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Die romantisch veranlagte Prudence hält ihre Schwester für verrückt. Sophia wird eine Vernunftehe eingehen, durch die sie zur Gräfin wird. Dabei liebt sie ihren Verlobten gar nicht! Während der Londoner Ballsaison lernt Prudence Lord Knave besser kennen und stellt schockiert fest, dass er auch noch ziemlich arrogant ist. Aber Sophias Glück liegt ihr am Herzen und so macht sie es sich zum Ziel, dass die beiden sich bis zu ihrer Hochzeit ineinander verlieben.
Was Prudence dabei jedoch nicht bedacht hat, ist, dass sie sich womöglich selbst in Lord Knave verlieben könnte. Doch wird sie wirklich ihr Glück über das Ansehen und den Ruf ihrer Schwester stellen?
»Doch darin lag die Schönheit einer wahren Geschichte im Gegensatz zu einer ausgedachten. Prudence hatte gelernt, dass es die Unwägbarkeiten waren, die dem Leben Farbe, Komplexität und Tiefe einhauchten.«
Für Leserinnen und Leser von Julia Quinn, Bridgerton und Georgette Heyer. Ein wahrer Lesegenuss für alle, die sich nach historischen Liebesromanen verzehren und in die Zeit des Regency wegträumen möchten.
»Lady Prudence und der verwegene Lord« ist der Auftakt der romantischen Regency-Reihe von USA-Today-Bestsellerautorin Rachael Anderson.
ERSTE STIMMEN ZUM BUCH
»Die amüsante Lovestory konnte mich mit ihrer sympathischen Heldin auf Anhieb verzaubern, denn die romantisch verträumte Prudence ist eine absolut liebenswerte Hauptfigur.« (Nicci85, Lesejury)
»Ich habe die Geschichte immer mit einem lachenden Auge gelesen, denn manche Situationskomik hatte es wirklich in sich und ich hätte nicht in Prudence Haut stecken wollen.« (Carmens Buecherkabinett, Lesejury)
»Die Geschichte hat einfach Charme! Ich finde sie absolut gelungen und lesenswert. Sowohl die Charaktere als auch die Handlung an sich sind authentisch und erwecken die Handlung dadurch mit Freude, Witz und Esprit zum Leben.« (Book578, Lesejury)
»Ein wirklich gutes und unterhaltsames Regency Buch, denn Prudence ist offen, erfrischend, hoffnungslos romantisch und ehrlich. Ein Muss für alle Fans von Jane Austen und Bridgerton.« (LIEBEHEE, Lesejury)
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Seitenzahl: 351
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Widmung
Eins
Zwei
Drei
Vier
Fünf
Sechs
Sieben
Acht
Neun
Zehn
Elf
Zwölf
Dreizehn
Vierzehn
Fünfzehn
Sechzehn
Siebzehn
Epilog
Liebe Leserin, lieber Leser
Danksagung
Über die Autorin
Weitere Titel der Autorin
Impressum
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Die romantisch veranlagte Prudence hält ihre Schwester für verrückt. Sophia wird eine Vernunftehe eingehen, durch die sie zur Gräfin wird. Dabei liebt sie ihren Verlobten gar nicht! Während der Londoner Ballsaison lernt Prudence Lord Knave besser kennen und stellt schockiert fest, dass er auch noch ziemlich arrogant ist. Aber Sophias Glück liegt ihr am Herzen und so macht sie es sich zum Ziel, dass die beiden sich bis zu ihrer Hochzeit ineinander verlieben.
Was Prudence dabei jedoch nicht bedacht hat, ist, dass sie sich womöglich selbst in Lord Knave verlieben könnte. Doch wird sie wirklich ihr Glück über das Ansehen und den Ruf ihrer Schwester stellen?
RACHAEL ANDERSON
DIELADYSVONLONDON
LADY PRUDENCE UNDDER VERWEGENE LORD
Aus dem Englischen vonFreya Rall
Für Jeff,meinen Vertrauten,meinen Freund,meinen Helden
Eine hohe Stimme durchbrach schneidend die Stille im Raum: »Prudence Edith Gifford!«
Hastig klappte Prudence das Buch in ihrer Hand zu und schob es unter das Kissen auf ihrem Schoß. Mit den Jahren hatte sie gelernt, die Stimmung ihrer Mutter am Klang ihrer Röcke abzulesen. Ein langsames, luftiges Schwingen bedeutete, sie hatte nichts zu befürchten, doch ein hektisches Rascheln, wie Prudence es jetzt vernahm, verhieß nichts Gutes.
Verflixt.
Besagte Röcke waren heute aus orangefarbenem Taft, den Ausschnitt des Mieders zierte eine gelbe Spitzenborte. In Verbindung mit dem geröteten Gesicht und den goldblonden Locken, die sich darüber auftürmten, stellte Prudence eine frappierende Ähnlichkeit ihrer Mutter mit der großen Dahlie fest, die gleich vor dem Fenster des Studierzimmers wuchs. Vater war für eine Woche außer Haus, deshalb hatte Prudence diesen Ort als den sichersten eingeschätzt, um unentdeckt lesen zu können.
Sie hatte sich getäuscht.
»Guten Morgen!« Ihr gelang ein ausgesucht fröhliches Lächeln.
Die Augenbrauen ihrer Mutter jedoch zogen sich zu einem missbilligenden V zusammen. Wortlos schnappte sie sich das Kissen vom Schoß ihrer Tochter und enthüllte damit das Buch, das Prudence erst gestern ergattert hatte. Vorwurfsvoll schienen sich die Lettern des Titels – Die Waldromanze – vom Umschlag abzuheben, wie um zu verkünden: Ganz recht, das ist der Unsinn, mit dem Ihre Tochter sich den Kopf vernebelt.
Mit finsterer Miene starrte Prudence auf das Buch hinunter, bis es ihr ebenfalls entrissen wurde.
»Du solltest lieber an deinem Klavierspiel arbeiten, statt deinen Verstand mit diesem … diesem Schund zu besudeln.«
Beinahe hätte Prudence protestiert: »Das ist kein Schund«, klappte jedoch gerade noch rechtzeitig den Mund wieder zu. Der missbilligende Gesichtsausdruck ihrer Mutter würde wahrhaft erbost werden, sollte Prudence es wagen, ein solches Werk zu verteidigen. Es war weder die erste Unterhaltung dieser Art zwischen ihnen, noch würde es die letzte sein. Es war wirklich ein schweres Los, die fantasiebegabte Tochter der unnachgiebigsten Anstandsfanatikerin aller Zeiten zu sein.
»Hast du nichts zu deiner Verteidigung vorzubringen?«, schrillte die Stimme ihrer Mutter erneut in ihren Ohren. Dabei schüttelte sie das Buch, als sei es das Beweismittel, das ihre Tochter einer verabscheuungswürdigen Untat überführte.
Wehmütig spähte Prudence zu dem Buch empor und wusste, es würde das letzte Mal sein, dass sie dieses spezielle Exemplar zu Gesicht bekäme. Ihre Mutter hatte schon vor Jahren gelernt, dass sie solche Werke nicht einfach in die Bibliothek zurückbringen konnte, da sie sonst unweigerlich erneut den Weg in die Hände ihrer Tochter finden würden. Stattdessen würde sie es ins Feuer werfen und Prudence den Schaden von ihrem dahinschwindenden Nadelgeld erstatten lassen. Es würde – zum wiederholten Male – ein dringendes Ersuchen an die Bibliothekarin gestellt werden, auch nicht einen weiteren Roman an Miss Prudence Gifford zu verleihen.
Was ihre Mutter jedoch nicht wusste, war, dass Mrs Clampton dieses Buch gar nicht an Prudence verliehen hatte. Vielmehr hatte sie es an Prudence’ beste Freundin Miss Abigail Nash herausgegeben, die es wiederum weitergereicht hatte. Unglücklicherweise würde ihre Mutter mit großer Wahrscheinlichkeit von Abbys Mittäterschaft erfahren, und damit würde diesem Arrangement ebenfalls ein Ende bereitet werden. Wenn Mrs Gifford eines war, dann gründlich.
Stirnrunzelnd blies Prudence den Atem aus. Nach diesem Malheur würde sie eine andere Verbündete finden müssen, doch wen? Ihre Schwester Sophia hatte im vergangenen Sommer versucht, ein Buch für sie auszuleihen, war jedoch erwischt worden und hatte versprochen, es nie wieder zu tun. Vielleicht einen der Calloway-Zwillinge? Würde sie es wagen, mit einer solchen Bitte an die beiden jungen Männer heranzutreten?
Gute Güte. Seit ihre Mutter in Prudence’ Leben das Regiment übernommen hatte, war alles um ein Vielfaches komplizierter. Wie sehr ihr ihre Gouvernante fehlte! Die Frau war eine wundervolle Lehrerin gewesen, doch das war nicht alles. Wann immer die Sonne untergegangen war und dunkle Schatten, unvertraute Geräusche und eine überbordende Fantasie die junge Prudence um ihren Seelenfrieden zu bringen gedachten, hatte Miss Simpson sich zu ihr gesetzt und sie mit einer Geschichte nach der anderen abgelenkt – heiteren Geschichten, Abenteuergeschichten, romantischen Geschichten – Geschichten, die Prudence geholfen hatten, ihre Sorgen zu vergessen und in den Schlaf zu sinken.
Als sie älter geworden war, hatten zwar ihre Ängste nachgelassen, doch ihr Hunger nach guten Geschichten war geblieben. Als man Miss Simpsons Dienste nicht länger benötigt und sie die Familie verlassen hatte, war Prudence nicht nur eine gute Freundin, sondern auch eine meisterhafte Geschichtenerzählerin verloren gegangen.
Um ihren Kummer zu lindern, hatte sie begonnen, Bücher aus der Bibliothek auszuleihen und ihre eigenen Geschichten zu schreiben. Bald war es zu einer regelrechten Besessenheit geworden.
»Bitte verbrenne es nicht, Mutter«, flehte sie. »Das ist Mrs Clamptons einziges Exemplar, und es wäre ein schwerer Schlag für sie, von seinem Dahinscheiden erfahren zu müssen.«
»Ein schwerer Schlag für sie?«
Zu spät erkannte Prudence, dass sie zumindest vorgeblich mehr Sorge um die Gefühle ihrer Mutter als um die von Mrs Clampton hätte zeigen sollen. Sie wappnete sich für die Standpauke, die nun gewiss folgen würde.
»Hast du auch nur die geringste Ahnung, was für ein schwerer Schlag es für mich ist zu erfahren, dass du ein weiteres Mal meine Gebote missachtet hast?«
Eine Frage, auf die sich Prudence wohlweislich einer Antwort enthielt.
»Es ist unerhört. Wirklich, Kind, ich weiß nicht, was ich von dir halten soll. Du stickst die bezauberndsten Kreationen, die ich je gesehen habe, du singst wie ein Engel, spielst wundervoll Klavier und sprichst nahezu makellos Französisch. Wenn Sophia erst verheiratet ist und du offiziell in die Gesellschaft eingeführt wirst, hast du das Potenzial, jede andere Debütantin zu überstrahlen. Und doch bestehst du darauf, dir den Kopf mit derartigem Unsinn anzufüllen. Du bist kein Kind mehr, Prudence. Es ist lange überfällig, dass du dich wie die junge Dame aus gutem Hause zu benehmen beginnst, die du bist.« Ein letztes Mal schüttelte sie wutentbrannt das Buch mit dem Titel Die Waldromanze, ehe sie es in den Kamin warf.
Traurig musste Prudence mit ansehen, wie die trockenen Seiten Feuer fingen und langsam zu unlesbarer schwarzer Asche zerfielen. Dann erschauerte sie beim Gedanken an all die handbeschriebenen Blätter, die unter einem losen Dielenbrett in ihrem Zimmer versteckt lagen, und was daraus werden würde, sollte ihre Mutter von deren Existenz erfahren.
Es hatte einen Grund, dass Prudence so interessiert war an der Lektüre dessen, was ihre Mutter so abfällig als Schund bezeichnete. Denn mehr als alles andere auf der Welt wollte die jüngste Tochter des angesehenen Hauses Gifford derlei Schund schreiben.
Doch es war kein Schund. Nicht für Prudence.
Schon seit sie ein kleines Mädchen war, spielten sich in ihrem Kopf Geschichte um Geschichte, Szene um Szene ab wie Theaterstücke auf einer Bühne. Ihrer Vorstellung entsprungene Figuren wurden zu Menschen mit ihren ganz eigenen Persönlichkeiten, Interessen, Motivationen und Problemen. Prudence konnte nicht umhin, sich völlig zu verlieren in einer Welt, die so viel abenteuerlicher war als die ihre. Einer Welt, in der alles geschehen konnte. Stundenlange Sitzungen über dem Stickrahmen oder am Klavier hatte sie nur überlebt, indem sie sich gedanklich in jene andere Welt versetzt hatte. In Sekundenschnelle konnte sie so dem öden Alltag entfliehen und sich in eine unschuldige Jungfer verwandeln, die – von einem Bösewicht in einem Verlies gefangen gehalten – unter Androhung von Gewalt zum Handarbeiten gezwungen wurde.
Auch jetzt begab sie sich wieder in ihre Fantasiewelt und stellte sich vor, sie sei die geknechtete Tochter eines strengen Zuchtmeisters, gezwungen, sich zum Abbild einer nicht weniger gestrengen Mutter formen zu lassen. Würde doch nur ein gut aussehender Retter zur Tür hereinstürmen und sie aus ihrer misslichen Lage befreien.
Leider würde sich kein Retter zeigen, zumindest heute nicht. Die Realität war einfach enttäuschend. Vielleicht war das der Grund, warum Prudence ihre imaginierten Welten so liebte. Dort konnte sie alles nach ihren Wünschen gestalten. Wenn sie wollte, dass eine Heldin sich gegen ihre Mutter auflehnte, dann würde diese Heldin das auch tun. Wenn sie wollte, dass ein attraktiver Mann in exakt jenem Augenblick ins Zimmer stürmte, dann würde es so geschehen. Und wenn sie ein Buch vor dem Feuertod retten wollte, würde es vom Kaminsims abprallen, statt mitten in die Glut zu stürzen.
Seufzend ließ ihre Mutter sich nun neben Prudence auf das abgewetzte Brokatsofa sinken und legte eine Hand auf die ihrer Tochter. Eine seltene Zuneigungsbekundung.
»Diese Geschichten, die du da liest, sind nicht real, mein Liebling, und es bereitet mir Sorge, was für Ideen sie dir womöglich in den Kopf setzen. Je mehr du liest, desto unzufriedener scheinst du mit deinem eigenen Leben zu sein. Es ist, als würdest du nur darauf warten, dass ein umwerfender Mann in dein Leben spaziert kommt, dich umwirbt und auf irgendein fantastisches Abenteuer entführt.«
Prudence senkte den Blick auf ihre Hände und musste daran denken, wie oft sie genau das herbeigesehnt hatte – wie oft sie sich eingeredet hatte, genau das würde eines Tages wirklich geschehen. Doch wenn sie ihre Mutter so reden hörte, würde dieser Tag wohl niemals kommen.
Mrs Gifford fuhr fort: »Als dein Vater und ich uns darauf geeinigt haben, dich bereits diesen Sommer zusammen mit Sophia am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu lassen, hatte ich gehofft, du würdest von diesen Fantasiegespinsten ablassen, doch das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Nun ertappe ich dich noch öfter bei Lesen, du bist in einem ständigen Zustand der geistigen Abwesenheit und zeigst an den meisten Menschen, die du kennenlernst, nicht das geringste Interesse.«
Schuldbewusst biss Prudence sich auf die Unterlippe, denn sie wusste, dass ihre Mutter die Wahrheit sprach – oder zumindest einen Teil davon. »Ich zeige doch Interesse«, protestierte sie lahm. »Sophia und Abby vergöttere ich, und die Calloway-Zwillinge sind äußerst unterhaltsam.«
»Sophia ist deine Schwester und Abby deine beste Freundin. Natürlich vergötterst du sie. Und der einzige Grund, dass du die Calloways als so unterhaltsam empfindest, ist, dass sie sich benehmen wie Schuljungen.«
Auch das konnte Prudence nicht abstreiten, doch warum spielte es überhaupt eine Rolle? »Ich verstehe nicht, was dich so beunruhigt, Mutter. Als du mir gestattet hast, euch zu gesellschaftlichen Ereignissen zu begleiten, hast du sehr deutlich gemacht, dass ich mich im Hintergrund halten und mich noch nicht auf die Jagd nach einem Ehemann begeben soll. Wie wir beide wissen, muss Sophia als Erste heiraten, warum stört es dich also, dass ich die meisten Menschen – vor allem Männer – etwas ermüdend finde? Solltest du das nicht vielmehr begrüßen?«
»Für den Augenblick durchaus«, gestand ihre Mutter ihr zu. »Mich lässt nur die Sorge nicht los, dass dieses Verhalten sich fortsetzt, wenn du selbst dein Debüt hast. Du darfst nicht die Erwartung hegen, einen Mann wie diese Helden aus deinen törichten Büchern heiraten zu können. Ja, ich habe ein oder zwei dieser Machwerke gelesen und sie als äußerst töricht empfunden.«
Prudence runzelte die Stirn – ganz und gar nicht einverstanden mit der Sichtweise ihrer Mutter. War es so falsch, einen gut aussehenden, intelligenten, unterhaltsamen, freundlichen und charmanten Mann heiraten zu wollen? Bei ihrer Mutter klang es so, als würde diese Kombination nicht existieren, doch das wollte Prudence nicht glauben.
Es musste so jemanden geben. »Wenn wir erst in London sind«, versuchte Prudence abzulenken, »werden sich sicherlich einige Männer innerhalb der Gesellschaft finden lassen, die den Ansprüchen genügen.«
»Und was, wenn dir ein solcher Mann begegnen sollte?«, bohrte ihre Mutter weiter. »Glaubst du, so jemand möchte eine Frau heiraten, die ständig geistesabwesend ist und dem Lesen törichter Bücher mehr Bedeutung beimisst als ihren Pflichten als Gattin, Mutter und Haushaltsvorstand?«
Prudence schluckte und rutschte unbehaglich auf dem Sofa hin und her. So unverblümt hatte ihre Mutter das Thema noch nie angesprochen. Bislang hatte sie sich nur entrüstet aufgeplustert, Verbote erteilt und Bücher ins Feuer geworfen. Doch jetzt, da ihre Worte zwischen ihnen in der Luft hingen, konnte Prudence nicht umhin, sich zu fragen, ob etwas Wahres daran war. Ließ sie sich zu leicht ablenken? Hatte sie sich in unrealistische Erwartungen an ihr zukünftiges Leben verstiegen? War sie der Realität so müde geworden, dass sie es vorzog, in ihren Fantasiewelten zu leben?
In gewisser Weise durchaus, stellte sie bestürzt fest.
Doch wie könnte sie jemals ihren Traum und ihr Streben danach aufgeben, eines Tages selbst Bücher zu veröffentlichen? Dieser Traum gehörte so sehr zu ihr, dass sie … Nein, sie konnte es nicht. Ann Radcliffe hatte auch nicht aufgegeben. Ebenso wenig wie Fanny Burney, Charlotte Lennox, Samuel Richardson, Walter Scott, Henry Fielding oder Maria Edgeworth.
Erneut legte Prudence die Stirn in Falten, während sie an Miss Edgeworth dachte – und an die Tatsache, dass diese nie geheiratet hatte. Warum? Hatte sie ein Leben inmitten von Büchern vorgezogen, in dem ihr niemand vorschrieb, was sie tun und lassen sollte? Vielleicht war die Frau aber auch nicht fähig gewesen, sich mit einem Leben abseits ihrer Fantasien zufriedenzugeben. Hatte sie sich durchaus ein Leben als Ehefrau und Mutter gewünscht und nur keinen Mann gefunden, den sie als ihrer würdig empfand – so, wie Prudence’ Mutter es ihr vorwarf? Stand Prudence ein ähnliches Schicksal bevor?
Nein. Das würde sie niemals zulassen. Auch wenn sie davon träumte, Schriftstellerin zu werden, wollte sie ebenso sehr auch Ehefrau und Mutter sein, ihren Beitrag zur Gesellschaft leisten. Sie wollte beides, und sie glaubte fest daran, dass sie es auch erreichen konnte.
In einer Sache mochte ihre Mutter allerdings recht haben. Vielleicht träumte Prudence wirklich zu viel und sollte ihre Erwartungen etwas zurücknehmen. In diesen Bereichen konnte sie sich wahrlich etwas mehr bemühen.
»Ich verstehe, worauf du hinauswillst, Mutter«, sagte sie schließlich. »Aber du kannst nicht von mir verlangen, das Lesen ganz und gar aufzugeben. Dazu wäre ich nicht imstande. Würdest du stattdessen einen Kompromiss in Erwägung ziehen?«
Das V zwischen den Brauen ihrer Mutter kehrte zurück, begleitet von zusammengepressten Lippen. Wahrscheinlich war sie der Ansicht, dass zwischen Müttern und Töchtern keine Vereinbarungen ausgehandelt werden sollten, doch immerhin lehnte sie den Vorschlag auch nicht rundheraus ab, was Prudence hoffen ließ.
»Wenn du mir gestattest, ein Buch im Monat auszuleihen, verspreche ich dir, mein Lesepensum auf dieses eine Buch zu beschränken. Zudem werde ich mich bemühen, in Zukunft … aufmerksamer zu sein.« Das war doch ein fairer Kompromiss, oder etwa nicht?
Ihre Mutter nickte langsam, als würde sie den Vorschlag überdenken. Angespannt wartete Prudence ab und fragte sich, ob je der Tag kommen würde, an dem sie behaupten konnten, einander wahrhaftig zu verstehen. Sie waren schon immer so verschieden gewesen, sowohl in ihrer Persönlichkeit als auch in ihrem Aussehen. Während ihre Mutter hochgewachsen, drall, goldblond und übermäßig auf Anstand bedacht war, zeichnete Prudence sich durch eine zierliche, schlanke Gestalt, dunkles Haar und einen starken Hang zur Ungehörigkeit aus. Ihrer Ansicht nach hätten ihre Eltern besser sie Sophia nennen sollen und ihre Schwester Prudence. Ein Name, der in seiner Essenz »Vernunft« bedeutete, hätte weit besser zu der älteren Miss Gifford gepasst als zu ihr.
Wenn ihre Mutter doch wenigstens versuchen würde, ihre jüngere Tochter zu verstehen.
Schließlich erklärte ihre Mutter mit einem nachdrücklicheren Nicken ihr Einverständnis. »Also gut. Aber ich werde dich persönlich in die Bibliothek begleiten und dich in der Auswahl deiner Bücher beraten.«
Prudence runzelte die Stirn. Diese Bedingung gefiel ihr nun nicht. Das Ganze hatte nicht mehr viel von einem Kompromiss, wenn man es überhaupt noch so betiteln konnte. Sie öffnete den Mund, um ebendies zu sagen, doch ihre Mutter hatte ihr bereits die Hand gereicht, als wären sie zu einer zufriedenstellenden Einigung gekommen.
»Nun, da das geklärt ist, möchte ich, dass du deine Handschuhe und Stiefel holst und Sophia zur Schneiderin begleitest. Wie du weißt, haben wir die Einladung zur Tanzveranstaltung der Hilliards nächsten Freitag angenommen, und ich habe beschlossen, ein wenig verschwenderisch zu sein – nur dieses eine Mal.«
»Neue Kleider für einen simplen Tanzabend auf dem Land?«, vergewisserte Prudence sich, denn das erschien ihr recht seltsam. Ihre Mutter war schon immer ein sparsamer Mensch gewesen und hätte es für gewöhnlich niemals gutgeheißen, für ein so unbedeutendes Ereignis ein neues Ballkleid zu erstehen.
»Ich habe just heute Morgen erfahren, dass Lord Knave nach Radbourne Abbey zurückkehrt und mit großer Wahrscheinlichkeit bei der Veranstaltung zugegen sein wird. Daher möchte ich Sophia in bestem Licht erscheinen lassen. Du hast ein gutes Auge für Kleider und Mode, mein Liebling, und ich wäre dir dankbar, wenn du Sophia bei der Wahl eines Kleides für den Anlass unterstützt. Nichts Ausgefallenes, versteht sich – keine Spitzenaufsätze oder Stickereien –, bloß etwas, das sie vom Rest abhebt. Da ihr Debüt nun kurz bevorsteht, wird Lord Knave die Bekanntschaft mit ihr sicher vertiefen wollen.«
Ah, es gibt also nur für Sophia ein neues Kleid, dachte Prudence trocken. Sie hätte es sich denken können, auch wenn es ihr nicht wirklich etwas ausmachte. Nach den zermürbenden Monaten, die ihre Schwester im zurückliegenden Jahr durchlitten hatte, verdiente sie nicht bloß ein neues Kleid, sondern alles, was das Leben ihr an Gutem zu bieten imstande war. Sophia würde sie niemals etwas missgönnen. Sie war am Leben und gesund, das war alles, was zählte.
Der Verlust ihrer Bücher machte Prudence allerdings durchaus etwas aus, und sie fragte sich, ob sie sich wirklich an diesen sogenannten »Kompromiss« halten sollte, den sie mit ihrer Mutter eingegangen war. Es war doch eher eine Verfügung als eine Einigung und sollte also keine bindende Vereinbarung sein. Und versprochen hatte sie gar nichts.
Doch sollte ihre Mutter sie nun je beim Lesen eines nicht von ihr gebilligten Buchs ertappen, würde sie Prudence des Wortbruchs beschuldigen. Das gefiel ihr nicht. Über die Jahre hatte Prudence immer wieder die Wünsche ihrer Mutter missachtet, doch nie hatte sie etwas gebrochen, das auch nur im Entferntesten einem Versprechen ähnelte, und wollte nicht jetzt damit anfangen.
Verflixt.
Wie sollte sie ohne ihre einzige brauchbare Informationsquelle – Bücher – mit dem Schreiben vorankommen? Wovon sie nichts wusste, darüber konnte Prudence nicht schreiben, und zu diesem Zeitpunkt in ihrem Leben entstammte der Großteil ihres Wissens über Liebe und Romantik den Worten und Erfahrungen anderer. Wollte sie weiter Texte verfassen, musste sie auch weiter lesen, und wenn sie sich den Wünschen ihrer Mutter beugte, würde sie weder das eine noch das andere tun können.
Oh, welch ein Dilemma.
»Ich hoffe, du wirst dich auf dem Tanzabend etwas mehr zurücknehmen als sonst und Sophia nicht im Wege stehen«, mahnte ihre Mutter mit sorgenvollem Blick. »Es wird ein bedeutender Abend für sie sein, und … Nun, du wirst in einem Jahr selbst deinen großen Moment haben, mein Liebling, sobald wir Sophia mit Lord Knave vermählt haben.«
Verwirrt starrte Prudence ihre Mutter an. Sophia nicht im Wege stehen? Sich mehr zurücknehmen als sonst? Was um alles in der Welt meinte sie damit? Es klang beinahe so, als wünschte sie, ihre jüngere Tochter würde sich unsichtbar machen.
»Wenn ich euch lieber nicht zu der Veranstaltung begleiten soll, Mutter, macht es mir nicht das Geringste aus daheimzubleiben.« Hoffnungsvoll setzte sie rasch hinzu: »Vor allem, wenn ich mir dafür ein Buch meiner Wahl aus der Bibliothek ausleihen darf.«
Der angespannte Kiefer ihrer Mutter zeigte deutlich Missfallen angesichts dieses Vorschlags. »Wir haben bereits für dich zugesagt, also werden wir alle teilnehmen, ob du willst oder nicht. Davon abgesehen haben wir uns eben darauf geeinigt, dass die Wahl deiner Lektüre von jetzt an bei mir liegt.«
»Eigentlich haben wir nicht direkt …«
»Und nun fort mit dir«, ordnete ihre Mutter herablassend an. »Das Kleid muss noch heute in Auftrag gegeben werden, wenn es rechtzeitig fertig werden soll.«
Vor Wut brodelnd verließ Prudence das Studierzimmer. Ihre Mutter versuchte nicht einmal, Verständnis für sie aufzubringen. Sie glaubte, sie wüsste, was für ihre Tochter das Beste sei, doch da lag sie falsch. Wie könnte sie auch, so verschieden, wie sie waren?
Plötzlich kam Prudence sich vor wie eine Marionette. Wenn ihre Mutter wollte, dass sie tanzte, würde sie tanzen. Wenn ihre Mutter wollte, dass sie Klavier spielte, würde sie spielen. Wenn ihre Mutter wollte, dass sie sang, würde sie singen. Und wenn ihre Mutter wollte, dass sie keine Romane mehr las, würde sie sich ebenfalls fügen. Denn dazu waren Marionetten da. Sie fügten sich jenen, die die Fäden zogen.
Eines Tages würde Prudence einen Weg finden, sich aus diesem Gespinst zu befreien, doch bis jener Tag gekommen war, würde sie sich auch nicht vollkommen befehligen lassen. Vielleicht konnte sie Mrs Clampton dazu überreden, bei einigen Büchern die Umschläge auszutauschen? Wohl eher nicht. Oder hielt Mrs Hilliard möglicherweise irgendwo in ihrer Hausbibliothek ein paar Romane versteckt? Ja, das klang erfolgversprechender. Regelrecht verlockend, um genau zu sein.
Prudence würde tun, wie von ihrer Mutter geheißen. Sie würde ihre Schwester bei der Wahl eines neuen Ballkleids unterstützen und dafür sorgen, dass Sophia der strahlende Mittelpunkt des Abends war. Solange alle Augen auf sie gerichtet waren, würde niemand bemerken, wie die jüngere Tochter der Giffords sich in die Bibliothek schlich.
Und besser als auf diese Weise konnte sie sich wohl kaum im Hintergrund halten.
Es war ein herrlich warmer Nachmittag mit wolkenfreiem Himmel und nichts als einer erfrischenden Brise in der Luft. Nachmittage wie diesen sah South Oxfordshire selbst im Sommer nicht oft, und so hatte Prudence gelernt, sie gebührend zu würdigen, wann immer sie sich zeigten.
Nach inständigem, einstimmigem Flehen hatte ihre Mutter sich schließlich erweichen lassen, sie zu Fuß in die Stadt spazieren zu lassen – unter der Bedingung, dass sie ihre Zofe mitnahmen. Nun schlenderte Ruth in einiger Entfernung hinter ihnen her, um ihnen etwas Privatsphäre zu gönnen – nicht dass sie sie gebraucht hätten. Seit Sophia im vergangenen Jahr schwer krank gewesen war, hatte sie sich in sich zurückgezogen und schien kaum je etwas zu sagen zu haben. Bislang hatte Prudence das nichts ausgemacht – hatte sie so doch mehr Zeit, sich mit ihren Geschichten zu befassen –, doch als sie nun zu ihrer Schwester hinüberschaute, wurde ihr bewusst, wie sehr sie sich voneinander entfernt hatten. Ihr fehlte die Freundschaft, die sie einmal miteinander verbunden hatte.
Sophia war nicht länger krank. Vielleicht war es an der Zeit aufzuhören, sie so zu behandeln, als wäre sie es noch.
Ein Stück die Straße hinunter kam ein imposantes Sandsteingebäude in Sicht, und nicht zum ersten Mal betrachtete Prudence den Bau interessiert. Mit ihrer Kombination aus Palladianismus und Barock hob Radbourne Abbey sich von den wogenden grünen Hügeln ab wie eine Königin vom gemeinen Volk. Stolz lenkten die Säulen vor der Fassade die Aufmerksamkeit des Betrachters auf das Haus, und die breite Fensterfront verlockte Prudence, hineinzuschauen. Bislang hatte sich ihr dazu keine Gelegenheit geboten, doch nun malte sie sich Marmorböden, glänzendes Holz und weitläufige Räume aus.
Dieses Haus hatte ihr als Inspiration für den Wohnsitz des Helden einer Geschichte gedient, die sie zu Beginn des Sommers entworfen hatte: Der beschwerliche Weg des Grafen Montague. Die Szene, an der sie derzeit arbeitete, drehte sich um eine hitzige Diskussion des Helden mit seinen Eltern. Er wollte die Hälfte des Hauses stilllegen, während seine Eltern davon nichts wissen wollten. Stattdessen bestanden sie darauf, ihn …
Nein, mit dieser Geschichte würde sie sich jetzt nicht befassen. Sie hatte sich fest vorgenommen, sie den Nachmittag über ruhen zu lassen, und genau das gedachte sie auch zu tun. Noch einmal spähte Prudence verstohlen zu ihrer Schwester hinüber, ehe sie sich wieder Radbourne Abbey zuwandte und über ihre Bewohner nachdachte. Sie kannte Lord und Lady Bradden nicht besonders gut, doch das würde sich zweifellos ändern, wenn die Zeit käme, die Verlobung ihres Sohnes, des Viscount Knave, mit Miss Sophia Gifford bekannt zu geben.
»Wie gut kennst du Lord Knave?«, fragte Prudence.
Für einen kurzen Moment wirkte Sophia überrascht, dass Prudence das Schweigen zwischen ihnen gebrochen hatte. Doch sie fasste sich rasch und folgte Prudence’ Blick zu dem Anwesen. »Ebenso gut wie du, nehme ich an.«
»Ich kenne ihn kein bisschen«, entgegnete Prudence. »Hier und da habe ich ihn einmal in der Ferne gesehen und ihm gewunken, aber wann immer Mutter ihn mit Lord und Lady Bradden zum Dinner auf Talford eingeladen hatte, wurde ich ins Schulzimmer geschickt. Dementsprechend habe ich nie seine Bekanntschaft gemacht.«
»Nein, dazu hattest du wohl keine Gelegenheit, nicht wahr?« Sophia wirkte etwas unruhig unter der breiten Krempe ihrer Leinenhaube. »Es ist nicht gerecht, dass dein Debüt sich aufgrund meiner Erkrankung so verzögert. Das tut mir sehr leid.«
»Ach was.« Prudence wischte die Sorge ihrer Schwester fort. Wäre alles nach Plan gelaufen, wäre Sophia längst mit Lord Knave verheiratet und Prudence mitten in den Vorbereitungen für ihre eigene Saison in London. Unglücklicherweise hatte ein rheumatisches Fieber Sophia jedoch für nahezu neun Monate ans Bett gefesselt. Eine Zeit lang war sie gar dem Tode nah gewesen.
Wie schwer diese Monate gewesen waren. Ihre Eltern hatten versucht, Prudence zu einer Tante zu schicken, doch sie hatte sie angefleht, bleiben zu dürfen. Niemals hätte sie so tun können, als sei alles in bester Ordnung, während das Gegenteil der Fall war. Es hatte große Überzeugungskraft gekostet, doch am Ende hatten ihre Eltern nachgegeben, wenn sie Prudence auch das Versprechen abgenommen hatten, einen weiten Bogen um das Krankenzimmer zu machen.
Dieses Versprechen hatte sie gehalten und sich auf ihr Zimmer, den Salon, die Bibliothek und – wenn das Wetter es zugelassen hatte – lange Spaziergänge beschränkt. Doch die Krankheit hatte sich ewig hingezogen, ein unvorhersehbares Auf und Ab, Sophias Zustand und die Aussichten auf Besserung betreffend. Die Monate nicht enden wollender Besorgnis, erdrückender Stille und Einsamkeit hatten bewirkt, dass Prudence sich mehr denn je in die Welt ihrer Geschichten geflüchtet hatte. Neben den Besuchen bei ihrer Freundin Abby hatte sie nur dort der lähmenden Angst vor dem Verlust ihrer Schwester entfliehen können.
Prudence hatte gebetet, hatte geweint, hatte eine Geschichte über zwei Schwestern begonnen, die einander so nah waren, wie es nur möglich war, bis die Pocken eine von ihnen das Leben kosteten. Warum Prudence die Geschichte in diese Richtung hatte abdriften lassen, wusste sie selbst nicht. Sie wusste nur, dass sie bittere Tränen darüber vergossen und sich furchtbar elend gefühlt hatte – zumindest bis sie die zweite Hälfte des Geschriebenen ins Feuer geworfen und ein weit glücklicheres neues Ende verfasst hatte.
Sie dankte Gott, dass es ihre überarbeitete Fassung war, die am Ende wahr geworden war.
Sophia hatte sich vollständig erholt und schlenderte nun Seite an Seite mit ihr dahin, unbelastet von den möglichen hartnäckigen Nachwirkungen, die viele Überlebende jener Krankheit plagten. Ihr Herz schlug weiterhin kräftig, ihre Gelenke waren frei von Schmerzen.
»Ich habe Mutter angefleht, uns beide zusammen bei Hofe vorstellen zu lassen, doch sie wollte nichts davon wissen«, fuhr Sophia nun fort. »Sie sagte, es sei nicht gern gesehen, aber ich glaube, in Wahrheit sorgt sie sich, du würdest alle Aufmerksamkeit auf dich ziehen. Und was würde dann aus mir, sollte Lord Knave die Erwartungen nicht erfüllen? Plötzlich wäre ich bloß noch die unbeachtete Schwester der begehrtesten Debütantin des ganzen Landes.« Mit einem Lächeln machte Sophia deutlich, dass sie nur scherzte, doch ihr war anzusehen, dass sie um das Körnchen Wahrheit in ihrer Beschreibung wusste.
Bei dieser Erkenntnis wurde Prudence weh ums Herz. Es war nicht zu leugnen, dass das rote Haar und die Sommersprossen ihrer Schwester der gegenwärtigen Mode nicht annähernd entsprachen und sie nicht ganz so vielseitig versiert war wie ihre jüngere Schwester, doch Sophia war schön und talentiert und damenhafter, als Prudence es je sein würde. Wenn es ihrer Schwester an irgendetwas fehlte, dann an Selbstvertrauen.
»Ein Mann, der dich nicht bemerkt, kann nur von Sinnen sein«, verkündete Prudence bestimmt.
Sophia lachte. »Nicht, wenn du neben mir stehst. Dann könnte er sich kaum helfen, und das mit Recht. Du bist im klassischen Sinne bezaubernd und verströmst eine Aura des Selbstvertrauens, die unübersehbar ist.«
»Unsinn, Sophia«, widersprach Prudence. »Es würde keine zwei Sekunden dauern, ehe ein Mann begreift, dass du das Juwel bist und ich bloß ein alberner Blaustrumpf. Und würde Mutter ernsthaft glauben, ich könnte dir die – zweifellos zahlreichen – Verehrer ausspannen, hätte sie mich diesen Sommer daheimbehalten, statt mich am örtlichen Gesellschaftsleben teilnehmen zu lassen. Ganz sicher hätte ich jedenfalls nicht ihre Erlaubnis, nächste Woche Mrs Hilliards Tanzabend zu besuchen, zumal Lord Knave dort ebenfalls erwartet wird – nicht dass irgendetwas davon eine Rolle spielen würde, da du ohnehin praktisch mit dem Mann verlobt bist.«
»Oh, so weit würde ich nicht gehen«, wiegelte Sophia ab. »Ich hoffe, eines Tages seine Verlobte zu sein, aber garantiert ist nichts.«
Das war Prudence neu. Solange sie denken konnte, hörte sie regelmäßig: Wenn Sophia erst Lord Knave heiratet … Warum sollten ihre Eltern von der Verbindung sprechen wie von einer Selbstverständlichkeit, wenn dem nicht so war? Hier gab es keinen Zweifel: Sie würden es nicht tun. Sophia versteckte sich nur wieder hinter ihrer gewohnten Bescheidenheit.
»Ich bin mir sicher, er wartet nur auf dein Debüt, ehe er um deine Hand anhält«, sagte Prudence.
»Das ist es, worauf unser beider Eltern hoffen, aber er ist in keiner Weise dazu verpflichtet und hat mir gegenüber auch nie dergleichen angedeutet. Ganz ehrlich, ich weiß nicht, wie seine Pläne in Bezug auf mich aussehen.«
Stirnrunzelnd sah Prudence ihre Schwester an. »Er hat niemals irgendetwas in der Richtung angedeutet? Bist du dir sicher? Worüber habtihr dann gesprochen?«
Nachdenklich legte Sophia die Stirn in Falten und zuckte schließlich mit den Schultern. »Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen. Ehe wir Gelegenheit hatten, einander wirklich kennenzulernen, hat mich das Fieber ereilt. Bei den Dinner-Abenden waren immer unsere Eltern anwesend, und ich kann mich nicht erinnern, viel zum Gespräch beigetragen zu haben. Und bei den wenigen Gelegenheiten, zu denen wir miteinander getanzt haben, kann ich mich nur an Belanglosigkeiten über das Wetter oder die Liebenswürdigkeit unserer Gastgeber erinnern. Nichts von Bedeutung.«
Das Wetter? Die Liebenswürdigkeit der Gastgeber? Prudence konnte es kaum fassen. Sie war immer davon ausgegangen, dass die beiden einander als Kinder kennengelernt hatten, wenigstens ein bisschen, und über die Jahre eine wie auch immer geartete Korrespondenz aufrechterhalten hatten. Immerhin sollten sie heiraten.
»Wart ihr denn keine Spielgefährten, als ihr noch klein wart?«, hakte sie nach.
»Nein.«
»Bist du ihm je bei einem Ausritt über den Weg gelaufen?« Sophia liebte das Reiten. Abgesehen von den Monaten der Bettlägerigkeit verbrachte sie jeden regenfreien Tag im Galopp auf den Wiesen der Umgebung. Dabei mussten die beiden einander doch irgendwann begegnet sein.
»Nur aus der Ferne, aber ich habe ihn nie direkt aufgesucht, noch hat er es umgekehrt getan.«
Prudence blieb stehen und fasste ihre Schwester beim Arm, damit sie ebenfalls anhielt. »Willst du mir damit sagen, du hast vor, einen Mann zu heiraten, den du kaum kennst?« Sophia nickte, als sei das nichts Besonderes. »Warum zum Teufel willst du dich denn auf so etwas einlassen?«
Ihre Vehemenz schien Sophia zu überraschen, doch sie tadelte Prudence nicht für die derbe Wortwahl. Stattdessen trug sie eine Erklärung vor, die eingeübter nicht hätte klingen können. »Lord Knave wird eines Tages der Earl of Bradden und Herr über Radbourne Abbey sein, dazu noch über einige andere, kleinere Besitztümer.«
Prudence wartete darauf, dass sie weitersprach, und als nichts mehr kam, bohrte sie nach: »Und …?«
Sophia verdrehte die Augen, als müssten ihre Beweggründe offensichtlich sein. »Und wenn ich ihn heirate, werde ich eine vermögende Gräfin sein. Im Gegenzug ehelicht er die Erbin von Talford Hall. Sobald das Erbe dann auf mich übergeht, werden wir die größten Landeigner der Grafschaft sein.«
Erstaunt weiteten sich Prudence’ Augen. Über all die Jahre war das Gerede von der Vermählung der Familien nichts als eine Geschäftsanbahnung gewesen? Was, wenn die beiden jungen Leute einander gleichgültig waren? Was, wenn er sich als Tyrann oder Lebemann oder Wüstling erwies? Was, wenn er ein Mann war, den ihre Schwester niemals lieben oder auch nur gernhaben könnte?
»Das kann unmöglich dein Ernst sein«, hauchte sie.
»Doch, das ist es. Warum sollte ich überhaupt heiraten, wenn nicht mit der Aussicht, wenigstens eines Tages eine Gräfin zu sein?«
Prudence fehlten die Worte. Stattdessen konnte sie ihre Schwester nur auf zweifellos höchst undamenhafte Weise mit offenem Mund anstarren. »Und wenn du ihn nicht lieben kannst?«, kiekste sie schließlich.
Milde lächelnd schüttelte Sophia den Kopf.
Prudence kam sich vor wie ins Schulzimmer zurückversetzt, verlacht für ihre abstrusen Fantastereien.
»Ich bin mir relativ sicher, dass ich schon irgendetwas Liebenswertes an ihm finden werde – und seien es nur sein Haus, sein Titel, sein Vermögen und seine Gestalt. Er ist recht ansehnlich, weißt du?«
Das besänftigte Prudence nicht im Geringsten. Vielleicht hatte sie zu viele Romane gelesen oder zu viele Geschichten erdacht, doch sie sehnte sich verzweifelt nach der Euphorie wahrer Liebe – jener Art von Zuneigung, die Titel und Vermögen und prunkvolle Herrenhäuser jede Bedeutung verlieren ließ. Nicht dass Prudence sich beschweren würde, sollte der Mann, in den sie sich verliebte, diese Dinge besitzen. Doch waren sie für sie keine Bedingung. Sie verlangte nichts weiter als einen Mann, der ihr Herz hüpfen, ihre Haut kribbeln und ihr Leben gefüllt voll endloser Möglichkeiten erscheinen ließ.
Wie konnte ihre Schwester auch nur in Erwägung ziehen, sich mit weniger zufriedenzugeben?
»Du hältst mich für unromantisch, nicht wahr?«, fragte Sophia.
Prudence konnte nicht einmal vorgeben, es sei nicht so. »Unromantisch, leidenschaftslos und vollkommen verrückt.«
Sophia lachte. »Warten wir ab, wie verrückt ich bin, wenn ich erst Herrin über Radbourne Abbey und Gattin eines gut aussehenden Grafen bin. Du hingegen darfst von mir aus gern Mr Winston mit seinem kleinen Landhäuschen und dem einen verbliebenen Diener heiraten. Aber du wirst ihn von Herzen lieben, daher wird nichts davon eine Rolle spielen, nicht wahr?«
Schon bei der bloßen Vorstellung, diesen Mann am Halse zu haben, verzog Prudence das Gesicht. »Einen Mr Winston könnte ich niemals lieben. Dazu ist er viel zu steif.«
»Welch ein Jammer, dass du so denkst«, entgegnete Sophia schmunzelnd. »Ich glaube, er wähnt sich in dich verliebt.«
»Was für ein Humbug«, antwortete Prudence, obgleich auch sie bemerkt hatte, dass er sich in letzter Zeit deutlich mehr um sie bemühte – besonders bei der letzten Tanzveranstaltung im Gemeindehaus. Er hatte wahrhaftig versucht, sich drei statt der gesellschaftlich akzeptablen zwei Tänze mit ihr zu stehlen, und sie hatte einen Schwindelanfall vorschützen müssen – mit der Bitte, ihr statt des Tanzes ein Glas Limonade zu holen. Über zwei weitere Tänze hatte er noch stur an ihrer Seite sitzend ausgeharrt, bis sie auf der anderen Seite des Saals ihre Freundin entdeckt und zu ihm gesagt hatte: »Die arme Miss Nash steht ohne Partner da. Bitte sagen Sie mir, dass Sie zu ihrer Rettung eilen werden, Sir.«
Sofort war Mr Winston aufgesprungen, um ihrer Bitte Folge zu leisten, und Prudence hatte ihrer Freundin einen um Verzeihung heischenden Blick zugesandt, ehe sie ihre Mutter ausfindig gemacht und über angebliche Kopfschmerzen geklagt hatte. An jenem Abend waren sie frühzeitig gegangen, und alles nur wegen des verflixten Mr Winston. Sie konnte nur hoffen, dass er nicht auch zu Mrs Hilliards Tanzveranstaltung eingeladen war. Es war eine kümmerliche Hoffnung, doch sie klammerte sich daran.
Da sie nicht länger über Mr Winston sprechen wollte, erklärte Prudence: »Sollte ich mich je in einen Mann mit einem schlichten Landhaus und nur einem Diener verlieben, wäre ich als seine Gattin weit zufriedener als an der Seite eines reichen Mannes, den ich niemals lieben könnte.«
»Ob du ihn wohl auch dann noch lieben würdest, wenn du beim Waschen, Kochen und Kleiderflicken selbst Hand anlegen müsstest? Wie romantisch wäre das Leben dann noch?«
Kein bisschen romantisch, dachte Prudence und erkannte, dass sie wohl etwas voreilig gewesen war mit ihrer gewagten Behauptung. »Dann werde ich mich eben einfach in einen gut situierten Mann verlieben müssen.«
Sophia lachte. »Dann können wir uns also neuerdings aussuchen, in wen wir uns verlieben, was? In dem Fall entscheide ich mich dafür, mich in Lord Knave zu verlieben.«
Lächelnd schüttelte Prudence den Kopf, voller Verständnis und Unverständnis zugleich. Ja, ein Leben als Gattin eines attraktiven und wohlhabenden Grafen auf Radbourne Abbey klang wundervoll, doch wenn es den beiden nicht gelang, Liebe, Bewunderung oder auch nur Zuneigung füreinander zu entwickeln, würde jenes imposante Haus sich doch eher leer als erstrebenswert anfühlen.
War es so falsch, lieben und geliebt werden zu wollen? War es falsch, über Liebe lesen und schreiben und sie erfahren zu wollen? Und wenn es wirklich so falsch war – oder bloß eine lächerliche Fantasterei –, warum sehnte Prudence sich so sehr danach?
Auf der Kutschfahrt zu den Hilliards unternahm Prudence nicht einmal den Versuch einer Unterhaltung. Dazu war sie viel zu trübselig. Während die Kutsche ihre Familie ruckelnd und holpernd ihrem Ziel entgegentrug, dachte sie zurück an die hartnäckige Frustration der vergangenen Woche. Jeden Abend hatte sie gewartet, bis jegliche Geräusche im Haushalt verklungen waren, ehe sie das Dielenbrett neben ihrem Bett angehoben, ihren Stapel Schreibpapier hervorgeholt und sich wieder unter die Decke verkrochen hatte, den Stift in der Hand und eine sanft flackernde Kerze auf dem Nachttisch.
Dann hatte sie gewartet.
Und gewartet.
Auf nichts.
Es hatten sich keine interessanten Gespräche entsponnen, keine Szenen vor ihrem inneren Auge abgespielt, keine neuen Figuren gezeigt. Stattdessen schienen ihre vorhandenen Charaktere jeglichen Antrieb verloren zu haben. Zu leblosen Hüllen waren sie verkommen, albern und einfach furchtbar irritierend.
Schließlich hatte Prudence den Blätterstapel von sich geworfen und ihrer Mutter die Schuld an allem zugeschrieben, weil sie ihr die einzige Inspirationsquelle genommen hatte. Wann immer sie las, entstanden in ihrem Kopf weitere Dialoge, Strategien und interessante Wendungen. Manche verwarf sie als lächerlich, andere wiederum brachte sie fieberhaft kritzelnd zu Papier. Was auch geschehen war, die Ideen waren nur so aus ihr hervorgesprudelt. Immer.
Bis jetzt.
»Da sind wir«, durchbrach die Stimme ihrer Mutter ihre Grübelei, und Prudence stellte fest, dass sie tatsächlich bereits bei den Hilliards angekommen waren.
Sie blickte aus dem Fenster auf das einladende Gebäude vor ihnen. Eine breite Treppe führte hinauf zu einem charmanten roten Backsteinbau mit einem Dutzend Fenstern, hinter denen der Kerzenschein nur so funkelte. Es war ein zutiefst romantischer Anblick, wie exquisit gewandete Damen an den Armen gut gekleideter Herren jene Treppe emporschritten, doch Prudence konnte keine Begeisterung dafür aufbringen. Ursprünglich hatte sie geplant, sich für den Großteil des Abends in die Bibliothek des Hauses zu stehlen, und das für einen großartigen Einfall gehalten – bis sie sich mit den Einzelheiten der Umsetzung befasst hatte und zu der Erkenntnis gelangt war, dass ihre Mutter ihre Abwesenheit irgendwann bemerken und sich auf die Suche nach ihr machen würde. So bliebe ihr höchstens die Zeit für ein oder zwei Kapitel, und welche Frau wollte schon eine Geschichte beginnen, die sie nicht zu Ende lesen konnte?
Sie jedenfalls nicht. Also fand sie sich abermals als Marionette ihrer Mutter wieder.
Seufzend stieg Prudence aus der Kutsche und wusste, dass im Inneren jener Mauern nichts Ungewöhnliches oder auch nur Interessantes geschehen würde. Der Ballsaal würde unerträglich stickig sein, die Getränke lauwarm, und Mr Winston lag vermutlich schon auf der Lauer, um sie für die ersten zwei, womöglich gar drei Tänze in Beschlag zu nehmen. Nicht einmal die bevorstehende Ankunft von Lord Knave vermochte einen Funken Interesse in ihr zu wecken. So, wie Sophia ihn beschrieben hatte, würde er sich wahrscheinlich bestens mit Mr Winston verstehen.
Prudence hätte Kopfschmerzen vorschützen und gar nicht erst mit herkommen sollen. Nicht dass ihre Mutter ihr das hätte durchgehen lassen.
Wie befürchtet bat Mr Winston für den ersten Tanz um ihre Hand, sobald man sie in den Saal geleitet hatte. Sie nickte und rang sich ein freundliches Lächeln ab, während sie sich innerlich dafür wappnete, den zweifellos längsten Abend ihres Lebens überstehen zu müssen.
London musste einfach interessanter sein als dies hier.
»Miss Prudence, Sie erraten nie, was ich heute Morgen auf meinem Weizenfeld entdeckt habe: eine Rübenpflanze. Ist das zu glauben?«
Prudence fand das durchaus glaubhaft, besonders wenn man bedachte, dass der Mann im vorigen Herbst eine ganze Rübenernte von ebenjenem Feld eingefahren hatte. Bei ihrer letzten Unterhaltung hatte er ihr eine detaillierte Auflistung seiner Fruchtfolge zuteilwerden lassen. Sie heuchelte Interesse und murmelte einige kurze Antworten, wusste jedoch, dass er kein Interesse an einer ernsthaften Diskussion hatte.
Nur mit halbem Ohr lauschte sie seinen Ausführungen, während das Musikstück kein Ende nahm. Sie wünschte, sie könnte eine Abenteuergeschichte heraufbeschwören, um sich damit die Zeit zu vertreiben, doch alles, was ihr einfallen wollte, war das Bild einer Bauernmagd, die Rübenpflanzen in einem Weizenfeld jätete.
Fade, farblos, fantasielos.
Als der Tanz endlich ausklang, legte Mr Winston ihre Hand wieder in seine Armbeuge und geleitete sie zurück in die Richtung ihrer Mutter. »Sie sehen gut aus heute Abend, Miss Prudence. Dieses Kleid gleicht der Farbe meines Weizens im frühen Morgenlicht. Bitte erweisen Sie mir die Ehre, zum Souper mit mir zu tanzen.«