Die Königreiche Gottes 4: Das zweite Imperium - Paul Kearney - E-Book

Die Königreiche Gottes 4: Das zweite Imperium E-Book

Paul Kearney

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Beschreibung

König Lofantyr ist tot. Doch der Armee von Torunna gelingt trotzdem das Nichtgeglaubte: Sie schlagen den Angriff der Merduks zurück. Macher und zentrale Figur des Teilerfolges: Corfe, der ehemals einfache Soldat aus Aekir und seine Kampfeinheit, die Kathedraler. Corfe wird zum General ernannt, und sein Stern steigt sowohl bei der Königin als auch beim Volk. Sehr zum Missfallen des torunnischen Adels. Diesen stets tadellos gekleideten Herren, die eine Schlacht noch nie aus der Nähe gesehen haben, ist der bürgerliche Emporkömmling ein Dorn im Auge. Und so beginnen die Intrigen, während sich die Merduks eingraben, um den bitterkalten normannischen Winter abzuwarten.

Unterdessen hat Abeleyn von Hebrion den Putschversuch seines Adels mit Pauken und Trompeten zunichte gemacht. Dank Golophins wiedererstarkten magischen Kräfte völlig genesen, hält er nun die Krone fester denn je in seinen Händen. Unterdessen nähert sich das Schiff von Richard Hawkwood mit den wenigen Überlebenden der Expedition der hebrionischen Küste. Endlich zu Hause! Doch das Grauen des westlichen Kontinents ist mit an Bord.

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Seitenzahl: 475

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Inhalt

Was zuvor geschah …

Prolog

Teil I. Die Rückkehr des Seemanns

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Teil II. Tod eines Soldaten

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Zweiundzwanzig

Epilog

Paul Kearney

Die Königreiche Gottes 4

Das zweite Imperium

Ins Deutsche übertragen von Michael Krug

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg August 2017 Alle Rechte vorbehalten Das Original erschien 2000 bei Victor Gollancz Ltd The Second Empire – Monarchies of God 4 © 2000 by Paul Kearney Published by Arrangement with Paul Kearney Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin Titelbild und Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Lektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-493-1 ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-530-3 Dieses Paperback/E-Book ist auch als Hardcover-Ausgabe direkt beim Verlag erhältlich Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de
Für John McLaughlin

Was zuvor geschah …

Vor fünf Jahrhunderten erhoben sich zwei große Glaubensrichtungen, welche die gesamte bekannte Welt beherrschen sollten. Ihre Wurzeln hatten sie in den Lehren zweier Männer: im Westen in jenen des Heiligen Ramusio, im Osten in jenen des Propheten Ahrimuz.

Der Aufstieg des ramusischen Glaubens begann zur selben Zeit, als der Zerfall des fimbrischen Imperiums, das sich über den ganzen Kontinent erstreckte, seinen Anfang nahm. Die besten Soldaten, welche die Welt je gekannt hatte, waren in einen erbittert geführten Bürgerkrieg verstrickt, der es den von ihnen eroberten Provinzen ermöglichte, sich eine nach der anderen abzuspalten. Aus diesen Provinzen wurden die Sieben Königreiche. Fimbrien verblasste zu einem Schatten seines früheren Selbst; die Truppen des Reiches waren zwar nach wie vor Ehrfurcht gebietend, doch man richtete das Augenmerk ausschließlich auf Probleme innerhalb der eigenen Grenzen. Und die Stärke der Sieben Königreiche wuchs – bis die ersten Heerscharen der Merduks über die Berge von Jafrar strömten und die Zahl der Sieben Königreiche bald auf fünf verminderte.

Und so kam es zum großen Streit zwischen den Ramusiern des Westens und den Merduks des Ostens – ein immer wieder aufflammender und unbarmherziger Krieg, der sich über Generationen erstreckte und schließlich, im sechsten Jahrhundert nach ramusischer Zeitrechnung, seinen Höhepunkt erreichte.

Denn Aekir, die bedeutendste Stadt des Westens und Sitz des ramusischen Pontifex, fiel letztlich im Jahre 551 den Invasoren in die Hände. Zwei Männer entkamen den Wirren beim Untergang der Stadt – zwei Männer, deren Überleben ungeahnte Folgen für die künftige Geschichte haben sollte. Einer der beiden war der Pontifex selbst‚ Macrobius, der in den übrigen ramusischen Königreichen und der Kirchenhierarchie tot geglaubt wurde. Der andere war Corfe Cear-Inaf, ein gemeiner Reitereifähnrich, der nach dem Verlust seiner Frau in den Wirren beim Fall der Stadt voller Verzweiflung desertierte und seinen Posten verließ.

Mittlerweile jedoch hatte die ramusische Kirche einen anderen Pontifex gewählt – Himerius, der sogleich begann, die Fünf Königreiche samt und sonders der Dweomer zu entledigen, eines Volkes von Magiern. Die Vernichtung der Dweomer trieb Hebrions jungen König, Abeleyn, dazu, eine schier aussichtslose Erkundungsfahrt in den äußersten Westen zu bewilligen, um den sagenumwobenen Westlichen Kontinent zu suchen, ein Unterfangen, das von seinem gleichermaßen ruchlosen wie ehrgeizigen Vetter, Fürst Murad von Galiapeno, geleitet wurde. Durch Erpressung brachte Murad einen meisterhaften Seemann, einen gewissen Richard Hawkwood, dazu, die Reise anzuführen. Als Fahrgäste und mögliche Kolonisten nahmen sie einige der auf der Flucht befindlichen Dweomer von Hebrion mit, einschließlich eines gewissen Bardolin von Carreirida. Doch als sie endlich in den sagenumwobenen Westen gelangten, stellten sie fest, dass dort bereits seit Jahrhunderten eine Kolonie von Lykanthropen und Hexern unter der Schirmherrschaft eines unsterblichen Erzmagiers namens Aruan lebte. Ihr Erkundungstrupp wurde ausgelöscht; allein Murad, Hawkwood und Bardolin überlebten.

In Normannien entzweite sich die ramusische Kirche vollends, da drei der Fünf Königreiche Macrobius als den wahren Pontifex anerkannten, während die anderen den neu gewählten Himerius bevorzugten. Ein Glaubenskrieg entbrannte, in dem die drei sogenannten Ketzerkönige – Abeleyn von Hebrion, Mark von Astarak und Lofantyr von Torunna – darum kämpften, ihre Throne zu behalten. Was allen dreien gelang, doch Abeleyn hatte den härtesten Kampf auszufechten. Er musste seine eigene Hauptstadt Abrusio zu Lande und zu Wasser erstürmen, wobei er sie zur Hälfte zerstörte. Im Augenblick des endgültigen Sieges traf ihn ein verirrtes Geschoss, das ihn in einen tiefen Dämmerzustand schleuderte.

Während Abeleyn dahinvegetierte, behütet von seinem getreuen Zauberer Golophin, entbrannte ein Machtkampf. Abeleyns Mätresse, Jemilla, versuchte, einen Regentschaftsrat zu errichten, der über das Königreich herrschen und das Thronfolgerecht ihres ungeborenen Kindes – angeblich auch jenes des Königs – anerkennen sollte. Golophin und Isolla, Abeleyns Verlobte aus Astarak, bemühten sich ihrerseits, Jemillas Bestreben zu vereiteln. Nachdem die Zauberkräfte des völlig ausgezehrten Golophin durch einen unerwarteten Eingriff von Aruan aus dem Westen wiederhergestellt waren, weckte Golophin den König aus seinem Dämmerzustand und ersetzte dessen fehlende Beine durch magische Glieder aus Holz.

Überall auf dem Kontinent befanden sich die Königreiche Gottes in einem Zustand fieberhaften Wandels. In Almark hinterließ der sterbende König Haukir sein Reich der himerischen Kirche, wodurch diese über Nacht zu einer bedeutenden weltlichen Macht erstarkte. Der Mann an der Spitze der neuen Macht war in Wirklichkeit eine Marionette Aruans, jenes Hexers aus dem Westen, und nach einem schrecklichen und qualvollen Weiheritual wurde er, wie sein Meister, zum Werwolf.

Und in Charibon stießen zwei seiner weniger erhabenen geistlichen Brüder, Albrec und Avila, auf ein uraltes Dokument, eine Lebensgeschichte des Heiligen Ramusio, aus der hervorging, dass Ramusio und der Prophet Ahrimuz der Merduks ein und derselbe waren. Die beiden der Ketzerei schuldigen Mönche flohen aus Charibon, doch erst nach einer grauenvollen Begegnung mit dem Oberbibliothekar der Klosterstadt, der sich ebenfalls als Werwolf entpuppte. Sie flüchteten mitten hinein in einen mittwinterlichen Schneesturm und wären wohl darin umgekommen, hätte sie nicht eine vorbeiziehende fimbrische Armee gerettet, die unterwegs nach Osten war, um die Torunnen bei ihrem Kampf gegen die Merduks zu unterstützen. So bewältigten die beiden Mönche schließlich den beschwerlichen Weg nach Torunn, wo sie Macrobius mit dem folgenschweren Wissen konfrontierten, das sie mit sich führten.

Weiter östlich wurde die bedeutende torunnische Feste von Ormann, bei deren Verteidigung Corfe sich auszeichnete, zur Zielscheibe der gebündelten Sturmangriffe der Merduks. Corfe wurde befördert. Nachdem die torunnische Königswitwe Odelia auf ihn aufmerksam geworden war, erhielt er den Auftrag, die aufrührerischen Adeligen im Süden des Königreichs in die Schranken zu weisen. Dieses Unterfangen nahm er mit einer bunt zusammengewürfelten, kärglich ausgerüsteten Bande ehemaliger Galeerensklaven in Angriff – mehr gestand der torunnische König ihm nicht zu. Corfe, ständig von der Erinnerung an seine verloren geglaubte Gemahlin heimgesucht, wusste nicht, dass sie Aekirs Untergang in Wahrheit überlebt hatte und mittlerweile die Lieblingskonkubine des Sultans Aurungzeb höchstpersönlich war – und dessen Kind im Leib trug.

Die Merduks ließen schließlich von den Sturmangriffen ab, die sie teuer mit den Leben ihrer Soldaten bezahlten, und wichen auf dem Seeweg an die Flanken der Feste von Ormann aus, wodurch sie den Abzug der torunnischen Verteidiger erzwangen. Die auf dem Rückzug befindliche Garnison schloss sich mit den Fimbriern zusammen, die zu spät zu ihrer Verstärkung eingetroffen waren. Die vereinte Streitmacht wäre an den Nordausläufern vom Antlitz der Erde gefegt worden, hätte Corfe nicht seine Befehle missachtet und sein eigenes Kommando gen Norden geführt, um sie aus dem Würgegriff der feindlichen Heerscharen zu befreien. Am Ende schrumpften beide Armeen auf die Hälfte. Dank der torunnischen Königsmutter wurde Corfe zum General des Restheeres ernannt. Er und Odelia wurden ein Liebespaar, was für die geschwätzigen Höflinge ein gefundenes Fressen war und den jungen König Lofantyr zusätzlich gegen ihn aufbrachte.

Lofantyr führte die gesamte verbliebene Armee Torunnas zu einem letzten, verzweifelten Versuch ins Feld, dem Vormarsch der Merduks Einhalt zu gebieten, und kam bei einer gewaltigen Schlacht ums Leben. Corfe gelang es, das Gemetzel doch noch in eine Art Sieg umzukehren und die Armee abermals nach Hause zu führen. Diesmal wurde er zum Oberbefehlshaber ernannt.

Das Jahr 551 war zu Ende und ein weiteres Kapitel in Normanniens bewegter Geschichte sollte geschrieben werden. Jenseits des Horizonts befand sich Richard Hawkwoods übel zugerichtetes Schiff endlich auf der entbehrungsreichen Heimreise und brachte Kunde von der schrecklichen Neuen Welt im Westen.

Prolog

Die behelfsmäßige Pinne sträubte sich unter ihren Händen, peitschte schmerzhaft gegen Rippen. Gemeinsam mit den anderen presste Hawkwood sie mit zusammengebissenen Zähnen fester gegen die wunde Brust. Durch seine Gedanken jagte ein Sturm wüster Flüche – eine hilflose Wut, die den Wind, das Schiff, das Meer selbst und die weite, gleichgültige Welt verfluchte, über deren Antlitz sie in wilder Fahrt segelten.

Der Wind drehte einen Strich. Hawkwood spürte, wie er ihm frostig und regenschwer ans rechte Ohr fuhr. Mit krächzender Stimme, die den tosenden Sturm kaum zu übertönen vermochte, rief er: »Brasst die Rah, der Wind dreht sich! Brasst die Großrah herum oder Gott möge euch verrotten lassen!«

Weitere Männer erschienen auf dem von den Wogen überschwemmten Deck, taumelten aus ihren Verstecken hervor und wankten über das auf und ab tauchende Mittelschiff der Karacke. Sie alle waren in Lumpen gehüllt; einige sahen wie einstige Soldaten aus, da ihnen die Überreste von Uniformen um die Oberkörper flatterten. Sie wirkten unbeholfen und schwerfällig in der bitteren, alles durchtränkenden Gischt und vermittelten eher den Eindruck, in ein Krankenbett zu gehören als auf das Deck eines sturmgebeutelten Schiffes.

Aus den Tiefen des stampfenden Kahns hallte ein entsetzliches, knurrendes Grollen empor, das anschwoll, bis es die schrille Kakofonie des Windes, der rauschenden Wellen und des ächzenden Takelwerks übertönte. Es hörte sich wie eine riesige, eingesperrte Bestie an, die ihre Bösartigkeit in die Welt hinausbrüllte. Die Männer hielten in ihrer Arbeit an der triefnassen Takelung inne und einige schlugen das Heiligenzeichen vor der Brust. Einen Lidschlag lang lichtete blankes Grauen den Nebel der Erschöpfung, der ihre Augen umwölkte. Dann wandten sie sich wieder ihrer Arbeit zu. Die Männer im Heck spürten, wie der Zug der Pinne leicht nachließ, als die Rahen herumgebrasst wurden, um sie vor den sich drehenden Wind zu manövrieren. Mittlerweile wehte er achtern der Backbordseite herein und die Karacke preschte vorwärts wie ein Pferd durch tiefen Schnee, segelte nur unter einem gerefften Großsegel, während die anderen sich an den Rahen blähten, und wo sich einst die Besanmarsstange befunden hatte, prangte nur noch ein Stumpf, um den die schwarzen Stränge zerfetzter Wanten flatterten.

Nicht mehr ganz so weit, dachte Hawkwood und drehte sich zu seinen drei Gefährten um.

»Jetzt, da der Wind vom Hinterschiff reinweht, wird’s ein bisschen weniger rau.« Er musste schreien, um sich über den Sturm hinweg Gehör zu verschaffen. »Aber sorgt dafür, dass es so bleibt. Wenn der Wind zulegt, müssen wir vor ihm herfahren und sind dazu verflucht‚ nur noch zu navigieren.«

Einer der Männer, die bei Hawkwood am Ruder standen, war ein hochgewachsener, hagerer, bleicher Kerl mit einer hässlichen Narbe, die eine Seite seiner Stirn und Schläfe entstellte. An seinem Rücken klebten die Überbleibsel von Reitleder.

»Wir wurden schon vor langer Zeit verflucht, Hawkwood, und unser Unterfangen mit uns. Es wäre besser, den Kampf aufzugeben und das Schiff mit dieser Scheußlichkeit im Frachtraum sinken zu lassen.«

»Er ist mein Freund, Murad«, spie Hawkwood ihm entgegen. »Und wir sind fast zu Hause.«

»Ach was, zu Hause! Und was wollt Ihr aus ihm machen, wenn wir dort eintreffen? Einen Wachhund?«

»Er hat uns das Leben gerettet …«

»Nur weil er mit den Ungeheuern aus dem Westen unter einer Decke steckt.«

»… ein Meister, Golophin, wird in der Lage sein, ihn zu heilen.«

»Wir sollten ihn über Bord werfen!«

»Tut das und Ihr könnt diesen Kahn alleine steuern – mal sehen, wie weit Ihr kommt.«

Mit unverhohlenem Hass funkelten die beiden einander an, bis Hawkwood sich schließlich umdrehte und sein Gewicht wieder mit den anderen gegen die bebende Pinne stemmte‚ um die Karacke auf ihrem Ostkurs zu halten, Richtung Heimat.

Und im Laderaum unter ihnen heulte die Bestie in Einklang mit dem Sturm.

Sechsundzwanzigster Tag des Miderialon, im Jahr des Heiligen 552.

Drehender Wind aus Nordnordwest. Schwerer Sturm. Kurs Südsüdost unter gerefftem Großsegel vor dem Wind. Drei Fuß hoch Wasser im Laderaum, die Pumpen kommen kaum nach.

Hawkwood hielt mit dem Schreiben inne. Die Knie hatte er gegen den schweren, am Boden befestigten Tisch in der Mitte der Heckkabine gestemmt, das Tintenfass war fest von seiner linken Faust umklammert; trotzdem hatte er Mühe, sich auf dem Sitz zu halten. Eine stürmische, nachlaufende See, und die Karacke gebärdete sich mangels Ballast wild und unberechenbar; das Wasser im Laderaum schwappte mit jedem Stampfen. Zumindest spürte man bei einem Heckwind das Fehlen des Besans nicht so sehr. Als das Schaukeln des Schiffes ein wenig nachließ, schrieb Hawkwood weiter.

Von den zweihundertsechsundsechzig Seelen, die Abrusios Hafen vor etwa siebeneinhalb Monaten verlassen haben, sind nur noch achtzehn übrig. Der arme Garalvo wurde in der Mittelwache über Bord gespült, möge Gott seiner Seele gnädig sein.

Wieder hielt Hawkwood einen Augenblick inne und schüttelte den Kopf, als er an den bedauerlichen Vorfall dachte. Das Massaker im Westen und all das andere Grauen zu überleben – nur um zu ertrinken, als die heimatlichen Gewässer beinahe in Sicht waren!

Mittlerweile sind wir seit fast drei Monaten auf See, und per Koppelung schätze ich unseren Ostwert auf fünfzehnhundert Wegstunden, obwohl wir etwa halb so weit wieder nach Norden geraten sind. Aber nun lassen uns die Südwinde im Stich und wir werden neuerlich vom Kurs abgetrieben. Nach Jakobsstabpeilung entspricht unsere geografische Breite ungefähr der Gabrions. Der Wind muss sich weiter drehen, wenn er uns ermöglichen will, irgendwo in Normannien Land zu sichten. Unser Leben liegt in Gottes Händen.

»Gottes Hände«, murmelte Hawkwood. Meerwasser troff aus seinem Bart auf das zerfledderte Bordtagebuch und er tupfte es hastig auf. Die Kabine stand knöcheltief unter Wasser, so wie jedes Schott des Schiffes. Sie alle hatten längst vergessen, wie es sich anfühlte, trocken zu sein oder einen vollen Magen zu haben. Einige von ihnen hatten lose und verrottende Zähne; Narben, die vor zehn Jahren verheilt waren, begannen wieder zu nässen – alles Anzeichen von Skorbut.

Wie war es so weit gekommen? Was hatte ihre stolze, stattliche kleine Flottille dermaßen zerrüttet? Natürlich kannte Hawkwood die Antwort; er kannte sie nur allzu gut. Sie hielt ihn die Nachtwache hindurch hellwach, obwohl sein zu Tode erschöpfter Körper sich nach Vergessenheit sehnte. Die Antwort knurrte und brüllte im Laderaum seiner armen Osprey. Sie geisterte durch Murads mitternächtliche, von Krämpfen gebeutelte Albträume.

Er stöpselte das Tintenfass zu und faltete das Bordtagebuch in mehrere Lagen Öltuch. Auf dem Tisch vor ihm lag ein schlaffer Weinbeutel, den er sich um den Hals hängte. Dann watete und wankte er durch die stampfende Kabine zur Tür im gegenüberliegenden Schott und trat über das Sturmsüll in den Niedergang dahinter. Dort war es ebenso dunkel wie in jedem Schott des Schiffes. Sie hatten kaum noch Kerzen und nur noch ein, zwei kostbare Pint Öl für die Sturmlaternen. Eine Laterne hing schaukelnd an einem Haken im Niedergang. Hawkwood ergriff sie und ging weiter zu einer Luke im Deck, die hinunter in den Frachtraum führte. Dort zögerte er, während das Schiff rings um ihn stampfte und ächzte und ihm das Meerwasser um die Knöchel schwemmte. Er stieß einen lauten Fluch aus und machte sich daran, den Lukendeckel zu öffnen. Schließlich hob er ihn von einem gähnenden Loch und ließ sich behutsam über die Leiter in die pechschwarze Finsternis hinab.

Am Fuß der Leiter klemmte er sich in eine Ecke und fingerte nach dem Feuerstein und Stahl, die sich in einem Fach im Boden der Sturmlaterne befanden. Eine qualvolle, schier unerträgliche Weile schlug er Funken um Funken, bis einer den ölgetränkten Docht der Laterne entflammte und Hawkwood das dicke Glas herabsenken und die Lampe in eine Pfütze aus gelbem Licht stellen konnte.

Der Frachtraum war gespenstisch leer. Er enthielt lediglich ein Dutzend Fässer voll verfaulendem Pökelfleisch und übel riechendem Wasser – die letzten Vorräte der Besatzung. Überall drang Wasser herein; die Geräusche seiner armen, geplagten Osprey klangen wie eine misstönende Symphonie aus Quietschen und Stöhnen; die See brüllte draußen um den gemarterten Schiffskörper herum wie ein wildes Tier. Hawkwood legte eine Hand auf die Spanten des Kahns und spürte, wie sie auseinanderquollen, während die Osprey sich durch die windgepeitschten Wogen kämpfte. Wergstücke trieben im Wasser rings um seine Beine. Die Nähte öffneten sich. Kein Wunder, dass die Männer an den Pumpen nicht nachkamen. Das Schiff lag im Sterben.

Von unterhalb seiner Füße drang das Heulen eines Tieres empor, so laut, dass es sich mit dem jaulenden Tosen des Windes messen konnte. Hawkwood zuckte zusammen; dann stolperte er vorwärts zu einer weiteren Luke, die in das unterste Schott des Schiffes führte, in die Bilge.

Hier unten stank es. Der Ballast der Osprey war seit Langem nicht gewechselt worden und die tropische Hitze des Westlichen Kontinents schien ihm einen besonders widerwärtigen Moder verliehen zu haben. Doch es war nicht allein der Ballast, der so entsetzlich stank. Hier unten roch es noch nach etwas anderem. Es erinnerte Hawkwood an die Tiergehege eines Wanderzirkus – jener moschusartige Mief eines großen Tieres. Mit hämmerndem Herzen hielt er inne; dann zwang er sich weiterzugeben, wobei er sich tief unter den Decksbalken hindurchbückte. Die hin und her schwingende Laterne erzeugte ein wirres Schattenspiel aus Licht, Dunkel und schwappendem Nass. Das Wasser reichte Hawkwood schon bis über die Knie.

Irgendetwas war vor ihm, etwas, das sich im flüssigen Dreck der Bilge bewegte. Das Klirren von Metall auf Metall. Das Geschöpf erblickte ihn und ließ von seinem mühevollen Treiben ab. Zwei gelbe Augen schimmerten in der Finsternis. Kaum zwei Meter von der Stelle, an der die Kreatur unmittelbar an das Kielschwein der Karacke gekettet war, blieb Hawkwood stehen.

Die Bestie blinzelte; dann ertönten verständliche Worte, die sich aus der Tierschnauze entsetzlich anhörten.

»Kapitän. Wie nett von dir, mich besuchen zu kommen.«

Hawkwoods Mund fühlte sich trocken wie Sand an. »Sei gegrüßt, Bardolin«, brachte er hervor.

»Bist du gekommen, um dich zu vergewissern, dass die Bestie noch in ihrem Verschlag ist?«

»So ist es.«

»Sinken wir bald?«

»Noch nicht – wenigstens noch nicht gleich.«

Der riesige Wolf bleckte die Fänge zu einer Art Grinsen. »Nun, dann müssen wir wohl dankbar sein. «

»Wie lange wirst du noch so bleiben?«

»Keine Ahnung. Allmählich lerne ich es zu beherrschen. Heute Vormittag – war es Vormittag? Hier unten kann man das nicht so genau sagen. jedenfalls blieb ich beinahe eine halbe Wache lang menschlich. Zwei Stunden lang.« Ein tiefes Knurren entrang sich der Kehle des Ungeheuers; ein Laut, der an ein Stöhnen erinnerte. »Im Namen Gottes, warum lässt du nicht zu, dass Murad mich tötet?«

»Murad ist wahnsinnig. Du bist es nicht, trotz dieser … Sache, die dir widerfahren ist. Wir waren Freunde, Bardolin. Du hast mir das Leben gerettet. Wenn wir zurück in Hebrion sind, bringe ich dich zu deinem Meister, Golophin. Er wird dich heilen.« Selbst in Hawkwoods eigenen Ohren hörten sich die Worte bedeutungsleer an. Er hatte sie zu oft wiederholt.

»Das glaube ich nicht. Es gibt keine Heilung für die schwarze Veränderung.«

»Das werden wir sehen«‚ beharrte Hawkwood. Ihm fielen die Pökelfleischbrocken auf, die im schmutzigen Wasser der Bilge trieben. »Kannst du nicht essen?«

»Mich lüstet nach frischerem Fleisch. Die Bestie lechzt nach Blut. Ich bin machtlos‚ kann nichts dagegen tun.«

»Bist du durstig?«

»Sehr.«

Hawkwood nahm den Weinbeutel vom Hals, zog den Stöpsel heraus und hängte die Laterne an einen Haken im Schiffskörper. Dann bewegte er sich halb kriechend vorwärts und versuchte, nicht ob des Gestanks zu würgen, der rings um ihn aufstieg. Die Hitze, die das Tier vor ihm abstrahlte, wirkte überirdisch, widernatürlich. Er musste sich sehr überwinden, sich näher heranzuwagen. Als der Kopf der Bestie sich nach hinten neigte, setzte Hawkwood den Hals des Weinbeutels an die Schnauze des Ungetüms und ließ es trinken. Eine schwarze Zunge leckte jeden Tropfen der Flüssigkeit auf.

»Danke, Hawkwood«, sprach der Wolf. »Und nun lass mich etwas versuchen.«

Ein Schimmer ließ die Luft verschwimmen – und dann geschah etwas, dem Hawkwoods Augen nicht zu folgen vermochten. Das schwarze Fell des Ungetüms bildete sich zurück und binnen weniger Lidschläge war es Bardolin, der Magier, der dort kauerte, nackt, mit zottigem Bart. Sein Körper war übersät mit wunden Stellen, die das Salzwasser verursacht hatte.

»Schön, dass du wieder da bist«, meinte Hawkwood mit einem matten Lächeln.

»So fühlt es sich schlimmer an. Ich bin schwächer. In Gottes Namen, Hawkwood – ein Schnitt, und ich bin erlöst.«

»Nein.« Die Ketten, die Bardolin fesselten, bestanden aus Bronze, geschmiedet aus dem Metall einer der Falkonetten des Schiffes. Sie waren derb gefertigt und ihre Kanten hatten seine Haut an den Knöcheln und Handgelenken zu blutigem Fleisch aufgeschürft, doch jedes Mal, wenn Bardolin sich in die Bestie und wieder zurück verwandelte, heilten die Wunden ein wenig. Hawkwood wusste, dass es einer endlosen Folter gleichkam, doch es gab keine andere Möglichkeit, den Wolf zu fesseln.

»Es tut mir leid, Bardolin … War er inzwischen wieder hier?«

»Ja. Er erscheint in den Nachtwachen und hockt dort, wo du jetzt stehst. Er sagt, ich wäre sein, ich würde eines Tages seine rechte Hand werden. Und ich ertappte mich dabei, dass ich ihm glaubte, Hawkwood.«

»Kämpf dagegen an. Besinn dich darauf, wer du bist. Lass den Dreckskerl nicht gewinnen.«

»Wie lange noch? Wie weit haben wir es noch?«

»Nicht mehr weit. Noch eine Woche, vielleicht zehn Tage. Weniger, wenn der Wind dreht. Das ist nur eine vorüberziehende Bö – schon bald wird sie sich selbst verblasen.«

»Ich weiß nicht, ob ich so überleben kann. Es frisst sich in meinen Verstand wie eine Made … weicht zurück, doch es kommt wieder, immer wieder. Gütiger Gott! «

Bardolin schrie und sein Körper bäumte sich auf, riss an den Ketten, die ihn niederhielten. Sein Gesicht schien sich explosionsartig nach außen zu bauschen. Das Gellen verwandelte sich in das zornige, schmerzerfüllte Gebrüll eines Tieres. Vor Hawkwoods entsetzten Augen krümmte sich Bardolins Leib, schwoll an, knackte und knarrte auf übelkeiterregende Weise. Auf seiner Haut spross Fell und zwei horngleiche Ohren schossen aus seinem Schädel hervor. Der Wolf war zurückgekehrt. Gequält heulte er auf und zerrte an den Ketten. Zutiefst erschüttert wich Hawkwood zurück.

»Töte mich! Töte mich! Gib mir Frieden!«‚ kreischte der Wolf und dann lösten sich die Worte in einem Gebrüll blanken Wahnsinns auf. Hawkwood ergriff die Sturmlaterne und zog sich durch die modrige Brühe der Bilge zurück, überließ Bardolin in der Dunkelheit des Schiffsbauch seinem Kampf um seine Seele.

Welcher Gott erlaubte solche Abscheulichkeiten auf der Welt, die er geschaffen hatte? Was für ein Mensch musste man sein, um einem anderen so etwas zuzufügen?

Hawkwoods Gedanken wurden zurückgerissen an jenen schauderhaften Ort der Hexerei, des Gemetzels, des smaragdgrünen Dschungels: der Westliche Kontinent. Sie hatten versucht, dort eine neue Welt für sich zu beanspruchen – und es endete damit, dass sie um ihr Leben rannten. Hawkwood erinnerte sich an jede stickige, von Grauen erfüllte Stunde. Im von den Wogen hin und her geschleuderten Kadaver seines einst so stolzen Schiffes tauchte unwillkürlich wieder alles lebhaft vor seinem geistigen Auge auf …

Teil I.Die Rückkehr des Seemanns

Eins

Sie waren eine Meile, vielleicht zwei von der aschegeschwängerten Luft auf den Hängen des Undabane entfernt gestolpert. Dann brachen sie zusammen wie das Spielkartenhaus eines Kindes; ihr Mut war erschöpft. Ihre Brustkästen schienen zu eng, um die feuchte Luft aufzunehmen. Ausgestreckt lagen sie im Zwielicht auf dem Schlick des Dschungelbodens, während in den Bäumen über ihnen flüchtig erspähte Tiere und Vögel kreischten und gurrten; das Land selbst schien sich über ihr Versagen lustig zu machen. Mühsam rangen sie nach Atem; der Schweiß strömte über ihre Gesichter und die Insekten bildeten eine Wolke vor ihren Augen.

Es war Hawkwood, der sich als Erster erholte. Im Gegensatz zu Murad war er unverletzt und im Gegensatz zu Bardolin hatte niemand seinen Verstand benebelt. Er setzte sich im modrigen Humus, inmitten der schmarotzenden Lebensformen auf und vergrub das Gesicht in den Händen. Siebzehn von ihnen hatten Fort Abeleius vor etwa vierundzwanzig Tagen verlassen. Nun waren nur noch er und seine beiden Gefährten übrig. Diese grüne Welt war mehr, als ein Sterblicher zu ertragen vermochte, es sei denn, man war ebenfalls eine jener mordlüsternen Abartigkeiten, wie sie im Berg hausten. Er schüttelte den Kopf bei der Erinnerung an das Blutbad, das er dort erlebt hatte. Männer, die wie Karnickel gehäutet waren, in Stücke gerissen, ausgeweidet, die Innereien vermengt mit dem Gold, das sie gestohlen hatten. Masudis Kopf, der dunkel und glitzernd auf der Straße gelegen hatte; das Mondlicht, das sich schaurig in seinen toten Augen gespiegelt hatte.

Hawkwood mühte sich auf die Beine. Bardolin hockte da, den Kopf zwischen den Knien, und Murad lag reglos wie ein Leichnam auf dem Rücken; durch seine grässliche Wunde schimmerte weiß der Schädelknochen.

»Kommt. Wir müssen weiter, sonst kriegen sie uns.«

»Sie wollten uns gar nicht kriegen. Murad hatte recht«, sagte Bardolin. Zwar ließ er den Kopf unverändert hängen, doch seine Stimme klang klar und deutlich, jedoch belegt vor Gram.

»Das können wir doch gar nicht wissen«, herrschte Hawkwood ihn an.

»Ich weiß es.«

Murad schlug die Augen auf. »Was habe ich Euch gesagt, Kapitän? Äpfel vom selben Stamm.« Er kicherte. »Was für Dummköpfe wir armen Soldaten und Seeleute doch waren, dass wir ein Rudel von Hexen und Hexern zu ihren Meistern beförderten. Dem teuren Bardolin wird kein Haar gekrümmt – ihm nicht. Sie schicken ihn zurück zu seinesgleichen, mit Euch als Fährmann. Wenn jemand entkommen ist, dann ich. Andererseits – wohin bin ich schon entkommen?«

Er setzte sich auf und bei der Bewegung entstand ein Rinnsal aus dunklem, dickem Blut entlang seiner Wunde. Die Fliegen bildeten bereits einen schwarzen Schwarm darum. »Ach ja, in die Erlösung. Der verfluchte Dschungel. Und wir sind nur zig Wegstunden von der Küste entfernt. Gebt es auf, Hawkwood.« Stöhnend sank er zurück und schloss die Augen.

Hawkwood blieb stehen. »Vielleicht habt Ihr sogar recht. jedenfalls habe – oder hatte – ich immer noch ein Schiff und ich werde dieses von Gott verfluchte Land verlassen und mich wieder aufs Meer begeben. Neu-Hebrion, meiner Treu! Murad, wenn unter diesem Morast des Selbstmitleids, in dem Ihr Euch aalt, nur noch ein Funken Pflichtgefühl ist, dann werdet Ihr begreifen, dass wir nach Hause müssen, und sei es nur, um unser Volk zu warnen. Ihr seid Soldat und Adeliger. Ihr wisst doch noch, was Pflichtgefühl ist, oder?«

Die blutunterlaufenen Augen öffneten sich jäh. »Maßt Euch nicht an, mich zu belehren, Kapitän. Was seid Ihr denn schon außer Kehricht aus einer gabrionesischen Gosse?«

Hawkwood lächelte. »Mittlerweile bin ich ein Fürst aus der Gosse, Murad, habt Ihr das vergessen? Ihr selbst habt mich in den Adelsstand erhoben, zur selben Zeit, als Ihr Euch zum Statthalter von alldem hier erklärt habt …« Mit weit ausholender Armbewegung deutete er auf die uralten Bäume, den wilden Dschungel rings um sie. Verbittertes Gelächter gerann in seiner Kehle. »Und jetzt erhebt Euren adeligen Allerwertesten. Wir müssen Wasser suchen. Bardolin – hilf mir und hör auf, Trübsal zu blasen, als wäre der Himmel gerade ins Meer gestürzt!«

Erstaunlicherweise gehorchten sie ihm.

In jener Nacht lagerten sie etwa fünf Meilen vom Berg entfernt am Ufer eines Baches. Nachdem Hawkwood Bardolin dazu bewegt hatte, Feuerholz und Laub als Schlafunterlage zu sammeln, setzte er sich zu Murad und begutachtete die Wunden des Adeligen. Die drei Gefährten waren ziemlich zerkratzt und zerschnitten, doch Murads Kopfverletzung war am schlimmsten; sie war eine der hässlichsten Wunden, die Hawkwood je gesehen hatte. Die Haut war vom Schädel abgerissen und hing schlaff neben dem linken Ohr.

»Ich habe eine gute Segelmachernadel und ein wenig Faden in meiner Gürteltasche«, sagte er zu Murad. »Allzu hübsch dürfte es nicht werden, aber ich schätze, ich könnte Euch schon verschalken. Natürlich wird es ein wenig schmerzen.«

»Zweifellos«, erwiderte der Adelige gedehnt und klang beinahe wie der alte Murad. »Ans Werk, solange es noch hell ist. «

»Im Fleisch sind Maden. Ich putzte sie zuerst heraus.«

»Nein! Lasst sie drin. Ich habe schon Männer gesehen, die schlimmer zugerichtet waren und deren Fleisch mangels ein paar guter Maden verrottete. Näht sie ein, Hawkwood. Sie werden das tote Gewebe fressen.«

»Bei Gott dem Allmächtigen, Murad!«

»Tut es. Da Ihr fest entschlossen seid, dass wir überleben sollen, können wir ruhig so tun, als hätte es tatsächlich Sinn. Wo ist dieser vermaledeite Hexer? Er könnte sich nützlich machen und einen Verband herbeizaubern.«

Mit einem Stapel Feuerholz in den Armen tauchte Bardolin aus den Schatten auf. »Er hat meinen Hausgeist getötet«, erklärte er. »Der Dweomer in mir ist verkrüppelt. Er hat meinen Hausgeist getötet, Hawkwood.«

»Wer?«

»Aruan‚ ihr Anführer.« Jäh ließ er seine Last fallen, als stünde sie in Flammen. Seine Augen wirkten ausdruckslos wie trockener Schiefer. »Aber wenn Ihr wollt, sehe ich es mir mal an. Vielleicht kann ich ja doch etwas tun.«

»Bleibt mir vom Leib!«, schrie Murad und zuckte von dem Magier weg. »Ihr hinterhältiger Mörder. Wäre ich gut genug beieinander, würde ich Euch den Schädel spalten. Ihr habt von Anfang an mit denen unter einer Decke gesteckt.«

»Versuch, ob du ein Feuer zustande bringst, Bardolin«‚ sagte Hawkwood matt. »Ich flicke ihn selbst zusammen. Später müssen wir uns unterhalten.«

Das Geräusch der Nadel, als sie durch Murads Haut und Knorpel stieß, war laut genug, um Hawkwood zusammenzucken zu lassen, doch der Adelige gab während der gesamten Operation keinen Laut von sich; nur gelegentlich schüttelte er sich wie ein Pferd, das versucht, eine lästige Fliege zu vertreiben. Als der Seemann fertig wurde, schwand des Tageslicht allmählich und Bardolin zeichnete sich als winziges Fleckchen gelber Helligkeit auf dem schwarzen Dschungelboden ab. Hawkwood begutachtete sein Werk mit kritischem Blick.

»Ihr seid keinesfalls hübscher als zuvor, so viel steht fest«, meinte er schließlich.

Murad ließ sein totenschädelgleiches Grinsen aufblitzen. Die Naht kroch seine Schläfe entlang wie eine marschierende Ameisenkolonne und unter der Haut konnte man erkennen, wie die Maden sich wanden.

Sie tranken Wasser aus dem Bach und legten sich auf das Gestrüpp, das Bardolin gesammelt hatte, auf dass es ihnen als Liegestatt diente, während die Finsternis rings um sie zunehmend undurchdringlich wurde. Die Insekten labten sich ohne Unterlass an ihnen, doch sie waren zu erschöpft, um sich daran zu stören, und ihre Mägen waren verschlossen.

»Meint Ihr wirklich, sie haben uns entkommen lassen?«, fragte Hawkwood. »Oder warten sie nur auf den Einbruch der Dunkelheit, um über uns herzufallen?«

»Sie hätten mittlerweile gut und gern fünfzigmal über uns herfallen können«‚ erwiderte Murad leise. »Wir waren weder besonders flink noch übermäßig vorsichtig bei unserer Flucht. Nein, vor denen sind wir sicher. Vielleicht lassen sie den Dschungel den Rest erledigen. Vielleicht haben sie es nicht übers Herz gebracht, einen von ihnen, einen Hexer, zu töten. Oder vielleicht gibt es einen anderen Grund, warum wir noch am Leben sind. Fragt doch den Magier! Schließlich hat er ja unter vier Augen mit ihrem Anführer geplaudert.«

Beide schauten zu Bardolin. »Nun?«, brummte Hawkwood nach einer Weile. »Ich denke, wir haben ein Recht, es zu erfahren. Sag es uns, Bardolin. Erzähl uns in allen Einzelheiten, was dir widerfahren ist.«

Der Magier richtete den Blick aufs Feuer. Eine ausgedehnte Stille folgte, währenddessen seine beiden Gefährten ihn anstarrten.

»Ich bin mir selbst nicht ganz sicher«, begann er schließlich. »Der Kobold wurde von Cosa auf die Spitze einer Pyramide inmitten der Stadt gebracht. Er war ein Gestaltwandler …«

»Was für eine Überraschung«, schnaubte Murad verächtlich.

»Ich bin ihrem Anführer begegnet, einem Mann namens Aruan. Er sagte, vor langer Zeit hätte er einen hohen Rang in der Gilde der Thaumaturgen von Garmidalan in Astarak innegehabt. Zu Zeiten des Pontifex Willardius.«

Murad runzelte die Stirn. »Willardius? Aber der ist doch seit über vierhundert Jahren tot.«

»Ich weiß. Dieser Aruan behauptet, praktisch unsterblich zu sein. Das hat etwas mit dem Dweomer dieses Landes zu tun. Einst gab es hier im Westen eine bedeutende, hoch entwickelte Zivilisation, doch sie wurde durch eine gewaltige Naturkatastrophe vernichtet. Die Magier hier besaßen Kräfte, von denen man in der Alten Welt kaum zu träumen wagte. Aber es gab noch einen anderen Unterschied …«

»Und welchen?«‚ bohrte Murad nach.

»Ich glaube, sie alle waren sowohl Gestaltwandler als auch Magier. Eine ganze Gemeinschaft.«

»Bei Gottes Blut«, stieß Hawkwood hervor. »Ich dachte, das sei unmöglich.«

»Das dachte ich auch. Man hat noch nie davon gehört und doch haben wir es mit eigenen Augen gesehen.«

Murad wirkte nachdenklich. »Seid Ihr ganz sicher, Bardolin?«

»Ich wünschte, ich wäre es nicht. Aber da ist noch eine Sache. Diesem Aruan zufolge befinden sich bereits Hunderte seiner Spitzel in Normannien und befolgen seine Befehle.«

»Das Gold«‚ schnarrte Hawkwood. »Normannische Kronen. Dort war genug, um einen König zu bestechen oder eine Armee anzuwerben.«

»Also hegt er ehrgeizige Pläne, Euer gestaltwandelnder Hexer«, höhnte Murad. »Und wie genau passt Ihr ins Bild, Bardolin?«

»Das weiß ich nicht, Murad. Der Heilige hilf mir, ich weiß es nicht.«

Wir sehen uns wieder, du und ich. Und wenn es so weit ist, wirst du mich als deinen Herrn erkennen und als deinen Freund. Aruans Abschiedsworte brannten sich in Bardolins Hirn. Niemals würde er sie jemandem offenbaren. Er war sein eigener Herr und würde es bleiben, ungeachtet des fauligen Übels, das er mittlerweile in sich keimen spürte.

»Eines aber weiß ich«, fuhr er fort. »Sie begnügen sich nicht damit hierzubleiben, diese gestaltwandelnden Magier. Sie wollen nach Normannien zurückkehren. Alles, was mir erzählt wurde, bestätigt das. Ich glaube, Aruan will sich zu einer bedeutenden Macht auf der Welt erheben. Tatsächlich hat er bereits damit begonnen.«

»Wenn er in der Lage ist, einen Bruder vom Ersten Tage in einen Werwolf zu verwandeln, sind seine Worte kein leeres Geschwätz«, murmelte Hawkwood eingedenk der Reise hierher – und eingedenk des Priesters Ortelius, der auf dem Schiff solches Grauen verbreitet hatte.

»Eine Rasse von Wermagiern«, meinte Murad. »Ein Mann, der behauptet, Jahrhunderte alt zu sein. Ein über ganz Normannien gespanntes Netzwerk aus Gestaltwandlern, die sein Gold ausgeben, seine Aufträge ausführen. Hätte ich die Dinge nicht gesehen, die ich auf diesem Kontinent selbst miterlebt habe, würde ich sagen, Ihr seid nicht bei Trost. Dieser Ort ist die Hölle auf Erden! Hawkwood hat recht. Wir müssen zurück zum Schiff und nach Hebrion, um den König darüber in Kenntnis zu setzen. Die Alte Welt muss gewarnt werden. Wir werden diese Ungetüme inmitten unseres Volkes vertilgen, dann kehren wir mit einer Flotte und einer Armee hierher zurück und fegen sie vom Antlitz der Erde. So überragend sind sie auch wieder nicht – gibt man ihnen ein wenig Eisen zu kosten, fallen sie tot um. Bei Gott, wir wollen doch mal sehen, was fünftausend hebrionische Hakenbüchsenschützen hier ausrichten können!«

Hawkwood stellte fest, dass er ausnahmsweise voll und ganz derselben Meinung war wie der hagere Adelige. Bardolin hingegen wirkte bekümmert.

»Was bedrückt dich denn daran?«, fragte er den Zauberer. »Du billigst die Pläne dieses Aruan doch nicht etwa, oder?«

»Selbstverständlich nicht. Aber es war eine Säuberung der Alten Welt vom Volk der Dweomer, die ihn ursprünglich hierher getrieben hat. Ich weiß, wohin Murads Vorschlag führen wird, Hawkwood. Nämlich zu einer groß angelegten, den gesamten Kontinent umspannenden Verfolgung meines Volkes, wie man sie noch nie zuvor erlebt hat. Zu Tausenden werden die Dweomer hingemetzelt werden, die Unschuldigen ebenso wie die Schuldigen. Dadurch werden wir sämtliche Magier Normanniens in Aruans Armee treiben. Und genau das bezweckt er. Außerdem werden seine Spitzel ohnehin nicht leicht aufzuspüren sein. Es könnte jeder sein – sogar der Adel. Wir werden Unschuldige jagen, während die Schuldigen auf den rechten Augenblick warten.«

»Die schlichten Soldaten dieser Welt werden es darauf ankommen lassen«‚ entgegnete Murad. »Auf dieser Erde ist kein Platz mehr für Euresgleichen, Bardolin. Euer Volk ist eine Abartigkeit der Natur. Sein Ende naht schon seit einiger Zeit. Dies beschleunigt nur das Unausweichliche.«

»Zumindest damit habt Ihr recht«‚ murmelte der Zauberer.

»Auf wessen Seite stehst du eigentlich?«, fragte Hawkwood den Magier unverblümt.

Bardolin schien erzürnt. »Ich weiß nicht, was du meinst.«

»Ich meine, dass Murad recht hat. Es naht eine Zeit, Bardolin, in der deine Dweomer sich gegen die gewöhnlichen Menschen der Welt zusammenrotten werden, und du wirst entweder bei der Vernichtung der Dweomer mitwirken oder dich mit ihnen gegen uns stellen müssen.«

»So weit muss es nicht kommen! So weit wird es nicht kommen!«, widersprach der Magier.

Hawkwood wollte fortfahren, als Murad ihn mit einer schroffen Geste Einhalt gebot.

»Genug. Seht Euch doch um. Die Aussichten stehen gar nicht schlecht, dass wir uns niemals um solche Dinge sorgen müssen, weil unsere Gebeine hier im Dschungel zurückbleiben und verfaulen. Hexer, ich biete Euch einen Waffenstillstand an. Wenn es auch nur einer von uns zurück zur Küste schaffen soll, müssen wir einander beistehen. Die Streitgespräche über hohe Politik können warten, bis wir an Bord des Schiffes sind. Einverstanden?«

»Einverstanden«‚ antwortete Bardolin, dessen Mund eine verbitterte Linie quer über sein Gesicht bildete.

»Hervorragend.« Die Ironie in Murads Stimme war nachgerade greifbar. »Nun denn, Kapitän, Ihr seid unser Navigator. Könnt Ihr uns morgen den rechten Weg weisen?«

»Vielleicht. Sofern ich einen Blick auf die Sonne erhaschen kann, ehe die Wolken aufziehen. Aber es gibt noch eine bessere Möglichkeit. Wir müssen eine Bestandsaufnahme machen. Leert Eure Taschen. Ich muss sehen, was wir haben, womit ich arbeiten kann.«

Sie rissen ein großes Blatt von einem nahen Busch. Darauf breiteten sie den Inhalt ihrer Taschen und Gürtelbeutel aus und betrachteten alles mit zusammengekniffenen Augen im Feuerschein. Sowohl Bardolin als auch Hawkwood hatten wasserdichte Zunderbüchsen mit Feuerstein, Stahl und kleinen Wollknäueln. Zudem besaß der Zauberer ein Taschenmesser aus Bronze und einen Zinnlöffel. Murad hatte eine etwa fünf Zoll lange, abgebrochene Messerklinge aus Eisen, einen winzigen, zusammenklappbaren Zinnbecher sowie eine Wasserflasche aus Kork, die noch an ihren Riemen von seinem Gürtel hing. Hawkwood hatte seine Nadel, ein Knäuel reißfesten Garns, eine Hakenbüchsenkugel aus Blei und einen Angelhaken aus geschnitztem Elfenbein. Sie alle hatten zerbröckelte Stücke Schiffszwieback in den Taschen. Murad steuerte darüber hinaus einen kleinen Brocken getrocknetes Schweinefleisch bei, der steinhart und ungenießbar war.

»Bei Gott, das sind ja kümmerliche Mittel«‚ meinte der Adelige. »Nun, Hawkwood, was für Wunder könnt Ihr damit wirken?«

»Ich glaube, ich kann einen Kompass bauen, und falls nötig, können wir fischen und jagen. Als Junge habe ich mal vor den Malacar-Inseln Schiffbruch erlitten. Als wir an Land gespült wurden, hatten wir kaum mehr als das hier bei uns. Wir können das Garn als Angelleine verwenden und mit der Kugel beschweren. Das Schweinefleisch nehmen wir als Köder. Die Klinge befestigen wir an einem Stock und bauen uns so einen Speer. Außerdem gibt es rings um uns Obst. Verhungern werden wir wohl kaum, nur ist es eine zeitaufwendige Angelegenheit, Essen zu beschaffen, sogar im Dschungel. Wenn wir vor dem Frühling zurück an die Küste wollen, sollten wir uns darauf einrichten, die Gürtel enger zu schnallen.«

»Frühling!«, rief Murad aus. »Großer Gott, und wenn wir unsere Stiefel fressen müssen, wir sind auf jeden Fall früher wieder im Fort!«

»Wir haben fast einen Monat gebraucht, um hierher zu gelangen, Murad, und einen Großteil des Weges haben wir auf einer Straße zurückgelegt. Die Reise zurück wird beschwerlicher. Womöglich haben sie uns tatsächlich erlaubt zu entkommen, aber ich will trotzdem nicht unbedingt auf ihren Straßen unterwegs sein.« Er dachte zurück an die Hitze und den Moder des großen Werwolfs, der innerhalb des Berges neben ihm im Unterholz gelegen hatte …

Würde ich Euch etwas antun, Kapitän? Dem Navigator, dem Führer von Schiffen? Ich glaube kaum. Ich glaube kaum.

Und er schauderte bei der Erinnerung.

In jener ersten Nacht hielten sie Wache, wechselten einander dabei ab, das Feuer in Gang zu halten und in die schwarze Wand des Regenwaldes zu starren. Wer keine Wache hielt, schlief unruhig. Bardolin lag den Großteil der Nacht wach; zwar war er zu Tode erschöpft, doch er hatte Angst davor zu schlafen, fürchtete sich davor herauszufinden, was in seinen Träumen auf ihn lauern mochte.

Aruan hatte ihn in einen Werwolf verwandelt.

Das hatte der Erzmagier ihm offenbart. Bardolin hatte eine sinnliche Begegnung mit Kersik gehabt, jenem Mädchen, das sie nach Undabane geführt hatte. Und danach hatte sie ihm einen Brocken ihrer Beute zu fressen gegeben – so lief es ab. Das war das Ritual, das die Krankheit hervorrief.

Beinahe vermeinte er, die schwarze Seuche in sich keimen zu spüren, ein Vorgang, der sowohl seinen Körper als auch seine Seele mit jedem Herzschlag veränderte. Sollte er es den anderen sagen? Sie misstrauten ihm ohnehin schon. Was geschah mit ihm? Was wurde aus ihm?

Er spielte mit dem Gedanken, sich einfach davonzustehlen und vom Dschungel verschlucken zu lassen oder gar nach Undi zurückzukehren wie ein verlorener Sohn. Aber er war schon immer dickköpfig, stolz und starrsinnig gewesen. Er würde sich diesem Übel widersetzen, würde sich dagegen auflehnen, solange noch ein Rest von Bardolin, Sohn des Carnolan, in ihm war. Einst war er Soldat gewesen: Er würde bis zum bitteren Ende kämpfen.

Diese Gedanken spukten ihm im Kopf herum, als er mit der Wache an der Reihe war und das Feuer schürte, während die anderen schliefen. Hawkwood hatte ihm eine Aufgabe zugeteilt: Er sollte die Eisennadel mit Wolle aus einer der Zunderbüchsen reiben. Was für Bardolin zwar keinen Sinn ergab, aber zumindest half es, die Schläfrigkeit zu bannen.

Neben ihm stöhnte Murad im Schlummer und einmal vermeinte Bardolin voller Bestürzung, den Adeligen Griellas Namen keuchen zu hören – jene Geliebte niederer Herkunft, die Murad mit an Bord des Schiffes genommen hatte und die sich selbst als Gestaltwandlerin erwies. Was für einen gottlosen Bund waren die beiden eingegangen? Es war keine Vergewaltigung gewesen, aber auch keine Liebe, die aus freiem Willen gewährt wurde. Eher eine Art beiderseitiger Erniedrigung, die Gewalt auf ihre Empfindungen ausübte und sie doch nach mehr lechzen ließ.

Und Bardolin, der angehende Greis, hatte sie beneidet.

Da hockte er hier nun trübsinnig und schalt sich für tausenderlei Schwächen, ein alternder Mann ohne Heimat oder Familie, der die Versäumnisse seines Lebens bedauerte. In der tiefschwarzen Nacht verdüsterte sich auch seine Laune. Warum hatte Aruan ihn ziehen lassen? Welches Los war ihm zugedacht? Ach, zur Hölle mit den endlosen Fragen.

Er gönnte sich einen kleinen Trick, ein flackerndes, schwach schimmerndes Werlicht. Von plötzlicher Furcht erfüllt, sandte er dieses wabernd rings um die Grenzen des Feuerscheins, wodurch er die Schatten für ein paar flüchtige Lidschläge verbannte. Wie eine verzückte Libelle schwirrte es umher, dann verlosch es. Zu früh. Zu schwach. Bardolin fühlte sich wie ein Mann, der einen Arm verloren hat und trotzdem noch Schmerz in den nicht mehr vorhandenen Fingern spürt. Er trank ein wenig Wasser aus Murads Flasche. Seine Augen brannten vor Gram und Müdigkeit. Er war zu alt für das alles. Eigentlich sollte er einen Lehrling haben, der ihm half, die Last der Sorgen eines Graubarts zu tragen. Vielleicht jemanden wie den jungen Orquil, den man zu Hause in Abrusio auf den Scheiterhaufen geschickt hatte.

Was ist mit mir Bardolin? Wäre ich dafür geeignet?

Er zuckte zusammen. Beinahe hätte der Schlaf ihn übermannt. Einen Lidschlag lang hatte er auf der gegenüberliegenden Seite des Feuers verschwommen eine Gestalt hocken gesehen. Ein junges Mädchen mit dichtem, bronzefarbenem Haar. Die Nachtluft musste ihm in den Kopf gedrungen sein. Heftig rieb er sich die Augenhöhlen, setzte seine einsame Wache fort und harrte ungeduldig des Morgengrauens.

Als das erste fahle Licht der Sonne durch den Baldachin des Dschungels brach, waren sie wieder auf den Beinen. Das Frühstück bestand aus Wasser aus dem Bach sowie ein paar Krümeln Schiffszwieback. Danach beobachteten sie über Hawkwoods Schulter, wie er die Nadel auf ein Blatt legte und in Murads Zinnbecher treiben ließ. Zunächst drehte sie sich auf dem Wasser darin merkwürdig hin und her, dann beruhigte sie sich. Mit freudloser Genugtuung nickte der Seemann.

»Das ist Euer Kompass?«, fragte Murad ungläubig. »Eine gewöhnliche Nadel?«

»Man kann jedem Stück Eisen die Fähigkeit verleihen, nach Norden zu zeigen« entgegnete Hawkwood. »Ich weiß nicht, weshalb oder wie, aber es wirkt. Wir marschieren heute nach Südosten. Murad, ich möchte, dass Ihr nach etwas Ausschau haltet, das uns als Speerschaft dienen könnte. Ich werde mich daranmachen, einen Bogen zu basteln. Gib mir dein Messer, Bardolin. Wir müssen Bäume kennzeichnen, um nicht die Orientierung zu verlieren. Alles klar? Dann los.«

Verblüfft reihten Hawkwoods Gefährten sich hinter ihm ein und die drei machten sich auf den Weg.

Bis Mittag, als es sich zur Vorbereitung auf den beinahe täglichen Regenguss zuzog, marschierten sie stetig voran. Mittlerweile hatte Murad seine eherne Messerklinge an einem starken, ungefähr sechs Fuß langen Schaft befestigt und Hawkwood war beladen mit einigen dünnen Stäben und einem etwa drei Finger breiten Stock. Sie waren ausgehungert, von unzähligen Insektenbissen übersät, zerschunden, zerschnitten und voller Blutegel. Obendrein fiel es Murad schwer‚ die Geschwindigkeit zu halten, die Hawkwood vorgab. Häufig mussten der Seemann und der Magier innehalten und warten, bis Murad zu ihnen aufschloss. Doch wenn Hawkwood eine Rast vorschlug, fauchte der Adelige ihn nur an.

Im Schutz eines gewaltigen, abgestorbenen Baumes warteten sie den ungestümen Regen ab, der in wahren Strömen vom Baldachin über ihnen herabprasselte. Der Boden, auf dem sie hockten, verwandelte sich rasch in klebrigen Matsch und die schiere Wucht des Schauers machte das Atmen schwer. Hawkwood drückte das Kinn auf die Brust, um ein Quäntchen Platz, eine Art Luftbeutel zu schaffen, doch sogleich füllte er sich mit Moskitos, die er beim Atmen hilflos einsog und hustend wieder ausspuckte.

Die Sintflut endete so jäh, wie sie begonnen hatte. Die Gefährten blieben noch eine Weile im gurgelnden Wasser und dem Schlamm sitzen, in den der Waldboden sich verwandelt hatte – nass bis auf die Knochen, zu Tode erschöpft und schwach vor Hunger. Murad war kaum noch bei Bewusstsein, und Hawkwood spürte die lodernde Hitze seines Körpers, als der Adelige sich an ihn lehnte.

Wortlos, wackelig wie Greise, quälten sie sich auf die Beine. Eine korallenfarbene Schlange flitzte durch die Pfützen zu ihren Füßen und mit einem Schrei schien Murad zum Leben zu erwachen. Er stach mit seinem neuen Speer auf den Boden und durchbohrte das wild zuckende Reptil unmittelbar hinter dem Kopf. Im letzten Todeskampf ringelte es sich um den Speer, und Murad lächelte.

»Meine Herren«, sagte er, »das Abendessen ist angerichtet.«

Zwei

Prüfend ließ Hauptmann Hernan Sequero den Blick über die armseligen Ausmaße seines kleinen Königreichs schweifen und verzog missbilligend die Lippen. Leise klopfte er mit den Knöcheln auf den Hartholztisch vor sich, ohne dem Schweißtropfen Beachtung zu schenken, der an einer seiner Augenbrauen baumelte.

»Das ist nicht annähernd gut genug«, sagte er. »Wir werden hier niemals unabhängig, wenn das verfluchte Gesindel so weiterstirbt. Angeblich sind sie doch Magier! Können sie nicht etwas herbeizaubern?«

Die Männer rings um ihn räusperten sich, traten unruhig von einem Bein aufs andere oder schauten weg. Nur einer unternahm den Versuch zu antworten, ein geröteter junger Mann mit goldenem Haar, an dessen Kragen das Abzeichen eines Fähnrichs prangte.

»Unter den Kolonisten befinden sich drei Kräuterkundler, Herr. Sie geben ihr Bestes, aber die Pflanzen hier sind ihnen nicht vertraut. Sie können nur ausprobieren.«

»Und in der Zwischenzeit wird der Friedhof unsere blühendste Stätte an Land«, gab Sequero trocken zurück. »Na schön, mit der Natur kann man ja schwer streiten, aber es ist schon ärgerlich. Wenn Fürst … wenn Seine Exzellenz zurückkehrt, wird sie nicht erfreut sein. Ganz und gar nicht.«

Abermals unbehagliches Zappeln von Füßen, verstohlen gewechselte Blicke.

Neben Sequero standen noch drei Männer um den Tisch, allesamt im Lederharnisch hebrionischer Soldaten. Sie befanden sich in einem der hohen Wachtürme, die an jeder Ecke des mit einem Palisadenzaun umringten Forts standen. Hier oben konnte man den einen oder anderen Atemzug Seeluft erhaschen und tatsächlich ihr Schiff sehen, die Gabrian Osprey, die kaum eine halbe Meile entfernt vor Anker lag. Dahinter verschmolzen der Himmel und das blaue Meer am Rande des Blickfelds zum fernen Horizont.

In näherer Umgebung war die Aussicht weniger erhebend. Dutzende notdürftiger Hütten – einige davon kaum mehr als Gebilde aus Ästen und Zweigen – sprenkelten die etwa zwei Morgen, welche die Palisade umschloss. Das einzige feste Gebäude war die Residenz des Statthalters, ein großes Bauwerk aus Holz, halb Villa, halb Blockhaus.

Ein tiefer Graben teilte das Fort in zwei Hälften und diente der Gemeinde als Abwasserrinne, die in den Dschungel führte. An manchen Stellen dienten gefällte Bäume als behelfsmäßige Brücken. Der Boden entlang der Rinne war ein übel riechender Sumpf, in dem es vor Stechmücken nur so wimmelte. Zwar hatte man Brunnen angelegt, doch das Wasser war brackig, sodass man es weiterhin aus dem klaren Bach bezog, den Murad am ersten Tag entdeckt hatte. Eine Ecke des Forts war abgezäunt und innerhalb der Koppel weilten die überlebenden Pferde. In wenigen Tagen würde sie leer sein. Wenn die letzten Tiere starben, würden sie gepökelt und verspeist, so wie die anderen.

»Weder für Mensch noch Tier geeignet«, murmelte Sequero mit düsterer Miene, als er an die einst prächtigen Geschöpfe dachte, die er aus Hebrion mitgebracht hatte, das Beste, was seines Vaters Stallungen zu bieten gehabt hatten. Sogar die Schafe fühlten sich hier unwohl. Ohne das Wild und die Wildschweine, welche die Jagdgruppen alle paar Tage aus dem Dschungel brachten, würden sie mittlerweile Wurzeln und Beeren mümmeln.

»Also, wie viele waren es heute?«, fragte er.

»Zwei«, antwortete di Souza. »Miriam di …«

»Ihre Namen brauche ich nicht zu wissen!«, herrschte Sequero ihn an. »Damit bleiben uns wie viele? Um die achtzig? Immer noch reichlich. Gott sei Dank sind die Soldaten und Seeleute aus härterem Holz geschnitzt. Unteroffizier Berrino, wie geht es den Männern?«

»Sie halten sich gut, Herr. Eine weise Entscheidung, ihnen zu erlauben, die Rüstungen abzulegen, wenn mir die Bemerkung gestattet ist. Und Garolvos Gruppe hat heute Vormittag drei Keiler mitgebracht.«

»Hervorragend. Ein guter Mann, dieser Garolvo. Er muss der beste Schütze sein, den wir haben. Meine Herren, wir befinden uns an einem höllengleichen Ort, aber er gehört nunmehr unserem König und wir müssen das Beste daraus machen. Ihr könnt Euch darauf verlassen, dass es Beförderungen geben wird, wenn der Statthalter von seiner Erkundungsreise zurückkehrt. Noch mag Fort Abeleius nicht viel hermachen, aber in ein paar Jahren wird hier eine Stadt gedeihen, mit Kirchenglocken, Tavernen und all den übrigen Merkmalen der Zivilisation.«

Seine Zuhörer lauschten seinen Worten mit pflichtbewusster Aufmerksamkeit, doch Sequero konnte ihren Argwohn förmlich riechen. Mittlerweile befanden sie sich seit zweieinhalb Monaten an Land und Sequero wusste durchaus, dass der Statthalter gemeinhin für tot oder für im Dschungel verschollen gehalten wurde, in dem es von allerlei Viehzeug wimmelte. Er und sein Trupp waren bereits zu lange fort und mit jeder Woche seiner Abwesenheit wuchsen die Unzufriedenheit und Furcht innerhalb des Forts. In zunehmenden Maße reifte sowohl bei den Soldaten als auch bei den Zivilisten die Meinung, dass der zerbrechliche Stützpunkt auf diesem Kontinent keine Zukunft haben konnte, und die Dweomer waren lieber bereit, den Scheiterhaufen zu trotzen, die sie in Abrusio erwarteten, als hier den Tod durch Krankheit und Unterernährung zu erleiden, der so viele von ihnen dahinraffte. Bisweilen beschlich Sequero das Gefühl, als stemmte er sich gegen eine unaufhaltsame Woge verdrossenen Widerstands, die eines Tages über ihm hinwegschwappen würde.

»Fähnrich di Souza, wie viele Schiffskanonen haben wir mittlerweile an Land?«

»Sechs große Kulverinen und ein Paar leichter Karronaden, Herr, alle so aufgestellt, dass sie die Zugangspfade abdecken. Dieser Seemann, Velasca, will sich persönlich bei Euch darüber beschweren. Er sagt, die Kanonen seien das Eigentum von Kapitän Hawkwood und sollen auf dem Schiff bleiben.«

»Er soll seine Beschwerde schriftlich einreichen«, entgegnete Sequero, der – so wie alle Adeligen der alten Schule – des Lesens nicht mächtig war. »Meine Herren, Ihr seid entlassen. Alle außer Euch, di Souza. Ich möchte ein paar Takte mit Euch reden. Unteroffizier Berrino, Ihr dürft heute Abend eine Ration Wein austeilen. Die Männer haben es sich verdient – sie arbeiten hart.«

Berrino, ein Mann mittleren Alters mit einem verschlossenen Schlägergesicht, zeigte sich sichtlich erfreut. »Oh, danke, Herr …«

»Das ist alles. Lasst uns allein.«

Die beiden Soldaten kletterten die an einer Stütze des Wachturms befestigte Leiter hinab und ließen Sequero mit di Souza allein im Horst zurück.

»Nehmt Euch Wein, Valdan«‚ forderte Sequero sein Gegenüber ungezwungen auf und deutete auf einen vollen Beutel, der an einem Haken in ihrer Nähe hing.

»Danke, Herr.« Di Souza spritzte sich einen ordentlichen Schluck der blutwarmen Flüssigkeit in die Kehle und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. Bis zum Landfall hier im Westen hatten die beiden jungen Männer denselben Rang bekleidet. Danach hatte Murad Hermann Sequero zum Hauptmann und damit zum militärischen Befehlshaber der kleinen Kolonie befördert. Die Wahl hatte so fallen müssen – di Souzas Adel rührte lediglich von Adoption her, während Sequero einer der vornehmen Familien des Königreichs entstammte; sein Blut war dem königlichen Haus ebenso nahe wie das Murads. Die Tatsache, dass er Analphabet war und ein Ende einer Hakenbüchse nicht vom anderen unterscheiden konnte, spielte dabei keine Rolle.

»Der Trupp des Statthalters ist seit fast elf Wochen fort«‚ klärte Sequero seinen Untergebenen auf. »Binnen einer oder zwei Wochen sollten sie, so Gott will, zurückkehren. In all der Zeit haben wir uns hier hinter unserer Palisade verschanzt, als würden wir belagert. Das muss sich ändern. Ich habe in diesem Land bislang noch nichts gesehen, was eine derartige Verteidigungshaltung rechtfertigen würde. Morgen will ich den Kolonisten die Anordnung erteilen, Grundstücke im Dschungel abzustecken. Wir werden roden und niederbrennen, ein paar Morgen räumen und versuchen, Getreide anzubauen. Wenn alles gut läuft, können wir ein paar Kolonisten aus dem Fort werfen, damit sie Häuser auf ihren Grundstücken bauen. Valdan, ich möchte‚ dass Ihr sämtliche Haushaltsvorstände unter ihnen erfasst und eine Karte ihrer Grundstücke anlegt. Sie werden als Hofhörige der hebrionischen Krone darauf leben. Natürlich müssen wir uns Gedanken über eine Form von Zehnt machen und Ihr werdet ein Patrouillenschema aufstellen … Wollt Ihr etwas dazu sagen, Fähnrich?«

»Nur dass Fürst Murads Befehle lauteten, innerhalb des Forts zu bleiben, Herr. Er hat nichts davon gesagt, dass wir Landwirtschaftsflächen roden sollen.«

»Stimmt. Aber er ist schon wesentlich länger fort, als er ursprünglich geplant hat, und ab und zu müssen wir alle ein wenig eigene Entschlusskraft zeigen. Zudem ist das Fort übervölkert, wodurch es sich rasch zu einem im zunehmenden Maße ungesunden Ort entwickelt. Und diese verfluchten Seeleute müssen auch ihren Beitrag leisten. Wie viele Soldaten haben wir noch, die in der Lage sind, Dienst zu versehen?«

»Abgesehen von uns noch achtzehn. Hawkwoods stellvertretender Kommandant, Velasca, lässt ein Dutzend Matrosen in zwei Beibooten die Küste erkunden. Außerdem lässt er Holz und Eisen vom Wrack der Karavelle bergen, die am Riff zerschellt ist. Etwa zwanzig weitere Männer sind immer noch damit beschäftigt, Salz herzustellen, Fleisch zu pökeln und dergleichen mehr. Für die Rückreise. Vier von ihnen halten sich innerhalb des Forts auf, um einigen unserer Männer beizubringen, wie man die großen Kanonen bedient.«

»Ja. Es gefällt ihnen, sich abzuseilen, diesen Seeleuten. Nun, auch das muss sich ändern. Richtet Velasca aus, dass ich ein Dutzend seiner Männer mit Feuerwaffen will, die sich unseren Soldaten anschließen und sich Unteroffizier Berrino unterstellen. Wir brauchen mehr Männer auf der Palisade.«

»Ja, Herr. Sonst noch etwas?« Di Souzas Antlitz verriet keinerlei Regung.

»Nein … doch. Ihr speist heute Abend mit mir in der Residenz, oder?«

»Danke, Herr.« Di Souza salutierte und verließ den Turm über die knarrende Leiter. Nachdem er gegangen war, wischte Sequero sich den Schweiß aus dem Gesicht und gönnte sich einen Schluck Wein.

Er war noch nicht sicher, ob dieser Ort ein Katapult zu weiteren Beförderungen oder ein Grab für all seine ehrgeizigen Bestrebungen war. Wäre er in Hebrion geblieben, hätte er mittlerweile Regimentskommandeur sein können. Das war das Mindeste, was ihm mit seinem adeligen Blut gebührte. Andererseits hätte ebendieses Blut in den Augen des Königs als ein wenig zu blau betrachtet werden können; deshalb war er hier, in dieser von Gott verlassenen, sogenannten Kolonie. Und dennoch, wenn jemand Ehrgeiz besaß, dann Fürst Murad, sein Vorgesetzter. Murad hätte sich niemals an einem so unbesonnenen Plan beteiligt, hätte er keinen Vorteil für sich darin gesehen. Folglich war es besser, hier als am Hof zu sein. Auf dem Schlachtfeld hatten ranghohe Offiziere die dumme Angewohnheit zu sterben. Am Hof gab es nur das jahrhundertealte Gerangel um Macht und Stand, das in Gegenwart eines starken Königs kaum etwas zählte. Und Abeleyn war – trotz seiner Jugend – ein starker König. Sequero mochte ihn, obwohl er ihn für zu zwanglos hielt, zu bereitwillig, gesellschaftlich Minderen das Ohr zu leihen.

War Murad tot? Es schien kaum vorstellbar – der Mann hatte seit jeher den Eindruck vermittelt. nur aus Muskeln, Sehnen und purer Willenskraft geschaffen zu sein. Aber es war bereits lange Zeit verstrichen – eine sehr lange Zeit. Ausnahmsweise fühlte Sequero sich unsicher. Er wusste, dass die Soldaten dicht vor einer Meuterei standen, da sie glaubten, die Kolonie sei verflucht – und ohne Murads Befehlsgewalt, um sie im Zaum zu halten …

Das Pochen von Stiefeln ertönte auf der Leiter und ein Soldat mit gerötetem Antlitz tauchte am Rand des Wachturms auf.

»Bitte um Verzeihung, Herr, aber ich bin mit dem Wachdienst an der Reihe. Fähnrich di Souza hat mir befohlen, hier heraufzukommen.«

»Schon gut. Ich bin ohnehin gerade fertig geworden.« Wie lautete noch gleich der Name des Mannes? Sequero konnte sich nicht erinnern und verspürte leisen Ärger über sich selbst. Andererseits – was spielte es schon für eine Rolle? Der Kerl war bloß ein stinkender Soldat ohne Rang.

»Haltet schön die Augen offen … Ulbio.« Na also. War es ihm doch noch eingefallen.

Schneidig salutierte Ulbio. »Ja, Herr.« Er blieb der Inbegriff aufmerksamen Pflichtbewusstseins, während sein Befehlshaber vom Wachturm hinabstieg. Nachdem Sequero verschwunden war, spuckte er über die Seite. Verdammte Adelige, dachte er. Keiner von ihnen scherte sich einen Dreck um seine Männer.