Die Kurtisane von Rom - Birgit Furrer-Linse - E-Book

Die Kurtisane von Rom E-Book

Birgit Furrer-Linse

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Beschreibung

Mit der Kaiserzeit waren endgültig Recht und Ordnung aus dem Reich geschwunden. Tyrannei und Willkür hatten das römische Recht zugrunde gerichtet. Caligula, Messalina, Poppaea, Nero - das sind Namen, die für die Dekadenz und Verworfenheit des römischen Imperiums stehen. In diesem Sumpf von Willkür, Machtgier und Intrigen trachten viele aufrechte Männer dem wahnsinnigen Kaiser nach dem Leben. Die große Kurtisane Calpurnia handelt jedoch nicht aus Gründen der Staatsräson. Ihr sorgfältig eingefädelter Plan für die Ermordung Neros kostet zahlreiche Unschuldige wie auch Schuldige das Leben, doch kalt und skrupellos setzt sie sich darüber hinweg, um ihr ganz persönliches Ziel zu erreichen - Rache.

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Inhaltsverzeichnis

Teil

Teil

1. Teil

Schweigend beobachtete Livia Orestilla, wie die wenigen Habseligkeiten, die man ihr erlaubt hatte, mit in die Verbannung zu nehmen, an Bord der kaiserlichen Galeere gebracht wurden. Zögernd suchte ihr Blick schließlich den Mann, der neben ihr stand und der ihr auf Befehl des Kaisers in die Verbannung folgen musste. Vergeblich versuchte sie in seinen harten Gesichtszügen, seinen dunklen trotzigen Augen etwas Tröstendes zu finden. Nichts als kalte Ablehnung stand in seinem Gesicht geschrieben.

Livia schauderte plötzlich. Wieder einmal fragte sie sich, wie es nur zu diesem Unglück hatte kommen können. Und schon wieder ertappte sie sich bei der törichten Hoffnung, aus dem Schlaf zu erwachen und festzustellen, dass all diese schrecklichen Ereignisse nur einem furchtbaren Alptraum entsprungen waren. Doch diese Hoffnung war natürlich nichts als Selbstbetrug. Es war eine unwiderrufliche Tatsache, dass sie hier stand, im Hafen von Ostia, bereit, jeden Augenblick an Bord des kaiserlichen Schiffs zu gehen, um nach Sardinien gebracht zu werden. Ebenso entsprach es der grausamen Wahrheit, dass der Mann neben ihr, der ihr noch vor wenigen Wochen seine Liebe und Zuneigung geschenkt hatte, sie nun verachtete und hasste. Ein kaum hörbares Schluchzen entrang sich Livias Kehle.

Gaius Calpurnius Piso bemerkte es nicht. Starr blickte er auf das Schiff, das ihn in eine ungewisse Zukunft bringen würde. Sardinien – ein Ödland, auf das nur Verbrecher verbannt wurden. Doch welches Verbrechens war er schuldig? Was konnte Kaiser Caligula ihm vorwerfen? Gar nichts. Trotzdem musste er in die Verbannung gehen, zusammen mit dieser Frau, für die er nur noch Verachtung empfinden konnte. Und das, obwohl er in seinem Innern genau wusste, dass Livia Orestilla an dem Verhängnis, das sie beide getroffen hatte, ebenso unschuldig war wie er selbst.

Doch was nützt diese Erkenntnis? Sie konnte seinen Zorn und die Schmach, die er fühlte, nicht wegwischen. Livia Orestilla, seine Braut, sie war für ihn zu einer Unberührbaren geworden. Nichts würde ihn jemals dazu bringen können, die Ehe mit ihr zu vollziehen. Caligulas Schmutz hatte ihren Schoss für alle Zeit vergiftet. Zornig ballte Gaius Calpurnius Piso bei dem Gedanken an den Kaiser die Faust.

Niemals zuvor war einem vornehmen adligen Römer vom Kaiser übler mitgespielt worden. Der gute Name der Familie Piso war von Caligula in den Schmutz getreten worden. Wen wunderte es da, dass sich der Kaiser vor der Rache der Familie Piso fürchtete. Nur deshalb war zu der Schmach nun auch noch die Verbannung gekommen.

Erneut durchzuckte ein zorniges Beben Gaius Calpurnius´ Körper. Noch einmal wiederholte er seinen Schwur, der allein ihm in den letzten Tagen die Kraft gegeben hatte, all das durchzustehen.

„Ich werde zurückkehren, und ich werde mich rächen“, murmelte er entschlossen vor sich hin.

Der Centurio, der vom Kaiser den Auftrag erhalten hatte, die Verschiffung der beiden Verbannten zu überwachen, riss Gaius Calpurnius Piso und dessen Frau Livia aus ihren trübsinnigen Betrachtungen.

„Es ist Zeit, an Bord zu gehen. Das Schiff ist auslaufbereit.“

Gaius Calpurnius nickte finster. Dann ging er, gefolgt von dem einen Sklaven, den der Kaiser ihm als Diener zugebilligt hatte, stolz erhobenen Hauptes an Bord des Schiffs.

Livia Orestilla zögerte einen Augenblick. Flehend blickte sie Calpurnius nach, hoffte auf ein Zeichen, einen Wink, ein Wort von ihm. Doch er würdigte sie keines Blicks.

„Komm, Herrin.“ Tröstend nahm Vestasia, die Amme Livias, ihre Gebieterin in den Arm. „Versuche, ihn zu verstehen. Sein Stolz ist verletzt. Diese Wunde zu heilen braucht Zeit.“

„Sie wird niemals heilen, Vestasia. Er wird niemals vergessen können.“

Energisch löste Livia sich aus der Umarmung ihrer Amme und folgte Calpurnius an Bord des Schiffs. Sie brauchte keinen Trost. Wonach sie sich sehnte, war die Zuneigung und Wärme des Mannes, den sie liebte. Doch der verweigerte ihr sogar sein Verständnis.

Eine leichte Brise kam auf, als das Schiff gegen Mittag den Hafen von Ostia verließ. Sie machte die drückende Hitze des herannahenden Sommers ein wenig erträglicher. Wortlos stellte Livia sich neben ihren Mann, und beide verfolgten sie wehmütig, wie sich ihr Schiff immer weiter von der Küste Italiens entfernte. Beide beschäftigte sie in diesem Augenblick die gleiche Frage. Würden sie Rom, das Herz der Welt, wohl jemals wiedersehen? Diese tief im Innern verborgene Sehnsucht, irgendwann nach Hause zurückkehren zu können, war vielleicht die einzige Gemeinsamkeit, die sie noch hatten. Doch würde sie reichen, ihr Zusammenleben einigermaßen erträglich zu machen? Livia bezweifelte dies. Sie spürte, dass Calpurnius den Zorn, den er auf Caligula hatte, auch auf sie übertrug. Doch welche Schuld konnte er ihr vorwerfen? War es nicht Calpurnius selbst gewesen, der den Kaiser auf seine künftige Gemahlin aufmerksam gemacht hatte? Hatte er nicht bei jeder Gelegenheit die Schönheit und Tugendhaftigkeit seiner Braut gepriesen? Wen wunderte es da, dass Caligula neugierig geworden war, die Einladung zur Hochzeit angenommen hatte?

Was diese Einladung für Folgen haben würde, konnte natürlich auch Calpurnius nicht ahnen. Noch immer fragte Livia sich, was den Kaiser wohl veranlasst haben mochte, sich während der Trauungszeremonie plötzlich an ihre Seite zu drängen und dem erstaunten Bräutigam zu drohen: „Wage es nicht, meine Braut zu berühren.“ Hatte der Kaiser diesen Auftritt geplant, oder hatte er einer plötzlichen Laune nachgegeben? Letzteres erschien Livia wahrscheinlicher. Jedenfalls stand fest, dass Caligula sie an diesem Tag an Stelle des Gaius Calpurnius Piso geheiratet hatte.

Doch war das ihre Schuld? Was hätte sie dagegen tun können? Keiner der Anwesenden hatte es gewagt, sich dem Kaiser in den Weg zu stellen, auch nicht Gaius Calpurnius. Wie hätte da ausgerechnet sie, ein sechzehnjähriges unerfahrenes Mädchen, dem Beherrscher der Welt Einhalt gebieten können?

Noch immer schauderte Livia bei der Erinnerung daran, wie es dann weitergegangen war. Niemand war ihr zu Hilfe gekommen, als der Kaiser sie aus dem Haus des Piso in seinen Palast entführt hatte. Dort hatte sie ihm vier Tage und Nächte zu Willen sein müssen. Noch jetzt erbebte Livia vor Scham, wenn sie nur daran dachte, auf welch widerwärtige Art Caligula sich an ihr befriedigt hatte. Doch schon bald hatte ihn ihre jungfräuliche Scheu, die den Kaiser in den ersten Stunden durchaus gereizt haben mochte, gelangweilt. Nach diesen grässlichen vier Tagen hatte er sie einfach aus dem Bett werfen und sich von ihr scheiden lassen. Von seinen Dienern war sie in eine Sänfte gesetzt und zum Haus des Gaius Calpurnius Piso getragen worden.

„Hier sende ich dir deine Braut zurück. Sie ist nicht der Mühe wert. Du kannst sie also beruhigt heiraten. Mein kaiserlicher Segen begleitet euch“, hatte der Kaiser dem betrogenen Bräutigam ausrichten lassen.

Natürlich hatte Gaius Calpurnius Piso sich geweigert, sie noch zu heiraten. Doch die darauffolgende Strafandrohung des Kaisers gegen ihn und seine Familie hatte eine weitere Weigerung bald unmöglich gemacht. Widerstrebend hatte Calpurnius dem Befehl des Kaisers schließlich gehorcht. Dass er dabei nur seine eigene Demütigung gesehen und die ihre völlig außer Acht gelassen hatte, konnte Livia erst nicht begreifen. Doch schon bald war ihr klar geworden, dass sein männlicher Stolz wohl größer sein musste als seine Liebe zu ihr. Drei Tage nach der Eheschließung, die nie vollzogen wurde, war im Senat auf Betreiben des Kaisers der Beschluss ihrer beider Verbannung ergangen.

Nun stand sie hier, neben dem Mann, den sie liebte und der für sie unerreichbar geworden war. Sich die ganze Tragweite ihres Unglücks vor Augen führend, fiel es Livia sichtlich schwer, die Fassung zu wahren. Allein das Wissen, dass Calpurnius neben ihr stand, verbot ihr, sich ihrem Kummer hinzugeben.

Diese schrecklichen vier Tage, die sie der Laune eines Kaisers hatte opfern müssen, hatten ihr Leben zerstört. Tief in ihrem Innern wusste Livia genau, dass sie für den Rest ihres Lebens für diesen Streich des Kaisers würde büßen müssen. Er hatte ihr Leben ruiniert, kaum dass es begonnen hatte. Wofür lohnte es sich nun, überhaupt weiterzumachen? Warum stand sie hier, neben dem Mann, der sie nicht mehr liebte? Sie wusste es nicht. Welche unsichtbare Kraft hielt sie nur davon ab zu tun, was die Ehre gebot? Ihr Tod würde keine Lücke hinterlassen. Niemand würde ihr eine Träne nachweinen, weder Calpurnius noch ihre Familie. Über alle hatte sie Schande gebracht.

Wie hypnotisiert starrte Livia in die graugrünen Fluten, die das Schiff umspülten. Ein Sprung würde genügen, und es wäre vorbei. Vielleicht konnte nur ihr Tod den Flecken der Schande fortwaschen. Livia atmete schwer. Sie fühlte, dass sie es jetzt tun musste. Später würde sie die Kraft dazu nicht mehr aufbringen.

Der dumpfe Aufschlag eines Körpers auf das Wasser riss Gaius Calpurnius Piso aus seinen Gedanken. Einen Augenblick verharrte er wie erstarrt.

Es war Livia, die gesprungen war, deren feingliedriger Körper sich kampflos dem Meer ergab. Sie war den Weg der Ehre gegangen, den zu gehen er zu feige gewesen war. Ja, er hätte Selbstmord begehen sollen, statt sich dem Willen des Kaisers zu beugen. Doch er hatte es nicht getan. Ihm hatte die Kraft dazu gefehlt. Und nun zeigte ihm dieses junge Mädchen, eher noch ein Kind, was Haltung bedeutete. Und warum tat sie das?

Gaius Calpurnius schauderte davor, sich diese Frage zu beantworten. Sie hatte es für niemanden anderen als für ihn getan. Doch das durfte er nicht zulassen. Diese Schuld konnte er nicht auch noch tragen. Beherzt sprang er ins Wasser, gefolgt von vier Legionären des Kaisers, um den zierlichen Körper Livias dem Meer wieder zu entreißen.

Es dämmerte bereits, als Livia in ihrer Kabine zu sich kam. Ein wenig benommen blickte sie sich um. Wo war sie? Sie war doch gesprungen, um endlich alles hinter sich zulassen. Wieso hatten die Götter Roms ihr Leben nicht angenommen? Noch einmal würde sie die Kraft für eine solche Tat gewiss nicht aufbringen. Ihr Blick begegnete dem Vestasias, die sie erleichtert anlächelte.

„Jetzt wird alles gut, geliebte Herrin. Den Göttern sei Dank, dass dir nichts weiter geschehen ist.“

„Wieso habt ihr mich nicht gelassen, wo ich war? Warum musstet ihr mich zurückholen?“, schluchzte Livia.

„Es war der gnädige Herr, der dich aus den Fluten gezogen hat.“

„Gaius Calpurnius?“ Ungläubig blickte Livia ihre Sklavin an. „Warum hätte er das tun sollen?“

„Oh Herrin. Welche Frau versteht schon die Männer. Es ist wahr, er war es, der dir das Leben gerettet hat. Sobald du dich besser fühlst, möchte er dich sehen.“

Livia schaute ihre Amme durchdringend an. Sagte sie wirklich die Wahrheit, oder wollte sie ihr nur eine trügerische Hoffnung geben?

„Er möchte dich wirklich sehen, und er schien mir sehr besorgt um dich.“

„Sag ihm, dass ich ihn nicht sehen will. Er soll mich in Ruhe lassen.“

„Was soll das, Herrin? Irgendwann wirst du ihm doch gegenüberstehen müssen. Sei also vernünftig. Es ist höchste Zeit, dass ihr wieder miteinander redet. Und nie war die Gelegenheit zu einer Aussprache für dich günstiger als jetzt. Dein Selbstmordversuch hat den Herrn tief getroffen. Er weiß nur zu genau, dass sein Verhalten dir gegenüber die Ursache dafür war. Nutze also deine momentane Position und komm zu einer Übereinkunft mit ihm.“

„Zu einer Übereinkunft?“ Livia schluchzte leise vor sich hin. „Wie soll das möglich sein? Mein Anblick wird ihm jedes Mal erneut die Schande ins Gedächtnis zurückrufen. Wie kann ich mich da mit ihm einigen?“

„Sei nicht töricht, Herrin. Dein Problem ist, dass du ihn noch immer liebst. Aber diese Liebe ist er gar nicht wert. Wo war er, als Caligula dich raubte? Hat er dich verteidigt, wie es seine Pflicht gewesen wäre? Er tat es nicht. Deshalb hat er am allerwenigsten das Recht, dir Vorwürfe zu machen. Und du darfst dich deswegen nicht länger grämen. Ich rate dir noch einmal, einige dich mit ihm. Ihr werdet für eine lange Zeit nebeneinander her leben müssen. Dein Selbstmordversuch hat ihn der Vernunft und Einsicht nähergebracht. Nutze diese Gelegenheit.“

„Nicht jetzt. Ich kann ihn jetzt nicht sehen.“

„Glaub mir, das wäre ein Fehler, Herrin. Im Augenblick ist er tief erschüttert. Das macht ihn nachgiebig. Darum musst du jetzt mit ihm reden. Er wird dir alle nur erdenklichen Zugeständnisse machen. Verlange von ihm, dass er dir die Achtung entgegenbringt, die der Herrin des Hauses gebührt. Und sage ihm, dass du dich sobald wie möglich von ihm scheiden lassen wirst.“

„Aber ich will mich doch gar nicht scheiden lassen.“

Vestasia lächelte wissend. „Trotzdem lasse es ihn glauben. Halte zu ihm Abstand. Zeige ihm nicht, wie sehr du ihn noch immer liebst. So wirst du ihn dir am schnellsten gefügig machen.“

Traurig schüttelte Livia den Kopf. „Er wird mich niemals mehr lieben können. Das weiß ich genau. Aber trotzdem sollte ich deinen Rat vielleicht befolgen. Schick ihn herein.“

Als Gaius Calpurnius kurze Zeit später die Kabine Livias betrat, war ihm deutlich anzusehen, dass er noch immer unter dem Schock stand, in den Livias Selbstmordversuch ihn versetzt hatte.

„Fühlst du dich wieder wohl?“ Die Frage kam gepresst über seine Lippen. Verlegen steckte er dabei die Hände in den Gürtel, der seine Tunika hielt.

„Danke“, antwortete Livia, erneut den Tränen nahe. Da stand er nun vor ihr, der Mann, der ihr noch vor wenigen Wochen ewige Liebe und Treue geschworen hatte, der sein Herz in ihre Hände gelegt hatte. Ein Fremder war er geworden, der weder die Worte noch den Mut fand zu sagen, was gesagt werden musste. Trotzig schluckte Livia ihre Tränen hinunter. Vielleicht sollte sie wirklich auf Vestasia hören. Da seine Liebe zu ihr unwiderruflich gestorben schien, was blieb ihr da noch anderes, als Vernunft walten zu lassen?

„Du wolltest mit mir reden, Gaius Calpurnius. Bitte! Sprich! Ich werde dir zuhören. Doch lass mich dir vorher etwas sagen. Ich hätte es schon längst gesagt, wenn du mir die Gelegenheit gegeben hättest. Doch seit Caligula mich in dein Haus zurückbringen ließ, hast du es ja vermieden, mit mir ein Wort zu wechseln. Sei’s drum. Vielleicht habe ich nicht das Recht, dir deswegen Vorwürfe zu machen. Ebenso habe ich wahrscheinlich das Recht verwirkt, dich an deine Liebesschwüre erinnern zu dürfen. Ich werde es ertragen, obwohl ich nicht weiß, was du mir eigentlich vorwerfen kannst. Ich bin nicht freiwillig mit dem Kaiser gegangen. Und ich habe mich mit aller Kraft gewehrt, als er mich das erst Mal nahm. Doch ich befürchte fast, das hat seine Lust an diesem Streich nur erhöht. Doch was soll’s noch. Ich möchte an diesen schrecklichen Tag nicht mehr erinnert werden. Ungeschehen hingegen kann ich nichts machen. Ich…“

„All das weiß ich, Livia. Ich weiß auch, ich hatte kein Recht, dich derart herablassend zu behandeln, wie ich es getan habe. Vergib mir bitte. Ich verspreche, es nie wieder zu tun, auch wenn das die Angelegenheit für mich noch schwerer macht. Ab sofort werde ich dich mit der Achtung und Ehrerbietung behandeln, die dir als meiner Frau zukommt.“

Livia nickte traurig. Sie spürte, mehr konnte sie nicht verlangen. Doch es war nicht das, was sie sich wünschte.

„Ich werde dem Kaiser schreiben und ihn um eine Scheidung bitten. Irgendwann wird er meine Bitte gewähren.“

Ein schmerzliches Lächeln umspielte für einen Augenblick Calpurnius‘ Mund.

„Du bist eine wunderbare Frau, Livia. Wie sehr wünschte ich, ich könnte all das ungeschehen machen. Verflucht sei der Kaiser!“ Ein zorniges Zucken verhärtete plötzlich die Gesichtszüge Calpurnius´. „Natürlich habe ich nicht das Recht, dir Vorschriften zu machen. Wenn du unter den nun einmal gegebenen Umständen eine baldige Scheidung willst, verstehe ich das. Trotzdem bitte ich dich, auf meinen Rat zu hören. Schreibe Caligula nicht. Lass ihn uns vergessen. Das ist im Augenblick unser bester Schutz.“

„Du fürchtest, er könnte uns noch mehr antun wollen?“

„Auf einen Wink dieses Verrückten wird uns die Kehle durchgeschnitten. Aber ich will nicht sterben, Livia, nicht, bevor ich mich gerächt habe.“

„Es ist gefährlich, so etwas auch nur zu denken.“

Ein zorniges Blitzen erhellte Calpurnius´ Augen.

„Es ist auch gefährlich, Wahnsinnigen die Macht in die Hände zu legen. Gewiss, ich gebe zu, als Caligula vor einem Jahr den Thron bestieg, war auch ich von ihm begeistert. Es schien auch am Anfang so, als ob die jahrelange Schreckensherrschaft des Tiberius endlich durch einen vernünftigen Kaiser beendet werden würde. Caligula arbeitete für das Volk, und das Volk liebte ihn dafür. Doch dann wurde er krank. Diese Krankheit muss den Wahnsinn, der wohl schon immer in ihm geschlummert hat, zum Ausbruch gebracht haben. Nach seiner Krankheit ist er grausam und unberechenbar geworden. Die Einzige, die ihn noch einigermaßen in Zaum halten kann, ist seine Schwester Drusilla. Mit Sicherheit haben wir es ihrem Einfluss zu verdanken, dass wir noch leben. Armes Rom! Seit es von Kaisern regiert wird, ist es dem Verfall geweiht. Nur eine Rückkehr zur alten Ordnung kann es noch retten.“

Gaius Calpurnius‘ Stimme war immer lauter geworden. Erschreckt von dem Eifer und Feuer seiner Worte fuhr Livia zusammen.

„Schweig! Bei den Göttern, Calpurnius, sprich nicht weiter. Wenn einer dort draußen deine Worte hört, ist unser Leben verwirkt.“

„Nun.“ Gaius Calpurnius lächelte bitter. „Wenn nicht ich, so wird ein anderer diesem Wahnsinn ein Ende setzen. Tyrannen hat Rom jedenfalls schon mehr als genug gesehen.“

Livia nickte erschöpft. „Gewiss hast du recht. Trotzdem solltest du deine Zunge besser in Zaum halten. Auch diese Wände könnten Ohren haben.“

„Ich weiß. Dennoch tut es gut, die Wahrheit einmal ausgesprochen zu haben. Ich danke dir, dass du mir zugehört hast. Und ich bitte dich noch einmal, mir zu verzeihen. Ich wünschte wirklich, ich könnte dir mehr als meine Achtung bieten.“

Livia spürte den tiefen Stich, den Calpurnius’ Worte ihrem Herzen versetzten. Trotzdem brachte sie die Kraft auf zu erwidern: „Vielleicht kann aus dieser Achtung irgendwann echte Freundschaft werden.“

Gaius Calpurnius nickte zustimmend. „Vielleicht, Livia. Überlassen wir diese Entscheidung der Schicksalsgöttin, die uns so übel mitgespielt hat. Ich gehe jetzt, damit du dich ein wenig ausruhen kannst.“

Schweigend folgte Livias Blick Calpurnius. Deutlich spürte sie den Krampf, der ihr Herz umklammerte. Wie sehr liebte sie diesen Mann doch.

Kaum zwei Monate später traf das Schicksal Livia erneut mit seiner ganzen Härte. Fassungslos starrte sie von der Terrasse der kleinen, baufälligen Villa, die sie und Calpurnius auf Sardinien bezogen hatten, aufs Meer hinaus. Das Entsetzen, das in ihrem Herzen tobte, ließ den Schmerz, der ihr Herz verkrampfte, noch immer nicht zum Ausbruch kommen. Die Befürchtungen, die sie seit Wochen gequält hatten, waren nun zur traurigen Gewissheit geworden. Ihr Zusammensein mit dem Kaiser war nicht ohne Folgen geblieben. Sie erwartete ein Kind. Doch noch immer wehrte sich alles in Livia gegen diesen Gedanken. Wie sollte sie dieses Kind austragen, würde sie es doch nie lieben können?

Livia zweifelte plötzlich nicht mehr daran, dass sie von den Göttern verflucht war. Kaum hatte sich ihr Zusammenleben mit Gaius Calpurnius einigermaßen normalisiert, hatten sie beide einen Weg gefunden, sich trotz der vergangenen Vorkommnisse mit Respekt und Achtung zu begegnen, da musste das Schicksal sie erneut strafen. Livia schauderte bei dem Gedanken an Calpurnius. Wie würde er diese Neuigkeit aufnehmen? Würde sie abermals seine ganze Verachtung treffen? Die Aussöhnung mit Calpurnius, die ihr noch vor kurzem möglich erschienen war, war nun abermals in unerreichbare Ferne gerückt. Wie sollte er Liebe für sie empfinden können, wenn vor seinen Augen in ihrem Leib das Kind jenes sadistischen Verrückten wuchs? Tränen stiegen Livia in die Augen und rannen ungebändigt über ihre Wangen.

„Nun, was hat der Arzt gesagt? Hat er einen Grund dafür gefunden, dass dir ständig übel ist? Hat er den Verdacht, dass Gift im Spiel sein könnte?“

Die Stimme Calpurnius´, erfüllt von aufrichtiger Besorgnis, ließ Livia zusammensinken. Wie sollte sie ihm nur gegenübertreten und ihm die grausame Wahrheit gestehen?

„Bitte Calpurnius, lass mich allein. Ich kann jetzt nicht mit dir reden“, schluchzte Livia vor sich hin, das Gesicht weiter starr auf das Meer gerichtet, um seinem Blick nicht begegnen zu müssen.

„Dann ist es also wirklich etwas Ernstes?“

Calpurnius zuckte kaum merklich zusammen. Die Sorge um Livias Gesundheitszustand, die dauernde Übelkeit, die sie in den letzten Wochen befallen hatte, hatten ihm auf merkwürdige Weise deutlich gemacht, wie viel ihm noch immer an dieser Frau lag. Ohne ihre Gesellschaft konnte er sich ein Leben in dieser Einöde kaum noch vorstellen. Entschlossen ging er auf sie zu, drehte sie zu sich herum und blickte in ihre großen, feuchten Augen.

„Sag mir, was mit dir los ist. Ich muss es wissen, Livia.“

„Oh Calpurnius! Heute wünsche ich mir mehr als jemals zuvor, du hättest mich damals ertrinken lassen. Es wäre für uns alle besser gewesen. Wie soll ich nun weiter mit dir unter einem Dach leben können, wie dir in die Augen sehen und dabei…“ Schluchzend brach Livia den Satz ab. Sie fand weder die Kraft noch den Mut, Calpurnius die Wahrheit zu sagen. Ungeduldig, von Angst und Sorge erfüllt, schüttelte Calpurnius Livia sacht.

„Sag mir, was der Arzt gesagt hat. Ich bin dein Mann. Ich habe ein Recht, es zu erfahren.“

„Ich kann es dir nicht sagen. Ich schäme mich so sehr. Ich möchte dich nicht schon wieder verletzen.“

„Livia, du musst es mir aber sagen.“ Forschend blickte Calpurnius seine Frau an. „Nichts kann so schlimm sein, dass wir damit nicht fertig werden könnten.“

„Doch“, antwortete Livia, plötzlich von einer unheimlichen Ruhe erfüllt. Ihre großen dunklen Augen starrten an ihm vorbei ins Leere, so, als könnte sie dort etwas sehen, was anderen verborgen blieb. „Fast jede Nacht wache ich schreiend auf, Calpurnius. Im Traum ist er bei mir und lacht mich wieder höhnisch an. Seine langen, ekelerregenden Finger greifen erneut nach mir, um mich endgültig in den Abgrund zu ziehen. Bis heute hoffte ich, irgendwann würde all dies aufhören. Irgendwann musste sich doch der Schleier des Vergessens über diese vier Tage senken. Jetzt weiß ich, dass ich mich geirrt habe. Ich werde niemals vergessen können. Das, was in mir zu neuem Leben heranreift, wird mich auf ewig an meine Schande erinnern. Doch noch mehr. Irgendwo tief in meinem Innern fühle ich, dass ich meinen Tod in mir trage.“

Endlich wand sich Livias Blick Gaius Calpurnius zu. In ihren großen entsetzten Augen lagen Angst und Schrecken. „Ja, Calpurnius, ich weiß, ich bin verflucht, ebenso wie das Kind, das ich in mir trage.“

Gaius Calpurnius´ Stirn zog sich in Falten. Was sagte Livia da? Das konnte doch nicht wahr sein. Seine Frau trug Caligulas Kind. –

Es dauerte einige Zeit, bis Calpurnius den ersten Schock überwunden und sich die ganze Tragweite dieser neuen Situation vor Augen geführt hatte. Forschend suchte er schließlich Livias Blick. Da war es wieder, jenes merkwürdige, widersinnige Gefühl, das sich gegen seinen Willen seiner bemächtigte. Niemals zuvor war ihm Livia schöner erschienen. Wie verletzlich und schutzbedürftig sie doch war. Calpurnius war klar, dass sie ihn jetzt mehr brauchte als jemals zuvor. Unter keinen Umständen durfte er sie noch einmal verraten.

„Ich werde dem Kaiser schreiben. Ich bin sicher, jetzt wird er in unsere Scheidung einwilligen.“

„Ja, das wird er wohl tun. Doch was wird dann aus dir werden?“

Caius Calpurnius scharfer Verstand sagte ihm, dass Caligula nicht ewig regieren würde. Der Kaiser hatte sich bereits zu viele Römer zu Feinden gemacht. Wenn er ermordet werden würde, würden auch Livia und deren Kind in den Sog der Vernichtung gezogen werden. Das Kind eines Kaisers, ganz gleich wie alt es war, war nun einmal von Bedeutung, weil es als möglicher Erbe auftreten konnte.

„Das darfst du nicht tun, Livia, unter keinen Umständen. Bitte vergiss, wie ich dich nach unserer Hochzeit behandelt habe. Ich hoffe sehr, dass du es kannst. Mein dummer männlicher Stolz war gekränkt. Das war es wohl, was meinen Verstand für einige Zeit gelähmt hat. Aber jetzt sehe ich wieder klar. Wenn bekannt wird, dass du vom Kaiser ein Kind erwartest, ist über kurz oder lang unser aller Leben in Gefahr. Darum darf niemand erfahren, dass es Caligulas Kind ist. Nach römischem Recht bin ich der Vater, denn du bist meine Frau. Dabei sollten wir es belassen. Das ist mein Rat, Livia.“

Livia war von der Reaktion Calpurnius´ völlig überrascht. „Warum willst du das für mich tun? Ich weiß, du hasst den Kaiser. Warum willst du dann trotzdem sein Kind anerkennen?“

Gaius Calpurnius antwortete sachlich: „Dafür gibt es etliche gute Gründe, Livia. Der erste und wichtigste ist, dass ich nicht will, dass dir etwas zustößt. Aber es ist auch ein bisschen Rache dabei. Selbst wenn Caligula ahnt, dass es sein Kind ist, nehme ich ihm durch die Anerkennung der Vaterschaft jede Möglichkeit, sein Recht auf dieses Kind geltend zu machen. Vor allem aber bin ich davon überzeugt, dass Caligula keine Zukunft hat. Sein Tod ist nur eine Frage der Zeit. Ein solcher Kaiser ist eine Schande für das römische Imperium. Und mit dem Kaiser wird auch dessen Familie fallen. Glaub mir, Livia, es ist besser, hier in der Verbannung das Ende Caligulas abzuwarten, als in Rom mit ihm zu sterben.“

Nachdenklich durchforschte Livias Blick Calpurnius´ Gesicht. „Was liegt dir an mir und diesem Kind?“, fragte sie schließlich unsicher.

„Ich will dir ehrlich antworten, Livia. Ich bin mir über meine Gefühle zu dir immer noch nicht recht im Klaren. Deshalb rate ich dir jetzt nur als aufrichtiger Freund. Mehr kann ich dir im Augenblick nicht bieten. Gib mir Zeit. Manchmal vollbringt sie Wunder. Als ich dich heiraten musste, war ich davon überzeugt, ich könnte dich nur noch hassen. Ich habe nur meine Schande gesehen und darüber völlig vergessen, was dir angetan worden ist. Doch seit wir hier zusammenleben, hat sich an meinen Gefühlen für dich vieles verändert. Ich weiß nicht, ob die Liebe, die ich einmal für dich empfunden habe, jemals wieder zurückkehren wird. Aber eins ist sicher. Dein Schicksal ist mir nicht gleichgültig.“

Ein Gefühl des Glücks durchströmte Livia plötzlich. Eben noch war ihr alles leer und hoffnungslos erschienen. Doch nun sprach Gaius Calpurnius von Liebe. Sollte es denn wirklich möglich sein, dass sich ihr Schicksal noch einmal wenden ließ? Die kleinste Aussicht darauf genügte Livia bereits, um neuen Mut zu fassen. Natürlich würde sie Gaius Calpurnius´ Weisungen folgen. Sie würde ihn zum Vater ihres Kindes machen und schweigen. Das Geheimnis würde bei ihr gut aufbewahrt sein.