Die Kunst der Diplomatie - Tobias Bunde - E-Book

Die Kunst der Diplomatie E-Book

Tobias Bunde

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Beschreibung

Diplomatie zum Anfassen Was ist Diplomatie? Eine Kunst, ein Handwerk? Oder etwas dazwischen? Was macht einen guten Diplomaten aus? Gibt es so etwas wie diplomatische Geheimrezepte?  Welche Tipps und Tricks helfen aus der Sackgasse? Wann hilft Humor, wann nur der Bluff? Wie unterscheiden sich diplomatische Kulturen und Stile in verschiedenen Ländern? Wie undiplomatisch darf, vielleicht gar muss, ein Diplomat manchmal sein? Wie unterscheidet sich die Arbeit der Diplomaten von heute von der ihrer Vorgänger? Und wozu braucht man heute noch Diplomaten, wenn die halbe Welt nur einen Klick entfernt ist? Erfahrene Praktiker berichten von ihren erstaunlichsten Erlebnissen, Erfolgen und Misserfolgen auf dem diplomatischen Parkett oder skizzieren ihre Ideen für die diplomatische Bearbeitung bislang ungelöster Herausforderungen. Ein Buch für alle, die besser verstehen möchten, worauf es ankommt, wenn über Krieg und Frieden verhandelt wird und warum Diplomatie eine Kunst wie keine andere ist. Mit Beiträgen von dutzenden Präsidenten, Premierministern und Ministern aus der ganzen Welt, den Vorsitzenden internationaler Organisationen wie der NATO, der EU oder der OSZE, dem Welternährungsprogramm, der Weltgesundheitsorganisation, dem Klimasekretariat und dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, der Europäischen Zentralbank, aber auch führenden Parlamentariern, Journalisten, ehemaligen Geheimdienstchefs und einigen Größen der internationalen Diplomatie. 

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Das Buch

Was ist Diplomatie? Eine Kunst, ein Handwerk? Oder etwas dazwischen? Was macht einen guten Diplomaten aus? Gibt es so etwas wie diplomatische Geheimrezepte? Welche Tipps und Tricks helfen aus der Sackgasse? Wann hilft Humor, wann nur der Bluff? Wie unterscheiden sich diplomatische Kulturen und Stile in verschiedenen Ländern? Wie undiplomatisch darf, vielleicht gar muss, ein Diplomat manchmal sein? Wie unterscheidet sich die Arbeit der Diplomaten von heute von der ihrer Vorgänger? Und wozu braucht man heute noch Diplomaten, wenn die halbe Welt nur einen Klick entfernt ist?

Erfahrene Praktiker berichten von ihren erstaunlichsten Erlebnissen, Erfolgen und Misserfolgen auf dem diplomatischen Parkett oder skizzieren ihre Ideen für die diplomatische Bearbeitung bislang ungelöster Herausforderungen. Ein Buch für alle, die besser verstehen möchten, worauf es ankommt, wenn über Krieg und Frieden verhandelt wird und warum Diplomatie eine Kunst wie keine andere ist.

Mit Beiträgen von dutzenden Präsidenten, Premierministern und Ministern aus der ganzen Welt, den Vorsitzenden internationaler Organisationen wie der NATO, der EU oder der OSZE, dem Welternährungsprogramm, der Weltgesundheitsorganisation, dem Klimasekretariat und dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, der Europäischen Zentralbank, aber auch führenden Parlamentariern, Journalisten, ehemaligen Geheimdienstchefs und einigen Größen der internationalen Diplomatie.

Die Autoren

Dr. Tobias Bunde hat in Dresden, Straßburg, Washington und Berlin studiert. Er ist Director of Research & Policy der Münchner Sicherheitskonferenz und forscht am Centre for International Security der Hertie School in Berlin.

Dr. Benedikt Franke hat in Cambridge, Washington und Bologna studiert und danach lange für den ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan gearbeitet. Seit 2014 ist er Geschäftsführer der Münchner Sicherheitskonferenz.

Tobias Bunde & Benedikt Franke (Hrsg.)

DIE KUNST DER DIPLOMATIE

75 Blicke hinter die Kulissen der internationalen Politik

Econ

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ISBN 978-3-8437-2760-0

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022

Autoren

Tobias Bunde & Benedikt Franke

Munich Security Conference

Herausgeber

Tobias Bunde & Benedikt Franke

Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz gGmbH

Redaktionsteam

Ulrike Strauss & Nardine Luca

Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz gGmbH

Lektorat

Annalisa Viviani

Wolfgang Gartmann

Übersetzung

Nikolas Bertheau

Fotograf und künstlerischer Berater

Michael Kuhlmann

Gestaltung

Morian & Bayer-Eynck, Coesfeld

Die Originalausgabe erschien im Februar 2022 unter dem Titel The Art of Diplomacy. 75+ Views Behind the Scences of World Politics

Redaktionsschluss der englischen Ausgabe war der 15. Dezember 2021. Die Beiträge der Autoren stellen deren persönliche Ansichten dar.

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Inhaltsverzeichnis
Über das Buch / Über die Autoren
Titel
Impressum
„Speak softly and carry a big book!“
Tobias Bunde und Benedikt Franke
1 Elemente
Ein Spaziergang im Garten
Javier Solana
Der Klimawandel als Nagelprobe der Diplomatie
Patricia Espinosa
Die menschliche Note
Atifete Jahjaga
Diplomatie ist immer persönlich
Børge Brende
Wozu Botschafter gut sind
Robert Cooper
Diplomatie und Völkerrecht
Fatou Bensouda
Diplomaten und Soldaten
James G. Stavridis
Die Sprache der Macht
Josep Borrell
Die Macht der Sprache
Jasmine M. El-Gamal
Die Teezeremonie
Siemtje Möller
Jazz und Diplomatie
Sebastian Groth
Der richtige Austragungsort
Benedikt Franke
Die mentalen Landkarten der Diplomatie
Joseph S. Nye
Hat Risikomanagement einen Platz in Politik und Diplomatie?
Nikolaus von Bomhard
Backchannel-Diplomatie
Karl Kaiser
Parlamentarische Diplomatie
Elmar Brok
Track-II-Diplomatie
Sam Nunn
Die nächste Generation
Desmond Browne
Auf (gewöhnliche) Menschen setzen
Izumi Nakamitsu
2 Herausforderungen
Die richtigen historischen Analogien wählen
Ivan Krastev
Aus Erfahrung lernen
John Scarlett
Den Geist von Helsinki neu beleben
Sauli Niinistö
Den fragilen Frieden sichern
Charles A. Kupchan
Diplomatie in einer Welt ohne Führung betreiben
Ian Bremmer
Sich auf eine Welt ohne Ordnung vorbereiten
Klaus Naumann
Mit schwierigen Partnern zusammenarbeiten
Wolfgang Schüssel
In die Schuhe des anderen schlüpfen
Sigmar Gabriel
Gesprächskanäle offenhalten
Nora Müller
Gegenseitiges Verständnis zwischen China und dem Westen fördern
Fu Ying
Regeln für den strategischen Wettbewerb zwischen den USA und China finden
Kevin Rudd
Haltung wahren gegenüber China
Kenneth Roth
Freiheitlich-demokratische Werte schützen
Nathalie Tocci
Die freiheitliche Demokratie bewahren
Ana Palacio
Demokratie und Gleichberechtigung im Nahen Osten stärken
Tawakkol Karman
Eine globale Allianz der Demokratien begründen
Anders Fogh Rasmussen
Transatlantisch neu denken
Anne-Marie Slaughter
Den Kurs des Westens neu kalibrieren
Thomas Kleine-Brockhoff
„Westlessness“ überwinden
Tobias Bunde
Eine Weltpolitikfähigkeitsverlustvermeidungsstrategie entwickeln
Timothy Garton Ash
Von der Kraft des Ortes: München als Hotspot für die internationale Diplomatie
Markus Söder
Eine gemeinsame strategische Kultur schaffen
Franziska Brantner
Für starke Verteidigung eintreten
Frederick “Ben” Hodges
Gesellschaftlichen Rückhalt schaffen
Norbert Röttgen
Deutschlands nationale Sicherheitsarchitektur reformieren
Boris Ruge
Propaganda und soziale Medien verstehen
Steven Erlanger
Hybride Gefahren entschärfen
Teija Tiilikainen
Die Digitalisierung des Kriegs verstehen
Toomas Hendrik Ilves
Die Kunst der Abstreitbarkeit beherrschen
Thomas Rid
Cyberprobleme als geopolitische Probleme behandeln
Dmitri Alperovitch
Die Verhandlungshoheit im Zeitalter der digitalen Geopolitik bewahren
Sorin Ducaru
Eine effektive Tech-Diplomatie entwickeln
Manuel Muñiz Villa
Einer freien und demokratischen digitalen Zukunft den Weg bereiten
Kersti Kaljulaid
Die geopolitische Macht der Tech-Konzerne ausbalancieren
Marietje Schaake
Den Trend zur Straflosigkeit umkehren
David Miliband
Ein erweitertes Verständnis von Sicherheit fördern
Achim Steiner
Den Weg zu nachhaltiger Ernährungssicherheit und Frieden ebnen
David Beasley
Einen neuen Vertrag zur Reaktion auf Pandemien abschließen
Tedros Adhanom Ghebreyesus
Die Quantenwelt verstehen
Armen Sarkissian
Diplomatische Werkzeuge und Strukturen anpassen
Cathryn Clüver Ashbrook
3 Episoden
Die deutsche Einheit aushandeln
Robert B. Zoellick
Von Teamwork profitieren
Theo Waigel
Als Vermittler Partei ergreifen
Carl Bildt
An den Frieden glauben
Nasser bin Nasser
30 Jahre später von Dayton träumen
Igor Iwanow
Das Konzert der Nationen dirigieren
Peter Ricketts
Einen Krieg beenden
Strobe Talbott
Journalistische Verantwortung übernehmen
Constanze Stelzenmüller
Sich um die Einhegung der Exekutive bemühen
Jane Harman
(Um-)Wege in der Diplomatie gehen
Srgjan Kerim
Schwierige diplomatische Besuche überstehen
Louise Mushikiwabo
Meinungsänderungen einkalkulieren
Ólafur Ragnar Grímsson
Den Status des Kosovo aushandeln
Frank G. Wisner
Diplomatie nach Hause tragen
Eka Tqeschelaschwili
Mauern niederreißen
Radosław Sikorski
Den New-START-Vertrag verhandeln
Rose Gottemoeller
Einen NATO-Konsens zu Libyen finden
Ivo H. Daalder
Eine Atomvereinbarung mit dem Iran erzielen
Helga Maria Schmid
Einem robusten diplomatischen Prozess den Weg ebnen
Thomas Greminger
Track-II-Diplomatie nutzen
Alexander Dynkin
Kleinstaatendiplomatie in einer Zeit der Großmächterivalität betreiben
Ine Eriksen Søreide
Den Terrorismus bekämpfen
Peter Neumann
Das internationale Scheitern an der Lösung des Zypernkonflikts akzeptieren
Espen Barth Eide
Nein sagen
Alexander Graf Lambsdorff
Mit Pizza Vertrauen bilden
Johannes Hahn
Den Internationalen Strafgerichtshof stärken
Ottilia Anna Maunganidze
Die NATO zukunftsfest machen
Benedetta Berti
Aufbau von Institutionen und Diplomatie in der Wirtschafts- und Geldpolitik
Christine Lagarde
Frischen Wind in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bringen
Christoph Heusgen
4 Lehren
Die EU und drei außenpolitische Lehren
Catherine Ashton
Hat Diplomatie ausgedient?
Jens Stoltenberg
Was lässt uns in Verhandlungen und als Vermittler erfolgreich sein oder scheitern?
Jan Eliasson
Der diplomatische Werkzeugkasten
Wolfgang Ischinger
5 Anhang
Danksagung
Endnoten
Feedback an den Verlag
Empfehlungen

„Speak softly and carry a big book!“

Tobias Bunde und Benedikt Franke

Es ist nicht einfach zu definieren, was Diplomatie ist. Ist sie eine Kunst, ein Handwerk oder etwas dazwischen? Was ist gute Diplomatie ... und was nicht? Wie Sie in diesem Buch lesen werden, gibt es die unterschiedlichsten Vorstellungen von Diplomatie – und ungezählte Definitionen. Eine der berühmtesten stammt von Präsident Theodore Roosevelt, der für seine big stick diplomacy bekannt war und seine diplomatische Maxime mit Verweis auf das Sprichwort beschrieb: „Speak softly and carry a big stick; you will go far.“1 Auf Deutsch: „Sprich sanft und trage einen dicken Knüppel bei dir, so wirst du es weit bringen.“ Für dieses Buch haben wir uns gewissermaßen einer big book diplomacy verschrieben und uns eine abgewandelte Form des Roosevelt’schen Spruchs zu eigen gemacht: Sprich sanft und trage ein dickes Buch bei dir.

Der Grund für dieses Buch ist einfach. Im April 2021 wurde Wolfgang Ischinger, unser langjähriger Chef und Mentor bei der Münchner Sicherheitskonferenz und darüber hinaus, 75 Jahre alt. Zur Feier seiner Person und seines Lebenswerks beschlossen wir, 75 Beiträge zur Kunst der Diplomatie in einem Band zu versammeln. Weder wir noch er wollten, dass dieses Buch von ihm handelte. Wir wünschten uns ein Buch für ihn – und für alle anderen, die wie er von der Macht der Diplomatie überzeugt sind. Ceci n’est pas une Festschrift – dachten wir jedenfalls.

Um an diese 75 Beiträge zu kommen, beschlossen wir, hundert von Wolfgangs engsten Kollegen und langjährigen Freunden und Partnern anzuschreiben und sie zu bitten, uns auf ihre je eigene Weise zu schildern, wie Diplomatie in ihren Augen funktioniert. Das Ergebnis war umwerfend. Erstens erhielten wir anstelle der 75 positiven Reaktionen, auf die wir spekuliert hatten, von nahezu allen hundert Angeschriebenen die spontane Zusage, einen Beitrag zu liefern. Zweitens reichten sie fast durchweg – entgegen unserer anderslautenden Bitte – Anekdoten ein, die sich in der einen oder anderen Weise um Wolfgang drehten. Während wir hier aufs Diplomatischste gegenzusteuern versuchten (erklären Sie mal einem amtierenden Präsidenten, dass er seinen Beitrag doch bitte überarbeiten möge), wurde rasch klar, wie wichtig Persönlichkeit und Charakter für den Erfolg eines Diplomaten oder einer Diplomatin sind. Ohne diese Eigenschaften ist kaum etwas möglich; mit ihnen hingegen fast alles. Wie viele der Verweise, die wir streichen mussten, zeigen, verfügt Wolfgang Ischinger über beides in beeindruckendem Maße.

Was ist gute Diplomatie ... und was nicht? Wie Sie in diesem Buch lesen werden, gibt es die unterschiedlichsten Vorstellungen von Diplomatie – und ungezählte Definitionen.

Wolfgang ist gewissermaßen der „Forrest Gump“ der deutschen Diplomatie. Seit den frühen 1980er-Jahren befand er sich fast immer an den Brennpunkten des Geschehens. Nachdem er als junger Diplomat im Büro des damaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher angefangen hatte, wurde er Zeuge hitziger Debatten über die Stationierung von Pershing-II-Raketen in Deutschland und die anschließende Entspannungsphase, die ein friedliches Ende des Kalten Krieges ermöglichte. Am Ende des Jahrzehnts gehörte er zu den westdeutschen Diplomaten, die die Züge mit DDR-Bürgern begleiteten, die in der deutschen Botschaft in Prag Zuflucht gesucht hatten. Als Leiter der politischen Abteilung der deutschen Botschaft in Paris erlebte er 1990 die Geburt der Charta von Paris. Als Leiter des Planungsstabs und Politischer Direktor des Auswärtigen Amtes war er im Zentrum deutscher Außenpolitik, als Deutschland seine ersten Schritte als vereinigtes Land machte und versuchte, seine Rolle in dieser neuen Ära zu finden. Er vertrat Deutschland in der Kontaktgruppe während der Balkan-Kriege und gehörte zu den Verhandlungsführern beim Friedensabkommen von Dayton. Er war auch an den Verhandlungen zur NATO-Russland-Grundakte beteiligt – einem weiteren diplomatischen Meilenstein der 1990er-Jahre. Als Staatssekretär spielte er eine Schlüsselrolle bei den Verhandlungen, die in der Operation Allied Force und dem Abschluss des Stabilitätspakts für Südosteuropa 1999 mündeten. Angesichts dieser Vorgeschichte überrascht es dann auch kaum noch, dass er den 11. September 2001 als deutscher Botschafter in den Vereinigten Staaten erlebte. Es war tatsächlich sein erster Tag im Amt. Bis heute speist sich sein Ruf in den USA aus dem bemerkenswerten Eindruck, den er während seiner Amtszeit in Washington, D.C. hinterließ.

Nach zwei Jahren als Ambassador to the Court of St. James’s (Botschafter im Vereinigten Königreich) wurde ihm 2008 von der Bundesregierung die Leitung der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) angetragen. Rasch hauchte er dieser 1963 von Ewald von Kleist unter der Bezeichnung „Wehrkundetagung“ gegründeten ehrwürdigen Institution neues Leben ein. Was als jährliche Konferenz begann, ist mittlerweile zu einem unverzichtbaren Familientreffpunkt für die transatlantische Gemeinschaft geworden – ein hocheffizienter privater diplomatischer Dienstleistungsanbieter und die weltweit führende Plattform für Debatten zur Außen- und Sicherheitspolitik. Auch wenn sie im Kern noch immer transatlantisch ist, hat sie auf ihren Bühnen rund um den Globus regelmäßig die wichtigsten Entscheidungsträger der Welt zu Gast und lenkt mit ihren Berichten die Aufmerksamkeit auf zentrale Themen und Herausforderungen. Fast alle Aufnahmen in diesem Buch (die gewissermaßen die Kunst zur Diplomatie beisteuern) stammen von MSC-Veranstaltungen des letzten Jahrzehnts.

Nahezu hundert prominente Autoren lassen uns hier aus ihrem je eigenen Blickwinkel hinter die Kulissen der Weltpolitik schauen. Fast alle sind selbst Meister der Diplomatie – viele haben in ihrem Berufsleben Jahre damit verbracht, schwierige Abkommen auszuhandeln oder Möglichkeiten der friedlichen Konfliktlösung auszuloten.

Auch während er die MSC durch das letzte Jahrzehnt steuerte, widmete sich Wolfgang weiterhin diversen diplomatischen Aufgaben. Bis 2009 vertrat er die Europäische Union in der Kosovo-Troika, die versuchte, eine gemeinsame Lösung für den völkerrechtlichen Status des Kosovo zu finden. Später war er Representative of the OSCE Chairperson-in-Office for National Dialogue Roundtables in der Ukraine und Chairman des Panel of Eminent Persons on European Security as a Common Project und beteiligte sich im Rahmen zahlreicher Track-II-Bemühungen und Expertenkommissionen an der Suche nach Lösungen für schwierige Probleme – von der atomaren Rüstungskontrolle bis zur Cybersicherheit. In allen diesen Rollen konnte er seine Stärken nutzen, die ihn zum exemplarischen Diplomaten machen: seine Bereitschaft, sich zu engagieren, zuzuhören und offen für andere Sichtweisen zu bleiben, seine Fähigkeit, sich auf unterschiedliche Gruppen und Umgebungen einzustellen, und sein klarer moralischer Kompass.

Nebenbei hat er eines der besten diplomatischen Netzwerke der Welt geknüpft, wie dieses umfangreiche Buch beweist. Nahezu hundert prominente Autoren lassen uns hier aus ihrem je eigenen Blickwinkel hinter die Kulissen der Weltpolitik schauen. Fast alle sind selbst Meister der Diplomatie – viele haben in ihrem Berufsleben Jahre damit verbracht, schwierige Abkommen auszuhandeln oder Möglichkeiten der friedlichen Konfliktlösung auszuloten. Viele sind oder waren Präsidenten, Außen- oder Verteidigungsminister, Leiter internationaler Organisationen, Botschafter, Militärführer oder Parlamentarier. Andere tragen als Journalisten, akademische Experten, Aktivisten oder Vordenker zur globalen Debatte bei. Sie alle schenken uns Einblicke in die Erkenntnisse über die Diplomatie von heute und morgen.

Natürlich ist das Buch nicht erschöpfend und deckt nicht jeden erdenklichen Aspekt der Diplomatie ab. Die Autoren und Autorinnen vermitteln uns vielmehr sehr persönliche Sichtweisen von der Kunst der Diplomatie. Mag auch der Charme des Buches darin liegen, dass diese Vielzahl von Blickwinkeln, Meinungen und Erfahrungen relativ ungeordnet erscheint, so liegt der Sammlung doch eine Struktur zugrunde.

Der erste Teil des Buches handelt von einigen der wichtigsten Elemente erfolgreicher Diplomatie. Es wird unsere Leser nicht verwundern, wenn hier von der Bedeutung des Vertrauens und der persönlichen Beziehung oder von der Rolle von Botschaftern und Parlamentariern die Rede ist. Wir erfahren aber auch, welche Rolle Tee für die Diplomatie spielen kann oder welche Parallelen es zwischen der Diplomatie und dem Jazz gibt.

In den Beiträgen des zweiten Teils geht es um einige der zentralen Herausforderungen, vor denen die Diplomatie heute steht oder schon morgen stehen könnte. Unsere Autoren blicken dabei nicht nur auf die großen Themen wie die Rivalität zwischen den Großmächten oder die Verteidigung freiheitlich-demokratischer Werte, sondern behandeln auch die Frage, wie die Diplomatie sich selbst, ihre Entscheidungsfindungsstrukturen, ihren Wirkungskreis und ihre Werkzeuge an sich wandelnde Umgebungsparameter wie die fortschreitende Digitalisierung oder die Entwicklung immer neuer Kommunikationsformen anpassen muss.

Im dritten Teil stehen Erlebnisberichte aus der diplo­matischen Praxis im Vordergrund – Episoden, die ganz oder zumindest teilweise erfolgreich waren, oder auch solche, die sich als komplette Fehlschläge erwiesen. In vielen Fällen sprechen unsere Autoren zum ersten Mal öffentlich über das Erlebte. Alle diese Geschichten bieten den Diplomaten von morgen wertvolle Erkenntnisse.

Im letzten Teil des Buches finden sich einige allgemeinere Überlegungen zur Diplomatie. Die Autoren formulieren hier auf der Grundlage ihrer langjährigen Erfahrung einige wichtige diplomatische Lehren. Wie die übrigen Beitragenden dieses Bandes sind sie fest davon überzeugt, dass die Tage der Diplomatie noch lange nicht gezählt sind. Wenn überhaupt, wird deren Bedeutung in Zukunft eher noch zunehmen.

Anstatt selbst ein Schlusswort zu schreiben, haben wir Wolfgang gebeten, seine berufliche Erfahrung in einer Reihe von Schlüsselerkenntnissen zusammenzufassen. Sie finden sie ganz hinten im Buch. Wie wir alle bezeugen können, hat sein intensives diplomatisches Leben einen reichen Schatz an diplomatischen Einsichten, lustigen Anekdoten und mehr oder weniger lustigen Scherzen hervorgebracht. Viele dieser Geschichten – insbesondere die Witze – sind einem anderen Buch vorbehalten, aber ihr Kern durchzieht auch dieses Buch – allem voran Wolfgangs Epilog.

Wir hoffen, dass Sie diese Sammlung von Geschichten über die Diplomatie als instruktiv und zugleich unterhaltsam empfinden. Wir haben versucht, die richtige Mitte zwischen ernst und heiter, lehrreich und beschreibend zu treffen – in der Hoffnung, dass das Ergebnis einen wertvollen Blick hinter die Kulissen der Weltpolitik freigibt. Und wenn es etwas gibt, das aus all diesen Geschichten spricht, dann die Erkenntnis, dass Diplomatie wahrhaftig eine Kunst ist, die denen am besten von der Hand geht, die wie Wolfgang bereit sind, sie als solche zu behandeln.

Tobias Bunde ist Director of Research and Policy der Münchner Sicherheitskonferenz und Hauptautor des jährlich erscheinenden Munich Security Report. Er ist außerdem Mitglied des Vorstands der Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz. Neben seiner Arbeit für die MSC forscht er am Centre for International Security der Hertie School in Berlin.

Benedikt Franke ist Stellvertretender Vorsitzender und CEO der Münchner Sicherheitskonferenz sowie Mitglied des Vorstands der Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz. Zuvor war er u.a. Mitarbeiter des ehemaligen Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Kofi Annan. In seiner (begrenzten) Freizeit ist er als Sonderbotschafter des Souveränen Malteser Ordens aktiv.

Ein Spaziergang im Garten

Javier Solana

Das diplomatische Geschäft hat sich gewandelt. Videokonferenzen, Tweets, neue Akteure und eine Vielzahl politischer Themen, die ihren Weg in diplomatische Verhandlungen finden, haben die Art, wie die Vertreter der Staaten miteinander interagieren, grundlegend verändert. Im Kern jedoch bleibt die Kunst der Diplomatie, für die Wolfgang Ischingers Herz schlägt, dieselbe.

Das Geheimnis der Diplomatie liegt in ihrer zeitlosen Einfachheit. Die Großmachtspannungen des Kalten Kriegs wurden gelegentlich durch ein Telefonat oder eine schlichte Begegnung nach Art des berühmten „Waldspaziergangs“ von Ronald Reagan und Michail Gorbatschow 1985 in Genf entschärft. Und da wir schon von Reagan sprechen: Im Februar 2021 verstarb George Shultz, der während eines Großteils von Reagans Präsidentschaft das Amt des US-Außenministers innehatte. Shultz war ein überragender Diplomat, der uns vieles lehrte, das wert ist, hier noch einmal erwähnt zu werden.

Lassen Sie mich mit dem Vertrauen beginnen, der „Goldwährung“ der Diplomatie. Ohne Vertrauen läuft nichts – in der Politik ebenso wenig wie im übrigen Leben. Shultz war sich der Bedeutung des Vertrauens sehr bewusst: „Solange Vertrauen da war, ob in der Familie, im Klassenzimmer, in der Umkleide, im Büro, am politischen Verhandlungstisch oder im militärischen Lagezentrum, geschahen gute Dinge. War kein Vertrauen da, geschah auch nichts Gutes. Alles andere waren Details“, sagte er.

Ohne Vertrauen wird aus Diplomatie ein mühsames Geschäft. Misstrauen hindert die Beteiligten häufig daran, aufeinander zuzugehen und miteinander zu kooperieren. Ohne ein Mindestmaß an Vertrauen wäre es schwierig geworden, die zahlreichen Abkommen zur atomaren Rüstungskontrolle zwischen den USA und der Sowjetunion während des Kalten Kriegs zu formalisieren.

Vertrauen ist in keiner Art von politischer oder persönlicher Beziehung selbstverständlich. Es muss geschaffen werden. Wie Shultz sagte: „Sogar unsere Gegner müssen das Vertrauen zurückgewinnen, dass wir gemeinsam die globalen Bedrohungen für das Überleben der Menschheit meistern können, auch wenn wir in anderen Fragen verschiedener Meinung sind.“

Höchst treffend verglich Shultz die Diplomatie mit der Pflege eines Gartens. Letztere erfordert Geduld. Shultz formulierte es so: „Wenn Sie einen Garten anlegen und sich dann acht Monate nicht um ihn kümmern, finden Sie ihn anschließend von Unkraut überwuchert vor. Wenn Sie ihn aber regelmäßig pflegen, wächst kein Unkraut.“

Manchen erscheint diese Analogie veraltet. Ich selbst bin überzeugt, dass sie den Kern der Diplomatie noch immer trifft. Was sie jedoch vielleicht nicht einfängt, ist der Aspekt der Gegenseitigkeit – Diplomatie wird von Menschen gemeinsam mit anderen Menschen betrieben. Diplomatie dient den Staaten traditionell dazu, ihre Strategien umzusetzen. In der Praxis aber beruht sie noch immer auf dem persönlichen Kontakt von Angesicht zu Angesicht. Und dabei kommt es vor allem auf Zuhören, Ehrlichkeit und Loyalität an.

Ich nehme mir hier heraus, dies mit einem persönlichen Erlebnis zu illustrieren. Der Unterzeichnung der NATO-Russland-Grundakte von 1997 ging eine lange Reihe von Verhandlungen voraus – mit Jewgeni Primakow, dem damaligen russischen Außenminister, als meinem Verhandlungspartner. Primakows Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe lieferten die Basis für die persönliche Beziehung, die wir entwickelten und ohne die sich ein positives politisches Ergebnis kaum hätte erzielen lassen. Primakow lud mich für die Verhandlungen auf eine russische Datscha ein, wo sich unsere Teams dann regelmäßig trafen. Wir beide wussten, dass die Verhandlungen schwierig werden würden. Er bat mich daraufhin, mit ihm einen Spaziergang entlang der verschneiten Wälder rund um die Datscha zu machen. Nachdem ich mich warm angezogen hatte, wanderten wir zwei Stunden lang durch die Natur und führten ein offenes und engagiertes Gespräch. Anschließend wussten wir, dass wir es zusammen schaffen konnten. Die politische Beziehung wurde von einer latenten Freundschaft getragen.

In einer Sphäre, in der dem unstrukturierten Gespräch im Rahmen offizieller Verhandlungen häufig kein Wert beigemessen wird, sollten wir George Shultz’ Vorstellung von Diplomatie nicht vergessen. In der Diplomatie braucht es gelegentlich nicht mehr als einen Waldspaziergang. Oder sagen wir: einen Spaziergang im Garten.

Javier Solana ist Präsident des ESADE Center for ­Global Economy and Geopolitics in Barcelona. Nach seinen Amtszeiten als spanischer Außenminister und NATO-Generalsekretär wurde er zum Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU ernannt.

Der Klimawandel als Nagelprobe der Diplomatie

Patricia Espinosa

Unser Bemühen um das Verstehen und Lösen von Herausforderungen der nationalen Sicherheit entspringt zu weiten Teilen einem berechtigten Gefühl des Argwohns und des mangelnden Vertrauens. Die Fähigkeit, Risiken und Bedrohungen – ob menschlichen oder natürlichen Ursprungs – zu erkennen und Maßnahmen zu ihrer Abwendung zu ergreifen, ist eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt eines stabilen und sicheren Umfelds.

Die nationale Sicherheit hängt aber auch von verlässlichen, für alle Seiten vorteilhaften Beziehungen zu anderen Akteuren – Verbündeten, Partnern und Sympathisanten – ab, die letztlich auf Vertrauen basieren. Wie es bei vielen Aspekten internationaler Beziehungen der Fall ist, spiegeln diese beiden gegensätzlichen inneren Einstellungen – Vertrauen und Misstrauen – auf der Ebene der Nationalstaaten lediglich wider, was für jede Form von sozialer Interaktion – ob menschliche oder Finanzbeziehung, ob im Interesse der persönlichen oder der nationalen Sicherheit – gilt.

Wie die Geschichte zeigt, ist es vorteilhafter, Vertrauen zu schaffen, als sich mit dem Misstrauen zu arrangieren. Die Vorteile der Kooperation überwiegen in aller Regel jene der Konfrontation, vorausgesetzt, die Beteiligten respektieren einander und vertreten keine grundsätzlich unvereinbaren Ziele. Diese Voraussetzung ist wichtig, wenn sich Kooperation auszahlen soll, und das ist auch der Grund, warum Vertrauen in der globalisierten Welt von heute einen so hohen Stellenwert hat. Auf vielen globalen Problemfeldern ist die Kooperation heute die einzige Erfolg versprechende Option.

Das gilt besonders für den Klimawandel. Der Klimawandel ist kein in sich abgeschlossenes Phänomen, das sich isoliert behandeln lässt. Er stellt vielmehr eine kolossale Herausforderung dar, die sich auf viele Aspekte unseres Lebens auswirkt und sich nur mithilfe radikaler Veränderungen in der Art und Weise, wie wir leben, meistern lässt. Ihre Lösung erfordert resolutes und entschlossenes Handeln, zu dem alle ihren Beitrag leisten müssen – jedes Land, jede Region und letztlich jeder Einzelne von uns.

Der Klimawandel ist kein in sich abgeschlossenes Phänomen, das sich isoliert behandeln lässt.

Wie unabdingbar Vertrauen für die globalen Bemühungen zur Bewältigung des Klimawandels ist, wurde am Ende von COP15 in Kopenhagen deutlich. Das Ergebnis dieses Treffens zeigte, dass jeder Lösungsansatz, mag er auch von den besten Absichten getragen sein, letztlich unweigerlich den eigenen Zielen zuwiderläuft, solange er nicht die Sichtweisen sämtlicher Länder – unabhängig vom Beitrag, den jedes von ihnen leisten kann oder nach Ansicht der übrigen Länder leisten sollte – berücksichtigt. Die internationale Ordnung gründet in der Vorstellung, dass jeder Nationalstaat in seiner Eigenschaft als Mitglied der Staatengemeinschaft dieselben Rechte und Privilegien besitzt wie alle anderen. Die Missachtung dieses Grundprinzips wird von den betroffenen ­Ländern – berechtigter- oder unberechtigterweise– als Unfairness und als grobe Ungleichbehandlung empfunden.

Viele Teilnehmer der Kopenhagener Klimakonferenz insbesondere aus den Entwicklungsländern hatten nicht den Eindruck, dass hier ein umfassender und offener Beratungsprozess im Gang war. Ihnen schien es vielmehr, als würde von ihnen lediglich erwartet, einer Reihe von Resolutionen ihre Zustimmung zu geben, die ohne Rücksicht auf ihre Meinung und erst recht ohne Würdigung ihres Beitrags vorbereitet worden waren. Die Folge davon war, dass viele wertvolle und vernünftige Vorschläge, die in guter Absicht vorbereitet, aber vielleicht nicht in der bestmöglichen Form präsentiert und beworben worden waren, auf Ablehnung stießen und die Verhandlungen ins Stocken gerieten. Erst in mühsamer und beharrlicher Kleinarbeit gelang es im Verlauf der anschließenden zwölf Monate, das Vertrauen der Verhandlungspartner, Beobachter und Stakeholder zurückgewinnen. Dazu war es nötig, dass jede Stimme gehört wurde, die Beratungsgespräche in einer offenen und inklusiven Atmosphäre stattfanden und die bekundete Absicht mit dem tatsächlichen Verhalten in Einklang stand.

Die Lehre von Kopenhagen fand ihren Niederschlag in der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC). Das Bekenntnis zu Inklusivität, Offenheit und Transparenz muss in jeder Sitzung und in jedem Austausch zum Ausdruck kommen. Das gilt auch für die Bemühungen um einen Erfolg von COP26. Hier werden gegenwärtig viele komplexe Themen verhandelt. Es kostet viel Mühe, die unterschiedlichen Positionen zu versöhnen und zu einem gemeinsamen Verständnis zu gelangen. Die Erfolgschancen hängen in allen Bereichen entscheidend vom wechselseitigen Vertrauen ab, das auf der Erfüllung zuvor gemachter Zusagen beruht. Es bringt nichts, neue Versprechungen zu machen, solange der Eindruck besteht, dass die Zusagen aus der Vergangenheit nicht eingehalten werden.

Genauso wie Diplomatie ohne Vertrauen nicht möglich ist, gibt es kein Vertrauen ohne Diplomatie.

Vertrauen bildete schon immer die Grundlage jeglicher Diplomatie. Es ist zugleich das Mittel der Wahl, um die nötige Zuversicht zu erzeugen, ohne die eine Kooperation zwischen internationalen Akteuren mit ihren unterschiedlichen und häufig widersprüchlichen Interessen nicht möglich ist. Unter dem Gesichtspunkt des zwischenstaatlichen Prozesses im Umgang mit dem Klimawandel lässt sich die Verbindung zwischen beiden Konzepten vielleicht so zusammenfassen: Vertrauen ist gleichzeitig Mittel und Zweck von Diplomatie. In internationalen Angelegenheiten gilt: Genauso wie Diplomatie ohne Vertrauen nicht möglich ist, gibt es kein Vertrauen ohne Diplomatie.

Patricia Espinosa ist Leiterin des Sekretariats der ­Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) in Bonn. Zuvor war sie mexikanische ­Außenministerin und als Botschafterin Mexikos in Deutschland.

Die menschliche Note

Atifete Jahjaga

Als Staatschefs leben wir häufig in einer eng getakteten Welt. Wir eilen von einem Meeting zum nächsten, vom bilateralen Gespräch zur Konferenz. Wir kommen den Anforderungen unseres Jobs zu Hause nach oder repräsentieren unser Land so gut, wie wir es nur können. Im ständig wechselnden Umfeld der internationalen Beziehungen betrachten uns Politikerkollegen ebenso wie Nichtpolitiker gleichsam als Maschinen, die, Druck hin oder her, stets umsichtig handeln, den klaren Blick bewahren, die Ruhe selbst sind, keine Gefühlsanwandlungen kennen, stets pragmatische Entscheidungen treffen und jederzeit für unsere Fehler geradestehen. Wir vergessen, dass auch wir Produkte unseres Lebens und der Geschicke unseres Landes sind – eines bunten Gemischs aus privaten und beruflichen Erlebnissen und Erfahrungen.

Während meiner Zeit als Präsidentin der Republik Kosovo erlebte ich viele der Herausforderungen, mit denen sich heutige Staatschefs herumzuschlagen haben. Meine Herausforderungen waren vielleicht noch anspruchsvoller. Ich war die erste Frau im Präsidentenamt des Landes. Mir war bewusst, dass ich ein kleines Land mit gravierenden Problemen repräsentierte, an das aufgrund seiner Geschichte von seinen internationalen Gästen höhere Maßstäbe angelegt und das strenger beurteilt wurde, weil es dem Westen als Vorzeigebeispiel für sein einvernehmliches Versprechen eines „Nie wieder“ bezüglich der Verfolgung Unschuldiger diente.

Meine Herangehensweise an internationale Beziehungen und an die Diplomatie war folglich sowohl persönlicher als auch beruflicher Art. Ich war schon immer der Meinung, dass sich in unseren „Jobs“ beides nicht voneinander trennen lässt. Und das Persönliche überdauert auch in der Diplomatie oft das Berufliche.

Das Persönliche überdauert auch in der Diplomatie oft das Berufliche.

Das veranlasst mich, über ein Erlebnis vom Ende meiner Amtszeit im Frühjahr 2016 zu berichten, als ich den damaligen US-Vizepräsidenten Joe Biden im Weißen Haus besuchte. Was unsere Mandate betraf, waren wir beide bereits „auf dem Sprung“, aber das Meeting bot mir die Chance, unserem wichtigsten Verbündeten gegenüber noch einmal die Bitte zu äußern, weiterhin für die Integration des Kosovo und der Region in die Europäische Union und die NATO einzutreten. Es war auch eine Chance, Vizepräsident Biden für drei Jahre aktiver Fürsprache und aufrichtigen Engagements für den Balkan zu danken, den viele vor und nach ihm als zu kompliziert, als nicht der Zeit und Mühe wert erachtet hatten.

Laut Protokoll gehört es zu den Aufgaben von Staatsoberhäuptern, Medaillen und nationale Ehren zu verteilen. Für meine Generation jedoch fühlte sich Bidens Engagement für den Balkan im Allgemeinen und für die Beendigung des Kriegs 1999 im Kosovo im Besonderen sehr persönlich an. Ohne die von Biden und einer Generation führender europäischer und US-amerikanischer Politiker angestoßene Intervention gegen die serbische Kampagne des Blutvergießens und der ethnischen Säuberungen im Kosovo hätte ich jetzt nicht in seinem Büro im West Wing gestanden. Mein Land und ich fühlten uns verpflichtet, ihm unsere Dankbarkeit zu erweisen.

Biden hatte vor kurzem erst seinen Sohn Beau, einen renommierten Anwalt, verloren. Im Büro, in dem wir uns trafen, waren zwischen den vielen schönen Familienerinnerungen der Biden-Familie Beaus Fotos prominent zu sehen. Mein Land hatte in diesen Erinnerungen seinen Platz: Beau Biden war nach dem Krieg in den Kosovo gekommen, um beim Aufbau des Rechtsstaats zu helfen, indem er Staatsanwälte ausbildete. Wir hielten es für eine angemessene Form, seiner zu gedenken, die Autobahn, die die kosovarische Hauptstadt Pristina mit der US-Militärbasis Bondsteel verbindet, nach ihm zu benennen. Es war gedacht als Zeichen unserer Wertschätzung für Biden und zugleich als symbolische Geste zur weiteren Stärkung der Beziehungen zwischen dem Kosovo und seinem wichtigsten Verbündeten.

Als ich Joe Biden den Beschluss überreichte, hielt ich mit Mühe meine Tränen zurück; meine Berater waren weniger erfolgreich. Im Jahr darauf kam Biden – nun bereits nicht mehr als US-Vizepräsident – gemeinsam mit seiner Familie zur Einweihung der Autobahn, als wir sie nach seinem verstorbenen Sohn Beau benannten. Er versprach, dass Generationen von Bidens den Kosovo besuchen kommen und Beaus Vermächtnis Respekt zollen würden, das nunmehr eingraviert ist in die wichtigste Arterie, die den Kosovo mit der Region und darüber hinaus verbindet – Traum eines Volkes, das dank Beaus und seines Vaters Hilfe Wirklichkeit geworden ist.

Atifete Jahjaga war von 2011 bis 2016 Präsidentin der Republik Kosovo. Sie ist Gründerin und Vorstandsvorsitzende der Jahjaga Foundation.

Diplomatie ist immer persönlich

Børge Brende

Wenn Politik die Kunst des Möglichen ist, wie Otto von Bismarck es formulierte, dann ist Diplomatie die Kunst des Persönlichen.

In ihrem mutigen Bestreben, eine friedlichere und bessere Zukunft zu gestalten, erweitern Diplomaten die Grenzen des Möglichen, indem sie Brücken über als unüberwindlich wirkende Gräben bauen und unverrückbar erscheinende Hindernisse aus dem Weg räumen. Durchbrüche wie das Camp-David-Abkommen oder das Tauwetter nach dem Kalten Krieg sind Beispiele für gelebte Diplomatie und ihre geschichtsträchtigen Errungenschaften – dafür, was geschickte Verhandlungsführer und Staatenlenker auch in schwierigen Situationen erreichen können.

Hinter diesen und anderen diplomatischen Heldentaten stehen persönliche Beziehungen, die sich zum Teil über Jahre herausgebildet haben. Über seine Freundschaft mit Präsident Anwar Sadat gelang es Präsident Jimmy Carter Ende der 1970er-Jahre, die Staatsoberhäupter Ägyptens und Israels zu ermutigen, den Weg des Friedens einzuschlagen. So trug die Vertrauensbeziehung zwischen den Präsidenten Ronald Reagan und Michail Gorbatschow entscheidend zur Vermeidung eines atomaren Schlagabtauschs und zur Beendigung des Kalten Kriegs bei.

Letztlich sind natürlich strategische Ziele und nicht persönliche Beziehungen die Triebfeder hinter den meisten diplomatischen Bemühungen. Der Erfolg dieser Bemühungen definiert sich aber darüber, ob die Beteiligten dort, wo sich die nationalen Interessen überschneiden, auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Aber: Persönliche Beziehungen sind immer dort wichtig, wo es darum geht, Risiken einzugehen, Pattsituationen zu lösen und Auswege zu finden. Diese Beziehungen entstehen meist im informellen Austausch, der den Diplomaten die Möglichkeit bietet, Vertrauen zueinander zu entwickeln.

Es stimmt schon, was häufig behauptet wird: Auf der Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums in Davos findet ein Großteil der Arbeit auf den Korridoren statt. Hier begegnen sich Minister, CEOs und andere Stakeholder von Angesicht zu Angesicht, um gemeinsame Schwerpunktthemen weiterzuverfolgen und um zugleich ihre Beziehungen zu pflegen. Die durch diese Begegnungen gebildeten und gefüllten Quellen des Vertrauens können dann genutzt werden, zukünftige diplomatische Projekte voranzutreiben.

Was geschieht, wenn sich scheinbar keine Gelegenheiten mehr bieten für dieses so wesentliche Element der Diplomatie – den Aufbau und die Pflege persönlicher Beziehungen?

In den frühen Tagen der COVID-19-Pandemie schien genau das einzutreten. Zwar fand der formelle diplomatische Austausch über digitale Plattformen weiterhin statt – die G20-Staaten trafen sich virtuell, die Vereinten Nationen eröffneten ihre Generalversammlung virtuell und selbstverständlich führten auch das Weltwirtschaftsforum und die Münchner Sicherheitskonferenz ihre Gipfeltreffen virtuell durch –, aber die für die Diplomatie so unverzichtbaren persönlichen Kontakte rückten auf einmal in unerreichbare Ferne.

Zum Glück haben sich die Befürchtungen nicht generell bewahrheitet. Die Beschränkungen der persönlichen Kontaktmöglichkeiten hinderten die Beteiligten nicht daran, sich auch im virtuellen Format von Zeit zu Zeit eher informell und spontan zu begegnen – vergleichbar damit, wie sie sich unter anderen Umständen auf den Korridoren der realen Begegnungsstätten über den Weg gelaufen wären.

Bevor beispielsweise die Panels des Weltwirtschaftsforum zu ihren virtuellen Gipfeltreffen zusammentraten, richtete das Forum einen „Redner-Raum“ ein und ermunterte die Panelteilnehmer – Minister, CEOs und Vertreter zivilgesellschaftlicher Gruppierungen–, sich zwanzig Minuten vor Beginn des offiziellen Austauschs einzuloggen. Mochten sich diese Gespräche auch zumeist auf Small Talk beschränken – wann immer sie stattfanden, führten sie dazu, dass die Atmosphäre in der anschließenden Diskussion deutlich kooperativer war und die Dialoge produktiver waren.

Die Frage lautet somit: Kann eine digitale Diplomatie die Begegnung von Angesicht zu Angesicht ersetzen? Hier ist ein Kompromiss, wie ihn jeder – aktive oder ehemalige – Diplomat anbieten würde: Beide Formen haben ihre Vorteile. Während virtuelle Begegnungen die Möglichkeit bieten, sich auch unter schwierigen Umständen „an einen Tisch“ zu setzen, bleibt die Präsenzbegegnung auf längere Sicht unersetzlich, um Beziehungen zu knüpfen und zu pflegen.

Børge Brende ist Präsident des Weltwirtschaftsforums. Er war von 2001 bis 2004 Umweltminister, von 2004 bis 2005 Handels- und Industrieminister und von 2013 bis 2017 Außenminister Norwegens.

Wozu Botschafter gut sind

Robert Cooper

Am Anfang waren die Prinzen. Aber es war gefährlich, sie allein aufeinander loszulassen. Prinzen wuchsen in einer Welt auf, in der ihnen alle zu gehorchen hatten, und ihre Berater fürchteten, der direkte Dialog mit einem anderen Herrscher könnte Unglück bringen. So erfanden sie die Botschafter – Männer des Protokolls und der Manieren, die imstande sind, in den Beziehungen zwischen stolzen Monarchen und aggressiven Staaten die Wogen zu glätten.

Wozu braucht es Botschafter, wenn es Telefone gibt?

Anfangs kamen sie als Gäste auf Zeit an fremde Höfe, um über konkrete Probleme zu verhandeln oder zu sehen, ob eine potenzielle Braut für ihren Prinzen geeignet war – Fotos lügen vielleicht nicht, aber Gemälde umso mehr. Der endlose Konkurrenzkampf unter den italienischen Stadtstaaten der Renaissance führte später zur Idee des ständigen Botschafters, der die Absichten und Machenschaften rivalisierender Herrscher auskundschaften konnte. Oder sie wurden als Höflinge entsandt, um über eine königliche Braut zu wachen, wie es Sir Henry Wotton für Elisabeth von Böhmen, die Tochter Jakobs I. von England, tat. Von ihm ist die ironische Definition eines Botschafters als eines ehrenwerten Mannes bekannt, der ins Ausland geschickt wird, um zum Besten seines Landes zu lügen. Aber das Gedicht, das er für Elisabeth, die „Winterkönigin“ von Böhmen, verfasste, zeigt ihn als einen Mann von Geschmack und Verstand.1

Die Kriege in Europa nahmen zu und damit auch die Notwendigkeit, potenzielle Feinde im Auge zu behalten und den Kontakt zu möglichen Freunden zu pflegen. Zu den Ergebnissen der Napoleonischen Kriege und des Wiener Kongresses gehörte die Verständigung auf ein System des regelmäßigen diplomatischen Austauschs. Die aristokratische Tradition der Diplomatie bestand fort – die Länder wurden nach wie vor von Königen und Höfen regiert. Das endete jedoch 1918, und die Kriegsschrecken des zwanzigsten Jahrhunderts machten die Diplomatie nicht weniger bedeutsam.

Im weiteren Verlauf des Jahrhunderts begannen die Menschen sich zu fragen: Wozu brauchen wir diese kostspieligen Menschen in ihren großen Häusern und mit ihren prunkvollen Festessen? Wenn die Staatenlenker miteinander sprechen wollen, konnten sie es doch auch direkt tun. Das erste interkontinentale Telefongespräch fand vor fast hundert Jahren – 1926 – statt. Seither fragen die Menschen: Wozu braucht es Botschafter, wenn es Telefone gibt?

Als Antwort auf diese Frage möchte ich hier einige Geschichten wiedergeben, die mir Freunde überwiegend aus dem britischen diplomatischen Dienst erzählt haben, ergänzt um einige persönliche Anekdoten aus meiner Zeit bei der Europäischen Union.

Nick Westcott

Nick Westcott war britischer Botschafter in einer Reihe afrikanischer Länder. In einem wurde ein britischer Tourist von einer der vielen bewaffneten Gruppen gekidnappt, die auf dem Land ihr Unwesen trieben. Wie geht man mit so einem Problem um? Nick führte ein langes Gespräch mit dem Präsidenten, der angeblich über geheime Drähte zu den Rebellen verfügte, und ließ nicht locker, bis der Präsident einen konkreten Vorschlag gemacht hatte, der gewisse Erfolgsaussichten zu haben schien. Er stellte den Kontakt zu einem Mann her, der als der „Fixer“ (Problemlöser) des Präsidenten galt: seinem Verbindungsmann zu den weniger respektablen Elementen des Landes. Als Nächstes fand also ein Gespräch – in einem Café, aber auch diesmal unter vier Augen – zwischen Nick und dem Fixer statt. Es folgte lange Funkstille, aber einige Monate später kam die Geisel frei.

In vielen – vielleicht sogar den meisten – Ländern werden die wirklich wichtigen Dinge von Angesicht zu Angesicht ausgehandelt. In Afrika ist es nahezu unmöglich, Entscheidungsträger ans Telefon zu bekommen oder in ihren Büros anzutreffen. Auch deshalb ist der Besuch von Beerdigungen ein unverzichtbarer Bestandteil der diplomatischen Tätig­- keit – abgesehen von dem Respekt für den Verstorbenen, den man damit bekundet. Im Vorfeld einer besonders heiß umkämpften Wahl war es Nick nicht gelungen, den für den Wahlprozess zuständigen Minister oder den Parteichef zu kontaktieren. Als aber unerwartet ein Minister aus dem Kabinett verstarb, erschienen die gesamte Regierung und die Parteispitze zu seiner Beerdigung. Nach der (sehr langen) Trauerzeremonie gelang es Nick, sich zu beiden Männern zu gesellen und nicht nur den verstorbenen Minister zu preisen, sondern auch offen über die Konsequenzen einer unverhohlenen Manipulation der Wahl zu sprechen. Die am Rande der Beerdigung geknüpften Beziehungen ließen sich über den gesamten Wahlprozess hinweg aufrechterhalten und halfen der Regierung schließlich zu akzeptieren, dass sie verloren hatte und sich einer friedlichen Machtübergabe nicht entgegenstellen sollte.

Robin Christopher

Robin Christopher wurde 1997 britischer Botschafter in Indonesien. Damals waren noch Präsident Suharto und die Armee an der Macht. Es war eine vergleichsweise gutartige Form von Militärherrschaft: Die Bildungs- und Lebensstandards verbesserten sich unter ihm. Der neue britische Außenminister Robin Cook besuchte Jakarta kurz nach Christophers Amtsantritt – eine gute Gelegenheit für einen neuen Botschafter, die maßgeblichen Personen kennenzulernen. Der Besuch verlief gut. Robin legte gerade eine Erholungspause an einem Strand ein, als er über Telefon vom Tod Prinzessin Dianas in Paris erfuhr. Er legte in der Botschaft ein Kondolenzbuch aus und fragte sich, ob die Menschen in Indonesien wohl Interesse zeigen würden. Und in der Tat: Diana hatte Indonesien einmal besucht und dabei einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Einige Wochen lang zog sich die Warteschlange rund um den Block. Wann immer Robin konnte, ging er dort vorbei, um einige der Wartenden zu grüßen und mit ihnen zu sprechen. Dann las er in der Zeitung, dass der indonesische Verein Christlicher Frauen einen Gedenkgottesdienst in der Kathedrale veranstalten würde. Robin und seine Frau Merril beschlossen hinzugehen, obwohl sie keine Einladung erhalten hatten. Gegen Ende des Gottesdienstes wurde verkündet, dass der britische Botschafter nun eine Trauerrede halten würde. Das kam überraschend, aber aus seinen Gesprächen mit den Menschen außerhalb der Botschaft wusste Robin genau, was er sagen sollte.

Ein nützliches Ergebnis von Außenminister Cooks Besuch war, dass er ein Gefühl für das Land, seine Menschen und seine Politik entwickelte. Und auch den Botschafter Christopher lernte er so besser kennen. Das half sehr, als die Krise kam. Indonesien hatte zwei große Probleme: den Finanzcrash, der Suhartos Diktatur beendete, und Osttimor. Beides hing miteinander zusammen, und die Krise war dualer Natur. Der Außenminister bestimmte die Politik, aber es war der Botschafter, der während dieser angespannten Zeit die konkreten Schritte vorschlug.

Die Militärherrschaft endete 1998. Suharto war im Februar desselben Jahres „wiedergewählt“ worden – mit B. J. Habibie als Vizepräsidenten. Habibie war ein brillanter Luftfahrtingenieur im Besitz eines Doktortitels von der RWTH Aachen. Bei Messerschmitt in Deutschland hatte er es bis zum Vizepräsidenten gebracht. Im Jahr 1974 hatte Suharto, der von einer eigenen indonesischen Luftfahrtindustrie träumte, ihn überredet, mit ihm nach Indonesien zurückzukehren, und ihn zum Forschungs- und Technologieminister gemacht. Nur Suharto dachte, dass Habibie einen guten Vizepräsidenten abgeben würde, aber damals zählte auch nur Suhartos Meinung.

Die asiatische Finanzkrise begann 1997 und erreichte ihren Höhepunkt im Frühjahr 1998. Indonesien war ihr größtes Opfer. Im Februar hatte Suharto noch die volle Kontrolle, aber bereits im Mai waren eine Million Menschen auf den Straßen, und viele Häuser und Geschäfte – insbesondere solche, die Chinesen gehörten – standen in Flammen. (Was machen Botschafter in solchen Zeiten? Sie helfen ihren Landsleuten, sich im Chaos zurechtzufinden, und organisieren im äußersten Fall ihre Evakuierung – wie es auch Robin und seine Kollegen taten.) Suharto beraumte eine Pressekonferenz an, und alle erwarteten, dass er seinen Rücktritt erklären würde. Stattdessen verkündete er eine Kabinettsumbildung. Erst als alle vorgesehenen Minister sich weigerten, ihre Posten anzutreten, gab er auf. Habibie, der gerade einmal drei Monate Vizepräsident gewesen war, übernahm. Die Armee hätte ihn stürzen können, aber vielleicht hatten die Stabilität und der Wohlstand der Suharto-Jahre sie träge gemacht. Habibie selbst erzählte Robin eines Tages, das Militär habe sein Haus am Abend zuvor umzingelt und ihn zum Amtsverzicht aufgefordert. Er habe sich geweigert und das Militär sei schließlich abgezogen. Habibie ritt ein Jahr lang auf der Welle der Revolution und geleitete Indonesien sicher zu den ersten freien Wahlen seit einer Generation.

Osttimor war bis zur Auflösung des portugiesischen Kolonialreichs 1975 portugiesische Kolonie gewesen. Im Zuge des Dekolonialisierungsprozesses erklärte die FRETELIN, eine marxistische Befreiungsbewegung, Osttimor für unabhängig. Daraufhin rückte die indonesische Armee von Westtimor ein und begann ihre 24 Jahre dauernde, von Gräueltaten gekennzeichnete Besetzung. Nur Australien erkannte den indonesischen Herrschaftsanspruch an. Portugal hatte seine übrigen Kolonien in die Unabhängigkeit entlassen, und als das Land 1985 der EU beitrat, sorgte es dafür, dass die EU am Ziel der Unabhängigkeit Osttimors festhielt. Das hatte unter anderem zur Folge, dass kein EU-Missionsleiter jemals Osttimor besuchte, obwohl dieses mittlerweile zum entscheidenden Dorn im Auge der indonesischen Außenpolitik geworden war.

Zur Zeit von Suhartos Sturz hatte das Vereinigte Königreich gerade die rotierende EU-Präsidentschaft inne. Robin führte die EU-„Troika“ – zu der neben ihm auch die Botschafter der vorangegangenen und nachfolgenden Präsidentschaftsinhaber gehörten – nach Osttimor zu einem Informationsbesuch. Die timoresische Bevölkerung bereitete den Boden für einen Sinneswandel bei Habibie, mittlerweile Präsident, der Osttimor „weitgehende Autonomie“ innerhalb Indonesiens anbot. Er erkannte, dass dieses Angebot der Legitimierung bedurfte, und willigte in ein von der UN organisiertes Referendum ein. Die Osttimoresen sollten um ihre Stimme für oder gegen eine Autonomie gebeten werden, und es war klar, dass ein Votum gegen die Autonomie als ein Votum für die Unabhängigkeit zu werten wäre. Robin gehörte zu den internationalen Beobachtern des Referendums, das wie eine Art Festival gefeiert wurde. Wenige Tage später verkündete Annan die überwältigende Ablehnung der Autonomie. In diesem Augenblick lief die indonesische Armee erneut Amok in Osttimor – brandschatzend, vergewaltigend, mordend und zerstörend.

Nach der Verkündung des Ergebnisses entließ Präsident Habibie den Anführer der osttimoresischen Unabhängigkeitsbewegung Xanana Gusmão aus dem Gefängnis in den Hausarrest. Robin hatte ihn zuvor im Gefängnis besucht und sah ihn nun erneut bei seiner Rückkehr vom Referendum. Gusmão sollte schon bald entlassen werden, aber die Nachrichten aus Osttimor machten klar, dass er dort nicht sicher wäre. Also fragte er Robin, ob dieser ihn stattdessen bei sich aufnehmen könnte. Robin erwirkte umgehend eine positive Antwort von seinem Außenminister, die indonesische Regierung erklärte sich einverstanden, und die britische Regierung stellte eine Schutzeinheit. Gusmão hielt sich zwei Wochen lang in der britischen Botschaft auf.

In dieser Zeit entsandte der UN-Sicherheitsrat ein Team von Botschaftern nach Indonesien. Sie trafen Gusmão in der Botschaft in Jakarta und drängten die Regierung, ihnen zu gestatten, General Wiranto, den Chef der indonesischen Armee, nach Osttimor mitzunehmen. Auch ein BBC-Team war dabei. Die BBC interviewte den General in den Ruinen der Hauptstadt Dili. Wiranto gab vor laufender Kamera zu, dass die Lage nicht unter Kontrolle war und wie geschockt er von der Zerstörung war, die das indonesische Militär und seine Milizen in Osttimor angerichtet hatten. Das ebnete den Weg für die spätere UN-Friedensmission.

Peter Westmacott

Westliche Hauptstädte sind weniger chaotisch, aber sie sind Schauplatz einer unendlichen Folge von Verhandlungen. Dies könnte die Stunde des Telefons sein, aber selbst, wenn Staatslenker direkt miteinander sprechen, müssen sie immer noch gebrieft werden.

Peter Westmacott war britischer Botschafter in Ankara, Paris und Washington. Ein Höhepunkt seiner Ankara-Mission spielte sich nicht dort, sondern in Brüssel ab. Es war jener Moment im Jahr 2004, als schließlich ein Datum für die Aufnahme von Verhandlungen mit der Türkei über die Mitgliedschaft in der Europäischen Union festgelegt wurde. Vorausgegangen war eine Zeit der Erfolge für die EU – die Reformen in Ost- und Mitteleuropa hatten es den meisten dieser Länder ermöglicht, der EU beizutreten. Auch die Türkei schien nun auf dem besten Weg, diesem Beispiel zu folgen. Dramatische Reformen hatten zur Verbesserung des Justizsystems geführt und die Integration der kurdischen Minderheit gefördert. Die Verhandlungen mit der Türkei gestalteten sich schwierig, und es gab noch so manches ungeklärte Problem, als der damalige Ministerpräsident Erdoğan im Dezember 2004 nach Brüssel reiste, wo die Entscheidung des Europäischen Rats zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei anstand. Tony Blair bat Peter Westmacott, ebenfalls zugegen zu sein. Peter hatte die Verhandlungen an der Seite von Ministerpräsident Erdoğan und den anderen Delegationsmitgliedern miterlebt und kannte sie alle persönlich. Ähnlich verhielt es sich dann auch während des angespannten Gipfels in Brüssel. Anschließend titelte eine türkische Zeitung: „Komm schnell, Peter“, in Anspielung auf eine Textnachricht, die ein Delegationsmitglied auf dem Höhepunkt der Verhandlungen an ihn gerichtet hatte, als ein verärgerter Erdoğan im Begriff war, unverrichteter Dinge wieder abzureisen. Diese Nachricht sagt alles.

Die Geschichte endete erfolglos. Die EU nahm Beitrittsverhandlungen auf, die Türkei ist nach wie vor ein wichtiger Partner Europas, aber das Land ist kompliziert und von schwierigen Nachbarn umgeben. Im November 2003 griff ein Selbstmordattentäter das britische Generalkonsulat in Istanbul an und tötete zwölf Mitarbeiter. Dann kam der Krieg im Nachbarland Irak, den 90 Prozent der türkischen Bevölkerung ablehnten. Der größte Schock aber kam, als der Annan-Plan zur Wiedervereinigung Zyperns nach jahrelangen Bemühungen zwar vom türkischen Bevölkerungsteil in Zypern gutgeheißen, vom griechischen Bevölkerungsteil aber abgelehnt wurde. Als Zypern anschließend der EU beitrat, schien das die Teilung eher noch zu bestätigen als zu beenden.

Ein anderes Beispiel dafür, was ein Botschafter tun kann, datiert aus Peter Westmacotts Zeit in Washington. Die Einwilligung des Irans zur Begrenzung seines Nuklearprogramms war seit dem Irakkrieg ein britisches und europäisches Ziel gewesen. Die Obama-Administration schloss sich der europäischen Initiative an und übernahm anschließend die Federführung. Sie richtete einen geheimen Kommunikationskanal zu den Iranern ein (keine Überraschung für jeden Verbündeten Washingtons). Das Ergebnis war, was wir immer schon angestrebt hatten: ein Abkommen zwischen dem Iran auf der einen und Großbritannien, Frankreich, Deutschland den Vereinigten Staaten, China und Russland – den „P5 + 1“2 – auf der anderen Seite. Das Abkommen, ein dickes Konvolut unter dem fantasievollen Kürzel „JCPOA“,3 begrenzte das iranische Nuklearprogramm und erlaubte Überprüfungen durch die IAEA. Im Gegenzug sollten die P5 + 1 die Wirtschaftssanktionen, die sie gegen den Iran verhängt hatten, aufheben.

Das war ein beachtlicher Erfolg, doch drohte in den Vereinigten Staaten eine Blockade des Abkommens durch den Kongress. Das Ergebnis war unter anderem das Werk des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu, unterstützt vom American Israeli Public Affairs Committee, der mächtigsten Lobbygruppe in Washington.

Für fast jedes Land in der Welt gilt: Niemand in der Regierung weiß mehr über das Land als sein Botschafter vor Ort.

Der Präsident kann gegen missliebige Gesetze sein Veto einlegen, aber eine Zweidrittelmehrheit des Senats kann sein Veto wiederum überstimmen. Das Ziel der Administration war somit eine Dreiviertelmehrheit der Stimmen im Senat. Peter Westmacott und seine Kollegen fanden, das Abkommen mit dem Iran habe Besseres verdient. Mal allein und mal gemeinsam mit Kollegen aus Deutschland, Frankreich, Russland und China sprach er mit Dutzenden von Senatoren und mehr als hundert Abgeordneten. Das Repräsentantenhaus und der Senat sind es gewohnt, mit der Administration zu verhandeln und gelegentlich bei anderen Regierungen zu intervenieren. Diese konzertierte Aktion war jedoch etwas Neues, und sie war erfolgreich.

Kurz danach wurde Westmacott gemeinsam mit dem neuen britischen Außenminister Philip Hammond bei Bob Corker, dem (republikanischen) Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Senats, vorstellig. Der für gewöhnlich leutselige und freundliche Senator überfiel sie mit der Klage, Großbritannien habe sich mit seinem Eintreten für JCPOA in die inneren Angelegenheiten der USA eingemischt, und er werde jede Wiederholung als einen persönlichen Affront betrachten. Während der Außenminister über diese Einstellung nur staunte, fragte Peter Westmacott, warum es okay wäre, wenn der israelische Premierminister gegen Präsident Obamas Politik agitiere, aber nicht, wenn der britische Botschafter sich für ein Abkommen einsetze, das sowohl Großbritannien als auch die USA unterzeichnet hatten.

Peter Sørensen

Ich schließe meinen Bericht mit zwei Geschichten aus meiner persönlichen Erfahrung. In beiden geht es nicht um Botschafter, aber immerhin um den Mann vor Ort – genau das, was ein Botschafter auch ist.4

Formell war der dänische Jurist, Soldat und Diplomat Peter Sørensen Dritter Sekretär in der dänischen Botschaft in Belgrad. Er hatte im dänischen Kontingent der EU-Beobachtermission in Kroatien und Bosnien gedient, als Rechtsberater für Carl Bildt in Sarajewo gearbeitet und anschließend als stellvertretender Leiter die UN-Mission im Kosovo begleitet. Peter Sørensen ist bodenständig, offen, freundlich und risikobereit. Als der Kosovo sich auf die Unabhängigkeit vorbereitete, wurde er von meinem Chef Javier Solana gebeten, als sein persönlicher Vertreter nach Belgrad zu gehen. Kopenhagen vermittelte ihm eine Stelle in seiner Botschaft, Brüssel gab ihm ein Telefon.5

Peter Sørensen lernte die serbischen Politiker kennen, die sich für den Kosovo interessierten, und machte sich selbst in Belgrad und Umgebung einen Namen. Unter anderem freundete er sich mit den – überwiegend gleichaltrigen – Mitarbeitern an, die das Büro von Präsident Boris Tadić führten.

Der Kosovo erklärte 2008 seine Unabhängigkeit. Im Lauf des folgenden Jahres erkannten die meisten EU-Mitgliedstaaten den Kosovo an – bis auf fünf. Im Herbst 2008 schlug Serbien vor, die UN-Generalversammlung möge den Internationalen Gerichtshof (IGH) um eine Einschätzung der Rechtmäßigkeit der kosovarischen Unabhängigkeitserklärung bitten. Die USA und die meisten EU-Länder waren dagegen, aber Serbien gewann die Abstimmung. Am Ende des Jahres schickte Präsident Tadić der EU einen Beitrittsantrag. Einige Mitgliedstaaten stellten sich quer mit dem Argument, Serbien möge sich in der Kosovo-Frage konstruktiver zeigen, bevor es sich um einen EU-Beitritt bewerbe.

Im Sommer 2010 war der IGH im Begriff, seine Stellungnahme zu veröffentlichen, und die EU musste reagieren. Wir unterbreiteten dem Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee der EU einen Entwurf, der ausführlich diskutiert wurde und desto kürzer wurde, je länger die Debatte dauerte. Nach fünf oder sechs Stunden stellten sich nur noch zwei Länder quer – eines wegen einer allgemeinen Abneigung gegen einseitige Unabhängigkeitserklärungen und das andere zusätzlich aus dem Grund, dass sein Präsident mit Präsident Tadić befreundet war.

Wir waren die ganze Zeit über telefonisch mit Peter Sørensen in Kontakt. Als das Komitee nicht voranzukommen schien, sagte er, er könne möglicherweise helfen. Er rief seine Freunde in Tadićs Büro an und sagte ihnen, dass die Bewerbung ihres Präsidenten für den EU-Beitritt nur dann angenommen würde, wenn die EU sich zuvor auf eine gemeinsame Position zum Kosovo verständigte. Diese Position wäre nicht das, was Serbien sich wünschte. Solange es aber keine abgestimmte Position zum Kosovo gäbe, würde die EU ihre Zeit mit Diskussionen über den Kosovo zubringen und nicht dazu kommen, sich mit dem serbischen Beitrittsantrag zu beschäftigen. Das waren intelligente Menschen, und sie verstanden den Punkt. Sie riefen ihre Kollegen im zweiten der oben erwähnten Länder an und sagten, dass Tadić einen EU-Konsens brauche und hoffe, dass sie mitmachen würden. Die Angerufenen sandten dann neue Anweisungen nach Brüssel. So blieb nur noch ein Mitgliedstaat übrig, der sich daraufhin ebenfalls dem Konsens anschloss.

Das war ein diplomatisches Meisterstück. Mit seiner Findigkeit, seinem Ruf als vernunftbegabter und ehrlicher Mensch und der Vertrauensbeziehung, die er zu den wichtigsten Personen entwickelt hatte, gelang Sørensen der entscheidende Coup. Das kann nur jemand vor Ort leisten.

Die EU-Stellungnahme war ein sorgfältig ausgearbeitetes Stück bürokratischer Prosa. Aber jetzt hatte die EU eine klare Leitlinie. Sie bezog keine Position zur Rechtmäßigkeit der kosovarischen Unabhängigkeitserklärung (wie es auch der IGH nicht tat), bot aber an, zwischen Serbien und dem Kosovo zu vermitteln, die damals keinen Kontakt zueinander hatten. Später wurde diese Formulierung Teil der Resolution der UN-Generalversammlung. Der Dialog begann einige Monate später und hält bis heute an. Er hat das Problem zwischen Serbien und dem Kosovo nicht gelöst, aber er hat den Prozess ein wenig befördert und geholfen, den Frieden zu wahren.

Andreas List

Meine zweite Anekdote handelt von einer kurzen Episode innerhalb einer längeren Geschichte. Gemeinsamt mit dem namhaften italienischen Politiker Piero Fassino besuchte ich als EU-Vertreter Myanmar. Es war der erste höherrangige Besuch seit Jahren. In Myanmar hatte eine unter einer neuen (und mit Fehlern behafteten) Verfassung gewählte neue Regierung die Welt mit der Entlassung von Aung San Suu Kyi aus dem Hausarrest überrascht und gab nun zu verstehen, dass sie wünschte, den Paria-Status ihres Landes zu beenden. Fassino und ich brachten eine einfache Botschaft mit: Wenn die Regierung zwei Dinge tat, würde die EU alle ihre Sanktionen aufheben, von denen einige bereits seit über zehn Jahren in Kraft waren. Was wir forderten, war erstens die Freilassung sämtlicher politischer Gefangener und zweitens, dass die National League for Democracy (NLD) – Aung San Suu Kyis Partei – die Erlaubnis bekam, am politischen Leben des Landes teilzunehmen.

Wir wurden wohlwollend empfangen. Wir wiederholten unsere Botschaft gegenüber jedem. Die Treffen waren formell. Nach asiatischer Sitte saßen wir nicht einander gegenüber, sondern nebeneinander. Die myanmarische Seite war in der Regel durch ihren Minister sowie Dutzende von Funktionären vertreten. Sie alle waren höflich, hörten aufmerksam zu, nickten und lächelten. Niemand stellte Fragen oder machte irgendwelche Einwände. Hatten sie verstanden, was wir ihnen anboten? Und was erwarteten sie von uns? Wenn die EU ihre Sanktionen aufgab, bestand die Chance, dass die USA unserem Beispiel folgen würden. Ich hatte Sorge, dass wir mit unserer Botschaft nicht durchdrangen.

Dieser offizielle Rahmen bot keine Gelegenheit für ein privates Gespräch. Als wir uns nach dem letzten offiziellen Treffen – dem letzten mit dem Außenminister– per Handschlag verabschiedeten, hielt ich als Letzter in der Reihe seine Hand lange genug fest, um ihm zu sagen, dass wir die Sanktionen verhängt hatten, weil wir auf unseren Fernsehschirmen birmanische Militärs auf Mönche in den Straßen hatten schießen sehen. Sie müssten also etwas ähnlich Aufsehenerregendes tun, um dieses Bild zu korrigieren. Wenn sie beispielsweise beschlossen, ihre politischen Gefangenen zu entlassen, wie ich es gefordert hatte, so sollten sie diese vielleicht alle an ein und demselben Tag entlassen. Das würde wie ein Weckruf um die Welt gehen.

Der Außenminister erwiderte nichts, er schaute mich nur perplex an, vielleicht sogar ein wenig geschockt. Am Abend gab der Vizeminister ein Abschiedsessen. Danach nahm er mich beiseite und sagte mir, sein Minister habe die Bitte geäußert, dass ich ihm gegenüber wiederholen möge, was ich früher am selben Tag dem Minister gesagt hatte. Das gab mir die Gelegenheit zu einer deutlicheren Erklärung. Ich sagte, es ginge uns darum klarzumachen, dass wir es ernst meinten. Unser Angebot wäre potenziell geeignet, die Beziehung Myanmars zu uns und anderen Ländern von Grund auf zu verändern.

Der Vizeminister hörte aufmerksam zu, aber es erfolgte keine Reaktion. Ich kehrte nach Rangoon zurück und bereitete mich auf die Abfahrt zum Flughafen vor, als der Vizeminister sich auf einer sehr schlechten Telefonleitung meldete – die Telefontechnik stammte noch aus den 1950er-Jahren. Er bezog sich auf unser Gespräch und fragte, ob ich genau erklären könne, was wir meinten, wenn wir von „politischen Gefangenen“ sprachen. Ich sagte ihm, wir würden ihm anderntags eine Liste zukommen lassen. Wir hatten seit zwanzig Jahren die Freilassung politischer Gefangener gefordert. Dies war das erste Mal, dass jemand fragte, wen wir meinten.

Das Geheimnis einer guten Außenpolitik ist einfach: Holen Sie sich ­einen guten Botschafter – und ­befolgen Sie seinen Rat.

Wo kommt der Botschafter ins Spiel? Die EU hatte keinen Botschafter in Myanmar, unser kleines Büro bestand lediglich aus drei Personen. Andreas List, der Leiter des kleinen Teams, kam einem Botschafter am nächsten. Er pflegte eine langjährige Leidenschaft für das Land und hatte sich abwechselnd im und außerhalb des Landes aufgehalten. Der ehemalige österreichische Diplomat war ein Kenner des Landes und seiner Menschen.

Vor dem letzten Treffen berichtete ich ihm von meiner Sorge, wir würden mit unserem Vorschlag nicht durchdringen, und meinte, vielleicht sollte ich versuchen, die Birmanen in ihrer erstarrten Höflichkeit zu schockieren. Ich erzählte ihm frei heraus, was ich dachte, und fragte ihn nach seiner Meinung. Seine Erwiderung? „Du kannst dir nicht vorstellen, wie lange ich schon darauf warte, dass jemand so etwas vorschlägt.“

Das war es, was ich brauchte: den Rat von jemandem, der das Land kannte. Das gab mir Mut, es zu versuchen. Ohne seine Ermunterung hätte ich es nicht getan.

Damit war seine Rolle aber noch nicht zu Ende. Ich sagte dem Vizeminister, dass ich ihm am nächsten Tag eine Liste schicken würde. Nur dass eine solche Liste nicht existierte. Also rief Andreas List seine Freunde aus den NGO-Kreisen zusammen, und gemeinsam erstellten sie eine Liste mit mehr als tausend Namen. Sie war alles andere als perfekt, aber wir konnten sie im Lauf der Zeit berichtigen und ergänzen. Vor allem aber taten die myanmarischen Stellen, was wir von ihnen verlangten – indem sie anfangs testweise einige wenige entließen und später, als die positiven Reaktionen im In- und Ausland spürbar wurden, immer mehr von ihnen. Am Ende kamen Tausende frei.

Noch eine andere Kleinigkeit brachte Andreas List zuwege: Die Debatten in Myanmars neuem Parlament waren steif und gestelzt wie unsere Treffen mit ihnen. Dass ein Viertel der Sitze Armeeoffizieren vorbehalten war, die vom Obersten Befehlshaber nominiert worden waren, machte die Sache nicht besser. Demokratie lebt von der Debatte und von Wahlen. Andreas organisierte Abendessen mit Abgeordneten an Tagen, an denen das Parlament tagte, damit sie über Themen wie Rechtsstaatlichkeit oder Handelspolitik sprechen konnten. Die Diskussionen waren stets lebendig, offen und fokussiert und endeten in der Regel mit Selfies reihum.

Nach einem weiteren Militärputsch begleitet von schrecklichen Gräuelakten befindet sich Myanmar mittlerweile in der nächsten Krise. Trotz der von den Militärs gezeigten Härte und der COVID-19-Krise hält der Widerstand an. Es ist erstaunlich, wie neun Jahre einer mittelmäßigen Demokratie unter einer mangelhaften Verfassung Myanmar verändert haben. Die Betroffenen, die ihr Leben und das ihrer Familien aufs Spiel setzen, verdienen alle Unterstützung, die wir ihnen geben können.

Eine letzte persönliche Reminiszenz: Im Jahr 1982 hatte ich aufgrund meines Jobs im Foreign and Commonwealth Office (dem britischen Außenministerium) Zugriff auf fast alle eintreffenden Telegramme. Mit Beginn unseres Kriegs mit Argentinien kam der normale Geschäftsbetrieb zum Erliegen. Ich las die Meldungen von Botschaftern, von denen ich noch nie gehört hatte – aus Ländern, die ich auf der Karte nicht zu finden wusste. Sie berichteten, dass sie eine Überfluggenehmigung erhalten oder bei einer Regierung den Aufschub einer Lieferung von warmer Kleidung an die argentinische Armee erwirkt hatten. Es war eine Art Heureka-Moment: Deswegen hatten wir an all diesen vergessenen Orten Botschafter! Und sie machten ihre Sache gut.

Für fast jedes Land in der Welt gilt: Niemand in der Regierung weiß mehr über das Land als sein Botschafter vor Ort. Jedes Land ist anders: andere Geschichte, andere Geografie, andere Hoffnungen und Sorgen, andere Persönlichkeiten. Das Geheimnis einer guten Außenpolitik ist einfach: Holen Sie sich einen guten Botschafter – und befolgen Sie seinen Rat.

Robert Cooper war Generaldirektor für auswärtige und politisch-militärische Angelegenheiten beim Generalsekretariat des Rats der Europäischen Union und war später als Berater des Europäischen Auswärtigen Dienstes tätig. Sein jüngstes Buch The Ambassadors– Thinking abowut Diplomacy from Machiavelli to Modern Times erschien 2021.

Diplomatie und Völkerrecht

Fatou Bensouda

Viele behaupten, Diplomatie und Multilateralismus gerieten außer Mode. Ich glaube nicht, dass das stimmt, aber ich beobachte mit Sorge, wie der Multilateralismus und die regelbasierte globale Ordnung zunehmend unter Druck geraten, wenn die Unantast­barkeit der Souveränität zur Rechtfertigung eines Ausnahmezustands sowie einer Ablehnung internationalen Rechts und der internationalen Rechtsordnung missbraucht wird.

Eine Hobbes’sche Welt, in der in einem gesetzlosen Chaos jede Nation für sich selbst kämpfen müsste, wäre in der Tat abscheulich und brutal. Das ist kein theoretisches Konstrukt, sondern die Realität der menschlichen Erfahrung und der Lehren aus der Geschichte mit ihren einander abwechselnden Phasen von Krieg und Frieden.