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Die Ballsaison ist eröffnet!
England, 1809. Die junge Frances und ihre Freundinnen Prudence und Rose können es gar nicht erwarten, ihre erste Ballsaison zu besuchen. Gemeinsam fiebern sie Londons schier unzähligen Vergnügungen rund um die Debütantinnenbälle entgegen. Doch ihre Freundschaft wird auf die Probe gestellt, als Frances versucht, den begehrtesten Junggesellen der Saison auf sich aufmerksam zu machen. Dabei wollte Prudence ihn erobern – und Frances hat eigentlich ganz andere Vorstellungen von ihrem Leben und der Liebe …
Eine Liebesgeschichte mit einer unvergesslichen Heldin – humorvoll, romantisch und aufregend
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Seitenzahl: 504
Frances will in London ihre erste Ballsaison bestreiten – um einen zukünftigen Ehemann zu finden. Ihre kapriziöse Mutter widmet sich dieser Aufgabe jedoch mit mehr Hingabe als Frances selbst. Als sie den tiefgründigen Major Daniel kennenlernt, beginnt sie sich zum ersten Mal ernsthaft zu verlieben. Allerdings wäre ein Verhältnis mit dem Major in den Augen ihrer Mutter ein Skandal. Und auch Daniel scheint andere Pläne zu verfolgen. Also versucht Frances, Lord Felton, den begehrtesten Junggesellen der Saison, für sich zu erobern. Warum nur empfindet sie dann immer noch dieses seltsam prickelnde Gefühl, wenn sie Daniel begegnet?
Nachdem Julie Marsh der großen Liebe wegen aus dem malerischen Somerset in ein kleines Cottage mit Garten in der Nähe von Köln gezogen ist, schreibt sie, inspiriert von ihrem literarischen Vorbild Jane Austen, Geschichten über Liebschaften und andere Katastrophen.
Im Aufbau Taschenbuch liegt bereits ihr Roman »Die Ladys von Somerset – Die Liebe, der widerspenstige Ambrose und ich« vor.
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Julie Marsh
Die Ladys von Somerset – Ein Lord, die rebellische Frances und die Ballsaison
Roman
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
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Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Zu guter Letzt
Impressum
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Für Linnéa & Emmy
Eine junge Frau, die anstrebt, einen Lord zu heiraten, hat den Blick zu senken, wenn ein Gentleman sie anspricht, sich ausschließlich mit sittsamen Gedanken zu beschäftigen und die freie Zeit mit dem Verbessern ihres Harfenspiels zu verbringen. Unter keinen Umständen darf sie nachts auf einsamen dunklen Gängen herumschleichen. Noch viel weniger sollte ihre Absicht dabei sein, etwas zu stehlen.
Doch genau das hatte Frances vor.
Ihr Herz klopfte, und ihre Handinnenflächen waren nass von Schweiß, als sie mit den Fingerspitzen einen Schlüssel vom oberen Türrahmen herunterangelte, ins Schloss steckte und ihn kraftvoll umdrehte. Obwohl sie die Tür so vorsichtig wie möglich zu öffnen versuchte, quietschte es viel zu laut. Rasch sah sie sich um. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass sie allein war, schlüpfte sie ins Zimmer. Es gab nur wenige Möglichkeiten, wo das, was sie an sich bringen wollte, versteckt sein könnte. Mit den Händen tastete sie sich an der Wand entlang. Bloß das durch die Fenster fallende Mondlicht half ihr dabei, sich zu orientieren. Ein heftiger Schmerz durchzuckte sie, als ihr Schienbein gegen die Kante einer Truhe stieß. Gerade noch konnte Frances einen Aufschrei unterdrücken. Mit zusammengebissenen Zähnen öffnete sie den Deckel der Truhe. Ein muffiger Geruch stieg auf. Sie fühlte in dem Inneren, außer alten Unterröcken schien nichts weiter darin zu sein. Daher setzte sie ihren Weg bis zum Schreibtisch fort, zog die erste Schublade heraus und tastete sie ab. Viele Papiere, eine Flasche, sonst nichts. Als sie gerade die nächste Lade aufziehen wollte, waren Schritte zu hören, die den Gang entlangkamen. Auf das Zimmer zu, in dem sie sich befand. Sie saß in der Falle. Mit angehaltenem Atem schloss sie die Schublade, ging in die Hocke und kroch zu der Truhe zurück. Keinen Augenblick zu früh, denn schon drang ein Lichtschein ins Zimmer. Sie blinzelte. Eine Öllampe beleuchtete das Gesicht einer Gestalt von unten, so dass diese ein beinahe dämonisches Aussehen bekam. Frances presste sich eng an die Truhe, als die Gestalt an ihr vorbeiging. Außer dem Knarren der Dielen unter den Schritten und dem Ruf einer Eule vor dem Fenster herrschte eine angespannte Ruhe. Frances’ Herz schlug so laut, dass sie meinte, die Gestalt müsse es ebenfalls hören. Diese ließ sich in einen Stuhl plumpsen, holte die Flasche aus der Schublade und nahm einen tiefen Schluck daraus. Als sie fertig war, rülpste sie laut.
»Ja, glotz du nur«, rief die Gestalt auf einmal. Und ihre Stimme klang genau wie die von Mrs Worsley, der Leiterin des Mädchenpensionats. Frances musste annehmen, dass die Frau ihre Anwesenheit mittlerweile entdeckt hatte, und suchte nach einer Ausrede für ihren nächtlichen Ausflug ins Arbeitszimmer der Leiterin. Zögerlich fing sie an, sich zu erheben.
»Was hast du aus mir gemacht, du Wurm?«, klagte Mrs Worsley weiter. Frances stutzte. »Alles hast du mir genommen. Alles. Meine Unschuld, meine Jugend, meine Schönheit. Ja, lach nur. Wolltest bloß mein Geld. Bastard.«
Nachdem Frances begriffen hatte, dass die Leiterin nicht mit ihr redete, blickte sie zur Tür. Außer ihnen war jedoch niemand im Zimmer. »Der Ball bei Lord und Lady Witherspoon. Mein Kleid aus Seide. Perlen in den Haaren. So schön. Du hast es mir eingeflüstert. Bei unserem Tanz.« Ihr Lachen klang eher bedrohlich als fröhlich. Frances hockte sich lieber wieder hin. Mrs Worsley nahm noch einen Schluck. »Ich hab an deine Liebe geglaubt. Ha!«
Eine Weile herrschte Stille. In der gekauerten Haltung drohte Frances’ rechtes Bein einzuschlafen, und sie versuchte, möglichst unauffällig das Gewicht zu verlagern. Dabei quietschte die Diele unter ihr. Erschrocken blickte sie zur Leiterin, die erneut aus der Flasche trank. Sie schien ihre Umgebung gar nicht wahrzunehmen, sondern starrte auf einen weit entfernten Punkt.
»Du hast mein Herz gebrochen. Und jetzt muss ich Mädchen ausbilden, die ihre Herzen von Männern wie dir brechen lassen.« In diesem Augenblick schmiss die Leiterin die Flasche gegen die Wand, wo sie mit einem lauten Knall zerbarst. Vor Schreck zog Frances den Kopf ein. Zu ihrem Glück traf es nicht die Wand, an der sie kauerte. Mrs Worsley öffnete nun eine weitere Schublade und holte eine neue Flasche hervor. »Warum hast du mir das angetan?«, jaulte sie auf, nachdem sie davon getrunken hatte. »Warum?«
Sie klang mit einem Mal so verwundbar, dass Frances Mitleid bekam. Mrs Worsley stellte die Flasche auf dem Tisch ab, schob den Stuhl zurück, stand auf und ging zur Tür. Das zerbrochene Glas knirschte unter ihren Schuhsohlen. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, atmete Frances auf. Ihre Erleichterung währte allerdings nur so lange, bis der Schlüssel im Schloss umgedreht wurde. Wenn sie nicht umgehend um Hilfe rufen und somit die Leiterin auf sich aufmerksam machen würde, was allerdings eine Strafe mit sich zöge, wäre sie dazu verdammt, die Nacht im Arbeitszimmer zu verbringen. Am nächsten Morgen müsste sie auch noch das Dienstmädchen bestechen, damit es sie nicht verriet. Sie saß in der Falle.
* * *
»Geschafft!« Triumphierend hielt Frances das Buch hoch, das sie Mrs Worsley gestohlen hatte. Ihre Freundinnen Rose und Prudence, die in ihrem Versteck auf dem Dachboden auf sie gewartet hatten, blickten sie erwartungsvoll an.
»Zeig her«, forderte Rose sie auf, während sie Prudence die Locken mit einem heißen Eisen machte.
Frances ging zu ihnen. »Ihr glaubt nicht, was gerade passiert ist«, erzählte sie dabei. »Beinahe hätte mich die Alte erwischt, und dann hat sie mich im Zimmer eingesperrt und …«
Anstelle ihr zu dem gelungenen Unterfangen zu gratulieren, stieß Prudence einen Schrei aus: »Aua!«
Rose hatte ihr die Kopfhaut versengt. »Das wollte ich nicht«, entschuldigte sie sich und legte das Eisen auf einer Schale mit glühenden Kohlen ab, »es tut mir so leid, Pru.«
Die Luft auf dem Dachboden roch nach verschmorten Haaren. Prudence fasste panisch nach den Strähnen, die auf Papier gerollt waren. »Sind sie noch dran?« Sie zog fester an den aufgerollten Locken. Als kein einziges Haar zu Boden fiel, atmete sie erleichtert aus. »Wenn die jetzt alle weg wären …«
»Sind sie aber nicht«, versicherte Rose. Unterdessen zauberte Frances die Flasche hervor, die sie zusammen mit dem Buch gestohlen hatte. Sie nahm einen großen Schluck daraus.
»Sherry! Lecker«, lockte sie die Freundinnen.
»Lass uns noch was übrig«, beschwerte sich Prudence und rubbelte über die Farbreste an ihren Fingern, die sie nach ihren Malstunden nie ganz abwaschen konnte. Frances reichte die Flasche derweil an Rose weiter. »Wie bist du eigentlich rausgekommen?«, wunderte sich diese.
»Durchs Fenster.«
»Das liegt im ersten Stock.« Prudence blickte sie ungläubig an.
»Ich hab das Buch und die Flasche auf dem Rücken in mein Nachthemd eingeknotet, mich ans Fensterbrett gehängt und mich abgelassen.«
»Du bist vollkommen überdreht«, bemerkte Prudence, aber ihr Tonfall verriet, dass sie beeindruckt war. Frances grinste zufrieden und ließ sich auf einem der mit Stroh gefüllten Säcke nieder, die sie auf den Dachboden geschmuggelt hatten, um es bei ihren nächtlichen Zusammenkünften bequemer zu haben. Dann schlug sie das gestohlene Buch auf, stellte es auf ihrem Busen ab und hielt es mit einer Hand fest. Mit der anderen Hand streichelte sie über ihren Bauch, dessen zarte Haut bei der Flucht über die raue Fensterbank aus Stein aufgekratzt worden war.
»Ein Dialog zwischen einer verheirateten Lady und einer Jungfrau«, zitierte sie den Titel und feixte. »Ich bin mir sicher, es geht dabei nicht um das Führen eines Haushalts.«
»Bestimmt nicht, wenn Mrs Worsley das Buch konfisziert hat«, erwiderte Rose neugierig, nachdem auch sie einen Schluck getrunken hatte. »Lies vor!«
Frances setzte gerade an, eine Passage aus dem Buch vorzutragen, das die Leiterin des Mädchenpensionats einer neu angekommenen Schülerin abgenommen hatte, als sie die Schachtel mit dem Schokoladenkonfekt sah, die neben Prudence’ Stuhl auf dem Boden lag. »Sind das Pralinen?«
»Hat meine Mutter mir geschickt«, antwortete Rose. »Lass es dir schmecken.« Frances streckte sich aus, zog die Schachtel heran und genoss die herbe Süße, während sie kaute.
»Kann ich nicht von deiner Familie adoptiert werden?«, schlug sie scherzhaft vor, während Rose die aufgerollten Papiere aus Prudence’ Haaren entfernte. Deren rotblonde Strähnen fielen in schwungvollen Wellen auf die nahezu weißen Schultern. Niemand war so schön wie Pru, dachte Frances bei sich.
»Und? Wie sehe ich aus?« Prudence griff nun ihrerseits nach der Flasche.
»Wie ein Hochlandrind«, zog Frances sie liebevoll auf. »Fehlen nur die Hörner.«
Die Freundin verschluckte sich lachend am Sherry, so dass Rose ihr auf den Rücken klopfen musste. »Es wird Zeit, dass ich hier wegkomme«, keuchte sie dann. »Wenn ich noch ein Jahr länger in der Gesellschaft von Kühen verbringe, fange ich garantiert zu muhen an.«
»So schlecht ist es auch nicht.« Rose nahm ihr die Flasche ab. »Wir haben doch uns.«
»Eben«, sagte Frances, während sie eine weitere Praline in den Mund schob, ihre Freundinnen betrachtete und sich vorstellte, wie schön es wäre, wenigstens noch ein Jahr mit ihnen zusammenzubleiben. Sicher, es gab im Mädchenpensionat nicht sonderlich viel Abwechslung, und manche regenverhangenen Tage wären fürchterlich langweilig, wenn sie Prudence und Rose und ihr Versteck auf dem Dachboden nicht hätte. Hatte sie aber. Selbst wenn nichts Besonderes passierte, fanden sie immer noch etwas zu lachen. Außerdem versprach das brisante Buch ein paar zusätzliche unterhaltsame Stunden.
»Aber könnt ihr euch das vorstellen, endlich auf einem Ball in London zu sein? All die schönen Kleider …«, sagte Prudence.
»Und die Männer, meinst du«, warf Frances ein. Sie kicherten. Nun hielt sie das Buch so, dass die Kerze, die ein wenig Licht in der Dunkelheit spendete, einen Teil der Buchseite erhellte. »›Nachdem er mein Kleid und die Schürze bis über mein Knie geschoben hatte, begann er, meine Oberschenkel zu berühren‹«, las sie vor, dabei fühlte sich ihr Mund ganz trocken an. Prudence schnappte so hörbar nach Luft, dass Frances eine Pause machte und sie angrinste.
»Lies weiter«, forderte Rose sie sichtlich fasziniert auf, wobei sie mit den Zähnen an einem Fingernägel riss.
»›Und wenn du gesehen hättest, wie seine Augen dabei funkelten. Dann fuhr seine Hand höher und nahm Besitz von dem Ort, der uns von den Männern unterscheidet.‹«
»O mein Gott.« Prudence schlug die Hände vor den Mund.
»Da kommt noch mehr«, sagte Frances. »›Dieser Ort, sagte er, wird mich zum glücklichsten Mann auf der Welt machen, Octavia. Während ich noch ganz außer mir war, führte er seinen Finger in den Spalt …‹«
»Du machst dich über uns lustig«, beschwerte sich Prudence, nahm ihr das Buch ab und überflog die Seiten. Anschließend blickte sie mit glühenden Wangen auf. »Das ist …« Sichtlich überfordert rang sie nach Worten.
»Spannend«, sagte Rose und griff ihrerseits nach dem Buch. »Kein Wunder, dass Mrs Worsley es einkassiert hat.« Sie blätterte die Seiten interessiert um. »Jetzt sehen sich die Cousinen gegenseitig ihre … na, ihr wisst schon … an.«
»Das ist vollkommen unmoralisch«, erwiderte Prudence schockiert. »Wir sollten es verbrennen, bevor uns jemand damit erwischt.«
»Auf gar keinen Fall«, insistierte Frances. »Wenn das Buch fehlt, merkt Mrs Worsley doch, dass jemand in ihrem Arbeitszimmer war.«
»Außerdem«, sagte Rose, »stehen hier Sachen drin, von denen wir überhaupt keine Ahnung haben, weil uns niemand davon erzählt. Oder wusstet ihr, dass wir da unten eine …« Sie zögerte, bevor sie weitersprach: »Eine Klitoris haben?«
»Was ist das?«, erkundigte sich Frances.
»So was dürfen wir aber nicht lesen«, mischte sich Prudence entsetzt ein. »Bring das Buch sofort zurück.«
»Dann willst du gar nicht wissen, was zwischen Mann und Frau im Ehebett passiert?«, fragte Frances herausfordernd.
»Nein. Doch. Aber …« Sie war hochrot angelaufen. »Stellt euch vor, wenn unsere Mütter das erfahren …«
»Ich bin mir sicher, die wissen das längst«, zog Frances sie auf.
»Wenn herauskommt, dass wir das Buch gelesen haben, ist das ein Skandal!«, versicherte Prudence vehement. »Ich riskiere garantiert nicht meinen Ruf, jetzt, wo ich so kurz davorstehe, in die Gesellschaft in London eingeführt zu werden und meinen zukünftigen Ehemann kennenzulernen.«
»Glaubst du denn, diese Saison ist es so weit?«, fragte Rose, und Frances meinte, ein leichtes Zittern in ihrer Stimme zu hören.
»Ich bin neunzehn Jahre alt. Da ist es wirklich an der Zeit«, stellte Prudence klar. »Außerdem ist es eine Ehre, als Debütantin in der Ballsaison präsentiert zu werden.«
»Ja, vielleicht«, erwiderte Rose und legte das Buch weg. »Eigentlich wäre ich auch gerne mal bei einem richtigen Ball. Die Musik und die Tänze, das muss so schön sein.« Sie reichte Prudence die Hand. »Darf ich bitten, Mylady?«
»Gewiss, Mylord«, hauchte Prudence affektiert, ließ sich von Rose hochziehen und fing an, mit ihr zu einer imaginären Musik zu tanzen. Obwohl die beiden nur Nachthemden trugen und der Schein der Kerze den Dachboden kaum erhellte, kam es Frances so vor, als würden sie elegant herausgeputzt unter einem Kronleuchter ihre Runden drehen. Prudence war eine Augenweide, und Rose strahlte unnachahmliche Anmut und Leichtigkeit aus, während sie der Freundin ins Gesicht blickte und ihre Hand hielt. Niemand konnte so tanzen wie Rose. So völlig eins mit sich und ihrem Körper. Gedankenverloren griff Frances zu einer weiteren Praline.
»Komm schon, Franny, lass das Konfekt und mach mit«, forderte Prudence sie auf. Sie legte die Schachtel zur Seite und ging zu den beiden Freundinnen. Gerade wollte sie die Arme um sie legen, da wich Prudence einen Schritt zurück. »Hast du etwa Schokolade an den Händen?«
Frances leckte ein paar der Flecken von den Fingern. »Jetzt nicht mehr.«
Die drei umarmten sich und tanzten ohne Musik. Frances wurde ganz warm zumute, so nah war sie den anderen beiden, und so verbunden fühlte sie sich mit ihnen. Sie waren eine Einheit, eine verschworene Gruppe, fast so etwas wie eine Familie. Sie waren echte Freundinnen.
Als sie sich schließlich auf die mit Stroh gefüllten Säcke fallen ließen, seufzte Rose auf und sprach das aus, was Frances dachte: »Ich wünschte, wir könnten für immer zusammenbleiben.«
In ihr verknotete sich etwas, als sie daran dachte, dass sie eines Tages von Rose und Prudence getrennt werden könnte. Sie schluckte den bitteren Geschmack im Mund herunter, der sich auf die Süße der Schokolade gelegt hatte. »Wir heiraten einfach alle denselben Mann«, versuchte sie, ihre Angst mit einem Witz zu vertreiben.
»Dann bekommst du ihn an Montagen und Dienstagen, Rose ihn mittwochs und donnerstags, und ich bin Freitag und Samstag dran. An Sonntagen haben wir frei«, griff Prudence den Scherz auf. »Und er muss ganz schön viel Geld haben, um uns drei zu unterhalten. Ich teile vielleicht den Mann mit euch, aber bestimmt nicht meine Garderobe.«
Sie lachten wieder, bis Rose schlagartig damit aufhörte. »Zwischen uns darf nie ein Mann kommen, versprecht mir das«, bat sie ernst.
»Das verspreche ich«, sagte Frances mit fester Stimme.
Prudence kicherte. »Ihr seid ja dramatisch. Aber gut, versprochen.«
* * *
Mrs Worsley ließ ihre Stimme wie Peitschenhiebe auf ihre Schützlinge hinabsausen, während sie zwischen ihnen auf und ab ging und aus einem aufgeschlagenen Buch vorlas: »›Um auf die Art der Bücher zurückzukommen, die so viele der Leserinnen lieben …‹ Miss Darlington, Sie sitzen völlig krumm. Drücken Sie den Rücken durch. Und den Bauch einziehen.«
Frances zuckte zusammen, als sie angesprochen wurde. Übermüdet, wie sie war, hatte sie gar nicht zugehört. Doch der Blick der Leiterin aus rot geäderten Augen registrierte unbarmherzig alles, was ihre Schülerinnen in dem kahlen Schulraum taten, während sie aus James Fordyces »Predigten an junge Frauen« zitierte. Zusammen mit dreizehn anderen Mädchen saß Frances vornübergebeugt da und fuhr mit Nadel und Faden ein Muster nach, das auf einen in einen Stickrahmen gespannten Stoff gezeichnet war. Mrs Worsley warf Frances noch einen strengen Blick zu, dann fuhr sie fort: »›Die Brut der Schriftsteller unserer Zeit, ich meine die, die wir der gewöhnlichen Herde von Theaterautoren zurechnen …‹« Es kam Frances vor, als zöge die Leiterin des Mädchenpensionats ein Vergnügen daraus, den Schülerinnen die von Moral triefenden und unfassbar langweiligen Abhandlungen des schottischen Geistlichen vorzutragen.
Erst als Mrs Worsley an ihr vorbeigegangen war, wagte sie es, von ihrer Stickarbeit aufzublicken, sich umzudrehen und nach Rose und Prudence zu sehen. Rose gab mit ihrer bleichen Gesichtsfarbe und den bläulichen Augenringen einen kläglichen Anblick ab. Frances nahm an, dass sie selbst kaum einen frischeren Eindruck machte, so sehr zitterte ihre blasse Hand an diesem Morgen. Zudem war ihr übel. Nur Prudence wirkte, als hätte sie die Nacht brav in ihrem Bett im Schlafsaal verbracht, anstatt auf dem Dachboden den Sherry der Leiterin zu trinken und unanständige Passagen aus einem gestohlenen Buch zu lesen. Wie sie das anstellte, war Frances ein Rätsel. Nun fing Prudence ihren Blick auf und grinste sie hinter Mrs Worsleys Rücken an.
»›Diese Bücher führen zu einer falschen Auffassung vom Leben und vom Glück‹«, fuhr die Leiterin mit der langweiligen Lesung fort. »›Sie stellen Laster als bloße Schwächen dar. Und Schwächen als Tugenden. Sie erzeugen derart verdorbene und aufrührerische Ideen von Liebe …‹ Gerade sitzen, Miss Sholten, den Rücken durchdrücken! Wo war ich …«
Frances konnte schon im wachen Zustand kaum den drögen Ausführungen folgen. In ihrer jetzigen Verfassung rauschten die Sätze nur so an ihr vorüber. Sie dachte darüber nach, wie sie sich in der Nacht noch zurück ins Arbeitszimmer der Leiterin des Mädchenpensionats geschlichen und das Buch zurückgelegt hatte. Den Sherry hatte sie zudem mit Tee und Zucker aufgefüllt, damit nicht auffiel, dass sie davon getrunken hatten.
»Miss Darlington.« Die Stimme Mrs Worsleys drang zu ihr durch, während der Geruch nach Lavendel, der von ihr ausging, in ihre Nase stach. »Sticken oder schlafen Sie? Wo sind Sie nur mit Ihren Gedanken?«
Bei den unanständigen Passagen aus dem Buch, aber das konnte Frances nicht laut sagen. Ein belustigtes Schnaufen entwich ihr, bevor sie die Hand auf den Mund pressen konnte. Unmittelbar darauf hörte sie ein unterdrücktes Kichern von Rose.
»Miss Oakley«, tadelte Mrs Worsley, wobei sie mit dem Finger auf Rose zeigte, als wolle sie sie aufspießen. »Ermuntern Sie Miss Darlington nicht noch zu diesem Benehmen.«
Frances neigte den Kopf zur Seite und linste zu Rose, die lautlos das Wort »Klitoris« mit dem Mund formte. Frances musste sich in die Hand beißen, um das Lachen zu ersticken. Tränen sammelten sich in ihren Augen.
»Was ist bloß mit Ihnen los? Trennen Sie die Stiche auf, und beginnen Sie von vorn.« Mit der Zunge missbilligend schnalzend ging Mrs Worsley weiter. Der muffige Geruch ihres Parfüms hielt sich noch ein wenig länger in Frances’ Gegenwart auf.
Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, senkte sie den Blick und löste die misslungenen Stiche einen nach dem anderen auf. Obwohl ihr etwas flau war, fühlte es sich dennoch gut an, letzte Nacht in aller Heimlichkeit ein Stück Unabhängigkeit ausgelebt zu haben. Sie wünschte nur, sie könnte sich auch tagsüber selbstständig bewegen. Frances rutschte auf ihrem Stuhl herum. Ihre Fußsohlen kribbelten, und sie spürte das Bedürfnis, ihren benommenen Kopf an der Luft durchpusten zu lassen.
Der drängende Wunsch nach Bewegung breitete sich immer stärker in ihr aus, während Mrs Worsley die Ermahnungen unbarmherzig weiter vortrug. Es tat Frances zunehmend körperlich weh, still sitzen zu müssen. Sie blickte zum Fenster, das wie zum Hohn einen hellblauen Märzhimmel präsentierte, auf dem nur der Wind eine einsame Wolke vor sich her scheuchte. Die das Pensionat umgebenden Felder waren noch kahl, nur auf den Wiesen breitete sich allmählich ein grüner Schimmer aus. Weit entfernt hoben sich am Horizont dunkel die Umrisse der Highlands ab.
Frances wollte nicht nur, sie musste nach draußen. Jetzt. Es duldete einfach keinen Aufschub mehr. Sie schob den Stuhl nach hinten, wobei dessen Beine so über den Holzboden schabten, dass alle Köpfe zu ihr herumfuhren. Prudence und Rose blickten sie fragend an. Frances hob als stumme Antwort leicht die Schultern, dann knickste sie vor Mrs Worsley. »Verzeihung.«
»Was ist denn nun schon wieder?«
»Ich fühle mich unpässlich. Sie wissen ja, das Frauenleiden.« Das war zwar eine Lüge, aber bei diesem Thema lief die Leiterin des Mädchenpensionates im Gesicht rot an und fragte nicht weiter nach. Man hätte meinen können, sie wäre es gewöhnt, immerhin durchlebten vierzehn Schülerinnen einmal im Monat diese Zeit. Doch jedes Mal reagierte sie wieder aufs Neue mit Scham.
»Oh. Dann gehen Sie. Los, los.«
Frances drehte ihr den Rücken zu, zog in Richtung ihrer Freundinnen eine Grimasse und verließ so schnell sie konnte den stickigen Raum.
Als sie über den ausgetretenen Pfad durch die Felder lief, die spät im März endlich aus ihrem Winterschlaf erwachten, atmete sie tief und befreit durch. Über ihr kreiste ein Greifvogel auf der Suche nach leichter Beute. Links und rechts grasten Schafe, die sich wie helle Punkte von dem Wiesengrün abhoben. Die feuchte Luft roch nach Erde und Schafsdung und Frances sog den scharfen Geruch so gierig in ihre Lungen auf, als könnte sie damit selbst zum Teil der Landschaft werden. Am liebsten würde sie mit Prudence und Rose zusammen für immer hierbleiben, trotz Mrs Worsley. Sie spürte Sehnsucht nach den Freundinnen in sich aufsteigen und drehte schließlich um. Hoffentlich hatte die Leiterin ihre langweiligen Ausführungen mittlerweile beendet. Es würde noch viele Stunden dauern, bis Frances eine weitere Gelegenheit fand, das brisante Buch abermals zu stehlen und gemeinsam mit den Freundinnen weiter darin zu lesen, aber allein die Vorfreude darauf ließ ihre Schritte größer werden.
Als sie in das Studierzimmer trat, war Prudence dabei, eine Skizze von Rose anzufertigen, die im Unterkleid auf einem Bein stand und die Arme wie zum Tanz erhoben hatte. Auf ihrer hellen rosafarbenen Haut waren die unzähligen Sommersprossen in den langen Wintermonaten weitgehend verblasst. In völliger Konzentration zeichnete Prudence, wobei sie ihre Zungenspitze zwischen den Lippen hervorschob. Frances bewunderte die Fähigkeit der Freundin, mit wenigen Strichen das Gefühl von Dynamik hervorzurufen. Als Rose Frances bemerkte, geriet sie in ihrer Position ins Schwanken. »Halt still«, beschwerte sich Prudence, dann blickte sie auf. Sie sah Frances und strahlte. »Wir haben tolle Neuigkeiten«, verkündete sie. Ein Blick zu Rose sagte Frances jedoch, dass diese die Euphorie der Freundin nicht ganz teilte.
»Es tut mir leid«, erklärte Rose bedrückt und stellte beide Füße auf den Boden. »Unsere Mütter haben geschrieben. Pru und ich gehen nach London zurück.«
Erschrocken sah Frances sie an. »Was?«
»Wir werden in die Gesellschaft eingeführt«, sprudelte Prudence mit geröteten Wangen hervor. »Als Debütantinnen zur Ballsaison, ist das nicht phantastisch?«
»Und ich?«, fragte Frances entsetzt.
»Ich weiß nicht«, erwiderte Rose unglücklich, und in Frances tat sich ein Abgrund auf.
Vor anderthalb Jahren hatte sie zunächst Angst vor der schottischen Einsamkeit gehabt, in die ihre Mutter sie nach dem gesellschaftlichen Skandal um ihre ältere Schwester Anthea verbannt hatte, als diese mit einem Dienstboten davongelaufen war. Sobald sie allerdings Rose und Prudence kennengelernt hatte, war das Mädchenpensionat ihr als großes Glück erschienen. Sie hatte sich noch nie zuvor jemandem so nahe gefühlt wie den beiden, nicht einmal ihrer eigenen Schwester. Und sie wollte sich auf gar keinen Fall von ihnen trennen.
»Ihr müsst bleiben«, entfuhr es ihr.
»Das geht nicht«, sagte Rose bedrückt. »Meine Mutter meint, es wäre an der Zeit, einen geeigneten Heiratskandidaten für mich zu finden.« Sie sah nicht aus, als würde sie darüber in Verzückung geraten, was Frances Hoffnung gab, doch dann sprach sie weiter. »Mein Bruder ist bereits auf dem Weg hierher, um uns abzuholen.«
»Aber …«, setze Frances an und verstummte wieder.
»Es kann ja nicht mehr lange dauern, bis du auch nach London geholt wirst«, versuchte Prudence, sie zu trösten.
Frances schüttelte den Kopf. »Es sind erst zwei Jahre seit dem Skandal vergangen. Ich glaube nicht, dass alles schon vergessen ist. Wahrscheinlich muss ich noch ewig hierbleiben. Ohne euch.«
Sie schwindelte, und sie ließ sich an der Wand zu Boden gleiten.
* * *
Zu allem Überfluss musste Frances im Bett liegen bleiben, als sich die anderen Schülerinnen in Zweierreihen aufstellten, um ins nächste Dorf zu spazieren. Mrs Worsley hielt viel von körperlicher Ertüchtigung ihrer Schützlinge und predigte ihnen täglich, wie wichtig eine gute Haltung und die Ausstrahlung einer Lady dafür seien, einen Ehemann zu finden. Niemand war sonderlich erpicht darauf, den ganzen Unterricht lang aufrecht dasitzen zu müssen, aber jeder Grund, um andere Menschen, besonders junge Männer, zu sehen, war den Mädchen recht. Deshalb beeilten sie sich, so dass sich die Schlange bald entfernte. Frances, die ihnen durch das Fenster nachsah, wünschte, sie könnte mit ihnen laufen. Stattdessen war sie zur Untätigkeit verdammt.
Zwischen den Wolken brach die Sonne hervor. In den Strahlen, die durch das Scheibenglas fielen, tanzte Staub. Frances stellte sich vor, wie sie die winzigen, im Licht glitzernden Partikel einatmete, bis diese zu einem Teil von ihr wurden, den sie mit dem nächsten Atemzug wieder hinausblies. Um noch einen Moment länger von diesem Glitzer erfüllt zu sein, hielt sie die Luft an und ließ sie erst wieder ausströmen, als sie gar nicht mehr anders konnte.
Wie sollte es nur werden, wenn die beiden Freundinnen nach London gehen und sie zurücklassen würden? Was sollte sie dann tun? Sie sollte lieber daran denken, dass sie eines Tages wieder mit Prudence und Rose vereint sein würde. Eines sehr weit entfernt liegenden Tages. Ihre Augen fingen zu brennen an. Sie musste Geduld haben, redete sie sich zu.
Geduld. Gelassenheit. Geduld. Frances strengte sich an. Wenn sie doch nur eine Begabung hätte, die sie die Zeit vergessen ließe. Wenn sie malen könnte wie Prudence, dann würden ihr die einsamen Stunden sicher nicht so lang vorkommen. Oder wenn sie eine derartige Begabung für das Tanzen hätte wie Rose. Stattdessen konnte sie einfach nichts richtig. Selbst wenn sie irgendwann einmal in die Londoner Gesellschaft eingeführt werden würde, hätte sie außer einer anstrengenden Mutter wenig vorzuweisen, um einen Lord, Earl oder Viscount dazu zu bringen, ihre Tanzkarte zu füllen oder gar um ihre Hand anzuhalten. Sie besaß keinerlei herausragendes Talent, wenn man von der Begabung zum Stehlen mal absah. Nur bezweifelte sie, dass dies eine Fähigkeit war, die ihre Chancen auf eine Heirat mit einem Lord erhöhten.
Derartige Gedanken beschäftigten sie, bis Mrs Worsley mit den Schülerinnen endlich zurückkam. Eigentlich sollten sie am Nachmittag jede für sich Predigten lesen, während die Leiterin sich in ihr Arbeitszimmer zurückzog, angeblich um dort zu arbeiten. Stattdessen nutzten die Freundinnen die Zeit, um sich im Schlafsaal an Frances’ Bett gedämpft zu unterhalten.
»Ich freue mich so auf die Bälle …«, raunte Prudence. Rose schüttelte den Kopf und warf Frances einen mitfühlenden Blick zu. »Könnt ihr euch das vorstellen?«, sprach Prudence dennoch in schwärmerischen Tonfall weiter. »Lauter neue Kleider, teurer Schmuck, Verehrer en masse …«
»Nein, kann ich nicht«, sagte Frances niedergeschlagen.
»Wenn wir in London sind, reden wir deiner Mutter so lange zu, bis sie dich nachholt«, versuchte Prudence, ihre Stimmung zu heben. »Bis dahin lernen Rose und ich schon mal die interessantesten Leute kennen und stellen dich vor, wenn du nachkommst.«
»Und was ist, wenn wir uns in der Zwischenzeit aus den Augen verlieren?«, überlegte Frances.
»Unsinn«, erwiderte Rose. »Wenn du auch in London bist, werden wir alles zusammen machen und gemeinsam die Nächte durchtanzen!«
Frances versuchte vergeblich, sich ein Lächeln abzuringen. »Ich will nicht hierbleiben«, gab sie zu. »Ich will mit euch zusammen sein.«
»Das wirst du auch«, versicherte Prudence.
»Und wenn ich endlich nach London komme und ihr bereits verheiratet seid?«, warf Frances ein.
»Selbst wenn ich verlobt oder verheiratet bin, werde ich euch trotzdem so oft sehen wie jetzt«, behauptete Prudence. »Vielleicht nicht jeden Tag, aber mindestens jeden zweiten.«
»Wer sagt, dass dein Mann das erlauben wird?«, warf Rose skeptisch ein.
»Ich sage das«, erklärte Prudence überzeugt. »Ich will mindestens eine Viscountess oder besser noch Duchess werden. Mit einem mächtigen Mann kann ich alles tun, was ich will.«
»Du kannst tun, was dein Mann dir erlaubt«, verbesserte Rose. »Nur weil ein Mann Macht hat, heißt das nicht, dass er seiner Frau dieselbe Macht zugesteht. Im Gegenteil. Er erhält mit der Heirat ja auch noch die Macht über dich dazu. Und wenn er vom Stand her weit über dir steht, wird er dich das sicher spüren lassen.«
»Dann werde ich mir eben einen Mann suchen, der mir jeden Wunsch von den Lippen abliest«, beharrte Prudence auf ihrer Vorstellung. So vehement, wie sie diese vortrug, verflog beinahe jeder Zweifel daran, dass ihr die Umsetzung gelingen würde. Es stand für Frances außer Zweifel, dass die selbstbewusste Prudence das Zeug dazu hatte, einen Duke um den Verstand zu bringen.
»Versprich, dass du uns nicht vergessen wirst, wenn du heiratest«, bat Frances, die sich aufgesetzt hatte.
»Natürlich nicht, Dummerchen.« Prudence beugte sich zu ihr und umarmte sie.
»Ihr werdet immer meine besten Freundinnen bleiben«, erklärte Frances und musste schlucken. Sie spürte, wie sich Rose an sie schmiegte und Prudence und sie festhielt, so dass sie sich ein wenig getröstet fühlte. Eng umschlungen saßen sie auf der Matratze. Frances, Rose und Prudence.
»Ich kriege keine Luft mehr«, keuchte Frances nach einer Weile auf und machte sich los.
»Lasst uns noch mal richtig feiern, bevor wir abreisen!«, entschied Prudence.
Sobald die anderen Schülerinnen schliefen und es im Haus still geworden war, stand Frances auf und ging mit nackten Füßen vorsichtig zur Tür, wobei sie die Dielenbretter ausließ, die unter ihrem Gewicht knarren konnten. Wie ein aufbrausendes Meer an leisen und lauten Tönen atmeten die anderen jungen Frauen im Schlaf. In der Dunkelheit vermochte Frances die Umrisse von Prudence und Rose zu erkennen, die sich ebenfalls erhoben und ihr folgten. Da stieß Frances mit dem Fuß gegen etwas, das zu kullern begann. Ein Nachttopf. Sie beugte sich hinunter und hielt ihn fest, bevor der Lärm die anderen aufwecken konnte. Zum Glück war der Topf unbenutzt.
Nachdem sie durch die Tür getreten waren, schloss Rose diese ganz behutsam. »Bis gleich«, wisperte Frances, als sich auf dem Flur ihre Wege trennten und die Freundinnen auf den Dachboden stiegen, während sie die Treppe hinunter in den ersten Stock zum Arbeitszimmer der Leiterin ging. Auch wenn ihr Herz wegen des drohenden Abschieds schwer war, freute sie sich auf diese Nacht, in der sie zusammen mit Prudence und Rose einem großen Rätsel auf die Spur kommen und dank des Buches endlich erfahren würden, was zwischen Mann und Frau in der Hochzeitsnacht geschah und was es mit diesem seltsamen Wort »Klitoris« genau auf sich hatte. Aus dem Studierzimmer hörte sie das Ticken der Standuhr. In der Holzdecke über ihrem Kopf raschelten Mäuse. Ansonsten war es still. Alles schlief – bis auf die drei Freundinnen.
Frances atmete durch und schlich weiter zum Arbeitszimmer. Dort angelangt, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und fühlte auf dem Türrahmen nach dem Schlüssel. Die Finger berührten die Wand. Irritiert tastete sie alles ab. Nichts. Da war kein Schlüssel. Sie probierte die Klinke, doch die Tür war verschlossen. Frances fragte sich noch, ob sie von außen durch das Fenster einsteigen könnte, als sie in ihrem Rücken ein Räuspern hörte.
»Suchen Sie das hier?«, fragte eine Stimme. Frances fuhr herum. Vor ihr stand Mrs Worsley mit einer Kerze in der einen Hand. In der anderen hielt sie den Schlüssel hoch.
In Frances’ Kopf war alles wie leer gefegt. Sie suchte nach einer Erklärung. »Ich bin … Ich wollte …«
»Sie wollten mich bestehlen«, warf ihr die Leiterin vor.
»Nein, ich wollte zur Toilette und habe mich verlaufen«, fiel ihr ein. Mrs Worsley sah nicht überzeugt aus. Sie schloss die Tür zum Arbeitszimmer auf.
»Rein mit Ihnen«, befahl sie. Frances blieb nichts anderes übrig, als den Raum zu betreten. Im Kamin brannte ein Feuer.
»Setzen Sie sich, Miss Darlington.«
Frances nahm auf dem unbequemen Holzstuhl Platz, auf den Mrs Worsley zeigte. Die ältere Frau blieb stehen und sah auf sie herab.
»Ich dulde nicht, dass meine Schützlinge mich hintergehen«, sagte sie. »Das wird Konsequenzen haben.«
Frances dachte an mögliche Strafen und daran, dass sie die größte Strafe der Welt längst erhalten hatte, weil sie sich von ihren Freundinnen trennen musste. Etwas Schlimmeres konnte die Leiterin ihr gar nicht mehr antun.
»Das Einzige, was die Bestrafung noch abmildern kann, ist die Wahrheit: Mit wem stecken Sie unter einer Decke?«
»Mit niemandem«, behauptete Frances. Unter keinen Umständen würde sie Prudence und Rose mithineinziehen. Mrs Worsley sah sie skeptisch an, deshalb redete sie weiter: »Ich bin ständig aufgewacht und dann auf die Idee gekommen, einen Schluck Alkohol zu trinken, um wieder einzuschlafen, und mir ist eingefallen, dass Sie eine Flasche hier aufbewahren …«
»Und als Sie nach der Flasche gesucht haben, ist Ihnen ein Buch in die Hände gefallen«, vervollständigte Mrs Worsley. Frances sah sie überrascht an. Sie konnte sich gut daran erinnern, wie sorgfältig sie das Buch in die Schublade zurückgelegt hatte. Wie um alles in der Welt hatte Mrs Worsley herausgefunden, dass es von ihnen gelesen worden war?
»Man sollte kein Papier anfassen, wenn man Schokolade gegessen hat«, klärte diese sie auf.
»Ich war nur neugierig«, verteidigte Frances sich. »Niemand erzählt uns von diesen Sachen.«
Die Leiterin beugte sich vor und musterte sie durchdringend. Die Flammen der Kerzen spiegelten sich in ihren Pupillen. Frances rutschte auf dem Stuhl nach hinten, bis die Lehne in ihren Rücken drückte. Sie erinnerte sich an Mrs Worsleys Klage, dass sie auf einen Mann hereingefallen sei, als sie jung war. »Finden Sie es nicht auch ungerecht, dass wir Frauen nichts davon wissen?«, wagte sie sich vor. »So sind wir dazu verdammt, Opfer von Männern zu werden, die unsere Unschuld ausnutzen. Es sei denn, wir könnten lernen, was uns erwartet. So wie wir gutes Benehmen bei Tisch erlernen. Lassen Sie mich bitte das Buch lesen! Es braucht auch keiner zu erfahren.«
Mrs Worsley drehte sich wortlos um, ging zum Schreibtisch und zog die Schublade auf. Frances beobachtete, wie sie das Buch hervorholte.
»Ich habe mir meine Existenz mühsam aufgebaut«, sagte die Frau mit bebender Stimme. »Mir ist nichts geschenkt worden. Und ich werde mir das nicht nehmen lassen. Von niemandem.« Daraufhin warf die Leiterin das Buch, ohne zu zögern, ins Feuer. »Kein Wort. Wenn Sie auch nur einer Menschenseele davon erzählen, Miss Darlington, werden Sie es bitter bereuen.«
Frances nickte stumm. Ihr Blick wanderte zu den Flammen, die sich hungrig durch in Seiten des Buches schlugen. Im Nu war das Papier verkohlt, und ihre einzige Möglichkeit, mehr über das große Mysterium zwischen Frau und Mann zu erfahren, hatte sich in Rauch aufgelöst.
Ihre Füße baumelten ein ganzes Stück über dem steinernen Fußboden, während Frances in dem an einem Deckenbalken befestigten Streckungsapparat steckte, einer Konstruktion aus Stahlbändern, die ihren Nacken und ihren Oberkörper hielten, wobei der Rest ihres Körpers einfach herunterhing.
»Denken Sie an Ihre Haltung, Miss Darlington, immer aufrecht. Sie müssen ihre Nackenmuskulatur dringend stärken«, sagte Mrs Worsley, die den Apparat justierte. »Eine Frau aus gutem Haus erkennt man auf den ersten Blick an ihrer aufrechten Haltung. Wenn Ihre Schultern weit nach vorne gebeugt sind, hält man Sie noch für ein leicht zu habendes Dienstmädchen.«
Normalerweise hätte Frances Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um nicht in diesen Apparat gepresst zu werden. Angesichts der letzten Nacht hielt sie es jedoch für klüger, nicht dagegen zu protestieren. Unter keinen Umständen wollte sie riskieren, dass Mrs Worsley sie zur Bestrafung einsperrte, so dass sie die letzten Tage oder Stunden nicht mehr mit den Freundinnen verbringen konnte. Sie beabsichtigte, jeden Augenblick, der ihr noch mit Rose und Prudence blieb, in sich aufzusaugen.
Unter der Decke hängend dachte Frances ernsthaft darüber nach, ob Prudence nicht recht damit haben könnte, sich einen möglichst machtvollen Mann suchen zu wollen. Mit einem Duke an ihrer Seite würde es niemand wagen, sie in einen solchen Apparat zu stecken. In der Welt des Mädchenpensionats hatte Mrs Worsley ohne Frage einiges an Macht über ihre Schülerinnen, angesichts eines Lords oder Viscounts würde die Leiterin sich aber knicksend dessen Wünschen unterwerfen, da war Frances sicher.
Als hätte die Lehrerin ihre Gedanken gelesen, sagte sie plötzlich in unterwürfigem Ton: »Mein Herr, bitte treten Sie ein. Ich werde Ihnen sofort einen Tee bringen lassen.«
Ihren Worten folgte das Poltern von Stiefelsohlen auf dem Boden, und Frances bemerkte den plötzlichen Luftzug, als die Tür weiter aufging.
Ihr Versuch, sich zu dem Neuankömmling umzudrehen, geriet in ihrer Lage zum hoffnungsvollen Unterfangen und versetzte ihren Körper in unkontrollierte Schwingungen.
»Was tun Sie da?«, fragte eine recht jung klingende Stimme verwundert.
»Ich genieße die Aussicht. Oder wonach sieht das hier aus?« Frances verfluchte stumm Mrs Worsley, sie in diese Situation gebracht zu haben. Der Mann könnte ein Axtmörder sein, und sie hätte keine Möglichkeit, sich zu retten. Wobei nicht völlig auszuschließen war, dass die Leiterin dies mit Absicht in Kauf nahm, um die Mitwisserin um das verruchte Buch endgültig auszuschalten.
Schwere Schritte kamen näher. Kurz darauf erkannte sie das Rot einer Uniformjacke. Ein Soldat. Schon stand er vor ihr und blickte sie an. Sein Gesicht war auf den ersten Blick das eines Mannes, der gerade einmal Anfang zwanzig sein mochte, nur die dunklen Ringe um seine Augen ließen ihn beim zweiten Hinsehen älter erscheinen.
»Schönen guten Tag«, sagte sie mit so viel Würde, wie sie in ihrer Lage aufbringen konnte. Seine Mundwinkel kräuselten sich. Es sah aus, als würde er jeden Moment in Lachen ausbrechen, und er wirkte gleich viel jungenhafter.
»Meine Dame.« Er deutete eine Verbeugung an. »Wie geht es Ihnen?«, erkundigte er sich mit erstaunlicher Selbstbeherrschung. Nur seine blinzelnden Augen und die Zunge, die er in die Backe geschoben hatte, verrieten sein Amüsement über die Situation.
»Danke der Nachfrage. Man erhält hier oben eine ganz andere Perspektive«, erwiderte Frances. Sie bemerkte die vereinzelten Locken, die sich aus seiner gescheitelten Frisur gelöst hatten. Als er ihren Blick auffing, fuhr er mit der Hand über den Kopf, um das Haar zu glätten. Sie fragte sich noch, zu wem der Gast gehörte, da flog die Tür ein weiteres Mal auf.
»Daniel!« Kurz vor dem Soldaten blieb Rose stehen. Sie wippte auf den Zehenspitzen, als würde sie sich nach vorne stürzen wollen. Nahezu forschend sah sie ihn an.
»Schwesterchen«, sagte er mit einem unwiderstehlichen Lächeln und blickte sie voller Freude und Zuneigung an. Frances konnte sich nicht daran erinnern, jemals auf diese Weise angesehen worden zu sein, und sie fühlte einen kleinen Stich. Der Soldat legte die Hände um Rose, die sich an ihn drückte. Die beiden hielten sich eine ganze Weile lang umarmt, in der Frances nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte. Sie diskret allein zu lassen, war unmöglich, daher war sie gezwungen, der geschwisterlichen Wiedervereinigung beizuwohnen, auch wenn sie sich völlig fehl am Platz fühlte.
»Du bist so groß geworden«, stellte der Soldat mit belegter Stimme fest.
»Und du, du bist so …« Rose blickte dem Mann ins Gesicht, »so ernst?«
Er lachte. »Lass dich nicht täuschen. Ich kann mir immer noch genug Sachen ausdenken, um meine kleine Schwester zu ärgern.«
»Vergiss es. Ich werde nie wieder auf dich hereinfallen!«
Da kam Prudence herein. Rose löste sich aus der Umarmung, hielt jedoch seine Hand fest. »Pru, darf ich dir meinen Bruder vorstellen?«, sagte sie mit Stolz in der Stimme.
»Sehr erfreut.« Prudence klimperte ein paarmal mit den Wimpern. Er verbeugte sich vor ihr. »Ganz meinerseits.«
»Und Daniel, das ist Frances, ich meine … Miss Darlington.« Rose deutete zu ihr. »Frances, das ist Daniel, also eigentlich Major Oakley, aber daran kann ich mich nicht gewöhnen.«
Betont höflich streckte Frances die Hand aus, wobei die Kette, an der der Streckapparat an einem Balken aufgehängt war, in Bewegung geriet und sie in der Folge heftig hin und her baumelte.
Daniel grinste breit. »Ich fürchte, Ihnen fehlt die Bodenhaftung.«
»Haha«, sagte Frances in Ermangelung einer schlagkräftigen Antwort nur. Es war gar nicht so leicht, in ihrer Lage die Würde zu bewahren. Immerhin holte er einen Schemel, den er unter ihre Füße schob, dann machte er sich hinten an dem Apparat zu schaffen. Er war ihr so nah, dass sie seinen Duft einatmete. Es roch nach Pferd und Sandelholz. Ihre Nasenflügel weiteten sich.
»So, das hätten wir«, sagte Daniel freundlich, und Frances spürte, wie die Füße ihr Gewicht wieder trugen. Er reichte ihr seine Hand, um ihr vom Hocker zu helfen. »Geht es?«
Sie nickte bloß. Ihre Zunge lag ungewohnt schwer im Mund. Fast tat es ihr leid, als er ihre Hand losließ. Er legte den Kopf in den Nacken und besah sich die Konstruktion genauer. »Was soll das eigentlich? Man hängt Schweinehälften an Haken, aber keine jungen Ladys, die in die Gesellschaft eingeführt werden sollen.«
Für einen kurzen Augenblick bekam Frances eine bildliche Vorstellung davon, wie sie zwischen lauter geschlachteten Schweinen baumelte.
»Ich kann es noch immer nicht glauben, dass du vor mir stehst. Lebendig und ganz heil«, sagte Rose. »Das bist du doch, oder?« Sie beäugte Daniels Beine, und Frances folgte ihrem Blick. Er klopfte mit seiner Faust auf den Oberschenkel.
»Kein Holz, wenn du das meinst«, erwiderte er liebevoll lächelnd. »Meine Glieder sind noch alle dran.«
»Und wo warst du überall?« Rose sprudelte über mit Fragen an ihren Bruder, den sie so lange nicht mehr gesehen hatte.
»Hauptsächlich in Spanien.«
»In deinen Briefen hat nie viel gestanden.«
»Krieg ist nichts, womit man kleine Schwestern behelligt«, erwiderte er ausweichend.
»Ich bin nicht klein«, verteidigte sie sich. »Wenn es nach Mutter geht, soll ich verheiratet werden, vergiss das nicht.«
Er lächelte.
Rose erwiderte sein Lächeln. »Es ist schön, dich wiederzusehen.«
»O ja«, bekräftigte Prudence. »Vor allem weil das bedeutet, dass wir nicht mehr lange hierbleiben müssen. London, ich komme!« Je breiter das glückliche Grinsen auf Prudence’ Gesicht wurde, umso stärker traf Frances die Erkenntnis, dass es nun so weit war. Sie würde sich von den Freundinnen trennen müssen.
»Was ist denn?« Rose hatte ihren Blick bemerkt und legte ihr liebevoll die Hand auf den Arm.
»Nichts«, sagte Frances und kämpfte mit den Tränen. »Soll ich euch packen helfen?«
Sie war erleichtert über Mrs Worsleys Erscheinen, die laut ausrief: »Major Oakley! Ich habe Ihnen in meinem Salon ein paar Erfrischungen bereiten lassen. Wollen Sie die Nacht hierbleiben? Sie müssen sich von der langen Reise ausruhen. Und von ihrem ehrenvollen Kampf fürs Vaterland.« Dann stutze sie. »Miss Darlington, wer hat Ihnen erlaubt herunterzukommen?«
»Das war ich«, erklärte Daniel. »Und danke, ein Tässchen Tee wäre sehr nett. Doch wir reisen ab, sobald die Sachen auf der Kutsche verstaut sind. Ich habe mich genug ausgeruht, seit ich zurück in England bin.«
Frances’ winzige Hoffnung, wenigstens noch eine Nacht mit Prudence und Rose verbringen zu können, verflüchtigte sich sofort wieder.
»Ein Tee und ein Stück Karottenkuchen zur Stärkung«, schlug Mrs Worsley vor. »Für Sie gibt es auch ein Stückchen zur Feier des Tages«, wandte sie sich an die jungen Frauen.
Normalerweise hätte Frances um diese Tageszeit Hunger gehabt, aber ihr Kummer erfüllte sie dermaßen, dass sie in dem überhitzten Salon, in dem der Tee serviert wurde, keinen Krümel hinunterbekam.
»Möchten Sie ein Schlückchen Sherry? Ich kann Ihnen die Flasche aus meinem Arbeitszimmer holen lassen«, bot Mrs Worsley Daniel an. Rose prustete los. Frances trat ihr gegen das Schienenbein, damit sie sie nicht verriet.
»Ist etwas, Miss Oakley?«, fragte die Leiterin ungehalten.
»Wir sind nur aufgeregt. Wegen London«, warf Prudence rasch ein. Rose nickte heftig.
»Zu einem Sherry sage ich nicht Nein«, erwiderte Daniel, und Mrs Worsley schickte das Dienstmädchen los, um die Flasche aus ihrem Arbeitszimmer zu bringen. Offenbar hatte sie bisher nicht bemerkt, dass Frances den Inhalt mit Tee und Zucker gestreckt hatte. Diese versuchte, Daniel zu signalisieren, dass er den Sherry nicht trinken sollte, allerdings deutete er ihre Geste falsch. »Habe ich was im Gesicht?«
»Nein«, versicherte Frances. Sie wurden von dem Dienstmädchen unterbrochen, das den Sherry servierte. Mrs Worsley goss zwei Gläser voll und schob eines davon ihrem Gast hin. Frances schüttelte erneut unauffällig den Kopf. Offenbar ging sie dabei nicht so diskret vor, wie sie dachte, denn die Leiterin blickte sie streng an. »Möchten Sie etwas sagen, Miss Darlington?«
»Schönes Wetter haben wir heute«, plapperte sie los.
»Das ist gut«, kam Prudence ihr zur Hilfe.
»Für unsere Reise«, ergänzte Rose.
»Ah, ja.« Mrs Worsley wandte ihre Aufmerksamkeit von den Schülerinnen ab. »Trinken Sie, Major Oakley, es ist genug da«, forderte sie ihn auf, wobei sie seinen militärischen Titel besonders betonte, dann nahm sie einen großzügigen Schluck aus ihrem eigenen Glas. Frances beobachtete sie genau. Nachdem sie den Sherry gekostet hatte, wirkte die Leiterin verdutzt und leckte sich nachdenklich mit der Zungenspitze über die Lippen. Daniel hingegen hob sein Glas vorsichtig an und schnupperte daran. Er zog eine Augenbraue hoch und ließ ein kurzes Lächeln aufblitzen. Frances beobachtete, wie er das Glas zu den Lippen führte. Sie war sicher, dass er nur tat, als nippe er davon, denn als er es abstellte, sah es genauso voll aus wie zuvor. Daniel stand nun auf.
»Ich denke, es ist an der Zeit, sich um die Reisevorbereitungen zu kümmern. Ich danke für Ihre Gastfreundschaft, Mrs Worsley. Miss Prudence, Miss Frances, Rose, wenn ihr so weit seid? Oder braucht ihr noch Zeit, euch zu verabschieden?«
Prudence sprang als Erste auf. »Meine Sachen sind längst gepackt. Ich kann hier nicht schnell genug wegkommen.«
Der Satz traf Frances wie ein Schlag in die Magengrube. Rose wirkte weniger enthusiastisch, als sie versicherte, ebenfalls bereit zu sein. Frances schluckte schwer und kämpfte mit den Tränen.
»Und Sie, Miss Frances?«, wandte sich Daniel an sie. »Haben Sie auch gepackt?«
»Ich?« Sie sah ihn verwirrt an.
»Ja, Sie. Ihre Mutter hat mir aufgetragen, Sie mitzunehmen.«
»Und die müssen wirklich mit? Alle?« Daniel blickte erstaunt auf die in Öltücher eingeschlagenen Leinwände, die der Kutscher zusammen mit den Reisetruhen der drei Freundinnen aufs Dach der Kutsche zu stapeln versuchte. Frances hatte so eilig gepackt, wie es nur möglich war, und konnte es noch immer nicht fassen, dass ihre Mutter, als sie von der Reise der Freundinnen hörte, den Entschluss gefasst hatte, die Gelegenheit zu nutzen und ihre Tochter ebenfalls nach London zu holen. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass Lady Darlington mit Lady Oakley und Mrs Griffin näher bekannt war. Vor dem Skandal um ihre älteste Tochter hätte sie sich niemals mit den Frauen eines einfachen Baronets und eines gesellschaftlich noch niedriger stehenden Knights abgegeben.
Prudence wies den Diener an, die Staffelei anzureichen. »Vorsicht«, rief Frances, da der Stapel oben auf der Kutsche ins Rutschen geriet. Daniel konnte gerade noch den Kopf einziehen, als ein Bild haarscharf an ihm vorbeisegelte.
»Pass auf«, herrschte Prudence den Kutscher an. Sie nahm das Bild und stieg damit in die Kutsche, ohne sich von Mrs Worsley zu verabschieden. Rose und Frances knicksten vor der Pensionatsleiterin.
»Denkt daran, immer schön gerade halten. Brust raus und den Rücken durchstrecken«, gab diese ihnen auf den Weg mit.
»Danke für alles, was Sie für meine Schwester getan haben«, wandte sich Daniel an Mrs Worsley.
»Nicht doch, Major Oakley, ich habe nur meine Pflicht getan. Ich bin überzeugt davon, dass Miss Rose Ihrer Familie als Debütantin Ehre erweisen und einen angesehenen Ehemann finden wird.«
Rose verzog daraufhin das Gesicht. Als sie in die Kutsche kletterte, konnte sich Frances eine Bemerkung nicht verkneifen: »Denk daran, immer den Rücken durchstrecken. Dann klappt das auch mit dem Ehemann.«
»Umpf«, machte Rose nur. In der Kutsche drängten sie sich etwas beengt zusammen, nachdem auch Daniel eingestiegen war. Er nahm neben seiner Schwester mit dem Rücken zur Fahrtrichtung Platz, Prudence und Frances saßen ihnen gegenüber. Kaum waren sie losgefahren, geriet eines der Räder in ein Loch in der Straße, so dass sie alle durchgerüttelt wurden.
»Dein Bild sticht mich«, beschwerte sich Frances, weil Prudence das Gemälde zu ihren Füßen abgestellt hatte.
»Gib es mir«, forderte Daniel sie auf und verstaute es unter seiner Sitzbank.
»Danke, Major Oakley«, sagte Frances.
»Nennt mich Daniel, bitte. Was soll diese Förmlichkeit zwischen uns? Ihr seid ja so was wie Schwestern für Rose.«
»Aber nur fast«, warf Rose zu Frances’ Überraschung ein, die nicht einordnen konnte, woher diese plötzliche Zurückhaltung kam. Vielleicht war Rose auch bloß eifersüchtig auf die Aufmerksamkeit, die ihr Bruder den Freundinnen entgegenbrachte. Immerhin hatte sie ihn über zwei Jahre lang nicht gesehen, weil er als Soldat auf dem Kontinent gegen Napoleons Truppen gekämpft hatte. Wahrscheinlich hätte sie ihn einfach lieber noch für sich gehabt, als ihn sofort nach dem Wiedersehen teilen zu müssen.
»Mutter hat gesagt, du warst bei der Schlacht um La Coruña?«, fragte Rose denn auch.
»Ja«, lautete seine knappe Antwort.
»Und wann wirst du wieder einberufen?«, hakte seine Schwester nach.
»Im April vermutlich. Jetzt werde ich dich erst mal zum Anfang der Ballsaison begleiten und sicherstellen, dass du einen ›angesehenen Ehemann‹ findest«, ahmte er die Worte Mrs Worsleys nach.
»Und du?«, konterte Rose. »Wirst du dir eine angesehene Ehefrau suchen?«
Frances lehnte sich interessiert vor, um seine Antwort mitzubekommen, denn manche Worte der Unterhaltung wurden von den laut rumpelnden Wangenrädern geschluckt.
»Nein«, erklärte er.
»Warum nicht?« Seine Schwester ließ nicht locker.
»Weil ich nicht heiraten will.« Wie um das Thema zu beenden, öffnete er eine Ausgabe der monatlichen Zeitschrift »The Gentleman’s Magazine«. Frances musterte ihn kritisch. Sicher meinte er das nicht so entschieden, wie er es gesagt hatte. Wenn ihm nur die richtige Frau begegnen würde …
»Das war’s also mit dem Mädchenpensionat«, kommentierte Prudence derweil ungerührt, während sie in einer Kurve aus dem Fenster blickte. Frances versuchte, über ihren Kopf hinweg zum Pensionat zu sehen. Das aus grauen Steinen gebaute Haus war nichts Besonderes, und Mrs Worsley war nun wirklich keine liebenswerte Person, aber etwas in ihr zog sich zusammen, als sie beobachtete, wie das Gebäude kleiner und kleiner wurde, je weiter sie sich davon entfernten. Bald war es nur mehr ein winziges Etwas in einer unendlichen Landschaft. Frances konnte noch immer nicht glauben, dass sie zusammen mit Rose und Prudence in ein ganz neues Leben aufbrach.
»Tut es euch leid, das Pensionat hinter euch zu lassen?«, fragte Rose, die offensichtlich ähnlich gedacht hatte.
»Kein bisschen«, erwiderte Prudence ungerührt.
»Mir schon«, sagte Frances. »Aber nicht, weil ich unbedingt bleiben möchte. Ich möchte nur nicht, dass alles anders wird zwischen uns.«
»Hoffentlich wird alles anders«, erwiderte Prudence. »Wir werden endlich eine Menge Spaß haben und Verehrer bekommen.«
Rose runzelte nur die Stirn. »Was liest du da?«, fragte sie ihren Bruder.
»Einen Reisebericht.«
»Von wem?«
»Von einem Lord Fudge.«
»Lord Ambrose Fudge?«, mischte sich Frances überrascht ein. »Der hätte beinahe meine Schwester geheiratet.«
Die drei anderen sahen sie an. »Na ja, den Rest kennt ihr«, führte sie aus. »Sie hatte kein Interesse an ihm und ist mit ihrer großen Liebe weggelaufen.«
»Dem Dienstboten«, ergänzte Prudence. Frances nickte.
»Wie romantisch«, erklärte Rose.
»Wie naiv«, widersprach Prudence. »Sie könnte jetzt reich sein.«
Überrascht sah Daniel von seiner Lektüre auf. Frances nahm an, dass er schockiert über den Skandal war, und befürchtete schon, deshalb in seiner Gunst zu sinken. »Ist sie denn glücklich?«, fragte er dann.
Sie schluckte, bevor sie antwortete. »Das weiß ich nicht. Ich habe meine Schwester seit zwei Jahren nicht mehr gesehen.«
Eine Schwere legte sich auf sie.
Die Eintönigkeit der Reise wurde nur ab und an durch ein heftiges Rumpeln unterbrochen, wenn die Räder der Kutsche in unregelmäßig verteilte Löcher in der schlecht ausgebauten Straße fuhren. Jedes Mal wurden sie im Inneren ordentlich durchgeschüttelt, doch Frances störte das nicht besonders. Ihre Aufmerksamkeit war auf Daniel gerichtet. Sie beobachtete, wie er mit konzentriertem Blick die Zeitschrift las, wobei er die Augenbrauen über der Nasenwurzel zusammenzog, und wie seine langen, schmalen Finger, deren Nägel sorgsam gefeilt waren, die Seiten umschlugen. Seine Augenpartie erinnerte sie an Rose. Er hatte die gleichen grün gesprenkelte Farbe der Iris, auch wenn ihre Wimpern und Brauen dichter waren. Am rechten Wangenknochen hatte er ein größeres Muttermal. Obwohl seine Kinnpartie durchaus markant war, wirkte er glatt rasiert ausgesprochen jungenhaft. Frances konnte sich gar nicht vorstellen, dass er bis vor wenigen Wochen im Krieg gewesen war. Vor Jahren hatte sie in London einmal eine Horde Soldaten gesehen, die von einem Schiff gekommen waren, nachdem sie auf dem Kontinent gekämpft hatten. Bärtig und verdreckt waren sie gewesen. Ihre Uniformen wiesen obskure dunkle Flecken auf, und alle hatten blutige Verbände getragen. Manch einer war gehumpelt oder hatte gestützt werden müssen.
Da bemerkte sie, wie Daniel sie nun seinerseits musterte. Verlegen wandte sie den Blick ab und fragte sich, was er denken mochte, während er sie betrachtete. Etwas in ihr hoffte, dass er kurvige Frauen mochte. Als sie nach einer Weile verstohlen zu ihm hin linste, war er wieder in seine Lektüre vertieft. Vielleicht hätte sie ihn anlächeln und eine Konversation mit ihm anstrengen sollen. Nur fühlte sie sich seltsam befangen. Gleichzeitig konnte sie nicht verhindern, dass nicht nur ihre Augen, sondern auch ihre Gedanken immer wieder zu ihm wanderten. Es musste daran liegen, dass sie in der Zeit im Mädchenpensionat keinen Kontakt zu Gentlemen gehabt hatte.
Erneut beobachtete sie ihn heimlich. Offenbar ging sie dabei nicht ganz so vorsichtig vor, wie sie glaubte, denn Prudence musterte sie nun mit einem durchdringenden Blick. Ihre Pupillen wanderten von Frances zu Daniel und wieder zurück, woraufhin ein amüsiertes Lächeln ihren Mund umspielte.
»Was interessiert dich denn so sehr, Frances, dass du deine Augen gar nicht davon abwenden kannst?«, stichelte sie. Erschrocken sah Frances sie an und schüttelte unwillkürlich den Kopf, um die Freundin davon abzuhalten, weiter zu reden. Rose richtete ihre Aufmerksamkeit jetzt auf sie, und auch Daniel blickte kurz von seiner Lektüre auf.
»Ich starre nur so vor mich hin«, verteidigte sich Frances etwas zu heftig.
»Ach, und ich dachte schon, der Major hätte einen Fleck im Gesicht«, erwiderte Prudence, woraufhin sich Daniel mit dem Handrücken über die linke Wange wischte.
»Da ist nichts«, versicherte ihm Frances, der das Blut in den Kopf gestiegen war. »Pru bildet sich was ein.« Sie warf der Freundin einen finsteren Blick zu.
»Magst du nicht mit uns teilen, was dich so fasziniert?«, ließ Prudence nicht locker. Frances hätte ihr am liebsten den Hals umgedreht, zumal Daniel nun die Zeitschrift zusammenfaltete.
»Es gibt hier nichts Faszinierendes«, wehrte sie ab.
»Ah«, sagte Prudence gedehnt. »Dann muss ich es mir eingebildet haben.« Alles in Frances spannte sich an. »Ich hatte tatsächlich den Eindruck, du könntest …«
Weiter kam sie nicht, denn es krachte. Kurz darauf kam die Kutsche zum Stehen. Rose sah aus dem Fenster. »Deine Bilder, Pru!«
Prudence stieß einen Schrei aus. Daniel hatte schon die Tür geöffnet und kletterte auf die Straße. Frances, Rose und Prudence folgten ihm. Gemeinsam mit dem Kutscher sammelten sie die herabgefallenen Bilder ein, die verstreut auf dem matschigen Weg lagen.
»O nein.« Frances hatte zwei Aquarelle aufgehoben, deren Farben nun auf dem Papier ineinander verschwammen. Auch die Ölbilder waren nicht verschont geblieben. Was der Sturz nicht zerstört hatte, hatte der Schlamm geschafft. Teilweise waren die Tücher von den Leinwänden gerutscht, so dass Dreck die gemalten Motive besudelte. Je stärker Rose versuchte, ihn mit ihrem Taschentuch abzuwischen, desto fester setzte sich der Schlamm in die Rillen der getrockneten Farbe. Die Bilder waren nicht mehr zu retten. Bei den anderen, die Daniel zusammengetragen hatte, sah es nicht viel besser aus.
»Lasst sie hier«, sagte Prudence. »Es lohnt sich nicht, sie mitzunehmen.« Ihrer Stimme hatte sie einen gleichmütigen Klang verliehen, aber Frances sah den Schmerz in ihren Augen.
»Es tut mir leid, Pru«, sagte sie.
»Das ist nicht so schlimm. Was soll ich auch damit anfangen? Mein zukünftiger Ehemann hat sicher eine ganze Sammlung an Gemälden berühmter Meister, da wird er sich wohl kaum meine dilettantischen Versuche an die Wand hängen.«
»Deine Bilder sind sehr gut«, warf Daniel ein, während er ihnen zurück in die Kutsche half. Prudence lächelte. Traurig zwar, doch sie lächelte.
»Du solltest sie erst mal ohne den Schlamm sehen.«
»Das würde ich gerne«, sagte Daniel. Frances fand seine Art ausgesprochen angenehm, mit der er Prudence aufzubauen versuchte. Er besah sich nun das Bild, das sie im Inneren der Kutsche transportiert hatten, ein Gemälde vom Mädchenpensionat und der Landschaft, und befragte sie zu ihren Lieblingsmalern. Er war überrascht darüber, dass sie kaum Meister im Original gesehen hatte. »Woher kannst du dann so gut malen?«
»Übung. Ich hatte in Schottland ja sonst nicht viel zu tun.« Sie klang deutlich heiterer als kurz zuvor.
»Das ist mein absolutes Lieblingsbild von dir«, meldete sich Frances zu Wort.
Prudence zuckte mit den Schultern. »Wenn du willst, kannst du es haben.«
»Wirklich?« Frances strahlte sie an. »Es wird mich für immer an unsere gemeinsame Zeit hier erinnern.«
An der nächsten Zwischenetappe ihrer Reise verhandelte Major Oakley eine Schiffspassage nach England für sie, da die Fahrt auf dem Meer mit dem nötigen Wind schneller ging als mit der Kutsche. Derweil warteten Rose, Prudence und Frances in dem Seitenzimmer eines Gasthauses auf ihn. Daniel war ausgesprochen fürsorglich und hatte reichlich Essen für sie geordert. Frances, die in ein Sandwich biss, fragte sich, wie ihr Leben verlaufen wäre, hätte sie einen Bruder wie ihn gehabt. Womöglich hätte sie sich als Kind dann nicht immer so alleine gefühlt. Gegebenenfalls hätte er sie sogar beschützt, wenn ihre Mutter sie runtergemacht hatte. Aber vielleicht wäre er auch für Jahre in den Krieg geschickt worden, und sie wäre trotzdem allein gewesen.
»Willst du dein Sandwich nicht mehr?«, fragte sie Prudence, deren Sandwich unberührt auf dem Teller lag. Die winkte nur ab. Frances biss hinein.
»Ich habe eine Idee«, platzte es aus ihr heraus. Die Freundinnen sahen sie neugierig an. »Wie wäre es, wenn eine von uns den Major heiraten würde, und dann könnten wir drei zusammenleben? Er würde das sicher erlauben, und wir müssten uns nicht trennen und dürften alles weiterhin gemeinsam machen, und …« Sie hielt in ihrem Redefluss inne, als sie die skeptischen Gesichter der Freundinnen sah.
»Wer sagt, dass ich Roses Bruder heiraten will?« Prudence lachte auf. »Wenn ich wollte, könnte er mir sicher nicht widerstehen, aber er ist nicht mal ein Lord.«
»Er stammt aus einer angesehenen Familie und ist bereits zum Major aufgestiegen«, verteidigte Frances ihn. »Außerdem sieht er sehr gut aus, findest du nicht?«
»Wenn du so viel von ihm hältst, dann heirate du ihn doch«, gab Prudence nur zurück.
»Ihr zwei scheint vergessen zu haben, dass mein Bruder nicht heiraten will«, beendete Rose das Gespräch entschieden.
In der Nacht im Gasthaus träumte Frances von Bällen, auf denen sie abwechselnd mit Daniel und ihrer Mutter tanzte. Verwirrt stand sie am nächsten Morgen auf, ohne Prudence und Rose zu wecken, und zog sich leise an.