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Es kommt nicht häufig vor, dass eine Sprache innerhalb kurzer Zeit grundlegend verändert wird. Bei der deutschen Sprache ist dies der Fall, nämlich mit der Einführung der Gendersprache. Das sog. Gendern hat zu leidenschaftlich geführten Kontroversen geführt. Die vorliegende, in leicht verständlicher Sprache verfasste Studie versteht sich nicht als Beitrag zur Empörungskultur, sondern listet Argumente für und gegen das Gendern auf. Der Autor weist auf behördlichen Druck durch »Sprachleitfäden« und »Handreichungen« hin sowie auf Punkteabzug bei studentischen Arbeiten. Problematisiert wird auch die Uneinheitlichkeit der Gendersprache mit ihren verschiedenen »Sonderzeichen« in der Schriftsprache und dem sog. »Glottisschlag« in der Sprechweise, dies auch mit kritischem Hinweis auf die Praxis der gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Ausführlich behandelt wird die Spaltung der Gesellschaft, die im Gebrauch der Gendersprache als Herrschaftssprache, administrativer und universitärer Eliten einerseits und deren Nichtgebrauch andererseits, zum Ausdruck kommt.
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INGO VON MÜNCH
Gendersprache:Kampf oder Krampf?
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Gendersprache:Kampf oder Krampf?
VonIngo von Münch
Duncker & Humblot · Berlin
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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ISBN 978-3-428-18808-6 (Print) ISBN 978-3-428-58808-4 (E-Book)
Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
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Es kommt nicht häufig vor, dass eine Sprache innerhalb kurzer Zeit grundlegende Veränderungen erfährt, wie dies der deutschen Sprache in Form der Gendersprache („Gendern“) widerfahren ist. Die Sprachänderung durch Gendern hat zu zahlreichen Kommentaren geführt – kritischen und positiven. Bücher, Abhandlungen, Blogs und Leserbriefe sind inzwischen in großer Zahl zu diesem kontroversen Thema erschienen.
Die vorliegende Studie ist weder ein Buch gegen das Gendern noch für das Gendern, sondern eine Untersuchung über das Gendern. Der Verfasser verhehlt dabei nicht eine grundsätzliche Skepsis gegenüber Eingriffen in die gewohnte Sprache, die sich im schlimmsten Fall als Verhunzungen präsentieren. Die grundsätzliche Skepsis sollte aber nicht in Fanatismus ausarten. Der Schweizer Schriftsteller Martin Suter hat in einem Interview über sein Leben als Autor und Bürger vorsichtig formuliert: „Das Gendern ist für mich eine bizarre Frage.“1 Folgt man diesem zurückhaltenden Urteil, so wird man Charakterisierungen des Genderns als „spielerischer Sprachterrorismus“2 oder „historischer Kulturbruch“3 kaum folgen. Vernünftig erscheint bei der Diskussion eines so komplexen Themas wie dem Gendern vielmehr die Mahnung nach mehr Gelassenheit, wie sie inzwischen zu Recht mehrfach gefordert wird: „Diese Spirale aus Triggern und Reflexen ist, ehrlich gesagt, ermüdend geworden. Die Genderdebatte braucht deshalb vor allem eines: mehr Gelassenheit“ schreibt der Schweizer Journalist [6] Jonas Roth4, und die Professorin für Sprachgeschichte an der Universität Mainz und Expertin für Genderlinguistik Damaris Nübling bittet: „Ich appelliere an alle, sie (gemeint sind: „Debatten um die sogenannte Gendersprache“, d. Verf.) entspannt und tolerant zu führen.“5 Solche Appelle finden in einer Empörungsgesellschaft nicht unbedingt Gehör; denn: „Es ist bezeichnend, wie in unserer sogenannten Diskursgesellschaft neuerdings emotionales, subjektives Geschütz aufgefahren wird, um widerstreitende Meinungen auszugrenzen“ (Rainer Moritz6). An der Unversöhnlichkeit widerstreitender Meinungen haben schließlich auch die sozialen Netzwerke ihren Anteil. Von Katja Eichinger, die sich mehrmals mit Neurosen befasst hat, stammt das Bekenntnis: „Mich nervt die Empörungskultur der sozialen Medien. Sie zerstört jeglichen Diskurs.“7 Zur Debatte über Sinn und Unsinn von geschlechtergerechter Sprache ist in diesem Zusammenhang zu lesen: „Gerade in den Echokammern der sozialen Netzwerke werden die Diskussionen mit einem rechthaberischen Furor geführt, der nur noch Absolutionen zulässt“8 Toleranz und Gelassenheit suchen dagegen Kompromisse. Einen solchen Kompromiss sieht das vorliegende Buch in der Unterscheidung zwischen weichem und hartem Gendern.
Das weiche Gendern verändert keine Worte und schafft keine künstliche Schreib- oder Sprechweise, sondern spricht Frauen und Männer schlicht mit dem passenden auf sie gemünzten Ausdruck an. Bei einem gemischten Publikum oder einem auf mehrere Geschlechter bezogenen Bericht führt das zwar zu einer Doppelbenennung (z. B. „Sehr geehrte Damen und Herren“ oder „Lehrer und Lehrerinnen“, „Besucherinnen und Besucher“), jedoch ist diese leichte Umständlichkeit hinnehmbar, wenn das sog. generische Maskulinum vermieden [7] werden soll. Die Doppelung von Anrede und/oder Bezeichnung bei Anwesenheit oder Adressierung verschiedener Personengruppen kann auch als Zeichen eines echten Sprachwandels verstanden werden, also als Zeichen einer natürlichen (= nicht oktroyierten) Entwicklung des Sprachgebrauchs, wofür auch der Nichtmehrgebrauch eines Wortes (Bsp.: „Fräulein“) als Beispiel genannt werden kann.
Entgegen gelegentlich geäußerter Behauptung ist dagegen das harte Gendern nicht auf einen Sprachwandel zurückzuführen, sondern auf „Handreichungen“, „Empfehlungen“, „Sprachleitfäden“ und ähnlichem, die von Stadtverwaltungen, Hochschulverwaltungen, politischen Parteien, Verlagen und Unternehmensvorständen dekretiert werden. Nicht zutreffend ist in diesem Zusammenhang auch die Behauptung, dass von solchen „Handreichungen“, „Empfehlungen“, „Sprachleitfäden“ und ähnlichem kein Zwang zum Gebrauch der Gendersprache ausgeübt werde. Verschwiegen wird dabei die an einigen deutschen Hochschulen bereits übliche Praxis, ein Nicht-Gendern in schriftlichen Arbeiten mit einem Punkteabzug zu sanktionieren – eine immerhin rechtswidrige Handhabung.9 Wo amtliche Sanktionen fehlen, greift der Anpassungsdruck. Eine Ausbilderin von Studienreferendaren berichtet: „Es ist unsäglich, wie stark sich die sogenannte gegenderte Sprache in Unterrichtsentwürfen, Texten zu Prüfungen, ja sogar in den Arbeitsblättern für Schüler wiederfindet.“ Auf Nachfrage äußerten viele dieser Referendare, „dass sie aus Angst vor einer schlechteren Beurteilung so handeln, obwohl sie selbst dies lieber nicht tun würden. Der Anpassungsdruck ist wohl enorm hoch, leider die Anpassungsbereitschaft aber auch.“10 Interessant ist auch die Erfahrung eines Autors mit einem Verlag, in dem eine Festschrift erscheinen sollte: „Der mit der Festschrift befasste Verlag (Waxmann) und die beiden herausgebenden Professoren beharrten darauf, dass mein Beitrag gegendert würde. Da es sich aber um meine Sprache und um meinen Text handelte, den ich nicht zensieren lassen wollte, war eine Einigung ausgeschlossen. Gendern ist also wichtiger als der Inhalt, an [8] dem niemand Anstoß genommen hätte.“11 Wenn Gendern wichtiger als Inhalte wird, ist Rationalität zugunsten von Ideologie verlassen.
Nun mag der geschilderte Fall als ein Einzelfall gewertet werden oder als eines der Beispiele, die in einer Rezension von Ralf Rothmanns Trilogie als „vermutlich die Frucht eines übereifrigen Lektorats“ bezeichnet werden12. (Lektoren, die sich das Genderkreuz am Bande an die vermutlich stolzgeschwellte Brust heften, gibt es allerdings inzwischen einige.) Gravierende Kritik an der Gendersprache betrifft allerdings nicht mögliche Einzelfälle oder das Werk übereifriger Lektoren, sondern mehrere grundsätzliche Probleme.
Zunächst: Wenn über „die Gendersprache“ diskutiert wird, muss der Eindruck entstehen, es gebe nur eine (eben: die) Gendersprache. Dieser Eindruck entspricht jedoch nicht der Realität: Als sog. „Sonderzeichen“ sind die Schrägstrich-Lösung, das große BinnenI, der Binnendoppelpunkt, der Unterstrich und der Genderstern im Gebrauch, wobei letzterer wohl zur Zeit als verbreitetste Form von den Genderaktivisten praktiziert wird. Jonas Roth macht daher in seinem bereits erwähnten Beitrag darauf aufmerksam: „Die Vielfalt von Sonderzeichen weist aber nicht zuletzt darauf hin, dass der Weisheit letzter Schluss noch nicht gefunden wurde.“13 Diese relativierende Sicht könnte dahin gedeutet werden, dass es sich beim Gendern um eine Modeerscheinung handelt, vergleichbar etwa – wenn auch weit hergeholt – dem Dadaismus am Anfang des vorigen Jahrhunderts. Eine solche diminuierende Sicht wird der gegenwärtigen Bedeutung des Genderns aber wohl nicht gerecht.
Unübersehbar und einfach nicht zu bestreiten ist jedenfalls die Spaltung der Gesellschaft, die sich im Gebrauch und Nichtgebrauch der Gendersprache manifestiert.14 Die Kassiererin im Supermarkt und der [9] Bauarbeiter an der Autobahn gendern weder mündlich noch schriftlich. Weder der „Male Bias“ für das generische Maskulinum noch der „Female Bias“ für die Gendersternvariante15 sind den Menschen, die keine Linguisten sind, ihrem Inhalt nach geläufig. Über den ehemaligen Kopf der sog. „Kanalarbeiter“ in der SPD Egon Franke (Spitzname: „Canale Grande“) wurde geschrieben: „Man schaudert amüsiert bei dem Gedanken, was „Canale Grande“ über die Sprachreinigungsobsessionen einiger privilegierter Akademikerkreise unserer Jahre sagen würde.“16 Noch härter formuliert ein Leserbrief zur sog. „Veränderungsfurcht“: „Als ob es bei dieser Veränderung um den spontan entstehenden Wandel der Sprache ginge – und nicht um eine bewusste, ideologisch motivierte Gängelung des Publikums durch vermeintliche Vordenker der politisch-medialen Klasse.“17
Der genderkritische Leserbrief stammt aus der Feder des ehemaligen Intendanten des SWR. Leider ist seine Meinung nicht Allgemeingut der Sprache in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten. Ohne Rücksichtnahme darauf, dass die Mehrheit der Bevölkerung und damit die Mehrheit der den sog. Rundfunkbeitrag Zahlenden das Gendern ablehnt, wird in den Programmen der Öffentlich-Rechtlichen munter drauflos gegendert. Heike Schmoll hat in ihrem Leitartikel „Öffentlich-rechtliche Umerziehung“ die Anmaßung der öffentlich-rechtlichen Sender, die Sprachgemeinschaft erziehen zu wollen, als zutiefst undemokratisch und dem Auftrag öffentlichrechtlicher Medien widersprechend kritisiert: „Die Sprachgemeinschaft erziehen zu wollen, ist eine Anmaßung der öffentlich-rechtlichen [10] Sender, die von niemandem toleriert werden muss.“18 Die bekannte Journalistin, die sich auch auf ein Votum von mehr als 170 Wissenschaftlern beruft, steht mit dieser ihrer Kritik nicht allein. Zahlreiche Leserbriefe signalisieren Zustimmung:19 Sprachdiktatur, Selbstherrlichkeit, autoritäres Verhalten und Arroganz sind häufige Vorwürfe an die Andresse der gendernden Anstalten. Sogar ein Mitglied des ZDFFernsehrates mahnt: „Zum Respekt vor dem Beitragszahler gehört die Einsicht, dass es keinen volkserziehenden Auftrag gibt“; die Rundfunkanstalten seien keine Schule der Nation. „Das Volk spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Der Rundfunk ist nicht berufen, es politisch korrekt sprechen zu lehren oder sonstige Verhaltensstandards zu setzen.“20 Spricht das Volk in seiner alltäglichen Sprache mit dem (Gender-)Glottisschlag? Natürlich nicht. Nur: Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten repräsentieren in dieser Beziehung das Volk nicht. Ein Blick über den deutschen Gartenzaun wirft die österreichische Schriftstellerin Lisa Eckhart: „Und was Deutschland angeht… es kommt von seinem Sonderweg nicht ab… Nur das Deutsche praktiziert diesen unsäglichen Glottisschlag. Wenn etwas in Deutschland schlummert, was immer wieder ausbricht und allen zum Verhängnis wird, so ist es nicht „das Böse“, sondern der verheerende Wille, bessere Menschen zu züchten.“21 Dass der deutsche Sonderweg in Sachen Gendersprache Ausländern den Zugang zur deutschen Sprache nicht [11] gerade erleichtert, sondern erschwert, wird verdrängt, ebenso die Erschwernisse für Schüler beim Erlernen des Lesens und der Rechtschreibung.22 Die Gendersprache spaltet aber nicht nur zwischen Schulkindern und Erwachsenen und zwischen Inländern und Ausländern, sondern auch zwischen den Deutschen in West und Ost. Robert Habeck, der Ko-Vorsitzende von Bündnis 90/ Die Grünen, weist auf die Spaltung hin, wenn er zum Thema „Verlorenheit, wenn man die Sprache des anderen nicht versteht“, schreibt: „Wir Grüne zum Beispiel benutzen in unseren offiziellen Texten wie selbstverständlich den Gender Star, um sichtbar zu machen, dass alle Menschen in der Sprache ihren Platz haben – aber in Ostdeutschland schauen einen die Menschen verständnislos an, wenn man von Arbeiterinnen und Arbeitern spricht, obwohl es dort seit Jahrzehnten selbstverständlich ist, dass Frauen arbeiten…“.23 Warum praktizieren die Menschen im Osten nicht den Gendersprech? Vielleicht weil es für sie Wichtigeres gibt als Genderstern und Glottisschlag?
Die Gendersprache wendet sich – besonders sichtbar bei der Behandlung von Transpersonen – gegen Diskriminierung. Dies ist ein an sich löbliches Ziel. Erfreulicherweise macht die Gleichberechtigung von Frauen und Männern immer weitere Fortschritte – in Recht, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Sport, Medien: Man kann wohl sagen überall, außer im Reservat des Heiligen Stuhles. Im Übrigen mehren sich Schlagzeilen wie „Mehr Frauen in Dax-Vorständen“24 und „Die Wirtschaftsweisen werden immer weiblicher“25. Die britische Königin hat nach dem Rücktritt von Boris Johnson eine Frau zur Premierministerin des Vereinigten Königreiches ernannt; Liz Truss reihte sich damit (wenn auch nur mit kurzer Amtszeit) in eine immer länger werdende Kette von weiblichen Regierungschefinnen ein. Immer mehr [12] Positionen, die früher Männern vorbehalten waren, werden nun von selbstbewussten Frauen eingenommen. Deshalb ist die Feststellung einer Journalistin zutreffend, dass es nicht angeht, „,die Frau‘ weiterhin wie ein hilfloses kleines Wesen, das von der Wiege bis zur Bahre geschützt, gestützt und gefördert werden muss“, zu behandeln.26 Noch schärfer und allgemeiner formuliert wird vor dem „Gefühlsterror eifriger Aktivisten“ gewarnt.27 Weniger dramatisch ausgedrückt: Es sollten nicht, wie beim woken Zeitgeist, „symbolische Ersatzhandlungen dominieren“,28 denn, um mit Jonas Roth zu urteilen: „Es waren und sind in erster Linie Taten und nicht Worte, welche für die großen Würfe der Gleichberechtigung gesorgt haben.“29
Ein liberales und dem Gedanken des Rechtsstaates angemessenes Fazit könnte lauten: Wer gendern will, soll gendern dürfen. Ein Verbot der Gendersprache kommt nicht in Betracht. Andererseits ist jeder Druck zum Gendern, insbesondere unter Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses, unzulässig, sei es, dass der Druck von Stadtverwaltungen auf ihre Beschäftigten oder von Hochschulen auf ihre Studenten und Studentinnen oder von Arbeitgebern auf ihre Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ausgeübt wird. Wer nicht gendert, befindet sich im Einklang mit den Regeln des Deutschen Rates für Rechtschreibung, betreibt keine Selbstbefriedigung als einer der „guten Menschen“ und vermeidet Lächerlichkeiten wie das Wort „Gästin“ oder die abwegige Ersetzung des Wortes „Mutter“ durch „Person, die das Kind geboren hat“.30
Zutreffend ist jedenfalls die Feststellung: „Immer stärker erleben wir ein Auseinanderklaffen zwischen dem, was die Gesellschaft in unserem Land bewegt, und dem, was eine kleine Meinungselite meint, was die Menschen bewegen sollte. Schlimmer noch: Die Mehrheit findet sich in diesen Debatten nicht nur nicht wieder, es wird ihr sogar [13] der Eindruck vermittelt, dass wer nicht die Meinung der lauten Minderheit teilt, ein schlechter Mensch ist.“31