Die Kraft der Ermutigung - Jürg Frick - E-Book

Die Kraft der Ermutigung E-Book

Jürg Frick

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Beschreibung

Warum geben manche Menschen in schwierigen Lebenssituationen auf - während andere weiterkämpfen oder sogar über sich hinauswachsen? Liegt es daran, wie wir in unserer Kindheit und Jugend ermutigt oder vielleicht gerade entmutigt wurden? Der Psychologe Jürg Frick zeigt, wie sich diese Erfahrungen in unserem weiteren Leben als Grundhaltungen positiv oder negativ auswirken, wenn wir vor großen Herausforderungen stehen - und wie wir gezielt die Kraft der Ermutigung nutzen können, damit das Leben besser gelingen kann. Vier nützliche Fragebogen zur Selbst- und Fremdermutigung runden das Buch ab. Die 3. Auflage wurde aktualisiert und ergänzt, unter anderem mit der Unterscheidung zwischen Lob und Ermutigung, Hinweisen zu Chancen, Stolpersteinen und Grenzen beim Ermutigen im pädagogischen Bereich und Erkenntnissen aus der Empathie- und Kooperationsforschung.

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Die Kraft der Ermutigung

Jürg Frick

Wissenschaftlicher Beirat Programmbereich Psychologie:

Prof. Dr. Guy Bodenmann, Zürich; Prof. Dr. Lutz Jäncke, Zürich; Prof. Dr. Franz Petermann, Bremen; Prof. Dr. Astrid Schütz, Bamberg; Prof. Dr. Markus Wirtz, Freiburg i.Br.

Jürg Frick

Die Kraft der Ermutigung

Grundlagen und Beispiele zur Hilfe und Selbsthilfe

3., überarbeitete und ergänzte Auflage

Prof. Dr. Jürg Frick, emeritiert

(Pädagogische Hochschule Zürich)

Psychologische Beratung – Seminare – Kurse

Rietlirain 44

8713 Uerikon

Schweiz

E-Mail: [email protected]

E-Mail: [email protected]

www.juergfrick.ch

Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Kopien und Vervielfältigungen zu Lehr- und Unterrichtszwecken, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Anregungen und Zuschriften bitte an:

Hogrefe AG

Lektorat Psychologie

Länggass-Strasse 76

3012 Bern

Schweiz

Tel: +41 31 300 45 00

E-Mail: [email protected]

Internet: http://www.hogrefe.ch

Lektorat: Dr. Susanne Lauri

Herstellung: Daniel Berger

Umschlagbilder: © MediaProduction/violetkaipa, iStock.com

Umschlag Collage: Claude Borer, Riehen

Illustrationen Innenteil: Hans Winkler

Satz: Claudia Wild, Konstanz

Druck und buchbinderische Verarbeitung: Finidr s.r.o., Český Těšín

Printed in Czech Republic

3., überarbeitete und ergänzte Auflage 2019

© 2007/2011 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

© 2019 Hogrefe Verlag, Bern

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-95747-0)

(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-75747-6)

ISBN 978-3-456-85747-3

http://doi.org/10.1024/85747-000

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Anmerkung

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Vorwort zur 2. Auflage
Vorwort zur 3. Auflage
1 Einleitung und Einführung
Zum Aufbau dieses Buches
2 Grundlagen: Menschenbild und Konzept der Ermutigung
Die grundlegende Bedeutung des Menschenbildes
Sechs Varianten von Menschenbildern
Gesundheit, Grundhaltung und Menschenbild
Realistischer Optimismus
Die individuelle subjektive Wahrnehmung und ihre Bedeutung
Die Meinung bestimmt das Fühlen, Denken und Handeln
Was heißt Ermutigung?
Lob vs. Ermutigung
Warum brauchen Menschen Ermutigung?
Die Bedeutung der Beziehung
Die ganzheitliche Wirkung von Ermutigung
Der Ermutigungs- und der Entmutigungskreislauf
Ermutigung und Entmutigung im Selbstgespräch
Der mutige Mensch
3 Ermutigung und Entmutigung
Schwierigkeiten mit und Hindernisse bei der Ermutigung
Erziehung und Entmutigung
Selbstentmutigender innerer Dialog und Angst
Selbstkritik, Selbstwertgefühl und Entmutigung
Selbsterfüllende Prophezeiung und Entmutigung
Rosenthal- oder Pygmalion-Effekt und Entmutigung
Angst und Entmutigung: Franz Kafka (1883–1924)
4 Kompensationsfähigkeit, Ressourcenoptimierung und Neuroplastizität
Minderwertigkeitsgefühl und Kompensation: Adler und seine Kompensationstheorie
Unspezialisiertheit: Ausgleich durch Lernen und Kompensation
Kultur als Kompensation?
Ressourcenoptimierung und Kompensationsprozesse
Plastizität des menschlichen Gehirns und Selbstheilungskräfte
Mit einem Bein im Leben stehen
Blind, taub und optimistisch: Helen Keller (1880–1968)
5 Lebenstüchtig und zufrieden trotz widriger Lebensumstände: Ermutigende Ergebnisse aus der Resilienzforschung und Beispiele
Eine ergänzende Sichtweise der Kindheit und Entwicklung
19 wichtige Schutz- und Gesundheitsfaktoren: Ergebnisse aus der Resilienzforschung
Ein Lehrer und der Onkel als Überlebensfaktoren
Zwischenmenschliche Beziehungen und Gesundheit
Hilfreiche Wesensmerkmale und eine gute Beziehung zum Vater: Alfred Adler (1870–1937)
Schwachheit kann zu Stärke führen: Alexandre Jollien (*1975)
Solidarität, Hoffnung, Optimismus, Beharrlichkeit: Nooria Haqnegar (*1959)
Ein ungeliebtes und abgelehntes Kind: Claude Debussy (1862–1918)
Den Menschen im Feind erkennen: Verarbeitungsmodi im Krieg
Auf eigene Kräfte bauen: Ray Charles (1930–2004)
Viele Schutzfaktoren: Der körperbehinderte Journalist Christian Lohr (*1962)
Der unerschütterliche Glaube an den Menschen: Nelson Mandela (1918–2013)
Förderliche Bindungen und ihre günstigen Folgen
Erwachsene als EntwicklungshelferInnen und -begleiterInnen
Resilienzförderung auf der individuellen Ebene
6 Die Rolle des Humors
Einleitung
Eine kurze Geschichte des Humors
Erscheinungsbild und Wirkebenen
Die erstaunliche Wirkung von Humor
Humor als soziales Bindemittel
Humor und Selbstbild
Humor und Lebenskunst
Die entkrampfende und ermutigende Wirkung humorvoller innerer Bilder
Humor als Verarbeitungs- und Schutzfaktor: Charles Chaplin (1889–1977)
7 Anwendungsfelder und Möglichkeiten I: Ermutigung in der Schule
Die Rolle der Lehrperson und die Bedeutung der Beziehung
Die Person des Lehrers in der Geschichte der Schulpädagogik
Was bedeutet eine ermutigende Grundhaltung der Lehrperson?
Ermutigung in einer guten Beziehung
Störendes Verhalten und Entmutigung
Ermutigung in der LehrerInnen-Ausbildung: Ein Beispiel
Ist Erziehung immer auch Ermutigung?
Unterstützung und Ermutigung
Ermutigung und Selbst-, Sach- und Sozialkompetenzen
Abschreckende Beispiele aus der Schulgeschichte
Was Kinder und Jugendliche stärkt
Was kann ich (besonders) gut?
Was können meine KameradInnen (besonders) gut?
Die Rücken-Karton-Übung
Ermutigung durch Humor
Ermutigung durch paradoxe Intervention
Selbstermutigung: Ein Beispiel
Indirekte Formen der Ermutigung
Kompetenzen und Selbstkonzept stärken
Misserfolgs- und Beharrlichkeitstraining
Positive Peer Culture und Service-Learning
Weitere konkrete Möglichkeiten im pädagogischen Alltag
Wichtige Aspekte bei der Ermutigung
8 Anwendungsfelder und Möglichkeiten II: Ermutigung in der Beratung
Einleitung
Die gewinnende, positive Grundhaltung der beratenden Person
Wichtige Grundhaltungen in der Beratung
Wirkfaktoren in einer psychologischen Beratung und Therapie
Schritte im Beratungsprozess
Was heißt Ermutigung in der Beratung?
Das Positive erkennen
Das Positive suchen und sich darauf konzentrieren
Wertschätzung
Empathisches Verstehen
Bedeuten Misserfolge ein Versagen?
Übersehene Lektionen aus der eigenen Vergangenheit
Lösungs-, Ressourcen- und Veränderungsorientierung
Kognitive Verzerrungen und Fehlinterpretationen
Ausnahmen identifizieren und bestärken
Reframing (Umdeuten)
Konstruktives Fragen
Die Rolle des Humors
Alternative Erklärungen
Kippbild
Illustrierende Gleichnisse und Fabeln
Sich nicht unterkriegen lassen: Günstigere Selbstinstruktionen
Beobachtungsaufgabe
Wer verändert?
Misserfolgsprophylaxe
9 Wege zur Selbst- und Fremdermutigung: Sich selbst und andere ermutigen
Erstrebenswerte Grundhaltungen und Verhaltensweisen
Interesse für andere
Selbstrelativierung und der Blick nach außen
Ein positives Menschenbild entwickeln und pflegen
Empathie
Hilfsbereitschaft und Großzügigkeit
Geduld
Der freundliche Blick
Das Gute erkennen, wertschätzen und würdigen
Versuche und Fortschritte anerkennen
Ein dynamisches Selbstkonzept pflegen und fördern
Die Sprache der Ermutigung
Den inneren Dialog bewusst gestalten: Positive Selbstgespräche
Humor
Positives Selbstmanagement I: Mit sich selber freundlich umgehen
Angemessene Ideale pflegen
Von allem lernen und Nutzen ziehen
Kooperation und Freundschaft
Positives Selbstmanagement II: Wohlwollende Beobachter und Begleiter
Eine ermutigende Person von früher
Mit ermutigenden Personen Kontakte pflegen
Ermutigende Lebensgebote oder Mottos
Übung „Positive Qualitäten“
Ein ABC des Lebens?
Ermutigung in der Partnerschaft
Zum Schluss: Tun, üben und experimentieren!
10 Kleine Sammlung anregender Aphorismen, Sprüche, Gedanken – und eine Geschichte
Einleitung
55 ausgewählte Beispiele
Anhang: Vier Fragebogen zur Selbst- und Fremdermutigung
Vorbemerkung
Literaturverzeichnis
Personenregister
Sachwortregister
Über den Autor
Anmerkungen

Vorwort

„Erst durch Einsatz erfährt man, was in einem steckt.“

(Anonym)

Das Thema Ermutigen – und damit verbunden das Gegenstück, die Entmutigung –, beschäftigt wohl die meisten Menschen, aber vielleicht in besonderem Ausmaß PsychologInnen, Lehrkräfte und Eltern immer wieder. Warum geben die einen Menschen in bestimmten Lebenssituationen auf, resignieren oder geraten gar in depressive Gefühlszustände, während andere bei Schwierigkeiten nicht locker lassen und weiterkämpfen – oder daraus sogar noch Impulse für ihre weitere Lebensgestaltung finden? Wenn man genauer hinter solche Lebensgeschichten schaut, finden sich häufig identifizierbare Gründe (und Hintergründe) für ein entsprechendes Verhalten. Viele dieser Menschen sind im Laufe ihrer Kindheit und Jugendzeit von Personen oder Umständen in irgendeiner Form ermutigt oder eben entmutigt worden. Zudem haben sie bestimmte Einstellungen und Überzeugungen über sich und die anderen Menschen entwickelt, die eher günstig oder eben ungünstig ausgefallen sind. Mit günstig meine ich hier etwa Aspekte (oder Tendenzen) wie realistisch, förderlich, positiv, selbstbestärkend, hilfreich – und mit ungünstig entsprechend: unrealistisch, selbstanklagend, negativ, selbstentmutigend, selbst- oder fremdschädigend usw. Ich möchte dies anhand von Ergebnissen aus der Forschung, mit Beispielen von einzelnen Personen – bekannten und unbekannten – im vorliegenden Buch etwas näher beschreiben und dazwischen sowie in separaten Kapiteln dazu Anregungen zur Eigenreflexion geben.

Das Thema „Ermutigen – Entmutigen“ beschäftigt mich eigentlich seit ich denken kann: Als Kind und als Jugendlicher, als Lehrer, als Student, als Dozent und Berater, als Partner, als Mensch überhaupt. Deshalb fließen in dieses Buch langjährige Erfahrungen zum Thema Ermutigung/Entmutigung aus psychologischen Beratungen und Kursen, aus Vorlesungen und Seminaren, aus Supervisionsgruppen mit Lehrkräften sowie selbstverständlich auch persönliche biografische Erfahrungen und Beobachtungen ein. Ergänzend habe ich mich in entsprechende Fachliteratur und verschiedene Biografien vertieft und versucht, daraus eine integrative Darstellung zum Thema Ermutigung zu verfassen. Ob mir das einigermaßen gelungen ist, lasse ich Sie als LeserIn selbst entscheiden.

An einem Buch sind immer sehr viele Personen auf verschiedenen Ebenen beteiligt. Ich bin hier mehreren Personen zu Dank verpflichtet, die mich auf verschiedene Weise unterstützt haben: Kathrin Frick und Michael Ricklin haben das ganze Manuskript, Jürg Rüedi größere Teile, Therese Prochinig, Urs Hardegger, Urs Ruckstuhl und Bruno Hugentobler einzelne Kapitel kritisch durchgelesen und dazu wichtige Anregungen, Kommentare und Hinweise gegeben, die zur Klärung und Verbesserung verschiedener Teile dieses Buches geführt haben. Trotzdem trägt natürlich der Verfasser die Verantwortung für den ganzen Text mit allen verbliebenen Unzulänglichkeiten und allfälligen Fehlern. Christian Lohr und seine Eltern haben mich bereitwillig zu ausführlichen Interviews empfangen und mir auf meine Fragen offen Auskunft gegeben. Ein besonderer Dank geht zudem an Eddy Risch für die Möglichkeit, ein Foto für das Kapitel 5 verwenden zu können, und an den Illustrator Hans Winkler, der es verstanden hat, das Wesen der Ermutigung treffsicher in Zeichnungen umzusetzen. Danken möchte ich ferner allen Menschen, die mich auf meinem Weg in irgendeiner positiven Art und Weise begleitet und ermutigt haben – es sind, wenn ich zurückschaue, nicht wenige.

Mein Dank geht auch an Studierende meiner Vorlesungen, Seminare und Kurse sowie an verschiedene Menschen, die mir im Laufe vieler Jahre in Beratungen wesentliche Erkenntnisse, Einsichten und Erfahrungen zum Thema ermöglicht haben und schriftliche Beispiele zur Verfügung gestellt haben. Auch Diskussionen und Fallbesprechungen mit FachkollegInnen in Intervisionsgruppen waren hilfreich.

Vom Verlag Hans Huber erhielt ich schließlich durch zwei freundliche und kompetente Frauen eine optimale Unterstützung: Monika Eginger begleitete mich in meinen Plänen für das Buch von Anfang an sehr wohlwollend und gab mir hilfreiche Anregungen, und mit Gaby Burgermeister stand mir – konstruktiv-kritisch und gewohnt sorgfältig – eine optimale Lektorin für die Bearbeitung und Korrektur des Manuskriptes zur Seite; von ihr stammen auch die hilfreichen Sach- und Namenregister.

Alle geschilderten Fallbeispiele stammen, wenn nicht anders vermerkt, aus meinen Erfahrungen in Beratung, Lehre und Kurstätigkeit. In allen Fallbeispielen wurden die Namen ausgewechselt und in einigen wenigen Fällen zudem geringfügige Details verändert, um die Betroffenen zu schützen.

Ich hoffe, dass Sie als Leserin oder als Leser aus der Lektüre des Buches und den Beispielen ermutigende Anregungen und Denkanstöße für sich finden sowie daraus fruchtbare, positive Einsichten entwickeln: Vielleicht wirkt es in verschiedenen Abschnitten gar als persönliches Mutmachbuch? Ich freue mich über Ihr Echo, Ihre Eindrücke, Ihre Anregungen sowie konkrete Verbesserungsvorschläge.

Jürg Frick

Vorwort zur 2. Auflage

Für die 2. Auflage habe ich das Buch einer kritischen Lektüre unterzogen, mit verschiedenen Ergänzungen versehen und wo nötig korrigiert, nicht zuletzt dank der Rückmeldungen von aufmerksamen und freundlichen LeserInnen und KursteilnehmerInnen, die mir konkrete Anregungen zukommen ließen.

Für Interessierte ist auch eine DVD mit einem Vortrag zum Thema „Die Kraft der Ermutigung“ unter www.auditorium-netzwerk.de erhältlich.

Jürg Frick

Vorwort zur 3. Auflage

Für die 3. Auflage habe ich das Buch an vielen Stellen wo nötig aktualisiert, mit verschiedenen Ergänzungen versehen und erheblich erweitert. Unter anderem wird zwischen Lob und Ermutigung genauer unterschieden, zudem gebe ich spezifische Hinweise zu Chancen, Stolpersteinen und Grenzen beim Ermutigen im pädagogischen Bereich. Auch neuere Erkenntnisse zur Bedeutung von positiven Gefühlen und ihre Auswirkungen habe ich ausführlicher berücksichtigt. Die moderne Lehr- und Lernforschung (vgl. Felten/Stern 2012) sowie die Neurobiologie (Bauer 2007, 2011) bestätigen viele Aussagen, die ich vor allem im 7. Kapitel gemacht habe – deshalb habe ich auch dazu einige Ergänzungen vorgenommen. Ebenso sind wichtige neue Erkenntnisse aus der Empathie- und Kooperationsforschung (De Waal 2009; Nowak/Highfield 2013 u.a.) in die entsprechenden Abschnitte integriert worden.

1 Einleitung und Einführung

„Eine Reise über tausend Kilometer beginnt mit nur einem einzigen Schritt.“

zitiert nach: Bruch (1977), S. 21

Dieses alte chinesische Sprichwort drückt eine wichtige Einsicht und Haltung nicht nur zum Reisen, sondern im Grunde genommen zur Entwicklung bei jedem Menschen aus. Es beinhaltet eine Aufforderung, nicht über einen vermutlich längeren oder schwierigeren Weg, der vor einem liegt, zu verzagen, sondern zu starten: eben mit dem ersten Schritt. Damit ist das oder besser ein Ziel zugleich schon ein klein wenig näher gerückt – und wir sind auch gleich beim Thema: Ermutigung vollzieht sich meistens nicht in großen Sprüngen, sondern in kleinen Schritten. Warum das so ist und wie das konkret aussieht, wird im vorliegenden Buch ein wichtiges Thema sein.

Auf den ersten Blick mag es vielleicht etwas ungewöhnlich oder gar eigenartig erscheinen, dass man ein ganzes Buch dem Thema Ermutigung widmen kann. Wie ich in verschiedenen Kapiteln zu zeigen versuche, wird die enorme Bedeutung der Ermutigung aus meiner Sicht (noch) als zu gering erkannt und entsprechend wenig, ungenügend oder häufig eher unreflektiert-unbewusst praktiziert, obwohl Ansätze zur Ermutigung in einigen psychologischen Schulen schon länger existieren und auch angewandt werden. Das hängt nicht zuletzt auch damit zusammen, dass Ermutigung sich nicht einfach in einzelnen Techniken oder Methoden erschöpft, sondern vielmehr eine ganze Grundhaltung beinhaltet.

Das vorliegende Buch basiert auf einem eklektischen, integrativen Konzept von Ermutigung: Obwohl der Autor von einem individualpsychologischen Ansatz (z.B. Adler 1973, Dreikurs 1981, Schoenaker 1995, Dinkmeyer et al. 2004a, b) ausgeht, fließen Beiträge aus der Neopsychoanalyse (z.B. Sullivan 1983), der Bindungspsychologie (z.B. Bowlby 1986, Grossmann & Grossmann 2004, Brisch 2003a, b), der systemischen (z.B. Barthelmes 2001), der lösungsorientierten (z.B. Bamberger 2001), der kognitiven (z.B. kognitive Verhaltenstherapie nach Ellis 1993) Psychologie wie aus ressourcenorientierten (z.B. Antonovsky 1997, Schemmel/Schaller 2003) sowie personenzentrierten (z.B. Rogers 1973, Sander 1999) Ansätzen ein – und es werden zudem auch die bedeutsamen Ergebnisse der Resilienzforschung (vgl. Opp et al. 1999, Wustmann 2004) einbezogen. Zudem finden im weiteren Erkenntnisse aus der Gelotologie (Humorforschung; vgl. Titze et al. 2003) Eingang in meine Darstellung. Schließlich ergänzen und vervollständigen Elemente von antiken (Epiktet, Epikur, Seneca), aufklärerischen (Helvétius, d’Holbach, La Mettrie) wie zeitgenössischen Philosophen (z.B. Russell 19511, Kanitscheider 1995, Dessau und Kanitscheider 2000, Schmidt-Salomon 2005, Schmid 2004) das vorliegende Ermutigungskonzept. Bezüge zur Empowerment-Bewegung (vgl. Herriger 2002, Lenz/Stark 2002) lassen sich für kundige LeserInnen ohne Weiteres finden, so u.a. in Kapitel 9, sind hier aber nicht explizit berücksichtigt – auch um den Umfang des Buch nicht noch zusätzlich zu erweitern.

Sie halten ein Buch über Ermutigung in den Händen: Da fragen Sie sich vielleicht auch, ob und was dieses Thema mit Ihnen persönlich zu tun haben könnte. Lange bevor Sie sich vermutlich mit den Themen dieses Buches überhaupt beschäftigt haben, sind Ihnen – so meine Vermutung – im bisherigen Leben immer wieder Menschen begegnet, die Sie in irgendeiner Form ermutigt haben: Direkt, indirekt, bewusst und wohl auch unbewusst. Das gilt wohl für alle (oder fast alle) Menschen, auch für den Autor des vorliegenden Buches. Ohne Ermutigung in der Kindheit, im Jugendalter, aber auch im Erwachsenenalter sind Menschen grundsätzlich nicht entwicklungs- und lebensfähig. Ermutigung ist der Nährboden, die Voraussetzung für die Entwicklung des Menschen, in jedem Alter! Ermutigung ist – nicht nur für Kinder und Jugendliche – so wichtig wie Wasser für eine Pflanze (Dinkmeyer/Dreikurs 1980).

Ermutigend haben auf mich verschiedene Menschen gewirkt, die ich hier nicht alle nennen kann, so beispielsweise einige Lehrpersonen, mein langjähriger ehemaliger Lehranalytiker, Freunde, und vor allem meine Partnerin sowie berufliche und persönliche Lebensumstände. Letztlich haben aber auch einige Widerstände und Schwierigkeiten in meinem Leben ermutigend auf mich gewirkt – so erkenne ich das zumindest rückblickend. Zur Bedeutung von Widerständen und Schwierigkeiten finden Sie in den Kapiteln 4 und 5 einige interessante Hinweise aus der Forschung und veranschaulichend dazu verschiedene konkrete Beispiele.

Zum Aufbau dieses Buches

Nachfolgend zur schnellen Orientierung eine kurze Übersicht zum Buch:

Das 2. Kapitel erörtert in einem ersten Teil die grundlegende Bedeutung des Menschenbildes sowie der Rolle der zwischenmenschlichen Beziehung für die positive Entwicklung des Menschen. Anschließend lege ich mein Konzept der Ermutigung mit verschiedenen Aspekten und veranschaulichenden Beispielen dar, wobei den verschiedenen Ermutigungsaspekten, dem inneren Dialog sowie dem Ermutigungs- bzw. Entmutigungskreislauf besondere Beachtung geschenkt wird.Im 3. Kapitel möchte ich zeigen, wie vielfältig wichtige Einflussfaktoren ermutigend oder eben auch entmutigend auf den einzelnen Menschen wirken können. Verschiedene Wege, die zu einer entmutigten Lebenseinstellung führen, werden näher erläutert. Ermutigung und Entmutigung verlaufen meistens kreisförmig, zirkulär, selbstverstärkend – mit entsprechend günstigen oder eben auch ungünstigen Folgen. Den Abschluss bildet die Beschreibung und Interpretation von Kafkas Lebensweg als ein tragisches Beispiel eines in bestimmten Lebensbereichen entmutigten Menschen.Anhand ausgewählter zentraler Punkte behandelt das 4. Kapitel die vielfältigen kompensatorischen Kräfte, über die Menschen verfügen, sowie die wesentliche Rolle, die die neuronale Plastizität dabei spielt – und wie unter günstigen Umständen Menschen davon Gebrauch zu machen vermögen. Zwei kurze Fallbeispiele – der einbeinige Heinz Lutz sowie die blinde Schriftstellerin Helen Keller – runden die Ausführungen dazu ab.Schwierige Umstände beim Aufwachsen führen nicht zwangsläufig zu psychischen Beeinträchtigungen oder gar Störungen: Anhand wichtiger Ergebnisse aus der Resilienzforschung sowie der Gesundheitspsychologie und mit verschiedenen veranschaulichenden Beispielen möchte ich im 5. Kapitel auf diese Thematik näher eingehen und dazu einige wesentliche Erkenntnisse beleuchten. Auch hier bieten acht kürzere oder längere Darstellungen von Lebensgeschichten (u.a. des Musikers Ray Charles, des körperbehinderten Christian Lohr oder des ersten schwarzen Präsidenten von Südafrika, Nelson Mandela) wertvolle Einsichten. Einige zusammenfassende Ergebnisse aus der Bindungsforschung sowie kurze Anregungen zur Resilienzförderung runden das Kapitel ab.Wie wichtig (und gesundheitsfördernd!) eine humorvolle Grundhaltung im Leben der Menschen sein kann, lege ich anhand wichtiger gesundheitspsychologischer Erkenntnisse und an Beispielen in Kapitel 6 dar. Besonders am Beispiel von Charles Chaplin erkennen wir verschiedene Möglichkeiten und Chancen, die Humor auch in schwierigen und bedrückenden Lebenssituationen und Umständen bieten kann.Das Kapitel 7 ist der Ermutigung in der Schule gewidmet: Welche Bedeutung spielt die Lehrperson, ihre Grundhaltung den SchülerInnen gegenüber und wie bzw. wo zeigt sich hier eine ermutigend wirkende Haltung? Wie kann im schulischen Kontext ermutigt werden – und wo sind Hindernisse, Grenzen? Lässt sich störendes Verhalten auch als Ausdruck von Entmutigung verstehen? Ich hoffe, dieses Kapitel gibt auf einige dieser Fragen Antworten oder zumindest Anregungen, Denkanstöße.In jedem erfolgreichen Beratungs- oder Therapieprozess spielt Ermutigung eine ganz zentrale Rolle, und umgekehrt stellt eine entmutigende Beratung gleichsam einen Widerspruch in sich selbst dar. Grundhaltung, Voraussetzungen, Hindernisse, Beispiele und verschiedenste Möglichkeiten für hilfreiche ermutigende Beratungsprozesse beschreibe ich im 8. Kapitel etwas ausführlicher.Im 9. Kapitel möchte ich LeserInnen einige Wege zur Selbst- sowie zur Fremdermutigung vorstellen, die wesentlich mit erstrebenswerten, d.h. zu entwickelnden Grundhaltungen und Verhaltensweisen verbunden sind. Das Kapitel enthält sozusagen Fragmente (oder Aspekte) einer Theorie der Lebenskunst. Anhand verschiedener Beispiele und kleiner Übungen besteht die Möglichkeit, im eigenen Leben solche Qualitäten zu entwickeln und umzusetzen. Dies ersetzt allerdings keineswegs eine Beratung oder Therapie, kann eine solche aber unterstützen oder ergänzen.Das letzte, 10. Kapitel bietet eine kleine Sammlung von 55 – so hoffe ich – hilfreichen Aphorismen, Sprüchen und Zitaten sowie eine kurze Geschichte und fasst damit nochmals wesentliche Erörterungen und Grundgedanken des Buches in kurzer und etwas anderer Form zusammen.Der Anhang soll allen interessierten Laien, aber auch Fachpersonen die Möglichkeit bieten, die persönlichen Beziehungen bzw. die Beziehungen ihrer KlientInnen anhand gezielter Fragen und kurzer Übungen zu verbessern und neue, ermutigendere Denk-, Gefühls- und Verhaltensweisen zu üben: keine leichte, aber sicher eine sehr lohnenswerte und ertragreiche Arbeit.

Wer speziell am Thema „Ermutigung in der Familie“ interessiert ist, sei an dieser Stelle auf die schon zahlreich vorhandene Literatur hingewiesen (z.B. Veith 1997, Dinkmeyer et al. 2004a, 2004b, 2005, Dreikurs/Soltz 1994, Juul 2000 und 2003) – mit ein Grund, warum ich in diesem Buch auf ein Kapitel dazu verzichtet habe. Für Eltern möchte ich besonders das anschauliche und praxisnahe Buch von Grolimund (2016) zur Vertiefung empfehlen.

Das Buch ist so konzipiert, dass eine gewinnbringende Lektüre nicht der Reihe nach erfolgen muss; sinnvoll erscheint mir allerdings, das Kapitel 2 als Ausgangspunkt für die weitere Entdeckungsreise zu den Möglichkeiten der Ermutigung zu nehmen, weil ich darin grundlegende Erkenntnisse und Prozesse zur Dynamik der Ermutigung behandle.

Angesichts der Breite des Feldes Ermutigung/Entmutigung können aus meiner Sicht Menschen verschiedenster Berufsgruppen und Interessenfelder im vorliegenden Buch Anregungen – nicht fertige Lösungen oder gar Rezepte! – finden; namentlich aufgeführt seien hier:

Menschen, die an ermutigenden Sichtweisen bei Problemanalysen und Problemklärungen, an menschlichen Beziehungen und Entwicklungen sowie an positiven Lösungsansätzen interessiert sindLeserInnen, die sich selbst – und andere Menschen – besser verstehen und mit ihnen noch hilfreicher umgehen möchtenLehrpersonen aller StufenSpielgruppenleiterInnen und KleinkinderzieherInnenPsychologInnen und PsychotherapeutInnenSozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnenÄrzte, Pflegefachpersonen und weitere Angehörige von Heil-, Pflege- und MedizinalberufenPatientInnen, KlientInnen, Hilfesuchende, die mit psychologischen BeraterInnen oder PsychotherapeutInnen und anderen Angehörigen helfender Berufe zu tun haben, kurz: Menschen, die irgendeine Form von Beratung, Unterstützung oder Therapie beanspruchenEltern und andere ErziehendeAllgemein an Lebensfragen und Problemen interessierte ZeitgenossInnen.

Obwohl einzelne Kapitelüberschriften LeserInnen vielleicht zur Annahme verleiten könnten, als Nicht-Lehrpersonen (Kap. 7) oder Nicht-Beratende (Kap. 8) seien diese Kapitel für sie wahrscheinlich wenig nützlich, hege ich die Überzeugung, dass sich in allen Kapiteln vielfältige allgemeine wie spezifische Anregungen und Denkanstöße finden lassen. Vieles, was beispielsweise in der Schule oder in einer Beratung abläuft, beinhaltet menschliche Grundthemen, Aspekte und Prozesse. Verschiedene Themen und Ausführungen aus dem längeren Kapitel 8 lesen auch Menschen, die nicht in eine Beratung gehen, sicherlich mit Gewinn, und das Kapitel 7 enthält Gedanken und Überlegungen, die für den Umgang mit Menschen generell hilfreich sein können. Kurz gesagt: Das vorliegende Buch soll Menschen ansprechen, die an der Überwindung von Schwierigkeiten, Klippen, Hindernissen und an ermutigenden Wegen interessiert sind. Aus dieser Perspektive kann man dieses Buch durchaus (auch) als Hilfe- und Selbsthilfebuch verstehen, das Anregungen zum besseren Verständnis von Mitmenschen oder sich selbst (Selbsterkenntnis) oder vielleicht gar eine Orientierungshilfe bieten kann. Ob diese Versprechen eingelöst werden, mögen die LeserInnen entscheiden. Die Lektüre und Auseinandersetzung mit einem Buch wie „Die Kraft der Ermutigung“ ersetzt allerdings nicht, das sei hier nochmals unmissverständlich festgehalten, eine allfällige Beratung oder Therapie – immerhin vermag das vorliegende Buch diese oder jene aber vermutlich ergänzend zu unterstützen.

Das Buch soll schließlich – so die unbescheidene Hoffnung des Autors – auch durch die verschiedenen Beispiele und Denkanstöße LeserInnen anregen, sich über ihre eigenen, häufig selbst gesetzten Grenzen klarer zu werden sowie Chancen und Potenziale neuer Sichtweisen und Haltungen besser zu erkennen und zunehmend auch anzuwenden. Das Leben ist eine offene Veranstaltung, Lernen und Sich-weiter-Entwickeln ist immer möglich!

2 Grundlagen: Menschenbild und Konzept der Ermutigung2

„Wer nicht genügend vertraut, wird kein Vertrauen finden.“

(Lao-tse)3

„In jedem von uns steckt sehr viel mehr, als er selber weiß.“

(Robert Jungk)4

„Wenn wir die Menschen nur nehmen, wie sie sind, so machen wir sie schlechter; wenn wir sie behandeln, als wären sie, was sie sein sollten, so bringen wir sie dahin, wohin sie zu bringen sind.“

(Johann Wolfgang von Goethe)5

„Wir brauchen aber weder Unterwürfigkeit noch den Geist des Aufruhrs, sondern schlichte Gutherzigkeit und ein allgemeines Wohlwollen gegenüber Menschen und neuen Ideen.“

(Bertrand Russell)6

„Ermutigung macht den Schwachen stärker, den Kranken gesünder, den Zweifelnden sicherer, den Ängstlichen mutiger.“

(Theo Schoenaker)7

„Die Menschen sind, was die Umstände aus ihnen machen, doch werden sie, was sie aus den Umständen machen.“

(Manès Sperber)8

Die grundlegende Bedeutung des Menschenbildes

Wer sich mit dem weiten Feld der Ermutigung beschäftigen möchte, kommt nicht darum herum, sich vorgängig mit der zentralen Frage des eigenen Menschenbildes auseinander zu setzen. Und gleich vorweg: Eine wesentliche Grundlage für Ermutigung ist ein positives Menschenbild. Ich werde deshalb zuerst auf diese Thematik näher eingehen, bevor ich dann zur Darstellung eines Konzeptes von Ermutigung überleite.

Ob wir Kinder und Jugendliche unterrichten, über Menschen forschen, sie beraten oder therapieren, sie diagnostizieren, ob wir als Vorgesetzte eine MitarbeiterInnen-Sitzung leiten, mit der Partnerin eine Diskussion über Ferienpläne führen, uns über Mitmenschen ärgern, mit anderen im Bus ins Gespräch kommen oder uns dort abweisend verhalten – immer gehen wir von bestimmten Vorstellungen über den oder die Menschen, d.h. von bestimmten Grundannahmen und Meinungen aus (Mutzeck 2002). Natürlich spielen dabei auch situative Einflüsse und momentane Stimmungen eine Rolle. Zusammenfassend lässt sich das auch als Menschenbild bezeichnen. Das Menschenbild beinhaltet also Auffassungen über die Natur des Menschen (gut, böse usw.), über seine Lebens- und Entwicklungsbedingungen, seine Motive und Antriebe, seine Stellung in der Natur und im Kosmos sowie in der Gesellschaft (vgl. Frick 1986). Es enthält Meinungen über die eigene Person, die anderen Menschen und die Zukunft. Diese Grundannahmen, Grundhaltungen oder Grundmeinungen – man könnte auch von einer Grundorientierung sprechen – sind vielen Menschen zumindest teilweise oder überhaupt nicht bewusst, und sie werden im Laufe der Lebensgeschichte, besonders in Kindheit und Jugendzeit gelernt, differenziert, ge- und verfestigt. Schließlich sind sie von entscheidender Bedeutung, weil sie uns in vielfältiger Art und Weise beeinflussen, lenken und leiten, wenn auch vielfach oder sogar meistens unbewusst. Das Menschenbild bestimmt also wesentlich die entsprechenden Grundhaltungen, von denen ich der Einfachheit halber einige verkürzt bzw. zugespitzt und beispielhaft als Gegensatzpaare einander gegenüberstelle – in der Realität sind es eher Tendenzen in die eine oder andere Richtung:

soziale Verbundenheit oder Feindseligkeit anderen gegenüberVertrauen zum Mitmenschen oder Misstrauen gegenüber den MenschenEmpfinden der Gleichwertigkeit oder Gefühl der Unter- oder Überlegenheit.

Das Menschenbild, das jeder Mensch in sich trägt, bildet die Grundlage des persönlichen, individuellen Lebensstils, der Ziele, Handlungen, Entscheide, Gefühle sowie der Verhaltensweisen und stellt somit mehr als einfach ein rein philosophisches Problem dar: Es entscheidet nämlich wesentlich mit, wie wir mit anderen Menschen, seien es SchülerInnen, dem Lebenspartner oder der Lebenspartnerin, BerufskollegInnen, Freunden, Nachbarn oder Fremden umgehen, aber auch, was wir ihnen an Fähigkeiten zugestehen, was wir von ihnen erwarten, was wir erhoffen oder befürchten. Dieses Menschenbild, das sich in Lebensstilsätzen wie „ich bin …“, „die Welt ist …“, „die anderen Menschen sind …“ äußert, drückt sich in relativ stabilen Beziehungsmustern aus und bildet schließlich die Leitlinien für das Denken, Fühlen und Verhalten eines Menschen.

Der folgende kurze Text von einem unbekannten Verfasser fängt eine Variante einer gelebten Erwartungshaltung – hier am Beispiel eines Hundes – treffend ein und lässt sich sehr gut auf das menschliche Leben übertragen:

Die fatale Erwartung

Ein Hund irrt in einem Raum herum,

in dem alle Wände Spiegel sind.

Überall sieht er Hunde.

Er wird wütend,

fletscht die Zähne und knurrt.

Alle Hunde in den Spiegeln fletschen ebenfalls

wütend die Zähne.

Der Hund erschrickt, fängt an im Kreis

herumzulaufen,

so lange, bis er schließlich

tot zusammenbricht.

Hätte er doch nur ein einziges Mal mit

dem Schwanz gewedelt.

Ob man in seinem tiefsten Inneren den Menschen allgemein beispielsweise als entwicklungsfähig, mit guten Anlagen ausgestattet oder von egoistischen Genen und dunklen Trieben beherrscht sieht, entscheidet maßgebend mit über die Haltung und das Verhalten anderen gegenüber, sei dies im privaten wie öffentlichen Leben, im Berufsalltag wie in der Freizeit. Wer etwa davon überzeugt ist, dass die Menschen im Allgemeinen unfreundlich sind und man ihnen deshalb nicht vertrauen kann, erzeugt so, ob er/sie es merkt oder nicht, negative Gefühle in sich – mit den entsprechenden Folgen. Der Spruch von Lao Tse9, wer nicht Vertrauen habe, dem werde man auch nicht vertrauen, variiert diese Erkenntnis.

In Tabelle 2-1 werden solche Menschenbilder auf einige Kernaussagen reduziert und vereinfacht sowie einige mögliche Folgen daraus abgeleitet.

Die Aussagen 1 bis 6 sind eher von einem positiven Menschenbild geprägt, die Aussagen 8 bis 13 hingegen basieren tendenziell auf negativen Annahmen über den Menschen, die Nummer 7 kann je nach Kontext der Aussage eher dem positiven (a) oder dem negativen (b) Menschenbild zugeordnet werden.

Aus einer historischen und gesellschaftlichen Perspektive möchte ich an dieser Stelle kurz einflechten, dass das klassische christliche Menschenbild von einem mit der Erbsünde belasteten Menschen ausgeht, während etwa die wirtschaftsliberale Auffassung die Konkurrenz, die Überbetonung des Individuums und die ausgeprägte Eigenverantwortung ins Zentrum stellt. Diese beiden Varianten von Menschenbildern sind aus meiner Sicht sowohl problematisch wie verhängnisvoll und werden deshalb hier nicht weiter verfolgt – das Gleiche gilt für postmoderne Konzeptionen, die sich u.a. durch Beliebigkeit im Sinn von anything goes „auszeichnen“.

Es geht hier nicht darum, ein naiv-positives Menschenbild zu postulieren, wonach alle Menschen lieb und gut seien und jeder und jede gleichsam von selbst alles erreichen kann, wenn er oder sie das nur will: Solche von esoterischen BestsellerautorInnen verkündete „Weisheiten“ (oder vielleicht treffender: Dummheiten) sind häufig nicht nur unhaltbar oder gelegentlich auch lächerlich, sondern manchmal auch höchst gefährlich, wie das etwa Scheich (1997) und Goldner (2000) anhand verschiedener tragischer Beispiele eindrücklich dokumentiert haben. Menschen, die „immerzu positiv denken, sind eine leichte Beute“ (Schmid 2005b, S. 108). Beispiele kann ich mir hier sparen. Zudem geht es auch nicht darum, gesellschaftliche Missstände und Ungerechtigkeiten, von denen es mehr als genug gibt, schönzureden oder mit einem positiven Mäntelchen zu kaschieren. Ein gesundes Misstrauen gegenüber Politikern und Wirtschaftsführern etwa, die den BürgerInnen Arbeitsplätze und Sicherheit versprechen, gleichzeitig aber Sozialdemontage am Staat, unverschämte Steuergeschenke für multinationale Konzerne oder Reiche und horrende Löhne für Kaderleute rechtfertigen, erweist sich als durchaus gesunde und notwendige Haltung und ist durchaus kompatibel mit einem guten Menschenbild. Ein positives Bild vom Menschen kann und muss mit einer kritischen Einstellung zu Organisationen und Institutionen einhergehen. Statt einfach blind an das Gute oder Positive zu glauben, ist es angemessener, immer auch kritische Fragen zu stellen. Es gilt hier die Handlung, die Funktion eines Menschen in einer Organisation und den Menschen als Individuum zu unterscheiden. Es gehört zu einem realistischen Menschenbild, dass man ein politisches Umfeld, Formen des Machtmissbrauchs usw. kritisch betrachtet, ohne deswegen den einzelnen Menschen abzulehnen oder zu verdammen. Selbstverständlich wäre es auch naiv und gefährlich, die Existenz von BetrügerInnen, EinbrecherInnen oder Dieben im Alltag auszublenden oder schwerwiegende akute Umweltgefahren und -bedrohungen oder fortwährende Umweltzerstörungen einfach zu negieren – oder von irgendeiner höheren Instanz (Gott, Partei, Führer) zu erwarten, dass die das schon irgendwie richten wird.

Mein Anliegen geht vielmehr dahin, Denkanstöße zum eigenen, persönlichen Menschenbild zu geben, weil die persönliche Lebensqualität – und die eigene Einflussnahme darauf – im engeren Lebensumfeld leichter in eine positive Richtung zu bewegen ist, als größere gesellschaftliche Problembereiche vom Einzelnen verändert werden können. Sperber (1981, S. 691) hat im Hinblick auf die Mehrschichtigkeit und die Funktion von Utopien Folgendes formuliert: „Ich bin ein Gegner von Utopien, weil sie versprechen, was sie nie erfüllen können. [Auf unseren Zusammenhang übertragen: Alle Menschen sind harmlos und gut – J.F.]. Dennoch bleibe ich in der Nähe der Utopisten, weil ihr Elan manchmal dazu verhilft, allmählich jene Änderungen zu bewerkstelligen, die für alle das Leben trotz seiner unabänderlichen Endlichkeit sinnvoll, ja lebensschöpfend gestalten mögen.“ Ich erachte diese Einstellung – mit der kleinen Einschränkung, dass ich den Begriff „Utopie“ lieber durch „Vision“ ersetzen möchte – als sehr sinnvoll.

Im privaten Bereich erweist sich – wie wir später noch sehen werden – ein prinzipielles oder tendenzielles Wohlwollen, ein lebensbereichsspezifisches (nicht blindes) Vertrauen, als hilfreich und gesundheitsförderlich für die persönliche Lebensgestaltung; schon Erikson (1980) hat früh enge Zusammenhänge zwischen erlebtem Vertrauen (Urvertrauen) und der Persönlichkeitsentwicklung des kleinen Kindes erkannt. Eine angemessene positive Grundhaltung zu den Menschen und zum Leben ist immer relativ, differenzierend, abwägend, denn jedes Mal stellt sich die Frage: Womit habe ich es zu tun? Lebensbereichsspezifisch würde beispielsweise bedeuten, in einer guten Partnerschaft dem anderen grundsätzlich und weitgehend zu vertrauen, aber gegenüber einem Finanzakrobaten, der einem für einen bestimmten finanziellen Einsatz eine Traumrendite verspricht, sehr kritisch und vorsichtig zu sein (= gesundes Misstrauen). Wir könnten auch von einem personalen Vertrauen (oder Misstrauen), einem Vertrauen (oder Misstrauen) in einen konkreten Interaktionspartner, und einem systemischen Vertrauen/Misstrauen als Vertrauen/Misstrauen in eine Organisation oder Institution wie eine Partei, eine Kirche oder einen Staat sprechen (vgl. Schweer/Thies 2004). Naturgemäß fällt es schwerer, in eine Organisation Vertrauen aufzubauen und zu behalten, es sei denn, sie verfügt über vertrauenswürdige und glaubwürdige RepräsentantInnen. Eine situationsspezifische, von den Realitäten ausgehende Vorsicht gegenüber potenziell schädigenden zwischenmenschlichen Beziehungen oder Interaktionen ist sicher sinnvoll, denn sie erlaubt es Individuen, Ausbeutung oder körperlichen wie emotionalen Missbrauch zu vermeiden (vgl. Pearson 1997). Doch die durchgängige, grundlegende Überzeugung, dass andere Menschen vor allem gefährlich seien und schlechte Absichten hätten, schadet der Entwicklung von Beziehungen und verhindert so, vielfältige positive Erfahrungen sammeln zu können. Schmid schlägt vor, von einer Basis des Vertrauens auszugehen und gelegentliche Enttäuschungen mit einzukalkulieren; wünschenswert sei ein Vertrauen, das noch einen Hauch von Misstrauen mit umfasst: ein Grundvertrauen, das grundsätzlich gilt, aber eben Ausnahmen zulässt (Schmid 2009). Die grundsätzliche Auffassung, andere Menschen seien tendenziell oder mehrheitlich gefährlich, böse und schlecht, bedeutet eine angststimulierende Einstellung und damit auch eine Einengung, die schließlich dazu führen kann, dass sich Individuen zunehmend isolieren; und sie stellt andererseits auch ein nicht geringes gesundheitliches Risiko dar, wie ich gleich noch darlegen werde. Wer im Gegenüber vor allem die Bedrohung und weniger die Bereicherung sieht, erlebt unzählige Situationen im Alltag rigider und vermag die Vielfalt des Lebens weniger differenziert zu erkennen – und zu genießen.

Trotz allen gesellschaftlichen Missständen und persönlichen Schwierigkeiten des Einzelnen: Eigentlich beruht das ganze menschliche Leben in hohem Maß auf Vertrauen. Vertrauen ist ein zentrales Charakteristikum menschlichen Lebens. Ohne Vertrauen ist ein soziales Miteinander schlichtweg nicht vorstellbar, kann unsere Welt nicht funktionieren, d.h. ohne ein Mindestmaß an Vertrauen ist das Leben nicht denkbar: Wir vertrauen beispielsweise selbstverständlich darauf, dass die gekauften Lebensmittel einwandfrei sind, im Straßenverkehr alle Verkehrsteilnehmer vor einer roten Ampel anhalten und der Gegenverkehr in seiner Spur bleibt, dass der eingeworfene Brief von der Post korrekt zugestellt wird, die Eisenbahn nach Fahrplan fährt und die Einladung zum Abendessen mit der Freundin im vereinbarten Lokal zur abgesprochenen Zeit auch tatsächlich stattfindet. Auch im Berufsfeld ist Vertrauen eine entscheidende strukturierende Variable: Ohne sie geht buchstäblich fast nichts. Kurz: Letztlich beruht die ganze Lebensführung in einem erheblichen Ausmaß auf Konventionen und Vertrauen und erst dies ermöglicht überhaupt das Funktionieren einer hoch komplexen Gesellschaft. Vertrauen reduziert zudem die Vielzahl denkbarer und möglicher Handlungsausgänge auf einige wenige – und dadurch wird der einzelne Mensch bzw. ein soziales System überhaupt erst handlungsfähig (Schweer/Thies 2004): Vertrauen bewirkt eine unabdingbare Komplexitätsreduktion von unendlichen Entscheidungsvarianten.

Die Menschen haben sich so sehr an das Vertrauen gewöhnt, dass es ihnen meist erst auffällt, wenn es abhanden kommt – Vertrauen wirkt meistens unbewusst (vgl. Enkelmann/Rückerl 2004). Ein Mindestmaß an Vertrauen – allerdings nicht in Form eines naiven und blinden Glaubens – ist sozusagen die Voraussetzung für eine positive und befriedigende Lebenshaltung. Mittlerweile liegen sogar betriebswirtschaftliche Analysen vor, die nachweisen, wie hoch sich die durch Vertrauen eingesparten Kosten in Unternehmungen beziffern lassen und die zeigen, dass dadurch – als Folge – etwa die Arbeitsabläufe effizienter und die MitarbeiterInnen zufriedener sind (Schweer/Thies 2004).

Drei weitere Argumente zur Abgrenzung von einem naiv positiven Menschenbild möchte ich noch kurz hier aufführen:

Ein Mensch braucht auch Anleitung, realistische Ziele sowie die Bereitschaft, sich unterstützen zu lassen.Die naive oder bequeme Haltung im Sinne von „der wird das schon schaffen“ kann durchaus auch Interesselosigkeit bedeuten – und dann auch so, nämlich entmutigend, wirken.Bei einigen Varianten des Konstruktivismus besteht durchaus die Gefahr, die ganze Verantwortung für den Lernprozess auf die SchülerInnen abzuwälzen, was diese natürlich überfordert: Alles sei eben Eigenverantwortung, wer nicht wolle, sei selber schuld. Hier gilt es, auch erschwerende soziale Umstände u.a. einzubeziehen.

Kehren wir zum Menschenbild zurück: Die in den vorherigen Abschnitten (stark vereinfacht dargestellten) Grundannahmen über die Menschen und die Welt werden in den ersten Lebensjahren eines Menschen aufgrund der individuellen Erfahrungen mit seiner Umgebung, seinen Erziehungs- wie Beziehungspersonen entwickelt, modifiziert, verändert und schließlich gegen das Ende der Kindheit verfestigt. Sie verändern sich in der Regel im weiteren Laufe des Lebens erstaunlich wenig, es sei denn, dass wichtige, tiefgreifende positive wie negative Erfahrungen Anlass geben, diese Grundorientierung nochmals zu modifizieren. Traumatische Erfahrungen ohne gegenwirkende Verarbeitungsmöglichkeiten, etwa im Rahmen einer Psychotherapie, können dann beispielsweise eine tendenziell positive Grundorientierung in eine negative verwandeln oder die schon vorhandene negative noch weiter bestärken.

In der Praxis ist die Sache allerdings noch etwas komplexer: Wir verfügen genau genommen über mehrere Menschenbilder, d.h. einem nahestehende Personen, mit denen man ein gutes oder inniges Verhältnis pflegt, werden tendenziell günstiger taxiert als fremde Menschen oder Bekannte, mit denen man etwa in einem intensiven Konflikt steht. Trotzdem lässt sich auch hier sozusagen ein Haupt-Menschenbild, ein leitendes Menschenbild beobachten, das diesen Teil-Menschenbildern zugrunde liegt. Wer also Menschen mit ihren Gefühlen, ihrem Denken, ihren Handlungen und ihren Problemen verstehen will, tut gut daran, sein zugrundeliegendes Menschenbild näher zu betrachten. Man könnte stark vereinfacht folgende zwei Aussagen aufstellen:

Sage mir – oder besser: Zeige mir in deinem Verhalten –, welches Menschenbild du hast, und ich sage dir, wie du etwa bist und welche Probleme und Stärken du im Umgang mit anderen Menschen zeigst oder haben wirst!Sage mir – oder besser: Zeige mir in deinem Verhalten –, wie du wahrnimmst und interpretierst, und ich sage dir, wer du ungefähr bist.

Sechs Varianten von Menschenbildern

Am folgenden, fiktiven und witzigen Beispiel, das ich von Friedemann Schulz von Thun (1991, S. 160f.) übernommen und verändert habe, möchte ich dies anhand von verschiedenen Reaktionen eines Firmeninhabers etwas näher veranschaulichen. Es geht um ein Problem zwischen dem Vorgesetzten und seiner Untergebenen: Die Angestellte, Frau Lehner, hat es unterlassen, die Unterlagen für einen Geschäftsabschluss richtig einzuordnen, so dass ihr Chef während ihrer Abwesenheit einige Zeit vergeblich suchen musste. Achten Sie auf die verschiedenen Vorgehensweisen und Äußerungen des Vorgesetzten, wobei Sie sich die Stimme bzw. die Stimmungslage des Vorgesetzten und die gefühlsmäßige Reaktion der Untergebenen selber ausmalen müssen.

Varianten von Menschenbildern

Variante 1: (sachlich und freundlich, mit einem offenen, freundlichen und zugewandten Blick) Frau Lehner, ich habe gemerkt, dass Sie die Unterlagen betreffend der Firma Neon falsch eingeordnet haben. Diese Dokumente gehören in den hintersten Schrank im Büro.

Variante 2: (gereizt, zunehmend ungeduldig) Frau Lehner, darf ich Ihnen das einmal zeigen? Sehen Sie mal hier bitte! Die Unterlagen betreffend Neon gehören doch zu den Geschäftsabschlüssen. Sie haben das aber in den falschen Schrank gelegt. Sie wissen ja: immer in den hintersten Schrank, nicht wahr? Das habe ich Ihnen doch sicher schon mehr als einmal erklärt, erinnern Sie sich? Na bitte, aal-so (gedehnt). Nochmals (betont): Geschäftsabschlüsse gleich hinterster Schrank, können Sie sich das nun merken? Klar? Das müssen Sie sich absolut einprägen, sonst …

Variante 3: (gereizt, zynisch) Frau Lehner? Kommen Sie doch mal bitte, ja? Wie lange arbeiten Sie nun eigentlich schon bei uns? Eben, schon über ein Jahr! Sehen Sie mal hier! Was ist das? Nun? Fällt Ihnen dazu nichts ein? Doch …Aha!AusVersehen,ausVersehen,nabitte,wievielMalnochausVersehen?

Variante 4: (sehr ärgerlich) Frau Lehner … (längere Pause). Neonpower, Neonpower, Neonpower … (Pause). Ich suche mich halbtot. Sie wissen doch, wie mir die Arbeit schon längere Zeit bis zum Hals steht … (seufzt laut und wiederholt) … Warum plagen Sie mich schon wieder mit Ihrer schludrigen Ablegerei??! Was soll das eigentlich, Sie …?

Variante 5: (kontrolliert ärgerlich, zögert) Frau Lehner, es ist mir nicht angenehm … (zögert leicht) die Sache anzusprechen. Aber – äh – es ist Ihnen da – äh – wieder eine – äh – gewisse – äh – Ungenauigkeit unterlaufen, oder? (Pause, dann plötzlich) Ist irgendetwas nicht in Ordnung? (Längere peinliche Pause, dann abrupt) Haben Sie Sorgen in der Familie … mit Ihrem Mann? Oder vielleicht mit den Kindern? Mit mir können Sie ja offen sprechen, Sie wissen ja, jeder hat ja so seine Tiefpunkte, nicht wahr, das kennen wir ja oder …

Variante 6: (kontrolliert wütend, zynisch) Ihre Sorgfalt und Genauigkeit, Frau Lehner,beeindrucktmichwirklichaußerordentlich.DieAblagederNeonpower-Unterlagen im falschen Schrank – präzis im falschen Schrank natürlich – ist ein außerordentlich humorvoller Beitrag zum Wohlbefinden eines unterbeschäftigten und faulen Chefs … ich danke schon se-e-h-r (gedehnt und sehr betont) für Ihren wirklich originellen Beitrag zur … (bricht abrupt ab, dreht sich wütend um und eilt aus dem Büro)

Jede dieser Aussagen geht von bestimmten Grundannahmen oder Grundhaltungen über Menschen, hier im Besonderen über die Mitarbeiterin Lehner aus. Wie Frau Lehner diese Aussagen wahrnimmt, erlebt, interpretiert, verarbeitet und darauf reagiert, hängt neben der bisherigen Beziehung zu ihrem Vorgesetzten von ihrem eigenen Menschenbild, aber auch ihrer Tagesform und anderen Faktoren ab. Wie erwähnt spielen auch Tonlage sowie die begleitende Mimik und Gestik des Chefs eine wichtige Rolle. Nur im ersten Beispiel reagiert der Vorgesetzte sachlich, freundlich und unterstützend – und nur hier besteht vermutlich die Chance, dass Frau Lehner auch entsprechend, d.h. positiv und offen darauf eingehen wird und möglicherweise daraus lernen kann. Die Varianten 2 bis 6 beinhalten autoritäre, belehrende, drohende, beleidigende, Schuldgefühle wie Empörung auslösende, aber auch gönnerhafte und unechte Posen sowie Zynismus. Die Wirkung auf die Untergebene wird mit großer Wahrscheinlichkeit ungünstig ausfallen, d.h. es wird nicht am Problem, der falschen Einordnung gearbeitet, es wird kaum eine Lösung, eine Einsicht entstehen, sondern die Mitarbeiterin wird mit Ressentiments, Wut, Ärger, vielleicht auch Angst reagieren. Die Stimmung zwischen den beiden ist verdorben, Frau Lehner vermutlich demotiviert, unzufrieden.

Umgekehrt gilt: Je gewinnender, gelassener und vor allem wertschätzender das eigene Auftreten in zwischenmenschlichen Situationen – und hier vor allem auch in Konflikten – ausfällt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die beteiligten Menschen eher auch so oder ähnlich verhalten.

Grundsätzliche Annahmen über den Menschen sagen deshalb mehr über den Träger, den „Konstrukteur“ dieser verinnerlichten und in seinem Handeln bestimmenden Menschen aus als über die anderen, denn: Wir sehen die Dinge nicht so, wie sie sind, sondern wie wir sind. Am deutlichsten erkennt man das bei der Depression: Der Kern der Depression besteht u.a. ja in der negativen kognitiven Triade (Beck 1999, S. 41ff.): Ich bin nichts wert (negatives Selbstbild), die anderen mögen mich nicht (negatives Fremdbild), was bringt schon die Zukunft, wozu soll ich eigentlich noch leben? (negative Zukunftserwartung). Depressive Menschen fühlen sich sehr schlecht, empfinden und beurteilen sich und andere tendenziell deutlich negativ und – das ist das Tragische – sie verhalten sich so, dass es der Umgebung bald einmal schwer fällt, ihnen positive Gefühle entgegenzubringen. Weil sich Depressive so negativ empfinden, ziehen sie sich zurück, trauen sich nichts oder wenig mehr zu, weisen Mitmenschen häufig ab, wirken abweisend usw. Ein Teufelskreis kommt in Gang, sowohl die depressive Person wie auch ihre Umgebung fühlen sich in ihren Annahmen bestärkt.

Gesundheit, Grundhaltung und Menschenbild

„Auf Negatives stoßen wir im Leben sowieso von selbst. Die Aufgabe besteht darin, auch und vor allem das Positive zu sehen und zu pflegen.“

(Jürg Frick)

Frühe gesundheitsmedizinische Einsichten über Zusammenhänge von Psyche und Körper entwickelte schon ab den 1950er-Jahren Hans Selye (1957, 1977) in seinen Klassikern über Stress. In unserem Zusammenhang wichtig geworden ist sein Konzept des altruistischen Egoismus: Verhaltensweisen, die in einem Gefühle der Erfüllung und der Sicherheit hervorrufen, entstehen u.a. dadurch, dass man bei anderen Menschen Liebe, Zuneigung oder Dankbarkeit für das weckt, was man getan hat. Vereinfacht: Positive Gefühle erlebt man, wenn man anderen Menschen hilft und der Körper in einen ausgeglichenen, entspannteren Zustand übergeht. Oder noch prägnanter und ganz kurz ausgedrückt: Helfen ist gesund. Gemeint ist dabei selbstverständlich nicht die aufopfernde Hilfe, die eigene Bedürfnisse rücksichtslos übergeht, also die Hilfe aus reiner Pflichterfüllung. Echte Hilfe muss sozusagen in Freiheit gewährt werden, statt etwas Erzwungenes oder Auferlegtes zu sein. Auch eine helfende Person muss lernen, sich dabei Grenzen zu setzen. Und: Helfen ist nur gesund, wenn dabei nicht die eigenen Kräfte überfordert werden, denn sonst steigt das Risiko für eine schlechtere mentale Gesundheit sowie für körperliche Symptome (beispielsweise eine schlechtere Immunabwehr oder ein höherer Spiegel von Stresshormonen). Chronisch gestresste HelferInnen weisen ein höheres Gesundheitsrisiko für Bluthochdruck, Diabetes oder Infektionen auf, wie die Untersuchung von Vitaliano et al. (2003) an der Universität Washington nachweisen konnte. Zusammengefasst: HelfenistsowohlfürdiePsychewieauchfürdenKörpergesund –wenn es sich in Grenzen hält, wenn dabei die eigenen Bedürfnisse nicht übergangen werden. Letzteres kann bei bestimmten Formen von christlichen Helfersyndromen der Fall sein. Hilfreiches Helfen für beide Seiten grenzt sich also deutlich von Varianten christlicher Nächstenliebe ab, wo die Selbstaufopferung, die Selbsterhöhung durch Leiden, das Erhalten eines Gotteslohnes im Jenseits usw. die Motivationsbasis liefern. Es geht also nicht nur um das Maß des Helfens, sondern auch um das Motiv.

Hilfsbereite Menschen können sogar noch mehr für ihr seelisches Wohlbefinden profitieren als diejenigen, die sich helfen lassen: Das haben Schwartz und MitarbeiterInnen (2003) an der Universität Massachusetts herausgefunden. Laut dieser Untersuchung an 2000 Menschen zeigte sich u.a. Folgendes: Wer sich selbst aktiv um andere kümmert, hat nach eigenen Angaben weniger mit Ängsten und Depressionen zu kämpfen. Das hat mit großer Wahrscheinlichkeit auch damit zu tun, dass Helfende weniger auf sich selbst fixiert sind.

Wie Ergebnisse der Psychoneuroendokrinologie zeigen, scheint ein harmonisches Miteinandersein Menschen eher glücklich und gesund zu machen: Besonders die Stress mindernden Effekte von Oxytocin und Opiaten wirken sich günstig auf die Gesundheit aus, denn beide dämpfen die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol und beugen so nicht nur Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sondern auch Infektionen vor (Klein 2010, S. 128).

Wer anderen Menschen also in ihren Schwierigkeiten oder ihrer Not beisteht, entwickelt tendenziell das Gefühl, etwas Gutes zu bewirken: Das beglückt, macht zufriedener und fördert so das eigene Geborgenheitsgefühl. Bekannt ist dieses Phänomen bei vielen helfenden Tätigkeiten und Berufen, von der Nachbarschaftshilfe bis zur Pannenhilfe, in der psychotherapeutischen oder ärztlichen Praxis (vgl. Mogel 2004). Man tut sich selbst Gutes, indem man sich Mühe gibt, anderen Gutes zu tun, sich also quasi die Liebe seines Nächsten verdient. Weitere Untersuchungen von Wissenschaftlern an der Johns Hopkins Medical School in Baltimore zeigten, dass unser Gehirn eigene morphinähnliche Substanzen, die Endorphine produziert, die beim Helfen nicht nur schmerztötend wirken, sondern auch starke Gefühle des Wohlbefindens, ja manchmal sogar der Euphorie auslösen (vgl. Luks/Payne 1998, S. 34). Es kann heute als gesicherte Erkenntnis festgehalten werden, dass bestimmte Lebenseinstellungen auf den Körper wie die Psyche günstige bzw. schädliche Auswirkungen haben. So stellen etwa Gefühle und Einstellungen der Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit ein bedeutendes Gesundheitsrisiko dar, während Freude,OptimismusunddieZuwendungzuanderenMenschen der körperlichen und emotionalen Gesundheit des Menschen förderlich sind (vgl. Luks/Payne 1998, Seligman 1999a, 1999b). Weitere frühere Arbeiten (Friedman/Rosenman 1974) über gesunde und ungesunde Lebenseinstellungen zeigen, dass Menschen mit dem so genannten Typ-A-Verhalten, gekennzeichnet u.a. durch eine feindselige Grundhaltung, eine erhöhte Anfälligkeit für Herzgefäßerkrankungen aufweisen, d.h. es besteht ein gewisser – allerdings nicht linearer, eher komplexer – Zusammenhang zwischen feindseligen Gefühlen und Infarktrisiko. Je negativer jemand dem Leben und den Menschen gegenüber eingestellt ist, desto mehr steigt die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Angina pectoris und umso häufiger und stärker zeigen sich Herzattacken. Feindseligkeit erweist sich – nach der Depression – auch nach weiteren neueren Untersuchungen (vgl. die übersichtliche Zusammenfassung in Psychologie heute, 2010, 6, S. 62–63) als zweitgefährlichster seelischer Risikofaktor für eine koronare Herzkrankheit (Verengung der Herzmuskelarterien), die in einen tödlichen Infarkt münden kann. Wer der ganzen Welt eine generelle Antipathie entgegenbringt, seinen Mitmenschen tendenziell mit einer aufsässigen, kampfbereiten herablassenden, negativen Haltung begegnet, ihnen dauernd misstraut, mehr oder weniger überall Anfeindungen und Gefahren wittert und auf der Lauer ist und sich immer wieder über andere aufregt, bringt damit auch die Stressregulation des Körpers aus dem Gleichgewicht. Das kann das Herz schädigen. Die Verbindung zwischen Feindseligkeit und koronarer Herzkrankheit wurde in mehreren grossen Studien immer wieder bestätigt, ob – beispielsweise (Barefoot et al. 1995) – in Dänemark (Personen mit einer feindseligen Haltung haben mit einem höheren Herzinfarktrisiko und einer geringeren Lebenserwartung zu rechnen) oder in Ostfinnland (Everson et al. 1997): Dort sterben Männer mit einer feindseligen Lebenseinstellung in den Folgejahren mehr als doppelt so häufig an einer Herzerkrankung als Personen mit einer friedliebenderen Grundhaltung! Dass Feindseligkeit das Risiko für einen Herztod deutlich erhöht, bekräftigt weiter eine Datenanalyse der großangelegten US-Studie Multi Risk Factor Intervention Trial (Matthews et al. 2004). Warum ist das so? Eine hohe Herzratenvariabilität signalisiert gesunde Entspannung, ein chronisch niedriger Wert eher eine gefährliche Daueranspannung; das Herz kann sich dann nicht mehr richtig erholen. Dauerbelastung und eine dauernde Anspannung schädigen offenbar das Herz (vgl. Sloan 2010). Feindseligkeit ist – kurz und bündig formuliert – ungesund. Umgekehrt hilft ein Mindestmaß an Vertrauen in andere Menschen und in sich selbst, den Organismus zu entspannen. Starkes Vertrauen führt den Menschen in eine nachhaltige und tiefe Entspannung; der Zustand des Vertrauens und die damit einhergehende körperliche und psychische Entspannung bewirken zudem eine Steigerung des Gefühls der Sicherheit (Enkelmann/Rückerl 2004). Umgekehrt blockieren Angst und Misstrauen die menschliche Schaffenskraft und Kreativität. Schon Epikur (341–270 v.u.Z.) hat in der Furcht die größte Gefahr für die Glückseligkeit des Menschen gesehen und deshalb die Gelassenheit als ideale Haltung gegenüber dem Leben bezeichnet (vgl. Hossenfelder 1998). Gelassenheit, Vertrauen und Freundschaft sind wichtige Faktoren für ein gesundes Leben. Letzteres stellt Epikur in seinen Lehrsätzen wie folgt dar: „Vonallem,wasdieWeisheitzurGlückseligkeitdesganzenLebensinBereitschafthält,istweitausdasWichtigstederBesitzderFreundschaft.EsistdienämlicheErkenntnis,dieunseinerseitsdieermutigendeÜberzeugungschafft,dassnichtsSchrecklichesewigoderauchnurlangeZeitdauert,anderseitsKlarheitdarübergibt,dassinnerhalbunsererbegrenztenVerhältnissedievolleSicherheitvorallemaufFreundschaftberuhte.“10

Es ist eine wichtige Erkenntnis von Seligmans Forschungen (Seligman 1999a), dass zu den negativen bzw. ungesunden Reaktionen auf Stressereignisse nicht nur eine feindselige Stimmung, sondern auch Gefühle der Hilf- und Hoffnungslosigkeit und des Alleingelassenseins, der Einsamkeit gehören. Menschen, die sich deprimiert und außerstande fühlen, ihre persönlichen Lebensumstände selbst zu verändern, leiden deutlich öfter an Gewichtsverlusten, Appetitlosigkeit, Magengeschwüren und Angst. Die (unangemessene) Angst bildet wohl die größte Gefahr für die psychische und körperliche Integrität des Menschen. Die Grundlage für eine generalisierte und unangemessene Angst bildet ein tendenziell negatives Menschen- und Weltbild.

Gute, d.h. befriedigende und erfüllende soziale Beziehungen stellen einen wesentlichen Gesundheitsfaktor dar, während umgekehrt ein Mangel oder sehr unbefriedigende soziale Beziehungen ebenso große Risikofaktoren für die Gesundheit darstellen wie Nikotin, Bluthochdruck, Blutfett und Übergewicht (House 1988). Viele weitere Untersuchungen in verschiedenen Ländern stellen auch interessante Zusammenhänge zur Sterblichkeitsrate fest. So belegt beispielsweise eine Studie über sechs Jahre an über 17000 Personen in Schweden ein deutlich geringeres Sterberisiko (1:3,7) bei sozial engagierten Menschen im Vergleich zu sozial isoliert lebenden Menschen (vgl. Luks/Payne 1998, S. 39).

Genau wie also eine eher feindselige Einstellung und ähnliche Haltungen anderen Menschen gegenüber tendenziell gesundheitsschädigend sind, gibt es auch Emotionen, die die Gesundheit fördern und das Risiko einer Krankheit zwar in vielen Fällen nicht verhindern, aber häufig mindern können, indem sie den Auswirkungen von Stress entgegenwirken und positive Körperreaktionen hervorrufen. Zu diesen günstigen, gesundheitsfördernden Emotionen gehören Optimismus, Freude, Humor, Vertrauen, Gefühle des Selbstwertes – im Gegensatz zum Minderwertigkeitsgefühl –, der Selbstbestimmung (das Gegenstück zur Hilflosigkeit) sowie das Gefühl, gebraucht zu werden und sich einsetzen zu können. Aus zahlreichen Studien der Glücksforschung lassen sich als die fünf häufigsten Merkmale glücklicher Menschen 1. ein hohes Selbstwertgefühl, 2. das Gefühl persönlicher Kontrolle, 3. Extraversion, 4. niederer Neurotizismus sowie 5. hoher Optimismus zusammenfassen (vgl. Dick 2003). Von besonderem Wert für die menschliche Gesundheit erweist sich zudem die Fähigkeit, positive Emotionen wie Freude, Zuneigung, Neugier und Zufriedenheit bewusst zu kultivieren, zu mobilisieren und für die persönlichen Problemlösungen im Alltag einzusetzen (Ernst 2005, S. 20–27). Ich werde dazu in Kapitel 9 verschiedene Anregungen geben. Neuere US-amerikanische Forschungsergebnisse zeigen beispielsweise, dass in einer guten Partnerschaft das Verhältnis von positiven zu negativen Gefühlen mindestens 4:1, aber höchstens 10:1 beträgt (vgl. Ernst 2006)!

Schließlich verbreitern positive Emotionen unser Repertoire des Denkens wie des Handelns: Positive Gefühle entspannen, machen uns offen für Informationen aller Art – während negative Emotionen wie Angst das Blickfeld stark verengen, eingrenzen, das Denken auf eine einzige Lösung fixieren oder zu unproduktivem Grübeln führen können. In verschiedenen Studien konnten mittlerweile Zusammenhänge zwischen Optimismus und psychischer sowie physischer Gesundheit nachgewiesen werden: Eine durchgehend optimistische Haltung führt beispielsweise nach einer Bypass-Operation tendenziell zu einer rascheren Genesung sowie zu einem höheren Maß an Lebensqualität (Scheier et al. 1989). Letzteres blieb auch nach fünf Jahren noch so. Weitere Untersuchungen belegen schließlich einen engen Zusammenhang zwischen einer optimistischen Grundhaltung und einer guten Immunabwehr. Resultat: Pessimisten sind durch ein schwächeres Immunabwehrsystem einem stärkeren Gesundheitsrisiko ausgesetzt als Optimisten (Rosenkranz et al. 2003).

Die Bedeutung positiver Gefühle wird besonders in den USA seit einigen Jahren intensiv erforscht. Viele Studien (vgl. zusammengefasst in Fredrickson 2011) zeigen: Positive Gefühle begünstigen den Aufbau und die Pflege sozialer Beziehungen und Bindungen, erhalten die körperliche Gesundheit, indem sie Stressreaktionen mildern bzw. schneller abbauen, und sie erhöhen unsere seelische Widerstandskraft (Resilienz). Eine positive Lebenseinstellung sorgt für die Ausschüttung von Dopaminen und Opioiden, kurbelt das Immunsystem an und verringert sogar stressbedingte Enzündungsreaktionen (Fredrickson 2011). Positive Gefühle bzw. eine positive Grundhaltung im Leben erweitert die Grenzen des Geistes, eröffnet mehr Möglichkeiten, macht Menschen empfänglicher und offener, entspannt sie eher. Neuere Forschungsarbeiten zeigen, wie wichtig das Verhältnis von guten und negativen Gefühlen für Zufriedenheit im Leben ist: Fredrickson (2011) konnte zeigen, dass ein Quotient von 3:1 (positive vs. negative Gefühle) und höher mit großer Lebensfreude, Zufriedenheit und Glücksgefühlen einhergeht. Ein Verhältnis von 2:1 oder weniger wirkt sich ungünstig aus, bei 1:1 finden sich häufig depressive Zustandsbilder. Gemäß Gottman und Silver (2002) lag der positive Quotient für erfüllte Partnerschaften sogar bei 5:1, stagnierende oder scheiternde Ehen bei 1:1 oder niedriger!

Es existieren bis heute viele sorgfältige Studien aus verschiedenen Ländern, die auf eindrucksvolle Weise die Bedeutung einer optimistischen Einstellung auf Krankheitsverläufe belegen: Für die Prognose eines zweiten Herzinfarktes spielen weder Blutdruck, Cholesterin oder das Ausmaß der Schädigung des Herzens durch den ersten Herzinfarkt die zentrale Rolle, sondern der Optimismus der Betroffenen (Übersicht bei Seligman 2012). Generell zeigt sich: Mehr Optimismus geht mit einer geringeren Sterblichkeit bei Kreislauferkrankungen einher, d.h. Optimismus bietet einen gewissen Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Pessimismus hingegen schadet. Diese Aussage gilt auch für Frauen und in anderen Kulturen (z.B. Japan). Ähnliche Ergebnisse zeigen Untersuchungen zu Infektionskrankheiten: Eine optimistische Grundhaltung geht mit einer geringeren Anfälligkeit für Infektionen einher. Aber Vorsicht: Auch Optimisten können natürlich eine Erkältung bekommen oder Herz-Kreislaufprobleme aufweisen!

Wenig überraschend haben optimistischere Menschen auch eine bessere Krebsprognose (Seligman 2012) – was wiederum nicht heißt, dass nicht auch optimistische Menschen an Krebs sterben können.

Selbstverständlich – das soll hier in aller Deutlichkeit festgehalten werden – lassen sich bestimmte körperliche Krankheiten nicht einfach mit einer positiven, optimistischen Einstellung wegzaubern, wie das in esoterischen Kreisen etwa bezüglich Krebserkrankungen wiederholt behauptet wird. Bis heute liegen keine empirischen Beweise vor, dass die seelische Grundverfassung eines Menschen das Entstehen von Krebs begünstigen oder ihm entgegenwirken kann. Eine positive Grundhaltung und eine psychologische Begleitung und Unterstützung helfen einem an Krebs erkrankten Menschen aber eher, besser mit seiner Erkrankung umzugehen und die verbleibenden Lebensmöglichkeiten optimal zu nutzen und damit möglicherweise die restliche Lebenszeit etwas zu verlängern.

Eine quasi „antidepressive“, also psychisch günstige Grundhaltung würde analog zum Beckschen Schema etwa wie folgt aussehen (vgl. die Tabelle 2-2).

Becker (1989, 1994) spricht ganz ähnlich von einer positiven Triade. Eine optimale psychische und körperliche Gesundheit wird nicht allein dadurch erreicht, dass man sich nur auf die eigene Gesundheit konzentriert. Vielmehr muss man Beziehungen zu anderen Menschen knüpfen und versuchen, diese Beziehungen positiv zu gestalten: Helfen ist, wie angedeutet, nur eine Möglichkeit dazu, muss aber – wie ein Muskel – betätigt, trainiert werden, weil diese potente Fähigkeit des Menschen wie der untrainierte Muskel eben mit der Zeit verkümmert. Die Rolle der gegenseitigen Hilfe in der Entwicklung der Menschheit ist von verschiedenen Seiten und wissenschaftlichen Disziplinen dargestellt und betont worden (Kropotkin 1902/1975; Leakey/Lewin 1978; Luks/Payne 1998; Kohn 1989; Auhagen 2004; Axelrod 2005; Klein 2010; Bauer 2006/2008), leider mit sehr geringer Resonanz sowohl in der Öffentlichkeit wie auch im wissenschaftlichen Diskurs. Das ist zumindest erstaunlich, weil beispielsweise aus der Gesundheitspsychologie als erhärtete Erkenntnis gilt, dass Glück bzw. Wohlbefinden positiv korreliert mit den prosozialen Einstellungen eines Menschen (vgl. Hascher 2004).

Realistischer Optimismus

„Die wahren Optimisten sind nicht davon überzeugt, dass alles gut gehen wird. Aber sie sind überzeugt, dass nicht alles schief gehen wird.“

(Unbekannt)

In früheren Abschnitten wurde mehrmals die Rolle des Optimismus angesprochen: Eine ermutigende Grundhaltung steht mit Optimismus in einer engen Korrelation. Menschen in einer positiven Stimmungslage gelingt es beispielsweise eher als PessimistInnen, angemessene Problemlösungsstrategien zu entwickeln; sie vermögen eher ihrer Intuition, ihrer Einschätzung zu trauen, weil sie damit in der Regel gute Erfahrungen gemacht haben, oder kreative Prozesse in Gang zu setzen, weil sie weniger verbissen und angespannt sind. Scheier und Carver (1987) führen in ihren Arbeiten das Konzept des „dispositionalen Optimismus“ (= Neigung zu Optimismus) ein und können Korrelationen zwischen Bewältigungsformen und Optimismus belegen. So neigen beispielsweise Pessimisten eher dazu, Misserfolge internal (d.h. sich selber), Erfolge hingegen external (d.h. äußeren Faktoren wie Glück, Zufall, eine leichte Aufgabe) zuzuschreiben. Optimisten verfahren umgekehrt: Sie schreiben Erfolge tendenziell ihren eigenen Fähigkeiten zu, Misserfolge mangelndem persönlichem Einsatz, widrigen Umständen oder Pech. Auch sind Menschen mit situationsübergreifenden optimistischen Stimmungslagen kontaktfreudiger, hilfsbereiter und haben mehr Zutrauen in ihre eigenen Kompetenzen und die ihrer Mitmenschen (vgl. auch Lorenz 2004). Optimistische Menschen zeigen zudem eine hoffnungsvolle(re) und zuversichtliche Grundhaltung im Leben – und sie investieren viel weniger Energie in negative oder negativ erwartete Ereignisse, grübeln weniger bis kaum über mögliche Misserfolge und schwierige Situationen oder Konflikte. Stattdessen konzentrieren sie sich zielorientierter auf das Anpacken und Gelingen ihrer Vorhaben und Pläne. Bei Pessimisten verläuft dies mehr oder weniger umgekehrt.

Mit „realistischem Optimismus“ ist – ich betone das bewusst nicht zum ersten Mal – nicht eine naive positive und unkritische Grundhaltung gegenüber sich und der Welt gemeint, die sich beispielsweise in einer blauäugigen Einstellung gegenüber den eigenen Bewältigungsmöglichkeiten äußert, etwa nach dem Motto: „Ich kann alles erreichen, wenn ich nur will!“ Ein realistisch optimistischer Mensch sieht auch klar die Grenzen und Begrenzungen, die in ihm selber oder der gestellten Aufgabe stecken: Das schützt zugleich vor überhöhten Erwartungen und führt so zu weniger entmutigenden Erfahrungen. Ein realistischer Optimismus ist immer mit einer gesunden Prise Skepsis versetzt!

Menschen, die tendenziell eher über ein optimistisches Konzept verfügen, haben eine höhere Lebensqualität. Bengel et al. (2002, S. 58) fassen den derzeitigen Wissensstand dazu wie folgt zusammen: „Mehrere Studien bestätigen den protektiven (= schützenden) Einfluss von dispositionalem Optimismus auf die körperliche Gesundheit, das psychische Wohlbefinden, die Lebenszufriedenheit, auf Bewältigungsverhalten sowie präventive Gesundheitsverhaltensweisen.“ Umgekehrt erweist sich so eine negative, pessimistische Grundhaltung, ein „tendenzieller Pessimismus“ als ungünstig, lebenstrübend, möglicherweise auch gesundheitsschädigend. Dieser dispositionale Pessimismus wird in Kapitel 3 u.a. am Beispiel von Kafka als Variante einer entmutigten Lebenshaltung dargestellt.

Die individuelle subjektive Wahrnehmung und ihre Bedeutung

Viele Menschen gehen davon aus, dass ihr Leben von den Umständen, d.h. ihren Lebensbedingungen geprägt oder bestimmt wird. Das stimmt nur teilweise. Es sind weniger die Erfahrungen oder Bedingungen selbst, die entscheiden, sondern unsere persönliche Reaktion darauf, die Art und Weise, wie wir auf Ereignisse emotional, kognitiv und als Folge davon im Verhalten reagieren. Als Beispiel mag hier der Schmerz dienen: Die Empfindung physischen Schmerzes hängt nicht nur von der Intensität des schmerzhaften Reizes ab, sondern auch von der subjektiven, individuellen Einstellung dazu: eine Erkenntnis, die aus der Schmerzforschung schon länger bekannt ist.

Die Einsicht in die subjektive individuelle Wahrnehmung und ihre Bedeutung hat auch schon Montaigne (1580/2000, Bd. 1, S. 14) scharfsichtig gewonnen, wenn er – in Anlehnung an Epiktet und Seneca – ein Kapitel seiner berühmten Essais mit der folgenden treffenden Überschrift versieht: „Ob wir etwas als Wohltat oder Übel empfinden, hängt weitgehend von unserer Einstellung ab.“ Die Individualpsychologie betont schon seit vielen Jahrzehnten, dass wir unsere Erfahrungen machen – und damit die Bedeutung bestimmen, die diese Erfahrungen für uns haben sollen (vgl. Dreikurs 1987, S. 18). Es ist immer eine private Logik, eine subjektive Wahrnehmung, Verarbeitung, Interpretation, Folgerung und Schematisierung, die jedes Individuum aus den unzähligen Erlebnissen und Ereignissen des Lebens trifft – und diese Logik ist den meisten Menschen gar nicht oder höchstens teilweise bewusst. Adler nennt dies auch die „tendenziöse Apperzeption“, den persönlichen Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstil des Menschen. Dazu gehören auch die Erwartungen des Menschen: Wir handeln entsprechend unseren Erwartungen. Sie sind es, die unser Tun letztlich bestimmen (vgl. Dreikurs 1987, S. 46). Man könnte deshalb noch einen Schritt weitergehen und sagen, dass es unsere Selbsteinschätzung ist, die mehr als alles andere unsere Zukunft, unsere Möglichkeiten wie auch unsere Begrenzungen bestimmt (Dreikurs 1987, S. 48). Es ist die aktuelle Fokussierung unserer Wahrnehmung, die bestimmte Erlebnisweisen schafft, herstellt.

Es kann heute als gesicherte Erkenntnis gelten, dass Menschen ihre Erfahrungen aktiv und selber gestalten, individuell konstruieren, selektieren, verarbeiten, also Erfahrungen nicht einfach mit dem berühmten Nürnberger Trichter verpasst bekommen; ebenso wenig prägen Erfahrungen das Individuum wie ein Prägestempel (vgl. z.B. Piaget 1988; Adler 1973b; Roth 1997; Bauer 2002). Auch Korzybski (1951) untersuchte diese Fragestellung schon ab den 1920er-Jahren und drückte eine seiner diesbezüglichen Erkenntnisse dann wie folgt aus: „Es gibt keine Wahrnehmung ohne Interpolation und Interpretation.“11Roth (1997, S. 106f.) formuliert es recht ähnlich: „Die Bedeutung von Signalen [z.B. Verhaltensweisen von anderen Menschen – J.F.]