politischer Würdenträger.56 Diese Beispiele belegen, dass das Papsttum durchaus dazu imstande ist, die strategische Inszenierung den Bedingungen von Öffentlichkeit und den damit einhergehenden Transformationen von Macht erfolgreich anzupassen. Die öffentliche Inszenierung des Papstes gehört zum festen Repertoire moderner Papstmacht.

Wie im empirischen Part gezeigt wird, gehen christlicher Ritus und säkulare Werbung im Falle des Bergoglio-Pontifikats Hand in Hand. Zu den zeremoniellen Papstgesten gesellen sich vermehrt nichtreligiöse, mit Bedeutung aufgeladene und für ein säkulares Publikum leicht verständliche Handzeichen. Gleiches gilt für die nonverbale Kommunikation des Papstes durch die Darstellung der Ferula. Als eine dem Papst vorbehaltene Insignie eignet sich der Kreuzstab auch unter dem Gesichtspunkt des hohen Widererkennungswertes als Repräsentation päpstlicher Amtswürde. Der vergleichsweise geringe Anteil an Abbildungen von Papst Franziskus unter Einbeziehung der Ferula lässt den Heiligen Vater ohne eine materielle Repräsentation von Herrschaftsgewalt im traditionellen Sinn zurück. Kurz: Wenn Papst Franziskus auf bildlichen Darstellungen nicht gerade den Segen spendet, umarmt er Menschen jeder Altersgruppe, streichelt Kriegsflüchtlingen über die Wange, küsst kleinen Kindern die Stirn und winkt den Massen der Gläubigen als Zeichen der Begrüßung wohlwollend zu. In der Inszenierung seiner selbst bedient sich das Papsttum gezielt gesellschaftlich vertrauter Gesten als Instrument öffentlicher Kommunikation. Der weitgehende Verzicht auf den Stab als repräsentatives Stilmittel von Autorität gestattet es dem päpstlichen Leviathan sich seiner Hände als eigenständige Kommunikationsmedien zu bedienen, wodurch die Gesten die Darstellungsfunktion von Herrschaftsgewalt übernehmen. Der weitgehende Transfer nonverbaler päpstlicher Kommunikation von dem Hirtenstab bis zu den Händen geht mit einem verstärkten Fokus auf die ausführende Person einher. Nicht länger ist das Tragen eines Gegenstandes das primäre Mittel zur Inszenierung von Macht. Mittels des gezielten Einsatzes von Gesten geht die Würde des Amtes verstärkt auf die Person des Amtsträgers über.

Neben der Sprache der Hände ist es die Sprache des Gesichtes, die dem päpstlichen Leviathan die Kommunikation mit der Umwelt erst ermöglicht. Die mediale Interpretation der Verfassung des Papsttums spiegelt sich in der fotographisch in Szene gesetzten Mimik seines Hauptes wider. Der öffentliche Eindruck ist entscheidend und wie gezeigt werden soll, ist das Papsttum sichtlich darum bemüht, diesen durch eine Bilderflut möglichst positiv darzustellen. Als physische Repräsentation des Papsttums hat die Bedeutung bildlicher Darstellungen des Gesichtes Papst Franziskus’ seitens des Heiligen Stuhls einen markanten quantitativen Anstieg im Vergleich zu den vorangegangenen Pontifikaten erfahren. Von der Blickrichtung der Augen, über die Krümmung der Mundwinkel bis hin zum Faltenwurf der Gesichtsmuskulatur bleibt dem Betrachter kaum ein Detail verborgen. Die technischen Entwicklungen der Digitalfotografie verkürzen die wahrgenommene Entfernung zwischen Kameraobjektiv und dem abzulichtenden Objekt. Die Inszenierung des Papsttums ist somit auch eine Visualisierung mutmaßlicher Nähe und damit vermeintlicher emotionaler Verbundenheit zwischen Papstfoto und Betrachter. Im Gegensatz zu Hobbes konstituiert sich der Körper des päpstlichen Leviathan dabei durch die Zurschaustellung von Menschlichkeit. Um handlungsfähig zu bleiben ist sein überdauernder Körper auf das sterbliche Haupt als dessen Orientierungspunkt angewiesen. Wie seine Vorgänger ist Franziskus dabei zugleich Postkartenmotiv und weltpolitischer Akteur, dessen Rang und Namen in den öffentlichen Medien noch immer Bedeutung beigemessen wird.

Die gegenwärtige Visualisierungsstrategie zur Inszenierung eines politischen Papsttums steht dabei in der Tradition der Aktivierung politischer Bühnen auf nationaler und internationaler Ebene in Form päpstlicher Ansprachen. Als prominentes Bühnenbild des politischen Papsttums unterstreicht die repräsentative Kraft des Parlamentes – dargestellt über Symbole nationalstaatlicher Souveränität – den Status des Heiligen Stuhls als Völkerrechtssubjekt und damit die politische Autorität des Papstes. Die anwesenden, demokratisch gewählten Parlamentarier, Staats- und Regierungschefs oder sonstigen Delegierten werden kurzzeitig zu stummen Betrachtern des sprechenden päpstlichen Leviathan: »Für den Moment der Rede durchbricht das Haupt des Papstes als parlamentarischer Rhetor den Leib des Leviathans. Der Papst versammelt nicht nur eine Masse um sich, um den öffentlichen Raum zu besetzen; die Delegierten des demokratisch legitimierten Leviathans versammeln sich um sein Rednerpult.«57 Mehr noch, in seiner Funktion als visuell sichtbares Sprachrohr politischer Inhalte, projiziert das säkulare parlamentarische Rednerpult, im Augenblick der Ansprache, das Motiv eines Papstes in der Politik; Pult und Parlament produzieren Bilder eines politisch aktiven Papsttums.58

Die Beispiele sind zahlreich: Als erster Papst sprach Paul VI. am 4. Oktober 1965 bei den Vereinten Nationen zu den Vertretern der Staatengemeinschaft; die erste Reise Johannes Pauls II. nach Polen (02.–10.06.1979) demonstrierte – trotz staatlicher Kontrolle der medialen Berichterstattung – die Mobilisierungsfähigkeit von Papst und Zivilgesellschaft59 und noch im selben Jahr sprach der Papst vor der UN-Vollversammlung (02.10.1979);60 auch Benedikt XVI. nutze die politischen Bühnen der UN (18.04.2008),61 sowie die politischen Arenen von Westminster Hall (17.09.2010)62 und des Deutschen Bundestags (22.11.2011);63 Franziskus sprach in seinen ersten Amtsjahren u.a. vor dem Europaparlament und dem Europarat (25.11.2014),64 vor dem Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika (24.09.2015)65 und, wie seine Vorgänger, vor den Vereinten Nationen in New York (25.09.2015).66

Die nonverbale Kommunikation der Augen ist ein weiterer ausschlaggebender Faktor für den dauerhaften Zusammenhalt des bei Hobbes konstituierten Kompositkörpers. Dessen Blicke fixieren den Betrachter, wodurch dieser selbst zu einem Teil der Bildkomposition und damit der übergeordneten Fiktion eines zusammengesetzten politischen Körpers wird. Sein entfernter Verwandter, der päpstliche Leviathan, bedient sich einer vergleichbaren Bildsprache, indem der Papst über den Rahmen von Bildinhalt und Bildkomposition hinaus direkt zu den Menschen zu sprechen versucht. Die Inszenierung des ›sich angesprochen fühlens‹, zusammen mit der Kommunikation von Autorität und Charisma, ist Teil einer Strategie, den fiktionalen Körper des Leviathan durch Personen zu stärken, die nicht bereits Teil der sichtbaren Körper-Masse der Gläubigen sind.

Während Hobbes’ Leviathan auf den Erhalt seines Körpers angewiesen ist und zugleich keinerlei normierenden Einfluss auf Personen außerhalb seiner Entität (als Symbol der Grenze zum rechtsfreien Raum) besitzt, funktioniert das Papsttum der Moderne über die Elemente von Sichtbarkeit, Öffentlichkeit und Zuspruch. Im Falle der ersten Jahre des Bergoglio-Pontifikats wurde v.a. eine Inszenierung angewendet, durch die Franziskus vermeintlich zu den Menschen außerhalb des katholischen Geltungsbereiches zu sprechen scheint. Die Legionen des päpstlichen Leviathan sind der Strategie des modernen Papsttums entsprechend sowohl die in Bild und Video manifestierten Massen der Gläubigen und Interessierten, als auch die mit ihm kommunizierenden Individuen. Die Fähigkeit diese Visualisierung regelmäßig und öffentlich zu kommunizieren ist zugleich Wirkung und Ressource päpstlicher Macht. Die Haltung der Hände wirkt als repräsentatives Element von Öffentlichkeit auf die ihn umgebenden Personen, die ihrerseits sichtbar nicht Bestandteil seines Körpers sind. Neben der Konstruktion ungeteilter und absoluter Herrschaft, verweist Thomas Hobbes’ bildliche Darstellung eines zeithistorischen Idealtypus des body politic auf ein wesentliches Element der gegenwärtigen politikwissenschaftlichen Debatte: Die strategische Kommunikation politischer Akteure und Institutionen.

Die monarchische Autorität und Diskursmacht fußen schließlich auch auf der erfolgreichen visuellen Repräsentation einer historisch gewachsenen Kontinuität von Amt und Amtsträger. Längst ziert das Haupt des Kirchenoberhauptes nicht mehr allein eine Vielzahl von Merchandise-Produkten, wie etwa die bildlichen Ikonen der Postkartenmotive, Kalender, Teller oder T-Shirts.67 Auch die digitalen Bühnen globalen Gesehen-Werdens werden im Wettstreit um stete Re-Visualisierung zugeschriebener Autorität und damit um medial zugesprochene Relevanz, auch jenseits der Grenzen religiöser oder kirchlicher Themenbereiche, durch das moderne Papsttum verstärkt genutzt. Letzteres ist, so konstatiert der Politikwissenschaftlicher Timothy Byrnes zutreffend, zu einer Art »Megaphon« der öffentlichen Inszenierung geworden. Als allsichtbares Haupt der Katholischen Kirche, des Vatikans und des Heiligen Stuhls, verfügt der Papst über einen hohen Wiederkennungswert und wird dementsprechend zu einer »globalen Medienfigur« stilisiert.68 So wie das Frontispiz »weniger einem Verstehen der Repräsentation [dient] als vielmehr ihrer performativen Erzeugung«,69 so dienen die seitens des Heiligen Stuhls verbreiteten Papstmotive der Erschaffung positiv konnotierter Narrationen.

3.3Päpstlicher Leviathan: Macht und Körper

Thomas Hobbes Fiktion70 eines hybriden Staatskörpers, halb haptische Person des lebendigen Souveräns (corona visibilis),71 halb metaphysische Konstruktion perpetuierender Herrschaft (corona invisibilis),72 ist ein Fokalpunkt der politischen Theorie zur Analyse und Evaluation frühneuzeitlicher Souveränität und Staatlichkeit.73 Die Metapher eines corpus mysticum – der zusammen mit dem physischen Körper des oder der Herrscher das Haupt des politischen Körpers konstruiert – fußt auf der Rechtsvorstellung, aus allen derzeitigen, vergangenen und zukünftigen Mitgliedern einer Gesellschaft ein Kollektiv als Person bilden zu können.74 Über die Genealogie des corpus mysticum als Herrschafts-Metapher beschrieb Ernst Kantorowicz in Die zwei Körper des Königs die Transformation des Politischen hin zur Permanenz des Staates.75 Konkret verwies er dabei auf die Rolle der Kirche:

»Die Idee des corpus mysticum wurde unleugbar auf die politischen Körper angewandt. […] In der frühen Phase hatte die Verehrung der patria einen im weiterem Sinne religiösen Ursprung; ihr Antrieb lag darin, da[ss] zu einem bestimmten geschichtlichen Zeitpunkt der Staat als ein der Kirche vergleichbares corpus mysticum erschien.«76

Der Historiker und Politikwissenschaftler Quentin Skinner führte die von Ernst Kantorowicz skizzierte Genealogie von Herrschaft auch am Beispiel von Thomas Hobbes Leviathan fort und verwies auf eine doppelte Repräsentationsleistung. Durch die Fiktion des Gesellschaftsvertrags werden ihm zufolge, über die Konstruktion des Leviathan, zwei juristische Personen erzeugt: Neben dem Souverän als Inhaber der ihm übertragenen Autorität, sei dies bei Hobbes’ Leviathan die juristische Person des Commonwealth bzw. Civitas, State.77 Hobbes Differenzierung des Körpers ist also dreigeteilt in den Souverän als Oberhaupt, das Commonwealth als Fiktion der Repräsentation der geeinten Menge und den Bürgern selbst, wobei allein das Commonwealth vermeintlich ewig währt, während Haupt und Menge sterblich sind.78 Übertragen auf das Papsttum ist das Commonwealth mit der Mobilisierungsfähigkeit des Papstes als Oberhaupt gleichzusetzen. Der Bezeichnung Commonwealth haftet ein moralischer Anspruch von Herrschaft an, dem der Souverän gerecht werden muss, um nicht ausgetauscht zu werden; Commonwealth verweist im direkten Wortsinn ferner auch auf die Fiktion einer dauerhaft normierten Gemeinschaft. Dies kommt der Idee des Pilgers nahe. Das geteilte Erlebnis des ›Unterwegsseins‹ und des› sich an einem Ort Versammelns‹ kann zu einer Identitätsstiftung beitragen, durch die sich der Gläubige als Teil einer Gemeinschaft versteht, die durch die Pilgerschaft eine sichtbare Form erhält.79

Der Leviathan ist bei Hobbes der Archetyp eines lebendigen Staates, dessen Kompositcharakter80 die Summe einer fiktional-vertraglich an ihn gebundenen Gesellschaft und dessen Haupt (caput) die Repräsentation des gesellschaftlichen Willens, sowohl ontologisch als auch im Wortsinn, als Gemeinwohl (Commonwealth) zu verkörpern sucht.81 In ihrer historischen Genese fungiert die Metapher eines biologischen Körpers vorrangig als Kernargument der Legitimation von Herrscher und Herrschaft, sowie auch als normative Bewertung der Reichweite und Grenzen von Souveränität und Staatlichkeit. Dabei zielt die Idee des Staatskörpers auf die Überwindung gesellschaftlicher Fliehkräfte ab, indem sie eine Ganzheit proklamiert, die es ohne ihr Zutun nicht in besagtem Ausmaß gäbe.82 Diese Inszenierung von Staatlichkeit diente ursprünglich dem Zweck den Staat oder dessen historisches Äquivalent,83 wie es Ernst Kantorowicz treffend formuliert hat, »so ewig zu machen wie die Kirche und ihn mit oder ohne König in den Mittelpunkt der politischen Diskussion zu rücken«.84 In diesem Sinne stellt die Entwicklung des modernen Papsttums eine ontologische Gegenbewegung dar. Das Papsttum bedient sich der Fiktion des politischen Körpers als dessen institutionelles Sprachrohr zur Überwindung der säkularen und konfessionellen Kommunikationsgrenzen. Über die Inszenierung von Papst und Gläubigen kommuniziert das Papsttum mit der Umwelt.

3.4Päpstlicher Leviathan: Macht und Kommunikation

In der staatstheoretischen Genese des politischen Körpers orientiert sich der päpstliche Leviathan durchaus an dem Hobbesschen Ideal. So steht der Leviathan des 17. Jahrhunderts in der Tradition der Nachfolge einer ununterbrochenen Herrschaft in Form eines corpus mysticum, der mehr auf die Gemeinschaft der Menschenmasse als auf die Asche des verschiedenen Vorgängers angewiesen ist, um sich zusammenzusetzen. Gleichzeitig unterscheiden sich beide Modelle jedoch hinsichtlich ihrer Art sich selbst dauerhaft zu legitimieren und in Erscheinung zu treten. Verweist Hobbes auf die Vernunft der Civitas, wirken im Falle des Papsttums immer die von Bredekamp angeführten »Sonnenstrahlen« mit,85 also jene Mitwirkung des Heiligen Geistes, durch die das Konklave schließlich eine Wahl trifft.

Um also die Frage nach den Kommunikationsakten- und Strategien des modernen Papsttums beantworten zu können, bedarf es zunächst einer theoretischen Basis über die Gestalt und Funktion von Kommunikation selbst. Diese kann entweder als intendierte Handlung verstanden werden86 oder als Verhaltensform.87 Die Tragweite dieser Differenzierung wird anhand eines Beispiels offenbar. Während seiner Pilgerfahrt aus Anlass des XXXI. Weltjugendtages besuchte Papst Franziskus im Jahr 2016 das ehemalige Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, wo er, mit Ausnahme einer kurzen Begegnung mit Überlebenden des Holocausts, verbal nicht kommunizierte und auch sonst keine öffentliche Stellungnahme abgab. Angesichts des durch die Nationalsozialisten verübten Genozids hatte sich Franziskus, so das homogene Echo der deutschsprachigen Presse, für eine Strategie des Schweigens entschieden. Dieses Schweigen wurde als aktive Handlung des Papstes gedeutet und wurde damit Teil einer dem Papst attribuierten Kommunikationsstrategie.

Eine vergleichbare Fragestellung nach der Funktion von Kommunikation findet sich etwa bei Katrin Sánchez. Auch sie bedient sich des Beispiels vom Schweigen als Nicht-Kommunikation, wobei sie Kommunikation vor allem als verbale Handlung versteht.88 Diesbezüglich ist Sánchez zuzustimmen, Kommunikation als gesellschaftlich normierte, situationsabhängige und sinnstiftende Handlung zu interpretieren.89 Eine solche Definition gestattet es, Kommunikation als Akteur-Handlung zu analysieren deren Absichten sich anhand empirisch bestimmbarer Variablen verbaler und nonverbaler Kommunikation abschätzen lassen. Das sprachphilosophische Gerüst der Arbeit folgt dabei den performativen Theorien der politikwissenschaftlichen Narrationenforschung, die, aufbauend auf den sprachphilosophischen Überlegungen des Sprachspiels Ludwig Wittgensteins, über den linguistic turn von Austin und Searle, Kommunikation und den sich daraus ergebenden narrativ turn, als soziale Institution begreifen.90 Die Arbeit erweitert diesen Theoriestrang auf die Ebene nonverbaler Kommunikation.

Der päpstliche Leviathan spricht damit in zweifacher Hinsicht: Wie sein ikonisch-metaphorisches Vorbild bei Hobbes,91 inszeniert die Sichtbarkeit des Papstes einen Akt wechselseitiger Kommunikation zwischen Abbild und Betrachter. Die Repräsentation wird als kommunizierender Akteur wahrgenommen, ohne dass ein Akt der Kommunikation Teil der Abbildung sein muss. Hierbei wirken die bildlichen Darstellungen des Papstes aufgrund der verwendeten Kameraperspektiven häufig so, als befinden sich Papst und Betrachter auf Augenhöhe.

Neben dieser Inszenierung von Interaktion zwischen Abbild und Betrachter zählt die Kommunikation mit seinen Gliedern zur Grundvoraussetzung für den Fortbestand und die Funktionsfähigkeit des Leviathan.92 Obwohl der Hobbessche Leviathan nicht direkt als kommunikatives Wesen beschrieben wird, ist seine Fähigkeit zu sprechen ausschlaggebend für sein Fortbestehen: Der Leviathan übt, über die Fiktion eines künstlichen und übermenschlichen Körpers, Autorität in Form von Willensbekundungsprozessen aus, also über Gesetzte, die juristisch kodifiziert und als gesellschaftlich bekannt vorausgesetzt werden müssen. Im Rahmen seiner Commonwealth-Konzeption verweist Hobbes etwa auf die Notwendigkeit, Kommunikation als eine Ressource der Interpretation aller naturrechtlichen Voraussetzungen einer Gesellschaft zu verstehen, an die alle Mitglieder als Rechtssubjekte gebunden sind und die, zum Zweck des Fortbestands des Commonwealth, in den Händen der betreffenden Autorität liegen müsse.93 Der den Leviathan verkörpernde Souverän verfügt seinem Idealbild entsprechend also über eine »uneingeschränkte semantische Definitionsmacht«, der alle Mitglieder unterworfen sind.94 Der sprachphilosophische Ansatz des Leviathan kann in erster Linie also der Kategorie politischer hard power zugeordnet werden, da sie sich über die Durchsetzung kodifizierter Normen und der Kontrolle von Kommunikation und Diskurs auszeichnet. Analog zu dem von Carl Schmitt geprägtem Begriff des politischen Ausnahmezustands kommt der Politikwissenschaftler Herfried Münkler im Falle der Sprachmacht des Hobbesschen Leviathan entsprechend zu der pointierten Aussage: »Souverän ist (auf Dauer nur), wer über den semantischen Gehalt der politischen Begriffe entscheidet.«95

Indem sie die physische Gewalt definiert, ist Sprache ein Medium von hard power. Demgegenüber beinhaltet Sprache nach Hobbes aber eben auch die Fähigkeit sich selbst auf eine bestimmte Art Anderen gegenüber darzustellen. Konkret führt dieser im ersten Teil von Leviathan vier allgemeine Funktionen von Sprache an: Sprache als Kunst; Sprache als Wissensvermittlung; Sprache als Willensbekundung; oder Sprache als ein spielerischer Einsatz von Wörtern mit dem Ziel den gesprochenen Inhalt verbal auszuschmücken, sowie »uns und anderen zu gefallen und zu erfreuen«.96