Die Königin der Elmire - die Schrift des Lunox - Jennifer Weber - E-Book

Die Königin der Elmire - die Schrift des Lunox E-Book

Jennifer Weber

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Beschreibung

In einem der schönsten Länder des Planeten Zuranem erzählt man von einer alten Legende. Jasmin de Caerulpratum, Tochter des Königs aller Elmire, soll einmal den Thron für sich beanspruchen und das Volk von der Tyrannei der Sanelmire befreien. Denn sie sei das Geschenk der Götter an die Elmire - die einzige Elmirin, die mit einer zusätzlichen Naturgabe geboren wurde. Auf Jasamin, Oberprinzessin aller Elmire, liegt eine gewaltige Last. Nicht nur, dass sie als Elmirin des Feuers niemals ihre zweite Gabe - die des Wassers - akzeptieren konnte. Sie verzweifelt noch dazu an der alten Legende. Doch zu allem Übel entführt der Herr der Sanelmire ihren geliebten Schützling. Seine Forderung: Die Schrift des Lunox. Mit ihrem treusten Gefährten, dem ehemaligen Prinzen der Erdelmire, begibt sich Jasmin auf die schwierige Reise zur Burg des Schreckens, in der sich die jahrelang unentdeckte Schrift befinden soll - wohlwissend, dass die Macht der Schrift das Ende für alle Elmire bedeuten würde.

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Jennifer Weber

Die Königin der Elmire

Band 1

Für meine Schwester,


die mit mir immer davon träumte

die Elemente zu beherrschen.

Die Königin der Elmire

Die Schrift des Lunox

Jennifer Weber

Impressum

Texte: © Copyright by Jennifer WeberUmschlaggestaltung: © Copyright by Jennifer Weber

Verlag:

Jennifer WeberLindenweg 2

74575 Schrozberg

[email protected]

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Jasamin de Caerulpratum

Sie bestanden darauf, dass ich die Chroniken der zweiten großen Schlacht unserer Zeit niederschreibe, jetzt da die Herrschaft der Elmire ein Ende gefunden hat. Mein Name als Überschrift, mein Name als Unterschrift. Das war die einzige Regel. Als hätte die Schlacht mit mir begonnen und mit mir ein Ende gefunden. Jedenfalls bleibt mir so die Sicherheit, dass keinerlei verfälschter Legenden ihren Umlauf machen würden. Mir ist beinah jeder einzelne Moment ab dem Wendepunkt meines Lebens im Kopf geblieben, als wäre jede Sekunde hineingemeißelt worden. Somit bin ich wohl meiner Aufgabe würdig.

Die Elmire hoben sich seit jeher auf einen Thron, da sie mit ihrem Durchschnittsalter von hundertsiebzig Jahren länger lebten als die meisten anderen Kreaturen ihrer Länder. Ich empfand dies immer als Ironie. Denn noch die wenigsten Elmire hatten das Privileg ihre Ahnen persönlich gekannt zu haben. Die erste große Schlacht raubte mir meinen gesamten Stammbaum. Hundertsiebzig Lebensjahre verloren ihre Bedeutung, wenn die Eltern im Alter von zwanzig Jahren in der Schlacht fielen. Welch Ironie.

Doch die Elmire haben die herzerwärmende Eigenschaft zwischen Leid und Schrecken noch Hoffnung zu finden. So kristallisierte sich eine Legende heraus, die mir stets das Leben erschwerte. Deshalb möchte ich meine Erzählung mit dem Tag beginnen, den ich stets verabscheute und nun doch mit wohlwollender Wärme um das Herz in meinem Geiste widerspiegele.

Zu Beginn meiner Erzählung befand ich mich, wie stets zu dieser Jahreszeit, in einem mit kaltem Nebel umhüllten Saal. Hunderte Stühle samt gespannter Zuhörer reihten sich vor mir auf.

Es war seltsam, allmählich schlugen ihre Herzen im Takt einer Ballade. Keuchend laut war der Hauch ihres gefrorenen Odems. So starr, der Blick ihrer glasigen Augen und angespannt jeder auch nur so winzige Muskel ihres Leibes. Leise ertönte das sanfte Treten seiner glänzenden Stiefel und der frostkalte Nebel folgte ihm durch den Raum. Erneut verstummte der Tackt ihrer goldenen Herzen, gefesselt von Wort und Anmut seinerseits. Gefesselt die Augen gerichtet auf seine bleich bläulichen Lippen. Immer dann, wenn seine tiefe Engelsstimme austrat. Er wisperte beinahe und die Körper seiner Zuhörer erstarrten voller Spannung und Begierde nach seinen nächsten Worten.

Es waren jedes Jahr dieselben herzzerreißenden Worte die meine müden Ohren vernahmen. Wie ein Gebet, welches junge vom Hunger zerfressende Elmire aufsagen mussten, bevor sie zum dampfenden Essen greifen durften, konnte ich seine Worte mittlerweile fließend wie ein Gedicht wiedergeben. »In einem der ansehnlichsten Länder des Planeten Zuranem«, flüsterte er mit seiner fließenden tiefen Stimme, »in dem anmutige Zentauren, bildschöne Nymphen, engelsgleiche zarte Geister und andere faszinierende Kreaturen friedlich beisammen leben, erzählt man einander von einer Legende.« Zwei dumpfe Schritte ertönten bis er verharrte. Seine Augen waren umhüllt von seinem Lid, wie eine Schneedecke das satte Gras überzog. Langsam senkte er seinen weißbedeckten Kopf und setzte wispernd fort: »Es war vor nicht allzu langer Zeit, als das Königspaar Adarius und Amenita ein majestätisches Reich regierten. Unser geliebtes Reich Caerulpratum. Von jeglichen Wesen dieser Welt wird dieses Königreich liebevoll das blaue Land genannt, da die unendliche Weide, das wehende Laub der Bäume und das weiche Moos der Findlinge in einem glänzenden Himmelsblau schimmern. In diesem Reich fliegen keineswegs nur gefederte Vögel, sondern zugleich fingergroße Engel im Himmelsgewölbe und anstelle von Schnee fällt feiner goldener Staub auf den Zuranboden. In den Wäldern hausen gigantische, silberschimmernde Wölfe mit Augen, die farblos wie die Decke des Eiskontinentes im glanzvollen Weiß strahlen. Auf den knarrenden Armen der Laubbäume toben handgroße Affen, die mit ihrem himmlischen Gesang Besucher des Waldes willkommen heißen. Ferner tanzen die gläsernen Regenbogengeister jede Vollmondstunde mit ihren herrlichen Wasserkleidern auf dem Zuckersee. Dieser verdankt seinen Namen dem süßschmeckenden Wasser, welches die bezaubernden, aber zugleich hypnotischen Nymphen zum Leben benötigen«, er machte eine kurze Pause. Unter seinen gefrorenen weißen Wimpern blitzten die eisblauen Perlen auf. Dann sprach er mit erhobener tiefer Stimme, die in Sekunden eine Welle der Gänsehaut unter den Hörern verbreitete: »Man sagt, dass die Götter sich in dieses betörende Land verliebten. Ihr vereinsamtes Herz sehnte sich nach einer Kreatur, die ihnen glich und über dieses wunderschöne Reich regieren sollte. Der allmächtige Göttervater Jasuper gab dieser Kreatur die Gabe des donnernden Blitzes. Der Gott Lecanus gab ihr die Gabe des Feuers. Die vollkommene Erdgöttin Misames gab ihr die Gabe des Zuranbodens und des Sandes und der barmherzige Wassergott Elturnes gab ihr die Gabe des Wassers. Zusammen erschufen sie verschiedene Spezies der Kreatur Elmir. Ein Wesen, welches die Fähigkeit besitzt eine der kraftvollen Naturgewalten, die ihm ihr Göttervater oder ihre Göttermutter schenkten, unter seiner absoluten Kontrolle zu wissen. Der spätere Nachfahre der Elmire Adarius hatte vor wenigen Jahren eine Akademie in der Burg der alten Könige errichten lassen. Dort sollte der Nachwuchs lernen seine Mächte fachgerecht einzusetzen und damit den Leidenden zu helfen und die Gabenlosen vor der Götterkraft der Feinde zu beschützen. Er war ein guter Lehrmeister und ein noch besserer Gebieter. Sein Volk liebte ihn und er liebte sein Volk. Er tat alles dafür, dass es jeden seiner Untertanen wohl erging, sei er noch so klein und arm. Adarius und Amenita waren gütige Herrscher des blauen Landes. Ein so großes Herz für die Elmire vernommen die Götter seit Anbeginn nicht und so schenkten sie dem Königspaar an einem Mondschatten einen Sohn mit Haar und Iris wie das lodernde Feuer seiner Gabe, den sie Leolus tauften. Sie wollten ihn zu einem tapferen und edlen Prinzen erziehen, der einmal noch gütiger als sie selbst regieren sollte. Er würde eines Tages auf dem Saphirthron des Oberkönigs sitzen und das Herz der Elmire für ihn schlagen lassen. Doch die Elmire des Feuers spalteten sich einst. Ein Volk, das vom Bösen getrieben war, wandte sich von dem herzensguten Wesen eines Elmiren ab und gab sich eigenmächtig den Namen Sanelmir. Einer von ihnen war getrieben von der Eifersucht um den Thron seines jüngeren Bruders Adarius. Der Thron gebühre ihm, so rief er einst durch die Hallen des Schlosses von Caerulpratum. Als erstgeborener Sohn des Oberkönigs komme es seinem Vater nicht zu eigen, ihm den Thron wegen seiner missratenden Gabe zu versagen, hallte seine krächzende Stimme über den Saphirthron hinweg. Doch der im Totenbett liegende Oberkönig Darius schickte seinen Erstgeborenen ins Exil und wusste nicht um die düstere Wolke des Todes, die sich von da an über das Land legte. Der verstoßene Prinz von Caerulpratum legte seinen königlichen Namen ab und nannte sich von nun an San de Sangguin, als erster blutbringender Sanelmir unserer Zeit. Doch die kleinen Völker nannten ihn schlicht und voller Furcht den Tyrannen.

Er regierte das Reich Sangguin und seine Untertaten stellten Mörder dar, die nicht davor zurückschreckten einem flehenden Kind sein goldenes Herz aus der wimmernden Brust zu reißen.

Sie kannten keinerlei Verbundenheit, außer die zu ihrem Meister. Während eines dunklen Mondschattens, an der sich der Nebel wie die kalten Seelen verbluteter Elmire grellblau über den von Tau übersäten Weiden von Caerulpratum zog, trieb es San de Sangguin zur Tat gegen die Götter, die ihm alles genommen hatten. Das Heer in seinen stählernen Rüstungen getränkt in Pech erwuchs in einer gigantischen Feuermauer vor dem Königsschloss. Das Feuer, das auf ihrem Körper wie eine Welle des Todes tänzelte, spiegelte sich bedrohlich im blauen Saphir der Schlossfenster wieder. Mit grunzendem Gebrüll schnitten die brennenden Klingen durch Fleisch und Gemäuer. Die Monde färbten sich schwarz im Pech und die Flammen nahmen Leolus schutzlosen Körper ein. Das Königspaar konnte den Klauen der todbringenden Sanelmire entrissen werden, doch ihr goldenes Herz liegt seit jeher im Grab mit ihrem Erstgeborenen.

Drei Jahre voller stechendem Schmerz und schleppendem Kummer vergingen, als das Gras auf Caerulpratum schließlich durch das Pech brach. Das Land erblühte in vollem blauen Glanz und die Oberkönige suchten Trost bei den Göttern, den sie bekamen. Sie schenkten dem Königspaar ein zweites Kind, ein Mädchen mit Haar wie Feuer und Augen wie Eis. Die Trauer um den Verlust der ersten Schlacht und den Prinzen Leolus wurde verdrängt und die Geburt der Prinzessin Jasamin de Caerulpratum mit jubelndem Gesang gefeiert. So lebten sie voller Glück bis ihre Seele diese Welt verließ.« Er verstummte. Seine glasweißen Augen blickten voller Trauer und Bedauern, über den Saal hinweg, in meine Augen. Dann fuhr er mit einer Stimme fort, die die Knie der Untertanen voller Furcht vor ihrem Herrn sinken lassen würde: »Eine Utopie von einem Märchen. Es kam ganz anders. An einem Mondschatten, der einen grellblauen Nebel durch die Wälder jagte, türmte sich die Feuerarmee des Typrannen vor dem Königsschloss. Doch Amenitas Instinkt schrie seit Tagen durch ihre Seele. So brachte sie voller Furcht ihr Kind bereits vor zahlreichen Mondschatten bei ihrer Freundin, einer Elmirin des Bauernvolkes, unter. Kaum wahrnehmbar für den Tyrannen, der nur den Thron im Blick hatte. In diesem Mondschatten glitt der letzte Hauch von Odem über die Lippen des Königspaares und ihr Blut tropfte im Takt einer melancholischen Melodie über den Saphirthron. Doch das Volk starb nicht mit ihren Herrschern. Mit Blut und Schmerz kämpften Elmire und Elmirinnen, Bauern, Adel und sogar Sprösslinge gegen die verdorrende Seele der Feinde. Denn in ihrem Herzen lebte der Wille frei zu sein und für ihr reines Wesen zu kämpfen.

Jeder Elmir hat ein goldenes Herz, das von tapferem blauen Blut durchströmt wird. Während sich die Adern von Feind und Verbündeten leerten, saß San de Sangguin auf dem Thron und strich genüsslich über den Saphir. Doch die Monde färbten sich auch diesmal schwarz. Der Tyrann griff sich an seine kalte Brust und grellgrünes Pech quoll über seinen vertrockneten Lippen hinweg. Sein Schädel schlug auf den harten Marmorboden und brach. Seine missratende Gabe tötete ihn vom Innersten seines Körpers heraus. Zu Lasten aller Elmire tobten die Sanelmire jedoch weiter. Nach weiteren fünf Jahren Krieg siegten endlich die herzensguten Elmire mit Hilfe aller verbündenden Kreaturen ihres Landes. Die Sanelmire zogen sich zurück, doch Frieden herrschte nie mehr. Sie brachten Tod über viele andere Gebiete und nahmen diese ein. So endete niemals der Krieg zwischen zwei Geschwistern mit einst demselben Herzen. Doch in Caerulpratum kam nach einiger Zeit wieder die Freude am Leben zurück. Die Akademie wurde von der guten Freundin der Königin, die ihr Kind während der Schlacht hütete, weitergeleitet und mit dem letzten Wunsch der Könige wurde das Königreich von vier Herrschern gemeinsam regiert bis die junge Prinzessin reif genug sein würde, um selbst über es zu herrschen. Die Legende besagt, dass Jasamin de Caerulpratum, die Tochter vom großen Herrscher Adarius de Caerulpratum und der Herrscherin Amenita de Desh einmal den Thron beanspruchen und die Geschwisterländer von der Tyrannei der Sanelmiren befreien würde. Denn sie sei das Geschenk der Götter an die Elmire, sie sei die Prophezeiung. Ein Elmir mit nicht nur einer Gabe, sondern zweien«, seine versunkenen Augen strahlten wie ein Meer unter der brennenden Sonne hoffnungsvoll blau auf und ich zog die staunenden Blicke auf mich. Seine Stimme wurde kraftvoll und hallte durch den Saal: »Meine Elmirinnen und Elmire, Prinzessin Jasamin de Caerulpratum.«

Historie und Lehre

Die Sonnenstrahlen brachen durch das Mosaikfenster hindurch und ließen mein Apartment in bunten Lichtern erstrahlen. Ich rieche bis heute noch den intensiven Geruch des kräftigen Kaffees, welchen Samuel in seiner gebräunten Hand hielt. Er hatte aufgeräumt, wie es stets von ihm zu erwarten war. Die dunkelbraunen Ledersessel in der Ecke glänzten und auch der Glastisch davor versank beinahe in Unsichtbarkeit. Unser grauer Webteppich befand sich nicht mehr im Raum, woraus ich schloss, dass er ihn ausgeklopft hatte. Ich vermochte es nicht meinen besten Freund zu verstehen. Vom Wesen her empfand ich Sam immer als unausstehlich, selbstverliebt und verantwortungslos. Dennoch war er unübersehbar ordentlich. Eine ziemlich widersprüchliche Eigenschaft, wenn man sein chaotisches und wildes Privatleben kannte.

Gewiss trug er eine neue Hose, da er seine letzte, wie ich vermutete, bei der Jagt zerrissen hatte. Allerdings war es auch nicht abwegig anzunehmen, dass er sie nur bei einer Elmirin vergessen hatte. Sam war nämlich sowohl ein begnadeter Jäger und Koch, als auch ein beinahe schon berufener Liebhaber. An dieser Stelle sei König Samuelle de Deserta erwähnt, Sams Vater. Samuelle de Deserta fand seinen Tod in der ersten großen Schlacht. Sams übertriebene Ordentlichkeit und begnadete Kochkunst kamen sicher daher, dass er in bereits jungen Jahren alles für seine Mutter Letizia getan hat. In der Hoffnung den Schmerz des Verlustes seines Vaters und ihrer großen Liebe zu mildern. Durch die erste Schlacht verloren sie ihren Königstitel, da ihr Reich an die Sanelmire verloren ging. Doch obwohl sie zumindest noch Adlige des zweiten Standes und damit wohlhabend waren, verweigerte Letizia de Dess die Anstellung jeglicher Diener. Sie war der Überzeugung, dass Diener nur im Dienste einer Majestät stehen sollten, da das Königshaus Pflichten gegenüber dem Bürger hatte. Adlige hingegen dienten ihrer Meinung nach nicht dem Volke, so war ihnen keinerlei Dienerschaft legitimiert. Letizia war eine bemerkenswerte Elmirin und verdiente sich meinen vollsten Respekt.

Wie bereits vor der ersten Schlacht geplant, kam Samuel, als er das erforderliche Alter von zehn Jahren erreicht hatte, zu mir auf die Akademie. Ein Jahr später folgte ihm seine jüngere Schwester Milena. Beide standen mir bis heute treu an meiner Seite.

Ich blickte durch den Raum. Vor mir hing ein großer Spiegel an der Wand. Ich betrachtete meine gelockten dunkelkirschroten Haare, die mir bis über die Hüfte hingen. Ich verabscheute sie. Sie und meine blauen Augen, die im ganzen Land riefen: »Seht! Eine Elmirin mit rotem Haar und blauen Augen. So etwas ist ein Wunder der Götter.«

»Wie war es denn?«, fragte Samuel und nahm einen Schluck von seinem Kaffee, obwohl er noch glühend heiß zu sein schien. Als Elmir der Erde machte ihm die Hitze nur wenig aus. Er wuchs auf dem Wüstenkontinent auf, sodass sein Körper starker Wärme resistent war.

König Samuelle de Deserta und Letizia de Dess stammten, wie ihr Namenszusatz besagte, nicht aus meinem Geburtsland Caerulpratum, sondern aus den ehemaligen Wüstenländern Dess und Deserta, den Ursprung aller Elmire des Sandes und der Erde. Sie waren Könige von Deserta, bedauerten jedoch den Verlust dieses wunderschönen Landes, da vor knapp zwölf Jahren die Sanelmire es einnahmen. Nun wurde es Sangguin, das blutige Land der Sanelmire, genannt.

Damals glaubte ich gelegentlich es sei auch besser so, denn Samuel war der rechtmäßige Thronerbe von Deserta und für mich war es zweifellos klar, dass er das Leben als König uneingeschränkt ausnutzen würde. Samuel war versunken in Selbstliebe. So vollkommen anders als seine Mutter. Die gabenfreie Letizia war die Tochter eines Fürsten in Dess. Mit siebzehn Jahren wurde sie mit Samuels Vater, dem zwanzigjährigen Prinzen Samuelle de Deserta vermählt. Sam wurde als ein Elmir der Erde geboren, solchermaßen wie sein Vater, während Milena als eine Elmirin des Sandes, wie der Vater ihrer Mutter, geboren wurde. Sam war bereits siebzehn Jahre alt. Damit galt er als ein ausgewachsener Elmir. Wäre er noch Prinz eines Königreichs gewesen, so müsste er sich nun demnächst vermählen. Ein weiterer Punkt, weshalb ich ihm das Königsein nicht zutraute. Einer seiner Vorlieben war es weibliche Elmire zu verführen und ihnen dann genüsslich das Herz zu brechen. Dies war allen bewusst. Doch niemand widerstand seinem Charme. Unsere Freunde und ich zogen ihn bereits damit auf, ob das nicht seine wahre Naturgabe sei.

Sam strich sich sein dunkelbraunes Haar von der Stirn und die dunkelbraunen Perlen in seinem marklosen Gesicht blickten auffordernd zu mir hinüber.

»Niemand erzählt es so atemberaubend wie Eleagon, unabhängig davon, dass einem der Atem gefriert…«, murmelte ich und spürte wie meine Augen glasig und groß wurden. Mein Blick wanderte ins Leere.

Samuel seufzte und grummelte wie ein hungriges Getier: »Ich meinte, wie es für dich war. Geht es dir gut?« Er setzte sich auf die Lehne meines Sessels, sodass ich im Augenwinkel nur noch seine gebräunten Muskeln sah, die wie kraftvolle Berge am Horizont emporragten. Ich spürte den warmen Dampf seines Kaffees, dessen Hitze allmählich nachließ.

Ich nickte stumm, da ich tief in mir spürte, dass sich meine Stimme in meinem Innersten verkroch und ich keinerlei Ton herausbringen würde. Ich fühlte den Schmerz wie einen eisigen Nebel im Wind gegen meine Brust peitschen. Jedes Mal mussten meine blutenden Ohren den schrillen Klang der Legende vernehmen. Jedes Jahr, wenn in den neuen Studenten der Patriotismus geweckt werden sollte. Jedes verfluchte Mal. Eleagons Engelsstimme vermochte es stets, mir die Bilder meiner Bürde lebhaft im Geiste aufzurufen.

»Wir haben mehr Primer denn je«, flüsterte ich unter stärkster Bemühung einen Ton aus meiner Brust zu pressen. Ich ließ in meinen Gedanken Bilder der Primer abspielen. Hunderte zehnjährige Elmire tollten in meinem Geiste durch die Hallen der Akademie. Diese neuen Studenten würden eines Tages in Legionen an meiner Seite kämpfen. Ich zweifelte nicht daran. In meinen Träumen weckte mich stets die Furcht vor einer weiteren großen Schlacht gegen die Sanelmire. Doch ich hoffte sehr, dass die Primer des aktuellen Jahres in dieser Schlacht kämpfen würden. Denn das würde bedeuten, dass noch Jahre vergehen würden bis sie Perfekter waren, ausgebildete Kämpfer wie Samuel und ich, und damit zum Kampf verpflichtet waren.

Samuel lächelte mit einer versteckten Sorge, die ich nur aufgrund meiner stark ausgeprägten Empathie wahrnahm. »Uh, neue Opf… äh Elmirinnen«, versuchte er das Thema zu wechseln.

Ich wusste, dass er bewusst eine Provokation wählte. Anders ließ sich mein Geist nicht von seiner melancholischen Bahn lenken. Negative Gefühle strömten wie gigantische Wassermassen auf feinen Sand auf mich ein. Sam und ich stammten als Königskinder einer geraden Blutlinie von Göttern ab. Die Urelmire, als Kinder der Götter erschaffen, gehörten zur Wurzel unseres Stammbaums. Damit waren wir um einiges machtvoller als andere Elmire. Jedoch trugen wir in gewisser Weise auch eine Bürde mit uns. Nicht nur unsere Gaben waren hochentwickelt, sondern auch unsere Empfindungen. Wir reagierten stärker auf äußere Reize als andere Elmire. Das hatte natürlich durchaus gewaltige Vorteile. Denn damit hörten wir unsere Feinde früher, spürten Gefahr eher, reagierten schneller in Angesicht des Todes und hatten ein stärkeres Band zu unseren Gefährten. Jedoch spielten unsere Gefühle schneller verrückt, als bei allen anderen. Bei mir war es am Schlimmsten.

»Neue Opfer, wolltest du sagen«, murmelte ich und lachte in mich hinein, jedoch war ich noch immer im Nebel meines Selbstmitleids gehüllt. Mein Herz lag in meiner Brust, wie Zement im seichten Wasser. »Du weißt, dass ich dich blamieren werde, sobald du wieder eine umgarnen möchtest.« Ich versuchte mich selbst von dem Gedanken an die alte Legende zu lösen, doch mein Geist ließ sich nicht beirren.

»Inwiefern? Bist du wirklich so eifersüchtig?« Sam gab mir einen leichten Stoß gegen die Schulter, dabei floss etwas Kaffee auf meinen Arm. Ich machte eine elegante Kreisbewegung mit meiner Hand, als die Flüssigkeit hinunterglitt, und ließ den Kaffee über den Raum in den Mülleimer gleiten. Flüssigkeiten gehorchten mir, denn ich war als Elmir des Wassers ihre Herrin. Jedoch besaß ich noch eine zweite Gabe und auch diese setze ich ein. Vorsichtig nahm ich Sam, der nicht einmal dabei zuckte, den Kaffeebecher ab und erhitze ihn durch das kleine Feuer in meiner Hand. Ich spürte wie eine Welle der Wärme über meine Handfläche strich. Wie eine Katze schmiegte sich die Flamme an meine Hand. Die Kälte des Schmerzes um mein Herz taute auf. Ich atmete den bitteren Duft des Kaffees tief in meine Brust ein.

»Ich habe ihn nicht zu sehr erhitzt, sodass du den Becher noch halten kannst, Sam«, sagte ich und gab ihm sein Getränkt wieder in die Hand. Ohne seine walnussgleichen Augen von mir abzuwenden, nahm er den Becher entgegen und nickte.

Dann wiederholte er spöttisch: »Weshalb? Bist du eifersüchtig?« Seine braunen Perlen funkelten frech.

»Ach Samuel, ich bin auf nichts und niemanden eifersüchtig«, zischte ich absichtlich hörbar genervt und verdrehte meine Augen. Er hatte sein Werk vollbracht. Meine Gedanken lösten sich von der Legende.

Sam stand langsam auf. »Eure Majestät, bitte verzeiht mir meine Ungezogenheit«, sagte er frech lächelnd und verbeugte sich tief. Ich achtete dabei kritisch auf seinen Becher, den er dennoch in der Hand behielt.

»Gewiss, Niederling, aber wisst Ihr eigentlich was Ihr da von Euch gebt?«, gab ich belächelnd zurück. Elmire, die das Adelsblut verabscheuten, nannten die Begleiter der Hochelmire Niederlinge. Sie begleiteten sie nämlich auf Schritt und Tritt, sorgten für ihre Sicherheit, mussten aber auch alles für ihre Hoheiten tun.

»Niederling? Wirklich?«, er klang gespielt genervt und gleichzeitig herausfordernd. »Prinzesschen, das meinst du doch nicht im Ernst, oder? Ich bin ein König.« Seine Lippen formten einen Schmollmund. Ich beobachtete wie seine Augen spielerisch funkelten und ein Teil seines Jagdtriebes geweckt wurde.

Bevor ich antworten konnte vernahmen meine Ohren ein Klopfen und ich spürte wie sich der eisige Rauch durch die Türspalte zwängte und mein Zimmer einnahm. Vollkommen leise, samt reiner Anmut.

»Trete ein, Eleagon«, rief ich, stahl Sam den Kaffee und trank einen Schluck, da die Kälte wie Rasierklingen über meine Haut kratzte.

Die Tür öffnete sich und ich erblickte das schneeweiße Haar und das bleiche Gesicht meines Cousins. Eleagons eisiger Nebel war die Trophäe seiner Macht. Nur die stärksten Wasserelmire zogen eine solche Kälte durch die Welt. Eleagons Anblick lies die Augen der Elmire verharren und ihre Worte verstummen. Es war, als blickte man auf das reinste Wesen der Welt. Obgleich sein Äußeres dem eines klassischen Wasserelmires glich. Doch trotz dessen war seine Schönheit nicht zu leugnen. Seine Anwesenheit strahlte stets Ruhe und Geduld aus. Noch nie habe ich ihn laut und unbeherrscht erlebt. Seine Güte hatte keinerlei Grenzen. Ein höherer Faktor an Emotions- und Intelligenzquotienten in ihrer Kombination wie dem seine war noch nie gemessen worden. Eleagon war einer der intelligentesten Elmire unserer Zeit. Zweifelhaft eine Eigenschaft, die von dem jüngsten Heilmeister Zuranems zu erwarten war. Von allen Mitgliedern des Königsverbundes kam Eleagon dem Wesen eines wahren Prinzen am Nächsten. Er erhob niemals seine Stimme, sondern sprach stets bedachtsam und manierlich. Ich zweifelte überhaupt daran, dass jemand einen Thron mehr verdiente, als er. Jedoch war auch sein Königreich, das Geburtsland meiner Mutter, gefallen.

Normalerweise leuchteten seine beinahe weißen Augen beständig voller Ruhe und Hoffnung. Doch dieses eine Mal sahen mich seine Juwelen voller Besorgnis an. Untypisch. Vielleicht war dies der eine kurze Moment indem seine Hochsensibilität durchschlug. Denn von uns allen war Eleagon derjenige, der seine Emotionen am besten beherrschte.

Gedämpft erkundigte er sich mit tiefer fließender Stimme: »Prinzessin Jasamin, wie ist Euer Befinden?« Er legte kaum merklich seinen Kopf schief. Nur vor mir gab er mit dieser Geste seine Unterlegenheit preis.

Ich lachte bitter: »Hört doch auf euch immer Sorgen um mich zu machen! Es ist nur eine Legende, die lediglich irgendwelchen Knirpsen erzählt wird, um Bewunderung hervorzurufen und ihnen ein Löffelchen von Zukunftsglaube auf die Zunge zu legen. Es ist nur eine Geschichte. Oh Elmir!«

»Verzeiht mir, es war nicht mein Begehr Euch in Rage zu versetzen«, wisperte er bedauernd und ging vorsichtig einen Schritt auf mich zu. Ich sah Besorgnis in seinem makellos weißen Gesicht. Ein wenig Trost breitete sich in mir aus, als ich seine Nase betrachte. Wir hatten eindeutig dieselbe. Ein Erbstück unserer gemeinsamen Großmutter.

»Prinzessin Jasamin, vergesst nicht. Ihr solltet demnächst Eure Vorlesung halten«, erinnerte er mich an die bereits fortgeschrittene Zeit. Das neue Prüfungsquartal hatte bereits vor einer Woche begonnen. Während die Primer erst heute zur Tiefsonne in die Akademie aufgenommen werden würden. Ich gab jeden Tag zur Tiefsonne eine Vorlesung. Von Tag zu Tag in einem anderen Themengebiet. Heute ging es um Elmirkunde für die Primer der zweiten Ausbildungsstufe. Ich seufzte geräuschvoll.

Obwohl mich Eleagon gebeten hatte, mich anlassgemäß zu kleiden, tat ich es nicht. Meine Sturheit setzte sich immer durch, das wusste er, weshalb er mich nicht aufzuhalten versuchte. Wobei Eleagon sich mir niemals widersetzte. Mit einer ausgedehnten und halbzerrissenen Hose, einem hellen weiten Shirt und einem, angesichts meines Haarvolumens, nicht wirklich gelungenen Dutt betrachtete ich Samuel, der sich für seine Vorlesung gekleidet hatte. Wie es sich für einen Perfekter gehörte, trug er eine schwarze Stoffhose um seine Hüften. Bei weiblichen Perfekter ging sie bis zur Taille. Nicht sehr freundlich bei vollem Magen, wie ich fand. Eine weitere Gemeinsamkeit war das weiße Hemd, das glücklicherweise bei den Elmirinnen aus Seide gefertigt war. Jedoch musste ich zugeben, dass Baumwolle Samuels gebräunter Haut deutlich mehr schmeichelte. Ich musste bei dem Gedanken schmunzeln, wie mich Emilian Tim, mein Adoptivbruder und der Leiter dieser Akademie, ständig anflehte das Seidenhemd nicht bis zum Ellenbogen hochzukrempeln. Es würde zur Rebellion anstiften, meinte er. Nun denn, ich gebe zu, dass ich in solchen Fällen gerne die Karte der Oberprinzessin ausspielte und mich widersetzte.

Mein Herz setzte einen Schlag aus. Ich biss mir leicht auf die Zunge und atmete stockend ein. Samuels tiefbraunen Augen glänzten golden auf. Wie stets, wenn er die Krawatte aus sonnengoldfarbener Seide anlegte. Unwillkürlich dachte ich an das eine Mal, als er mir das Pendant zur Seidenkrawatte, den Metallgürtel in meiner Gabenfarbe Rotgold, an der Taille anlegte. Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf unmerklich, um von diesem Gedanken loszukommen. Sam zwinkerte mir frech zu, als hätte er meine Gedanken erahnt.

Somit verabschiedete ich mich flüchtig und rannte durch die Gänge. Entsprechend meiner Kleidung blickten mich fünfunddreißig vierzehnjährige Elmire, die geordnet und brav auf ihren Plätzen saßen, mit Fassungslosigkeit an, als ich den Saal betrat. An einem Schultisch saßen stets ein männlicher und ein weiblicher Elmir. In der Akademie besaß ein Elmir einen Kampf- und Trainingspartner des anderen Geschlechts, mit dem man sich eine Räumlichkeit teilte. Vorwiegend waren es Geschwister oder langjährige Freunde. Im Kampf war das ein entscheidender Vorteil. Natürlich gab es auch Ausnahmen von dieser Regel, wenn es den Studenten gelang, eine gleiche Effizienz nachzuweisen. Sam würde ich wohl so nicht mehr loswerden, da wir uns beinahe perfekt ergänzten. Auch wenn es angesichts unserer gelegentlichen Differenzen verwunderlich scheinen mochte.

Ich schlenderte über den weißen Granitboden, sodass man meine brüchigen Trainingsschuhe quietschen hörte. Dann sprang ich auf das Schreibpult.

»Angenehme Tiefsonne, Elmire«, rief ich. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich immer noch den Kaffee von Sam in der Hand hielt, nachdem ich ihn mal wieder erhitzen sollte.

»Wohltuende Tiefsonne, Majestät Jasamin de Caerulpratum«, riefen sie im Chor und ich musste schmunzeln, wie jedes Mal, wenn ich diese lächerlichen Worte hören musste.

»So, wer weiß noch welches Thema wir die letzte Woche erarbeitet hatten?«, fragte ich und nahm einen Schluck aus dem Kaffeebecher.

Drei Studenten hoben ihre Hand in die Höhe und ich zog meine linke Augenbraue hoch. Ich stellte meinen Becher ab, nahm aus einer Schublade ein Stück Papier heraus und sah sie nacheinander an. Mich wunderte es nicht, dass Timmy unter den sich meldeten war. Er war einer meiner fleißigsten Studenten. Mehr wunderte ich mich über Galendia de Caerulpratum, obwohl sie sich mit ihrem Fleiß durchaus von den anderen Adligen unterschied. Jedoch war das kaum der Rede wert, da sie im Vergleich zu anderen Studenten dennoch trotzig und arrogant war. Dann richtete ich meinen Blick auf den dritten Studenten. Ich schluckte unwillkürlich und rieb mir die Augen. Ich erinnerte mich nicht an ihn. Mein Herz wurde von einem unangenehmen Kribbeln umhüllt und die Scham formte sich zu einem Kloß in meinem Hals. Verdammt, immer predigte ich, dass die Studenten adliger Abstammung vor Arroganz strotzten und nun erinnerte sich mein Geist selbst nicht mehr an den Namen des jungen Elmiren, weil es ihm wohl nicht wichtig erschien.

Die dunkelblauen Augen des Elmiren schimmerten durch den ganzen Raum. Er war eindeutig nicht von durchschnittlichem Aussehen. Deshalb kam er mir natürlich auch bekannt vor. Wie denn auch nicht? Glänzende Augen wie die eines perfekten dunklen Saphirs. Das war so selten und unmöglich nicht wahrzunehmen. Das Blut schoss mir in den Kopf und schnell schrieb ich irgendetwas auf meinen Zettel, damit es nicht auffiel. Kurz überkam mich ein Schwindel und ich stütze mich am Pult ab. Unsicherheit machte sich in mir breit. Schnell schlug ich klangvoll mit der Faust auf das Pult, um von dieser abzulenken. »Ihr wollt mir also weismachen, dass von fünfunddreißig Elmiren, nur drei diese schwächliche Frage beantworten können? Ich habe mir die letzten zwei Stunden den Schlund wundgeredet und keiner kann in ein, zwei Sätzen eine korrekte Antwort geben? Folglich wollt ihr mir damit sagen, dass ich schön in meinem Apartment hätte bleiben können? So könnte ich mir immerhin überlegen wie Zuranem untergehen wird, wenn ihr ausgebildete Perfekter und demnach unsere Legionen seid! Denn offensichtlich seid ihr nicht imstande euch für zwei Stunden hinzuhocken und euch das einzuprägen was ich euch erzähle. So sollte ich unmittelbar zu Elmir Tim gehen und ihm erzählen, dass ihr alle keine Lust auf die Akademie habt, dass ihr lieber alle zurück auf das Bauernfeld oder auf die alte staubige Burg eurer Eltern wollt.« Ich drehte mich auf meiner Ferse um und ging auf die Tür zu. Dann blieb ich stehen und fragte leise: »Wer kann mir etwas zum Thema der letzten Stunden sagen?« Augenblicklich meldeten sich alle und ich flüsterte genervt und unter Seufzen zu mir: »Na, es funktioniert also doch.«

Ich rief eine Elmirin des Wassers auf. Ihre zarte Stimme flüsterte beinahe: »Wir sprachen über den Meteoriten der Weisheit.« Ich nickte und sah sie ruhig an, sodass sie fortsetzte: »Vor sehr langer Zeit schlug ein Meteorit auf unsere Welt ein und sog Jahrtausende lang die Weisheit aller Kreaturen auf Zuranem in sich. Nach geschätzten viertausend Jahren wurde er gefunden. Man fertigte heilige Gegenstände aus ihm, die jede wichtige Machtperson auf Zuranem bekam.« Sie schwieg und ich war enttäuscht, dass ihr Gedächtnis nicht mehr aufgezeichnet hatte. Doch dann erblickten mich wieder die dunkelblauen Augen und mein Herz pochte. Ich atmete tief ein, um dem Schwindel entgegenzuwirken. Die Legende färbte meine Emotionen wohl so dunkel, dass ich nicht bei Sinnen war.

»Stimmt genau.«, grummelte ich mit abwesender Stimme. »Wer kann mir sagen, was sich im Inneren des Meteoriten befand?«

Ich strich mit der Hand über meinen Mund und starrte für kurze Zeit gedankenverloren auf den grauen Granitboden, der mir wie es schien heute bläulich schimmerte.

Da Timmy wie wild mit dem Arm fuchtelte, damit ich endlich auf ihn aufmerksam wurde, beschloss ich ihn aufzurufen. Ohne zu zögern flutete eine Welle von Worten über seine Lippen: »Im Inneren des Meteoriten befand sich eine große Masse an Lunumsapientiox. Nach…«

»Bitte Timmy«, unterbrach ich ihn schnell, »übersetzte es doch kurz für die anderen.« Timmy war ein bemerkenswerter Student. Es schien als ob er keinerlei Fehler hatte. Seine Intelligenz war überragend. Doch was mich persönlich immer am meisten beeindruckte war, dass im gleichen Verhältnis seine Empathie keine Grenzen hatte. Während es den meisten Adligen an beidem fehlte und das leider zu Lasten von Timmy ging. Als Abkömmling eines Bauern, wollten ihn einige hier nicht haben. Schon gar nicht als große Konkurrenz. Deshalb warf ich immer wieder ein Auge auf ihn. Denn egal wie brillant sein Geist auch sein mochte, würde sein Herz eines Tages zerbrechen, würde Zuranem den Verlust einer großen Bereicherung für die Wissenschaft bedauern. Timmy war mir ans Herz gewachsen.

»Ja, Entschuldigung«, murmelte der junge Elmir, während die anderen wie stets ihre Augen verdrehten. »Also, mit Lunumsapientiox meinte ich eine Art hellleuchtenden Diamanten, der umgangssprachlich Lunox genannt wird. Nur ist diese Art von Diamant viel effizienter, denn durch Nachforschungen fand man heraus, dass er die Kraft eines Elmirs - oder Sanelmirs - verstärken konnte und die Wunden nach einem Kampf schneller heilen ließ. Jahrelang behielt man ihn hinter geschlossenen Toren und als die Sanelmire ihre Macht erweiterten und ein Thronfolger nach dem anderen keinen Thron mehr besaß, beschloss man kleine Lunumsa..., ich meine Lunox aus dem großen Stein zu schlagen, sie in eine Kette zu verarbeiten und einen Verbund zu gründen. Den Königsverbund des Lunox.«

»Vielen Dank, Timmy«, sagte ich und machte eine Art Verbeugung mit meinem Kopf. Meine Laune stieg wieder und ich lächelte. Ich sah an seinen Augen, dass er es bemerkte und sich darüber freute. Ich setzte fort: »So, wer sagt mir etwas über den Königsverbund des Lunox?«

»Zu dem Verbund gehören Eure Majestät, Milena de Deserta, Luque de Caerulpratum, Eleagon de Desh und Samuel de Deserta«, zählte Kima auf, nachdem ich sie aufgerufen hatte. »Der Königsverbund ist ein Zusammenschluss, dessen Gründung Jahrhunderte zurückliegt. Jedes der Mitglieder steht für eine Naturgabe unserer Spezies. Samuel steht für die Gabe der Erde, Milena für die Gabe des Sandes und Luque für die gabenlosen Elmire, da er ursprünglich ein Gabenloser war. Eure Majestät steht für Feuer. Obwohl Ihr gleichermaßen für die Gabe Wasser stehen könntet, entschied die Regierung bei der Tradition zu verbleiben und jedem Verbundsmitglied nur ein Element zuzuteilen. Deswegen wurde Eleagon hinzugezogen, der für die Gabe Wasser steht. Jeder der Mitglieder trägt eine Kette gefertigt aus dem Lunox. Nur die Eurer Majestät und Luques passen zusammen.«

Ich zupfte an meiner Halskette. »Sehr gut, Kima. Aus dir wird mal etwas ganz Großes«, sagte ich mit ehrlichem Herzen und Kima lächelte auf. »Also gut, wenn wir schon bei diesem Thema sind. Wer weiß, warum Luque und ich eine Paarkette haben?«

Zögernd zeigte ich auf Soufi. »Weil er Euer Bindungs-Elmir ist«, gab sie zur Antwort.

»Exakt«, sagte ich nickend. »Was genau ist ein Bindungs-Elmir?«

Ich rief Korin auf, die wie üblich ihre Haare streng zurückgeflochten hatte: »Wenn ein Elmir mit einer Gabe sein Leben wahrhaftig für einen Elmir ohne Gabe opfert, also aus tiefster Herzensliebe. Ein Elmir muss also aus Liebe sein Leben für einen anderen opfern. Handelt es sich bei dem geretteten Elmiren um einen gabenfreien Elmiren, dann geht die Gabe des Verstorbenen auf ihn über. Es ist ein Phänomen. Die Wissenschaft weiß noch nicht wie das genau geschieht. Deswegen wird vermutet, dass es keinen biologischen Ursprung hat, sondern einen spirituellen. Es war wohl der Wille der Götter.« Sie machte eine kurze Pause und flüsterte dann: »Nur ein Elmir mit Gabe hat bisher so etwas überlebt.«

Ich nickte stumm und über dreißig Augenpaare wurden groß. Wieder funkelten die dunkelblauen Augen mir entgegen. Mich überkam ein Gefühl der Wärme. Schnell schüttelte ich kaum merklich meinen Kopf, um meine Gedanken zu sortieren. »Heute ist unser Thema das Elm eines Elmirs«, rief ich zügig und atmete erneut tief ein. Ich lief hinter das Pult an die Tafel und fing währenddessen ich sprach zu schreiben an: »Ein Elm liegt neben dem Herzen eines Elmirs oder eines Sanelmirs. Ihr wisst sicherlich, dass euer Herz von einer goldenen Hautschicht umschlossen ist, die euch schützt. Aus eurem Elm kommt die Energie zur Kontrolle einer Naturgewalt. Das Elm ist genauso wie das Herz ein Hohlkörper. Was für Reaktionen in eurem Elm vorgehen, erfahrt ihr im Themengebiet Elmchemie bei Elmir Samuel de Deserta. Ich möchte ihm den Unterrichtsstoff nicht vorwegnehmen. Nun denn, welche Gaben gibt es?«

Ein Student meldete sich: »Es gibt die Elmire des Feuers, die mit ihrem eigenen Körper Feuer und Hitze erschaffen können. Die Elmire des Wassers, die alle Flüssigkeiten kontrollieren können. Die Elmire der Erde, die den Boden und alle Gesteine bewegen können. Elmire des Sandes, denen sich der Sand unterordnet und zuletzt Elmire des Giftes, die...« Er pausierte und runzelte die Stirn.

Ich setzte fort: »Die mit ihrem Gift betäuben und töten können. Wobei du zurecht gezögert hast, da ein Elm gefüllt mit Gift ziemlich selten ist und kaum einer diese Elmire jemals zu Gesicht bekam. Weiß irgendwer weshalb?« Ich blickte in die Menge junger Elmire, doch nur Timmy hob den Arm. Somit sprach ich weiter: »Da die Überlebenschance dieses Elmirs höchstens siebzehn Jahre betrifft und deshalb wenig Nachkommen existieren.«

Ich schielte leicht zu Timmy und fragte: »Weiß einer weswegen gerade bis zu diesem Alter?«

»Ja«, rief Timmy, »weil ab diesem Alter das Elm eines Elmirs ausgereift ist. Da es sich um Gift handelt, fängt das Elm an den Körper des Elmiren anzugreifen. Deswegen sterben viele Elmire bevor ihr Elm ausgereift ist. Da man nicht einmal weiß, woher diese Gabe kommt, wird vermutet, dass es sich um einen genetischen Fehler handelt. Die armen Elmire...«

»Stimmt genau, Timmy. Ich schweife zwar wieder in ein anderes Fachgebiet ab, aber kannst du mir sagen, welcher bekannte Elmir ein Elmir des Giftes war?«

Ich blickte in Timmys braune Augen, die mich erschrocken wie ein Reh anstarrten. Dann hob sich eine Hand in den hinteren Reihen und erneut stieg Scham in meinen Kopf. Der Elmir mit den dunklen saphirblauen Augen wartete darauf, dass ich ihn aufrief. Schließlich war er der einzige der sich zu reden traute. Ich nickte. Wie konnte ich nur seinen Namen vergessen?

Mit weichem Ton sprach er: »San de Sangguin, Eure Majestät.« Seine Stimme zauberte mir ein solch wärmende Gefühl um mein Herz, dass es mir schon peinlich wurde, obwohl nur mein Geist dies verspürte. Mit einem Kopfnicken gab ich ihm zu verstehen, dass er fortfahren konnte: »Woher die Gabe stammt, das weiß man nicht. Zwischen Biologen und Gottesfürchtigen gibt es eine nicht endende Diskussion. Jedenfalls ist sie mit großem Leid verbunden. San de Sangguin wurde mit dieser geboren. Deshalb verweigerte sein Vater ihm den Thron. Ihm, den Erstgeborenen. Ein Elmir mit missratener Gabe habe nichts auf dem Saphirthron zu suchen. Wie jeder Elmir des Giftes überlebte San de Sangguin seine Gabe nicht. Sie zerfraß ihn von innen, obwohl er mit zwanzig Jahren seine Gabe doch beeindruckend lange überlebte.« Eine angespannte Ruhe herrschte im Raum. Alle Studenten blickten in die dunkelblauen Augen des jungen Elmiren. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter. »Beeindruckend, ja?«, flüsterte ich. »Gut. Danke sehr.«

»Gibt es nur diese Gaben?«, fragte ich in die Klasse und alle schwiegen. Sie waren genauso gefesselt von der schauderbar schönen Stimme ihres Mitstudenten. Ich beschloss ihnen etwas zu helfen: »Habt ihr schon einmal etwas von sogenannten Spezialgaben gehört?«

Macks, den ich nicht sonderlich mochte, da er provokant nie im Unterricht zuhörte, meldete sich zögernd. Sein Haar war zerzaust und unordentlich. So drückte er wohl seine Rebellion aus. Er trug letztendlich die Akademieuniform, nachdem ich ihn mehrmals ermahnt hatte. Zu meinem Glück. Denn mit meiner heutigen Erscheinung hätte ich ihn wohl kaum ermahnen können. Seine hellblauen Augen funkelten mich frech an. Ich zog verblüfft eine Augenbraue hoch und rief ihn auf.

»Wenn zum Beispiel ein Elmir des Wassers nicht nur Wasser kontrollieren kann, sondern es auch in einen anderen Aggregatzustand versetzen kann, also Wasser gefrieren oder Eis verflüssigen kann, dann hat er die Spezialgabe Aggregation.«

Ich war total perplex. Doch dann bemerkte ich seinen scharfen Blick zum dunkelblauäugigen Elmiren. »Diese Fähigkeit hat eigentlich jeder Wasserelmir. Das ist also nicht so spannend«, bemerkte Macks und gähnte.

»Sehr gut, Macks. Da steckt ja doch ziemlich viel Intelligenz in dem sturen Köpfchen«, äußerte ich ohne beleidigende Absicht und er sah mich mit genervten Blicke an. »Nun denn, kann mir jemand weitere Spezialgaben nennen?«

Wieder meldete sich Macks – ich sah Trotz in seinen Augen funkelt - und meinte: »Elmire des Feuers können Explosionen auslösen. Das ist aber enorm selten. Außerdem können sie Blitze erzeugen. Bei Erdelmiren ist es Sand und bei Sandelmiren ist es Gestein, also hebt sich dies unpraktischer Weise auf. Aber sie stammen ja auch von derselben Göttin ab, deshalb ist es eigentlich nicht verwunderlich. Ich frage mich eigentlich ständig, warum deshalb überhaupt Unterscheide gemacht werden. Für mich sind das alles Erdelmire. Naja, auf jeden Fall soll es auch noch verborgene Gaben geben. Sie sind aber eher ein Gerücht. Anscheinend kann man sie auf dem Kontinent der Geister erlernen. Sie sollen sehr gefährlich sein.«

Ich nickte ihm bestätigend zu und griff seine Bemerkung über das Erbe von Misames auf: »Es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen Sand- und Erdelmiren. Du hast schon recht, dass sie im Grunde zur gleichen Gabenklasse gehören. Doch eins hast du übersehen. Die Sandelmire kontrollieren ihr Element anders, als ihre Brüder und Schwester. Sie haben deutlich feinere Bewegungen und erspüren auch nur jedes kleinste Detail von Steinkorn. Sie sind in der Lage sensibler auf Erschütterungen zu reagieren und sind in ihren Bewegungen deutlich flinker. Während Erdelmire kraftvoll unzählige Steinmassen bewegen können.« Einige Elmire der Erde und des Sandes nickten bestätigend.

Eine Elmirin streckte ihre Hand in die Höhe: »Eure Majestät, Ihr habt uns letzte Stunde noch versprochen zu erklären, weshalb es überhaupt gabenlose Elmire gibt.«

»Ah«, gab ich sofort von mir und schüttelte unmerklich meinen Kopf. »Verzeiht. Das habe ich völlig vergessen. Natürlich mache ich das, Alene. Danke, dass du mich daran erinnerst.« Ich sammelte meine Gedanken und begann zu erklären: »Zu Beginn der Zeit der Elmire gab es keine gabenfreie Elmire. Die Götter bildeten uns nach ihrem Abbild und schenkten jeder Gabenklasse die eigene Gabe. Einige waren talentierter und konnten Unmengen an Kontrolle über ihre Naturgewalt gewinnen. So konnten einige Erdelmire ganze Steinhäuser versetzen, andere Elmire des Feuers konnten lediglich geradeso ihre Herdplatte anzünden. Die Gaben waren also verschieden stark ausgeprägt. Über die Jahre hinweg verloren diejenigen Elmire, die ihre schwache Gabe nicht pflegten, ihre Naturgabe. So gingen viele Gaben verloren und gabenlose Elmire entstanden. Die Natur hat so ihre unergründlichen Wege. Wer weiß, wie die Zukunft aussehen wird. Ich denke, niemand hätte damals gedacht, dass gabenfreie Elmire auf Zuranem wandeln würden.« Dann murmelte ich etwas leiser: »Und niemand hätte gedacht, dass eine Elmirin mit zwei Gaben über Zuranem wandeln würde...«

Daraufhin meldete sich eine Elmirin. Ich zeigte lediglich mit dem Finger auf sie. »Wie ist es dann möglich, dass Eure Hoheit sowohl eine Wasser-, als auch eine Feuergabe haben?«, fragte sie.

»Gute Frage. Nun denn, ich selbst habe mich noch nie aufgeschlitzt«, die Studenten lachten leise, »aber ich vermute, dass ich in meinem Elm nicht eine große Kammer habe, sondern eben zwei Gefäße. Stell diese Frage doch bitte deinem Perfekter in Elmchemie. Er wird mich sonst zweiteilen, wenn ich das Thema vorwegnehme. Jedoch kann ich es mir nicht anders erklären. Aber ich muss dazu sagen, dass ich das Gefühl habe eher zu den Elmiren des Feuers zu gehören. Vielleicht hat Luque deshalb nur meine Feuergabe erhalten. Wer weiß.«

»Majestät…«, murmelte die Elmirin, »könnt Ihr uns bitte die Geschichte erzählen, wie Luque Euer Bindungs-Elmir geworden ist?«

Ich legte die schwarze Kohle, mit der ich geschrieben hatte, auf die Seite und setzte mich wieder auf das Pult.

»Na gut, wer möchte noch Zeit schinden?«, fragte ich und zog die Augenbrauen hoch.

Alle meldeten sich zögernd und halb lächelnd. Ich fing also an zu erzählen: »Ich erinnere mich noch sehr gut daran. Es war vor fast genau fünf Jahren. An diesem Tag war der Himmel strahlend blau gewesen und der frische Wind ließ das blaue Gras zwischen Samuels, Milenas und meinen nackten Füßen tänzeln. Die Sonne schimmerte über die grauen Felsen und ich hielt mir die Hand an die Stirn, um etwas sehen zu können. Es war ein wundervoller Tag und wir tollten herum und rauften uns – na, wie es eben junge Elmire tun. Doch plötzlich erschütterte ein Schrei meine Trommelfelle. ‚Oh je, habt ihr das gehört?‘, flüsterte ich und meine Stimme glitt vor Schreck eine Oktave höher. ‚Was gehört?‘, hatte Samuel gefragt und sein Lachen entschwand. ‚Jasa, du siehst aus wie ein Gespenst’, rief Milena. Sie hatte mir an die Wange gefasst und war vor Schreck zurückgesprungen. ‚Und du bist ganz kalt!‘, meinte sie. Ihr wisst ja, dass ein Elmir des Feuers nicht unterkühlt sein darf, auch wenn ich einen Teil eines Wasserelmiren in mir trage. Wie dem auch sei, sie hatten also nichts gehört, doch immer wieder wurden meine Ohren von einem hilflosen Schrei gequält. Mein Kopf hatte schrecklich gebrannt. So etwas Schmerzvolles hatte ich seit damals nicht mehr verspürt. Mein Körper fing an zu zittern. Ich hörte den Hilfeschrei eines Elmiren und ich war mir absolut sicher, dass ich es mir nicht einbildete. Samuel und Milena wurden ohne Vorwarnung überrascht, als ich entschlossen über die Felsen auf die andere Seite lief. Meine Gedanken hingen nur an dieser Stimme, mein ganzer Körper wurde zu meinem Gehirn, der nur an diesen armen Elmiren dachte. Es war wirklich seltsam. Ich rannte so schnell ich konnte und meine Augen erblickten einen kleinen Jungen der von einem Sanelmir des Feuers bedroht wurde. Die Feuerpeitsche schlug Millimeter dicht neben dem Jungen ein und er lag hilflos und weinend vor dem schrecklichen Monster. Ich rief hinunter und der Sanelmir sah mich mit einem dämonischen Lächeln an. Ich sage euch, es ist wahrlich unfassbar, wie man sofort den Hass auf diese abscheuliche Kreatur verspürt. Reflexartig knirschte ich mit meinen Zähnen. ‚Was sucht ein Scheusal wie du im Reich der Elmire?‘, zischte ich. Der Sanelmir fing an zu lachen. ‚Das Reich der Elmire? Dieses Reich wird bald uns gehören’, sagte er bitter. Ich wäre an diesem Tag tatsächlich tot gewesen, wenn in diesem Moment nicht etwas Unfassbares passierte. Der Junge sah mich an. Sein Haar war pechschwarz wie die Mondsstille und seine Augen waren so strahlend giftgrün, dass sie einen blendeten. Als er meine Augen erblickte hörte ich sein Herz schlagen, er war ein Elmir ohne Gabe, das spürte ich. Ab diesem Augenblick sah ich alles verzögert vor Augen. Es war schlicht seltsam. Der Sanelmir trat einen Schritt vor und ballte die Faust. Auch wenn ich noch keinen ausgewachsenen Elm besaß und mit meinen elf Jahren noch nicht viel über die Kraft des Feuers wusste, war mir eindeutig klar, dass er die Feuerfaust gegen mich anwenden würde – einen Klassiker. Die Flamme entzündete sich gerade, als ich einen Schritt zur Seite machte. Das Feuer schoss an mir vorbei. Dies ging die ganze Zeit so weiter, ich wich ständig aus. Er hatte keine Möglichkeit mich zu treffen. Doch dann lächelte der Sanelmir so seltsam und ich spürte, dass etwas Schreckliches passieren würde. Seine Tat war sogar zu schnell für die Verzögerung, die ich vor Augen hatte, doch ich wusste was er vorhatte. Er würde eine gewaltige Feuerwelle auf Luque schießen und ihn so qualvoll verbrennen lassen. Er hätte es sicher geschafft. Doch ich schmiss mich instinktiv vor den mir damals unbekannten Jungen. Das letzte was ich hörte war der dumpfe Schrei von Milena, danach spürte ich nichts mehr. Den Rest erfuhr ich durch sie und Samuel, denn ich habe keinerlei Erinnerung mehr…«, ich stoppte, als ich plötzlich das Zufallen einer Tür hörte.

»Angenehme Tiefsonne, Elmir Samuel de Deserta«, riefen die Elmire im Chor. Samuel war hereingekommen und stand mit verschränkten Armen an der Tür.

»Sie starb nicht«, murmelte er und sein Blick haftete an mir, »nein, sie fiel nicht einmal auf die Knie. Ein grünes Glühen umhüllte sie und als es langsam nachgab, konnten wir eins deutlich erkennen. Jasamin stand mit geschlossenen Augen auf der blauen Wiese und ein grüner Schweif umschloss ihren Körper. Luque stand vor ihr und sein Angriff war zu schnell für Milenas und meine Augen. Er schlug mit der Feuerfaust auf den Körper des Sanelmiren ein und tötete ihn so.Egalwas es war, das sie vor dem sicheren Tode bewahrt hatte, ich bin ihm unendlich dankbar.«

Hinter den Burgmauern

Der goldene Staub rastete auf den blauen Weiden von Caerulpratum. Durchaus untypisch für die Sommerzeit dieses Landes. Das Haar der Elmire schimmerte im goldenen Glanz des Winterstaubes und bedeckte, hineingetragen durch Mantel und Stiefel, den schwarzen Vulkansteinboden der Akademie.

»Vulkanstein aus Deserta, sehr schön, wahrlich sehr schön«, murmelte Elmir Puccino, ein Elmir aus dem grünen Land Pubridi. Er war mir durchaus schon vor unserer heutigen Begegnung bekannt gewesen. Seine Familie führte seit Generationen ein erfolgreiches Unternehmen spezialisiert auf Bodenbeläge aus verschiedensten Gesteinsarten. Der Elmir der Erde beugte sich vor und betrachtete den Boden gründlich.

»So ist es, Elmir Puccino«, sprach ich und versuchte die Langeweile, die wie ein Nebel meinen Geist umhüllte, zu überspielen.

»Bitte, Eure Majestät, nicht so förmlich! Nennt mich Tizio. Im Übrigen spreche ich wohl für alle Anwesenden, wenn ich sage, dass es eine wahrlich große Ehre ist die zukünftige Oberkönigin kennenzulernen.« Elmir Puccino machte eine leichte Verbeugung mit dem Kopf, sodass ich seine Halbglatze erkennen konnte. Die anderen rund zwei Dutzend erwachsene Elmire nickten zustimmend.

»Mir ist es ebenso eine Ehre die Eltern unserer Primer von morgen kennenzulernen«, gab ich zurück und machte ebenfalls eine Verbeugung mit dem Kopf.

Wie jedes neue Jahr war mir die Ehre zuteil den Eltern unserer Primer die Akademie vorzustellen. Die Elmire waren aus jeglichen Ländern angereist, um in diesem Mondschatten das Aufnahmeritual ihrer Abkömmlinge mitzuerleben.

»Fantastische Wandarbeit. Saphirwände kombiniert mit Vulkanboden, Vaters Lieblingskombination. Wunderschön anzusehen. Ja, wunderschön«, murmelte Tizio in sich hinein und berührte die Wände.

Ich betrachtete den Flur, in dem wir uns befanden. Vulkanboden und Saphirwände – durchaus edel. Das Sonnenlicht, das durch die großen Korbbogenfenster hineinfand, ließ den Flur in schönstem Blau erleuchten. An der Decke hingen mehrere helle Fackelleuchten. Sie wurden im Gang niemals gelöscht. Deshalb wurde es das ewige Feuer genannt. Samuel hatte als Kind Spaß daran gehabt, die Fackeln heimlich zu löschen.

Fast alle fünf Meter sah man helle Granittüren an der Wand, die zu den Trainingsräumen führten. Das Erdgeschoss der Akademie war ausschließlich für solche Räume konzipiert. Meist waren sie leer, mit Boden aus weichem Blauholz und einer Wand voller Spiegel. In einigen befanden sich Sandsäcke und gleichzeitig horizontale Stangen zur Dehnung. Stärke und Beweglichkeit war das Fundament unserer Ausbildung. Den Elmirinnen gefiel am Meisten der große Turnsaal, der den halben Keller ausmachte. Der mattgraue Boden federte leicht.

»Es wäre uns eine Ehre, wenn Eure Majestät ihr Talent vorführen würde«, sprach ein Elmir des Wassers. Seine weißen Augen sahen mich erwartungsvoll an. Da ich jedes Jahr darum gebeten wurde, kam diese Bitte nicht überraschend.

Ohne zu zögern machte ich drei Flickflacks, einen Rückwärtssalto, eine Schraube und landete in einem perfekten Stand. Der Beifall verriet mir, dass sie durchaus beeindruckt waren. Folgend führte ich sie in den zweiten Stock und zeigte ihnen die Unterrichtsräume. Im dritten Stock gab es wenig zu sehen, dort befanden sich bloß die Wohnräume aller Elmire.

Ich öffnete die Tür zu einer leerstehenden Wohnung und erläuterte: »Sie sehen hier die Wohnungen der Primerpaare. Es beinhaltet ein kleines Wohnzimmer mit einem Eisschrank für Getränke. Zum Essen begeben sich die Primer in den Küchensaal, den ich Ihnen zuvor gezeigt habe. Außerdem gibt es einen kleinen Waschraum mit Toilette. Das Zimmer, welches sie dort sehen – ja, Elmir Puccino öffnen Sie ruhig die Tür – nun, jetzt können Sie sehen, dass es sich um das Schlafzimmer handelt – mit Stockbett und Kleiderschrank.«

Weiter begaben wir uns auf Wunsch meiner Gäste in meinen Wohnraum.

»Wahrlich angemessen für einen nicht gewöhnlichen Perfekter«, sagte ein Elmir des Feuers. Ich schmunzelte nur stumm, als ich die staunenden Blicke der Elmire sah.

Meine und Samuels Wohnung war, ebenso wie die Wohnung meiner Gefährten, um einiges größer als die der Primer und der anderen Perfekter, da es sich bei uns um den Königsverbund des Lunox handelte. Ich betrachtete das riesige Wohnzimmer inklusive offenem Speisezimmer und Küche, sodass wir nie in dem Gemeinschaftsraum speisen mussten. Sam und ich besaßen separate Waschräume und ebenfalls getrennte Schlafgemächer. Die Elmire waren sprachlos, trotz dessen, dass Adelsblut unter ihnen weilte.

Nachdem wir, für meinen Geschmack zu lange, bei den Gemächern verweilten, zeigte ich ihnen den Platz zum Bogenschießen. »Diese Pfeile können eine Mauer in Bruchteilen einer Sekunde durchstoßen, das ist die Technologie der Salyber«, sagte ich und die Elmire nickten, da sie alle die Geschichten der freien Elmire kannten, die in den Wäldern versteckt lebten und die schaurigsten Waffen besaßen.

Sie sahen einige Minuten einem Perfekter dabei zu, wie er die Pfeile auf die speziell gehärtete Zielscheibe schoss, die in fünfzig Meter Entfernung befestigt worden war. Nachdem auch sein letzter Pfeil mit voller Wucht die Mitte der Zielschreibe traf, ließ er seine Arme sinken und drehte seinen Kopf mit geschlossenen Augen in unsere Richtung. Irgendwie schien ich ihn zu kennen, doch mir viel sein Name nicht mehr ein. Wenn man sein Alter und sein Talent beurteilte, müsste er eigentlich in meinem Jahrgang sein. Doch irgendwie fiel mir sein Name nicht ein. Der Bogenschütze verbeugte sich elegant in meine Richtung und nachdem er sich aufrichtete, öffnete er seine Augen. Oh, diese Augen. Perfekte Perlen von dunklem Saphirblau leuchteten in mein Gesicht. Wärme breitete sich, wie ein Feuer in der kalten Nacht, um mein Herz aus. Die Luft in meiner Lunge fand nur auf Umwegen den Weg hinaus. Seine schönen saphirblauen Augen strahlten über den gesamten Platz. Seltsam, tintenblaue Augen. Das war mir so noch nie bekannt gewesen. Wie selten diese Farbe doch war.

»Eure Majestät?«, ertönte eine bekannte Stimme hinter meinem Ohr. Ich schüttelte meinen Kopf und antwortete unverzüglich: »Die Wasserbecken. Die Wasserbecken fehlen uns noch.«

Wir liefen weiter über das blaue, wehende Gras zum Wasserbecken. Jeder Elmir hatte die Pflicht schwimmen zu lernen und nicht einfach nur irgendwie möglich. Hier mussten sie sich in wenigen Sekunden am gegenüberliegenden Beckenrand befinden. Dies war im Gefecht äußerst überlebenswichtig. Gerade für die Elmire, die keine Wassergabe besaßen. Dabei waren die Studenten unter Beschuss. Die Munition fürs Training bestand aus verhältnismäßig weichen Kugeln, die jedoch trotzdem hässliche Blasen auf der Haut hinterließen. Motivation war also vorhanden.

Die Akademie war anbetungswürdig. Ganz im Geiste der vier Naturgaben spiegelte sie unseren Zusammenhalt wider. In mitten der Akademie befand sich eine gewaltige Mauer mit alten Schießscharten, aus welchen Unmengen an Wasser metertief hinabfiel. Dieser Wasserfall traf auf die heraustretende Mauer, die das Burgtor umschloss, und teilte sich in zwei Hälften. Das Burgtor war von großen Verzierungen alter Kampfutensilien der gabenfreien Elmiren bestückt. Außerdem war die Akademie umschlossen von einem schmalen Gürtel an Burggarten aus Sand und türkisblauen Kristallblumen, die das gelbe Sonnenlicht reflektierten. Natürlich reichte es Oberkönig Adarius de Caerulpratum nicht, dass die Akademie selbst aus Stein und Fels bestand, um den Erdelmiren Ehre zu machen. Er ließ in jener Zeit auch eine niedrige Mauer mit zahlreichen verschiedenen Gesteinsarten um den Sandgarten errichten. Doch das was die Akademie auch im Mondschatten erstrahlen ließ, waren die beiden gewaltigen Ecktürme auf deren Spitze ewiges Feuer flammte. Man sagte sich, dass sie eigens von den Göttern entzündet wurden. Die Mauern der Akademie waren in einem dunklen Königsblau gestrichen, wobei langsam das dunkle Braun des Gesteins hindurchschimmerte. Die alten Gucklöcher wurden längst durch Glasfenstern ersetzt, die mehr Licht in die Räume ließen. Alles im Ganzen war unsere Akademie kein schlechtes Zuhause und ich wusste, es würde mir fehlen, wenn ich im Schloss leben würde. In drei Monaten war es so weit. In drei Monaten würde ich zur Oberkönigin gekrönt werden. Dies klang im erstem Moment berauschend, doch um Königin zu werden, musste ich einen Prinzen des ersten Standes heiraten. Leider war dies von Nöten. Einige Stämme vom grünen Land Pubridi sahen Elmirinnen nicht zum Anführen geboren. Ein Sohn müsste den Thron regieren. Deshalb gäbe es nur eine Göttin, aber viele