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Für die Ausbildung von Religionslehrerinnen und Religionslehrern ist dieses Buch seit vielen Jahren ein Muss. Nun wurde es gründlich durchgesehen und überarbeitet. Die Themen: Der Aufbau einer Religionsstunde – Der Umgang mit Texten, Bildern, Liedern und Medien (einschließlich Interaktives Whiteboard) – Erzählen und kreative Methoden – Was bedeutet religiöses Lernen?
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Seitenzahl: 317
Dieses Buch will zum religionsunterrichtlichen Handeln in der Schule hinführen. Es beschäftigt sich deshalb mit grundlegenden Elementen des Unterrichtens im Fach Religion und mit der Eigenart dieses Handlungsgeschehens. Dabei berührt es jedoch auf Schritt und Tritt auch Fragen, die von allgemeiner Bedeutung für heutigen Unterricht und heutige Schule sind. Die Herausforderung in einem Fach lassen sich nicht isoliert von den anderen Fächern und vom schulischen Umfeld überhaupt betrachten. Religionsunterricht ist ein Zimmer im Haus der Schule; er hat Anteil an den Irrungen und Perspektiven, den Hemmnissen und Veränderungsmöglichkeiten des sie umschließenden Ganzen. Umgekehrt vermag der Religionsunterricht von seinem eigenen Selbstverständnis her dieser heutigen Schule auch besondere Impulse zu geben.
Überhaupt stellt das Bild des Hauses m.E. eine sehr produktive Metapher dar, um Perspektiven für eine schüler- und sachgemäße Schule zu entwickeln: Schule als Haus des Lernens und Lebens. Es ist ein Gegenbild zur »Lernfabrik«, wie heutige Schule oft von Lehrerinnen und Lehrern, Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern erlebt wird. Das Bild vom Haus des Lernens und Lebens betont eine Ganzheitlichkeit: Neben Arbeitsräumen muss es auch Räume des gemeinsamen Lebens, Orte der Geselligkeit und der Festlichkeit, Zimmer des Gesprächs, Räume der Ruhe und Besinnung, Stätten der Übernahme von Verantwortung, Ateliers des Ausdrucks und der Gestaltung etc. geben. In all diesen Bereichen gibt es viel zu lernen – gerade heute – gerade angesichts der Herausforderungen der Zukunft. Weil Schule und Unterricht eine immer größere Bedeutung erhalten, ist es darüber hinaus erforderlich, dass sie nicht zu bloßen Aufenthaltsorten oder gar Aufbewahranstalten degenerieren, sondern sich zu Lebensräumen entwickeln, in denen die in ihr tätigen Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer auch ein Stück Beheimatung und Identifikation finden: Soll in ihr tatsächlich das Leben gelernt werden, muss die Schule ihr Lernverständnis im Sinne eines Hauses des Lernens und Lebens erweitern. Dass der Religionsunterricht als ein Zimmer mit eigenem Gesicht in einer solchen Schule Gestalt gewinne – auch darum geht es in den folgenden Überlegungen.
Was die Schule ist, entscheidet sich an der Qualität des Unterrichts, d.h. jeder einzelnen Unterrichtsstunde oder unterrichtlichen Einheit. Unterricht bildet das Herzstück der Schule. Jede Schulreform, die dieses Herzstück nicht erreicht, bleibt reine Makulatur. Im Unterricht muss das vielfältige Haus des Lernens und Lebens Gestalt gewinnen, genauer: Dieses Haus muss aus dem Unterricht erwachsen. Dabei ist das Herzstück Unterricht der am leichtesten und zugleich am schwersten zu verändernde Teil der Schule: am leichtesten, weil Unterricht das Ergebnis gemeinsamen Handelns von Lehrern und Schülern darstellt und deshalb morgen anders sein kann, wenn die Subjekte des Handelns in anderer Weise mit ihrer Wirklichkeit umgehen; am schwersten, weil Unterricht mit komplexen Gewohnheiten und Verhaltensmustern zu tun hat, die, sind sie einmal im Handeln etabliert, sich nur mit großer Aufmerksamkeit, Tatkraft und Geduld verändern lassen. Die Chancen stehen jedoch gut, denn der Leidensdruck aller an der Schule Beteiligten hat inzwischen ein Maß erreicht, das nach Alternativen und neuen Horizonten Ausschau halten lässt.
Gleichwohl: In gewisser Hinsicht ist die Schule besser als ihr Ruf. In ihr ist bei Weitem mehr möglich, als tagtäglich ergriffen und realisiert wird. Auch dies liegt an der Eigenart von Unterricht und Schule: Der »subjektive Faktor«, d.h. die Art und Weise, wie Lehrer und Schüler als Subjekte mit ihrer Wirklichkeit umgehen und die Lernmöglichkeiten der unterrichtlichen Handlungssituation nützen und fruchtbar machen, ist hier besonders hoch. »Gute« Lehrerinnen und Lehrer, die es an jeder Schule gibt, nützen diese Lernmöglichkeiten besser, gehen fruchtbarer mit ihnen um, als »weniger gute«. Natürlich sind auch strukturelle Veränderungen in der Schule notwendig: Veränderungen, die mit ihrer Funktion als Instrument der gesellschaftlichen Chancenzuteilung, mit ihrem Lernverständnis sowie mit ihren Lernformen zu tun haben; sie treten jedoch erst dann angemessen ins Blickfeld, wenn wir die Möglichkeiten der unterrichtlichen Handlungssituation entdeckt haben und in ihrer Realisierung auf diese strukturellen Grenzen stoßen. Überhaupt muss jede Schulreform in dieser Weise zunächst von »innen«, von der Behinderung und Befreiung dieser unterrichtlichen Handlungspotenziale ausgehen, sonst wird sie schnell zu einer jener »Reformen«, die von den Kolleginnen und Kollegen vor allem als zusätzliche Last empfunden werden und im Übrigen alles beim Alten lassen oder gar erschweren. Auch hier weist die Welt von Schule und Unterricht eine eigene Logik und Gesetzmäßigkeit auf.
Dieses Buch ist zum einen gedacht für die Hand von Berufsanfängern, die ihr Studium abgeschlossen haben und nun ihre ersten Schritte als Lehrkraft im Religionsunterricht der Schule beginnen. Dazu bietet es mit Grundmodellen des unterrichtlichen Handelns gleichsam Geländer und Halteseile, an denen sich Neulinge festhalten können, um in der komplexen Situation des Unterrichtens Orientierung und auch Handlungsformen zu gewinnen. Religionsdidaktik muss solche Geländer bereitstellen. Versäumt sie dies, dann werden über dem Neuling beim ersten Unwetter die stürmischen Wasser zusammenstürzen und er wird in seiner Not und Hilflosigkeit die verinnerlichten Lehr- und Lernmuster seiner eigenen Schulzeit aktualisieren und sich an sie klammern; zuerst oft mit schlechtem Gewissen, dann mit einem zunehmenden Gefühl der Resignation und Bitterkeit, im schlimmsten Fall mit Sarkasmus. Auf diese Weise wiederholen sich in zwanghafter Art Unterrichtsmuster von einer Lehrergeneration zur nächsten, jenseits religionsdidaktischer Reflexion und Kontrolle. Religionsdidaktik muss reflektierte Handlungsmuster zur Verfügung stellen, damit die Handelnden nicht gezwungen sind, auf ihre verinnerlichten unreflektierten Handlungsmuster zurückzugreifen.
Diese Grundmodelle des unterrichtlichen Handelns sind aus meiner Tätigkeit als Leiter der religionspädagogischen Ausbildung im Priesterseminar Bamberg erwachsen. Zuvor war ich elf Jahre an einer gewerblichen Berufsschule hauptamtlich als Religionslehrer tätig. Während der ersten Jahre hatte ich immer das Gefühl, dass zwischen dem, was ich tat und vor allem wie ich es tat einerseits, und der Religionsdidaktik, in der ich in meinem Studium zu denken gelernt hatte andererseits, ein Unterschied, eine Kluft, ja da und dort gar eine Gegensätzlichkeit bestand. Und ich entdeckte sehr bald, dass diese Erfahrung viele Kolleginnen und Kollegen mit mir teilten. Die typische »Theoriemüdigkeit« der Schule hat vermutlich hier ihren Grund: im tiefsitzenden Gefühl, dass die schönen Worte der pädagogischdidaktischen Theorie bei dem, was der Alltag verlangt, oft wenig hilfreich sind. Ich begann schließlich zu dieser Alltagspraxis des Unterrichtens Zutrauen zu finden und sie zur Grundlage meiner religionsdidaktischen Reflexion zu machen. Bezugspunkt allen Nachdenkens wurde auf diese Weise der religionsunterrichtliche Handlungszusammenhang, wie er sich in der Schule als Unterricht tagtäglich konstituiert. Für die Hinführung zum Unterricht in der religionspädagogischen Ausbildung ging ich nun daran, dieses Alltagshandeln – zunächst mein eigenes und dann jenes von Kolleginnen und Kollegen – systematischer zu beobachten, zu rekonstruieren, es religionsdidaktisch zu reflektieren und daraus verallgemeinerbare Modelle des Handelns zu entwickeln. Zentrale Frage war dabei: Welche eigene Handlungslogik ergibt sich aus den jeweiligen unterrichtlichen Erfordernissen? Ein Ergebnis dieser Bemühungen stellen die in diesem Buch dargestellten Grundmodelle des unterrichtlichen Handelns dar.
Diese Modelle wollen nicht eine bestimmte Form des Religionsunterrichts normieren oder gar zementieren; sie wollen gangbare Wege schülergemäßen und sachgerechten Unterrichtens zeigen, auf denen Anfänger gehen können, um im komplexen »Gebirge« der Unterrichtssituation Handlungskompetenz zu erlangen. Haben sie sich mit der Eigenart der »Gegend« vertraut gemacht und Sicherheit gewonnen, so können, ja sollen sie ihren eigenen Schritt und Tritt finden. Auch hier hat sich die pädagogisch-didaktische Begleitung im besten Sinne überflüssig zu machen. Wobei der gefundene eigene Schritt und Tritt nie beliebig sein kann: Er muss auf die komplexe Handlungssituation abgestimmt sein, damit das Handeln nicht »abstürzt«. Die hier vorgestellten Grundmodelle stellen jeweils ein Wegesystem dar; sie wollen ermutigen, andere Wegesysteme des professionellen Handelns im Religionsunterricht zu finden.
Unterrichten ist in dieser Weise auch Kunst des Handelns: Es muss auf die Handlungssituation abgestimmt sein, es erfordert ein waches Auge, es muss genau sein, man muss es üben, darin Erfahrungen machen, und es braucht einige Jahre, bis man die Kunst beherrscht. Wie bei jeder Kunst gilt es dabei, Regeln zu erlernen – nicht, um sie danach sklavisch anzuwenden, sondern um schöpferisch mit ihnen umzugehen. Und auch beim Unterrichten ist die reifste Form des Handelns jene, die von Intuition geleitet ist. Jedoch auch hier: Intuition steht am Ende eines langen Prozesses, nicht am Beginn; sie ist erfahrungsgesättigt; sie ist nicht gegen die Regeln gerichtet, sondern sie hat die Regeln verinnerlicht; sie weiß um ihre Reichweite und damit auch um ihre Begrenzung. Der Intuition trauen zu können, ist die Frucht der erfahrenen Praktikerin und des erfahrenen Praktikers.
Dieses Buch ist zum anderen gedacht für Religionslehrerinnen und Religionslehrer, die schon länger unterrichten und das Bedürfnis haben, ihr eigenes religionsunterrichtliches Handeln zu reflektieren. Die Tätigkeit des Unterrichtens erzwingt in gewisser Weise ständig Reflexion, Vergewisserung, Einordnung neuer Erfahrung; gerade heute, in einer Zeit des beschleunigten gesellschaftlichen Wandels. Von diesen Veränderungen sind alle Bezugspunkte des Religionsunterrichts betroffen: die Schülerinnen und Schüler, die Lehrerinnen und Lehrer, die kulturelle sowie die religiös-kirchliche Situation und die Schule insgesamt. Unterrichtliche Handlungsweisen, die vor zehn oder zwanzig Jahren sich noch als Lösung anboten, haben inzwischen ihren Glanz verloren oder sich als untauglich erwiesen; andere Lernformen rücken in den Raum der Wahrnehmung und bedürfen der Beachtung. Die neue Situation wirft grundsätzlich die Frage auf, worin denn das religiöse Lernen im Religionsunterricht der Schule heute überhaupt bestehe und welches die grundlegenden Elemente dieses Lernens zu sein vermögen.
In diesem Klärungsprozess wollen die folgenden Überlegungen einen Beitrag leisten. Sie tun dies nicht in erster Linie in theoretischer Absicht – wenn auch theoretische Implikationen immer mitgedacht und mitformuliert sind –, sondern sie wollen reflektiertes und verantwortliches Unterrichten ermöglichen, das seinen Schülerinnen und Schülern sowie seiner Sache gerecht wird. Im Zentrum steht deshalb ein religionsunterrichtliches Handeln, welches sich auf die Entfaltung der Lernmöglichkeiten im schulischen Zusammenhang richtet. Gelingt diese Entfaltung, dann wird der Religionsunterricht von allen Beteiligten: Schülern, Lehrern sowie Eltern als ein sinnvolles und wertvolles Unterfangen erlebt, das gerade in der heutigen Schule einen wichtigen Platz einnimmt. Eine solche Legitimation von innen, d.h. von der unmittelbaren Erfahrung und Einschätzung derjenigen, die direkt mit dem Religionsunterricht zu tun haben, ist unverzichtbar und muss zur Legitimation von außen über schulpädagogische Begründungen sowie rechtliche und politische Abstützungen hinzutreten, soll der Religionsunterricht auf Dauer in der Schule verankert sein.
In den 15 Jahren seit dem ersten Erscheinen der »Kunst des Unterrichtens« hat sich in der Schule einiges verändert. Der Schock der PISA-Studie aus dem Jahre 2000, die dem deutschen Schulsystem im internationalen Vergleich schlechte Noten attestierte, führte dazu, dass Schule und Unterricht zu einem Thema der gesamtgesellschaftlichen Diskussion wurden. Seitdem wechseln sich in schnellem Takt Ideen und Vorschläge ab, die versprechen, das Lernen auf die Höhe der Zeit und die Schule zum Erfolg zu führen. Werden die Reformvorschläge jedoch nicht den Grundstrukturen des Unterrichts und einer daraus erwachsenden Logik des Lehrens und Lernens gerecht, dann verblassen diese Reformvorschläge nach kurzer Euphorie und die alten Probleme treten uns in neuem Gewande gegenüber. Die »Kunst des Unterrichtens« hat diese Grundstrukturen im Blick und entwickelt hieraus elementare Gestaltungsräume als Modelle des unterrichtlichen Handelns. Dies mag der Grund dafür sein, dass »Die Kunst des Unterrichtens« inzwischen in vielen Studienseminaren zu einer Basislektüre geworden ist. Dramaturgie des Unterrichts, Balance zwischen Außen- und Innenorientierung, Konzentration auf das Hauptmedium, die Logik der Erschließung des Lerngegenstandes, die Schritte Erarbeitung – Sicherung – Gestaltung sind dabei entscheidende Stichpunkte. Der neuen, durchgesehenen und erweiterten Auflage ist zu wünschen, dass sie den Blick schärft für diese Logik des Unterrichtens und so hilft, einen Religionsunterricht zu gestalten, der sowohl der Botschaft des Glaubens als auch den Schülerinnen und Schülern gerecht wird.
»Die größten Schwierigkeiten liegen da, wo wir sie nicht suchen.«
Johann Wolfgang von Goethe
Vieles im Religionsunterricht geht schief, weil es zu grob daherschreitet, weil es blind ist für den unterrichtlichen Handlungszusammenhang, auf den es sich richtet. Auch die gegenwärtige religionspädagogische Debatte über die Zukunft des Religionsunterrichts liebt allzu sehr den großen Schritt und sucht entweder in der konzeptionellen Vergewisserung oder in der Klärung der Konfessionsfrage die Probleme heutigen Religionsunterrichts zu lösen. Gegenüber dieser Orientierung des Interesses an religionspädagogischen Makrofragen gerät der religionspädagogische Handlungszusammenhang, wie er sich in der Schule als eigenes Bedingungsgefüge konstituiert, weithin aus dem Blickfeld. Aber es sind gerade die konkreten Bedingungen, die sich den hehren Konzeptionen und Entwürfen eigenartig entgegenstellen. Tatsächlich: »Die größten Schwierigkeiten liegen da, wo wir sie nicht suchen« – im vergessenen und übersehenen Mikrokosmos des religionsunterrichtlichen Praxisfeldes. Dies heißt nicht, dass die »großen« Fragen nach
Konzeption bzw. nach der Zukunft des konfessionellen, konfessionell-kooperativen oder ökumenischen Religionsunterrichts irrelevant wären1; aber diese Makrofragen müssen sich an der eigenen Logik des religionsunterrichtlichen Mikrobereichs brechen. Erst im Durchgang durch dieses eigentümliche Handlungsgefüge gewinnen sie ihre originäre Bedeutung; erst hier tritt ihr religionsdidaktisches Gesicht in seiner ganzen Ernsthaftigkeit und Schärfe zutage. Denn die Bedingungen des religionsunterrichtlichen Handlungszusammenhangs, wie sie uns tagtäglich in der Schule begegnen, stellen nicht nur Begrenzungen dar, sie enthalten auch die eigentlichen Möglichkeiten des religiösen Lernprozesses in der Schule. Diese Potenziale zu entdecken, zu heben und zur Gestalt zu bringen, stellt die eigentliche Aufgabe, besser: die Kunst des Unterrichtens dar.
UNTER HANDLUNGSLOGISCHEN Gesichtspunkten liegt in der Begrenzung zugleich die Bedingung des Handelns.
Ein wesentliches Grundelement des religionsunterrichtlichen Handlungszusammenhangs ist die Unterrichtsstunde. Gerade weil sie so selbstverständlich ist, gehört sie wohl zu den am meisten ignorierten oder verkannten Bedingungen nicht nur heutigen Religionsunterrichts, sondern der Schule überhaupt. Häufig erscheint sie als quantitativ-lineares Zeitkontinuum, das, gleich einer leeren Flasche, mit Unterricht zu füllen ist. Unser Unterricht mag sich noch so schülerorientiert, korrelativ oder diakonisch verstehen – liegt ihm ein solches Verständnis zugrunde, dann verfehlt er die Schüler; er verfehlt auch die Sache des Religionsunterrichts und mit ihr die religiöse Qualität seiner Lernprozesse. Die Unterrichtsstunde weist vielmehr ein qualitativ-gestalthaftes Gefüge mit eigener Dramaturgie und spezifischer Zeitstruktur auf. Und die Möglichkeiten und Chancen des Lernens sind in diesem eigentümlichen Gefüge verborgen.
Häufig wird die Unterrichtsstunde, zumal in universitären Reflexionen über die »Praxis des Religionsunterrichts«, gerne vor allem unter dem Gesichtspunkt wahrgenommen, dass sie das Lernen einschränke: Wie solle man das, worum es dem Religionsunterricht gehe, denn im Korsett des 45-Minuten-Taktes realisieren können; Religionsunterricht in der Schule sei deshalb von vornherein ein problematisches Unterfangen. Diese Wahrnehmungsweise ähnelt der jenes Malers, der sich eine entgrenzte Leinwand wünscht, um seine Vorstellungen ins Bild zu setzen. Er wird jedoch bald entdecken, dass mit der größeren Fläche sich neue Probleme einstellen und die alten weithin bleiben. Es gehört gerade zu seiner Kunst, dass er sich auf begrenztem Raum auszudrücken vermag. Unter handlungslogischen Gesichtspunkten liegt in der Begrenzung die Bedingung des Handelns. Durch das Begrenzungsgefüge konstituiert sich zugleich das Möglichkeitsgefüge, das eigentümliche Reservoir an Potenzialitäten des Lernprozesses. Für Schüler und Lehrer hätte es wohl ungemein erschwerende Konsequenzen, würde die Unterrichtsstunde auf 60, 80 oder gar auf 100 Minuten ausgedehnt. Vermutlich schlägt sich in der 45-minütigen Begrenzung der Unterrichtsstunden nieder, was sich in einem langen historischen Erfahrungsprozess der Institutionalisierung von Unterricht als ein gutes Maß schulischen Lernens herausgebildet hat. Dies heißt nicht, dass nicht auch andere gute zeitliche Maßeinheiten denkbar sind; unterschiedliche Arten des Lernens weisen unterschiedliche Zeithorizonte aus. Darüber hinaus können zeitliche Lerneinheiten in bestimmten Projekten immer auch geöffnet und erweitert werden.
Gleichwohl tun alle unterrichtlichen Zeiteinheiten gut daran, die Grenz- und Möglichkeitsstrukturen zu berücksichtigen, wie sie im 45-Minuten-Maß zutage treten. Das Problem von Schule und Unterricht liegt heute weithin nicht so sehr in ihrer Begrenzung, sondern in ihrer Grenzenlosigkeit gegenüber den Schülerinnen und Schülern: der Grenzenlosigkeit fachwissenschaftlicher Ansprüche, des Lehrplans, der ständig produzierten Eindrücke, des dauernden Geredes; der Maßlosigkeit der von außen bestimmten Zeit und der ständig geforderten Aufmerksamkeit etc. Die Schule muss ihre Maßlosigkeit überwinden, sie muss ihre Grenze finden vor der Welt der Schülerinnen und Schüler. Richtet sich das unterrichtliche Handeln an diesen Grenzstrukturen aus, eröffnen sich ihm gleichzeitig die Möglichkeitsstrukturen des Lernens; ignoriert es diese Grenzen, geraten ihm zugleich die Potenziale des Lernens aus dem Blickfeld. Beides gehört zusammen; es sind die zwei Seiten derselben Medaille. Diese Paradoxie gehört zur Eigenart des unterrichtlichen Handelns: Ist unser unterrichtliches Verhalten grenzenlos, geht es an den Schülerinnen und Schülern vorbei, und das Lernen ist ein frustrierendes und wenig ergiebiges Unterfangen; beachten wir dagegen die Grenzen, vermögen die Lernprozesse eine weithin ungeahnte Vielfalt und Intensität zu erlangen.
Im Folgenden soll es deshalb um die Dramaturgie und die eigene Zeitstruktur der Unterrichtsstunde gehen: in der Perspektive eines Grundmodells des Unterrichtsaufbaus bzw. der Unterrichtsgestaltung.
Dabei verwende ich weithin die gebräuchlichen Formulierungen des unterrichtlichen Phasenverlaufs. Diese unterschiedlichen Phasen sind jedoch nicht fachwissenschaftlich, d.h. theologisch, etwa aus dem Prinzip der Korrelation deduziert, obwohl sie sich im Nachhinein vor dem Hintergrund des korrelativen Wechselspiels von Glaube und Erfahrung interpretieren lassen. Diese Phasen sollen die Logik des religionsunterrichtlichen Handlungszusammenhangs deutlich machen und widerspiegeln, wie er sich in der Schule konstituiert.
Es lassen sich sechs Phasen des Unterrichtsverlaufs unterscheiden, in denen sich die Dramaturgie einer Unterrichtsstunde entfaltet. Dabei weist jede dieser sechs Phasen eine eigene Notwendigkeit und Dignität auf:
Vorphase des UnterrichtsMotivation/Dramaturgische PlatzierungErarbeitungSicherung/VertiefungAusdruck/GestaltungAusklangDie Stunde beginnt mit dem Klingelzeichen; der Unterricht beginnt, wenn der Lehrer ihn eröffnet. Die Phase zwischen Stundenbeginn und Unterrichtsbeginn lässt sich als vorunterrichtliche Phase bezeichnen. Dass uns diese Phase heute als Problem und Aufgabe der Unterrichtsgestaltung ins Bewusstsein tritt, hängt mit den veränderten Bedingungen von Kindheit und Schule zusammen.
In dieser Phase geht es um Voraussetzungen von Unterricht, die sich der Unterricht selbst schaffen muss: um die Herstellung eines gemeinsamen Erfahrungs- und Lernraumes, in dem die religionsunterrichtlichen Lernprozesse stattfinden können. Wird dieses Fundament nicht geschaffen, dann kommt es im späteren Unterricht aufgrund der nicht erledigten Aufgaben des Anfangs immer wieder zu Störungen und Konflikten, mag sein Verlauf auch noch so minutiös durchdacht und geplant sein. Genauerhin sind in dieser Vorphase des Unterrichts vier Aufgaben zu lösen:
Kinder nehmen, ebenso wie Erwachsene, die Lernsituation ganzheitlich wahr. Die Räumlichkeit des Lernortes wirkt sich in starker Weise auf ihr Reagieren und Verhalten aus. Es ist der Unterschied zwischen einem gedeckten und einem nicht gedeckten Tisch in einem gestalteten oder nicht gestalteten Raum, an den sich eine Gruppe zum Essen setzt. Obwohl wir in fundamentaler Weise auf die räumliche Strukturierung und Ästhetik reagieren, ist dies den Schülern und leider auch vielen Lehrern weithin nicht bewusst: Die Räumlichkeit gehört zum großen Reservoir der un- bzw. vorbewussten Bedingungsfaktoren des Unterrichtens. Von ihr kann Unruhe oder Ruhe, Diffusion oder Konzentration angeregt werden. In der Grundschule ist hier ein gewisses Bewusstsein vorhanden. Je höher jedoch die Klassen, desto zufälliger und auch fantasieloser stellen sich die Räume dar. Oft konkurrieren sie mit der Sterilität von Krankenzimmern in Kliniken, unterbrochen vielleicht durch einige von den Schülern mitgebrachten Bildern aus Jugendzeitschriften. Vor allem an Gymnasien finden sich weithin die trostlosesten Lernräume. Weder Lehrer noch Schüler würden sich freiwillig längere Zeit darin aufhalten. Lehrerinnen und Lehrer müssen von der Wirkung und Bedeutung der Räumlichkeit wissen, um die vorgefundenen Bedingungen im Klassenzimmer möglichst günstig für das Unterrichts- und Lerngeschehen zu gestalten. Die schlechteste aller Möglichkeiten ist, wenn Meister Zufall regiert und Lehrer – wie Schüler – etwa eine unstrukturierte und zusammenhanglose Sitzordnung, die sich beispielsweise aus der Zusammenlegung zweier oder mehrerer Klassen im Religionsunterricht »einfach so ergibt«, als fraglose Realität des Unterrichtens nehmen. In den allermeisten Fällen gibt es Interventions- und Gestaltungsmöglichkeiten. Die unterschiedlichen Sitzordnungen eignen sich je nach dem Lehr- und Lernstil einer Klasse; in jedem Falle soll die Sitzordnung die unterrichtliche Kommunikation nicht behindern, sondern begünstigen.
Die Tafel liegt im zentralen Blickfeld der Schüler; von ihr soll, gerade am Beginn des Unterrichts, Ruhe ausgehen: Die Tafelbilder der vorhergehenden Unterrichtsstunden sollten deshalb abgewischt sein – auch dann, wenn die Tafel nicht im Unterricht gebraucht wird. Der Religionsunterricht hat, wie jedes andere Fach, ein Recht, mit einer leeren Tafel zu beginnen und die ganze Tafel im Unterricht als Lehr- und Lernmittel benutzen zu können. Manchmal muss dies vorhergehenden Lehrkräften ins Bewusstsein gebracht werden, die Tafelbilder hinterlassen und über die Schüler der nachfolgenden Lehrkraft mitteilen lassen, dass diese »noch gebraucht werden«. Auch sollte die Tafel nicht mit einem Kreidefilm verschmiert sein. Eine gut geputzte Tafel ist wie die neu aufgeschlagene Seite in einem Heft, in der die nun beginnende Unterrichtsstunde Gestalt gewinnen kann; sie gehört zu den Anfangsritualen einer Unterrichtsstunde. Natürlich ist es auch möglich, eine Unterrichtsstunde mit einem Tafelbild zu beginnen, das der Lehrer vor dem Unterricht an der Tafel gestaltet hat. Dieses Tafelbild gehört aber dann zur neuen Unterrichtsstunde. Meist ist es in solchen Fällen besser, das Tafelbild im Inneren der Tafel anzubringen, sie zu schließen und am Beginn aufzuschlagen.
Prinzipiell geht es darum, den »neuen« Unterricht nicht mit »altem« zu belasten. Dies trifft auch auf den »Arbeitsplatz« der Schüler zu: Hefte und Bücher der vorhergehenden Stunden oder auch sonstige Dinge auf den Tischen lenken ab. Es ist beispielsweise kein Zeichen von Schülergemäßheit, wenn die Kinder Trinkflaschen zur immerwährenden Verwendung auf ihren Tischen stehen haben, so wichtig auch das Trinken für die Schüler und für das Lernen sein mag; oder wenn sich auf den Arbeitstischen Teddybären oder sonstige »Spiel-Lernsachen« befinden. Insbesondere hier gilt: Wenn ich arbeite, arbeite ich, wenn ich trinke, trinke ich, wenn ich spiele, spiele ich: Alles muss in der Schule zu seinem Recht kommen, jedoch nicht alles zusammen. Gerade vom unmittelbaren Blick- und Handlungsfeld der Schüler soll Aufmerksamkeit und Konzentration angeregt werden. Der Lehrer muss dieses Problem wahrnehmen; in den unteren Klassen ist er für den Arbeitsplatz der Schüler mitverantwortlich: Hier ist es erforderlich, den Schülerinnen und Schülern genaue Anweisungen zu geben, welche Lern- und Arbeitsmaterialien sich auf den Tischen befinden sollen. Es kann hilfreich sein, genaue Anweisungen zu geben, etwa: »Schließt euer Mäppchen und legt es mit dem Heft und dem Buch an eure obere Tischecke.« In den höheren Klassen sollten hier die Lehrkräfte mit den Schülerinnen und Schülern in partnerschaftlicher Weise Übereinkünfte suchen.
Zu den dinglichen Voraussetzungen zählt weiterhin frische Luft im Klassenzimmer, für die der Lehrer sorgen muss; sie gehört zu den physiologischen Voraussetzungen des Lernens und der Entwicklung von Energie und Konzentration. In diesen Bereich fällt ebenso die Wahrnehmung und Gestaltung der Lärm- und Lichtverhältnisse. Meist ist es günstiger, vor dem Unterricht zu lüften und dann die Fenster zu schließen, um den Außenlärm möglichst gering zu halten.
Einen weiteren Bereich bildet das Herrichten und das kurze Ausprobieren der Geräte, die im Verlauf der Unterrichtens verwendet werden: Tageslichtprojektor, CD- und DVD-Player, Fernsehgerät, Beamer etc. Viele Klassenzimmer haben zwar einen Tageslichtprojektor, jedoch keine oder nicht genügend freie Fläche für die Projektion der Folien. In der vorunterrichtlichen Phase kann der Lehrer solche Probleme wahrnehmen und Lösungen suchen. Es ist auch günstig, die Verdunkelung schon jetzt zu betätigen und die Beleuchtung einzuschalten; wenn dann die Projektion beginnen soll, muss einfach nur noch das Licht gelöscht werden. Prinzipiell geht es darum, dass die verwendeten Unterrichtsmittel später, wenn sie im Unterricht eingesetzt werden, keine Störungen verursachen, die den Unterrichtsprozess abbrechen lassen.
Zentrales Moment der vorunterrichtlichen Phase ist die Herstellung einer Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern jenseits der Einschränkungen des Unterrichts. Unterricht konstituiert sich durch eigene Grenzen und Begrenzungen des Handelns und Wahrnehmens: auf ein Fach oder ein Thema, auf bestimmte Unterrichtsziele und -zwecke, auf bestimmte Medien, Lernverfahren und Lernschritte etc. Durch diese Eingrenzungen werden erst die Bedingungen schulischen Lernens geschaffen: die Fokussierung und Konzentration der Aufmerksamkeit auf den Lerngegenstand. Umgekehrt gilt aber auch: Diese Fokussierung geht mit einer Eingrenzung und Reduzierung der Wahrnehmung einher. Von hier aus ergibt sich das Erfordernis einer Balance zwischen Offenheit und Fokussierung als Notwendigkeit des Lehr- und Lernhandelns. Wird diese Balance nicht gesucht, dann geraten Schule und Lehrer in Gefahr, die Kinder und Jugendlichen nur noch in ihrer Rolle wahrzunehmen: als Schüler und Lernende im Religionsunterricht, in Mathematik, in Deutsch etc. und in Bezug auf die Ziele dieser Fächer. Eine Folge dieser »institutionellen Blindheit des Lehrerhandelns«: Häufig haben Lehrer, selbst wenn sie jahrelang mit denselben Schülern wöchentlich zwei oder mehrere Stunden zusammen sind, den Eindruck, sie wüssten nichts von ihnen. Die oft empfundene Seelenlosigkeit heutiger Schul- und Unterrichtswirklichkeit hängt mit dieser funktionalen Reduktion zusammen. Wenn dagegen, wie das Selbstverständnis heutiger Religionslehrerinnen und -lehrer zeigt, die »Identitätsentwicklung« der Schülerinnen und Schüler vorrangige Aufgabe des Religionsunterrichts ist2, dann muss der Religionsunterricht sich auch für deren Leben und für deren Welt öffnen.
Die Vorphase des Unterrichts enthält die Möglichkeit, vor den unterrichtlichen Einschränkungen die Schülerinnen und Schüler in einer offenen Weise wahrzunehmen: die Klasse als Gruppe in ihrer besonderen Stimmung, ihren »Klassengeist« sowie einzelne Schüler. Der Lehrer nimmt die Signale der Schülerinnen und Schüler wahr; er ist ansprechbar; er hat einen Blick für ihre Gegenwärtigkeit. Und diese Gegenwärtigkeit muss möglichst oft zu ihrem Recht kommen können, ehe im Unterrichtsprozess von ihr fortgeschritten werden kann. Dieser Blick auf die Kinder und Jugendlichen in ihrer Besonderheit, in ihrem Wachsen, in ihren Selbstdefinitionen ist die Basis der Lehrer-Schüler-Beziehung, die für den Unterricht von entscheidender Bedeutung ist. In der vorunterrichtlichen Phase werden hierzu die Weichen gestellt.
DAS MITLEBEN, DAS unwiederbringliche Teilen der Lebenszeit, ist ein Aspekt des Lehrerseins, den wir stärker betonen sollten.
Das, was erfahrene Klassenlehrerinnen und -lehrer vor der ersten Unterrichtsstunde von 7.45 bis 8.00 Uhr an Gewinn für ihren Unterrichtstag allein dadurch beziehen, dass sie einfach da und für die Schülerinnen und Schüler als Mensch ansprechbar und erreichbar sind, muss grundsätzlich für jede Lehrkraft und jedes Fach gelten, wenn auch vor der ersten Unterrichtsstunde hierfür sicherlich ein breiterer Raum zur Verfügung steht. Bevor wir mit den Schülern lernen, müssen wir mit ihnen zusammenkommen; bevor wir von ihnen etwas wollen, müssen wir ihnen begegnen; bevor wir sie zu Zielen führen, müssen wir sie in ihrer konkreten Verfassung annehmen. Dabei wird eine Logik des unterrichtlichen Handelns deutlich, die prinzipielle Bedeutung hat: von der Offenheit zur Strukturiertheit, vom Ganzen zum Detail. Nur wenn sich die Kinder und Jugendlichen wahrgenommen und mitgenommen fühlen, werden sie die unterrichtlichen Lernwege auf Dauer mitgehen. Diese offene Beziehung zu den Schülern hat auf einer grundsätzlichen religionspädagogischen Ebene auch damit zu tun, dass ein Lehrer viele Stunden seines Lebens mit seinen Schülern verbringt und mit ihnen diese unwiederbringliche Lebenszeit teilt. Dieses Mitleben ist ein Aspekt des Lehrerseins, den wir zukünftig stärker betonen sollten, gerade wenn wir »es mit den Lebensproblemen der Schüler aufnehmen (müssen), bevor wir ihre Lernprobleme lösen können«, wie Hartmut von Hentig gefordert hat.3
Nach der Herstellung einer Beziehung zu den Schülern liegt ein weiterer Aspekt der vorunterrichtlichen Phase darin, dass der Lehrer eine Beziehung zur eigenen Person sucht. Dies hat etwas mit Ruhigwerden, mit Konzentration und mit einer kurzen Besinnung zu tun. Wie eine gute Rede mit einem Augenblick der Stille »anfängt«, so soll die Unterrichtsstunde mit diesem Moment der Konzentration und Ruhe beginnen. Es ist eine Art »Tiefung«, die hierdurch hergestellt wird. Der Begriff der Tiefung stammt aus der Gestaltpsychologie und meint, dass eine Person zu ihren Tiefenschichten eine Beziehung sucht, bevor sie sich zum Ausdruck bringt. Ebenso wie sich Hektik und Unruhe auf die Klasse übertragen, hat ein Moment der Ruhe und Konzentration Auswirkungen auf die Schüler. »Religiös wird Sprache niemals vom Thema, sondern ausschließlich von ihrer Qualität her«, sagt Hubertus Halbfas.4 Und diese Sprach- und Ausdrucksqualität vermag sich hier schon anzubahnen. Dieser Bezug zur eigenen Person vor den Schülern kann damit einhergehen und verbunden werden, dass der Lehrer den räumlichen Ort im Klassenzimmer einnimmt, der der eigenen Person und dem eigenen Religionslehrersein angemessen ist. Wenn dieser Ort immer derselbe ist, kommt es zu wichtigen Ritualisierungen und »Verankerungen«: Die Schüler und auch die Lehrkraft verbinden mit der Einnahme dieses Ortes den Moment der Konzentration und das Signal, dass nun gleich der Unterricht beginnt.
Überhaupt ist es günstig, wenn die vorunterrichtliche Phase mit einer körperlichen »Synchronisierung« abschließt. Die einfachste Form: Lehrer und Schüler stehen auf, werden ruhig, begrüßen sich und setzen sich wieder hin. Im Religionsunterricht bietet es sich an, nach der Begrüßung ein Gebet oder einen Text zur Meditation und Besinnung zu sprechen; Lehrer, einzelne Schüler und die ganze Klasse können sich von Stunde zu Stunde abwechseln. Den Schülern sollte die Möglichkeit gegeben werden, hierzu eigene Texte mitzubringen, die für sie Bedeutung haben (Gebete, Liedverse, Zitate etc.).
Ein qualitativer Unterschied ergibt sich in gemeinsam gesprochenen Gebeten über die erzeugte kollektive Rhythmik; ein Herunterleiern sollte jedoch vermieden werden. Noch wirkungsvoller ist ein gemeinsam gesungenes Lied, das die Schüler zuvor im Unterricht gelernt haben. In den unteren Klassen vermögen Bewegungslieder, deren Inhalt und Symbolik die Schüler in Gesten und Bewegungen nachvollziehen, kleine Wunder zu bewirken. Es geht darum, über eine gemeinsame körperliche Bewegung der unterschiedlich gerichteten Energie der Schüler eine Form zu geben und über die äußerliche Gemeinsamkeit eine innere Gleichgestimmtheit und Synchronisation anzuregen.
Diese Gleichgestimmtheit ist eine Konstitutionsbedingung von Unterricht: Unterrichtliche Lernprozesse sind wesentlich gekennzeichnet durch ein gemeinsames oder besser: durch ein kollektives Lernen. Hierin unterscheiden sie sich von anderen Formen der Wissensaneignung; hierin unterscheiden sich vor allem auch Religionsunterricht und Schulseelsorge.5
Die fehlende Gleichgestimmtheit der Schüler ist es, die in der Schule heute weithin zum Problem geworden ist: Schülerinnen und Schüler sind mit sich, ihren inneren Impulsen und Gefühlen, mit ihrer Situation zu Hause oder auf dem Schulhof etc. beschäftigt und werden davon bewegt. Je heterogener die konkrete Gestimmtheit einer Klasse infolge der aktuellen Situation oder aufgrund ihrer Gesamtverfassung induziert ist, desto wichtiger wird die körperliche Synchronisation am Beginn des Unterrichts. Sie hat nichts mit Drill oder gar mit Gleichschaltung zu tun; sie versucht die unabdingbaren Bedingungen für den gemeinsamen Lernprozess herzustellen. Wir werden in späteren Phasen der Unterrichtsstunde die Notwendigkeit des Wechsels vom gemeinsamen zum individuellen Lernen und der Balance zwischen beidem entdecken; zu Beginn der Stunde ist es jedoch zumeist die gemeinsame, kollektive Seite des Lernens, die im Vordergrund steht.6
Es ist sicherlich nicht zufällig, dass wir in den letzten Jahren ein Bewusstsein für die körperliche Dimension des Lernens entdeckt haben: Entspannungs- und Stilleübungen, Meditation, Autogenes Training, Tanz, Bewegungsübungen7, Tai Chi, edukinästhetische Übungen8 etc. haben in viele Formen des außerschulischen Lernens Eingang gefunden – gerade weil uns heute die Körperlichkeit zum Problem geworden ist. Vor allem in der Schule macht uns die »motorische« und »hypermotorische« Energie der Schüler zu schaffen. Es geht jedoch darum, diese Körperlichkeit der Schüler nicht nur als Störung des Unterrichts wahrzunehmen. Im Gegenteil: Solche »Störungen« bringen uns vom Unterricht nicht weg, sondern sind Indikatoren, Symptome, die uns den Weg zu einem angemessenen unterrichtlichen Handeln weisen. In den körperlichen »Störungen« steckt die Energie – wir könnten auch sagen: die fehlgeleitete Energie – des unterrichtlichen Lernens. Über die Wahrnehmung der Körperlichkeit und über ihre unterrichtliche Gestaltung gilt es, die in ihr steckenden Antriebskräfte in das unterrichtliche Lernen einzubringen. Die Palette dieser körperlichen Ausdrucks-und Synchronisationsmöglichkeiten ist breit; vieles muss einfach entdeckt und zur Kenntnis genommen werden, was Praktikerinnen und Praktikern vor Ort aus einem guten Gespür heraus entwickelt haben und mit Erfolg umsetzen.9 Dabei hat sich in den letzten Jahren besonders in der Grundschule eine selbstverständlichere Praxis herausgebildet. Das Problem stellt sich jedoch ebenso in der Sekundarstufe I und II. Auch hier gilt es, die noch zaghaften Ansätze an angemessenen Formen zu erweitern und neue Möglichkeiten zu entdecken und zu erproben. So kann etwa in der Adventszeit der Lehrer eines Gymnasiums die Stunde mit einer Oberton-Klangschale beginnen. Hierzu versammelt sich die Klasse in einem Kreis auf dem Boden im hinteren Teil des Klassenzimmers. Die Klangschale wird ausgepackt und in die Mitte gestellt. Der Lehrer schlägt den ersten Ton an und gibt das Anschlagholz weiter; drei Schüler schlagen nacheinander die Klangschale an und bestimmen dabei die Länge der Pause dazwischen selbst. Danach liest der Lehrer eine kurze Adventsgeschichte vor. Ein letzter Anschlag durch den Lehrer beendet diese kurze Meditation. Die Schülerinnen und Schüler kommen dabei zur Ruhe über das aufmerksame Hören auf die verklingenden Töne, durch die Wahrnehmung der Stille in der Lerngruppe sowie die Symbolik der Geschichten. Viele Formen außerschulischen Lernens, die sich zunehmend »ganzheitlich« verstehen, vermögen hier sicherlich wichtige Impulse für den Unterricht zu geben.
Nachdem in der Vorphase die Voraussetzungen gestaltet wurden, beginnt nun der Unterricht im eigentlichen Sinne mit der Motivation oder – aus einer etwas anderen Perspektive formuliert –, mit der dramaturgischen Platzierung der Sache, um die es in der Unterrichtsstunde gehen soll. Die Aufgabe dieser Phase ist es, die Aufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler nach außen auf den zu erarbeitenden Inhalt, genauer: auf das Hauptmedium zu richten.10 Die Schüler sollen die Bereitschaft entwickeln, die Wahrnehmung ihrer inneren Impulse und Regungen zugunsten dieser Außenorientierung zurückzustellen. Die Lehrkraft ist in ihrer Unterrichtsgestaltung für den sensiblen Haushalt zwischen Außen- und Innenorientierung der Schüler verantwortlich. Beide sind wichtige »Aggregatsformen« schulischen Lernens; beide sind jedoch immer nur begrenzt aufrechtzuerhalten, wobei sie sich gegenseitig bedingen und ermöglichen. Das Ignorieren dieses eigentümlichen Aggregatshaushaltes ist eine der wesentlichen unterrichtlichen Ursachen für Unruhe und Lernunlust. Analog zum gemeinsamen Lernen steht am Beginn der Unterrichtsstunde meist die Außenorientierung der Schüler, das Interesse am neu zu lernenden Gegenstand.
JE GANZHEITLICHER die sinnliche Wahrnehmung in der Motivationsphase, desto umfassender aktualisieren die Schüler ihre Lernergien.
Ein wichtiger Aspekt der Herstellung dieser Außenorientierung in der Motivationsphase ist die Mobilisierung von Energie für die folgende Erarbeitung und Erschließung. Dabei spielen die unterschiedlichen sensorischen Erfahrungszugänge über die Sinne, vor allem über das Ohr, das Auge und den Bereich der Kinästhetik11 eine besondere Rolle; sie müssen angeregt und »aufgeschlossen« werden. Eine Lehrkraft, die einen Kieselstein aus der Tasche zieht, ihn den Schülern zeigt, unter Umständen herumreicht, etwas zu seiner Größe, Härte, zu seinen im Flussbett abgeschliffenen Ecken und Kanten sagt und dann den Hinweis gibt, dass in der nun folgenden Geschichte ein solcher Stein eine wichtige Bedeutung hat, vermag für die Erzählung von David und Goliat (1 Sam 17,1–50) in stärkerer Weise die Lernbereitschaft zu mobilisieren, als wenn sie nur eine mündliche – und damit nur den akustischen Zugangskanal ansprechende – Hinführung gibt. Je »ganzheitlicher« die sinnliche Wahrnehmung in dieser Phase, desto umfassender aktualisieren die Schüler ihre Lernenergie.
Eine solche Sinnlichkeit ist mit recht einfachen Mitteln viel häufiger und leichter herzustellen, als es auf den ersten Blick erscheint. Andererseits: Einer umfassenden Sinnlichkeit sind in der Schule aus mancherlei Gründen immer wieder Grenzen gesetzt. Nicht zu jedem Stundenthema kann der Lehrer einen sichtbaren, greifbaren oder hörbaren Gegenstand mitbringen. Dies ist auch nicht notwendig und wäre zudem nicht wünschenswert. Fehlt die konkrete Sinnlichkeit, dann kann der Lehrer sie durch eine bildhafte, anschauliche Sprache in der Fantasie der Schüler, quasi auf ihrer »inneren Bühne«, anregen und lebendig werden lassen. Er kann erzählen, etwa von dem Kieselstein, den jede Schülerin und jeder Schüler schon einmal aufgehoben, in der Hand gehalten, angeschaut und gespürt hat etc. Die buntesten und lebendigsten Geschichten sind bekanntlich in der Wüste entstanden, in Ermangelung bunter und lebendiger Realität.12 Auch die Fantasie kann die Sinne der Schüler wecken und aufschließen.
Hier wie in vielen anderen Aspekten des Unterrichtens liegt fast alles in der Vermeidung eines Monismus, vor allem der häufig dominierenden Kultivierung des dürren Wortes im diskursiv-begrifflichen Lehrer-Schüler-Gespräch und, damit zusammenhängend, der nur akustischen Zugangsweise. Wichtig ist deshalb ein Wechsel von Stunde zu Stunde, eine Balance zwischen akustischen, visuellen und kinästhetischen Motivationen. Diese Balance ist auch von den Schülern her erforderlich: Manche sind mehr visuell, andere mehr akustisch oder kinästhetisch in ihrer Weltwahrnehmung geprägt. Soll sich der Unterricht nicht nur auf einen Wahrnehmungstyp beziehen, dann muss er den verschiedenen Erfahrungszugängen der Schülerinnen und Schüler gerecht werden.13 Gerade in der Motivationsphase, welche die Lernbereitschaft wecken und die Lernenergie aktivieren soll, ist diese Vielgestaltigkeit von besonderer Bedeutung.
Viele Motivationen lassen sich auf drei unterschiedliche Motivationsstrategien zurückführen:
• Motivation von einem thematischen Zusammenhang her: Dieser thematische, inhaltliche oder intentionale Zusammenhang ist bei den Schülern bereits lebendig. Die Motivation spricht ihn an und macht deutlich, dass die neue Unterrichtsstunde in ihn eingebettet ist.
• Motivation von den Erfahrungen der Schüler her: Sie spricht Erfahrungen und Erlebnisse der Schüler an, aktualisiert sie und macht deutlich, dass die heutige Stunde mit diesen Erfahrungen zu tun hat.
• Motivation vom Hauptmedium der Stunde her: