Die letzte Crew des Wandersterns - Hans-Arthur Marsiske - E-Book

Die letzte Crew des Wandersterns E-Book

Hans-Arthur Marsiske

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Beschreibung

Wird es Leben im Weltraum geben? Für die Bewohner einer abgelegenen Insel ist es der schnelle Wanderstern, ein Magier des Himmels und Mittler zwischen den Lebenden und den Toten. Für die übrige Welt ist es die Internationale Raumstation ISS, Weltraumlabor und seit 30 Jahren Ausdruck der friedlichen Zusammenarbeit im All. Dort bereitet eine vierköpfige Besatzung im April 2028 deren endgültige Stilllegung vor. Doch bei den abschließenden wissenschaftlichen Experimenten machen die Astronauten eine unerwartete Ent- deckung. Der Wanderstern hat noch eine letzte Botschaft an die Erde ... Die Begegnung mit dem Fremden steht im Mittelpunkt des ersten Science-Fiction-Romans in der Reihe heise online: Welten. Wie viel Respekt verdienen außerirdische Mikroben? Wo verläuft die Grenze zwischen Leben und Nichtleben? Können sich Bewohner verschiedener Welten überhaupt miteinander verständigen? In seinem Romandebüt findet Hans-Arthur Marsiske überraschende Antworten. Eine spannende Reise ins Weltall – die mit einer Überraschung endet.

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Seitenzahl: 232

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Für die Bewohner einer abgelegenen Insel ist es der schnelle Wanderstern, ein Magier des Himmels und Mittler zwischen den Lebenden und den Toten. Für die übrige Welt ist es die Internationale Raumstation ISS, Weltraumlabor und seit 30 Jahren Ausdruck der friedlichen Zusammenarbeit im All. Dort bereitet eine vierköpfige Besatzung im April 2028 deren endgültige Stilllegung vor. Doch bei den abschließenden wissenschaftlichen Experimenten machen die Astronauten eine unerwartete Entdeckung. Der Wanderstern hat noch eine letzte Botschaft an die Erde …

Die Begegnung mit dem Fremden steht im Mittelpunkt des ersten Science-Fiction-Romans in der Reihe heise online: Welten. Wie viel Respekt verdienen außerirdische Mikroben? Wo verläuft die Grenze zwischen Leben und Nichtleben? Können sich Bewohner verschiedener Welten überhaupt miteinander verständigen?

In seinem Romandebüt findet Hans-Arthur Marsiske überraschende Antworten. Eine spannende Reise ins Weltall – die mit einer Überraschung endet.

in Zusammenarbeit mit

Hans-Arthur Marsiske

Die letzte Crew des Wandersterns

Science-Fiction-Roman

Herausgegeben von Jürgen Kuri

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Das Lied von Maahk

Der Herausgeber

Der Autor

Vorwort

Utopien einer durch Technik befreiten oder zumindest freier gewordenen Gesellschaft? Oder Vorstellungen von einer Gesellschaft, die durch Technik lebenswerter wird?

Der Zukunftsoptimismus der 50-er Jahre ist auch in der utopischen Literatur verschwunden. Moderne Science-Fiction bietet vor allem Dystopien, schildert durch Technik überwältigte Menschen und Gesellschaften, die unter Überwachungs- und Sozialen-Kontroll-Systemen geknebelt werden. Oder die Science-Fiction verlegt sich auf ausufernde Space Operas (manche sagen: flüchtet sich dahin …): Die Geschichten streben in so ferne Universen, dass sie nur noch marginal mit einer halbwegs realen Zukunftsvision zu tun haben.

Aber kann Science-Fiction überhaupt in die Zukunft schauen? Ja und nein.

Die Trefferliste bisheriger Science-Fiction ist eher mau, dabei gibt es immer wieder herausragende Beispiele, die Visionen einer Zukunft formulieren, welche uns heute sehr real erscheinen. Etwa die Neoromancer-Trilogie von William Gibson, die das, was wir heute als Cyberspace erleben und teilweise immer noch imaginieren, recht exakt beschrieb. Ein anderer Science-Fiction-Autor (und Netzaktivist), Cory Doctorow, meint gar, dass Science-Fiction keine Prognose für die Zukunft liefere.

Aber sie kann im besten Fall die Zukunft verändern. Dadurch, dass sie den Lesern begreiflich macht, worin die Bedeutung aktueller Entwicklungen liegt und welche Effekte auf den Einzelnen und die Gesellschaft sie haben.

Wir bei heise online verfolgen einen ähnlichen Anspruch: Nicht nur die aktuellen Entwicklungen in Technik und Forschung zu beschreiben, sondern sie auch kritisch zu hinterfragen und den Lesern begreiflich zu machen. Dabei verfallen wir weder in apokalyptische Technik-Kritik noch blinde Technik-Euphorie; wir wollen keinesfalls, dass die Chancen, die Neuerungen in Technik und Wissenschaft bieten, für die Gesellschaft und den einzelnen Anwender ungenutzt bleiben.

Mit diesem Anspruch gehen wir auch an unsere Buchreihe heise online: Welten heran. Die Romane sind Unterhaltung, die fesselt, die Leserinnen und Leser auch mal Netflix links liegen lässt. Sie sollen aber auch aktuelle Entwicklungen begreifbar machen, sei es als Zukunftsvorstellung in den utopischen Geschichten von Science-Fiction, sei es in anderen literarischen Formen wie Krimis oder aktuellen Romanen.

Mit einem Roman von Hans-Arthur Marsiske starten wir mit einem Autor, der den heise online-Lesern wohl bekannt ist: Vor allem seine Texte und Berichte zur Robotik führen nicht nur in die gegenwärtige Technik der Automaten ein, sondern diskutieren beispielsweise immer wieder die Ethik des Technikeinsatzes und die spezielle Maschinen-Ethik. Und ohne schon zu viel zu verraten: Mit seinem Roman Die letzte Crew des Wandersterns greift er noch einmal weit über den schon sehr weiten Rahmen der Robotik hinaus, begibt sich in den Weltraum und kehrt doch zurück zu unerwarteten Begegnungen.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Lektüre!

Jürgen Kuri

Herausgeber

1

Vor den Flammen fliehen sie alle, Löwe und Elefant genauso wie Zebra, Gazelle oder Schwarze Mamba. Die ersten aber, die nach einem Buschfeuer zurückkommen, sind stets die Raubtiere. Geier und Bussarde kreisen dann über der noch rauchenden Steppe, Raubkatzen und Hyänen nähern sich vorsichtig der Brandstelle, wo sie jetzt leicht Beute machen können.

Und tatsächlich, dort drüben, am Rande der Brandfläche zwischen den unversehrten Büschen, da steht ein Zweibeiner. Meistens ziehen sie in Gruppen herum und sind dann schwer anzugreifen. Dieser jedoch ist allein. Er scheint unverletzt, aber er passt nicht auf. Fast regungslos steht er da, den Blick vor sich auf den Boden gerichtet. Bemerkt nicht den Leoparden, der sich geräuschlos anschleicht, zielstrebig, doch ohne Hast. Nur noch wenige Schritte trennen ihn von seinem Opfer.

Der Zweibeiner beugt sich hinunter, streckt den Arm aus, dreht dabei leicht den Kopf. Er weiß, was diese beiden gelb schimmernden Punkte und die markant geformten schwarzen Linien darunter bedeuten. Weiß, dass es zu spät ist. Er kann nicht mehr weglaufen.

Auf die Idee, sich mit dem Ast, nach dem er gerade gegriffen hat, zu verteidigen, kommt er gar nicht. Tag für Tag nutzt er solche herumliegenden Baumteile, um Ameisen aufzuscheuchen, lästige Affen zu verjagen oder Früchte von Bäumen zu schlagen. Doch dieses Stück Holz ist anders, es scheint lebendig zu sein. An einem Ende sieht es aus wie jeder andere Ast oder Zweig. Am anderen Ende leuchtet es, pulsiert, gibt Geräusche von sich. Ist im Holz ein Geist erwacht? Kann er ihn berühren? Gerade hatte der Zweibeiner all seinen Mut zusammengenommen, um es herauszufinden.

Als er jetzt angesichts der Gefahr erschrocken herumwirbelt, macht der Ast in seiner Hand die Bewegung einfach nur mit. Dabei lässt der Luftzug fauchend Flammen aus der Glut springen. Der Leopard erstarrt. Der Zweibeiner auch. Aber er lässt den Ast nicht los. Dann werden die Flammen wieder kleiner, ziehen sich in die Glut zurück. Nur sie schützen vor der Bestie, das hat der Zweibeiner rasch begriffen. Er will, dass sie wiederkommen, wedelt aufgeregt mit dem Ast. Tatsächlich, die Flammen zischen wieder hervor. Die Raubkatze geht einen Schritt zurück. Als der Zweibeiner noch heftiger mit dem Ast nach ihr schlägt, dreht sie sich um und flieht.

Der Zweibeiner verfolgt sie nicht, läuft nur ein paar Schritte hinter ihr her. Dann bleibt er wieder regungslos stehen. Er hat die Bestie verjagt! Begreift er, was geschehen ist? Wahrscheinlich nicht. Aber es fühlt sich gut an. Er ist groß. Er ist mächtig. Er ist ein Mensch.

Juri sah erwartungsvoll in die Runde. Die anderen drei ließen seine Worte noch einen Moment nachklingen, dann nickten sie langsam, einer nach dem anderen. Ja, so könnte es gewesen sein. Juri, der kleine, stämmige Russe, dessen Mundwinkel fast immer ein Lächeln zu umspielen schien, hatte eine blühende Fantasie, ein umfassendes Wissen und kombinierte beides zu Geschichten, mit denen er sie immer wieder verblüffte. Und immer ging es ums Feuer.

„Kennt ihr Kubrick?“, fragte er, bevor jemand anders das Wort ergriff. „Space Odyssey?“

Klar. Jeder Astronaut kannte den Film.

„Die Szene mit den Urmenschen würde er heute so drehen. Nicht mehr mit Knochen. Das ist überholt. Es ist nicht das Werkzeug, das den Menschen vom Tier unterscheidet. Es ist das Feuer. Wenn es jemals ein Remake des Films gibt, muss der siegreiche Homo erectus einen glühenden Ast in die Luft schleudern, der sich im Flug in die Rückstoßflamme einer Rakete verwandelt.“

„Ein Remake von Space Odyssey? Du spinnst wohl!“, protestierte Nick. Selbst überrascht über die Heftigkeit seiner Reaktion, hielt der groß gewachsene, glatzköpfige Amerikaner einen Moment inne. Er schnappte mit dem Mund nach einem Tropfen Saft, den er verschüttet hatte und der davonzuschweben drohte. „Aber die Szene mit der Rakete ist stark, das muss ich zugeben.“

„Startet sie oder landet sie?“ Suneetha hatte Juri fasziniert zugehört. Die zierliche Inderin, die sich für diese Mission extra die Haare hatte kurz schneiden lassen, liebte die gemeinsamen Mahlzeiten mit ihren Kollegen, bei denen sie ihren Fantasien oft freien Lauf ließen, verrückte Ideen entwickelten und sich dabei gegenseitig die Bälle zuwarfen, völlig ziellos, ohne zu einem Ergebnis kommen zu müssen. Es waren Momente geistiger Schwerelosigkeit, die sie im streng getakteten Alltag auf der Raumstation als eine besondere Kostbarkeit erlebte.

„Sie startet natürlich!“ Juri antwortete ohne Zögern. „Es geht ja um den Aufbruch der Menschheit. Den Startturm hat sie gerade hinter sich gelassen, aber die Flamme berührt gerade noch den Boden. Es ist die größte Flamme aller Zeiten.“

„Und um sie herum stehen eine Million Menschen“, sagte Nick.

Juri stutzte einen Moment und lächelte. „Das ist auch ein starkes Bild. Wie kommst du darauf?“

„Weil es so war. Eine Million Menschen waren nach Cape Canaveral gekommen, um den Start von Apollo 11 zu sehen. Und die Saturn 5 war damals die größte Rakete der Welt.“

„Aber wenn ihr Fiktion so mit der Realität verknüpft, wird daraus eine ganz andere Geschichte.“ Der Einwand kam von Mark, dem jüngsten Besatzungsmitglied. Der deutsche Materialwissenschaftler war noch mit dem Erdbeereis beschäftigt, das er sich als Nachtisch ausgesucht hatte. Im Vergleich mit Juri und Nick wirkte er fast schmächtig und aufgrund der blonden Haare und einiger Sommersprossen auch verletzlicher. Seine kontrollierten Körperbewegungen verrieten jedoch, dass er ebenso gut durchtrainiert war wie seine Kameraden. „Im Unterschied zu Kubricks Raumfahrern haben die Apollo-Astronauten auf dem Mond schließlich keine Hinterlassenschaften von Außerirdischen gefunden“, erläuterte er seinen Gedanken. „Oder habe ich da etwas verpasst?“

„Nein“, bestätigte Juri. „Bis jetzt haben wir da oben noch nichts Derartiges gefunden. Aber wir haben ja auch noch gar nicht richtig gesucht.“

2

Es war dunkel, als Jaiya erwachte. Die heruntergebrannten Feuer vor den kreisförmig angeordneten Palmenhütten spendeten kaum noch Licht, die dichten Baumkronen verdeckten den Nachthimmel. Doch Jaiya musste nicht zu den Sternen aufblicken, um zu wissen, dass es Zeit zum Aufbruch war.

Sie erhob sich von ihrem Nachtlager, griff den bereit liegenden Beutel und tauchte in den Dschungel ein. Völlig lautlos glitt sie durch die Finsternis. Die Umgebung des Dorfes war ihr so vertraut, dass sie kein Licht brauchte, um sicher ihren Weg zu finden. Bekannte Unebenheiten im Boden verrieten ihr ebenso wie markant geformte Baumstämme, dass sie sich in der richtigen Richtung bewegte. Einmal nahm sie einen schwachen Geruch wahr, der von einer Gruppe Affen stammen musste. Sie hatten aber schon vor einer Weile Jaiyas Weg gekreuzt. Jetzt war alles ruhig. Ohne Probleme erreichte sie den Waldrand.

Von hier aus war der Sternenhimmel gut sichtbar. Sie schaute jedoch nur kurz hinauf. Es war eine mondlose Nacht, die Sterne standen genau wie erwartet, würden aber bald in der kurzen Dämmerung verschwinden, bis die Sonne aus dem Meer stieg und die Herrschaft über den Tag übernahm. Jaiya wusste genau, wann der erste Rand des Strahlenkranzes sich zeigte. Sie würde rechtzeitig am Strand sein.

Aber würde sich die Sonne wie jeden anderen Tag einfach so aus dem Wasser erheben? Als wäre nichts geschehen? Jaiya wollte dabei sein, wenn es geschah.

Inzwischen war es hell genug, sodass sie gefahrlos das steinige Geröllfeld überqueren konnte. Geschmeidig sprang sie von Stein zu Stein. Mit sicherem Blick prüfte sie immer schon zwei Schritte im voraus, welche Felsbrocken ihr ausreichend Halt geben konnten, vermied solche mit scharfen Kanten oder Spitzen. Als ein Stein einmal überraschend doch etwas wackelte und sie abzustürzen drohte, rettete sie sich mit einem raschen Ausfallschritt. Es war wichtig, das Tempo und den Takt der Sprünge beizubehalten. Wenn sie stehenblieb, das wusste sie, würde es schwieriger werden. Es war der Rhythmus ihrer Bewegungen, der ihr Stabilität und Sicherheit gab.

Jaiyas außergewöhnliche Begabung hatte sich schon früh gezeigt, als sie noch ein kleines Mädchen war. Wann immer getanzt wurde, bei Dorffesten, heiligen Zeremonien oder aus einer spontanen Laune heraus, war sie dabei gewesen und hatte sich zu den Klängen der Trommeln bewegt, als wären es Meereswellen, die sie trugen und hin und her warfen. Sie schien in der Musik zu schwimmen, tauchte manchmal in sie ein, um im nächsten Moment mit einem kraftvollen Sprung wie ein Delfin wieder aus ihr aufzutauchen.

Bald war sie selbst zu einer der beliebtesten Trommlerinnen geworden, nicht nur in ihrem Dorf, sondern auch bei den Nachbarn. Mit ihren Händen und ihrer Stimme eröffnete sie den Tänzern Zugang zur Geisterwelt und konnte sie wie auch sich selbst mit immer schnelleren Wirbeln zur Ekstase treiben wie keine andere.

Eine noch viel mächtigere Magie jedoch, das hatte Jaiya schon bald gespürt, lag in der Langsamkeit. Der Atem des Meeres und der Winde, der Tanz von Sonne und Mond, die Wege der Wandersterne – sie alle folgten Rhythmen, die mit keiner Trommel jemals gespielt werden konnten. Jaiya konnte sie dennoch fühlen. Da war eine ungeheure Kraft in diesen Bewegungen. Sie wollte sich damit verbinden, in den lang gedehnten Vibrationen ebenso aufgehen wie in den rasenden Taktschlägen bei den Festen, wenn Tänzer und Trommler zu einem Körper wurden. Doch die Geister der Langsamkeit gaben sich nicht leicht zu erkennen.

Außer ihr schien sich kaum jemand dafür zu interessieren. Dem alten Heiler Yabuu jedoch war schon früh aufgefallen, mit welcher Hingabe Jaiya den Himmel beobachtete.

In einer Dunkelnacht war er damals zu ihr gekommen, als sie auf der Lichtung lag und den sich langsam drehenden Lichtern dort oben zugesehen hatte. Er hatte sich neben sie gelegt. Beide hatten eine Weile still nach oben geschaut.

„Leben dort oben Menschen wie wir?“ hatte Jaiya gefragt.

„Nein“, hatte der alte Mann erwidert. „Sie sind anders als wir. Was wir sehen, sind die Lagerplätze der Toten. Sie haben ihre Körper hier zurückgelassen und neue bekommen. Aber niemand weiß, wie sie aussehen. Es ist noch nie jemand von dort zurückgekehrt.“

„Sie sind so weit weg.“ In Jaiyas Stimme war Enttäuschung mitgeschwungen.

„Ja, weiter als je ein Mensch laufen kann. Selbst alle Schritte von allen Menschen, die sie in ihrem Leben gelaufen sind, würden nicht ausreichen. Kein Lebender kann je das Reich der Toten erreichen. Du musst warten, bis sie dich holen.“

In der Regel gaben sich die Zuhörer des Medizinmannes mit solchen Erklärungen zufrieden und wandten sich rasch wieder näher liegenden Angelegenheiten zu, sammelten Früchte, beobachteten das Meer nach Anzeichen von Fischschwärmen, bereiteten Pfeilgift für die Jagd zu oder spielten einfach.

Jaiya war anders, das hatte der weise Mann längst bemerkt. Stärker als alle anderen fühlte sie sich zur Geisterwelt hingezogen, wollte alles darüber wissen. Und der Medizinmann hatte viel Wissen, das er weitergeben musste. Er hatte überlegt, ob Jaiya eines Tages seinen Platz einnehmen könnte und sich bestätigt gefühlt, als sie fragte: „Warum bleiben die meisten immer am gleichen Ort, während andere herumziehen?“

„Die Wanderer bewegen sich in einer Zwischenwelt“, hatte Yabuu gesagt. „Sie halten den Kontakt zu uns Lebenden und überbringen uns manchmal Botschaften. Aber nicht jeder kann sie verstehen. Deshalb gibt es auch bei uns Ausgewählte, die die Verbindung zum Totenreich halten.“

Trotz ihrer Jugend hatte Jaiya auch damals schon mehrere solcher Zeremonien miterlebt. Die ganze Nacht hatten sich die Dorfbewohner mit Musik, Tanz und Kräutern berauscht, bis der Morgenstern erschien und einen Fächer aus Licht hinter sich her zog. In diesem Moment öffnete sich vorübergehend das Tor zum Jenseits. Die Menschen konnten nicht hindurch treten, wohl aber ihre Gedanken und Gefühle, geleitet durch farbige Flammen, die der Medizinmann mit einem magischen Stab entfachte.

„Es sind also die Zauberleute der Toten“, hatte Jaiya bemerkt.

Der Morgenstern, der oft auch am Abend erschien, aber stets in der Nähe der Sonne blieb, zählte zu den schnellen Himmelslichtern. Er wanderte dennoch immer noch so langsam, dass seine Bewegung nur von einer Nacht zur anderen zu erkennen war. Andere Sterne dagegen rasten geradezu über den Himmel, sie stiegen über den Horizont und waren innerhalb weniger Atemzüge auf der anderen Seite wieder verschwunden.

„Sind das auch Zauberer?“, hatte Jaiya gefragt, als einer dieser schnellen Wanderer über ihnen seiner geraden Bahn folgte. „Warum feiern wir keine Feste mit ihnen?“

Der Magier hatte still gelächelt. Jaiya war wirklich ein ganz besonderes Mädchen. Die schnellen Wandersterne. Die alten Geschichten erzählten von Lichtern am Himmel, die plötzlich auftauchten und nach einer Weile wieder verschwanden, manche mit einem Streifen aus Licht. Aber von diesen Sternen, die schnell, mit gleichmäßigem Tempo über den Himmel zogen, war nirgendwo die Rede.

Sie waren ihm zum ersten Mal aufgefallen, als er selbst noch jung und vom damaligen Dorfweisen in die Geheimlehren eingeführt worden war. Doch die Fragen nach der Bedeutung dieser Sterne hatte sein Lehrmeister nicht beantworten können. Er hatte sie auch zum ersten Mal gesehen. Und im Lauf der Jahre waren es immer mehr geworden. Es mochten vielleicht Zauberer sein. Oder Krieger.

„Sie sind noch nicht lange da“, hatte Yabuu gesagt. „Wir kennen sie kaum. Sie kommen und gehen, wie sie wollen, und bleiben nie lange. Wie sollen wir mit so jemandem Feste feiern?“

Er hatte mit ruhiger Stimme gesprochen. Jaiya war das leichte Zögern jedoch nicht entgangen. Der weise Mann war beunruhigt gewesen. Er, der jede Pflanze und jedes Tier kannte, der mit der Geisterwelt in Verbindung stand und Kranke heilen konnte, hatte es mit einer Erscheinung zu tun, die er nicht verstand. Die Ordnung am Himmel war gestört. Die Toten kamen näher. Aber was sie wollten, war ein Rätsel.

„Wir könnten sie einladen“, hatte Jaiya vorgeschlagen. „Wenn wir ein großes Feuer entfachen, müssten sie es sehen.“

Es war eine seltsame Idee für ein Volk, das auf seiner Insel keine Besucher duldete. Fremde brachten Unruhe, Krankheit und Tod. Niemand durfte das Land betreten. Der wachsame Blick aufs Meer war für Jaiya so selbstverständlich wie Atmen. Am Strand sang sie oft das Lied von Ao, dem mutigen Bogenschützen, der einst mit einem weiten Schuss die Eindringlinge verjagte. Aber dort oben am Himmel, das waren keine Fremden. Es waren Boten ihrer Vorfahren, Gesandte aus dem Sternenreich. Es musste einen Grund geben, warum sich immer mehr von ihnen am Himmel tummelten. Jaiya wollte ihn erfahren. Nur widerstrebend hatte sie sich dem Medizinmann gefügt. Nein, ein großes Feuer kam nicht in Frage.

Doch sie hatte den Himmel weiter beobachtet und bald auch in den Bewegungen der schnellen Wanderer Regelmäßigkeiten erkannt. Es war nicht so, wie vom Magier behauptet. Sie kamen und gingen nicht, wie sie wollten, sondern bewegten sich wie die anderen Himmelswanderer auf geraden Wegen und mit gleichmäßigen Geschwindigkeiten, nur eben viel schneller. Sie waren aber meistens schwer voneinander zu unterscheiden, sodass Jaiya nicht sicher sein konnte, ob ein Stern wiederholt seine Bahn zog oder ein anderer seinen Platz eingenommen hatte.

Einer jedoch stach heraus. Er war heller als alle anderen und ließ sich dadurch gut wiedererkennen. Mit der Zeit hatte Jaiya seine Bewegungen immer besser nachvollziehen und vorhersehen können. Sehen konnte sie ihn nur in der Dämmerung. Wie alle anderen Schnellläufer verbarg er sich in der Finsternis der tiefen Nacht. Jaiya war jedoch sicher gewesen, dass er auch im Dunkeln weiter über den Himmel wanderte.

Als sie jetzt den Strand erreichte, war der Morgenhimmel bereits rot eingefärbt und überstrahlte die meisten Sterne. Das Meer hatte sich zurückgezogen, in dem noch feuchten Sand tummelten sich Möwen und suchten nach angeschwemmten Muscheln und Krabben. Von den Bäumen her erklang der vielstimmige Gesang der Waldbewohner, die jetzt erwachten.

Für Jaiya waren es vertraute Klänge, die sich in gewohnter Weise nach und nach veränderten. Während der Himmel über dem Wasser heller wurde und die Farbe ins Orange wechselte, kamen immer wieder neue Stimmen hinzu. Sie hörte das langsam ansteigende Gurren der Grünflügeltaube, die melodischen Pfiffe des Dajals, auch die ersten Spechte wurden jetzt aktiv.

Als der Blaukopf mit seinem markanten Ruf in das Konzert einstimmte, wandte Jaiya sich um und schaute zum Wald, in die der Sonne entgegengesetzte Richtung. Wenn der kleine grüne Vogel mit den blauen Federn am Kopf seinen erstaunlich lauten Gesang begann, dauerte es nicht mehr lange, bis die Sonne sich zeigen würde.

Täuschte sich Jaiya, oder klang der Blaukopf heute noch fröhlicher als sonst? Spürte er wie sie, dass am Himmel eine besondere Begegnung bevorstand?

In diesem Moment erschien über den Baumwipfeln der helle Schnellläufer. In einer geraden Linie stieg er in die Höhe und wanderte rasch der Stelle entgegen, wo sich gleich die Sonne übers Wasser erheben wollte. Jaiya ließ ihn keinen Moment aus den Augen, sah ein kurzes Aufblitzen, als er direkt über ihr die höchste Stelle am Himmel erreichte. Je näher er dem Horizont kam, desto schlechter war er zu erkennen. Gegen die Strahlen der dahinter lauernden Sonne kam er nicht an, doch Jaiya verfolgte ihn, so lange es ging. Zuletzt ahnte sie ihn nur noch, schätzte seine Position aufgrund der Geschwindigkeit. Als er auf die Wasserlinie traf, hielt sie unwillkürlich den Atem an. Im gleichen Moment zeigte sich der glühende Rand der Sonne.

Jaiya wusste nicht, was sie erwartet hatte. Irgendetwas, irgendein Zeichen. Doch die Sonne schob sich aus dem Wasser wie immer, völlig unbeeindruckt von der Begegnung mit dem schnellen Wanderer. Sie war nicht heller als sonst, auch nicht dunkler und strahlte nicht in anderen Farben. Es schien wie der ganz normale Beginn eines ganz normalen Tages. Dennoch war Jaiya nicht enttäuscht. Das himmlische Treffen hatte stattgefunden, genau wie sie es erwartet hatte. Und der Tag hatte gerade erst begonnen.

3

Es dauerte ein paar Sekunden, bis der Computer die nötigen Programme für die Steuerung des Roboterarms geladen hatte. Währenddessen schob Nick seine Füße in die Schlaufen unterhalb des Terminals. Um den 17 Meter langen Arm sicher steuern zu können, brauchte er festen Halt.

Er griff nach den beiden Kontrollhebeln. Links für Bewegungen vor und zurück, seitwärts, rauf und runter. Rechts für die Ausrichtung im Raum – pitch, roll, yaw, wie die Robotikingenieure sagten. Als ehemaligem Hubschrauberpiloten der US Navy war es Nick nicht schwergefallen, sich auf das Interface von Canadarm2 einzustellen. Der wuchtige Manipulator, mit dem er jetzt die Materialproben des Archivexperiments auf der Außenplattform einsammelte, ließ sich tatsächlich ähnlich steuern wie ein Flugzeug.

Die Dynamik allerdings hatte mehr mit einem Zeppelin zu tun als mit einem Düsenjäger. Ein paar Zentimeter pro Sekunde, schneller konnte Nick den Arm nicht bewegen. Dennoch musste er sich genauso konzentrieren wie im Cockpit eines Kampfjets. Tatsächlich rasten sie hier oben ja auch mit fast acht Kilometern pro Sekunde um die Erde. Am Boden entsprach das mehr als 25-facher Schallgeschwindigkeit, um ein Vielfaches schneller als jedes Flugzeug. Da riskierte man keine Fehlgriffe.

Dabei lief das Einsammeln der auf der Plattform platzierten Materialproben zu einem großen Teil automatisiert ab. Für mehr als zwei Jahre waren sie hier den Weltraumbedingungen ausgesetzt gewesen, montiert auf Standardgerüsten mit Schnittstellen für den Endeffektor des Roboterarms. Nicks Aufgabe bestand hauptsächlich darin, dem System immer wieder zu bestätigen, dass es fortfahren sollte – und dabei nicht mit der Aufmerksamkeit nachzulassen.

Endeffektor – Nick hatte sich nie entscheiden können, ob er diesen Begriff blöd oder genial finden sollte. Aber von „Greifer“ oder gar „Hand“ konnte man bei den Dingern an den beiden Enden des Arms nun wirklich nicht reden. In Astronautensprache hießen sie Lee-1 und Lee-2 – nach ihrer offiziellen Abkürzung LEE für „Latching End Effector“. Sie konnten viel weniger als eine menschliche Hand – und zugleich viel mehr.

Ein Lee fasste und bewegte nicht nur Objekte oder auch Astronauten, sondern konnte ebenso als Basis dienen – also gewissermaßen zum Fuß werden –, wenn er sich mit einer der außen über die Raumstation verteilten Steckdosen verband. Diese Power Data Grapple Fixtures (astronautisch: Peedeegeffies) gaben dem Roboterarm Halt, versorgten ihn mit Energie und ermöglichten Kommunikation und Kontrolle. Auf diese Weise konnte der Arm wie eine Raupe von Steckdose zu Steckdose die Raumstation entlang wandern und dort eingesetzt werden, wo er gerade gebraucht wurde: Lee-2 verband sich mit einer Steckdose, Lee-1 löste sich von seiner, schwang sich hinüber zur nächsten, bis das Ziel erreicht war.

Seit 27 Jahren war dieser unermüdliche Arbeiter jetzt schon an Bord. Im April 2001 war er hier angekommen, mit der zweiten Crew der permanenten menschlichen Besatzung. Ohne diesen Roboter hätte es die Internationale Raumstation nicht gegeben. Er hatte sie aufgebaut.

Und jetzt baust du sie bald wieder ab, dachte Nick, während er abwechselnd aus dem Fenster und auf die Monitore schaute. Dies waren die letzten Proben, die er einsammelte. Neue würden nicht mehr kommen.

Die Aufgabe der kommenden Monate bestand darin, die Raumstation nach und nach in ihre Einzelteile zu zerlegen, um die einzelnen Module dann gezielt zum Absturz zu bringen und möglichst vollständig in der Atmosphäre verglühen zu lassen. Einige größere Teile würden im Ozean versinken. Aber vom Roboterarm und seinen beiden Lees blieb bestimmt nichts übrig.

Es hatte schon eine gewisse Ironie: Die eigene Vergänglichkeit im Blick, beschäftigte sich der Roboter zum Abschluss ausgerechnet mit Experimenten, bei denen es ums genaue Gegenteil ging: um Dauerhaftigkeit, extreme Dauerhaftigkeit über Millionen Jahre. Welches Speicherverfahren war am besten geeignet, Informationen über sehr lange Zeiträume zuverlässig zu bewahren?

Die Untersuchung der Proben, die Nick gerade für den Rücktransport zur Erde vorbereitete, sollte helfen, diese Frage zu beantworten.

Beim Frühstück hatten sie gerade erst über „2001: A Space Odyssey“ gesprochen. Juri hatte natürlich recht, nach einer Hinterlassenschaft von Außerirdischen auf dem Mond, so wie in dem Film, war noch nicht ernsthaft gesucht worden. Die Apollo-Astronauten hatten dafür damals weder die Zeit noch die Ausrüstung gehabt und seitdem war niemand mehr dort gewesen.

In den letzten Jahren jedoch, als die Frage nach den nächsten Zielen der bemannten Raumfahrt sich zu so einer unerwartet breit und leidenschaftlich geführten Debatte entwickelt hatte, hatte die Idee neue Attraktivität gewonnen – in verwandelter Form: Jetzt ging es nicht mehr um die Suche nach einer Botschaft, sondern darum, selbst eine zu hinterlassen.

Auf dem Mond sollte ein Archiv der Menschheit entstehen, das einen möglichen Untergang der irdischen Zivilisation überdauern konnte. Zukünftige Besucher sollten von der Geschichte der Bewohner des dritten Planeten im Sonnensystem erfahren, seien es Wesen von fernen Sternsystemen – oder Nachfahren der Menschen, die in einer fernen Zukunft vielleicht erneut die Raumfahrt entwickeln würden.

Das Archivexperiment war das erste, das aus einer Volksabstimmung hervorgegangen war – betreut von Nick, dem letzten US-Bürger, der die Internationale Raumstation besuchte. Dass er überhaupt hier sein konnte, verdankte er den Europäern.

Denn eigentlich hätte die Station schon längst in der Atmosphäre verglüht und im Ozean versenkt sein sollen. Doch dann war die europäische Sonde ExoMars auf dem roten Nachbarplaneten gelandet und hatte die Marsproteine entdeckt. Es war erstaunlich schnell gegangen. Bereits die ersten Bodenproben, geborgen aus knapp zwei Metern Tiefe, hatten starke Hinweise enthalten. Nachdem weitere Proben untersucht und die Daten kritisch überprüft worden waren, hatte die ESA im Frühjahr 2021 verkündet, dass ihre Sonde auf dem Mars Moleküle identifiziert habe, die offensichtlich biologischen Ursprungs waren.

Es lag nahe, eine Probe davon zur Erde zu bringen, um sie gründlich untersuchen zu können. Doch die Marsproteine, so viel hatten schon die ersten Analysen gezeigt, waren für das hiesige Leben eine potenzielle, völlig unkalkulierbare Bedrohung, ein Transport zur Erdoberfläche nicht zu verantworten.

Die Internationale Raumstation dagegen bot hervorragende Möglichkeiten für genauere Untersuchungen in sicherem Abstand von der irdischen Biosphäre. Nur war deren Stilllegung im Jahr 2024 beschlossene Sache – dem Jahr, in dem eine Probenrückholmission frühestens starten konnte.

Angesichts der Bedeutung der Entdeckung hatten sich die übrigen Partner der Raumstation dem Wunsch der Europäer nach einer Verlängerung des Betriebs um weitere vier Jahre nicht verschließen können. Auch die Amerikaner hatten zugestimmt, obwohl sie mit der „Bonusrunde“ im All zunächst nicht viel anzufangen wussten. Die einstige Führungsmacht war innerlich zerrissen, hatte mit ihrem weltpolitischen Bedeutungsverlust zu kämpfen und suchte nach neuen Orientierungen. Große, langfristig angelegte Projekte hatten es da besonders schwer.

Auch die Raumfahrt litt seit Jahren unter unsicheren Budgetplanungen, die immer wieder revidiert wurden und schließlich zu technischen Rückschlägen führten. Vor allem die Explosion der neu entwickelten Trägerrakete hatte die Pläne für bemannte Missionen auf unbestimmte Zeit zurückgeworfen.

In diesem Klima der Verunsicherung war die Idee, das Forschungsprogramm auf der Internationalen Raumstation zum Thema einer groß angelegten Volksabstimmung zu machen, auf fruchtbaren Boden gefallen. Die Diskussionen darüber, wie die vier zusätzlichen Jahre in dem orbitalen Forschungskomplex genutzt werden sollten, hatten gleich nach der eher widerwillig getroffenen Entscheidung der NASA für eine weitere Verlängerung eingesetzt.