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Seit einigen Jahren grassiert die aus den USA kommende Political Correctness, die im Duden definiert ist als »die von einer bestimmten Öffentlichkeit als richtig angesehene Gesinnung«. Selbsternannte Hüter der Political Correctness wachen über eine vorgeblich richtige Gesinnung. Alle relevanten Bereiche des gesellschaftlichen Lebens geraten so unter die Herrschaft einer Denk- und Sprachpolizei. Der britische Historiker und Träger des Karlspreises Timothy Garton Ash sieht in diesem Zusammenhang »eine Tyrannei des Gruppenveto« und einen »drastischen Verlust an Freiheit«. Der Autor, der renommierte emeritierte Prof. für Staatsrecht und Völkerrecht Ingo von Münch, hat sich seit vielen Jahren mit den Grundrechten der freien Meinungsäußerung, der Informationsfreiheit und der Pressefreiheit in Forschung und Lehre intensiv befasst. In dem vorliegenden Buch erinnert er an diese Freiheiten und weist anhand zahlreicher Beispiele auf deren Gefährdung durch die Auswüchse der Political Correctness hin: Deren problematische Einwirkungen werden einer kritischen Betrachtung unterzogen. Ergebnis: Ein engagiertes Plädoyer gegen die p.c.
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Ingo von Münch
Meinungsfreiheit gegen Political Correctness
Meinungsfreiheit gegen Political Correctness
Von
Ingo von Münch
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlag: Max Pfeiffer Watenphul, Römischer Kopf (1932) (© 2017 Alessandra Pasqualucci, Rom, Foto: Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung, Berlin)
Alle Rechte vorbehalten © 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany
ISBN 978-3-428-15268-1 (Print) ISBN 978-3-428-55268-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-85268-0 (Print & E-Book)
Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ♾
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort
Vieles, was aus den USA zu uns gekommen ist, möchten wir – insbesondere auch die jungen Menschen – nicht missen. Entbehren könnte unsere Gesellschaft allerdings das, was sich mit der Erscheinung der „Political Correctness“ verbindet. „Mit dem Begriff der politischen Korrektheit wurden deutsche Leser vor einem Vierteljahrhundert durch launige Korrespondentenberichte aus den Vereinigten Staaten vertraut“, schreibt Patrick Bahners in seiner Rezension des Buches von Carolin Emcke „Gegen den Hass“. Als launig konnte man in der Tat gewisse der Politischen Korrektheit geschuldete Wortschöpfungen nennen, wie z. B. „Weihnachtsperson“ statt „Weihnachtsmann“ oder „Wasserhuhn“ statt „Wasserhahn“.
Im Laufe der Zeit ist jedoch aus Wortspielen Ernst geworden. Längst geht es nicht mehr nur um sog. Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache, sondern um eine von Teilen der Öffentlichkeit als richtig vorgeschriebene Gesinnung in allen relevanten gesellschaftlichen Bereichen. Keiner dieser Bereiche, sei es Politik, Religion, Kultur, Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft, Werbung oder anderes ist vom Zugriff der Political Correctness ausgenommen. Die naturgegebene Verbindung von Sprache und Denken führt dazu, dass die Sprachpolizei zur Denkpolizei wird. Als selbsternannte Sprach- und Denkpolizisten agieren die verschiedensten Gruppen. Der britische Historiker Timothy Garton Ash sieht in diesem Zusammenhang eine „Tyrannei des Gruppenveto“: „In unserer zunehmend durchmischten, multikulturellen Welt existieren so viele Gruppen, die so viele verschiedene Dinge so besonders wichtig nehmen… Man vereinige alle ihre Tabus und man erhält eine gewaltige Herde heiliger Kühe. Nun lasse man den verschreckten Kindermädchenstaat all diese Tabus in neue Gesetze oder bürokratische Verbote einschließen und heraus kommt ein drastischer Verlust an Freiheit.“ Timothy Garton Ash steht mit dieser Feststellung nicht allein. Unter der Überschrift „Sei still, ich bin beleidigt“ und der Zwischenüberschrift „Gekränktheit wird zur politischen Ressource“ schreibt Jens Jessen in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“: „Die Macht [6] liegt nicht mehr notwendig bei der Mehrheit. Die Macht liegt bei der Gruppe, die ein Sprechverbot und eine Meinungszensur durchsetzen kann.“
„Sprechverbot“ und „Meinungszensur“ sind gravierende Worte. Wer irrig meint, sie seien übertrieben, der sei an die Richtlinie des Pressekodex erinnert, die das Verschweigen der Herkunft von Straftätern prinzipiell vorschreibt, an die zögerliche Berichterstattung über die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht durch die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten (was nicht zuletzt auch zu einem Ansehensverlust der Medien führte), an die Verhüllung von Aktbildern in öffentlichen Gebäuden wegen Rücksichtnahme auf Muslime, an den häufigen Gebrauch der Faschismuskeule, der Rassismuskeule und der Nazikeule und an vieles andere mehr. Jedenfalls kann man es nicht anders als erschreckend nennen, wenn in einer Repräsentativumfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach schon im Jahre 2013 rd. 30 Prozent der Befragten meinten, man müsse, wenn man in Deutschland seine Meinung frei äußern wolle, „besser vorsichtig sein“. Die Erfahrung lehrt: Auch gefühlte Gefahr ist Gefahr. Nachdenkenswert ist schließlich auch die Äußerung, die eine in der Zeit der DDR dort lebende Wissenschaftlerin, die zahlreiche Beiträge zum Leben unter dem SED-Regime veröffentlich hat, mir zum Thema Political Correctness schrieb: „Wenn wir zu DDR-Zeiten die vorgegebenen Sprüche nicht nachbeten wollten, kam der Vorwurf ,Kein fester Klassenstandpunkt‘, und wer heute nicht der ,political correctness‘ folgt, ist schnell ein Rechtsradikaler. Wo ist eigentlich der Unterschied?“ Die Gralshüter der Political Correctness verkennen im Übrigen, worauf Iris Radisch unter der Überschrift „Im Dauergequassel der Gegenwart regieren Denkverbote und ein diffuses Klima der zwanghaften Selbstbegeisterung“ zutreffend hingewiesen hat, dass „das rastlose Ersetzen missliebiger Begriffe durch vermeintlich korrektere offenbar mit dem linguistischen Voodooglauben einhergeht, die realen Missstände auf diesem Wege ebenfalls zum Verschwinden zu bringen“. Jürgen Habermas fordert den herrschaftsfreien Diskurs – wo bleibt der herrschaftsfreie Diskurs unter der volkspädagogischen Herrschaft der Political Correctness? Vor allem aber: Wo bleibt das nicht beliebige und nicht einfach disponible Grundgesetz mit seinem Artikel 5 Absatz 1: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen [7] ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“?
Die Verfassung gilt – oder?
Die Textverarbeitung lag in den unermüdlichen und aufmerksamen Händen von Herta Braunstein. Für Hilfe bei der Literaturrecherche danke ich Katharina Schuwalski. Die Verantwortung für den Inhalt liegt beim Autor.
Hamburg, im Sommer 2017
Ingo von Münch
Inhaltsverzeichnis
A. Einführung
B. Was bedeutet „Political Correctness“?
C. Gibt es eine Leitkultur?
D. Political Correctness und Islam
E. Informationsfreiheit: Die Silvesternacht in Köln
F. Verschweigen der Herkunft der Täter
G. Herrschaft über die Sprache
H. Ausgrenzung von abweichenden Ansichten
I. Die Faschismuskeule
J. Die Rassismuskeule
K. Die Nazikeule
L. Debattenkultur gegen Unkultur
M. Hass-Spirale ohne Ende?
N. Hetzer am Pranger: „Herr Staatsanwalt, übernehmen Sie!“
O. Populismus – eine Worthülse?
P. Die Verantwortung der Medien
Q. Zusammenfassung
Literatur
Personenregister
Zum Autor
Abkürzungen
BamS
Bild am Sonntag
DÖV
Die Öffentliche Verwaltung
DVBl
Deutsches Verwaltungsblatt
FAS
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
GG
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
HA
Hamburger Abendblatt
JF
Junge Freiheit
MHR
Mitteilungen des Hamburgischen Richtervereins
NVwZ
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
NZZ
Neue Zürcher Zeitung
OBS
Otto-Brenner-Stiftung
OVG
Oberverwaltungsgericht
PAZ
Preußische Allgemeine Zeitung
StPO
Strafprozessordnung
SZ
Süddeutsche Zeitung
TAZ
Die Tageszeitung
VG
Verwaltungsgericht
ZMR
Zeitschrift für Miet- und Raumrecht
A. Einführung
Als die Kanzlerin mit ihrem berühmt gewordenen Satz „Wir schaffen das“ die Grenzen Deutschlands faktisch öffnete, begann das, was man – je nach Standpunkt des Betrachters – als „Flüchtlingschaos“ oder als „Flüchtlingskrise“ oder aber – in politisch korrekter Sprache – als „Flüchtlingsproblem“ oder als „Flüchtlingsfrage“ bezeichnen kann. Tatsache ist: Mit den Menschen kamen Fragen, z. B.: Konnte die Kanzlerin ohne gesetzliche Grundlage oder auch nur ohne einen Parlamentsbeschluss die Grenzen öffnen?1 Welche Rolle spielen Staatsgrenzen in einer globalisierten Welt? Lässt sich das Abkommen von Schengen mit seiner Abschaffung der Grenzkontrollen innerhalb der Europäischen Union halten? Sind die Befürchtungen der Wirtschaftsverbände hinsichtlich wirtschaftlicher Verluste bei Einführung von Grenzkontrollen begründet?2 Wird der von der Bundesagentur für Arbeit festgestellte Anstieg der Zahl der arbeitslosen Flüchtlinge sich fortsetzen?3 Sollen Obergrenzen für die Zuwanderung eingeführt werden? Ist die Prognose des Instituts der deutschen Wirtschaft realistisch, dass die Kosten für die in die Bundesrepublik Zugewanderten und noch zu erwartenden Zuwanderer sich auf 50 Milliarden Euro in den kommenden zwei Jahren belaufen werden, und welches sind überhaupt die ökonomischen Effekte der Migration?4 Kann man andere [14] Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die sich bei der Aufnahme von Flüchtlingen nicht solidarisch erweisen, zur Aufnahme zwingen? Warum werden die arabischen Staaten, die – abgesehen von Jordanien und dem Libanon – bisher keine Flüchtlinge aufnehmen, nicht aufgefordert dies zu tun, zumal es sich bei den Flüchtlingen ja vor allem um muslimische Glaubensbrüder und -schwestern handelt? Und warum bleibt Russland außen vor, wo doch seine Luftangriffe zur Fluchtbewegung jedenfalls in Syrien nicht unerheblich beigetragen haben?
Erlaubt das Grundgesetz, das in Art. 6 Abs. 1 Ehe und Familie „unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“ stellt, den Familiennachzug von Flüchtlingen für zwei Jahre auszusetzen?5 Wenn für bereits sich in der Bundesrepublik aufhaltende Minderjährige mit sog. subsidiärem Schutzstatus ohne elterliche Begleitung die Beschränkung des Familiennachzuges aufgehoben wird („70.000 unbegleitete Minderjährige geistern derzeit durchs Land“6) – ist dies nicht ein Anreiz für Eltern, ihre Kinder unbegleitet auf eine nicht ungefährliche Reise zu schicken? Wie viele Jahre dauert es, um 800.000 oder auch nur 500.000 oder selbst nur 100.000 abgewiesene Asylbewerber in ihre Heimatländer zurückzuschicken (falls diese Länder zur Wiederaufnahme überhaupt bereit sind) und wie viele Flugzeuge bräuchte man dafür?7 Kann man davon ausgehen, dass Flüchtlinge aus Syrien, wenn sie in Deutschland integriert sind (was ja gewünscht und erwartet wird), jemals wieder in ihr zerstörtes Land zurückkehren [15] werden? Schließlich die banal klingende, aber in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland nicht unwichtige Frage: Unter welchen Voraussetzungen können – ohne spezielle gesetzliche Grundlage – private Grundstücke und Wohnungen zur Unterbringung von Flüchtlingen beschlagnahmt werden – eine Frage, die vom Verwaltungsgericht Lüneburg und vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg in Beschlüssen von 2015 m. E. zutreffend negativ entschieden worden ist.8
Alles dies sind drängende und wichtige Fragen.9 Ich werde diese Fragen im Folgenden aber nicht behandeln; denn: ich bin kein Prophet; ich bin kein Politiker; ich bin kein Spezialist für Asylrecht. Als Wissenschaftler habe ich gelernt, mich nur zu solchen Fragen zu äußern, mit denen ich mich vorher gründlich befasst habe. Das Grundrecht der freien Meinungsäußerung war bereits Gegenstand meiner im Jahre 1957 von mir verfassten Doktorarbeit10 und später einer – inzwischen in jüngere Hände gelegten – Kommentierung in dem „Gelben Kommentar“ zum Grundgesetz.11 Seitdem hat das Thema Meinungsfreiheit mich nicht mehr losgelassen – vielleicht auch deshalb, weil ich [16](Jahrgang 1932) die NS-Zeit noch sehr bewusst miterlebt habe – mit allen ihren Instrumenten der Unterdrückung und Bestrafung freier Meinungsäußerungen. Was gab es nicht alles an diesbezüglichen Instrumenten: „Reichsschrifttumskammer“; „Schriftleitergesetz“; „Sprachregelungen“; „entartete Kunst“; Bestrafung wegen „Wehrkraftzersetzung“; schließlich auch „der deutsche Blick“ – der Sprechende schaute sich um, ob jemand, der nicht mithören sollte, in der Nähe war: Schon das Weitererzählen eines Flüsterwitzes konnte zu tödlicher Gefahr werden.
Die Erfahrung aus dieser Zeit kann nur sein: Nie wieder in einem Land leben, in dem Meinungsäußerungen, gleichgültig ob sie richtig oder falsch sind, unterdrückt oder auch nur gegängelt werden, von wem auch immer. Damit sind wir direkt beim Thema „Meinungsfreiheit gegen Political Correctness“.
1 Zum geforderten Rechtsstaat s. Otto Depenheuer / Christoph Grabenwarter (Hrsg.), Der Staat in der Flüchtlingskrise. Zwischen gutem Willen und geltendem Recht, Paderborn 2016.
2 S. den Bericht Ifo-Chef Sinn tritt für Grenzkontrollen ein. „Horrorzahlen“ der Wirtschaftsverbände zu ökonomischem Schaden unglaubhaft, in: FAZ Nr. 52 v. 02. 03. 2016, S. 15.
3 Bericht Zahl der arbeitslosen Flüchtlinge steigt deutlich, in: FAZ Nr. 52 v. 02. 03. 2016, S. 15.
4 Dazu Hans-Werner Sinn, Ökonomische Effekte der Migration, in: FAZ Nr. 301 v. 29. 12. 2014, S. 18; s. auch Marc Engelhardt (Hrsg.), Die Flüchtlingsrevolution. Wie die neue Völkerwanderung die ganze Welt verändert, München 2016; Joachim Wieland, Flüchtlinge als Herausforderung für die Finanzverfassung, DÖV 2017, S. 9 ff.
5 S. den Bericht Koalition muss über zweites Asylpaket nachdenken. Für wen wird der Familiennachzug ausgesetzt?, in: FAZ Nr. 32 v. 08. 02. 2016, S. 4.
6 Hans-Hermann Tiedje, Deutschland zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Abschied vonMerkels Willkommenskultur, in: NZZ v. 10. 03. 2016, S. 12. Dazu auch ausführlich Ulrike Heidenreich, Das Rätsel der vermissten Kinder. Tausende minderjährige Flüchtlinge sind laut Polizei-Statistik spurlos verschwunden. Europa-Abgeordnete befürchten, dass einige Opfer vonVerbrechen wurden und fordern nun Aufklärung, in: SZ Nr. 73 v. 30. 03. 2016, S. 5; Eckart Lohse, Mehrfach vermisst. Minderjährige Flüchtlinge und Tücken der Statistik, in: FAZ Nr. 85 v. 12. 04. 2016, S. 2.
7 Dazu Rudolf Adam, Was zu schaffen ist. Plädoyer für eine Flüchtlingspolitik ohne Wunschdenken, in: SZ Nr. 79 v. 30. 03. 2016, S. 2: „Kommen pro Jahr eine Million Menschen, müssten 500.000 abgeschoben werden. Das sind pro Tag vier Jumbojets.“ Siehe auch Frank Horns, Der humane Irrsinn. Hunderttausende abgelehnte Asylbewerber verweigern die Ausreise – die Behörden reagieren völlig hilflos, in: PAZ Nr. 33 v. 19. 08. 2016, S. 3.
8 VG Lüneburg Beschluss v. 09. 10. 2015, in: ZMR 2015, S. 907 ff.; OVG Lüneburg Beschlüsse v. 13. 10. 2015 und 01. 12. 2015, in: ZMR 2015, S. 992 f. und ZMR 2016, S. 70 ff. – Besprechung der Beschlüsse bei Meike Klüver, Die Beschlagnahmeverfügung von Wohnraum für Flüchtlinge, in: ZMR 2016, S. 1 ff.; Anmerkung zum Beschluss des OVG Lüneburg vom 01. 12. 2016 in: NVwZ 2016, S. 168 f. – Eine spezielle gesetzliche Grundlage für die „Sicherstellung“ von privaten Gebäuden zur Unterbringung von Flüchtlingen hat Hamburgmit dem „Gesetz zur Flüchtlingsunterbringung in Einrichtungen“ vom 02. 10. 2015 geschaffen; s. dazu Christoph Eisenring, Deutsche „Willkommenskultur“ in Nöten. Beschlagnahmung von Gewerbeliegenschaften zur Unterbringung von Asylbewerbern, in: NZZ v. 03. 10. 2015, S. 33.
9 Umfassende Darstellung rechtlicher und politischer Fragen in: Otto Depenheuer / Christoph Grabenwarter (Anm. 1); s. auch Uwe-Dietmar Berlit, Flüchtlingsrecht in Zeiten der Krise. Grenzen und Möglichkeiten der Steuerung von Fluchtmigration und ihrer Folgen durch Recht, Baden-Baden 2017; Arnd Uhle (Hrsg.), Migration und Integration – Die Migrationskrise als Herausforderung des Rechts, Berlin 2017.
10 Ingo von Münch, Freie Meinungsäußerung und besonderes Gewaltverhältnis, Diss. Frankfurt am Main 1957 (ohne Verlag). – Neuere Darstellung (auch rechtsvergleichend): Thomas Möller, Der grundrechtliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit in Deutschland, England und den USA, Baden-Baden 2016.
11 Zuletzt: Rudolf Wendt, Art. 5, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 1, 6. Aufl. München 2012.
B. Was bedeutet „Political Correctness“?
Was ist und was bedeutet „Political Correctness“? Wörtlich übersetzt meint „Political Correctness“: „politische Korrektheit“ oder „politische Richtigkeit“. So eng gesehen könnte der Gebrauch von „Political Correctness“ eigentlich keine Probleme bereiten. Ernster wird die Sache dann, wenn die politische Korrektheit von einer politischen Seite vorgegeben, also quasi autoritativ angeordnet wird und mit einer – vorgeblich richtigen – Gesinnung verbunden wird. Die zutreffende Umschreibung im Duden lautet demgemäß: Political Correctness ist die „von einer bestimmten Öffentlichkeit als richtig angesehene Gesinnung“.1 Diese – in die Richtung einer Gesinnungsdiktatur laufende, jedenfalls problematische – Political Correctness kann sich in der Praxis bemerkbar machen durch Reden oder Schweigen, durch Worte oder Handlungen, durch Beschönigen oder Verdammen, durch Aufwerten oder Abwerten.
Beispiele für die Existenz der Political Correctness gibt es zuhauf. Die auf die Zahl der Flüchtlinge gemünzte Meinung „das Boot ist voll“ wäre mit Sicherheit politisch inkorrekt. Schon der Ausdruck „Flüchtlinge“ wird kritisiert, weil er nicht kultursensibel genug sei – es müsse stattdessen „Geflüchtete“ heißen.2 Die in der Nahrungsmittelbranche früher geläufigen Ausdrücke „Mohrenkopf“ und „Zigeunerschnitzel“ sind inzwischen tabu. Für die Bezeichnung „Mohrenkopf“ ist als politisch korrekter Ausdruck vorgeschlagen worden: „Mit Schokolade überzogenes Schaumgebäck mit Migrationshintergrund“.3 Stiefmutter [18] und Stiefvater sollen nun „Bonuseltern“ heißen.4 In Berlin ist das Wort „Lehrer“ an Schulen ersetzt durch das Wort „Lernbegleiter“.5 Ebenfalls aus Berlin – nämlich aus seinen Erfahrungen als Bezirksbürgermeister von Neukölln – berichtet Heinz Buschkowsky über politisch korrekte Begriffsverrenkungen, die Probleme unkenntlich machen, z. B. wenn soziale Brennpunkte umbenannt werden in „Gebiete mit erhöhtem Aufmerksamkeitsbedarf“ und Schulschwänzer als „schuldistanziert“ bezeichnet werden.6
Die Genderwelle schwemmt vertraute Ausdrücke weg. Ein dazu kritischer Artikel im „Spiegel“ trägt die Überschrift „Die Polizei, deine Freundin“ (also nicht mehr „Dein Freund und Helfer“) und die Unterzeilen: „Geschlechtergerechtes Blähdeutsch breitet sich in Amtsstuben, Sportclubs und Klassenzimmern aus. An Unis lehrt Herr ,Dozentin‘. Verfällt die Republik dem grammatischen Irrsinn?“.7 Die Putzfrau putzt zwar immer noch überall, aber sie ist nun „Raumpflegerin“; Lehrlinge sind heute „Auszubildende“ – mit solcher Sprachkosmetik kann man gewiss leben. An Weihnachten werden Kinder sich auch dann noch erfreuen, wenn der Weihnachtsmann in „Weihnachtsperson“ umbenannt worden ist.
Aber was soll man davon halten, wenn ein früherer Bundespräsident, nämlich Richard von Weizsäcker, die brutale Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten als „erzwungene Wanderschaft“ herunterspielte (soll man womöglich denken an das Lied: „Das Wandern ist des Müllers Lust“?). Anders als mit einem Kniefall vor der Political Correctness ist diese abwegige Beurteilung seitens des damaligen Bundespräsidenten nicht zu erklären. Schlechte Beispiele verderben die Sitten: Die von Richard von Weizsäcker erwähnte „Wanderschaft“ wird nachgeplappert, wenn ein Journalist in Bezug auf Flucht und [19] Vertreibung von „der durch den Krieg hervorgerufenen Völkerwanderung von Ost nach West“ schreibt8, oder – noch schlimmer – wenn formuliert wird: „nur Deutsche, Polen und Tschechen hat man ethnisch entflochten; um welchen Preis ist bekannt“.9 Mit „entflochten“ ist die Sprache der Political Correctness nicht mehr weit entfernt vom Sprachgebrauch der Täter: „Die Täter nannten es Aussiedlung. Vor 70 Jahren wurden die Ungarndeutschen aus Ihrer angestammten Heimat vertrieben.“10
1 Duden. Rechtschreibung der deutschen Sprache. Band 1, 21. Aufl. Mannheim/Leipzig/Wien 1996.
2 So Oleg Myrzak (Die Linke), zit. bei Matthias Bäkermann, „Asylant geht gar nicht“, in: JF Nr. 25/16 v. 17. 06. 2016, S. 2. – Auch der Ausdruck „Schutzbefohlene“ ist vorgeschlagen worden.
3 Zit. bei Gunnar Jauch, „Pädophilie und Mohrenkopf“ (Leserbrief), in:NZZ Nr. 98 v. 29. 04. 2014, S. 20.
4 Zit. bei Karlheinz Weissmann, GegenAufklärung, in: JFNr. 8/16 v. 19. 02. 2016, S. 15.
5 Zit. von Katja Osterkamp, Erlebnisorientierte Langeweile, in: Die Weltwoche Nr. 05.16, S. 20.
6 Heinz Buschkowsky, Die andere Gesellschaft, Berlin 2014; dazu Regina Mönch, Viel zu viele haben schon verloren. Wenn Salafisten das Händeschütteln als Sünde ablehnen: Heinz Buschkowsky berichtet aus Berlin, wie die soziale Integrationskraft schwindet, in: FAZ Nr. 230 v. 04. 10. 2014, S. L 23 (Rezension).
7 In: Der Spiegel Nr. 13/2014, S. 124 f.
8 So Jörg Bremer, Kirche in Bewegung, in: FAZ v. 27. 04. 2014, www.faz.net.
9 Gustav Seibt, Putin, Napoleon und die anderen Mussolinis. Vom Nutzen und Nachteil historischer Vergleiche, in: SZ Nr. 79 v. 04. 04. 2014, S. 11.
10 Überschrift des Beitrages von Reynke de Vos, in: PAZ Nr. 13 v. 01. 04. 2016, S. 10.