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Apotheker wie sein Vater ist er nicht geworden, der 1854 in Honfleur am Ärmelkanal geborene Schriftsteller Alphonse Allais, dafür aber ein gewitzter Journalist, Kabarettist und Verfasser zahlreicher spritziger Kurzgeschichten. In Deutschland kaum bekannt, gehört er in Frankreich zum bleibenden Bestand der Humoristen, auf deren Texte immer gern zurückgegriffen wird. Allais’ großes Thema war die Liebe. In ereignisreicher Zeit aufgewachsen, die vom Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, der Kommune und späteren revanchistischen Bestrebungen der Politik geprägt war, verspottete er gern die Militärs, besonders den Kriegsminister Boulanger. Vorwiegend aber widmete er sich dem Milieu, in dem er seit seiner Übersiedlung nach Paris zu Hause war: der Bohème von Quartier Latin und Montmartre. Leichte Mädchen, geizige Schankwirte, gehörnte Ehemänner, trinkfeste Künstler, aber auch vertrocknete Beamte, heruntergekommene Adlige, wunderliche Seeleute und Zöllner sind die Helden seiner griffig geschriebenen pointierten Texte. Wenn der Maler in etwa sein Modell in Stimmung bringt, der sparsame Schwager den Leichnam des Kohlenhändlers zum Fotografen schleppt, eine sexverrückte Gräfin den Musikus am liebsten mitsamt seinen Geräten ins Bett holen will, verspürt man selber den Kitzel und die Freude, die dieser arglistig-freundliche Franzose beim Ausdenken seiner Geschichten ganz bestimmt hatte.
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Seitenzahl: 138
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Impressum
Die Palme
Die entflammte Bacchantin
Jugend
Der Sprengwagen
Die Kutsche als Liebesnest
Ein Philosoph
Schmuggel
Die Templer
Weiße Nacht eines Roten Husaren
Mjusik
Das Abenteuer eines Orchestermannes
Ehrenbezeigung für Mougeot
Eine glänzende Idee
Der Korken
Moderne Idylle
Sparsamkeit
Eine Lokalnachricht
Ein dankbarer Patient
Tom
Aalfang
Ein trefflicher Rat
Selbsthypnose
Ein alter Seebär
Der Mann mit dem Holzbein
Eine unverhoffte Reise
Die Küste Westafrikas
Beleidigungen Frankreichs
Und Daudet?
Berufung
Der schlaue Reservist
Liebesdienste
ALPHONSE ALLAIS, DER SPÖTTISCHE WIKINGER
Einige Angaben zu den erwähnten Orten und Personen
Klaus Möckel
E-Books von Klaus Möcke
Alphonse Allais
Die Kutsche als Liebesnest und andere Frivolitäten
Herausgegeben, aus dem Französischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Klaus Möckel
ISBN 978-3-95655-984-6 (Buch)
ISBN 978-3-95655-985-3 (E-Book)
Umschlaggestaltung: Ernst Franta unter Verwendung eines Bildes von Gcomics
© 2019 EDITION digital
Pekrul & Sohn GbR
Godern
Alte Dorfstraße 2 b
19065 Pinnow
Tel.: 03860 505788
E-Mail: [email protected]
Internet: https://www.edition-digital.de
Zur Zeit hab ich die Frau eines Bäckers zur Geliebten, der an der Ecke des Faubourg Montmartre und der Rue de Vaubeuge zu Hause ist.
Ein braver Kerl, dieser Bäckersmann, sanft und gefällig wie kein zweiter.
Wenn er mit der Bahn fährt, und sie kommen an eine Steigung, die ein bisschen steiler ist, springt er aus dem Zug und rennt bis zur Hügelkuppe hinter ihm her. „So hat es die Lokomotive leichter“, sagt er mit seinem gütigen Lächeln.
Wir haben zusammen unseren Reservistendienst hinter uns gebracht. Von dieser lehrreichen Zeit rühren unsere Beziehungen her.
In sein Heim zurückgekehrt, hatte er nichts Eiligeres zu tun, als mir seine Frau vorzustellen.
Was geschehen sollte, geschah: Seine Frau betete mich an, und ich schnappte sie mir. (Im Gegensatz zur Ästhetik feinfühliger Leute ziehe ich die Frauen meiner Freunde den anderen vor: Da weiß man, was man hat.)
Ihr kennt sie alle, Bürger vom Montmartre, (die andern lassen mich kalt)! Tausendmal schon habt ihr sie gesehen, wenn ihr zur Butte (Montmartrehügel)hinaufgestiegen seid, wie sie hinter ihrer Kasse thronte, umgeben vom herrlichen Gold ihrer Brote.
Ihr hübsches kleines Haupt, auf Unschuld frisiert, wirkt komisch über ihrer zu üppigen Brust, aber ich liebe das. In Bezug auf Moral stellt Marie (denn sie heißt ganz normal Marie) eine eigenartige Mischung von Reinheit und Laster dar, von Unwissenheit und Machiavellismus.
Unschuldig wie ein Wurm und zugleich außerordentlich durchtrieben. Bei alldem aber sehr freigiebig, und wenn sie etwas verschenkt, von einem Zartgefühl, wie nur sie es besitzt.
„Was, du hast keine Uhr?“, sagte sie eines Tages zu mir. „Gib mir dreißig Francs, ich werde dir eine bei einem Uhrmacher kaufen, den ich kenne.“
Am nächsten Tag brachte sie mir ein wunderbares Chronometer aus einem Metall, das man für Gold halten konnte, mit einer Kette, schwer wie ein Überseekabel.
„Wie viel hast du dafür bezahlt?“
„Achtundzwanzig Francs, mein Schatz.“
„Achtundzwanzig Francs bloß?“
„Aber ja, mein Freund, bei einem kleinen bescheidenen Uhrmacher … Er hat nicht so viel Kosten wie die großen Geschäfte, verstehst du?“
„Es ist trotzdem billig.“
Sie bestand darauf, mir die zwei Francs Restgeld zu geben.
Einige Tage später, jeglicher Reserven beraubt, trug ich meine Uhr in die Rue de Buffault (in das Pfandhaus mit der schmutzigen Fahne), in der Hoffnung, vielleicht hundert Sous dafür in Empfang zu nehmen.
Der Mann wog den Gegenstand in der Hand und fragte schüchtern, ob mir dreihundert Francs genügten.
Ohne mit der Wimper zu zucken, stimmte ich zu.
Am Abend konnte ich es mir allerdings nicht verkneifen, Marie zärtlich wegen ihrer Verrücktheit zu schelten.
An einem anderen Tag kam sie völlig außer Atem an, fiel mir um den Hals und sagte: „Schau aus dem Fenster, was für ein schönes kleines Geschenk ich dir besorgt habe.“
Auf der Straße luden Männer eine Zimmerpalme von einem Lastwagen ab, die mir unmäßig groß schien.
„Ich bin mir sicher“, ergänzte sie, „dass du seit langem davon träumst, eine Palme in deiner Wohnung zu haben.“
Ich hatte mich nicht getäuscht, diese Palme war samt ihres Kastens nicht weniger als vier Meter zwanzig hoch, während mein Zimmer in der Senkrechten lediglich drei Meter fünfzehn maß.
„Außerdem“, fügte sie noch hinzu, „betrachte ich diese Palme als Symbol der Liebe. Solange sie grünt, liebst du mich. Wenn die Blätter gelb werden, dann, weil du mich betrügst.“
„Na ja, aber …“
„Es gibt kein Aber!“
Nichts war sonderbarer als diese Palme, die, um in meinem Zimmer zu bestehen, zu einer äußerst gekrümmten Haltung gezwungen wurde. Man konnte glauben, irgendein ewiger Samum beuge diese arme Pflanze.
Eines Tages, als ich nach mehrwöchiger Abwesenheit nach Paris zurückkehrte, schaute ich an der Bäckerei vorbei, bevor ich zu mir hinaufstieg. Marie war allein.
„Geh schnell in deine Wohnung … dort hab ich eine schöne kleine Überraschung für dich.“
Ich suchte mein Domizil auf, wobei ich wegen dieser schönen kleinen Überraschung eine unbestimmte Furcht verspürte.
Marie hatte die Wohnung über mir gemietet und in den Fußboden ein kreisrundes Loch schneiden lassen, durch das die prächtige Palme nach Belieben ihren Kopf stecken konnte. Ein kleines, höchst elegantes Geländer umgab die Öffnung.
All diese Arbeiten waren selbstverständlich ausgeführt worden, ohne dass die Concierge oder der Hausbesitzer den geringsten Wind davon bekommen hätten.
Einige Tage danach, als ich einmal ganz unvorhergesehen nach Hause kam, fand ich Marie mit einem großen Ägypter zusammen, den ich als einen Eselstreiber aus der Rue de Caire wiedererkannte. Beide hatten wenig an.
Marie verlor keineswegs die Fassung. „Der Herr“, sagte sie und zeigte auf den Burschen, „ist von Haus aus Gärtner. Ich habe ihn hergebeten, damit er sich unsere Palme anschaut und uns einige Ratschläge gibt, wie man sie pflegen soll.“
Ich legte dem Sohn der Pyramiden höflich nahe, sich um das Grünzeug in anderen Gegenden zu kümmern.
Ein stummer und vorwurfsvoller Blick schmetterte mich ach so Wankelmütigen nieder.
„Du vertraust mir nicht, Liebster.“
…
„Es stimmt trotzdem. Und überhaupt ödest du mich an mit deiner ständigen Eifersucht.“
Marie packte ihre Habseligkeiten zusammen und verschwand.
Diese Trennung bereitete mir großen Kummer.
Um die Ungetreue zu vergessen, stürzte ich mich in wilde Ausschweifungen. Man sah mich nur noch in den Folies-Bergères, den Folies-Hippiques, den anderen Folies, kurz, an allen verrückten Orten, wo man jene Geschöpfe antreffen kann, die aus ihrem Körper eine Ware machen.
Jeden Abend kam ich mit einem anderen Geschöpf nach Hause und liebte Marie mehr als je zuvor.
Während dieser Zeit entwickelte sich die Palme großartig. Sie trieb neue Blätter und blühte wie mitten im Orient.
Eines Morgens begegnete ich Marie, als sie im Montmartre-Viertel ihre Einkäufe machte. Wir schlossen Frieden.
Sie erkundigte sich nach ihrer Palme.
„Schau sie dir doch selber an“, sagte ich..
Sie war in der Tat entzückt, wie gut sich der Baum hielt!
Und doch verdunkelte ein bitterer Gedanke ihr Glück.
„Wahrhaftig“, erklärte sie in höchst burschikosem Ton, „das ist nicht verwunderlich. All die Kamele, die du in meiner Abwesenheit hierher gebracht hast, haben sie an ihr Land erinnert, und das hat sie erfreut.“
Ich verschloss ihr den Mund mit einem Kuss hinterm Ohr.
Alle Frauen fanden, dass dieses Mädchen nichts Besonderes an sich hatte, aber alle Männer waren verknallt in sie wie dumme Tröpfe.
Der reiche Kunstliebhaber vertiefte sich lange in das Bild.
Es war ein schönes, gerade erst gemaltes Bild, das eine halbnackte, auf dem Rücken liegende Bacchantin darstellte.
Man konnte erkennen, dass es sich um eine Bacchantin mit Weintrauben handelte; sie knabberte mit ihren prächtigen Zähnen daran. Weinlaub rankte sich in ihr Haar wie in das Haar jeder Bacchantin, die auf sich hält oder es auch sein lässt.
Der reiche Kunstliebhaber war zufrieden, ohne es ganz zu sein.
Angstvoll erwartete der junge Maler die für ihn wichtige Entscheidung.
„Mein Gott, ja“, sagte der Kunstliebhaber, „das ist recht gut … ist wirklich nicht schlecht: Der Kopf ist gelungen, der Busen auch, es ist trefflich gemalt … Die Weintrauben lassen mir das Wasser im Mund zusammenlaufen …Trotzdem … Ihre Bacchantin sieht noch nicht genug nach einer … wie sag ich es nur … Bacchantin aus.“
„Wäre es Ihnen vielleicht lieber, wenn die Frau betrunken wäre?“, äußerte sich schüchtern der Künstler.
„Betrunken? Keineswegs! Vielmehr … wie soll ich es bloß erklären – entflammter!“
Der Maler erwiderte nichts, kratzte sich aber den Kopf.
Dabei hatte der reiche Kunstliebhaber in diesem Fall recht. Die Bacchantin war außerordentlich hübsch, aber für eine Bacchantin ein wenig vernünftig. „Wohlan, junger Freund“, zog der Mäzen die Schlussfolgerung, „setzen Sie noch ein paar Stunden dran. Ich komme morgen früh wieder. Bis dahin versuchen Sie die … wie sagte ich doch?“
„… die Bacchantin zu entflammen!“
„Genauso ist es.“
Und der Mäzen verschwand.
Entflammen wir die Bacchantin, sagte sich mutig der Maler, entflammen wir die Bacchantin!
Modell für die junge Dame auf dem Bild hatte ihm ein achtzehnjähriges Prachtmädchen gestanden, das es mit der Moral nicht so genau nahm und bestimmt über den schönsten Busen von Paris nebst all seinen Vororten verfügte.
Ich glaube, wenn ihr dieses Modell kennen würdet, ihr würdet nie mehr ein anderes wollen.
Der Kopf entsprach dem Busen, der ganze übrige Körper dem Busen und dem Kopf. Folglich …
Leider war sie ein wenig kühl.
Eines Tages, als sie bei Gustave Boulanger Modell stand, sagte der Meister mit einer Spur Ungeduld zu ihr: „Aber so sei doch ein bisschen entflammter, man könnte ja meinen, du bist ein amtlich bestalltes Modell.“ (Unter uns, der Scherz ist aus dem Mund eines Akademiemitglieds wirklich deplatziert.)
Unser junger Künstler begab sich in aller Eile zu seinem Modell.
Die junge Dame schlief noch. Er brachte sie dazu, sich zu erheben und anzuziehen. Alles mit professioneller Diskretion – dann nahm er sie mit zu sich. Er hatte so eine Idee.
Sie speisten zusammen.
Gerichte, aufs kräftigste gewürzt, bedeckten den Tisch, und der Champagner sprudelte in solchem Überfluss, als wäre es Regenwasser. Nach dem Mahl, das könnt ihr mir glauben –, was die entflammte Bacchantin betraf, so gab es eine entflammte Bacchantin!
Auch der junge Maler war entflammt. Sie nahm wieder ihre Pose ein.
„Donnerwetter“, rief er, „das ist es!“
Man kann es ihm glauben, das war’s wirklich.
Sie hatte sich ein wenig zu weit zurückgelehnt. Ihre Wangen flammten in einem fröhlichen Karmin, ein ungemein delikates Rosa bedeckte in sanften Abstufungen das makellose Elfenbein ihres königlichen Busens.
Sie hielt die Lider fast geschlossen, aber durch ihre langen Wimpern hindurch sah man das lustige Blitzen ihrer kleinen grauen Augen.
Und in dem einzigartigen Purpur ihres halbgeöffneten Mundes leuchtete das feuchte, verführerische Perlmutt ihrer schönen Zähnchen.
Als der reiche Kunstliebhaber am nächsten Tag wiederkam, fand er das Atelier geschlossen.
Er stieg zur Wohnung hinauf und klopfte bum, bum, bum, unzählige Male an die Tür.
„Meine Bacchantin“, rief er, „was ist mit meiner Bacchantin!“
Endlich ertönte eine Stimme aus der Tiefe des Schlafraums, die nur der Bacchantin gehören konnte, und sie erwiderte:
„Noch nicht fertig!“
Wenn man bedenkt, dass man zwanzig Jahre alt war, dass man es nicht mehr ist und niemals mehr sein wird!
Never more! Wie Edgar Allan Poe sagte, der amerikanische Vorfahre unseres Lucien Poe, des allseits bekannten Archäologen vom Montmartrehügel.
Was übrigens diesen Archäologen vom Montmartre betrifft, so lasst mich eine Anekdote erzählen, die euch einen Eindruck von Luciens geistreicher Art vermittelt, den Dingen zu begegnen.
Gandillot, der junge und schon berühmte Dramatiker, wollte einer schönen Frau, die ihm dies und das gewährt hatte, ein Geschenk machen und ging zu Poe.
„Hast du nicht irgendeine Terrakotta für mich“, fragte er, „eine Figur, einen alten Becher?“
„Tut mir leid, mein alter Léon, im Augenblick kann ich höchstens einen mit dir bechern.“
Aber lassen wir die Dramatiker und Altertumsforscher – wenden wir uns dem eigenen Kram zu.
Zwanzig Jahre, hab ich gesagt, ach ja, zwanzig Jahre!
Ich weiß nicht, wo ihr mit zwanzig wart, ich jedenfalls bewohnte ein hübsches kleines Zimmer im fünften Stock eines Hauses am Boulevard Montparnasse, ganz in der Nähe der Rue Vavin, die Nummer hab ich vergessen.
Nicht weit von meiner Wohnstatt entfernt, befanden sich die „Galerien Montparnasse“. Dort kauften die Hausfrauen des Viertels ihre Modewaren.
Ich habe mich immer gefragt, warum der Begründer dieses Unternehmens das Wort Galerie in die Mehrzahl setzte. Ich weiß nicht einmal, weshalb er es überhaupt verwandte, habe nie die Gründe dafür verstanden. Aber der Begriff hat mich stets ungeheuer beeindruckt. Eine Galerie!
Die „Galerien Montparnasse“ hatten nichts Ungewöhnliches an sich außer ihrem Namen und ihrer Besitzerin.
Heute – angenommen sie lebt noch – hat diese Frau gewiss ihre erste Frische verloren, denn bereits in jener Zeit (ach, meine zwanzig Jahre!) war sie schon etwas welk, wenn auch nur etwas.
Was bedeutete das schon? Ihre großen schwarzen Augen, ihre auf spanisch frisierten Schmachtlocken, ihre braunen Löckchen links und rechts hatten mein armes Herz völlig verwirrt. Ich liebte sie, und wie ich sie liebte!
Mit zwanzig Jahren zählte ich, was die Liebeshatz betrifft, zu den dümmsten Burschen meines Alters (im übrigen allerdings war ich bemerkenswert intelligent). Nie wagte ich es, Madame Galerie (wie ich sie nannte, weil ich ihren richtigen Namen nicht kannte) meine Leidenschaft zu gestehen. Jeden Morgen traf ich sie, wenn sie ihre Einkäufe machte. Ich grüßte sie mit einer möglichst gleichgültigen Miene.
Sie lächelte mich verführerisch an, doch ich rannte davon. Ich ungeheurer Trottel!
Am Nachmittag fand ich mich regelmäßig in ihrem Geschäft ein, um ein Taschentuch zu vier Sous zu erstehen. (Ein Rest vom Ende der Saison, der sich nie erschöpfte).
Sie nahm meine zwanzig Centimes mit einem Lächeln entgegen, das mir Eden zu öffnen schien, und ich wurde rot wie der letzte Truthahn. Ich einmaliger Esel!
Außer Madame Galerie bestand das Personal des Geschäfts aus Monsieur Galerie, einem Mann mittleren Alters mit dem Aussehen eines Dummkopfes. Als einzige Beschäftigung rauchte er, vor seiner Tür sitzend, wunderschöne Meerschaumpfeifen.
Dann gab es noch drei oder vier eher hässliche Ladenmädchen und einen unscheinbaren Ladenschwengel.
Eines Tages – was für eine beängstigende Veränderung – wurde der unscheinbare Ladenschwengel durch einen recht hübschen ersetzt. Er glich einem Stich aus der Friseurzeitung, gelockt und pomadeglänzend – einfach ekelhaft! Sofort richtetet sich mein wilder Hass gegen diesen elenden Handelsgehilfen. Und mein Instinkt hatte mich nicht getrogen!
Von dem Tag an, da dieses Individuum im Geschäft arbeitete, lächelte Madame Galerie mir nicht mehr zu, wenn sie ihre Einkäufe machte. Und sie nahm die zwanzig Centimes für meine Taschentücher ganz ungerührt entgegen. (Ach, diese Tücher, ich glaube, ich besitze heute noch welche.)
Ich aber warf diesem Schönling Blicke voller Verachtung zu. Sie schienen ihn zu verwundern.
Für gewöhnlich wandte ich mich inzwischen, wenn ich meine Taschentücher erstand, an eins der Ladenmädchen. Eines Tages aber ging ich direkt zu dem Stutzer. Ich wollte ihn mir kaufen.
„Guten Tag“, sagte ich. „Ich möchte ein Taschentuch.“
„Aber gern, mein Herr. Sie wollen nur eins?“
„Genauso ist es. Da ich nur eine Nase habe, brauche ich auch nur ein Taschentuch.“
„Batist?“
„Nein, kein Batist. Das ist mir zu sanft!“
Der Dummkopf verstand nichts von der Feinsinnigkeit dieses Scherzes. Schließlich verlangte ich eins meiner berühmten Tücher zu vier Sous.
„Welche Initialen, mein Herr?“
„Ich heiße Henri.“
„Wunderbar.“
Er brachte mir ein Taschentuch mit einem H in der Ecke.
„Entschuldigen Sie“, sagte ich, „doch Sie haben da etwas verwechselt. Mein Name beginnt mit dem Buchstaben A (Im Französischen wird Henri Angri gesprochen.).
„Aber nein, mein Herr, mit einem H.“
„Wenn ich Ihnen sage A, denn ist es A. Ich werde doch meinen Namen kennen.“
„Also, ich versichere Ihnen …“
„Lassen Sie mich in Frieden mit Ihren Versicherungen. Gehen Sie noch mal zur Schule!“
Ich hatte laut zu streiten begonnen. Der Ladenschwengel, langsam ungeduldig, erhob gleichfalls die Stimme.
Der Chef, von dem Lärm angezogen, unterbrach seine Raucherei und kam herbei.
„Was gibt es denn?“
„Das gibt es“, schrie ich aufgebracht, „Ihr Dummkopf von einem Angestellten will unbedingt, dass sich Alphonse mit einem H schreibt. Ich weiß durchaus, dass in diesem Namen ein H vorkommt, aber nicht am Wortanfang. Oder handelt es sich bei einer Initiale etwa nicht um den ersten Buchstaben?“
Entsetzt über so viel Unverschämtheit, versuchte sich der Schönling in verworrenen Erklärungen.
„Aber der Herr hat gesagt, dass er Henri heißt.“
„Henri? Ich soll Henri heißen?! Seh ich etwa so aus, als ob ich Henri hieße? Weshalb wollen Sie, dass ich von mir behaupte, Henri zu heißen, wenn mein Name Alphonse ist!“
Meine Begründung erschien Monsieur Galerie derart schlüssig, dass er, der sonst so ruhig war, seinen Angestellten ganz entrüstet anfuhr: „Alphonse mit einem H zu schreiben, so dumm kann man doch gar nicht sein! Sie sind unmöglich. Am Monatsende verlassen Sie mein Geschäft!“
Was für ein Triumph! Mein Streich hatte Erfolg gehabt. Der gefährliche Rivale wurde gefeuert. Madame Galerie gehörte mir!
(Denn ich muss sagen, dieser Schuft sah wirklich besser aus als ich. Übrigens versuchte ich niemals, den hübschen Kerl herauszukehren; die Frauen haben mich immer wegen meiner Klugheit geliebt.)
Das Monatsende kam und mit ihm die Abreise des schönen Verkäufers. Was aber sonderbar war – auch mein Idol an der Kasse sah ich nicht mehr.
Die Milchhändlerin von nebenan verriet mir des Rätsels Lösung. „Wissen Sie denn nicht, was in den ‚Galerien’ passiert ist?“
„Nein.“
„Na, der Chef hat seinen Angestellten vor die Tür gesetzt, und die Chefin ist mit dem Kerl durchgebrannt.“
Dieses Abenteuer kurierte mich ein für allemal in Bezug auf welke Damen. Seit jenem Augenblick vertraute ich mein Herz nur noch schüchternen Jungfrauen an.
Es war Frühling! Ein spät erblühter Frühling, der aber noch strahlend geworden war, ja sogar sehr heiß.