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Die Liebe lehren und lernen. Das ist der eigentliche Auftrag dessen, der von Gott redet. In diesem Sinne sprechen die hier vereinten geistlichen Predigten Benedikts XVI. von der Größe und Schönheit des priesterlichen Dienstes. Ein authentisches Zeugnis für ein tief im Geheimnis Christi verwurzeltes priesterliches Wirken. Die Liebe lehren und lernen. Das ist der eigentliche Auftrag dessen, der von Gott redet. In diesem Sinne sprechen die hier vereinten geistlichen Predigten Benedikts XVI. von der Größe und Schönheit des priesterlichen Dienstes. Ein authentisches Zeugnis für ein tief im Geheimnis Christi verwurzeltes priesterliches Wirken. "Liebe Mitbrüder! Ich erlaube mir zu sagen, dass wenn einer von euch jemals Zweifel daran gehabt haben sollte, was der Schwerpunkt seines Amtes ist, sein Sinn, sein Nutzen; wenn er jemals Zweifel daran gehabt haben sollte, was die Menschen wirklich von uns erwarten, dann möge er über die hier vorgelegten Seiten nachdenken." (Aus dem Vorwort von Papst Franziskus) "In diesem Blick der beiden großen Päpste auf das Priestertum können wir den Blick Jesu auf seine Apostel erkennen. Seinen Blick auf jene, die er heute wie zu jeder Zeit aussendet, um seine Herde zu weiden." (Aus der Einführung von Gerhard Kardinal Müller)
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Seitenzahl: 485
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Benedikt XVI. Joseph Ratzinger
Die Liebe Gottes lehren und lernen
Priestersein heute
Mit einem Vorwort von Papst Franziskus und einer Einführung von Gerhard Kardinal Müller
Herausgegeben von Pierluca Azzaro und Carlos Granados
© Libreria Editrice Vaticana
Ausgabe: © Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2016
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Verlag Herder
Umschlagmotiv: Katja Sucker, Fotolia
E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN (E-Book): 978-3-451-84880-3
ISBN (Buch): 978-3-451-37880-5
Inhalt
Vorwort von Papst Franziskus
Einführung von Gerhard Kardinal Müller, Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre
PREDIGTEN
Die heiligen Öle – Zeichen der Heilkraft Gottes und der Einheit des Bistums Zur Missa Chrismatis 1978
Im Atemraum seines Geistes »geistlich Geistliche« (Johann Michael Sailer) werden Zur Missa Chrismatis 1979
Eucharistie und Pfingsten als Ursprung der Kirche Zur Missa Chrismatis 1981
Indem wir uns hingeben, finden wir auch uns selbst Zur Verabschiedung von den Priestern und Diakonen 1982
Für ein Christentum, das trägt Zum Hauptfest der Priesterbruderschaft St. Salvator Straubing 1998
Zur Priesterweihe
Handeln »in persona Christi« – vom dreifachen Amt des Priesters Freising 1977
Gebärden der Priesterweihe – Handauflegung und Salbung der Hände Zur Weihe von fünf Priestern aus dem Jesuitenorden in München, 1977
Mit Christus Opfergabe werden zum Heil der Menschen Freising 1978
Die Antwort des Lebens geben: Das Beispiel des seligen Maximilian Kolbe Freising 1979
Petrus – Urbild priesterlicher Sendung Freising 1981
Der Mönchspriester – Beter für das Volk Mariawald 1991
Eingehen in das Geheimnis des Weizenkorns Rom, St. Paul vor den Mauern, 1993
»Einen Leib hast du mir bereitet« Porto Santa Rufina, La Storta (Rom), 2000
Zur Diakonenweihe
Den Diakon Jesus Christus in der Zeit der Kirche vergegenwärtigen! München, September 1977
Das Evangelium lebendig weitersagen München, Februar 1978
Der Diakon – Lehrmeister des Dankens München, Dezember 1978
Aus dem »Ja« Christi leben München, Februar 1979
Getreulich in der Erwartung stehen München, Dezember 1979
Gerufen zum hochzeitlichen Dienst München, Januar 1980
Freude in Christus München, Dezember 1980
Euer Ort in der Liturgie ist das Evangelium! München, Dezember 1981
In den Dienst des Lebens mit Ihm treten München, Februar 1982
Zur Primiz
Menschenfischer Für Franz Niegel, Berchtesgaden 1954
Der Priester – ein segnender Mensch Für Franz Niedermayer, Kirchanschöring 1955
Betrachtung am Primiztag Im Rheinland, 1962
Damit das Wort Gottes bleibt Von der Last und der Freude des Propheten Für Karl Besler, Traunstein 1973
Jubiläumspredigten
Wegweiser aus der Weisung Jesu Christi 40-jähriges Bischofsjubiläum von Bischof Paul Rusch, Innsbruck 1978
»Friede« als einer der Namen der Eucharistie 70. Geburtstag von Weihbischof Ernst Tewes, München 1978
Unterwegs zur Tiefe des Geheimnisses Christi 40-jähriges Priesterjubiläum des Weihekurses 1939, Freising 1979
Da-sein für die Barmherzigkeit Gottes 30-jähriges Priesterjubiläum des Weihekurses 1951, Freising 1981
Den Menschen nahe sein 25-jähriges Priesterjubiläum des Weihekurses 1957, Freising 1982
Das große Wagnis priesterlichen Dienens 60-jähriges Priesterjubiläum von G. R. Vinzenz Irger, München 1983
Das Eine Notwendige tun – und reich werden vor Gott 60-jähriges Priesterjubiläum von Bischof Rudolf Graber, Plankstetten 1986
Zeuge der ohnmächtigen Macht Christi sein Goldenes Priesterjubiläum von Prälat Konrad Miller, München 1987
Ein Wortführer der Versöhnung 80. Geburtstag von Kardinal Franz Hengsbach, Essen 1990
Umkehr zum Licht 40-jähriges Priesterjubiläum des Weihekurses 1951, München 1991
Die innere Mitte des priesterlichen Lebens 25-jähriges Priesterjubiläum von P. Martin Bialas, Schwarzenfeld 1993
Die Menschen für den Empfang Jesu bereiten 80. Geburtstag und Goldenes Priesterjubiläum von P. Ignatius Glasmacher, Maria Eck 1994
Die Liebe Gottes lehren und lernen 40-jähriges Priesterjubiläum von Msgr. Pfarrer Franz Niegel, Unterwössen 1994
… in den Dienst genommen, damit die Sendung Jesu wirksam bleibt 25-jähriges Bischofsjubiläum von Dr. Hubert Luthe, Essen 1994
Vom Dienst des Bischofs 30-jähriges Bischofsjubiläum von Friedrich Kardinal Wetter, München 1998
Die Kirche lebt vom Bleiben bei Christus, vom Stehen zu Ihm Silbernes Bischofsjubiläum von Kardinal Meisner, Weihbischof Dick und Weihbischof Plöger, Köln 2000
Christus zu den Menschen, die Menschen zu Christus bringen Goldenes Priesterjubiläum von Msgr. Georg Schuster, G. R. Alfons Karpf, G. R. Ludwig Radlmaier, StD Georg
ANHANG
Schreiben von Papst Benedikt XVI. zum Beginn des Priesterjahres anlässlich des 150. Jahrestages des »Dies natalis« von Johannes Maria Vianney
Anmerkungen
Quellennachweise
Jedes Mal, wenn ich die Werke von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. lese, wird mir klar, dass er Theologie »auf Knien« betrieben hat und dies noch tut: Auf Knien, weil man sieht, dass er nicht nur ein herausragender Theologe und Lehrmeister des Glaubens ist, sondern ein Mann, der wirklich glaubt, wirklich betet. Man sieht, dass er ein Mann ist, der die Heiligkeit verkörpert, ein Mann des Friedens, ein Mann Gottes. Und so verkörpert er auf beispielhafte Weise das Wesen des gesamten priesterlichen Wirkens: jenes tiefe Verwurzeltsein in Gott, ohne das das ganze Organisationstalent, die ganze vermeintliche intellektuelle Überlegenheit, das ganze Geld und die Macht nutzlos sind. Er verkörpert jene ständige Beziehung zum Herrn Jesus, ohne die nichts mehr wahr ist, alles zur Routine wird, die Priester fast schon zu Gehaltsempfängern, die Bischöfe zu Bürokraten werden und die Kirche nicht Kirche Christi ist, sondern etwas, das wir geschaffen haben, eine NGO, die letztendlich überflüssig ist.
Der Priester ist derjenige, der »die Gegenwart Christi verkörpert, indem er dessen heilbringende Sanftmut bezeugt«, stellt Benedikt XVI. in seinem Schreiben zum Beginn des Priesterjahres fest. Beim Lesen des hier vorliegenden Buches wird deutlich, wie sehr er selbst in den 65 Jahren seines priesterlichen Dienstes, die sich heute jähren, auf vorbildliche Weise dieses priesterliche Wirken gelebt hat und weiter lebt, bezeugt hat und weiter bezeugt.
Wie von Kardinal Gerhard Ludwig Müller auf so maßgebliche Weise bekräftigt wurde, weist das theologische Werk Joseph Ratzingers – und dann später Benedikts XVI. – ihm einen Platz unter so großen Theologen auf dem Petrusstuhl zu wie Leo dem Großen, heiliger Papst und Kirchenlehrer.
Mit seinem Verzicht auf die aktive Ausübung des Petrusdienstes hat Benedikt XVI. beschlossen, sich nun ganz in den Dienst des Gebets zu stellen: »Der Herr ruft mich, den ›Berg hinaufzusteigen‹, mich noch mehr dem Gebet und der Betrachtung zu widmen. Doch dies bedeutet nicht, dass ich die Kirche im Stich lasse, im Gegenteil. Wenn Gott dies von mir fordert, so gerade deshalb, damit ich fortfahren kann, ihr zu dienen, mit derselben Hingabe und mit derselben Liebe, wie ich es bislang versucht habe«, sagte er in seinem letzten, bewegenden Angelusgebet. Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich der rechten Betrachtung des Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre noch hinzufügen, dass er uns vielleicht gerade heute, als Papst emeritus, auf besonders deutliche Weise eine seiner größten Lektionen der »Theologie auf Knien« erteilt.
Denn vielleicht kann Benedikt XVI. gerade vom Kloster Mater Ecclesiae aus, in das er sich zurückgezogen hat, weiter und auf noch leuchtendere Weise den »entscheidenden Faktor«, jene innere Mitte des priesterlichen Dienstes bezeugen, die die Diakone, die Priester und die Bischöfe nie vergessen dürfen: dass nämlich der erste und wichtigste Dienst nicht die Leitung der »laufenden Angelegenheiten« ist, sondern das Gebet für die anderen, ohne Unterlass, mit Leib und Seele. So wie es der emeritierte Papst heute tut: kontinuierlich in Gott versunken, das Herz stets auf ihn gerichtet, wie ein Liebender, der in jedem Augenblick an den geliebten Menschen denkt; egal, was er tut. So zeigt uns Seine Heiligkeit Benedikt XVI. mit seinem Zeugnis, was wahres Beten ist: nicht die Beschäftigung mancher Personen, die als besonders fromm und vielleicht wenig dafür geeignet gelten, praktische Probleme zu lösen; dieses »Tun«, das die »Aktiveren« als das entscheidende Element unseres priesterlichen Dienstes ansehen und das Gebet so auf eine »Freizeitbeschäftigung« beschränken. Und Beten ist auch nicht nur eine gute Praxis, mit der man sein Gewissen beruhigt, oder ein frommes Mittel dafür, von Gott das zu erwirken, was uns in einem bestimmten Moment notwendig erscheint. Nein. Das Gebet ist – wie uns Benedikt XVI. in diesem Buch sagt und bezeugt – ein entscheidender Faktor: es ist die Fürbitte, derer die Kirche und die Welt – besonders in diesem Moment der wahren Zeitenwende – heute mehr denn je bedürfen, die sie brauchen wie das Brot, ja mehr als das Brot. Denn Beten bedeutet, dass man die Kirche Gott anvertraut, in dem Bewusstsein, dass die Kirche nicht uns gehört, sondern Ihm, und dass er sie gerade aus diesem Grund niemals im Stich lassen wird; weil Beten bedeutet, dass man die Welt und die Menschheit Gott anvertraut. Das Gebet ist der Schlüssel, der das Herz Gottes aufschließt; der einzige, dem es gelingt, Gott immer wieder aufs Neue in diese unsere Welt hineinzuführen; und auch der einzige, dem es gelingt, die Menschen und die Welt immer wieder aufs Neue Gott zuzuführen, wie den verlorenen Sohn dem Vater, der ihn so sehr liebt, dass er nur darauf wartet, ihn wieder in die Arme schließen zu können. Benedikt weiß, dass das Gebet die erste Aufgabe des Bischofs ist (Apg 6,4).
So geht wahres Beten also mit dem Bewusstsein einher, dass die Welt ohne das Gebet nicht nur die Orientierung verliert, sondern auch die wahre Quelle des Lebens: »Ohne die Bindung an Gott werden wir wie Satelliten, die ihre Laufbahn verloren haben und die dann sinnlos ins Leere stürzen und nicht nur sich selbst zerstören, sondern auch Andere bedrohen«, schreibt Joseph Ratzinger an einer Stelle dieses Buches und bietet uns damit eines seiner vielen herrlichen Bilder an.
Liebe Mitbrüder! Ich erlaube mir zu sagen, dass wenn einer von euch jemals Zweifel daran gehabt haben sollte, was der Schwerpunkt seines Amtes ist, sein Sinn, sein Nutzen; wenn er jemals Zweifel daran gehabt haben sollte, was die Menschen wirklich von uns erwarten, dann möge er über die hier vorgelegten Seiten nachdenken. Das, was die Menschen von uns erwarten, ist nämlich vor allem das, was in diesem Buch beschrieben und bezeugt wird: dass wir ihnen Jesus Christus bringen und sie zu ihm führen, zum frischen und lebendigen Wasser, nach dem es sie mehr dürstet als nach allem anderen, das nur Er zu schenken vermag und das durch nichts je ersetzt werden kann; dass wir sie zur wahren und vollkommenen Glückseligkeit führen, wenn sie nichts mehr zu befriedigen vermag; dass wir sie der Erfüllung ihres geheimsten Traums zuführen, den wahr werden zu lassen ihnen keine Macht der Welt versprechen kann!
Es ist kein Zufall, dass die Initiative dieses Buches von einem Laien ausgegangen ist, Professor Pierluca Azzaro, und von einem Priester, Pater Carlos Granados. Ihnen gelten mein herzlicher Dank, meine besten Wünsche und meine Unterstützung dieses wichtigen Projekts – wie auch Don Giuseppe Costa, Direktor der Vatikanischen Verlagsbuchhandlung, die die Opera Omnia Joseph Ratzingers herausgibt. Kein Zufall, wie bereits gesagt, weil sich das Buch, das ich heute vorstelle, in gleicher Weise an die Priester und an die Laiengläubigen richtet, wie unter anderem folgende Seite des Buches zeigt, die ich Ordensleuten und Laien als letzte, ergreifende Aufforderung zur Lektüre anbieten möchte: »Zufällig habe ich dieser Tage den Bericht gelesen, in dem der große französische Schriftsteller Julien Green die Wege seiner Bekehrungen schildert. Er erzählt, wie er in der Zwischenkriegszeit so lebte, wie ein Mensch von heute eben lebt, mit all den Erlaubnissen, die er sich gibt, nicht besser und nicht schlechter, gekettet an Vergnügungen, die gegen Gott stehen, so dass er sie einerseits braucht, um sich das Leben erträglich zu machen, und gleichzeitig doch eben gerade dieses Leben unerträglich findet. Er sucht, wo er Auswege finden könnte, knüpft diese und jene Beziehungen an. Er geht zu dem großen Theologen Henri Bremond, aber es bleibt ein akademisches Gespräch, theoretische Tüftelei, die ihm nicht vorwärts hilft. Er findet Beziehung zu den beiden großen Philosophen, dem Ehepaar Jacques und Raïssa Maritain. Raïssa Maritain verweist ihn auf einen polnischen Dominikaner. Er geht zu ihm, schildert ihm wieder dieses zerrissene Leben. Der Priester sagt zu ihm: Und, sind Sie einverstanden damit, dass Sie so leben? Nein, natürlich nicht! Sie möchten also anders leben, Sie bereuen es? Ja! Und dann geschieht etwas Unerwartetes: Der Priester sagt zu ihm: Knien Sie nieder! Ego te absolvo a peccatis tuis – Ich spreche Dich los. Julien Green schreibt: Da merkte ich, dass ich im Grunde immer auf diesen Augenblick gewartet hatte, immer darauf gewartet hatte, dass da irgendwann einer sei, der zu mir sagt: Knie dich nieder, ich spreche dich los. Ich ging nach Hause, ich war nicht ein anderer, nein, ich war endlich wieder ich selbst geworden.«
Jenseits der Krise – der Erneuerung entgegen
von Gerhard Kardinal Müller
Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre
Wenn wir vom Priestertum sprechen, wandern unsere Gedanken spontan zu den vielen priesterlichen Vorbildern, denen wir auf unserem Berufungsweg begegnet sind und die unsere Glaubensgeschichte geprägt haben. Ihr Zeugnis ist ein leuchtendes Vorbild, das diese besondere Berufung, die wir ohne unsere eigenen Verdienste vernommen haben und der wir trotz unserer schwachen Kräfte jeden Tag gerecht zu werden suchen, vor unseren Augen Gestalt annehmen lässt.
Das Licht, das in diesen Vorbildern aufstrahlt, kommt vom Leben und von der Person Jesu Christi. Auf ihn verweisen uns die Priester, die seine Zeugen sind. Wir können nämlich nicht an das Priestertum des Neuen Bundes denken, ohne auf den Herrn Jesus – auf den, der es uns in seiner Eigenschaft als »treuer und barmherziger Hoherpriester« (Hebr 2, 17) geschenkt hat – und auf die Tage Bezug zu nehmen, in denen dieses Geschenk seinem Herzen entsprungen ist.
Nach den dunklen Tagen der Passion, am Abend des Ostertages, als sich die Jünger voller Angst in dem Haus, in dem sie sich befanden, verbarrikadiert hatten, erscheint der auferstandene Herr und weilt in ihrer Mitte. Er gibt sich zu erkennen, indem er ihnen die Hände und die Seite mit seinen verklärten Wunden zeigt. In den Jüngern keimt wieder Hoffnung auf, die Verzweiflung wird zur Freude. Sie waren wie betäubt, dem Ende nahe. Nun wachen sie wieder auf und leben. Der Blick und die Worte Jesu vor seiner Himmelfahrt und Rückkehr zum Vater richten sie auf und senden sie in die ganze Welt hinaus, um allen Völkern zu verkünden, was er sie gelehrt hat, und um im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes zu taufen (vgl. Mt 28, 19).
Das ist auch der Moment, in dem der gekreuzigte und auferstandene Herr den Elf die eigentliche Grundlage des katholischen Priestertums offenbart und seinen tiefsten Sinn zum Ausdruck bringt: »Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch«. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: »Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert« (Joh 20, 21–23).
Mit diesen Worten, die durch seinen treuen und barmherzigen Blick erhellt werden, richtet der auferstandene Herr die Herzen der Jünger wieder auf. In ihnen führt er zur Vollendung, was im Osterereignis geschehen ist: der Übergang von der Dunkelheit zum Licht, vom Tod zum Leben, von der Angst zur Hoffnung, vom Ende zu einem neuen Anfang.
Die Begegnung mit dem Blick und den Worten des auferstandenen Jesus lässt in den Jüngern jenen Übergang zum Neuen Bund geschehen, der bei ihrer ersten Begegnung mit ihm begonnen hat. Alles vollzieht nun einen Qualitätssprung, und es wird der Grundstein dafür gelegt, jede Krise zu überwinden. So wird auch ihre Glaubenskrise in Bezug auf seine Sendung als Messias überwunden – jene Krise, in der ihn in den dramatischen Stunden seiner Auslieferung an die Sünder alle verlassen hatten. Überwunden wird auch die Krise ihres Apostolats, in der sie zerstreut wurden und auseinanderliefen wie eine Herde, die keinen Hirten hat.
Verlassenheit und Zerstreuung sind überwunden. Die um die Gegenwart des Auferstandenen versammelten Jünger sind erneut vereint. So fügt sich ihr Glaube wieder zusammen, und ihre Sendung erhält aus der neuen Wurzel des Pascha einen erneuerten Auftrieb.
Neues Leben aus dem Ostergeheimnis wird jenen geschenkt, die Jesus im Laufe seines öffentlichen Lebens zu Aposteln auserwählt und berufen hat, indem er sie an der ihm vom Vater anvertrauten Sendung und Vollmacht Anteil haben ließ, das Reich Gottes aufzubauen: Jesus »stieg auf einen Berg und rief die zu sich, die er erwählt hatte, und sie kamen zu ihm. Und er setzte zwölf ein, die er bei sich haben und die er dann aussenden wollte, damit sie predigten und mit seiner Vollmacht Dämonen austrieben« (Mk 3, 13–15).
Diese Sendung, die die Feinde Jesu am Pfahl des schmachvollen Kreuzes zum »Scheitern« gebracht hatten, wird von der Tragödie zum Heil, entgegen jeder menschlichen Erwartung oder Vorhersage. Es ist das Osterwunder, das Wunder eines neuen Lebens, das auf unvorhersehbare Weise in die Geschichte einbricht, durch und über die scheinbare Niederlage hinaus. Der Skandal des Kreuzes lässt auf seinem Holz Auferstehung blühen.
Alle Worte des Auftrags, den Jesus den Jüngern erteilt hat, sind in seiner Osterverkündigung zusammengefasst und zeigen ihre ganze Wirksamkeit im nachösterlichen Wirken jener, die endgültig zu Aposteln geworden sind. Zu ihren Aufgaben gehört auch die Sorge um die Weitergabe ihrer Sendung und Vollmachten.
Auf diese Weise erscheint offensichtlich, dass sich bereits in apostolischer Zeit und im Übergang zur nachapostolischen Kirche das Amt des Hirten und Leiters abgezeichnet hat, das von der ganzen Kirche in den drei Graden des Bischofs, des Priesters und des Diakons als verbindlich betrachtet wird, in Vollendung der göttlichen Einsetzung des sacramentum ordinis.
Alle Jünger haben Anteil an der universalen Heilssendung des Fleisch gewordenen Ewigen Wortes des Vaters, des Sohnes Gottes. Die Apostel und ihre Nachfolger (im Bischofs-, Priester- und Diakonenamt) erhalten den Auftrag, die Kirche bis zum Kommen Christi, bis zum Ende der Zeiten leitend und dienend aufzubauen.
Dank der Kraft des Heiligen Geistes geben Wort und Wirken der geweihten Amtsträger sakramental – als wirksames Zeichen – das Wort und das Wirken Gottes weiter. Sie sprechen und wirken mit der Vollmacht Christi, und Christus spricht und wirkt durch sie. So kann Jesus wirklich sagen: »Wer euch hört, der hört mich, und wer euch ablehnt, der lehnt mich ab; wer aber mich ablehnt, der lehnt den ab, der mich gesandt hat« (Lk 10, 16; vgl. 1 Thess 2, 13).
In derselben Weise kann auch Paulus, wenn er von den Aposteln als »Mitarbeiter Gottes« (2 Kor 6, 1) und »Diener Christi und Verwalter von Geheimnissen Gottes« (1 Kor 4, 1) spricht, das Apostolat als ministerium reconciliationis interpretieren: »Wir sind also Gesandte an Christi statt, und Gott ist es, der durch uns mahnt. Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen!« (2 Kor 5, 20)
So vollzieht sich vor unseren Augen die unter dem Gesichtspunkt der Offenbarungstheologie deutliche Grundlegung des sakramentalen Priestertums bzw., wie es in Lumen gentium, Nr. 10 heißt, jenes hierarchischen Priestertums, das sich – von seiner Natur her – vom gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen dem Wesen nach unterscheidet.
Dieser wesenhafte Unterschied wird folgendermaßen beschrieben: Der Bischof und der Priester haben Anteil an der Gewalt, kraft derer Christus selbst seinen Leib erbaut, heiligt und leitet. »Darum – heißt es im Dekret Presbyterorum ordinis – setzt das Priestertum der Amtspriester zwar die christlichen Grundsakramente voraus, wird aber durch ein eigenes Sakrament übertragen. Dieses zeichnet die Priester durch die Salbung des Heiligen Geistes mit einem besonderen Prägemal und macht sie auf diese Weise dem Priester Christus gleichförmig, so dass sie in der Person des Hauptes Christus handeln können« (Nr. 2).
In seinem ersten Brief an die Priester der Kirche – mit denen er das Hirtenamt ausübt – wendet sich der Apostel Petrus gegen eine Fehlinterpretation der Aussagen über den priesterlichen Charakter der ganzen Kirche und aller Gläubigen (1 Petr 2, 5.9), die dem apostolisch-sakramentalen Amt widerspricht, und mahnt: »Sorgt als Hirten für die euch anvertraute Herde Gottes, nicht aus Zwang, sondern freiwillig, wie Gott es will; auch nicht aus Gewinnsucht, sondern aus Neigung … seid Vorbilder für die Herde« nach dem Beispiel Christi, des »obersten Hirten« (1 Petr 5, 2–4) und des »Hirten und Bischofs eurer Seelen« (vgl. 1 Petr 2, 25). Hier scheinen deutlich die christologische Grundlage und die apostolische Einordnung des bischöflichen und priesterlichen Amtes auf.
Dieser in der Tradition verwurzelten Lehre folgend, hat uns das Zweite Vatikanische Konzil erneut gelehrt, die Kirche als auf göttlicher Gründung beruhend zu betrachten. Durch die Vermittlung Christi und des Heiligen Geistes ist die Kirche lebendige Gemeinschaft mit Gott und mit unseren Nächsten in der Wahrheit, im Leben und in der Liebe. Als Volk Gottes, Leib Christi, Weinberg des Herrn und Herde des Guten Hirten ist die Kirche, Tempel des Heiligen Geistes, keine von Menschen geschaffene Organisation, die religiöse oder soziale Zwecke verfolgt; sie ist nicht eine wohltätige NGO, wie Papst Franziskus in seiner ersten Predigt am 14. März 2013 sagte. Und bei der Generalaudienz vom 23. Oktober 2013 bekräftigte er: »Die Kirche ist gesandt, allen Menschen Christus und sein Evangelium zu bringen.«
Nur im auferstandenen Jesus Christus ist sie wirklich Kirche, »allumfassendes Heilssakrament« (Lumen gentium, Nr. 48). Dem Geheimnis der Einheit der göttlichen und menschlichen Natur in der Person des Sohnes Gottes entsprechend, besteht sie aus göttlichen und menschlichen Elementen und hat so die Einheit der Menschen mit Gott und untereinander zum Ziel.
In diesem Sinn kann das Zweite Vatikanische Konzil mit Recht sagen: »Um Gottes Volk zu weiden und immerfort zu mehren, hat Christus der Herr in seiner Kirche verschiedene Dienstämter eingesetzt, die auf das Wohl des ganzen Leibes ausgerichtet sind. Denn die Amtsträger, die mit heiliger Vollmacht ausgestattet sind, stehen im Dienste ihrer Brüder, damit alle, die zum Volke Gottes gehören und sich daher der wahren Würde eines Christen erfreuen, in freier und geordneter Weise sich auf das nämliche Ziel hin ausstrecken und so zum Heile gelangen« (Lumen gentium, Nr. 18).
Diese Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils verweisen uns auf das Wesen des Priestertums, eines Priestertums, dessen Identität auf den Wunsch Jesu selbst zurückgeht, auf sein Wort und sein österliches Wirken. Mit seinen Worten und seinem treuen und barmherzigen Blick führt Jesus die Apostel in dieses Priestertum ein: mit diesem Priestertum identifiziert er sie, diesem Priestertum vertraut er sie an. Dieses Priestertum überliefert uns die Tradition der Kirche: vom Neuen Testament über das Konzil von Trient und bis hin zum Zweiten Vatikanischen Konzil.
Durch die Auferstehung hat Christus die größte Krise des Glaubens überwunden, die es je gegeben hat: die vor-österliche Krise der Jünger und im Besonderen die Krise der Sendung und der apostolischen Vollmacht, und folglich auch die Krise des Priestertums. So ist es möglich, auch alle historischen Krisen des Priestertums zu überwinden, gerade und allein durch unseren auf den Herrn gerichteten Blick; auf jenen Herrn, dem alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist, und der bei uns ist alle Tage bis ans Ende der Welt.
Indem wir seinen auf uns und unserem Priestertum ruhenden Blick erwidern, unseren Blick auf ihn richten, unsere Augen in die des Hohenpriesters – des Gekreuzigten und Auferstandenen – versenken, können wir jedes Hindernis, jede Schwierigkeit überwinden.
Ich denke besonders an die Krise der Lehre vom Priestertum während der Reformation – eine Krise auf dogmatischer Ebene, die den Priester durch die Eliminierung des wesenhaften Unterschieds zwischen dem Weihepriestertum und dem gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen zu einem einfachen Repräsentanten der Gemeinschaft degradierte. Und ich denke auch an die existentielle und spirituelle Krise, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil – gewiss aber nicht wegen des Konzils – ausbrach und unter deren Folgen wir noch heute zu leiden haben.
Das Konzil hat nämlich das hierarchische Gefüge der Kirche – das sich in den verschiedenen Aufgaben des Bischofs, des Priesters und des Diakons entfaltet – im Rahmen einer weitreichenden Ekklesiologie abgesteckt, die von den biblischen und patristischen Quellen ausgehend erneuert wird (vgl. Lumen gentium, Nr. 18– 29). Die Aussagen über die beiden Weihegrade des Episkopates und Presbyterates (aus einem Amt, das sich insgesamt in drei Weihegrade gliedert) wurden in den Dekreten Christus Dominus und Presbyterorum ordinis weiter vertieft.
Auf diese Weise versuchte das Konzil, einen neuen Weg zu einem authentischen Verständnis der Identität des Priestertums zu erschließen. Wie kam es also, dass das Priestertum unmittelbar nach dem Konzil eine Identitätskrise durchlebte, die in der Geschichte nur mit den Folgen der Reformation im 16. Jahrhundert vergleichbar ist?
Joseph Ratzinger stellt mit großem Scharfsinn heraus, dass dort, wo die dogmatische Grundlage des katholischen Priestertums fehlt, nicht nur die Quelle erschöpft wird, aus der ein Leben in der Nachfolge Christi gespeist werden kann, sondern auch die Motivation wegfällt, die zu einem vernunftbegründeten Verständnis des Verzichts auf die Ehe um des Himmelreiches willen (vgl. Mt 19, 12) und des Zölibats als eschatologischem Zeichen der kommenden Welt Gottes, das in Freude und Gewissheit mit der Kraft des Heiligen Geistes zu leben ist, führt.
Wenn die symbolische Beziehung, die zur Natur des Sakraments gehört, verdunkelt wird, wird der Priesterzölibat zum Relikt einer die Leiblichkeit ablehnenden Vergangenheit und als einzige Ursache des Priestermangels angeprangert und bekämpft. Damit verschwindet dann auch der für das Lehramt und die Praxis der Kirche offenkundige Umstand, dass das Weihesakrament nur Männern gespendet werden kann. Ein Amt, das zweckdienlich verstanden wird, setzt sich so in der Kirche dem Verdacht aus, einen Herrschaftsanspruch zu legitimieren, der doch stattdessen im demokratischen Sinne begründet und beschränkt sein müsste.
Die Krise, die das Priestertum in den letzten Jahrzehnten in der westlichen Welt erfahren hat, ist auch das Ergebnis einer radikalen Verunsicherung der christlichen Identität einer Philosophie gegenüber, die den tiefsten Sinn und den letzten Zweck der Geschichte und jedes menschlichen Daseins im Innern der Welt ansiedelt und ihn so des transzendenten Horizonts und der eschatologischen Perspektive beraubt.
Alles von Gott zu erwarten und unser ganzes Leben auf Gott zu gründen, der uns in Christus alles geschenkt hat: Nur das kann die Logik eines Lebensweges sein, der sich in vollkommener Selbsthingabe in die Nachfolge Christi stellt und an seiner Sendung als Retter der Welt teilhat – einer Sendung, die der Herr im Leiden und im Kreuz erfüllt und die er durch seine Auferstehung von den Toten unmissverständlich offenbart hat.
Als Gründe für diese Krise des Priestertums müssen aber auch interkonfessionelle Faktoren genannt werden. Wie bereits aus seinen ersten Beiträgen hervorgeht, zeigte Joseph Ratzinger von Anfang an eine große Sensibilität für jene Erschütterungen, die ein echtes Erdbeben ankündigten, nämlich die naive Aufgeschlossenheit vieler katholischer Kreise für die protestantische Exegese, die in den 1950er und 1960er Jahren in Mode kam.
Auf katholischer Seite war man sich der vorgefassten Sichtweisen, die der aus der Reformation hervorgegangenen Exegese zugrunde lagen, oft nicht bewusst. So kam es, dass die katholische (und orthodoxe) Kirche mit Kritik am Amtspriestertum überhäuft wurde, welches – wie man meinte – jeder biblischen Grundlage entbehrte.
Das – wie beim Konzil von Trient bekräftigt – ganz auf das eucharistische Opfer bezogene sakramentale Priestertum schien auf den ersten Blick nicht biblisch begründet zu sein, und zwar sowohl was die Terminologie als auch was die besonderen Vollmachten der Priester im Vergleich zu den Laien angeht, besonders die Vollmacht zu konsekrieren. Die radikale Kritik am Kult – und die damit angestrebte Überwindung eines auf die kultische Mittlerfunktion reduzierten Priestertums – schien die priesterliche Vermittlung in der Kirche an Boden verlieren zu lassen.
Die Reformation lehnte das sakramentale Priestertum ab, weil es – wie man meinte – die Einzigartigkeit des Hohepriestertums Christi (gemäß dem Brief an die Hebräer) in Frage gestellt und das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen (laut 1 Petr 2, 5) ausgegrenzt hätte. Zu dieser Kritik gesellte sich noch der moderne Gedanke von der Autonomie des Subjekts sowie die sich daraus ergebende individualistische Praxis, die jegliche Ausübung von Autorität mit Misstrauen betrachtet.
Welche theologische Sicht ergab sich daraus? Man stellte fest, dass Jesus unter einem soziologisch-religiösen Gesichtspunkt kein Priester mit Kultfunktionen war und folglich – um eine anachronistische Formulierung zu benützen – als Laie betrachtet werden müsste. Da im Neuen Testament für Dienste und Ämter keine sakrale Terminologie, sondern als profan geltende Begriffe gebraucht werden, hatte es zudem den Anschein, dass der Nachweis der Unangemessenheit einer in der Kirche der Anfänge – also ab dem 3. Jahrhundert – erfolgten Umwandlung jener, die innerhalb der Gemeinschaft nur bestimmte »Funktionen« erfüllten, in unrechtmäßige Inhaber eines neuen Kult-Priestertums gelungen wäre.
Joseph Ratzinger unterzieht die von der protestantischen Theologie getragene historische Kritik nun seinerseits einer genauen kritischen Überprüfung. Er tut dies, indem er zwischen philosophischen und theologischen Vorurteilen und dem Gebrauch der historischen Methode unterscheidet. Auf diese Weise kann er zeigen, dass man mit den Errungenschaften der modernen Bibelexegese und einer präzisen Analyse der historisch-dogmatischen Entwicklung auf recht zuverlässige Weise zu den dogmatischen Aussagen kommt, die vor allem von den Konzilen von Florenz und Trient wie auch vom Zweiten Vatikanischen Konzil geprägt wurden.
Das, was Jesus für die Beziehung aller Menschen und der gesamten Schöpfung zu Gott bedeutet – also die Anerkennung Christi als Retter und universaler Heilsmittler, die im Brief an die Hebräer anhand der Kategorie des »Hohenpriesters« (Archiereus) entwickelt wird –, war nie etwas, das von seiner Zugehörigkeit zum levitischen Priestertum abhing, also diese zur Bedingung gehabt hätte.
Die Grundlage des Seins und der Sendung Jesu liegt vielmehr in seiner Herkunft vom Vater, von jenem Haus und von jenem Tempel, in dem er wohnen und in dem er sein muss (vgl. Lk 2, 49). Die Gottheit des Wortes ist es, die in der menschlichen Natur, die er angenommen hat, aus Jesus den einzigen wahren Meister, Hirten, Priester, Mittler und Retter macht.
An dieser Weihe und Sendung schenkt er durch die Berufung der Zwölf Anteil. Aus ihnen entsteht der Kreis der Apostel, die den Grundstein zur Sendung der Kirche in der Geschichte legen, welche wesentlich zu ihrer Natur gehört. Sie geben ihre Vollmacht an die Hirten der Universal- und Teilkirche weiter, die auf lokaler und überlokaler Ebene wirken.
Unter dem Gesichtspunkt der vergleichenden Religionsgeschichte scheinen die ersten Benennungen der Ämter des »Bischofs«, »Priesters« und »Diakons« in den christlichen Gemeinschaften heidnischen Ursprungs Begriffe aus dem profanen Bereich gewesen zu sein. Und dennoch – im Kontext der Kirche der Ursprünge können ihr christologischer Bezug und ihre Beziehung zum Apostelamt nicht unbeachtet bleiben.
Die Apostel und ihre Jünger und Nachfolger setzen Bischöfe, Priester und Diakone durch Auflegung der Hände und das Gebet ein (vgl. Apg 6, 6; 14, 23; 15, 4; 1 Tim 4, 14). Im Namen des obersten Hirten sind sie die Hirten und Diener, die ihn sichtbar repräsentieren und durch die Er selbst gegenwärtig ist in seiner Eigenschaft als analogatum princeps des Hirten und Dieners.
Hieraus ergibt sich auch die Spiritualität des Priesters beziehungsweise des Bischofs, der durch die Auflegung der Hände vom Heiligen Geist geweiht ist (vgl. Apg 20, 28). Diese Spiritualität ist kein äußerer Zusatz einer privaten Frömmigkeit, sondern die innere Form der Bereitschaft, sich selbst vollkommen in den Dienst Christi zu stellen und mit dem ganzen Sein und Leben auf Ihn zu verweisen.
Die authentische Natur des sakramentalen Priestertums liegt in dem Umstand, dass Bischof und Priester Diener des Wortes sind, die den Dienst der Versöhnung versehen und als Hirten die Herde Gottes weiden. Insofern sie den Auftrag Christi erfüllen, macht sich Christus selbst durch ihr Wirken und ihr Wort als einziger Hohepriester in der Kirche Gottes gegenwärtig, die sich zur liturgischen Feier versammelt hat.
Die gegen das katholische Priestertum vorgebrachten Einwände ergäben Sinn, wenn das Priestertum von der Kirche als eigenständige oder auch nur ergänzende Vermittlung neben oder außerhalb der Vermittlung Christi verstanden würde. Daher treffen auch die Einwände Martin Luthers in Wahrheit nicht den zentralen Kern der verbindlichen dogmatischen Lehre über das sakramentale Priestertum.
Als grundlegendes Element für die Wiedererlangung der priesterlichen Identität erscheint also die Verfügbarkeit, sich selbst als Diener des Wortes und Zeugen Gottes in der Nachfolge Christi zu verstehen und in Gemeinschaft mit Ihm zu leben. Die entscheidende Haltung, die uns Joseph Ratzinger auf unserem Weg ans Herz legt, ist folgende: »den Kontakt mit ihm [Jesus] lebendig zu halten. Denn wenn wir den Blick von ihm wegwenden, muss es uns unweigerlich ergehen wie Petrus, der Jesus über die Wasser entgegengeht: Nur der Blick des Herrn kann die Schwerkraft überwinden, aber er kann es wirklich. Immer bleiben wir Sünder. Aber wenn er uns hält, haben die Wasser der Tiefe ihre Macht verloren.«
Gerade deshalb ist es auch so notwendig, dass der Priester über eine fundierte theologische Ausbildung verfügt und einen ständigen Bezug zur wissenschaftlichen Theologie hat.
Mit den Beiträgen des vorliegenden Bandes weist Joseph Ratzinger einen Weg, der aus jener Krise herausführt, in die das katholische Priestertum – ohne angemessene theologische und soziologische Ansätze und Motivationen – gestürzt war. Eine Krise, die viele Priester, die ihren Weg durchaus voller Liebe und Eifer begonnen hatten, im Bezug auf ihre Rolle in der Kirche verunsichert hat. Der hier vorliegende Band kann nicht nur ein lohnendes Nachschlagewerk für die theologisch-wissenschaftliche Definition des Weihesakraments sein, sondern auch für die spirituelle Vertiefung der priesterlichen Berufung, für geistliche Exerzitien für Priester und für die Verkündigung über den »herrlichen Dienst des Neuen Bundes«, den »Dienst des Geistes und des Lebens« (vgl. 2 Kor 3, 6–8).
Papst Benedikt XVI. hat in der Verkündigung des Wortes Gottes, das jedem menschlichen Tun zuvorkommt, die besondere Aufgabe des bischöflichen und priesterlichen Dienstes gesehen. Gerade das war es übrigens auch, woran Papst Franziskus am 21. April 2013 auf ebenso prägnante wie nachdrückliche Weise erinnert hat, als er im Rahmen der Priesterweihe die zum Weihesakrament Gerufenen ermahnte: »Seid euch bewusst, dass ihr aus den Menschen auserwählt und für sie eingesetzt seid zum Dienst vor Gott, und übt daher das Priesteramt Christi mit Freude und echter Liebe aus, einzig darauf bedacht, Gott zu gefallen und nicht euch selbst. Seid Hirten, nicht Funktionäre! Seid Mittler, nicht Zwischenhändler!«
In diesem Blick der beiden großen Päpste auf das Priestertum können wir den Blick Jesu auf seine Apostel erkennen. Seinen Blick auf jene, die er heute wie zu jeder Zeit aussendet, um seine Herde zu weiden. Dieser Blick ist es, der uns auszeichnet und unsere Priesterberufung den Zerrbildern der Welt entzieht, die stets unvollständig und verkürzend sind. Dieser Blick ist es, der uns vorantreibt, mit Vertrauen und zuversichtlicher Hoffnung, die Nebelwand jeder Krise hinter uns lassend.
Es ist der Blick des obersten Hirten, der seine Hirten seit jeher erneuert und für die leidenschaftliche Sendung frei macht, zu der er sie trotz ihrer Armseligkeit und Erbärmlichkeit berufen hat. Gerade der Blick und die Worte Jesu sind die stete Quelle der priesterlichen Identität, die uns die Wüste jeder Krise überwinden lässt, um dem verheißenen Land entgegenzugehen, das es jeden Tag aufs Neue zu erobern gilt: dem verheißenen Land seines Reiches. Aus diesem Blick, aus diesen Worten wollen wir allzeit schöpfen. Das ist der Ausgangspunkt, bei dem wir – jeder scheinbaren Niederlage zum Trotz – immer wieder neu anfangen können.
Vorwort und Einführung wurden aus dem Italienischen übersetzt von Silvia Kritzenberger.
Zur Missa Chrismatis 1978
Das Zeichen des Öls, das dieser Messe am Vorabend des Gründonnerstags ihre besondere Richtung und Prägung gibt, hängt aufs Engste mit dem Geheimnis Jesu Christi zusammen; denn dieser Name Christus – Χριστός – bedeutet auf Deutsch: der Gesalbte. Das heißt, die werdende Kirche wusste vom Glauben des Alten Testaments her das, was dieser Jesus war und ist, nicht besser auszusagen, als indem sie dieses Symbol des Öls zu seinem Namen werden ließ. Aber was wird damit nun eigentlich ausgedrückt?
Zunächst sind darin menschliche Urerfahrungen aufgenommen. Das Öl war im ganzen Mittelmeerraum, in Palästina so gut wie in Griechenland, wie in Italien, wie in Nordafrika, Ausdruck der Kraft des Lebens überhaupt. Die Frucht der Olive war das eigentliche Grundnahrungsmittel, mehr noch als das tägliche Brot. Sie lag der ganzen Nahrung des Menschen zugrunde. Sie war zugleich auch die Medizin, mit der dem Leib wieder Kraft und Ruhe und Friede gegeben wurde. In den Psalmen hören wir immer wieder die Freude über die Köstlichkeit des Öls, wie es den von der Sonne ausgedörrten, ermüdeten, ausgemergelten Leib überströmt und ihn plötzlich wieder die ganze Freudigkeit und Kraft des Lebens erfahren lässt. Und so ist das Öl über solchen notwendigen Dienst des Lebens hinaus dann auch Schönheitsmittel, Ausdruck der Freude am Leben geworden. Das Notwendige und das Überflüssige, das ja auch dem Menschen nötig ist, liegen hier untrennbar ineinander. Und von daher versteht sich dann auch, dass das Öl als Träger der Lebenskraft in der Nähe des Göttlichen liegt; denn Gott ist eben dadurch Gott, dass er Macht des Lebens ist. Die Gottesmänner, die Propheten, die Priester und die Könige werden gesalbt, sie sind »die Gesalbten«, und dies bedeutet nun mehr, als dass sie Öl der Olive in Fülle haben; es soll ausdrücken, dass die Macht des Lebens selbst über ihnen steht. Jesus Christus aber ist der wahre Prophet, der wahre Priester und der wahre König, und deswegen ist er nun eigentlich erst der Gesalbte im vollen Sinn. Dass er es ist, wurde den Christen endgültig sichtbar in der Auferstehung. Hier hatte das Öl als Gegenmacht zum Tod nun endgültig seine Kraft bewiesen. Er war offensichtlich mit jenem stärkeren Öl gesalbt, für das das Öl der Olive nur Zeichen, nur sozusagen ein letzter Ausläufer sein kann. Er stand in jener Lebensmacht, die die Verwesung bannen, dem Tod trotzen und ihn als den Gesalbten aus dem Grabe holen und als den Sieger in die Mitte der Menschheit stellen konnte. Zugleich wird damit sichtbar, welches dies neue, andere Öl ist, auf das die Frucht der Olive nur auf ihre Weise im täglichen Erfahren hindeuten konnte: die Macht des Lebens selbst, der Heilige Geist Gottes, der ihn als den Sohn mit dem Vater verbindet und so auch den Menschen aus den Klauen des Todes errettet. Er ist der Gesalbte, nicht mehr mit der Frucht der Olive, sondern mit dem, wofür sie Zeichen ist, mit der Macht des Lebens selbst, mit Gottes schöpferischem Geist.
Damit hat in den christlichen Sakramenten das Öl eine neue Bedeutung gewonnen. In der Breite freilich, die es darin hat – fast in allen Sakramenten spielt es eine Rolle – drückt sich noch immer sein alltäglicher Rang in der mittelmeerischen Welt aus, und so erinnern uns die Sakramente auch immer noch an das irdische Leben Jesu, an die Welt, aus der heraus er zu uns tritt. Und in der Breite, in der in den Sakramenten das Zeichen des Öls wirksam ist, können wir noch immer etwas von dem Spektrum der Hoffnungen sehen, das damit verbunden war: in der Krankensalbung ist es gleichsam die Medizin Gottes; wenn es vor der Taufe verwendet wird, dann erinnert es an ein Verständnis des Christentums, in dem das christliche Leben wie ein Wettkampf, wie ein olympisches Ringen in der Arena der Geschichte aufgefasst wird. Der Christ ist der, der sich zu dem großen Ringkampf des Lebens in dem Drama der Geschichte rüstet. Die Athleten, die die Arena betraten, salbten ihren Körper mit Öl, damit er weich, geschmeidig, kraftvoll, lebendig, nicht ausgedorrt war. Das Salben bei der Taufe soll andeuten, dass der Christ vom Herrn gesalbt wird, um in das Drama der Geschichte als ein Ringender und als ein Siegender einzutreten. Die Salbung, die dann nach der Taufe und in der Firmung und bei der Priesterweihe gespendet wird, erinnert an die Salbung der Priester, der Propheten und der Könige.
Aber all dies hat nun doch von Jesus Christus her eine neue Tiefe bekommen. Wenn am Krankenbett das geweihte Öl auf die Stirn und auf die Hände eines Leidenden kommt, dann drückt es nicht mehr bloß die irdischen und so oft vergeblichen Hoffnungen aus, die man in der alten Welt auf die Olive setzte, sondern dann darf es Zeichen sein für die wahre Medizin Gottes, für das Hereintreten Jesu Christi in den Raum unserer Leiden, unserer Ängste und unserer Nöte. Dann drückt es aus, dass es das Kraut gegen den Tod wirklich gibt, dass Jesus Christus in die Nacht des Todes hereingestiegen ist und als die wahre Medizin Gottes in der Nacht unseres Leidens steht, uns trägt, uns Frieden gibt und die Gewissheit: dass wir in Gottes Händen auf immer geborgen sind.
Und wenn wir vor der Taufe für den Wettkampf des Lebens gesalbt werden, heißt dies, dass er, der am Kreuz das dramatische Ringen mit den Mächten des Hasses, des Neides und der Verzweiflung bestanden hat, über unserem Leben steht als die Kraft, die uns trägt, die uns Leben gibt, die uns nicht austrocknen lässt, die hinter uns steht und uns auffängt, wo wir müde werden, und uns hindurchführt durch diese Arena in seine Erbarmung hinein. Und über alledem klingt freilich dann auch der Anspruch dieser Salbungen auf, wie er etwa in dem Wort des heiligen Paulus formuliert ist: »Christi bonus odor sumus in omni loco – Christi Wohlgeruch sind wir auf Erden« (2 Kor 2, 15). Das heißt: Dem Gestank der Verzweiflung, des seelischen Zerfalls, der Gier und des Hasses, all den Mächten, die im letzten Verwesung sind und Leben zerstören, tritt die neue Kraft seines Lebens entgegen, und indem wir es aufnehmen, soll diesem Moder der Verzweiflung und des Hasses der Wohlgeruch des wahren Lebens, des Vertrauens auf die unzerstörbare Liebe, des Geborgenseins in der Macht von Gottes Geist entgegentreten und sozusagen die Welt desinfizieren.
Die Alte Kirche hat dies Ganze vorausdargestellt gefunden in dem Wort des Psalms 133, 1–2: »Siehe, wie gut und schön ist es, wenn Brüder einträchtig zusammenwohnen. Es ist, wie wenn das Öl vom Haupt Aarons herabträufelt über seinen Bart und das ganze Gewand.« In diesem Wort, das wahrscheinlich in einer der Weisheitsschulen Israels entstanden ist, wird dieses köstliche Erfahren des Öls, das den müden Körper durchdringt und wieder frisch und lebendig macht, zum Bild für das Schöne brüderlichen Friedens. Die werdende Christenheit aber hat darin eine Aussage gefunden über die brüderliche Gemeinschaft der Kirche und ihr Eins-sein aus der sakramentalen Einheit, die von Jesus Christus kommt. Er ist der wahre Aaron, und das Öl, das von ihm herunterkommt, ist nicht mehr bloß Bild für die Köstlichkeit des Lebens und für die Schönheit der Gemeinschaft, sondern dieses neue Öl, die Kraft des wirklichen Lebens des Gottesgeistes gründet und schafft die brüderliche Einheit der Kirche.
Und so wird ein Letztes sichtbar: Der Heilige Geist, den das Öl andeutet, ist die Liebe. Und deswegen ist er die Gegenkraft zum Tod und zur Verwesung. Deswegen ist er die Mitte Gottes selbst, die Einheit von Vater und Sohn. Deshalb ist er der Knotenpunkt zwischen Schöpfer und Schöpfung. Deshalb ist er der Grund der Kirche und unser Friede. Und so ist diese Messe der heiligen Öle von dieser ihrer innersten Aussage her zugleich ein Fest der Kirche und ihrer Einheit. Wir feiern um den Altar der Kathedrale das heilige Opfer Jesu Christi. Dieser eine Altar, der unsere Ortskirche von München und Freising, unser Bistum in seiner Einheit ausdrückt, ist wiederum Verweis auf Jesus Christus selbst, den lebendigen Altar und Priester zugleich. Wir empfangen aus und in dieser einen Kathedrale die heiligen Öle, die nun hinausgehen, so dass die Sakramente im ganzen Bistum aus dieser einen Mitte kommen und damit sichtbar als Frucht des einen Sakraments von Jesu Christi Tod und Auferstehung erscheinen. Es vollzieht sich in dem, was heute geschieht, in der Weihe und Abholung der Öle das, was dieses Psalmwort andeutet: das Herausströmen des heiligen Öls über den ganzen Leib der Kirche.
So möchte ich noch einmal allen danken, die heute diese Einheit unseres Bistums hier darstellen, die Tag um Tag darum ringen, dafür leben und von ihr her glauben und sich tragen lassen. Das Hinausnehmen der heiligen Öle ist mehr als ein äußerer Transport, den man heutzutage auch anders bewältigen könnte. Es ist dieser innere Vorgang, dass wir Diener des Lebens werden, dass wir dieses Hinausströmen des Leben schaffenden Öls in den ganzen Leib der Kirche mittragen und uns so in den Dienst der brüderlichen Einheit der Kirche stellen, die vom Haupt her gegründet wird und von der Kraft lebt, die von ihm ausgeht.
Und deswegen ist dieser Tag in besonderer Weise auch ein Fest der Priester, die dieses Tragen zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben, deren ganzes Leben eigentlich ein solches Immer-wieder-Hinausgehen von der Mitte ist, damit das Öl den Leib durchströme und damit er hineinwachse in die Kraft, die vom Herrn auf uns zukommt. Wir brauchen als Menschen das Endgültige, aber umgekehrt kann das Endgültige sich nur bewähren, wenn wir immer wieder aus unserem Hinausgehen auch die Mitte suchen, ihre Kraft neu empfangen. Dies ist der Sinn, wenn nun nach der neuen Ordnung der Liturgie die Priester ihr Weiheversprechen in dieser Stunde erneuern. Wir treten gleichsam wieder in die Mitte hinein, aus der all unsere Kraft und unsere Sendung kommt. Wir beginnen wieder mit dem Herrn, dass von Neuem das Leben schaffende Öl die Austrocknung des Alltags überwinde und die Freude des Sieges Christi in uns lebendig mache.
Wir tun dies im Angesicht der ganzen glaubenden Kirche; denn so wie die Priester auf ihre Weise die Kirche tragen, werden sie in ihrem Dienst getragen von Euch, den Glaubenden. Wenn wir nun diese Weiheerneuerung vollziehen, bitte ich Euch, liebe Mitbrüder, dass wir sie in diesem Geiste tun, des betenden Hineintretens in den Herrn, der allein uns tragen kann. Und ich bitte Euch alle, die ihr stellvertretend steht für dieses ganze Bistum, dass Ihr in Eurem Beten uns mittragt, dass sich immer mehr an uns erfüllen möge dieses verheißende und zugleich rufende Wort des heiligen Paulus: »Christi Wohlgeruch sind wir allerorten« (2 Kor 2, 15).
Zur Missa Chrismatis 1979
In dem Brief, den der Heilige Vater zum Gründonnerstag an die Priester in aller Welt geschrieben hat, erzählt er von einem Brauch, der sich an vielen Orten hinter dem Eisernen Vorhang gebildet hat, wo die Verfolgung keine Priester übrig ließ. Ich hatte schon vor etlichen Jahren von Freunden von solchem Geschehen erfahren. Dort trägt es sich zu, dass die Menschen in eine verlassene Kirche, oder wo keine mehr da ist, auf einen Friedhof, wo ein Priester begraben ist, hingehen. Sie legen die Stola auf den Altar oder auf den Grabstein und beten gemeinsam die Gebete der heiligen Eucharistie. An der Stelle, an der die Wandlung träfe, tritt tiefes Schweigen ein, das mitunter von Weinen unterbrochen wird. Der Papst fügt hinzu und wendet sich an uns Priester. Er sagt: Liebe Brüder, wenn Euch manchmal Zweifel über Euren Beruf kommen, wenn Ihr an seinem Sinn zweifelt, Euch fragt, ob er sozial unfruchtbar oder sogar unnütz sei, dann denkt über diese Tatsache nach. Denkt daran, wie sehr sich diese Menschen danach sehnen, die Worte zu hören, die nur die Lippen eines Priesters aussprechen dürfen. Wie sehr sie sich danach sehnen, den Leib des Herrn zu empfangen. Wie sehr sie darauf warten, dass jemand zu ihnen sagen darf: »Ich vergebe Dir Deine Sünden.« In dieser »Eucharistie der Sehnsucht«, in der sich die Menschen in ihrer Verlassenheit betend ausstrecken nach dem Herrn hin, ihm in ihrer Sehnsucht entgegengehen und so glaubend mit der heiligen Kirche kommunizieren und darin mit ihm selbst, geschieht Zeugnis von der lebendigen Kirche, Zeugnis von der verborgenen Nähe des Herrn und Zeugnis dessen, was Priestertum heißt.
Wie klein erscheint gegenüber dieser Demut des Glaubens der Ratschlag mancher Theologen: im Notfall könne jeder die Wandlungsworte sprechen. In solcher »Eucharistie der Sehnsucht« ereignet sich gewiss mehr Anwesenheit des Herrn als in einer Eigenmacht, die auch Christus und die Kirche noch zu unserem Produkt machen will. Kein Mensch kann von sich aus es wagen, das Ich Christi als sein Ich zu gebrauchen, ohne dass er lästert. Niemand kann von sich aus sagen: »Dies ist mein Leib.« »Dies ist mein Blut.« »Ich spreche dich los von deinen Sünden.« Und doch brauchen wir diese Worte wie das tägliche Brot. Wo sie nicht mehr gesprochen werden, wird das tägliche Brot schal und werden die sozialen Errungenschaften leer. So ist dies die tiefste und zugleich die erregendste Gabe des priesterlichen Dienstes, die nur der Herr selbst geben kann: nicht nur seine Worte als Worte der Vergangenheit zu erzählen, sondern mit seinem Ich jetzt und hier zu sprechen, in persona Christi zu handeln; die Person Christi zu vertreten, wie die Liturgie es ausdrückt.
Im Grunde kann man daraus das ganze Wesen des priesterlichen Tuns und den Auftrag des priesterlichen Lebens entnehmen. Gewiss, auch wenn ein Priester mit seinem Leben diesen Worten widerspricht, bleiben sie wirksam, eben weil es das Ich Jesu Christi ist, auf das es hier ankommt, und nicht das des Menschen. Nicht der Mensch vergibt die Sünden, sondern ER. Nicht der Leib dieses oder jenes, sondern der Seinige wird gegenwärtig. Aber zugleich ist klar, dass wir solche Worte nicht sagen können, ohne dass sie unser eigenes Leben einfordern, dass sie die innere Entsprechung zu dem verlangen, was wir da sagen. Denn wenn wir innerlich gegen das anleben würden, was wir vertreten, muss es uns zum Gericht werden. Wer das Ich Jesu Christi in den Mund nehmen darf, der muss daher vor allem zuerst selbst daran glauben. Der Priester muss in erster Linie ein glaubender Mensch sein. Dies ist die Mitte des ganzen Tuns, und wenn sie nicht da ist, dann geschieht nichts Wirkliches mehr. Gewiss mag da mancherlei Betrieb weitergehen, aber ihm fehlt das Eigentliche, die Kirche wird dann zu einer Freizeitgesellschaft, und sie wird überflüssig. Und deswegen hat der Papst in diesem Brief mit einem großen Nachdruck gesagt: Die Menschen erwarten vor allem den tiefgläubigen Priester, den Priester, der betet, den Priester, der nach dem Programm der Seligpreisungen lebt.
Und nun wende ich mich besonders an Euch, liebe Mitbrüder, denn an dieser Stelle bin ich steckengeblieben: »Programm der Seligpreisungen« – versuchen wir wirklich von daher zu leben? Oder haben wir uns nicht allesamt ganz und gar an die Standards der westlichen Welt gewöhnt und setzen sie ganz selbstverständlich als die Anspruchsform auch unseres Lebens voraus? Gewiss und gottlob, es gibt jetzt das Stichwort: »anders leben«, »alternative Lebensformen« finden. Aber wenn es ans Mark geht, dann nämlich, wenn die christliche Lebensform sich als diese Alternative anbietet, dann kommen wir ja doch mit den ganzen Schlagworten dessen daher, was nun heute eben als das Normale gilt, und verkennen, dass die Seligpreisungen, dass der Glaube der Kirche und die Form des Lebens, die er aufrichtet die Alternative wäre, die uns freilich ins Fleisch schneidet, die wir annehmen müssten, damit der Glaube glaubhaft wird. Und die Menschen warten auf den, der ihnen vor-glaubt, weil sie es auch schön fänden, wenn man wieder glauben könnte und wenn sie wieder wagen dürften zu glauben: Es ist wahr, es gibt einen Gott, es gibt einen Christus, der mich liebt bis in meine letzte Stunde hinein. Albert Camus hat einmal gesagt: »Je n’aime pas les prêtres anticléricaux – ich liebe die antiklerikalen Priester nicht«; er, der Antiklerikale. Aber er wollte die Menschen, die ganz sind. Er wollte nicht den, der sozusagen das Eigene herunterspielt und sagt: »Nimm’s nicht so ernst, ich tu es auch nicht. Ich gehöre schon zu dieser Welt von heute.« Er suchte den Menschen, der ganz ist, und der »er« selbst ist, und der zu dem steht, was er ist. Dies ist die Forderung, die nicht nur das Evangelium, sondern die gerade diese Zeit, die nach Alternativen fragt, an uns stellt. Wir müssten wieder mehr den Mut haben, diese Koketterie niederzulegen. Wir haben doch alle ein bisschen mit diesem »prêtre anticlérical«, mit dem antiklerikalen Priester gespielt und kokettiert. Der Priester muss den Mut haben, ganz zu sein, zu der Alternative zu stehen, die er ist, sich zu dem zu bekennen. In diesen Zusammenhang gehört auch – wir hören es nicht gern, das weiß ich – die Mahnung des Papstes hinein, dass der Priester auch erkennbar sein soll, auch an seiner Kleidung.
Ich habe 1968 in Tübingen die studentische Revolte erlebt, und es war aufregend zu sehen, wie diese jungen Menschen, die eine Absage vollbrachten an ihr Elternhaus und an die Welt, in der sie herangewachsen waren, dramatisch das auch in der Weise ihres Aufzugs dargestellt haben, und wussten: Was ich bin, das muss ich auch zeigen, das muss einen Ausdruck finden. Und wie sich dann sehr bald die Mitläufer fanden, die sehr Wert darauf legten, genauso mit Bart und ähnlichen Zutaten zu erscheinen! Ich glaube, darin geschieht etwas Wichtiges: eine Haltung, die den Menschen angeht, kann nie nur innerlich sein, sie muss sich zeigen. Wer sich versteckt, der bekennt nicht und der zündet nicht, weil man annehmen muss, dass er selber zweifelt, ob das, was er einmal übernommen hat, nun auch das Rechte sei und wert sei, gelebt zu werden.
In diesem Zusammenhang hat dann der Papst einige sehr bedenkenswerte Sätze über das Thema Anpassung geschrieben. Er erinnert an die großen Priestergestalten der Neuzeit: an Vinzenz von Paul, Johannes von Gott, den Pfarrer von Ars, Maximilian Kolbe. Jeder von ihnen war anders, jeder war ein Mensch seiner Zeit und hat das Evangelium dieser seiner Zeit verkündet, es mit der ätzenden und heilenden Schärfe verkündet, die es hat und die jeweils an anderen Wunden ansetzen muss. Insofern hatten sie das Evangelium angepasst, zum Evangelium ihrer Zeit gemacht; aber nicht, indem sie sich versteckten oder indem sie Taktiken ausgedacht haben, sondern – wie der Papst sagt – weil jeder eine ursprüngliche Antwort auf das Evangelium gab, weil jeder als er selbst, als dieser Mensch innen mit dem Evangelium und mit dem Herrn gerungen und seine Antwort gefunden hatte, die dann Antwort des Evangeliums mitten in diese Zeit hinein gewesen ist.
Wer das Ich Jesu Christi gebrauchen will, muss daran glauben. Und wer glaubt, der betet. Und wer betet, bekennt. Und wer bekennt, der lebt auch davon. Der Papst sagt in diesem Zusammenhang: Seien wir Hirten und nicht Tagelöhner. Nicht solche, die ausrechnen, wie viele Stunden dann für mich und mein Privates übrigbleiben. Das brauchen nur die zu tun, für die der Beruf neben ihrem Leben steht. Aber Priester sein ist nicht etwas, was wir uns neben unserem Leben als unseren Erwerb aufbauen müssen, es ist das Leben selbst. Und keinen größeren Auftrag kann es finden, als Zeugnis von der Liebe Jesu Christi zu sein.
Noch ein Gedanke aus dem Brief des Papstes hat mich besonders getroffen. Er spricht von der Notwendigkeit, dass wir uns immer neu bekehren. Er sagt das im Zusammenhang des Zölibats; aber es gilt natürlich für die ganze Breite des priesterlichen, des menschlichen Lebens. Nun, so im Allgemeinen haben wir ja nichts dagegen. Es kostet ja nicht viel zu sagen: Wir alle sind Sünder und wir brauchen Vergebung. Aber wir sind sehr empfindlich, allergisch dagegen, wenn es darum geht, dass ich bekenne, dass dieses mein Tun Vergebung braucht. Und dann erst handelt es sich um wirkliche Bekehrung. Es fällt uns sehr schwer anzuerkennen, dass etwas, was wir für normal empfinden und was zur Lebensgewohnheit geworden ist, anders sein sollte und nicht richtig ist. Wenn etwas für uns zur Gewohnheit oder auch nur zum häufig Getanen wurde, dann finden wir lieber, dass die Norm falsch sei, als dass wir verkehrt sind. Und meine Beobachtung geht dahin, dass, wenn ein Priester scheitert – nach innen oder außen, das ist hier nicht die Frage –, wenn er nicht mehr eins sein kann mit seinem Auftrag, im Letzten immer ein stiller, oft unerkannter Hochmut die eigentliche Schuld ist. Nicht die sexuellen Probleme gegen den Zölibat oder was es noch geben mag, sondern dies, dass wir Vergebung nicht mögen. Dass wir nicht anerkennen können, dass wir immer wieder Bekehrung, Änderung, Verzeihung vom Herrn her brauchen. Und noch etwas Merkwürdiges ist mir aufgefallen: Wir alle sind Sünder. Und oft sind die, die keine Vergebung mögen, sogar die an sich eher Tugendhafteren, Tüchtigeren. Trotzdem, wenn jemand in seinem Leben die Vergebung verweigert, dann wird er giftig, dann wird er uneins mit sich selbst, uneins mit der Welt und mit Gott, er wird unfroh und aggressiv, weil das Unvergebene in ihm wirkt.
Umgekehrt: Es mag einer noch so oft gesündigt haben, wenn er die Einfachheit des Herzens hat, die das zugibt und die sich verzeihen lässt, dann findet er die Freude, die Gelöstheit und wird eins mit sich selbst. Der Herr ist die Versöhnung, und die Versöhnung ablehnen heißt: Ihn selbst zurückweisen. Immer wieder sind wir doch dieser Petrus, der sich nicht waschen lassen mag. Und doch können wir am Herrn nur Anteil haben, wenn wir uns waschen lassen.
Das besondere Symbol dieser heutigen heiligen Messe, die einen Teil aus dem Geheimnis des Gründonnerstags herausnimmt, ist das Zeichen des Öls. Christus hat seinen Namen davon – Χριστός heißt »der Gesalbte«. Und so ist das Öl Zeichen für den Heiligen Geist, für die neue Salbung, die ihm gegeben ist und die von ihm ausströmt. Der Priester sollte vor allem ein geistlicher Mensch sein. »Geistlich Geistliche« bräuchten wir, hat der Regensburger Bischof Johann Michael Sailer einmal gesagt. An dieser Stelle wird nun zugleich wieder sichtbar, dass eine solche Besinnung dennoch nicht sozusagen Privatunterhaltung im Kreis der Priester ist, sondern dass sie uns alle angeht, weil wir nur alle zusammen den lebendigen Leib Jesu Christi aufbauen können, weil wir nur alle zusammen einander den Atemraum des Heiligen Geistes schenken können. Und wenn die Menschen in den weltlichen Berufen, wenn Ihr, liebe Brüder und Schwestern, dies braucht, dass es Priester gibt, die voran-glauben, die vor-glauben – wir brauchen es, dass Ihr mit-glaubt. Und wir brauchen es, dass Ihr durch Eure Geduld uns tragt und korrigiert, dass wir erkennen: wir werden gebraucht, und darin selbst wieder neu unseren Glauben empfangen.
So wollen wir uns in dieser Stunde zusammenschließen, den Herrn bitten, dass Er mit der Salbung des Heiligen Geistes uns alle berühren möge. Dass Er uns schenke, im Atemraum Seines Geistes zu leben und so lebendige Kirche zu werden.
Zur Missa Chrismatis 1981
Der Abendmahlssaal auf dem Zionsberg in Jerusalem, auf den sich in diesen Tagen unsere Blicke besonders richten, ist die Stätte zweier entscheidender Ereignisse in der Geschichte unseres Heils. In ihm wurde die Eucharistie gestiftet, in ihm hat Christus sich selbst ausgeteilt, um Brot des Lebens für alle Jahrhunderte zu werden. In ihm hat sich aber auch die Sendung des Heiligen Geistes, das erste Pfingstfest, zugetragen. Mit dem Zeichen der in allen Sprachen sprechenden Jünger, in denen die Kirche sich vordeutete, die über die Grenzen aller Sprachen, über die Grenzen aller Orte und Zeiten hinüberreicht und eine neue, die Grenzen überschreitende Einheit, die Gemeinschaft des Volkes Gottes, baut. Beides gehört von innen her in den gleichen Raum hinein, beides ist ein zusammengehöriges Geschehen, beides ist Stiftung der Kirche. Denn Kirche kann es nur geben, weil Christus sich den Menschen mitgeteilt hat, weil er sich ihnen kommuniziert und so in Kommunion miteinander führt in die Einheit seines Leibes, in den neuen Organismus seiner Liebe. Kirche aber kann es zum anderen nur geben, weil der Heilige Geist wiederum sozusagen den Lehm behaucht und weil er die nebeneinander und gegeneinander stehenden Menschen zusammenführt, dass sie der neue Organismus seien, den Christus in dieser Welt schaffen will.