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Die Bedeutung der Medien für die freiheitliche demokratische Ordnung, aber auch für das tägliche Leben ist evident. Umso wichtiger ist die Glaubwürdigkeit der Medien. Seit der Kölner Silvesternacht hat das Vertrauen in die Berichterstattung von Presse und Rundfunk dramatisch abgenommen, wofür die allerdings übertriebenen Vorwürfe der »Lückenpresse« und »Lügenpresse« stehen. Es existiert eine bedenkliche Entfremdung zwischen Medien und Rezipienten, kurz eine Krise der Medien. Mit den Gründen dieser Krise befasst sich anhand zahlreicher Beispiele das vorliegende Buch. Der Autor, der renommierte emeritierte Professor für Staatsrecht und Völkerrecht, Ingo von Münch, hat sich seit vielen Jahren mit den Grundrechten der freien Meinungsäußerung, der Informationsfreiheit und der Presse- und Rundfunkfreiheit in Forschung und Lehre beschäftigt, zuletzt in seinem Buch »Meinungsfreiheit gegen Political Correctness«. Das Fazit der »Krise der Medien«: ein Plädoyer für Information und gegen Bevormundung.
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Ingo von Münch
Die Krise der Medien
Die Krise der Medien
Von
Ingo von Münch
Duncker & Humblot • Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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Umschlag: Der Politiker (William Hogarth)
(© World History Archive / Alamy Stock Photo)
Alle Rechte vorbehalten
© 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
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Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach
Printed in Germany
ISBN 978-3-428-15268-18017-2 (Print)
ISBN 978-3-428-58017-0 (E-Book)
Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
A.Medienkritik – altes und neues Problem
B.Die Krise der Medien
C.Vom engagierten Meinungsjournalismus über den belehrenden, erregten, empörten Journalismus zum Wut- und Hassjournalismus
D.Übertreibungen und Untertreibungen
E.Der angebliche Untergang des Rechtsstaates
F.Dürftige Geschichtskenntnisse
G.Das Geeiere um Ortsnamen
H.Der inflationäre und damit sich abnutzende Gebrauch des Wortes „Nazi“
I.„Hetze“, „Hetzer“, „Hetzjagden“: Die Karriere eines Schimpfwortes
J.Der Meinungskorridor: eng und langweilig
K.Verrutschte Maßstäbe
L.Die Berichterstattung zum UN-Migrationspakt: Der Mainstream lässt grüßen
M.Ein überdimensionierter Heißluftballon namens Kathryn Mayorga
Anhang: Medien und Politik
Personenregister
Zum Autor
Meine erste Begegnung mit Medien erfolgte in meiner Kindheit in Berlin in der NS-Zeit. Meine Eltern hatten den „Berliner Lokal-Anzeiger“ als Tageszeitung abonniert. Der „Völkische Beobachter“ oder „Der Stürmer“ wären nie in unsere Wohnung gelangt. Selbstverständlich war allerdings auch der „Berliner Lokal-Anzeiger“, wie alle Medien damals, politisch gleichgeschaltet. Als Kind, das ich (Jahrgang 1932) war, las ich nicht den politischen Teil sondern nur den Sportteil. Inzwischen längst verklungene Namen von damaligen Fußballvereinen wie „Luftwaffensportverein Hamburg“, „Grube Marga“, „Beuthen 09“, „Dresdner SC“ sind mir daraus noch heute in Erinnerung, was zeigt, welche Haltbarkeitsdauer Zeitungslektüre haben kann.
Ein Onkel von mir, mit gewissen Affinitäten zur herrschenden Ideologie, bezog die Wochenzeitschrift „Das Reich“. Das von Joseph Goebbels herausgegebene Blatt galt damals als anspruchsvoll. Ich konnte das natürlich nicht beurteilen; ich weiß nur, dass mir das große Format dieser Zeitschrift imponierte. Irgendwann gab es „Das Reich“ nicht mehr. Auch das „Großdeutsche Reich“ endete, sehr klein geworden, spätestens am 8. Mai 1945.
Der Rundfunk spielte, jedenfalls in unserer Familie, in der NS-Zeit als Informations- und Unterhaltungsmedium kaum eine Rolle. Wohl hörte man die „Wehrmachtsberichte“ und die zu Anfang des Krieges häufigen, später spärlicher werdenden „Sondermeldungen“, die jeweils mit einem Fanfarenklang angekündigt wurden. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass unsere Familie sich jemals längere Zeit um das Rundfunkgerät geschart hätte, vielleicht auch deshalb, weil die Menschen wegen ihrer Bemühungen um Versorgungsgüter aller Art weniger freie Zeit hatten als die Generationen heute. So entging uns auch die Meldung des Senders Hamburg am 1. Mai 1945 um 22.26 Uhr, „daß unser Führer Adolf Hitler heute Nachmittag in seinem Befehlsstand in der Reichskanzlei, bis zum letzten Atemzug gegen den Bolschewismus kämpfend, für Deutschland gefallen ist“. Vermutlich erfuhren wir von [6] dieser letzten Lüge von irgendjemand, der die Nachricht im Rundfunk selbst oder von Anderen gehört hatte.
Teil der Propagandamaschine des NS-Systems war auch das Medium Film, stets eingeleitet von der „Deutschen Wochenschau“. Unabhängig davon war ein Kinobesuch für das Kind immer ein Erlebnis, sei es eine Komödie wie „Quax der Bruchpilot“ mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle oder ein Durchhaltefilm wie „Kolberg“ oder „Kadetten“ oder ein Heroenfilm wie „Friederikus Rex“ (mit Otto Gebühr) oder „Bismarck“ (mit Emil Jannings) oder „Carl Peters“ (mit Hans Albers). Der letzte Film, den ich in jener düsteren Zeit ansehen wollte, war ein Farbfilm: „Münchhausen“. Es blieb bei dem Vorhaben, weil kurz nach Beginn der Vorstellung ein Fliegeralarm den Kinoabend jäh beendete.
Während ich mich an diesen ärgerlichen „Filmriss“ noch gut erinnere, weiß ich nicht mehr, wann nach dem 8. Mai 1945 wieder eine erste Zeitung erschien. Proklamationen der Militärregierung waren in Anschlägen zu lesen. Irgendwann erschienen dann deutsche Zeitungen. In der Kleinstadt am Harz, in die es mich als Flüchtlingskind verschlagen hatte, wurde als Lokalblatt die „Goslarsche Zeitung“ gelesen, als überregionale Zeitung die „Braunschweiger Zeitung.“ Für ein Zeitungsabonnement reichte allerdings das schmale Einkommen des aus Kriegsgefangenschaft heimgekehrten Vaters nicht. Erst in Frankfurt am Main, wohin wir Anfang der fünfziger Jahre umgezogen waren, konnte eine Tageszeitung abonniert werden. Frankfurt a.M. war eine Medienstadt: Neben dem „Hessischen Rundfunk“ gab (und gibt es noch heute) die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, die „Frankfurter Neue Presse“, die „Frankfurter Rundschau“; im nahegelegenen Offenbach erschien die „Offenbach-Post“, im nahegelegenen Wiesbaden der „Wiesbadener Kurier“, im nahegelegenen Darmstadt das „Darmstädter Echo“, im nahegelegenen Mainz die „Mainzer Allgemeine“, im nahegelegenen Bad Homburg d.v.H. der „Taunusbote“. Naheliegend war für uns der Bezug einer der großen, überregionalen Tageszeitungen; es wurde, jahrzehntelang, unterbrochen nur für eine kürzere Zeit durch ein Abo der „Frankfurter Rundschau“, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Deren Kopfleiste mit dem Erscheinungsdatum der jeweiligen Nummer diente sogar als Dokument für die Existenz des Abonnenten: Mein Vater bezog von einer niederländischen Gesellschaft, für die er in den zwanziger Jahren auf Sumatra als Verwalter einer Plantage gearbeitet hatte, eine bescheidene Rente. Um sicher[7]zustellen, dass der Empfänger der Rente noch lebt, verlangte die Gesellschaft die – in bestimmten Abständen zu erfolgende und mit Unterschrift zu versehende – Übersendung eines Exemplars der Kopfleiste einer Tageszeitung (was dann auch geschah): eine ungewöhnliche Funktion der Presse.
Während meines Jurastudiums an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main war einer meiner akademischen Lehrer der Staatsrechtler Helmut Ridder. Er hatte im Handbuch „Die Grundrechte“ einen engagierten Beitrag zum Grundrecht der Meinungsfreiheit geschrieben. Sein nachdrückliches Plädoyer für die Meinungsfreiheit beeindruckte mich und so kam es, dass ich bei ihm meine Doktorarbeit schrieb zum Thema Meinungsfreiheit in speziellen Abhängigkeitsverhältnissen (damals „besondere Gewaltverhältnisse“ genannt). Als Motto stellte ich der Arbeit einen Ausspruch von John Stuart Mill aus seinem Buch über die Freiheit voran, der in deutscher Übersetzung lautet: „Ein Staat, der die Menschen verkleinert, um sie gefügig zu machen, und sei es auch um nützlicher Zwecke willen, wird erkennen, daß mit kleinen Menschen keine große Sache wirklich vollendet werden kann.“ Das war Liberalismus pur, ohne den Doktorvater zu stören. Ridder stand politisch eher links, was unser Vertrauensverhältnis jedoch nicht im Geringsten belastete: Wir schätzten uns gegenseitig – es gab damals (1957) jedenfalls in meinem sozialen Umfeld – noch nicht die heutige strenge Trennung „Wir und die Anderen“. Ridder war es dann auch (oder vielleicht nur der Gegenstand meiner Dissertation), der eine Verbindung zu dem vom Stuttgarter Presserechtsanwalt Martin Löffler geleiteten „Studienkreis für Presserecht und Pressefreiheit“ herstellte.
Seitdem hat mich das Thema Medien nicht mehr losgelassen. In dem von mir begründeten, im Verlag C.H. Beck erschienenen und später von Philip Kunig fortgeführten sog. „Gelben“ Grundgesetz-Kommentar (so benannt nach der Farbe des Umschlages und Einbandes) habe ich in den ersten Auflagen u. a. den Artikel 5 des Grundgesetzes (Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, Pressefreiheit, Rundfunkfreiheit, Wissenschaftsfreiheit und Freiheit der Kunst) bearbeitet. Ein im Auftrag des Bundesministerium des Innern von mir erstattetes Rechtsgutachten befasste sich mit „Öffnungsklauseln bei Zeitungen und Zeitschriften“, d. h. mit der im Bericht der Bundesregierung über die Lage von Presse und Rundfunk in der Bundesrepublik Deutschland 1974 gestellten [8] Frage „rechtlicher Verpflichtungen für Zeitungen in Monopolstellung, bestimmten politischen oder gesellschaftlich relevanten Kräften Raum für die Darstellung ihrer wesentlichen Ansichten zur Verfügung zu stellen sowie sonstiger Abdruckverpflichtungen der Presse“. Das Gutachten hielt eine gesetzliche Verpflichtung zur Einführung derartiger Öffnungsklauseln aus verfassungsrechtlichen Gründen für bedenklich. In der Politik wurde das Projekt nicht weiter verfolgt.
Für den Wissenschaftler ist Publizieren eine Notwendigkeit: „Publish or perish“ bezieht sich allerdings nur auf Veröffentlichungen in einschlägigen Fachzeitschriften. Veröffentlichungen von Professoren in Tageszeitungen waren in meiner frühen Zeit als Hochschullehrer – anders als heute – noch eher selten. Als ich nach einigen Jahren an der Ruhr-Universität Bochum auf einen Lehrstuhl an der Universität Hamburg gewechselt war, stellte ein älterer Kollege, der offenbar einige Artikel von mir im „Hamburger Abendblatt“ gelesen hatte, mich auf einem Empfang anderen Gästen mit den Worten vor: „Und dies ist Herr von Münch vom Hamburger Abendblatt.“ Der feine Spott, der in diesen Worten lag, war unüberhörbar, irritierte mich aber nicht. Ich war und bin immer noch der Meinung, dass es sinnvoll ist, wenn Wissenschaftler über relevante Themen allgemeinverständlich auch für eine breitere Öffentlichkeit publizieren. Deshalb, aber zugegeben einfach auch aus Lust am Schreiben, habe ich in rund einem Dutzend verschiedener Tageszeitungen und in einigen Wochenzeitschriften Beiträge untergebracht, allerdings stets nur als freier Mitarbeiter oder als „fremde Feder“. „On revient toujours à son premier amour“ – zu meiner „ersten Liebe“, dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung, bin ich mit dem Buch „Meinungsfreiheit gegen Political Correctness“ zurückgekehrt, dies deshalb, weil ich Auswüchse der p.c. als eine reale Bedrohung der Meinungsfreiheit ansehe.
In meiner Politikzeit, zunächst als Vorsitzender der Hamburger FDP, später als Mitglied des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg, wurde ich vom Subjekt eines Schreibenden zum Objekt eines Beschriebenen. Die bis dato längsten Koalitionsverhandlungen in der Geschichte der Bundesrepublik und die seit langer Zeit wieder einmal gebildete sozial-liberale Koalition von SPD und FDP waren verständlicherweise Gegenstand nicht geringen Interesses für die Medien, insbesondere der lokalen. Meine persönlichen Erfahrungen mit jener Berichterstattung in Presse und Rundfunk sind positiv: Fast immer [9] wurde meine politische Tätigkeit korrekt, informativ und fair kommentiert. Die Privatsphäre wurde respektiert. Ich hatte mir vorgenommen, meine Familie aus der Öffentlichkeitsindustrie herauszuhalten. An diesen Wunsch haben Presse und Rundfunk sich gehalten. Fazit: Wenn ein Politiker keine „homestories“ wünscht und keine Fotos aus dem Urlaub, dann kommen auch keine. Das Verhältnis zwischen Politikern und Journalisten sollte und kann ein Vertrauensverhältnis sein, ohne in Kumpanei auszuarten.
Das vorliegende Buch versteht sich als ein überzeugtes (und hoffentlich auch überzeugendes) Plädoyer für die Existenz und für die Verbreitung von gut gemachten Medien. Unter „Medien“ werden hier vor allem die herkömmlichen Printmedien verstanden. Der rasant wachsende digitale Bereich, dessen aktuelle außerordentlich große Bedeutung damit nicht unterschätzt werden soll, bleibt also im Folgenden schon aus Raumgründen im Wesentlichen ausgespart. Zurück zu den Printmedien: Ein guter Morgen beginnt mit einer guten Tageszeitung, ein gutes Wochenende mit einer guten Wochenzeitschrift. Diese banale Feststellung enthebt nicht von der Notwendigkeit, nach der Verantwortung der Medien zu fragen. Wo viel Licht ist, ist auch Schatten. Eine Auflistung von unkorrekten oder zumindest ungenauen oder sonst wie problematischen publizistischen Beispielen sollte nicht als unziemliche Besserwisserei missverstanden werden, sondern als Wunsch, sich der Verantwortung der Medien bewusst zu werden.
Die Verantwortung der Medien steht in direktem Verhältnis zu ihrer Bedeutung. Die allgemeine Bedeutung der Medien betrifft deren Relevanz z. B. für Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat und Föderalismus wie auch für das gesellschaftliche Zusammenleben überhaupt. Die konkrete Bedeutung betrifft die einzelnen Rezipienten, die erfahrungsgemäß die verschiedensten Medien nutzen. Der Autor dieses Buches gesteht, dass er die sog. Neuen Medien des Internet weder gebraucht noch braucht. Internet, Twitter, Facebook, Instagram, Sims, Bots, Skype etc. sind für ihn Worte, aber keine Lebensnotwendigkeit. Damit soll die bereits oben erwähnte übergroße Bedeutung der sozialen digitalen Medien nicht verkleinert oder gar negiert werden; eine solche Beurteilung der medialen Fakten ginge an der Lebenswirklichkeit der modernen Kommunikationswege meilenweit vorbei. Die Selbstbeschränkung des Autors auf die Lektüre der Printmedien mag demgegenüber zuvörderst der Generation seines Lebensalters geschuldet sein [10] oder schlicht der Macht der Gewohnheit oder dem Image der neuen Medien als Plattform für Hassausbrüche. Es liegt darin aber auch eine diskrete Form einer Art von Liebeserklärung: Das Rascheln des Zeitungspapiers, die Neugier, was in der jeweils vorliegenden Ausgabe wohl drin steht, das Aha-Erlebnis der Bestätigung einer eigenen Meinung, das Anstreichen und Ausschneiden eines aufhebenswerten Artikels, die für einen Autor wichtigste Frage: Ist mein Beitrag im Blatt?, aber auch die Enttäuschung oder der Ärger über einen den Leser unbefriedigenden Artikel – alles und anderes mehr bietet das Abenteuer Nutzung von Medien. Ich gestehe: Ich war – jedenfalls früher – ein fast manischer Zeitungsleser (Ausspruch meiner Frau [einer früher freiberuflichen Journalistin]: „Du liest noch das Einwickelpapier des Salatkopfes“). Ich gestehe aber auch, dass ich immer öfters jedenfalls mit einer meiner Zeitungen unzufrieden bin.
„Meine“ Zeitungen sind eigentlich zwei Zeitungen: Seit mehr als einem halben Jahrhundert bin ich regelmäßiger Leser der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und seit nicht ganz so vielen Jahren lese ich häufig die „Neue Zürcher Zeitung“. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, die kürzlich ihr siebzigjähriges Jubiläum gefeiert hat, gehört unzweifelhaft zu den sog. Leitmedien der deutschen Publizistik; die Geschichte der FAZ hat der Historiker Peter Hoeres in seinem voluminösen Buch „Zeitung für Deutschland“ (München/Salzburg 2017) dargestellt. Die „Neue Zürcher Zeitung“ ist zweifellos eine der besten im Ausland erscheinenden deutschsprachigen Tageszeitungen.
Die Leser-Blatt-Bindung des Autors an die FAZ und an die NZZ machen es verständlich, dass diese beiden Medien im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen stehen, während andere Medien zwar nicht völlig ausgespart werden, aber doch deutlich seltener erwähnt werden. Die Fokussierung auf FAZ und NZZ hält sich dabei nicht nur an die Lebenserfahrung „In der Beschränkung zeigt sich der Meister“, sondern lässt sich damit rechtfertigen, dass auch die sog. Qualitätsmedien einem gewissen Mainstream folgen – mal mehr, mal weniger: Kritik an Beiträgen in der FAZ und Zitate in der NZZ lassen sich also durchaus in gewisser Weise auch auf Beiträge in anderen Medien übertragen, dies als pars pro toto.
Hamburg, im Frühjahr 2020 I. v. M.
APuZ
Aus Politik und Zeitgeschichte
BamF
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Bild
Bildzeitung
FAS
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
FR
Frankfurter Rundschau
GG
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
HA
Hamburger Abendblatt
JF
Junge Freiheit
MHR
Mitteilungen des Hamburgischen Richtervereins
NDR
Norddeutscher Rundfunk
NZZ
Neue Zürcher Zeitung
OBS
Otto Brenner Stiftung
PAZ
Preußische Allgemeine Zeitung
RuP
Recht und Politik
SWR
Südwestdeutscher Rundfunk
SZ
Süddeutsche Zeitung
TAZ
die tageszeitung
Thür.VBl.
Thüringische Verwaltungsblätter
VBlBW
Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg
WamS
Welt am Sonntag
WDR
Westdeutscher Rundfunk
ZDRW
Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft
Zeit
Die Zeit
ZRP
Zeitschrift für Rechtspolitik
Solange es Medien gibt, so lange existiert vermutlich auch Kritik an diesen. Neueren Datums ist allerdings das auffallend intensive kritische Interesse (auch Selbstinteresse) an der Rolle der Medien in einer gespaltenen Gesellschaft. „Lügenpresse“, „Lückenpresse“, „Pinocchio Presse“ und – weniger scharf – „Verdichtungs- und Zuspitzungspresse“ sind Überspitzungen extrem kritischer Wahrnehmung. Unübersehbar ist aber auch die wachsende breite seriöse Befassung mit der Positionierung der Medien und der Rolle der Journalisten in der Gegenwart. Als einige Beispiele für die diesbezügliche Diskussion innerhalb eines kurzen Zeitraumes seien hier nur die folgenden Veröffentlichungen in Tageszeitungen genannt: „Die Logik, das bin ich. Das Deutschlandradio fragt auf einer Tagung, ob Journalisten aus der Öffentlichkeit verdrängt werden“1; „Welche Rolle der Journalismus spielt. In der digitalen Öffentlichkeit stellt sich für Journalisten die Frage, was aus ihrer Zunft wird. Macht sie es richtig, sind wir unersetzlich“2; „Journalisten sollten für etwas und nicht gegen etwas arbeiten. Fake-News, schrumpfende Lokalredaktionen und politischer Aktionismus – steckt der Journalismus in der Krise?“3; „CNN hat Donald Trump erfunden. Salman Rushdie hat mit Politik und Medien ein paar Rechnungen offen“4; „Eidg. dipl. Journalist? Gütesiegel für die Medien in der Schweiz“5; „Medienförderung im rechtlichen Spannungsfeld. Bei der geplanten Subventionierung von Online-Medien stellen sich Grundsatzfragen“6; „Die Unterdrücker der Wirklichkeit. Warum die Mainstream-Medien treiben, was sie tun: Ein Blick auf die beklemmenden [14] Hintergründe“.7 Die Verleihung des Henri Nannen-Preises wurde mit einem „Tag des Journalismus“ verknüpft.8
Tag des Journalismus ist eigentlich jeder Tag. Aber was ist Journalismus – kritisch oder unkritisch gefragt? In der NZZ wird das Bonmot zitiert: „Journalismus ist eine – unpräzise Wissenschaft“9. Wenn keine Wissenschaft – was dann? Wie sehr das Bild des Journalismus Gegenstand von Fragen, Diskussionen und Nachdenklichkeit geworden ist, zeigen auch die vielen unterschiedlichen – im Folgenden in alphabetischer Reihenfolge aufgelisteten – Kategorisierungen: „Ablenkungsjournalismus“; „belehrender Journalismus; „Betroffenheitsjournalismus“; „Blockjournalismus“; „Boulevardjournalismus“; „Empörungsjournalismus“; „Enthüllungsjournalismus“; „Erziehungsjournalismus“; „Gefälligkeitsjournalismus“; „Gesinnungsjournalismus“; „Gouvernantenjournalismus“; „Gonzojournalismus“; „Hordenjournalismus“; „Informationsjournalismus“; „Investigationsjournalismus“; „Konstruktiver Journalismus“; „Mainstreamjournalismus“; „Mehrheitspresse“; „Meinungsjournalismus“; „moralischer Journalismus“; „Nanny-Journalismus“; „Qualitätsjournalismus“; „Rudeljournalismus“; „Schönwetterjournalismus“; „Sensationsjournalismus“; „seriöser Journalismus“; „Thesenjournalismus“.
Die in diesen Kategorien z. T. geäußerte Kritik an bestimmten Formen des Journalismus resultiert nicht nur, aber wohl auch aus kritischen Existenzbedingungen der Medien überhaupt. Unter der Überschrift „Und ewig rauschen die Schlagzeilen“ weist Reinhard Mohr auf „die dramatisch zurückgegangenen Auflagen führender europäischer Zeitungen“ hin, mit der Feststellung: „Massive Anzeigenverluste, verändertes Leserverhalten und völlig neue Kommunikationswege [15] haben die Zeitung als Kulturprodukt marginalisiert und junge Influencer machen sich lustig über das knitteranfällige Papier ohne Like-Button.“10
Die kritischen Punkte sind bekannt, z. T. in Deutschland und in der Schweiz identisch. Beispiele hierfür sind die Existenzkrise der regionalen Presse11; die Dauerbaustelle der Gebühren der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten12; die wachsende Kritik an Fernseh-Talkshows, dokumentiert durch die Vergabe des vom Verein „Neue Deutsche Medienmacher*innen“ ausgelobten Negativpreises „Goldene Kartoffel“ an die großen Talkshows von ARD und ZDF13 (im Jahr davor war der Negativpreis von der Gruppe, die sich als „Interessenvertretung für Medienschaffende mit Migrationsgeschichte“ versteht, an die Bild-Zeitung verliehen worden); zunehmende gerichtliche Schritte von Politikern gegen kritische Medienberichterstattung14; die Gefährdung flächendeckender Zustellung von Zeitungen wegen gestiegener Lo[16]gistikkosten15, was zur Forderung nach staatlichen Zuschüssen (also Subventionierung) für die Zeitungszustellung geführt hat. Eine umfassende Bestandsaufnahme der Situation der Medien, insbesondere auch der aktuellen Herausforderungen, findet sich im „Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung 2018“, auf den insoweit verwiesen werden kann16.
Die Verantwortlichkeit der Presse betrifft primär die inhaltliche Berichterstattung und Kommentierung, also die eigentliche Arbeit der Journalisten17. Hier muss demgemäß auch die Medienkritik ansetzen. Wohlfeil und deshalb im Folgenden nicht zu erörtern ist dabei die Kategorie des Sensationalismus, wie er z. B. von dem Filmregisseur und -produzenten Oliver Stone in einem Interview mit der NZZ kritisiert worden ist: „Was mich wirklich auf der ganzen Welt stört, ist dieser journalistische und politische Sensationalismus. Stets braucht es eine Superstory, jeder Satz muss mit einem Ausrufungszeichen enden. Alle schreien …“18. Ähnlich beklagt der Philosoph Reinhard K. Sprenger: „Es ist immens gefährlich für unsere politische Ordnung, dass in der Medien-Demokratie nur der laute, überzuständige und hyperaktive Politiker Zustimmung findet, nicht aber der zurückhaltende.“19 Von Interesse, weil von Relevanz, ist demgegenüber die Kritik an den sog. Qualitätsmedien; an diese Medien hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vermutlich gedacht, als er seine Überzeugung kundtat, dass Demokratie Journalismus braucht; „Nicht irgendeinen Journalismus, auch keinen, der Geschichten erfindet oder manipuliert, [17] sondern einen, der recherchiert, prüft und analysiert, bevor er publiziert“20.