Die Löwin vom Tafelberg. Catharina Ustings' kühner Weg in die Freiheit - Inès Keerl - E-Book

Die Löwin vom Tafelberg. Catharina Ustings' kühner Weg in die Freiheit E-Book

Inès Keerl

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Beschreibung

Nominiert für den Literaturpreis Goldener HOMER 2024 – ein mitreißender Roman um Liebe, Mut und Abenteuer. 1662: Um einer Zwangsheirat zu entgehen, begibt sich die junge Catharina Ustings von Lübeck aus auf eine abenteuerliche Reise. Als Mann verkleidet versteckt sie sich auf einem Schiff der Vereinigten Ostindischen Kompanie und gelangt ans Kap der Guten Hoffnung. Doch in der brutalen Männerwelt der ersten Siedlungsjahre Kapstadts muss sie ihren Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung fortsetzen – an der Seite starker Frauen wie Krotoa, die als Urmutter Südafrikas und Begründerin der Sprache Afrikaans gilt, aber auch getragen von der Liebe.

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KAPKOLONIE 1662 – LEGENDE

Kasten oben links:

The Fort of Good Hope and other Forts and watch-houses – Das Holzfort des Kaps und andere Forts und Wachtposten

Company’s garden – Garten der VOC

Company’s grain-fields – Getreidefelder der VOC

Company’s orchards – Obstgärten der VOC

Oliphant Street (to-day Longmarket Street) – Oliphant Street (heute Longmarket Street)

Reijger Street (to-day Shortmarket Street) – Reijger Street (heute Shortmarket Street)

Heere Street (to-day Castle Street) – Heere Street (heute Castle Street)

Land granted to free burghers in 1657 – 1657 an freie Bürger vergebenes Land

Small freehold farms granted later – kleine Bauernhöfe, die später vergeben wurden

The names of the other owners are shown on the chart itself – Die Namen der anderen Eigentümer sind in der Karte selbst aufgeführt

Miles – Meilen

Die Karte von oben nach unten, links nach rechts mit allen Landschaftsbezeichnungen, Orten, örtlichen Besonderheiten:

Van Riebeeck’s first farm, granted to him in 1657 and handed back in 1658 – Van Riebeecks erster Hof, der ihm 1657 zugesprochen und 1658 zurückgegeben wurde

Table Bay – Tafelbucht

Lion Mountain – Löwenberg (heute eher unter Lion’s Head = Löwenkopf bekannt)

Houses of free burghers – Häuser von freien Bürgern

Company’s warehouse – Lagerhaus der Gesellschaft

Kijkuit – Name eines Wachtpostens

Salt River – Salzfluss

Duinhoop – Name eines Wachtpostens

of Good Hope – der Guten Hoffnung (das alte Holzfort)

Keert de Koe – Name eines Wachtpostens

Wagon-road to forest – Wagenstraße zum Wald

Table Valley – Tafeltal

Coornhoop – Name eines Bauernhofes

Hollandsche Tuin (S. Botma) – Name eines Bauernhofes

Ronde Bosje – Name eines Ortes (heute: Rondebosch)

Ruiterwacht – Name eines Wachtpostens

Groote Schuur – Name eines Anwesens

Table Mountain – Tafelberg

Comps newlands – Name eines Ortes (heute: Newlands)

Houdt den Bul – Name eines Wachtpostens

Liesbeek (first called Amstel or Fresh River) – Liesbeek (zunächst Amstel oder Frischer Fluss genannt)

Gevelbergen – Giebelberge (heute: Twelve Apostels = Zwölf Apostel)

Boundary hedge – Begrenzende Hecke (Bittermandelhecke)

Forest – Wald

Bosheuvel – Sommersitz der Kapkommandanten

Van Riebeeck’s second farm (granted in 1658) – Van Riebeecks zweiter Bauernhof (gewährt 1658)

Hout Bay River – Hout-Bay-Fluss

»Flat Land between the Mountains of Africa and the Cape« – »Flaches Land zwischen den Bergen von Afrika und dem Kap«

Bosbergen – Bosberg

Hout Valley – Hout-Tal

Lake – See

Hout Bay – Hout-Bucht (heute: Hout Bay)

Berg Valley – Berg-Tal

Bay False – Falsche Bucht (heute: False Bay)

Inès Keerl studierte Betriebswirtschaft in Koblenz. Nach neun Jahren in der Wirtschaft begann sie, ihren Traum, Autorin zu werden, in die Wirklichkeit umzusetzen, und bewarb sich für eine Ausbildung zur Drehbuchautorin an der Drehbuchwerkstatt München. Sie wurde angenommen, und seit über zwanzig Jahren stammen aus ihrer Feder TV-Serien und Filme. Mit »Die Löwin vom Tafelberg« legt sie ihren ersten historischen Roman vor.

Dieses Buch ist ein Roman. Dennoch ist die Mehrzahl der Personen nicht frei erfunden, sondern existierte wirklich. Ihre Handlungen beruhen auf einem historischen Hintergrund. Im Anhang findet sich ein Glossar.

© 2023 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, unter Verwendung der Bildmotive shutterstock.com/Alisa Pravotorova, shutterstock.com/Lukasz Szwaj, akg-images/ARNOLDUS FLORIS LANGREN

Karte: © Boershistory – Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=77521237 (bearbeitet)

Lektorat: Lothar Strüh

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-98707-009-9

Roman

Originalausgabe

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Dieses Werk wurde vermittelt durch die AVA international GmbH, Autoren- und Verlagsagentur. www.ava-international.de

Für meine ElternM + G

Jedermann ist gegen mich, ich werde gegen jedermann sein.Keiner will mir helfen – ich werde mir selbst helfen.

Freie Übersetzung aus der »Geschichte einer afrikanischen Farm«, Olive Schreiner

VORWEG (APOLOGIE)

Catharina Ustings ist eine historische Figur. 1641 in Lübeck geboren, segelte sie als Einundzwanzigjährige auf einem Indiaman aus ins Ungewisse und landete am Kaap de Goede Hoop, dem unwirtlichen Ort am Ende der Welt mit dem vielversprechenden Namen. Sie war eine der ersten Siedlerinnen und ist bis heute eine Legende. Catharinas Kosmos war eine brutale, heidnische, calvinistische, muslimische Gesellschaft, bestehend aus Khoi, San, Deutschen, Holländern, Franzosen, Schweden, Dänen, Bengalen, Angolanern, Guinesen, um nur einige Religionen und Völker zu nennen. Sie lebten im sogenannten Goldenen Zeitalter der Niederlande unter der Ägide der ersten Aktiengesellschaft der Welt: der mächtigen VOC – der Vereenigde Oostindische Compagnie.

Der Stützpunkt am Kap der Guten Hoffnung war als reine Versorgungsstation gedacht. Mit den »Hottentotten«, wie die Kolonialisten die Ureinwohner nannten, wurde Viehhandel betrieben. Dabei verleibten sie sich das Land nach und nach ein, damit die wenigen Siedler dieses bestellen konnten, um die Flotten der VOC auf dem Weg nach Batavia, dem heutigen Indonesien, und zurück in die Patria, die Niederlande, mit Proviant und Wasser zu versorgen. In die Kolonien sandte die VOC Familien, um ein Klein-Holland aufzuziehen. Am Kap landeten hauptsächlich Abenteurer und Hartgesottene, die ihre Arbeit an einem Platz ausführen sollten, der in keiner Weise an Heimat erinnerte.

Die meisten handelnden Figuren sind historisch belegt, die Zeitabläufe und die geschichtlichen Ereignisse ebenso. Die Originalquellen waren eine wunderbare Vorlage für Abschweifungen, Verknüpfungen, Vermischungen und Ausschmückungen.

Sie werden fast der Wahrheit entsprechen.

1. KAPITEL

Lübeck, Dezember 1661

»He, wird das heute noch was mit meinem Bier?« Hinrichs Hand klatschte Catharina auf den Hintern. Das dritte Mal an diesem Morgen.

Sie biss die Zähne zusammen. Ihre Ziehmutter hatte ihr eingeschärft, den Gästen des Zolln schönzutun und Umsatz zu machen. Seit Wochen klagte Magda über Einbußen, sparte an Catharinas Essen, wie auch heute. Die Gerüchte, dass die Ratsherren die leeren Stadtkassen durch eine weitere Steuer füllen wollten, hatten die Geldbörsen der Lübecker verschlossen. Und nur am Markttag war die Gaststube voll, und den Bürgern saßen die Münzen lockerer in der Tasche.

Mit knurrendem Magen eilte Catharina von Tisch zu Tisch, nahm Bestellungen auf, verteilte Bierkrüge, lud leere Krüge auf ihr Tablett und eilte zum Tresen.

An die Theke gelehnt, wartete sie auf die nächsten. Dabei glitt ihr Blick noch mal zu Hinrich mit seinen Froschaugen und seinem kahlen Schädel. Er beobachtete sie.

»Hinrich ist dir heute besonders zugetan.« Magda stellte die frisch gezapften Biere vor sie hin.

»Er ist betrunken.«

»Sei nett zu ihm.«

Catharina bedachte den stadtbekannten Trinker mit einem unwilligen Blick. Nur kurz, denn Magda griff über die Theke und zog sie zu sich. »Tu, was ich dir sage, wenn dir was an deiner Arbeit liegt«, zischte sie ihr entgegen.

Catharinas Magen zog sich ob des drohenden Untertons zusammen. Hastig griff sie nach den Bierkrügen, drängte sich zwischen den Gästen zu den Tischen und verteilte sie. Das letzte Bier sparte sie für Hinrich auf. Als sie nur noch zwei Tische von ihm entfernt war, blickte sie zu Magda, sah, dass diese sie beobachtete.

Catharina zwang sich zu einem Lächeln, trat zu Hinrich und tauschte seinen Krug gegen einen vollen.

Kaum hatte sie sich vorgebeugt, langte er an ihre Brust und drückte sie. Sie wich zurück. Doch er packte sie am Arm, zerrte sie zu sich und küsste sie. Der Krug rutschte ihr aus der Hand. Bier spritzte umher.

»Du blöde Kuh!«, brüllte Hinrich und zeigte aufgebracht auf seine nassen Hosenbeine.

Catharina wischte sich seine Spucke von den Lippen. Die Männer in der Kneipe johlten.

»Bist wohl noch nie geküsst worden«, rief ein anderer Mann lachend.

Die Umhersitzenden grölten, standen auf, um besser zu sehen. Catharinas Hände zitterten. In ihrem Kopf dröhnten die Stimmen der Männer, verschmolzen bedrohlich. Sie sah Hinrichs grinsenden Mund, der sich wie ein Rad vor ihren Augen immer schneller drehte, seine Hand, die nach ihr greifen wollte. Sie wich zurück, drehte sich um, stürmte aus der Stube.

Catharina hatte die Tür kaum hinter sich gelassen, als Magda sie am Arm packte und zurückriss. »Was fällt dir ein!«, herrschte sie sie an. »Du gehst sofort zurück und entschuldigst dich!«

Catharina schüttelte matt den Kopf. Immer noch flimmerte es vor ihren Augen.

Magda schlug ihr ins Gesicht. »Du machst, was ich sage!« Sie versetzte Catharina einen weiteren, noch härteren Schlag.

Catharina taumelte. »Ich kann das nicht.« Bevor Magdas schwielige Hand sie nochmals treffen konnte, riss sie sich los und rannte aus dem Gasthaus in die eisige Kälte.

Schon bald pochte ihre Seite von dem schnellen Laufen. Sie wusste, dass es wahnsinnig war, Magda zu trotzen, aber sie hatte weggemusst. Sollte die Ziehmutter sie doch wieder in den Keller zu den Ratten sperren! Catharina war das finstere Loch von Kindesbeinen an als Strafe gewohnt. Keuchend stieß sie weiße Wölkchen aus, erreichte den Friedhof, lief vorbei an den steinernen Engeln und Mausoleen der angesehenen und reichen Bürger Lübecks hin zu dem schiefen Holztor am Ende des Kirchhofs.

Mit geübtem Griff öffnete sie es und betrat die kümmerliche braune Grasfläche, unter der die namenlosen Toten lagen. Arme, Pilger, Hingerichtete, Selbstmörder. Gefallene Mädchen. Wie ihre Mutter, die hier vor neunzehn Jahren verscharrt worden war. Kein Grab war ihr vergönnt worden, der jungen Frau, die in einer Gaststube gearbeitet und »zu Diensten« hatte sein müssen. Catharina war das Ergebnis gewesen und hatte ihrer Mutter gleich am Tag der Geburt das Leben gekostet.

Catharina rannte zu der winterkahlen Birke, dem einzigen Schmuck der trostlosen Fläche. Sie umarmte den Stamm, ließ die bisher zurückgehaltenen Tränen laufen. Erst lautlos, wie sie es häufig nachts tat. Doch das Schluchzen wollte heute hörbar sein. Sie strich über die Rinde, sprach zu dem Baum, in dem sie die Seele ihrer Mutter wähnte und die aller unfrohen Toten. »Was?«, brach es aus ihr heraus. »Was nur soll ich tun? Wenn ich nicht mache, was sie will, schickt sie mich weg. Was soll dann werden, Mutter?« Sie lehnte ihren Kopf an den Stamm, schloss die Augen. »Sag es mir, ich brauche Hilfe.«

Der Winterwind strich durch die kahlen Zweige, und sie horchte, als könne er Antworten auf ihre Fragen geben. Doch sie blieben wie gewohnt aus. Sie trat einen Schritt zurück, schlang die Arme um sich. Langsam wiegte sie sich, um sich zu trösten und neue Hoffnung zu schöpfen.

Das Geräusch eines brechenden Zweiges schreckte sie auf. Catharina wandte den Kopf, atmete auf. Der alte Berne, ihr einziger Freund, hinkte auf sie zu. Beim Näherkommen sah sie, dass die Augen des Knechts gerötet waren und sein faltiges Gesicht noch eingefallener wirkte als sonst. »Catharina.«

»Sie wirft mich raus?«, fragte sie ihn tonlos.

»Schlimmer.« Berne drückte ihre Hand.

»Was kann denn noch schlimmer sein?«

»Sie gibt dich Hinrich zum Weib. Noch diese Woche soll die Hochzeit sein.«

Catharinas Beine gaben nach. Fassungslos sah sie Berne an. »Das kann sie nicht machen.«

»Sie kann«, erwiderte der Freund mit rauer Stimme. »Geh zu ihr. Sag, dass es dir leidtut. Entschuldige dich. Vielleicht ändert sie dann ihre Meinung.«

Catharina schlich über den Flur in die Küche und spähte durch die Durchreiche in den Schankraum. Gerade stellte Magda Hinrich ein weiteres frisch gezapftes Bier hin. Als sie beiseitetrat, gab sie den Blick auf den Pfarrer frei. Er saß Hinrich gegenüber. Ein kalter Schauer jagte über Catharinas Rücken. Sie musste mit Magda reden, schnell und allein.

Als ob der Himmel ihr Flehen gehört hatte, drehte sich ihre Ziehmutter um, steuerte auf die Küche zu. Kaum war sie eingetreten, trat Catharina schon vor sie. »Ich flehe dich an, Magda, verheirate mich nicht.«

»Sieh an, erst läufst du weg und lässt mich mit der Wirtschaft alleine, und jetzt kommst du angekrochen.« Ungerührt wandte sie sich dem Kessel zu und schöpfte eine Kelle Suppe in einen Teller. »Hat Berne es dir gesagt?«, fragte sie nebenbei, um sich gleich darauf selbst die Antwort zu geben. »Natürlich war es Berne.« Sie stellte den Teller ab.

»Bitte, gib mich nicht diesem Mann.« Catharina legte ein Flehen in ihre Stimme.

»Du bist mehr als alt genug, um zu heiraten.« Magda wischte ihre Hand an ihrer Schürze ab.

»Bisher wolltest du doch auch nicht, dass ich heirate. Da warst du froh, dass ich für dich arbeite.«

»Die Zeiten ändern sich.«

»Hinrich ist ein Säufer.«

»Dann ist er schneller unter der Erde.«

Catharina sackte auf die Bank.

»Du solltest mir dankbar sein.« Magda sah sie kopfschüttelnd an. »Du willst nicht in der Schankstube arbeiten. Du willst nicht angefasst werden. Gut, genau deswegen habe ich dir einen Ehemann ausgesucht. Hinrich ist Krämer. Du wirst auf dem Markt Waren verkaufen. Was willst du mehr?«

Was Magda sagte, klang ungewöhnlich zugewandt. Doch ein kurzer Blick in ihre Augen zeigte Catharina, dass Magda es nicht war.

»Wie hast du Hinrich dazu gebracht, mich zu heiraten?«

Ein gerissenes Funkeln leuchtete in Magdas Augen auf. »Ich habe ihn davon überzeugt, dass du aus Zuneigung zu ihm gehandelt hast. Dass du schüchtern bist, hat er sofort geglaubt. Und dass du Jungfrau bist, hat ihm sehr gefallen. Immerhin nimmt er dich ohne Mitgift. Er bringt sogar eine mit!« Magda lächelte selbstgefällig.

Catharina sprang auf. »Das ist Hurerei! Du verkaufst mich!«

»Nur weil ich dir einen Ehemann suche? Geh doch zum Büttel und beschwer dich. Hier, die Suppe ist für ihn.« Magda griff nach dem Suppenteller und reichte ihn Catharina. »Er sitzt da, wo er immer sitzt. Wir werden ja sehen, wie weit du mit deiner Anklage kommst.«

Catharina wusste, dass sie verloren hatte. In den Augen der Ziehmutter war sie ein überflüssiges Maul geworden, das diese zu stopfen hatte. Und sie hatte sich dieses Mauls gewinnbringend entledigt. Wie angewurzelt stand sie da und blickte Magda hinterher, die die Küche mit dem Teller verließ.

2. KAPITEL

»Hört, ihr lieben Herren, lasst euch sagen, vom Turm die Glock hat zwei geschlagen!« Schon wieder zog der Nachtwächter singend durch die kleine Hartiengrove.

Den Kopf seitlich auf die Hände gebettet, stierte Catharina auf den langsam verlöschenden Kerzenstumpf vor ihr auf dem Boden. Ihr Kopf war leer, genau wie ihr Magen.

»Zwei Wege hat der Mensch vor sich«, sang der Wächter sich entfernend weiter, »Herr, den rechten führe mich!«

Zwei Wege, von wegen! Für sie gab es nur die Heirat mit Hinrich.

Einige Halme ihres Strohsacks hatten sich durch den groben Stoff gebohrt und piksten sie in die Seite. Dennoch blieb sie regungslos liegen, hatte nicht einmal ihre Decke über sich gezogen. Sollte sie doch krank werden oder, noch besser, erfrieren. Das war möglicherweise der zweite, der rechte Weg. Sterben! Solange sie denken konnte, bestimmte Magda darüber, was sie zu tun und zu lassen hatte. Catharinas alleiniges Aufbegehren lag darin, ans Grab ihrer Mutter zu laufen oder Gott anzuflehen, ihr zu helfen. Gott hatte ihr nie geholfen und würde es gewiss auch jetzt nicht tun. Er musste eine Erfindung der Reichen und Mächtigen sein, um Seelen wie sie zu knechten. Wie gern würde sie weggehen. Weit weg. Sie holte tief Luft. Noch nie hatte sie Lübeck verlassen, wusste nichts von der Welt draußen vor den Mauern.

Ein letztes Aufflackern, dann erlosch die Kerze.

Die Dunkelheit lockerte die Fesseln in ihrem Kopf. Sie streckte sich, erhob sich von ihrem Lager, zwang sich zu einem Schritt, zu einem weiteren. Sie ging durch die beiden Wäschereihen, ließ ihre Hände an den leicht klammen Stoffen entlanggleiten. Ides Hose hing als letztes Wäschestück in der Reihe. Magdas Lieblingsknecht besaß zwei Beinkleider und bekam von Magda drei Mahlzeiten am Tag, ganz im Gegensatz zu Berne mit seinem steifen Knie und ihr, Catharina.

Diese rieb den festen schwarzen Wollstoff zwischen ihren Fingern. Warum wartete sie stets, dass etwas mit ihr geschah? Sei es, ob Magda in der Laune war, ihr Essen zu geben oder sie loszuwerden. Sie spürte noch die rauen Fasern von Ides Hose in den Fingerspitzen, da durchzuckte sie ein Gedanke. Flucht! Fliehen, um der Ehe mit Hinrich zu entkommen. Nicht als Frau – sie wäre augenblicklich Freiwild. Sondern als – Mann. Unmöglich, schalt sie sich. Wirklich? Warum? War es nicht der zweite Weg? Einer, den sie einschlagen konnte?

Mit einem Ruck zog sie Ides Hose von der Leine und schlüpfte hinein, stopfte ihr wollenes Unterkleid in den Bund. Sie passte zweimal in das Beinkleid. Kurz entschlossen knotete sie eine leere Wäscheleine ab, band sie sich um die Hüfte, krempelte die viel zu langen Hosenbeine bis zu den Knöcheln hoch. Sie sprang zweimal auf und ab. Die Hose rutschte nicht. Dafür wippten ihre Brüste. Flugs entledigte sie sich ihres Unterkleides, nahm Bindentücher von der Leine und wickelte ihren Busen fest an ihren Körper. Es tat gut zu handeln. Alles war besser, als Hinrichs Frau zu werden. Sie streifte ihr Wollkleid wieder über, raffte es erneut in den Bund, blickte an sich herab und war noch nicht zufrieden. Sie nahm Ides Hemd von der Leine, zog es an. Es war wie die Hose zu weit und zu lang, aber es verbarg ihre weiblichen Formen. Als sie nach ihrem Bündel griff, fielen ihr die langen Haare über die Schultern. Sie nahm eine Locke in die Hand. Sie mussten ab, wenn sie als Mann fliehen wollte. Seit jeher verdeckten Haare ihre leicht abstehenden Ohren und waren laut Magda das einzig Ansehnliche an ihr. Unentschlossen zwirbelte sie eine Locke zwischen ihren Fingern, überlegte: Ihre Haare würden nachwachsen. Ihr Mut, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, kehrte vielleicht nie wieder.

Sie brauchte eine Schere. Dafür musste sie in die Küche, da die einzige des Hauses dort in Magdas Banktruhe lag. Hastig legte sie sich ihren Wollumhang um und schulterte ihr Bündel. Ihre Holzschuhe in der Hand, schlich sie im Dunkeln auf Zehenspitzen die Treppe hinab. Stieg über die Stufen hinweg, von denen sie wusste, dass sie knarzten. Sie lebte hier schon lange genug, um zu wissen, welche das waren.

Im Erdgeschoss angekommen, wandte sie sich zur Küche, öffnete leise die Tür. Im fahlen Mondlicht sah sie die Truhe neben dem Kamin, ging auf sie zu, hob den Deckel hoch. Gerade steckte sie die Schere in ihr Bündel, da spürte sie hinter sich eine Bewegung. Catharina wirbelte herum.

Da stand Ide. »Was machst du hier?«, knurrte er sie an. Sein Blick glitt über ihren Oberkörper. »Wieso trägst du das?« Er hatte sein Hemd erkannt.

Mit einem Satz wollte sie an ihm vorbei aus der Küche stürzen. Seine Handkante traf sie brutal ins Gesicht, ließ sie gegen eine Steinkante des Kamins stürzen. Schmerz durchfuhr ihren Rücken und nahm ihr den Atem. Einen Herzschlag zu lang, denn Ides Blick glitt über das Hemd zur Hose, erkannte auch diese. Außer sich packte er sie am Arm. Sie riss sich los, stolperte nach vorn. Ihre Hand bekam den Schürhaken zu fassen. Sie schleuderte ihren Arm nach hinten und knallte Ide den Eisenstab an die Schläfe. Der Knecht taumelte, fiel vornüber. Dabei krachte seine Stirn gegen die Tischkante, und er sackte in sich zusammen. Dann rührte sich Ide nicht mehr. Aus der Stirnwunde sickerte Blut. Bange beugte sich Catharina über ihn. Zu ihrer Erleichterung hob sich in diesem Moment sachte sein Brustkorb. Er lebte. Noch. In ihrem Kopf pochte nur ein einziger Gedanke: Nichts wie weg hier! Weg! Weg! Weg!

»Catharina! Bist du das?«

Mit dem Schürhaken in der Hand drehte sie sich zur Tür. Zu ihrer Erleichterung stand allein Berne im Türrahmen.

»Was machst du? … Und wie siehst du denn … Oh mein Gott.« Berne entdeckte Ide auf dem Boden, hinkte zu ihm.

»Ich wollte das nicht«, stammelte sie, »ich hab seine Sachen gestohlen, wollte fliehen. Er hat mich überrascht.«

Mit zwei Fingern prüfte Berne Ides Puls. Dann drückte er ein Tuch auf die Wunde, um die Blutung zu stoppen. Er sah sie ernst und besorgt an. »Du musst weg. Und zwar schnell.«

»Aber wohin denn?« Catharina schluchzte auf. »Ich wollte fliehen, aber es ist doch unmöglich. Eigentlich.«

»Das hättest du dir vorher überlegen müssen.« Berne rappelte sich hoch, nahm sie in die Arme. »Du musst raus aus Lübeck. Was ist, wenn er stirbt?«

Catharina begann leise zu weinen. Berne drückte sie fest. »Du hast keine andere Wahl.« Er ließ sie los, nahm seine Wollmütze aus dem Hosenbund und zog sie ihr über den Kopf. »Geh!«

»Ide soll nicht sterben.«

»Darum kümmer ich mich, sobald du weg bist.«

»Was wird mit dir?«

»Ich komm klar«, versicherte er ihr.

Immer noch stand sie reglos da, weinte.

»Verschwinde endlich«, drängte er sie, »ich will dich nicht am Pranger sehen. Oder gar am Galgen.«

Catharina stierte ihn an. Er hatte recht. In seinen Augen sah sie die Verzweiflung, die sie selbst fühlte. Das Leben hatte für sie entschieden. Die Flucht, zuvor der zweite Weg, war der erste geworden. Sie musste gehen. Jetzt.

Im Schutz der Häuser rannte sie durch die menschenleeren Gassen. Dabei klapperten ihre Pantinen verräterisch laut auf den Pflastersteinen, und sie blieb stehen, um sie auszuziehen. Barfuß hastete sie weiter. Catharina kannte einen verlassenen Schuppen bei der Bäckerei hinter der Marienkirche. Dort wollte sie sich verstecken, bis die Stadttore am Morgen geöffnet wurden. Sie konnte nur hoffen, dass bis dahin weder Ide zu sich gekommen war noch Magda ihn gefunden hatte. Ansonsten würde der Büttel sie an den Toren erwarten.

Und wenn Ide sterben würde oder gar schon tot war? Sie zwang sich durchzuatmen. Ruhig musste sie bleiben. Einen Schritt nach dem nächsten machen.

Sie erreichte den Schuppen. So leise es ging, drückte sie die schiefe Holztür auf, schlüpfte hinein. Es stank zwar nach Urin, aber er war wie erhofft leer. Mit zitternden Fingern entnahm sie ihrem Bündel die Schere, zog die Mütze ab, strich sich über die dicken Haare und umfasste zögerlich eine ihrer braunen Locken. Es musste sein, so schwer es ihr fiel, sich von ihren Haaren zu trennen. Sie nahm einen tiefen Atemzug, hielt die Strähne hoch, setzte die Schere kurz oberhalb ihres Kopfes an. Beherzt schnitt sie sie ab, dachte dabei an Berne. Sie sehnte sich nach dem Freund, den sie im besten Fall nie wiedersehen würde. Ein klägliches Stöhnen entrang sich ihrer Kehle. Was nur hatte sie getan? Sie griff zur nächsten Strähne, um ihr begonnenes Werk zu vollenden. Locke um Locke fiel lautlos auf den Boden. Als sie fertig war, fuhr sie sich mit den Händen durch die igelstachelkurzen Haare. Dann klaubte sie ihre Locken vom Boden und stopfte sie in ihr Bündel. Sie würde sie vor der Stadt entsorgen, um unnötige Spuren zu vermeiden.

Wohin sollte sie gehen? Sie wusste es schlicht nicht und wollte darüber jetzt nicht nachdenken. Sie nahm die Schere und kürzte stattdessen ihr Unterkleid. Erst einmal musste sie aus der Stadt raus. Dazu mussten sich die Tore öffnen, und kein Büttel durfte sie an denselben erwarten.

Catharina hatte den Gesang des Nachtwächters noch dreimal vernommen und war vor Angst und Kälte ganz zittrig, als endlich die kalte Winternacht in einen ebenso frostigen Morgen umschlug. Leben kam in die eben noch ruhige Gasse. Ein Hahn krähte, und Holzschuhe klapperten auf dem Pflaster. Catharina öffnete die Tür des Schuppens einen Spaltbreit, sah einen Laufjungen die kleine Gasse hinabgehen. Sie schaute noch mal nach links, um sicherzugehen, dass niemand sie beobachtete, dann wagte sie sich aus dem Schuppen hinaus. Immer nah an den Häuserwänden entlang ging sie Richtung Markt. Zwei Mägde, ihre Wolltücher eng um sich geschlungen, bogen vor ihr in die Gasse ein. Sie passte ihren Schritt den beiden an, blieb hinter ihnen. Immer mehr belebten sich die Gassen. Müde Blicke streiften sie, aber zu ihrer Erleichterung blieb keiner an ihr hängen.

Sie hatte kaum den Marktplatz erreicht, da hörte sie schwere Schritte. Instinktiv drückte sie sich in einen Häusereingang. Ein Dutzend Soldaten gingen an ihr vorbei. Die Augen starr nach vorn gerichtet, marschierten sie zur Mitte des Platzes. Catharinas Herz klopfte ihr bis zum Hals. Mit ängstlichem Blick beobachtete sie, wie sie sich teilten und an den Ecken postierten.

»Hör meine Worte. Heute verkünden sie die Steuererhöhung«, sagte eine Frau im Vorbeigehen zu ihrem Mann. Catharina griff sich an den Hals. Wenn das stimmte, konnte es sein, dass die Tore gar nicht geöffnet wurden, um keine Aufwiegler in die Stadt zu lassen. Bitte nicht, flehte sie stumm und eilte über die hintere Gasse zum Holstentor.

Zu ihrer Erleichterung stand das erste der vier Tore, die die Hansestadt im Westen vor Angreifern schützen sollten, offen. Eine Wache hatte ein Fuhrwerk mit zwei Ochsen angehalten. Eine weitere stand hinten an der Ladefläche und stieß mit ihrer Hellebarde ins Heu, das der Wagen geladen hatte.

»Wenn ich’s euch sage … Ich will doch nur die Stadt verlassen«, murrte der hagere Fuhrmann mit belegter Stimme. »Ich bin kein Schmuggler. Ich bin Händler.«

Während sie an dem Mann mit eingezogenem Kopf vorbeiging, fiel ihr sein dünnes Ziegenbärtchen auf. Sein Schlapphut saß schief auf seinem Kopf. Seine ganze Erscheinung deutete darauf hin, dass er am Abend zuvor zu tief ins Glas geschaut hatte.

Unbehelligt schritt sie an der kleinen Gruppe durch das schlichte Fachwerktor vorbei auf die Holstenbrücke, die über die Trave führte. Zügig ging sie stadtauswärts, überholte andere Reisende, hastete weiter durch das Mittlere zum Äußeren Holstentor.

Sie schöpfte gerade Hoffnung, unbehelligt aus der Stadt zu kommen, da sah sie eine Frau neben vier Wachen am letzten des von hohen Wällen umgebenen Tores stehen. Instinktiv schreckte sie zurück, versteckte sich hinter einer Statue, lugte vorsichtig durch die steinernen Beine eines verewigten Ratsherren hindurch. Es war tatsächlich Magda, die prüfende Blicke auf jeden aus der Stadt gehenden Reisenden warf. Sie hatte Ide demnach gefunden – tot oder lebendig. Catharina wusste, dass sie an ihr nicht unerkannt vorbeikommen würde, weder als Mädchen noch als Junge. In ihrer Angst drehte sie um und strebte wieder in die Stadt. Sie musste es am nördlichen Burgtor versuchen. Doch was, wenn dort auch jemand auf sie wartete?

Das Fuhrwerk mit dem hageren Mann kam ihr entgegen. Ganz allein. Nur sie und er waren auf der Brücke. Er beachtete sie nicht, hielt sich den Kopf. Das war ihre Gelegenheit. Sie blieb stehen, ließ den Karren vorbeiziehen. Behände zog sie sich auf die Ladefläche, verblieb kurz reglos in der Hocke. Der Schlapphutträger saß nach wie vor in sich zusammengesunken auf dem Bock. Sie kroch an der Wandseite neben einer länglichen Holzkiste bäuchlings unter das raschelnde Heu und dankte zum ersten Mal in ihrem Leben der Trunkenheit der Männer und dem damit einhergehenden Jammerkater samt benebelten Sinnen. Kaum hatte sie Heu über ihren Kopf gehäuft, hörte sie schon die Wache. »Halt! Wohin willst du?«

»Das haben mich die anderen doch schon gefragt«, sagte der Fuhrmann ein wenig pampig, »nach Hamburg.«

»Bist du durchsucht worden?«

»Ja, dahinten am Tor. Haben ihre Speere ins Heu gesteckt. Was ist denn los?«

»Hast du ein Mädchen oder einen Jungen gesehen?« Das war eindeutig Magdas Stimme. Catharina wagte unter dem Heu kaum zu atmen.

»Deshalb stochert ihr mit euren Fleischspießen rum«, stellte der Fuhrmann fest. »Ein Mädchen hätt ich gern neben mir. Aber was willst du mit ’nem Jungen, holde Alte? Nimm doch mich. Diether aus Vreden.«

»Säufer«, antwortete Magda barsch.

»Na, na, na, nur ein bisschen«, sagte der Fuhrmann und kicherte. »Ich kann eh nicht treu sein. Verzeih!«

»Solche wie dich kenn ich zur Genüge! Unnütz bis auf die Knochen.«

»Ja, ja Knochen. Da hast du recht!« Wieder kicherte der Fuhrmann, der Diether hieß.

Catharina zitterte so sehr vor Angst, dass sie das Heu über ihr anflehte, nicht zu wackeln und sie zu verraten. Sie drückte sich fester an die Kiste, um Halt zu haben.

»Fahr ab!«, befahl die Wache. »Los!«

»Wohl denn. Leb wohl! Lebt alle wohl.«

Das Fuhrwerk setzte sich in Bewegung. Catharina kniff die Augen zusammen wie ein kleines Kind, das nicht entdeckt werden wollte, presste sich an den Boden, hoffte inständig, dass nichts von ihr zu sehen war. Das Fuhrwerk ratterte über die Steine, durch das Tor, hinaus aus der Stadt.

Erst als das Rattern der Räder in Knirschen übergegangen war und Catharina mit Sicherheit wusste, dass sie über einen gefrorenen Weg fuhren, schob sie das Heu über ihrem Kopf vorsichtig zur Seite und sah über die Halme hinweg, wie sich Lübecks Silhouette entfernte.

3. KAPITEL

Sie konnte nicht sagen, wie lange sie bereits den Weg neben der Trave Richtung Westen entlanggezuckelt waren, aber Lübeck war schon länger außer Sicht. Einige Male hatte sie abspringen wollen. Doch nicht nur die klirrende Kälte und das angenehm warme Heu hielten sie ab. Die durchwachte Nacht zollte ihren Tribut: Sie konnte kaum die Augen offen halten. Und sie hätte auch geschlafen und Kraft geschöpft, wenn sie nicht unentwegt über ihre jämmerliche Situation hätte nachdenken müssen. Keine Münzen, kein Essen und Trinken, kein Ziel. Sie hatte zuerst aus der Stadt gewollt. Nun war sie es.

Die Trave hob sich schwarz von den mit Eistropfen überzogenen Grasufern ab, floss träge zurück gen Lübeck. Selbst der Fluss kannte seine Richtung. Nur sie wusste nicht, wohin. Vor dem nächsten Ort musste sie abspringen. Die Gefahr war zu groß, dass der Fuhrmann anhalten und sie entdecken könnte. Wenn sie sich an die Erzählungen der Reisenden in Magdas Gaststube richtig erinnerte, müsste das nächste Dorf Reinfeld mit seinen Karpfenteichen sein.

Nach ein paar Flussbiegungen änderte sich die Landschaft. Bäume und Sträucher säumten nun statt des winterkalten Grases den Weg. Über Nacht hatte der Frost sie mit Raureif überzogen, und die blattlosen, mit Tausenden winzigen Eiskristallen übersäten Äste blitzten im heraufsteigenden Sonnenlicht wie einzelne Diamanten. Catharina blickte fasziniert in das Glitzerspiel, befreite sich aus dem Heu.

»Wen zum Deifel haben wir denn da?«

Ertappt fuhr sie in der Bewegung herum, verlor das Gleichgewicht und fiel rücklings ins Heu.

»Bist du der Junge, den sie suchen?« Diethers gerötete Augen in dem schmalen Gesicht blickten eher neugierig als wütend.

Anstelle einer Antwort starrte Catharina ihn mit großen Augen an, unfähig, sich zu bewegen.

»Was hast du ausgefressen, dass die Alte dich gesucht hat?«, fragte er weiter, schaute sie unverwandt an.

»Nichts«, sagte sie laut und deutlich. Sie hielt seinem Blick stand, strich sich mit dem Handrücken jedoch verlegen über die Stirn und rappelte sich auf.

»Glaub ich nicht. Spuck’s aus.«

»Ich sollte heiraten«, vertraute sie ihm einen Teil der Wahrheit an.

»Das ist alles?« Der Fuhrmann brach in Gelächter aus. Ein Spinnennetz von Falten durchzog sein Gesicht, ließ ihn älter aussehen als die dreißig Lenze, auf die sie ihn schätzte. »Etwa das Mädchen, das sie gesucht hat? War das ihre Tochter, die du sitzen gelassen hast?«

Catharina nickte. »So ungefähr.«

»Na, die scheint auch weggelaufen zu sein. Egal. Hab ich auch schon gemacht«, bekannte er, »allerdings wünsche ich mir manchmal große Brüste, an denen ich mich wärmen kann.«

Catharina sprang vom Wagen. »Hab Dank fürs Mitnehmen.«

»Warte mal!«, rief er. »Mein Schädel brummt, und ich würde gerne schlafen. Du kämst mir gerade recht, den Karren zu lenken.«

Das Angebot traf sie aus heiterem Himmel, und sie wusste nicht recht, was sie damit anfangen sollte. Unschlüssig starrte sie ihn an, während der Fuhrmann sich über seinen kümmerlichen Bart strich und auf eine Antwort wartete. Anscheinend dauerte ihm ihr Schweigen zu lang. »Nun denn.« Er hob die Zügel, und die Vierbeiner setzten sich in Bewegung.

Catharina sah dem Fuhrwerk mit einem Gemisch aus Bedauern, nun selbst laufen zu müssen, und Erleichterung, dass Diether ihr nichts angetan hatte, hinterher. Wenn sie es genau nahm, schwang auch ein Funken Stolz mit. Der Fuhrmann hatte nicht daran gezweifelt, dass sie ein Junge war.

Sie hörte, wie er ein Lied anstimmte. Ob es die Melodie war, ihre Müdigkeit oder sein Ziel Hamburg – die Hanse, die groß genug war, dass man dort selbst im Winter Arbeit finden konnte –, ihre Beine setzten sich wie von selbst in Bewegung. »Warte!« Und dann noch mal lauter mit verstellter Stimme. »Warte!«

Diether hatte sie anscheinend gehört, denn er hielt das Gespann an.

»Hast es dir wohl anders überlegt«, klang es spöttisch aus seinem Mund, als sie neben dem Wagen stehen blieb.

»Ja.« Ein weißes Atemwölkchen bekräftigte ihren Entschluss.

»Wie heißt du, Milchgesicht?«, fragte er sie.

Über einen Namen hatte sie nicht nachgedacht. Sie kaute auf ihrer Unterlippe, straffte nach kurzem Überlegen die Schultern. »Berne heiß ich, mein Herr.« Der Name des alten Knechts und einzigen Freundes kam ihr erstaunlich flüssig über die Lippen.

»Mein Herr, so was.« Der Fuhrmann gluckste. »Diether reicht.«

Er reichte ihr eine schwielige Hand, die sie übersah. Stattdessen zog sie sich allein auf den Bock. Von hier oben sahen die breiten Rücken der Ochsen furchteinflößend aus. »Ich hab noch nie ein Gespann gelenkt.«

»Dann wird’s Zeit, dass du’s lernst.« Er drückte ihr die Zügel in die Hand, legte sich ins Heu auf der Ladefläche und zog eine Decke über sich. »Weck mich, wenn wir in Nützschau sind.«

»Woran erkenne ich den Ort?«

»An einem Haus mit drei Giebeln.« Diethers Stimme klang schläfrig.

Catharina hob die Zügel angespannt hoch. Nichts geschah, außer dass die Tiere mit den Ohren wackelten. Sie wandte sich nach hinten. »Wie kriege ich sie zum Laufen?«

»Hüh«, erscholl es von hinten, und die Ochsen setzten sich in Bewegung. Erst langsam, dann immer schneller. Catharina drückte ihre Füße fest auf den Boden des Kutschbocks, als könnte sie sich mit ihnen festklammern, und sah auf die stämmigen Vierbeiner.

»Und wenn sie durchgehen?« Sie riss an den Zügeln.

»Das machen die nie«, nuschelte Diether, »lass die Zügel einfach locker!«

Catharina wagte es. »Und wie kriege ich sie zum Halten?«

»Du fragst zu viel«, murrte er. »Lass jetzt gut sein!«

Mit hochgezogenen Schultern starrte sie abwechselnd auf die Rücken der Tiere und den Weg vor ihr. Die Ochsen fanden in einen gemächlichen Trott und zogen den Karren sicher durch die tiefen Furchen, die die vielen Wagen über die Jahre hinweg in den Boden gedrückt hatten. Sie lockerte ihren steifen Rücken. »Du hattest recht, Diether! Sie gehen von alleine!«

Als Antwort erhielt sie nur ein Schnarchen.

Erst als die Dämmerung hereinbrach, erreichte das Fuhrwerk das von Diether beschriebene Herrenhaus.

»Wir sind da!«, rief sie nach hinten.

Diether kroch zu ihr nach vorn, nahm ihr die Zügel aus der Hand und fuhr am Haus vorbei.

»Machen wir keine Rast?« Catharina konnte ihre Enttäuschung nur mühsam verbergen, musste sie doch dringend Wasser lassen.

Anstelle einer Antwort lenkte Diether den Wagen einige Biegungen weiter bis zu einem kleinen Teich neben einem Waldrand. »Hier schlagen wir unser Lager auf!«

»Ich sammle Holz fürs Feuer«, beeilte sie sich zu sagen und schritt davon, bevor Diether etwas entgegnen konnte. Hinter dem erstbesten Baum erleichterte sie sich. Sie hatte gehofft, im Ort übernachten zu können, mit vielen Menschen in einem Gastraum oder in einem Stall. Hier im Freien war sie mit Diether allein. Der Gedanke ängstigte sie. Keinesfalls jedoch durfte sie ihre Furcht zeigen, sie musste sich möglichst unbekümmert geben, obwohl ihr leerer Magen ihre Stimmung zusätzlich drückte.

Mit einem Bündel dünnerer und dickerer Äste kehrte sie zu Diether zurück, der bereits die Ochsen ausgespannt hatte. Während er ein Feuer entzündete, tränkte sie die Vierbeiner und streute ihnen Heu vor. Dabei schielte sie zu dem Eisentopf, den Diether über das Feuer gehängt hatte. Er ließ eine Speckschwarte in der Hitze auslaufen. Dann schnitt er Weißkohl und Rote Bete hinein. Der Duft des Gebratenen ließ Catharina ihren Hunger noch mehr spüren.

Am Teichrand standen ein paar vertrocknete Rohrkolben. Sie riss einige der dicht über dem Boden wachsenden Erdsprossen heraus und wusch sie im kalten Wasser. Sie würde sie gut kauen und ihren gröbsten Hunger stillen.

»Jetzt komm schon her. Ich merk doch, wie du immer wieder herstierst!« Diethers Stimme ließ keinen Zweifel zu. »Du hast dich nützlich gemacht, kannst mitessen. Wenn wir morgen in einem Dorf sind, musst du dein Essen selbst verdienen. Oder kannst die da essen.« Dabei zeigte er auf ihre Wurzeln.

Bevor er es sich anders überlegen konnte, setzte sich Catharina rasch zu ihm. Sie verschlang die Portion, die er ihr reichte, während Diether seine mit Genuss aß. Immer noch hungrig, schielte sie auf seinen Teller. Er fing ihren Blick auf und reichte ihr ein Stück Brot. »Ihr Jungen habt doch immer Hunger.«

Dankbar nahm sie das Stück und wischte das letzte bisschen Fett aus der Holzschüssel.

Nachdem auch Diether den letzten Bissen vertilgt und mit einem großen Schluck hinuntergespült hatte, nahm Catharina die Schüsseln und die Pfanne. Sie ging zum Teich und ließ sich Zeit, das Geschirr im Wasser zu säubern. Keinesfalls wollte sie mit Diether reden, geschweige denn Fragen beantworten.

Doch dieser schien keine zu haben, holte Decken aus der Holzkiste und warf ihr eine zu. »Ich schlafe am Feuer. Kannst du auch machen, wenn du willst.« Er legte seine Decken auf den Boden, machte es sich darauf bequem und legte sein Messer neben sich. »Falls du doch ein Dieb bist. Gar ein Mörder«, sagte er leichthin.

Anstelle einer Entgegnung stellte sie das Geschirr neben das Feuer.

»Weißt du, warum ich glaube, dass du kein Mörder bist?« Er blickte sie an. »Weil du Angst vor mir hast. Selbst wenn ich ’nen Brummschädel habe.« Wie zur Bestätigung seiner Worte trank er erneut aus dem Lederbeutel. »Und wenn du einer wärst«, fuhr er fort, »auf Messer versteh ich mich.« Mit einem zufriedenen Rülpser drehte er ihr den Rücken zu.

Catharina nahm die Decke, suchte sich am Waldesrand einen Ast und kroch unter den Wagen. Den Stock legte sie neben sich. Sie wollte gewappnet sein, wohl wissend, dass ein Messer immer stärker war als bloße Muskelkraft. Dann entnahm sie ihrem Bündel auch noch ihre Schere und umschloss sie fest, obwohl ihr bei dem Gedanken unheimlich wurde, sie als Waffe einzusetzen.

Catharina schreckte hoch und stieß mit dem Kopf an den Karrenboden. »Verflucht.« Sie rieb sich den schmerzenden Kopf. Sie war eingeschlafen, wie ihr der helle Streifen Morgen im Osten zeigte. Ein kurzer Blick zum Lagerfeuer verriet ihr, dass Diether nicht mehr dort lag. Mit steifen Beinen kroch sie aus ihrem Nachtlager hervor. »Diether?«

Nur die Ochsen muhten hungrig in die Stille.

»Schon gut. Ich hol euch was zu fressen.« Sie stieg mit Hilfe ihres Aststocks auf die Ladefläche, um Heu zu holen. Ihr Blick fiel auf die längliche Holzkiste, an die sie sich gestern gepresst hatte. Sie wusste, dass es ungehörig war, aber sie musste sie öffnen. Langsam hob sie den Deckel. Die Kiste, die fast so lang war wie sie, war in mehrere Fächer eingeteilt. In den kleineren Fächern lagen fein säuberlich sortiert bleiche Knochensplitter, fingerlange Knochenstücke, Rückenwirbel. In einem größeren Fach gar ein Oberschenkelknochen. Mit einem entsetzten Aufschrei ließ sie den Deckel fallen, sprang von der Ladefläche und erstarrte in der Bewegung. Diether stand unbeweglich mit ausdrucksloser Miene am Waldesrand. Über seinen Schultern hing ein toter Hase. Sein Messer steckte seitlich im Gürtel. Als ob er nichts beobachtet hätte, trat er neben sie. »Endlich aufgestanden?« Er hängte den Hasen an einen Haken, der an der Karrenwand angebracht war. Ohne eine Antwort abzuwarten, schnitt er mit seinem Messer das Fell entlang der Hinterbeine auf.

Catharina starrte auf seine geübten Hände, die den Hasen häuteten.

»Was ist los?«, fragte er sie, ohne aufzuschauen.

Catharinas Beine waren wie mit dem Boden verwachsen.

»Gestern konntest du gar nicht genug Fragen stellen?«

»Ich … ich …« Sie verstummte.

»Glaubst wohl, deine Knochen liegen auch bald in der Kiste.« Das abgezogene Fell in seiner Hand machte ihr eine Antwort nicht leichter.

Ihre Hände zitterten. Dennoch hob sie ihren Stock vor sich, wünschte sich, die Schere ebenfalls in den Händen zu halten.

Diether zuckte mit den Schultern. »Ich hätte dich im Schlaf meucheln können.«

»Was sind das für Knochen?« Sie hörte selbst, wie zittrig ihre Stimme klang.

»Endlich eine Frage.« Sein spöttischer Unterton verriet ihr, dass er sich über sie lustig machte. »Die sind von St. Franziskus für den Frieden oder St. Liborius gegen Krankheiten. Oder von wem immer du willst.« Er sah sie an. »Ich verkaufe Reliquien.«

»Knochen von Heiligen?«

»So viele Heilige gibt’s gar nicht. Die hier sind von Schweinen, Hasen, Katzen.« Diether grinste sie an, während Catharina langsam begriff, dass Diether betrog.

»Du verkaufst den Gläubigen Tierknochen?«, hakte sie deutlich weniger verunsichert nach.

»Ich gebe ihnen, das, was sie brauchen: den Glauben an Wunder.«

»Was ist mit Gott?« Catharina biss sich auf die Zunge. Die Frage war lästerlich.

»Gott wird es verstehen. Ich muss ja von was leben. Dich haben gestern die Münzen für einen Hundeknochen satt gemacht.« Er giggelte. »Hab ihn als Finger der heiligen Elisabeth verkauft.«

Er nahm den Hasen, ging zum Feuer. Der Weg war frei, sie konnte fliehen. Gleichwohl schaute sie ihm hinterher, zugleich bewundernd und abgestoßen. Diether hängte den Hasen über die Glut, dann drehte er sich gemächlich um. Mit seinem Bart und dem Schlapphut sah er eher wie ein schrulliger Kauz denn wie ein Verbrecher aus. Gleichmütig sah er sie an. »Nun hab dich nicht so. Kümmer dich um die Ochsen. Dann komm frühstücken«, forderte er sie auf. »Hamburg wartet. Oder willst du nicht mehr mit?«

Er schien ihre Gedanken zu lesen. Mit einem Betrüger wollte sie nichts zu tun haben. Wie schnell konnte Diether sich in Schwierigkeiten bringen und sie mit, wenn sie sich in seiner Gesellschaft befand. Andererseits war das Reisen zu zweit sicherer.

Bis Hamburg waren es keine zwei Tage mehr. Dort konnte, nein, würde sie sich absetzen. Bis dahin, so beschloss sie, wollte sie das Wagnis seiner Gesellschaft eingehen.

Sie sprang auf die Ladefläche und warf Heu hinab.

Diether begleitete ihr Tun mit einem gefälligen Kopfnicken. »Sag mal, Berne: Willst du in Hamburg als Seemann anheuern?«

»Wie kommst du darauf?« Die Frage überraschte sie.

»Na, Abenteuerlust. Neue Welten entdecken. Was junge Männer so antreibt.«

»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht«, sagte sie wahrheitsgemäß, während sie den Ochsen das Heu vorschüttete.

»Tu es nicht.«

»Den Ochsen Heu geben?«

»Nein, zur See gehen. Nur einer von dreien kommt zurück.« Er richtete sich auf. »Bleib bei mir. Ich weih dich in die Geheimnisse der Reliquien ein. Mache aus dir einen Reliquienjungen.«

Ruckartig wandte sie sich ihm zu. »Ich soll bei dir bleiben?« Diether verblüffte und verwirrte sie wieder.

»Für mich passt’s. Auf Reisen kann ich abends trinken und tagsüber schlafen, wenn du die Tiere lenkst«, lautete seine pragmatische Antwort. »In den Dörfern und Städten ziehen wir zusammen von Haus zu Haus, verkaufen die Knochen.«

Sie spürte, wie sein Blick auf ihr lag. »Du erhältst freie Kost im ersten halben Jahr. Dann sehen wir weiter. Überleg’s dir.« Er wandte sich wieder dem Feuer und der Eisenpfanne zu. In ihrem Kopf schwirrten die Gedanken hin und her, während sie sich zu ihm setzte. Mit einem munteren Lächeln zeigte er auf eine Keule. »Das wird deine erste Aufgabe bei mir sein. Wenn das Teil durch ist, musst du es sauber bis auf die Knochen abnagen. Es könnten die vom heiligen Ansgar werden.«

4. KAPITEL

Nach einem frostigen Tag und einer noch kälteren Nacht erreichten sie Hamburg. Catharina hatte noch nie zuvor solch hohe Mauern und Bastionen gesehen, geschweige denn Erdwälle, in denen Hunderte von spitzen Holzpfählen steckten.

»Nicht wahr, sieht einschüchternd aus?« Diether hatte ihre Blicke bemerkt. »Hat Hamburg im Großen Krieg vor Feinden gerettet. Ganz schön schwer, da Sturmleitern anzulegen.« Er fuhr in die Stadt hinein und lenkte den Wagen geschickt durch die Menschen auf der Straße.

Catharina musste sich eingestehen, dass sie weder die Gerüche von Urin und Verrottendem vermisst hatte, obwohl diese im Winter erträglicher waren als im Sommer, noch die Körperausdünstungen vieler auf einem Ort zusammengeballter Menschen. Auch die Geschäftigkeit der dahineilenden Frauen und Männer war ihr nach den Tagen auf der Straße zu viel. Der Bäckerjunge mit dem Mehlsack auf dem Rücken, die Mutter mit dem schreienden Kind an der Hand. Sie fuhren an einer Frau vorbei, deren wohlgerundete Proportionen unter dem Wollumhang sichtbar waren.

»Heute Nacht wärme ich mich nicht nur am Feuer«, sagte Diether frohlockend. »In Hamburg gibt es gute Weiber.«

Seine einfach dahergesagten Worte trafen Catharina mehr, als sie sich eingestehen wollte. Selbst wenn sie bei Diether hätte bleiben wollen, es war unmöglich. Irgendwann würde ihr Schwindel auffliegen.

Diether hielt den Karren vor einem abseits gelegenen Gasthaus an. »Ich weiß, dass du gehen willst.« Catharina rutschte auf dem Bock hin und her, verfluchte seine Fähigkeit, ihre Gedanken zu lesen.

»Bevor du fragst, woher ich das weiß: Wenn du bleiben wolltest, hättest du’s gesagt. Aber ich sag dir eins.« Er drehte ihr Kinn zu ihm und zwang sie, ihm in die Augen zu schauen. »Du bist mir einen Markttag schuldig. Danach kannst du gehen.« Diether gab ihr die Zügel in die Hand. »Kümmer dich um die Tiere.« Er sprang vom Bock und verschwand in eine enge Gasse, in der Catharina die Bordelle vermutete.

Im Stall und im Wirtshaus herrschte kein Betrieb, weshalb sich keine Möglichkeit bot, ein paar Pfennige für das Abendessen zu verdienen. Sie versorgte Diethers Ochsen und machte sich dann auf, am Hafen Arbeit zu suchen. Auch wollte sie sich mit der Stadt vertrauter machen, sehen, wo sie ab morgen bleiben würde. Vor allem entscheiden, ob als Mann oder Frau.

Ihr Weg führte sie durch die Deichstraße. Gleich zu Anfang roch sie den Duft von Gewürzen, nussig und holzig. Sie blieb stehen, sog den fremdartigen wohlriechenden Geruch ein, der aus einer offen stehenden, gut mannshohen Holztür drang. Große Säcke standen entlang der Steinwände des rechteckigen Gewölberaumes. Auf jedem Sack waren die gleichen Zeichen gedruckt: ein nach oben offenes Dreieck, dessen linker Schenkel deutlich dicker war als der rechte. Auf dem linken Schenkel war ein O aufgedruckt. Diesen Buchstaben kannte Catharina, genauso wie das C, das den rechten Schenkel des Dreiecks durchschnitt. Das nach oben offene Dreieck sagte ihr nichts. Ganz eindeutig war jedoch, dass der Inhalt der Säcke die Ursache des wunderbar exotisch anmutenden Duftes war.

Zwei in feinstes schwarzes Tuch gekleidete Männer standen an einem geöffneten Sack. Der jüngere, dessen gepflegter Bart auf einem runden weißen Spitzenkragen ruhte, entnahm diesem eine nussartige Kugel und reichte sie dem älteren. Zum ersten Mal in ihrem Leben sah Catharina eine Muskatnuss. Sie hatte von dieser in Magdas Gaststube gehört. Reisende hatten von dem Gewürz erzählt, weswegen der Niederländer Jan Pieterszoon Coon fast ein ganzes Inselvolk auf den Banda-Inseln ausgerottet hatte, um seiner Heimat das Monopol an dieser seltenen Nuss und damit unermesslichen Reichtum zu sichern.

Der Kaufmann roch an der Nuss, schabte mit seinem Messer einen winzigen Span ab. Diesen steckte er in seinen Mund, kaute auf ihm. Seine Gesichtszüge entspannten sich.

»Ich habe es doch gesagt. Beste Muskatnote«, pries der Jüngere die Ware an.

»Zu Höchstpreisen«, erwiderte der Ältere. »Wie viele Steine haben die Niederländer dieses Mal in die Säcke gelegt? Diese Calvinisten nutzen jede Gelegenheit, ihren Profit auf Kosten anderer zu mehren.«

»Einige, Vater. Ich habe sie herausnehmen lassen. Und den Sack nachgewogen.«

»Gut gemacht«, lobte der Kaufmann seinen Sohn, dann blickte er zur Tür.

Catharina wich zurück. Zu spät, der Kaufmann hatte sie bemerkt. »Willst wohl stehlen, Bursche?« Er hob die Hand.

Zwei Männer, die bis dahin unsichtbar im hinteren Teil des Lagerraumes gestanden hatten, traten mit Knüppeln in den Händen drohend auf sie zu.

In Windeseile drehte sich Catharina um, rannte, so schnell sie konnte, die Straße hinab. Sie bog um eine Ecke, um noch eine, bis ihr ein Blick über die Schulter verriet, dass sie nicht mehr verfolgt wurde. Sie verlangsamte ihre Schritte und folgte dem Lärm, der sie zum Ufer führte.

Laut rufend bahnten sich Träger mit ihren beladenen Karren einen Weg durch die Menschen. Der Grund für die Betriebsamkeit war ein Dreimaster, der in der wintergrauen Flussströmung am Ende eines Steges lag. Über eine Laderampe am Heck gingen Träger in das Schiff. Auf einer zweiten kamen sie mit Säcken und Fässern beladen wieder an Land und reihten sich in eine Schlange vor eine Hängewaage ein, die an einem Kontorhaus angebracht war. An dieser stand der Hafenmeister, kontrollierte das Wiegen und bestimmte den Warenzoll, der an die Stadt zu entrichten war. Kaufleute drängten sich um ihn oder ließen sich von schwarz gekleideten Männern den Inhalt der Säcke und Fässer zeigen.

An den Masten und am reich verzierten Heck des am Kai festgezurrten Schiffes wehte jeweils eine rot-weiß-blau quer gestreifte Fahne. In dem weißen Streifen erkannte Catharina erneut die Buchstaben O, C und das ihr unbekannte nach oben geöffnete Dreieck. Sie stellte sich neben einen sommersprossigen Jungen, der zum Schiff starrte. »Was ist das für ein Segler?«, fragte sie ihn in der Hoffnung, dass er es wusste.

»Ein Ostindienfahrer der VOC«, erklärte der Junge voller Elan.

»VOC?«, fragte Catharina, der der Name nichts sagte, doch das nach oben offene Dreieck musste demnach ein V darstellen.

»Die Vereenigde Oostindische Compagnie. Niederländer. Die suchen Leute. Und ich will mit.« Der Junge schaute sie abenteuerlustig an.

»Du willst mit? Warst du schon mal auf See?«, fragte Catharina verblüfft. Der Junge schien kaum den Kinderhosen entwachsen zu sein.

»Nee, aber ’nen hopelooper können die immer gebrauchen.«

»Hopelooper? Was macht der?«

»Alles, was die anderen nicht machen wollen«, erklärte der Junge bereitwillig. »In zehn Jahren bin ich dann Bootsmann oder hab Land. Ganz, wie ich will.«

»Nie und nimmer geht das«, widersprach Catharina ungläubig.

»Bei der Compagnie schon«, erwiderte der Junge firm. »Mein Bruder hat als hopelooper angefangen. Jetzt ist er in Batavia, hat Land. Ich will zu ihm. Das Schiff da, die ›Hoff van Zealand‹«, der Junge zeigte auf den Dreimaster, »segelt in die Kolonie.« Die Begeisterung in seiner Stimme war nicht zu überhören.

»Wo liegt Batavia?« Der Name klang weich und verlockend.

»Hinter Afrika.«

Catharina heftete ihren Blick auf den rot-gelben Löwen am Bug. Dieses Schiff segelte weit weg von ihren Sorgen.

»In Batavia wachsen überall Bäume mit essbaren Früchten. Man muss nur die Hand nach ihnen ausstrecken. Es ist immer warm, schreibt mein Bruder«, schwärmte der Junge weiter.

»Simon!« Ein Mann von kräftiger, wenn auch gedrungener Gestalt rief den Jungen. »Komm!«

»Aye, aye, Koosten.« Simon nickte Catharina zu. »Mach’s gut.«

»Du auch, baldiger hopelooper«, verabschiedete sie Simon, während sie zur Hoff van Zealand blickte. »Batavia«, murmelte sie vor sich hin, »Das klingt nach einem glücklichen Ort.« Sie riss ihren Blick nur mühsam von dem friedlich in der Elbe schaukelnden Schiff los, dann ging sie langsamen Schrittes nachdenklich zurück zum Gasthaus.

Im Gegensatz zum Mittag war das Gasthaus nun gut besucht, wie auch in den Ställen eben mehr los gewesen war, sodass sie sich einige Münzen mit Füttern und Tränken verdient hatte.

Reisende und Händler saßen an Holztischen oder Fässern, löffelten eifrig ihren Eintopf oder unterhielten sich bei einem Krug Bier. Mitten im Schankraum an einem langen Holztisch hatte sich ein knappes Dutzend Seeleute zusammengesetzt. Nur ganz hinten in einer Ecke entdeckte Catharina ein umgedrehtes Fass, an dem noch niemand Platz genommen hatte. Mit tief in die Stirn gezogener Mütze ging sie durch die Stube und setzte sich auf die Bank dahinter an der Wand. Von hier konnte sie den Raum gut überblicken, ohne aufzufallen. Die Seemänner an dem großen Tisch überboten sich gegenseitig mit zotigen Trinksprüchen, denen meist lautes Gelächter folgte. Sie leerten ihre Biere so schnell, dass das Schankmädchen kaum hinterherkam.

Gerade stellte das Mädchen vier Krüge auf den Tisch, als ein Seemann sie um die Hüfte fassen wollte. Geschwind zog sie ihn an seinem blonden Knebelbart und drohte ihm halb spaß-, halb ernsthaft mit dem Finger. Was sie sagte, verstand Catharina nicht, aber die anderen Männer am Tisch lachten und schlugen sich auf die Schenkel. Sie fühlte sich in Magdas Schankstube zurückversetzt. Nur, heute bediente sie nicht. Stattdessen hatte sie im Stall die Arbeit eines Mannes verrichtet. Es war einfach gewesen, sich auf diese Art Kupferpfennige zu verdienen, die nun ihren Eintopf bezahlen würden. Das Schankmädchen trat zu ihr an den Tisch. »Was soll’s sein?«

»Suppe und Bier.« Wie leicht die Worte über ihre Lippen kamen.

Während das Mädchen weitereilte, lehnte Catharina sich zurück und genoss den Moment. Sie hatte zum ersten Mal in ihrem Leben Essen bestellt und nicht das Gemüse dazu geputzt oder geschält.

»Sechzig Mann sind von der Hoff desertiert?« Trotz des Stimmengewirrs der Seemänner hörte sie die heisere Stimme am Nebentisch deutlich und vor allem den Namen des Dreimasters, den sie am Ufer gesehen hatte.

Die Stimme gehörte zu einem dürren Seemann, der ihr zugewandt saß. Das Kopftuch, das er um seinen Schädel geschlungen hatte, verbarg seine Haare, nicht aber das rote Feuermal, das wie ein Vogelgeschiss auf seiner Stirn saß. Sie rutschte näher an die beiden heran, um besser lauschen zu können.

»Aye, Veit. Wollten lieber an Land sterben als unter Käpt’n Drelingcourt.« Die Stimme des Mannes mit dem Rücken zu ihr klang rau vor Anspannung. »Vom zweiten Tag an Wasser und Suppe rationiert. Als scheepskok weiß ich, was wir zu fressen an Bord haben.«

»Mistkerl, dieser Drelingcourt.«

»Ich sag’s dir. Und ein Lügner obendrein. Die Säcke waren ja verschwunden, und drei von uns sollten es gewesen sein«, schimpfte der Schiffskoch weiter. »Drelingcourt ließ die Katze auf ihren Rücken tanzen. Dabei waren sie unschuldig. Wenn Paulus du Maulier nicht gewesen wäre und der Erste Offizier van Stappen, es wäre uns übel ergangen. Sie haben die Vorräte in Drelingcourts Kajüte entdeckt. Der Deifel wollte das Zeug selber verkaufen.«

»Du Maulier?«

»Ein junior merchant der Compagnie.«

»Kenn ich nicht. Aber van Stappen ja, ist ein guter Mann. Bin schon unter ihm gesegelt.«

»Na, dann heuer morgen an. Van Stappen ist unser neuer Käpt’n gen Batavia. Er sucht Matrosen.«

Catharina setzte sich aufrecht hin. Die Hoff suchte Leute und segelte wirklich nach Batavia.

»Allerdings ist Drelingcourts Auge noch an Bord.« In die Stimme des Schiffskochs mischte sich ein anklagender Unterton. »Ein verlogener Hundesohn.«

»Wer ist das?«, fragte der Mann mit dem Feuermal.

Der Schiffskoch beugte sich über den Tisch.

»Hier!« Das Schankmädchen knallte Catharina den Eintopf und den Krug Bier auf den Tisch, wodurch Catharina der Name von Drelingcourts Auge entging.

Zu ihrem Unmut setzten die beiden ihr Gespräch nach vorn gebeugt und leise fort. Da es nichts mehr zu belauschen gab, tauchte sie ihren Löffel in die Suppe und fischte eins der wenigen Fleischstücke heraus. Der salzige Geschmack konnte kaum verdecken, dass das Fleisch nicht mehr zum Verzehr geeignet war. Dennoch kaute sie ausgiebig darauf herum, fischte ein weiteres Stück heraus, das sie zwischen den Steckrüben und Kartoffeln fand. Während sie kaute, trat Diether in die Stube. Mit einem zufriedenen Grinsen kam er auf sie zu, winkte das Schankmädchen herbei und nahm ihr einen Krug Bier aus der Hand.

»Prost!« Diether nahm einen großen Schluck. »Das war gut.«

Ein Rinnsal lief aus seinem grinsenden Mund. Er wischte es weg. »Das Bier. Und das dralle Weib, das mich aufgenommen hat.«

Catharina wusste nichts darauf zu erwidern und zog es vor weiterzuessen. Die Seemänner am langen Tisch stimmten ein Lied an. Diether sah kurz zu ihnen hinüber. »Wollen wir mal hoffen, dass die friedlich bleiben. Mit Hamburger Bütteln ist nicht zu spaßen.« Ungefragt zog er Catharinas Eintopf zu sich heran und nahm einen Löffel. »Schmeckt«, schmatzte er und tauchte den Löffel wieder in den Eintopf.

Catharina musste an sich halten, ihm nicht auf die Finger zu schlagen.

Das Knallen der Schanktür lenkte sie ab. Ein breitschultriger rotblonder Mann mit kantigem Gesicht und vorgeschobenem Kiefer hatte den Raum betreten. Mit geballten Fäusten ging er die Tische ab, schaute den Männern prüfend ins Gesicht.

»Der ist auf Ärger aus«, stellte sie fest.

Diether drehte sich um. »Verfluchter Mist.«

Er machte sich klein, doch der Mann hatte ihn gesehen, steuerte auf Diether zu und zückte schon im Gehen sein Messer.

»Du Drecksschwein«, knurrte der Mann, »hast meiner Dirne ’nen Knochen als Bezahlung gegeben.«

»Ein Finger vom heiligen Ansgar, eurem Stadtpatron«, beschwichtigte Diether. »Sie hat drauf bestanden, mit ihm bezahlt zu werden.«

»’n dreckiger Hundeknochen ist es.« Der bullige Mann warf Diether die vermeintliche Reliquie vor die Füße, während sich Catharina nah an die Wand drückte.

Im Schankraum war es still geworden, und alle Augenpaare waren auf die beiden Streithähne gerichtet.

»Der heilige Ansgar hatte etwas von einem Hund«, versuchte Diether sich herauszureden.

Ohne Vorwarnung ließ der Rotblonde seine Klinge vorschnellen. Behände tauchte Diether unter der Attacke weg, dann sprang er auf und rammte dem Angreifer seinen Ellbogen vor den Kehlkopf. Der Mann taumelte nach hinten, verlor das Messer und fiel röchelnd zu Boden.

»Ich habe deiner Dirne Kupferpfennige angeboten, aber sie wollte die Reliquie.« Diethers Stimme klang gepresst. »Also lass mich in Ruhe. Sonst stech ich dich ab.« Zur Bekräftigung seiner Worte riss er den Rotblonden am Hemd hoch und hielt ihm seinen Dolch an die Kehle. Der Mann stöhnte. Mit einem Seitenblick fuhr Diether Catharina an. »Was sitzt du rum? Nimm sein Messer!«

Hastig stand sie auf, nahm es an sich. Dabei sah sie in die Augen des Rotblonden. Sie sprühten vor Zorn. Diether sah es wohl auch, denn er versetzte dem Mann mit dem Messerknauf einen Kinnhaken. Mit verdrehten Augen sank dessen Kopf zur Seite.

»Los!« Nur zu gern folgte Catharina Diethers Aufforderung und folgte ihm aus der Gaststube.

Kaum standen sie auf der menschenleeren Straße, war es mit Diethers Beherrschung vorbei. Er rannte los. Catharinas Groll auf ihn ließ sie in die andere Richtung losstürmen. Nicht eine Sekunde länger wollte sie mit in seine Betrügereien verwickelt werden.

Ein Schrei gellte durch die Luft, ließ sie zurückschauen. Drei Männer umringten Diether. In ihren Händen sah sie Messerklingen aufblitzen. Rasch duckte sie sich hinter eine Tränke.

»Freunde!« Diethers Stimme klang angesichts seiner Lage überraschend fest. »Lasst mit euch reden! Ich gebe euch Münzen.«

»Die kriegen wir so oder so. Dachtest du, du kommst davon?« Der schneidende Ton der Stimme des Größten der drei ließ Catharina das Blut in den Adern gefrieren. »Wir haben Anweisung, was mit dir passieren soll, wenn du ohne den Fuchs rauskommst.« Er nickte einem der Männer zu. »Geh rein und schau, was mit ihm ist.«

Die Tür der Gaststube quietschte. Der Rotblonde trat auf die Straße. Catharina hielt die Luft an. Der Fuchs genannte Mann hielt sich eine Hand an den Kehlkopf, ging aber aufrecht.

»Wir haben ihn!«, rief der Größte der drei ihm triumphierend zu.

Diether nutzte den Moment, um sich von dem Gauner neben ihm loszumachen. Doch der Dritte im Bunde schien es geahnt zu haben, sprang ihn mit einem wütenden Knurren an. Diether wich zur Seite aus, drehte sich. Zu schnell. Er rutschte auf dem Pflaster aus, stürzte zu Boden und verlor sein Messer, das vor die Füße des Rotblonden rutschte. Zwei der Handlanger rissen Diether an den Armen hoch, hielten sie auf dem Rücken fest, während der Rotblonde aufreizend langsam Diethers Messer aufhob.

»Wo ist denn der Junge?« Seine Stimme war ein heiseres Krächzen.

Catharina fühlte die aufsteigende Panik, hielt sich die Hand vor den Mund.

»Abgehauen«, keuchte Diether.

»Wir haben nur den hier gesehen«, bestätigte einer der Männer, der Diether eisern festhielt.

Der Rotblonde hielt sein Messer an Diethers Kehle. »So, und jetzt rückst du alles raus: Ochsen, Fuhrwerk.«

»Was?« Catharina hörte Diether nach Luft schnappen.

»Deine Schulden sind seit dadrin gestiegen.« Der Rotblonde zeigte mit dem Messer zur Gaststube.

Mit einer Wucht, die Catharina dem hageren Diether nicht zugetraut hätte, riss er sich los und lief kreuz und quer über die Straße in ihre Richtung.

»Bleib stehen, elender Hundsfott!«

Diether lief weiter. Er hatte die Tränke, hinter der sie sich versteckte, fast erreicht, da sirrte etwas durch die Luft. Diether schrie auf, fiel auf die Knie und sank vornüber auf das Pflaster. Sein eigenes Messer steckte in seinem Rücken. Der Rotblonde ging zu ihm.

Catharina presste sich an den Stein, wagte kaum zu atmen. Der Rotblonde stieß Diether an. Dieser rührte sich nicht, kein Zucken, nichts. »Stellst dich tot oder bist es?« Der Fuchs zog das Messer aus Diethers Rücken, drehte ihn mit dem Fuß um. Diethers Arm schwang leblos mit. Catharina musste an sich halten, um nicht aufzuschreien.

»Das passiert Betrügern!« Der Rotblonde spuckte Diether ins Gesicht. Die anderen Männer traten hinzu.

»Was machen wir mit ihm?«, fragte der Große.

»Hebt ihn hoch!«

Die Männer kamen dem Befehl nach.

»Wir finden schon alleine, was ihm gehört.« Der Rotblonde ging vor. »Muss ja im Stall stehen.«

Mit dem Gesicht nach unten zogen die Männer Diether mit. Das Geräusch der Holzpantinen auf dem Pflaster ging Catharina durch Mark und Bein.

In die eben noch leere Gasse bogen zwei Matrosen und gingen den dreien entgegen. »Euer Kumpel hat wohl schon genug gesoffen«, sagte einer der beiden, als sie auf gleicher Höhe waren, und lachte. Die Wunde im Rücken bemerkten sie anscheinend nicht.

»Kann man so sagen«, krächzte der Rotblonde.

Catharina kam es vor, als ob seine Stimme fast vergnügt klang.

»Solche Kameraden braucht man«, sagte der Seemann zu seinem Kumpan, als sie weitergingen. »Welche, die einen nach Hause bringen.«

Während der Rotblonde und seine Helfershelfer Diether weiter den Weg entlangschleiften, gingen die Seemänner ins Gasthaus.