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"Ich bin ein Versager!" oder "Das verdiene ich gar nicht!" - fast jeder kennt Denkmuster wie diese, die allzu oft das Selbstwertgefühl negativ beeinflussen. Sich selbst zu akzeptieren ist jedoch eine wesentliche Quelle von Zufriedenheit und Lebensglück. Wie kann man effektiv sein Selbstwertgefühl verbessern? Heinz-Peter Röhr zeigt, wie die von ihm entwickelte neue Methode der Selbstwertanalyse ermöglicht, innere negative Programmierungen zu verändern und emotionale Probleme aufzulösen. Ein Buch, das hilft, Selbstliebe zu entwickeln und zu einem gelingenden Leben zu finden.
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Seitenzahl: 286
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Buch lesen
Cover
Haupttitel
Inhalt
Über den Autor
Über das Buch
Impressum
Hinweise des Verlags
Heinz-Peter Röhr
Die Kunst, sich wertzuschätzen
Angst und Depression überwinden – Selbstsicherheit gewinnen
Patmos Verlag
Entscheidend ist nicht, woher du kommst, sondern wohin du willst.
(Autor unbekannt)
Einleitung
Teil 1: Die Selbstwertanalyse
Wie entwickelt sich das Selbstwertgefühl?
Drei grundlegende Fragen
Was ist Selbstwertanalyse?
Zusammenfassung
Geheime Programme
Das geheime Programm Ich bin nicht willkommen
Das geheime Programm Ich genüge nicht
Das geheime Programm Ich bin nicht satt geworden / Ich bin zu kurz gekommen
Weitere geheime Programme
Zusammenfassung
Gegenprogramme
Das Gegenprogramm Leistung/Erfolgssucht
Das Gegenprogramm Sucht nach Anerkennung
Das Gegenprogramm Helfen
Das Gegenprogramm Anpassung/Überanpassung
Das Gegenprogramm Sich hinter einer Maske verstecken
Weitere Gegenprogramme
Zusammenfassung
Neue Programme
Wie lernt ein Mensch neue Glaubenssätze?
Das neue Programm Ich bin willkommen
Das neue Programm Ich genüge (mir) immer
Das neue Programm In mir ist alles, was ich brauche
Das neue Programm Ich bin ein Gewinner
Was hilft, die neuen Programme zu installieren?
Zusammenfassung
Neues Verhalten
Teil 2: Selbstwertanalyse und Persönlichkeit
Die depressive Persönlichkeit
Geheime Programme und Gegenprogramme
Neue Programme
So wie wir denken, fühlen wir auch – wie Gefühle entstehen
Depressive Erkrankung oder depressive Verstimmung?
Zusammenfassung
Die narzisstische Persönlichkeit
Geheime Programme und Gegenprogramme
Neue Programme
Die narzisstische Verstimmung
Narzisstischer Missbrauch
Zusammenfassung
Die abhängige Persönlichkeit
Geheime Programme und Gegenprogramme
Neue Programme – neues Verhalten
Liebessucht
Mobbing
Zusammenfassung
Die hysterische Persönlichkeit
Geheime Programme und Gegenprogramme
Die Angst vor Zurückweisung
Krankhafte Eifersucht
Selbstwertanalyse und Sexualität
Der Autonomie-Abhängigkeitskonflikt
Zusammenfassung
Die zwanghafte Persönlichkeit
Geheime Programme und Gegenprogramme
Die zwanghafte Persönlichkeitsstörung
Die Zwangsstörung
Zusammenfassung
Die schizoide Persönlichkeit
Geheime Programme und Gegenprogramme
Neue Programme
Zusammenfassung
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung
Geheime Programme und Gegenprogramme
Neue Programme
Zusammenfassung
Sexuelle Traumatisierung
Geheime Programme und Gegenprogramme
Fortgesetzte sexuelle Traumatisierung – sexuelle Hörigkeit
Neue Programme
Zusammenfassung
Teil 3: Selbstwertanalyse und Selbstwertentwicklung in der Praxis
Die heilende Kraft der Selbstvergebung
Heilende Bilder im Neuen Testament
Schuld oder Verantwortung?
Die Kunst zu verzeihen
Das Gespräch mit der inneren Ratgeberin oder dem inneren Heiler
Auf dem Weg der Selbstentfaltung
Psychotherapie ist Begeisterung
Die Frage nach dem Sinn des Lebens
Ein neues Bewusstsein durch Meditation
Zum Abschluss: Werden Sie »hellsichtig«!
Anhang
Fragebogen zum geheimen Programm Ich bin nicht willkommen
Fragebogen zum geheimen Programm Ich genüge nicht
Fragebogen zum geheimen Programm Ich bin nicht satt geworden/Ich bin zu kurz gekommen
Anmerkungen
Literatur
Die Seele zwingt uns dazu, uns mit dem auseinanderzusetzen, was wir im Innersten sind.
DALAI-LAMA
Wer bin ich in meinem Innersten, wer bin ich wirklich? Um sich dieser Frage zu nähern, muss man sich dem eigenen Selbstwertgefühl zuwenden – und das wird wesentlich durch unsere Entwicklung geprägt. Das Selbstwertgefühl ist etwas, das man immer bei sich trägt, das ständig präsent ist, bei Tag und bei Nacht, das die Stimmung maßgeblich beeinflusst, die Lebensfreude bestimmt, über Erfolg oder Misserfolg entscheidet, also in besonderer Weise für unser Lebensglück verantwortlich ist. Deshalb gehört es ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit gestellt.
Wir glauben, viel für unser Selbstwertgefühl zu tun, wenn wir uns Mühe geben, gute Leistungen erbringen, erfolgreich sind, uns um unser Äußeres kümmern, etwa durch Schminken oder schöne Kleidung. Dabei bleibt das Selbstwertgefühl von solchen Aktionen letztlich wenig beeindruckt. Gerade extreme Anstrengungen sind eventuell schädlich, da sie das Gegenteil von dem bewirken können, was wir erreichen wollen. Die Leistungs- und Konsumgesellschaft suggeriert hier falsche Lösungen: Wer viel hat, ist glücklich; wer wenig hat, muss unglücklich sein. Wer eine hohe Position bekleidet, ist wertvoll; wer arbeitslos ist, wertlos. Diese Klischees sind oft tief in unserem Denken verankert. Wie sehr Erfolg, Reichtum, Macht usw. vielfach nur »Beruhigungsmittel« sind, wird nicht verstanden.
Aber wie kann man effektiv an seinem Selbstwertgefühl arbeiten? Sind wir unserem Schicksal ausgeliefert oder gibt es wirksame Lösungen? Mit Hilfe der in diesem Buch vorgestellten Selbstwertanalyse lassen sich die inneren negativen Programme, die unser Selbstwertgefühl untergraben, verstehen. Weiterhin wird deutlich, welche neuen Programme zu einer positiven Veränderung führen. So wird es möglich, die Wahrnehmungsperspektive zu erweitern und eine neue Vision für das eigene Leben zu entwickeln und umzusetzen.
Die meisten seelischen Krankheiten sind Folge eines gestörten Selbstwertgefühls. Dazu gehören Depressionen, Angststörungen, Suchterkrankungen und Persönlichkeitsstörungen. Für Menschen, die Mobbingopfer werden oder ein Burnout erleben, ist es ebenfalls hilfreich und effektiv, sich mit der Selbstwertanalyse zu beschäftigen, um so neue Perspektiven zu erkennen und in den Alltag zu integrieren.
An den Anfang haben die Götter die Diagnose gestellt – so heißt es in der Medizin und so muss es auch im Bereich der Psychotherapie heißen. Nur wenn ein Problem wirklich verstanden ist, die Ursachen klar und beschreibbar sind, kann nach einer wirklichen Lösung gesucht werden. Leider wird viel zu häufig der wahre Grund für Symptome nicht gesehen und nicht entsprechend gewürdigt. Viele seelische Probleme haben ihre Wurzeln bereits in der Kindheit. Die Entwicklung der Persönlichkeit, gerade während der frühen Phasen, ist ein sensibler Prozess, der leicht beeinflusst werden kann. Störungen haben nachhaltigen Charakter, da die Psyche geprägt wird und bestimmte Muster in das erwachsene Leben »mitgenommen« werden. Die Behandlung seelischer Probleme kann nur dauerhaft gelingen, wenn die frühen Verletzungen und Kränkungen des Selbstwertgefühls aufgearbeitet werden. In der Psychotherapie ist die Rede vom »Wiederholungszwang«. Bestimmte Probleme und Störungen haben die Eigenschaft, immer wieder aufzutauchen. Warum das ohne innere Veränderung so sein muss, wird ausführlich bei der Beschreibung der Selbstwertanalyse erklärt.
Wer sich mit seinem Selbstwertgefühl beschäftigt, braucht Mut. Viele haben Angst vor dem, was in ihrem Innersten geschieht, und vor den Kräften, die hier wirken. Der berühmte Psychoanalytiker C. G. Jung sprach in diesem Zusammenhang vom »Schatten«, den jeder Mensch in sich trägt, und meinte damit die Persönlichkeitsanteile, die nicht so gerne gesehen werden, die nicht zu dem Bild zu passen scheinen, das wir von uns persönlich haben und das wir auch anderen zu vermitteln suchen. So wie unser Schatten verfolgen uns diese geheimnisvollen Programme. Erst wenn wir den Mut haben, sie wahrzunehmen, wenn wir sie verstehen, können wir wirksame Strategien entwickeln, um besser mit ihnen zurechtzukommen.
Jeder Mensch ist ein individuelles, einzigartiges Wesen. Dennoch werden in der Psychologie verschiedene Persönlichkeitsstrukturen beschrieben, die man immer wieder vorfindet. Typische Muster wie das Depressive, das Narzisstische, das Abhängige, das Zwanghafte, das Hysterische oder das Schizoide gehören zum Menschen. Die meisten tragen Eigenschaften verschiedener Persönlichkeitstypen in sich. Ist eines dieser Muster stark ausgeprägt, z.B. das Depressive, entstehen typische Probleme, auch bezüglich des eigenen Selbstwertgefühls. Diese spezifischen Probleme werden im zweiten Teil des Buches aufgezeigt, mit dem Ziel, individuelle Wege zu erkennen.
Im dritten Teil geht es um die Selbstwertanalyse und Selbstwertentwicklung in der Praxis, wobei auch spirituelle Aspekte einbezogen werden. An vielen Stellen liest sich das Neue Testament wie eine Anleitung zur Entwicklung eines neuen Selbstwertgefühls. Den Bildern wohnt eine heilende Kraft inne, sie können einen therapeutischen Prozess wirkungsvoll unterstützen. Des Weiteren geht es im dritten Teil um Selbstakzeptanz und Selbstliebe – das Ziel jeder Psychotherapie. Sie sind die Quelle von innerer Zufriedenheit und die Voraussetzung für Beziehungsfähigkeit, Begegnungen auf Augenhöhe und gelingendes Leben. Selbstverwirklichung wird so erst möglich.
Mein Anliegen ist es, mit Hilfe dieses Buches aufzuzeigen, wie die Entwicklung von Selbstliebe möglich wird. Es ist eine Vertiefung und wesentliche Erweiterung meines Buches Wegweiser zum Glück. Die geheimen Programme der Seele entschlüsseln, das ebenfalls im Patmos Verlag erschienen ist, dem ich an dieser Stelle herzlich danken möchte. Die Selbstwertanalyse ist eine psychotherapeutische Methode, die einen raschen Zugang zu tiefen Störungen des Selbstwertgefühls ermöglicht. Viele Menschen, die sich mit der Methode vertraut machten, bekräftigten, dass sie erstmals ein wirkliches Verständnis für ihre emotionalen Probleme gewinnen konnten.
Sehr herzlich möchte ich wieder meinen Patientinnen und Patienten danken, die mit ihrem Mut zur Offenheit maßgeblich dazu beitrugen, dass ich vieles besser verstehen durfte. Meiner Tochter Michaela danke ich sehr herzlich für die zahlreichen Anregungen und Hinweise sowie für die Überarbeitung des Manuskripts. Meiner Frau Annemie gilt ein besonders liebevoller Dank für ihr unablässiges Zuhören sowie für die kritischen Anmerkungen und die zahlreichen Vorschläge, mit denen sie das Schreiben dieses Buches begleitete.
Bad Fredeburg, im Mai 2013
Heinz-Peter Röhr
Die Frage, wann sich das Selbstwertgefühl entwickelt, ist etwa so zu beantworten: Das Selbstwertgefühl entwickelt sich maßgeblich während der ersten sechs Lebensjahre. Darüber besteht Einigkeit bei den meisten Forschern und Wissenschaftlerinnen. Während dieser Zeit werden die Weichen gestellt, die lebenslänglich von Bedeutung sind. Doch wie sehr frühe Erfahrungen das Leben bestimmen, ist den meisten Menschen gar nicht bewusst.
Die Entwicklung beginnt während der Schwangerschaft: Wie steht die werdende Mutter zu dem, was in ihrem Leib wächst? Ist sie in großer Erwartung und Freude? Oder wird sie von Zweifeln, Angst und Ablehnung geplagt? Kinder, die schon während der Schwangerschaft nicht gewollt waren, haben meist nach der Geburt viele Probleme. Sie sind häufiger untergewichtig, leiden öfter unter Ernährungsstörungen und sind aufgrund ihres schlechteren Immunsystems für Infekte anfälliger als erwünschte Kinder. Die Haltung der Mutter in der ersten frühen Phase zu ihrem Kind hat Auswirkungen auf die gesamte Persönlichkeit, bis hinein in die körperlichen Strukturen und Abläufe. Die Auswirkungen auf die Seele, und damit auch auf das Selbstgefühl, sind so gravierend, dass sie in ihrer Bedeutung schwerlich überschätzt werden können.
Jeder Mensch kommt mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen auf die Welt. Gene tragen dazu bei, wie sich das Selbstwertgefühl entwickelt. Darauf haben wir jedoch keinen direkten Einfluss. Nachgewiesen durch die moderne Hirnforschung ist inzwischen, dass sich die Genstruktur durch die Umwelt verändert. Sie kann sich durch Psychotherapie, durch die Arbeit an der eigenen Person verändern, ebenso durch regelmäßig praktizierte Meditation, aber auch z.B. durch die Werbung, die uns täglich berieselt. Insgesamt muss davon ausgegangen werden, dass die Gene relativ großen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung haben.
Gleich zu Beginn ist jedoch zu erwähnen, dass es sie gibt: die Unverletzlichen. Trotz früher negativer Erfahrungen, schwierigster Lebensumstände und Vernachlässigungen scheint es immer wieder Menschen zu gelingen, ein zufriedenes Leben zu führen. In der Fachsprache nennt man sie »resilient«, das heißt, dass sie über konstruktive Strategien und Fähigkeiten verfügen, trotz widrigster Umstände ihre psychische Gesundheit und ihre Leistungsfähigkeit zu erhalten. Bei ihnen kann man positive innere Programme erkennen, die Orientierung und Halt geben.
Wenn ein Mensch auf die Welt kommt, stellen sich gleich zu Beginn des Lebens drei wichtige Fragen, die für das Selbstwertgefühl von entscheidender Bedeutung sind.
Jedes dritte Kind kommt ungeplant und leider häufig auch unerwünscht auf die Welt. Manchmal erwacht ein positives Gefühl für ein Kind erst nach seiner Geburt. Wie man sich ihm zuwendet, wie es berührt und angefasst wird, trägt entscheidend dazu bei, ob es sich auf dieser Welt willkommen fühlt – oder nicht. In dem Zusammenhang spielt das sog. Körpergedächtnis eine Rolle. Die Zuwendung geht sozusagen unter die Haut. Streicheln, Berührung und Liebkosung werden als angenehm empfunden und im Körpergedächtnis gespeichert. Wenn diese positive Zuwendung in der Kindheit fehlte, kann es sein, dass Menschen körperliche Nähe als unangenehm empfinden und dass sie im späteren Leben Angst haben, wenn ein anderer Mensch ihnen nahe kommt. Besonders in Partnerbeziehungen muss dies zu enormen Schwierigkeiten führen.
Damit ein Mensch ein starkes Selbstwertgefühl entwickeln kann, benötigt er positive Signale von den ersten Bezugspersonen, zunächst besonders von der Mutter. Die Erfahrungen, die die kleinen Wesen während dieser Zeit machen, gehen sozusagen unter die Haut, und Lernen findet über die Haut statt. Der Lerntheoretiker Piaget nennt diese Form des Lernens »sensumotorisch«. Kinder lernen, obwohl sie noch nicht sprechen können. Sie spüren, wie die Mutter zu ihnen steht, wie andere Menschen – Vater, Geschwister oder Großeltern – zu ihnen stehen, ob sie willkommen sind oder nicht. Da diese Prozesse so früh stattfinden, dringen sie tief in die Seele ein, viel tiefer als in späteren Lebensabschnitten. Die Art und Weise, wie das kleine Kind angefasst wird, wie man es hält, wie man es streichelt und versorgt, geht als Botschaft in die Seele ein.
Natürlich ist die Behandlung eines unerwünschten Kindes anders als die eines erwünschten. Früh müssen kleine Kinder erleben, dass sie eine Last sind, dass man sie eigentlich nicht haben will. Demgegenüber wird ein willkommenes Kind mit der notwendigen Nähe, Wärme und Liebe versorgt. Die Stimme und die Stimmung, wenn die Mutter mit dem Säugling spricht, werden intuitiv wahrgenommen. Die emotionalen Schwingungen, die von den Eltern ausgehen, nimmt die Seele auf, und sie werden zur Basis für das Selbstwertgefühl.
Die psychologische Forschung, insbesondere die Entwicklungspsychologie, weist immer wieder auf die enorme Bedeutung des ersten Lebensjahres hin, das für die emotionale Entwicklung so wichtig ist. Ein fataler gesellschaftlicher Irrtum ist die Schaffung möglichst vieler Kindertagesstätten, damit Säuglinge möglichst früh versorgt werden und die Mütter wieder berufstätig sein können. Kinder brauchen besonders im ersten Lebensjahr die Mutter, die möglichst immer zur Verfügung steht, die ihrem Kind Sicherheit und Geborgenheit vermitteln kann. Das sog. Urvertrauen und das Gefühl, willkommen zu sein auf dieser Erde, sind die Basis für eine positive Persönlichkeitsentwicklung und für ein starkes Selbstwertgefühl. Die Liebe der Eltern zu ihrem Kind muss in seiner Seele förmlich Platz nehmen.
Das Fundament für das Selbstwertgefühl wird von den Eltern gelegt. Später wollen Kinder in der Gruppe willkommen sein. Sie haben das Bedürfnis, gemocht zu werden und wichtig zu sein. Hier spielen viele Faktoren eine Rolle. Kinder mit auffälligen körperlichen Besonderheiten, Behinderungen, z.B. Fehlstellungen der Augen etc., werden in einer Gruppe leicht zu Außenseitern und leiden unter Zurückweisungen. Kinder mit Migrationshintergrund spüren beispielsweise intuitiv, dass sie weniger willkommen sind als andere. Ihre Eltern fühlen sich in der Gesellschaft eher geduldet als willkommen und geben daher meist die Botschaft weiter: Wir sind (ich bin) hier nicht willkommen.
Kleine Kinder tun alles, um ihren Eltern zu gefallen. Man kann sagen, dass es ein Grundbedürfnis jedes kleinen Kindes ist, den Eltern zu genügen. Sie spiegeln sich in den Augen der Eltern, die sie anschauen und ihnen ein Wertgefühl vermitteln. Ein Kind, das nicht von Vater oder Mutter anerkannt und akzeptiert wird, leidet. Es entsteht eine innere Verzweiflung, die quält und nach Auflösung schreit. Jedes Kind will von beiden Elternteilen das Gefühl bekommen, dass es ihnen genügt, dass sie mit seinem Sosein einverstanden sind. Für die Entwicklung des Selbstwertgefühls ist es immer problematisch, wenn beide Eltern (oder ein Elternteil) nicht zufrieden sind. Dabei scheint für das Selbstwertgefühl grundsätzlich das von größerer Bedeutung zu sein, was ein Mensch nicht bekommen hat. Wer Mutter oder Vater nicht genügen konnte, trägt eine Wunde in sich, die das Selbstwertgefühl verletzt. Menschen leiden immer unter dieser Kränkung, die auch durch noch so großen Einsatz des anderen Elternteils nicht ungeschehen gemacht werden kann.
Der Leistungs- und Konkurrenzdruck in den Industriegesellschaften nimmt stetig zu. Immer mehr Menschen sind ihm nicht mehr gewachsen und reagieren mit psychischen Symptomen. Die Dänen gelten als das glücklichste Volk auf dieser Erde. Wenn es einen offensichtlichen und aus meiner Sicht entscheidenden Unterschied zu den deutschen Nachbarn gibt, dann der, dass der Konkurrenzdruck in Dänemark weitgehend fehlt: Schon im Kindergarten wird das Ich bin besser als du unterbunden und gilt als höchst unfein. Was zählt, ist die Leistung der Gruppe. Wer versucht, sich über die Gruppe zu stellen, erfährt Ablehnung und keine Bewunderung. Krankhafter Ehrgeiz wird so vermieden. Dänen sind in der Regel recht entspannt, freundlich und gelassen. Die Jagd nach Ehre und Ansehen, etwa auch durch akademische Titel, ist eher selten. Das Einkommen auch der weniger Qualifizierten ist relativ hoch. Das Gefühl der Unterlegenheit ist bei den Einzelnen nicht so ausgeprägt wie in einer Gesellschaft mit hohem Konkurrenzdruck.
Eltern, die selbst einem starken Konkurrenzdruck ausgesetzt waren und sind, geben unbewusst diesen Druck an ihre Kinder weiter. Früh wird die Botschaft vermittelt: Du musst besser werden, du musst viel leisten, um zu genügen, du bist schon gut, aber es reicht noch nicht … Durch diese Forderungen, die zu inneren Antreibern werden, entsteht wie von selbst ein fataler Irrtum, dem in einer Leistungsgesellschaft fast alle Menschen verfallen: der Glaube, dass man sein Selbstwertgefühl erarbeiten kann. Die Folge ist, dass viele der Anerkennung unablässig hinterherjagen, aber unzufrieden bleiben.
Damit sich ein stabiles Selbstwertgefühl entwickelt, ist es wichtig, dass ein Kind das unbedingte Gefühl hat, dass es seinen Eltern genügt. Zunächst sind diese die Maßstäbe, an denen es sich orientiert, und das Vertrauen, das Eltern zu ihrem Kind haben, wird zum Selbstvertrauen des Kindes. Machen wir uns wieder bewusst, dass die frühen Erfahrungen bis zum sechsten Lebensjahr ausschlaggebend sind. Manchmal kommt die Anerkennung nämlich zu spät.
Das Grundbedürfnis eines jeden Menschen ist es, von seinen Eltern geliebt zu werden. Auch hier gibt es wieder die Erwartung, dies von beiden Eltern zu bekommen. Die Zusammenhänge sind offensichtlich: Wer nicht willkommen ist, kann schwerlich genügen oder mit ausreichend Liebe und Wärme versorgt werden. Wer den Eltern nicht genügen konnte, wird auch das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein, in sich tragen. Es gibt allerdings auch die Situation, dass die Eltern selbst Schwierigkeiten mit Körperkontakt haben. Das Kind ist willkommen, aber man kann es nicht so berühren, wie man eigentlich möchte. Man hat etwa Angst vor Berührung, weil man dies selbst nie lustvoll erfahren durfte: Meine Mutter ist immer zur Salzsäule erstarrt, wenn ich sie umarmen wollte. Oder: In unserer Familie waren Zärtlichkeiten tabu. Oder: Ich habe nie gesehen, dass meine Eltern sich mal umarmt hätten … Eventuell besteht eine unrealistische Angst vor Infektionen, die zu körperlicher Distanz führt; oder die Eltern waren beruflich stark engagiert und deswegen wenig anwesend. Vielfach wird dieser Mangel an Zuwendung und Aufmerksamkeit auch von den Eltern selbst wahrgenommen. Sie haben ein schlechtes Gewissen und versuchen z.B., die mangelnde Zuwendung durch Geschenke und materielle Überversorgung wiedergutzumachen. Ein Kind spürt die Schuldgefühle der Eltern, und das Gefühl, zu kurz zu kommen, wird verstärkt.
In der Industriegesellschaft leiden fast alle Menschen mehr oder weniger stark unter dem Gefühl, zu kurz gekommen zu sein. Es gibt immer Menschen, denen es scheinbar besser geht, die mehr geliebt werden, mehr besitzen, erfolgreicher sind, sich weniger anstrengen müssen usw. Doch wer die Menschen in den Fußgängerzonen aufmerksam beobachtet, wird die allgegenwärtige Unzufriedenheit und Verdrießlichkeit nicht übersehen können. Viele Menschen leiden an einem inneren Hunger, der sich anscheinend nicht stillen lässt.
Für das Selbstwertgefühl eines Menschen ist es entscheidend, dass er früh mit genügend Aufmerksamkeit, Wärme und Körperkontakt versorgt wurde. Für die künftige Liebesfähigkeit werden hier wichtige Weichen gestellt, insbesondere dafür, dass er die Liebe, die ihm geschenkt wird, integrieren kann.
Das Selbstwertgefühl wird von inneren Programmen bestimmt, die früh erworben wurden. Menschen sind natürlich keine Computer, aber jeder funktioniert nach bestimmten Mustern, die überdauern, die ihn ständig begleiten, die wie auf einer Festplatte programmiert wurden und sozusagen zu seinem »Betriebssystem« gehören. Mit Hilfe der Selbstwertanalyse werden schädliche Programme aufgespürt, die sogenannten »geheimen Programme«, damit sie bearbeitet werden können. Viele Menschen sind sich dieser »Schädlinge« nicht bewusst und versuchen, sie mit den falschen Mitteln, den »Gegenprogrammen«, zu beseitigen. Mit Hilfe der Selbstwertanalyse werden »neue Programme« gefunden, die zu einem unabhängigeren und glücklicheren Leben führen.
Letztlich geht es in jeder Psychotherapie um diese drei Fragen: Bin ich willkommen? Genüge ich? Werde ich mit genügend Liebe und Wärme versorgt? Selbstverständlich werden sie auf versteckte und abgewandelte Weise gestellt. Man kann sagen, sie kommen in den unterschiedlichsten Verkleidungen daher. Mal ist es eine depressive Erkrankung, eine Angststörung, eine psychosomatische Störung, ein Burnout, ein Problem in der Partnerschaft, eine Suchterkrankung usw. Es sind die Fragen, die uns lebenslänglich begleiten und die wir immer wieder beantwortet haben wollen.
Der Stellenwert des Selbstwertgefühls im Leben eines Menschen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden:
Das Selbstwertgefühl begleitet einen Menschen lebenslänglich, man trägt es immer bei sich.Das Selbstwertgefühl entwickelt sich vornehmlich in den ersten sechs Lebensjahren.Es bleibt meist relativ konstant.Schwere seelische Verletzungen (Traumata) können das Selbstwertgefühl massiv beeinträchtigen und stören.Das Selbstwertgefühl ist maßgeblich am Gelingen unserer Vorhaben beteiligt.Es ist verantwortlich für unsere Selbstsicherheit.Ein gestörtes Selbstwertgefühl ist oft die eigentliche Ursache für psychische und psychosomatische Erkrankungen.Ein starkes Selbstwertgefühl trägt maßgeblich dazu bei, dass ein Mensch sich in seiner Haut wohlfühlt und dass er sich selbst akzeptieren kann, so wie er ist.Wahre Selbstliebe wird erst über ein starkes Selbstwertgefühl möglich.Mit Hilfe der Selbstwertanalyse, die im Folgenden ausführlich beschrieben wird, werden nicht nur schädliche Programme erkannt, sondern auch neue Programme beschrieben, die zu einem positiven Selbstwertgefühl verhelfen.
Die Selbstwertanalyse beginnt immer mit der Frage: War ich willkommen? Wer diese Frage mit Ja beantworten kann, hat in der Regel ein besseres Fundament für sein Selbstwertgefühl als der, der die Frage mit Nein beantworten muss.
Kinder werden von ihren Eltern »gespiegelt«. Damit ist gemeint, dass Eltern ihrem Kind bewusst und unbewusst ein Gefühl des Werts vermitteln. Wie Eltern zu ihrem Kind stehen, drückt sich nicht nur in gesprochenen Worten aus, sondern auch in Haltung, Gestik und Mimik. Eine positive Spiegelung geschieht in emotionaler Zuwendung: Ich freue mich, dich zu sehen, ich bin gern mit dir zusammen, du bist mir wichtig … Eine negative Spiegelung ist von negativen Emotionen begleitet: Du bist eine Last für mich, ich bin enttäuscht von dir, du genügst nicht … Diese Spiegelungen dringen tief in die Seele ein und werden zu dem, was wir hier das »geheime Programm« nennen. Menschen erinnern immer wieder zentrale Sätze, die in der Seele verankert sind und das Lebensgefühl bestimmen, Sätze wie: Du warst nicht geplant, dich hätte es besser nie gegeben, du bist zu nichts nutze … Selbst wenn solche Sätze aus einem Ärger heraus gesagt wurden und in diesem Moment nicht wirklich ernst gemeint waren, drücken sich so doch oft die wahren Haltungen und Gefühle aus, die ein Elternteil dem Kind gegenüber hat. Solche Sätze können großen Schaden anrichten.
Jeder Mensch will bei seinen Eltern willkommen sein, und zwar bei Mutter und Vater. Wer nur bei einem Elternteil willkommen war, wird immerfort dieses Defizit empfinden, dass da etwas gefehlt hat. Leider richtet sich der Blick der meisten Menschen auf das, was ihnen nicht gegeben wurde, auf das, was sie nicht bekommen konnten. Alles, was ihnen sonst geschenkt wurde, ist nicht von so großer Bedeutung. Im Fokus bleibt das Gefühl eines immerwährenden Defizits.
Viele Menschen leben mit dem Gefühl, nicht willkommen zu sein. Sie leiden lebenslänglich unter diesem Defizit und tragen das »geheime Programm« in sich: Ich bin nicht willkommen. Das Gefühl, nicht willkommen zu sein, kann mehr oder weniger stark sein. So können auch die Auswirkungen und schädlichen Folgen unterschiedlich sein.
Das geheime Programm Ich bin nicht willkommen zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben. Es äußert sich bei den Betroffenen in der Weise, dass sie anderen Menschen gegenüber ein grundsätzliches Misstrauen haben. Das gilt auch für Partnerbeziehungen. Die Betroffenen können nicht glauben, dass sie gemocht und willkommen sind, nach dem Motto: Es kann doch gar nicht sein, dass mein Gegenüber mich wirklich meint, ich kann nicht glauben, dass ich wirklich geliebt werde. Immer wieder entdecken sie Indizien für eine Zurückweisung durch andere. Diese grundsätzliche Unsicherheit, die Menschen in sich spüren, wird häufig auch als fehlendes Urvertrauen bezeichnet. Nicht nur für jede engere Beziehung ist dieses Misstrauen zerstörerisch, wie das nachfolgende Beispiel1 zeigt:
»Ich fühle mich schuldig, weil es mich gibt«, so die Aussage von Frau A. Vor dem Hintergrund, dass sie nicht willkommen war, fühlte sie sich in den meisten Lebenslagen schuldig: Sie fühlte sich schuldig, dass sie ihren Eltern nicht genügen konnte, dass sie ihrem Kind nach dem Scheitern ihrer Partnerschaft keine gute Mutter sein konnte, dass sie im Beruf keine Karriere machen konnte. Mehrmals hatte sie versucht, sich umzubringen, da sie glaubte, dass es ihren Angehörigen besser gehen würde, wenn es sie nicht gäbe.
Manche Menschen können das innere Loch nicht füllen, können den Schmerz des Ungeliebtseins nicht beseitigen oder auflösen. Sosehr sich beispielsweise ein liebender Partner auch bemüht – er wird gegen Windmühlen ankämpfen. So müssen Missverständnisse, Konfusion und Leid entstehen. In der Psychotherapie ist die Rede vom Wiederholungszwang. Damit ist gemeint, dass Menschen ihr Drama wiederholen müssen: Das Problem, welches schon sehr früh im Leben existierte, zeigt sich mit anderen Schauspielern, auf einer anderen Bühne, in einer anderen Kulisse erneut. Mit traumwandlerischer Sicherheit findet das geheime Programm eine Reinszenierung.
Das geheime Programm Ich bin nicht willkommen verursacht Verzweiflung und Wut, eine Wut, die die Betroffenen zerstörerisch gegen sich selbst oder gegen andere richten. Oft ist es der Hintergrund für schwere psychische Störungen und Symptome. Zuerst ist hier die Borderline-Störung zu nennen, die weiter unten ausführlich besprochen wird. Aber auch Suchtkrankheiten, schwere Depressionen, Angststörungen und psychosomatische Erkrankungen sind die Folge. Leider gehören Menschen, die früh nicht willkommen waren, vermehrt zu denen, die sich im späteren Leben umbringen. Da sich das Gefühl, nicht willkommen zu sein, wie ein roter Faden durch ihr Leben zieht, sich anscheinend immer wieder bestätigt, entsteht eine latente Suizidalität. Wenn ich schon nicht willkommen bin, dann kann ich mich auch umbringen.
Während einer Vortragsveranstaltung wurde ich von einem Zuhörer gefragt, woran man erkennen könne, ob man willkommen war? Die Erinnerung an diese frühe Zeit sei ja nicht möglich. Entscheidend ist hier die Betrachtung des gesamten Lebens: Kam es immer wieder zu Szenen der Zurückweisung? Spürt man, dass man sich in Gruppen unwohl und nicht zugehörig fühlt? Gibt es das typische Misstrauen, dass sich besonders dann einstellt, wenn man Zuwendung erfährt? Kann man spüren, willkommen zu sein, wenn andere sich darüber freuen, dass man da ist, oder entsteht in solchen Momenten Angst oder Wut, nach dem Motto: Was wollen die eigentlich von mir? Fehlt das Vertrauen darin, dass andere es gut mit einem selbst meinen? Werden Beziehungen immer wieder ungewollt zum Scheitern gebracht (man weiß im Vorhinein schon, dass es schiefgehen wird)? Muss man immer wieder für Streit und Unruhe sorgen? Kann man Nähe genießen, oder ist sie belastend und anstrengend? Existiert das dominante Gefühl, sowieso überflüssig und unerwünscht zu sein? Wir werden sehen, dass diese Menschen sich immer wieder in einem Kampf befinden. Sie glauben, um ihre Daseinsberechtigung kämpfen zu müssen.
Menschen, die dieses Programm in sich tragen, lenken die Aufmerksamkeit immer dahin, wo sie nicht willkommen sind. Hier suchen und finden sie Bestätigung für das, was sie kennen. Mit ihrem Misstrauen bringen sie nicht selten andere tatsächlich gegen sich auf. Bei der Partnerwahl suchen und finden sie häufig Partner, bei denen sie nicht wirklich willkommen sind. Partner, bei denen dies anders wäre, bei denen sie willkommen sind, kommen für eine tiefere Bindung nicht in Frage.
Die nächste bange Frage, die sich früh im Leben stellt, ist die Frage nach der Wertschätzung: Genügt ein Kind seinen Eltern? Wenn es nicht willkommen ist, kann es schwerlich den Eltern genügen. Aber es gibt Kinder, die willkommen waren, jedoch den Erwartungen der Eltern nicht entsprechen. Es entwickelt sich das geheime Programm Ich genüge nicht. Dieses Programm tragen Millionen Menschen in unterschiedlicher Stärke und Ausprägung in sich.
Schon kleine Kinder strengen sich sehr an, um von den Eltern eine positive Spiegelung zu erhalten. Sie wollen willkommen sein und sich gut und in Ordnung fühlen. Intuitiv wird von Kindern erfasst, wie ihre Eltern sie bewerten. Dazu gehört auch, wie diese zum Aussehen des Kindes stehen. Hübsche Kinder erhalten wesentlich mehr Zuwendung als weniger attraktive. Die meisten Eltern wollen stolz sein auf ihr Kind. Wenn es den Erwartungen nicht entspricht, verursacht dies bei ihm eine innere Verletzung, eine seelische Wunde. Das Kind fühlt sich abgewertet und man spricht von einer narzisstischen Kränkung. »Narzissmus« ist der Begriff für Selbstliebe, die aufgrund solcher Verletzungen Schaden nehmen kann. Nicht Selbstsicherheit und Zufriedenheit, sondern latente Verzweiflung, Schmerz und Wut bestimmen dann die innere Welt. Diese Gefühle werden sozusagen in das erwachsene Leben mitgenommen. Das geheime Programm Ich genüge nicht ist, wenn es früh erworben wurde, lebensbestimmend. Insbesondere verursacht es Selbstunsicherheit, die sich auch dann einstellt, wenn irgendeine Tätigkeit gut gelungen ist. Unweigerlich entsteht im Innern die Frage: War das gut genug, hätte das nicht noch besser sein können, müsste ich nicht noch mehr tun, wie kann ich das alles noch toppen? Erfolge können nicht genossen werden, da sich dann sofort das geheime Programm Ich genüge nicht wieder meldet. Auch diese Menschen geraten in einen Kampf, der um das Genügen geführt wird.
Das latente Gefühl, nicht zu genügen, verursacht auch Angst. Viele Ängste und auch Angststörungen haben in diesem Programm ihren Ursprung.
Herr G. hat mit großer Energie eine Bilderbuchkarriere gemacht. Seine Verkaufszahlen sind fast immer die besten. Doch jeden Morgen wacht er mit großen Ängsten auf, die ihn zu weiteren Höchstleistungen treiben. Die Angst, nicht zu genügen, begleitet ihn bei allem, was er tut. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er sich selbst in ein Burnout getrieben hat. Wenn dies dann der Fall ist, hat sich das geheime Programm Ich genüge nicht wieder, für alle sichtbar, installiert.
Fast immer ist eine Störung des Selbstwertgefühls für Angststörungen verantwortlich. Viele soziale Ängste entstehen vor diesem Hintergrund. Das geheime Programm Ich genüge nicht führt eventuell auch in die Isolation, weil man sich im Kontakt mit anderen unwohl fühlt, oder es führt dazu, dass man Konflikten ausweicht. Dies wird weiter unten ausführlich beschrieben. Die betroffenen Menschen werden mutlos, weil sie keine Lösung für ihre Minderwertigkeitsgefühle finden können. Schließlich werden sie die Wut gegen sich selbst richten, was unweigerlich depressive Gefühle zur Folge haben muss.
Diese Menschen führen unablässig mit sich selbst innere destruktive Selbstgespräche. Besonders schädlich ist dabei jede Form der Selbstabwertung. Die Tendenz, sich selbst abzuwerten, ist eine Folge des geheimen Programms Ich genüge nicht. Wer sich selbst abwertet, verursacht unweigerlich schlechte Gefühle, die sich auch körperlich bemerkbar machen. Er richtet Wut gegen sich selbst, was letztlich das geheime Programm verstärkt – ein Teufelskreis.
Wer gar nicht erst willkommen war, wird schwerlich den Eltern genügen können. Im Gegenteil: Selbst wenn er Erfolg hat, werden Eltern, die seine Existenz ablehnen, seinen Erfolg nicht würdigen können. Geheime Programme verstärken sich gegenseitig.
Die dritte wichtige Frage lautete: Werde ich genügend geliebt? Das Bedürfnis nach körperlicher Nähe, gestreichelt werden, sich wohlfühlen, in der Nähe der Eltern sein, ist die Basis für ein starkes Selbstwertgefühl. Vermittelt wird die Botschaft: Du bist ein geliebter Mensch. Wir erkennen auch hier, dass die zentralen Fragen zusammengehören. Allerdings gibt es Menschen, die sagen: Ich war zwar bei meinen Eltern willkommen und sie haben mir das Gefühl vermittelt, dass ich ihnen genüge, aber meine Mutter oder mein Vater konnten mich nicht in den Arm nehmen.
Schon kleine Kinder beobachten neidisch, wie andere von ihren Müttern oder Vätern viel intensiver mit Liebe, Wärme und körperlicher Nähe versorgt werden. Bei meiner Freundin herrschte ein ganz anderes Klima in der Familie, man war viel herzlicher, fröhlicher und wärmer im Umgang miteinander. Eine weitere häufige Ursache für das Problem des sich nicht geliebt Fühlens ist der Neid unter Geschwistern. Die Betroffenen mussten erleben, dass der Bruder oder die Schwester vorgezogen wurde, weil er oder sie das Lieblingskind eines Elternteils war.
So verursacht das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein, vor allem Neid. Unweigerlich richtet sich der Blick auf die, denen es vermeintlich besser geht, und automatisch richtet sich der Blick darauf, wo man zu kurz kommt. Es bleibt eine ständige Unzufriedenheit, ein Hunger nach Zuneigung, Anerkennung, materieller Befriedigung und Erfolg.
Am besten versteht man diese »Leere« im Vergleich: Es ist wie ein inneres Vakuum, es lässt sich nicht füllen, egal was man versucht.
Auch dieses geheime Programm ist eine Quelle für innere Wut, die die Betroffenen letztlich gegen sich selbst richten müssen. Wie wir sehen werden, versuchen sie, die innere Verzweiflung mit untauglichen Mitteln zu bearbeiten, wodurch sich die Probleme jedoch verstärken. Das geheime Programm wird überall mitgenommen; wohin man auch geht, es ist schon da. Auch wenn vielleicht eine Zeit lang der Eindruck besteht, dass es überwunden ist, wird es sich auf Dauer wieder umso heftiger bemerkbar machen. Letztlich ist auch dieses geheime Programm für psychische und körperliche Symptome verantwortlich.
Viele Menschen sind sich über die wahre Ursache ihrer Unzufriedenheit nicht im Klaren. Jeder findet immerzu Gründe für vermeintlich berechtigte Unzufriedenheit. Man macht sie an äußeren Umständen fest. Oft ist jedoch zu beobachten, dass, wenn eine Ursache beseitigt ist, eine neue Unzufriedenheit entsteht. Die tieferen Gründe liegen in dem früh verinnerlichten Programm Ich bin zu kurz gekommen. Dieses bestimmt das Lebensgefühl viel stärker als vermutet. Leicht geraten diese Menschen in eine Verstimmung oder sind sogar dauerhaft verstimmt. Ihr Grundgefühl ist von Wut bestimmt. Das Augenmerk richtet sich darauf, wo andere es leichter haben, wo Ungerechtigkeiten entstehen, wo andere vorgezogen werden, bessere Beziehungen haben, schöner, reicher, klüger sind … Die Liste ließe sich weiter fortschreiben. Dabei wird der eigene »Reichtum« nicht gesehen, so als gäbe es ihn nicht. Das Problem wird nicht kleiner, wenn der Wohlstand wächst, im Gegenteil: Wie bei einem Trichter, der nach oben offen ist, wachsen die Ansprüche, da auch die Gier größer wird.
Natürlich ist die Konsumgesellschaft auf immer mehr Artikel und neue Entwicklungen ausgelegt. Eine wirkliche Zufriedenheit darf es nicht geben, denn dann wird der Konsum zurückgehen und damit das Wirtschaftswachstum. Mit etwas Abstand ist zu erkennen, dass die Industriekultur krank ist, denn sie führt die Welt in Klimakatastrophen und verbraucht die Ressourcen rücksichtslos zu Lasten späterer Generationen. Niemand ist in der Lage, diese Entwicklung zu stoppen.
Der Grad der Unzufriedenheit ist sehr unterschiedlich. In der Psychoanalyse wird dies als »orale« Problematik bezeichnet. »Oral« ist eigentlich die Bezeichnung für: »sich etwas in den Mund stecken«. Gemeint ist jedoch alles, was man haben und konsumieren will. Unter einem oralen Problem versteht man genau das oben Beschriebene, nämlich, dass man nicht satt wird, egal, was man sich nimmt, erarbeitet oder geschenkt bekommt.
Mit den oben beschriebenen negativen Programmen sind immer Gefühle der Wertlosigkeit verbunden.
Das geheime Programm Ich bin wertlos findet sich verstärkt bei Menschen, die Misshandlungen erleben mussten. Ein Kind wird misshandelt, wenn jemand seine innere Wut und seinen Frust an ihm abreagiert und es schlägt. Eigentlich spürt ein Kind sehr genau, ob es Strafe verdient hat oder ob sich jemand an ihm abreagiert. Wenn ihm immer wieder eingeredet wird, dass es schlecht sei, wird es der eigenen Wahrnehmung nicht mehr trauen können. Besonders schädlich sind Misshandlungen, wenn nahestehende Personen, Vater oder Mutter, die Täter sind. Natürlich können Misshandlungen auch mit Worten stattfinden.
Patienten mit einer Borderline-Störung tragen das Programm Ich bin wertlos in sich. Dies macht einen großen Teil ihrer Schwierigkeiten aus. Tiefe Wertlosigkeit fühlen auch die meisten Menschen, die sexuell missbraucht wurden, Opfer von Vergewaltigungen oder Gewalttaten wurden.