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Der Wald als mystischer Kraftort
Kraftvoll, heilsam, mystisch - der Wald hat seit jeher eine magische Anziehungskraft. Erfolgsautor Valentin Kirschgruber teilt in diesem zauberhaft gestalteten Buch sein umfassendes Waldwissen. Wir tauchen ein in die Welt der mystischen Wesen, Naturgeister, Kraftorte, heiligen Bäume und Haine. Anhand von inspirierenden Geschichten, Meditationen und heilenden Ritualen können wir uns mit allen Sinnen darauf einlassen und den Zauber des Waldes neu erleben.
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Seitenzahl: 205
Valentin Kirschgruber, geboren 1948, wuchs als das fünfte von sieben Kindern auf einem kleinen Bauernhof im Allgäu auf. Nach einer Schreinerlehre studierte er katholische Theologie und ließ sich dann zum Holzbildhauer und Restaurator ausbilden. Heute lebt der Autor mit seiner Frau auf einer Alm im Allgäu. Er ist u.a. Autor des erfolgreichen Buches »Das Wunder der Rauhnächte«.
VALENTIN KIRSCHGRUBER
Die
Magiedes
Waldes
Weisheitsmärchen – Rituale – Meditationen
Inhalt
Vorwort
Vom Zauber des Waldes
Am Anfang war der Wald
Wohnstatt der Götter
Frieden und Stille finden in einer lauten Welt
Das Herz des Waldes ergründen – Die fünf Wege
Am Waldrand – Die Heilkraft des Waldes
Die Heilwirkungen des Waldes
Die heilende Wirkung der Terpene
Gesund im Wald – Die Praxis
Tief durchatmen
Harmonie für die Seele
Ein paar Worte zu Ritualen
Im Pilzgrund – Die verborgene Welt der Naturgeister
Die Welt der Feen, Zwerge und Elfen
Die Wesen des Zauberwaldes • Kann man Feen »sehen«? • Die Elementargeister
Die Lichtung – Achtsamkeit und Meditation
Das Wesen der Lichtung
Das Licht des Geistes • Achtsam im Wald
Die Quelle – Reinigung der Seele
Die reinigende Kraft der Wälder
Die Quelle, der Regen, der See – Wasser im Wald erleben
Die geheime Botschaft des Wassers
Im Moosbett – Mitgefühl und Verbundenheit
Den Wald mit dem Herzen sehen
Sich der Verbundenheit bewusst werden
Mitgefühl entwickeln
Zunächst einmal: Lieben Sie sich selbst!
Dankbar sein
In der Mitte des Waldes – Waldeinsamkeit
Ein Wald-Exerzitium – Zeit für mich
Die vier Säulen
Empfehlungen für Wald-Exerzitien
Der richtige Wald • Kraftorte aufspüren • Die Orientierung behalten • Eine kleine Packliste
Risiken einkalkulieren
Vom »bösen« Wolf • Vorsicht, Zecken! • Als Frau allein im Wald?
Der Alte Baum – Das Geheimnis der Bäume
Die verborgene Macht der Bäume
Der Baum des Lebens
Die vier »Persönlichkeiten« des Waldes – Bräuche im Kreislauf der Jahreszeiten
Feuer statt Asche
Weihnacht: Wintersonnenwende im Wald
Ostern: Frühjahrs-Tagundnachtgleiche im Wald
Von Hasen und ihren Eiern
Mittsommer: Sommersonnenwende im Wald
Erntedank: Herbst-Tagundnachtgleiche im Wald
Die Raunächte im Wald
Der Wald zwischen den Jahren
Im Auenwald – Achtung vor der Natur
Dem Wald eine Chance
Anhang
Pilzkalender, Jahreskreis und Sonnendaten
Verzeichnis der Meditationen, Rituale, Märchen und Gedichte
Register
Bildnachweis
Vorwort
Die Wiederentdeckung des Waldes als ein Ort des Rückzugs und der Stille, die wir heute erleben, freut und erstaunt mich zugleich. Erstaunlich ist das neu erwachte Interesse insofern, als dass der Wald ja nun weiß Gott nichts Neues ist. Er ist und war schon immer da. Die enge Verbundenheit zwischen Mensch und Wald war für unsere Vorfahren etwas ganz Natürliches, und sie war auch in meiner Kindheit noch deutlich zu spüren.
Der Wald gehört zu den bedeutsamsten Schauplätzen von Mythen, Märchen und Volkssagen. Wälder gibt es überall auf der Welt, nicht zuletzt natürlich bei uns. Der Wald hängt untrennbar mit unserer Kultur zusammen. Erstaunlich, dass die neue Anregung zum »Waldbaden« aus Japan kommt – dort heißt es »Shinrin Yoku« –, und die heilsamen Wirkungen des Waldes wurden in Japan sogar an Universitäten erforscht. Ich hoffe, dass er nicht nur deswegen heute wieder so viel Aufmerksamkeit genießt, denn der Wald ist ein Teil unserer kulturellen Seele.
Das große Interesse am Mysterium Wald entspringt einer tiefen Sehnsucht, die wir vor keinem Computermonitor oder Smartphone-Screen jemals werden stillen können. Und diese Sehnsucht nach Ruhe, Frieden und Geborgenheit ist sehr gesund und auch heilsam. In einer Zeit, in der alles immer schneller gehen muss und das tägliche Leben von Hektik, Stress und Überreizung bestimmt wird, spüren wir schmerzlich, dass wir zunehmend entwurzelt werden und die Orientierung für das Wesentliche mehr und mehr verlieren. Und da ist es kein Wunder, dass sich sehr viele Menschen »zurück zur Natur« sehnen – oder eben »zurück in den Wald«.
Warum aber ausgerechnet der Wald? Weshalb nicht die Berge, Flüsse oder Seen? Auch das sind wichtige Kraftorte. Doch der Wald hat eine ganz besondere Stellung. Vielleicht liegt das daran, dass er nicht nur ein perfekt abgestimmtes Ökosystem, sondern auch ein beseelter Ort voller Geheimnisse und zauberhafter verborgener Wesen ist. Kinder sind für den Zauber des Waldes meist noch sehr empfänglich. Wer als Kind hier gespielt hat, kann sich gewiss noch an besondere Wald-Erlebnisse oder auch an die außergewöhnliche Atmosphäre erinnern. Dass der Wald uns Geborgenheit schenken oder Kraft und Trost in schwierigen Lebensphasen spenden kann, können wir aber auch als Erwachsene erleben, und sei es nur bei einem kurzen, stillen Spaziergang, wo man vom Grübeln zum Sein gelangt.
In den einzelnen Kapiteln dieses Buches möchte ich Ihnen einige Anregungen geben, in einen lebendigen Kontakt mit »Ihrem Wald« zu treten. Dabei ist es gleichgültig, ob Sie sich schon oft und gern dort aufhalten oder sozusagen Neuland betreten. Der Wald als Quelle der Kraft und Inspiration ist immer für Sie bereit. In Deutschland, Österreich oder der Schweiz hat man es ja meist nicht weit bis zum nächsten Wald. Oft genügt es schon, ein paar Schritte vor die eigene Haustür zu gehen, um seine Magie in Körper, Seele und Geist erfahren zu können.
In Waldes grüner Klause
Hier in Waldes grüner Klause
Herz, geh endlich auch zur Ruh!
Joseph von Eichendorff
Vom Zauber des Waldes
Als Bub war der nahe alte Wald mein liebster Spielplatz. Er steckte voller Geheimnisse – und Kinder sehen Geheimnisse, die Erwachsene nicht mehr sehen können. In der Tiefe des Waldes, in die wir uns als Kinder nur selten vorwagten, wussten wir, dass es Räuber, Waldzwergerl (eine Art Waldkobolde), Elfen, verborgene Schlossruinen, sprechende Bäume und unsagbare Zauberdinge gab. Zwar trafen wir niemals auf Räuber, und die Bäume sprachen auch nicht – zumindest nicht in Menschenworten –, doch die magische Anziehung, die der Wald auf uns ausübte, wurde dadurch in keiner Weise geschwächt. Er war eben ein unergründlicher, abenteuerlicher Ort.
Wann immer wir in den Wald liefen, wurden wir ein wenig stiller. Nicht absichtlich, auch nicht aus Angst – wir waren ja wilde Burschen (und Maria, das einzige Mädchen in unserer »Bande«, stand uns da in nichts nach). Doch der Wald hatte etwas, was uns ruhiger machte, und wir spürten diesen besonderen Frieden als Wohltat. Johlend liefen wir noch über die Wiesen, doch schon an seinem Rand begann sein Zauber auf uns zu wirken.
Dieser Zauber hat über die Jahrzehnte, die seither vergangen sind, nicht nachgelassen. In gewisser Weise ist er sogar noch größer geworden. Meine Gefühle und meine Ehrfurcht vor dem Wald, einem der ältesten Lebewesen unseres Planeten, entspringen aus den wunderbaren Erfahrungen, die ich im Wald machen durfte – aber sie werden auch durch das Wissen über biologische Zusammenhänge genährt. Herz und Kopf schließen sich nicht aus, im Gegenteil: Je mehr ich über den Wald erfahren habe, desto mehr liegt er mir am Herzen – so sehr, dass ich nun begonnen habe, ein Buch über seine Magie zu schreiben. Und wenn Sie dieses Buch heute in den Händen halten, dann habe ich es offenbar tatsächlich fertig geschrieben, und mein Verlag hat es gedruckt.
In den folgenden Kapiteln möchte ich versuchen, meine Liebe zum Wald auch in Ihnen zu wecken – oder wahrscheinlich eher wiederzuerwecken. Dies ist kein wissenschaftliches Buch, aber Sie werden auch einige interessante Tatsachen erfahren. Es ist kein »esoterisches« Buch, doch Sie werden von Naturgeistern und magischen Kräften hören. Es ist kein Meditationsbuch, aber ich werde Ihnen von der Heilkraft des Waldes berichten und kleine Besinnungsübungen vorschlagen, die zum Wesentlichen, zur Gelassenheit und zu innerem Frieden führen. Und Sie werden auch von Waldritualen hören und erfahren, wie Feste und Gebräuche unserer Kultur auf noch ältere Gebräuche der Germanen und Kelten zurückgehen. Ich möchte Ihnen vor allem aber auch Märchen und Sagen nahebringen, die es Ihnen vielleicht ermöglichen, Waldgeheimnisse ganz intuitiv zu entdecken.
Da steht im Wald geschrieben
O Täler weit, o Höhen,
O schöner, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
Andächt’ger Aufenthalt!
Da draußen, stets betrogen,
Saust die geschäft’ge Welt,
Schlag’ noch einmal die Bogen
Um mich, du grünes Zelt! …
Da steht im Wald geschrieben
Ein stilles, ernstes Wort
Von rechtem Tun und Lieben,
Und was des Menschen Hort.
Ich habe treu gelesen
Die Worte, schlicht und wahr,
Und durch mein ganzes Wesen
Ward’s unaussprechlich klar.
Joseph von Eichendorff
Am Anfang war der Wald
Es gab eine Zeit, da ganz Europa von mächtigen Urwäldern bedeckt war und sich undurchdringliche Wälder von Süditalien bis an die norwegische Küste und von der Atlantikküste Portugals bis tief in das russische Uralgebirge zogen. Gerade Deutschland war schon immer ein Land der Wälder. Früher, lange vor der enormen Vernichtung und wirtschaftlichen Nutzung, waren 90 Prozent unseres Landes bewaldet – und zwar hauptsächlich von Buchenmischwald. Um die deutschen Wälder von Ost nach West zu durchqueren, waren Reisende damals viele Monate lang unterwegs.
Doch auch heute ist Deutschland noch zu gut einem Drittel mit Wald bedeckt. Oder besser gesagt: wieder. Denn nachdem viele Bäume der Axt zum Opfer gefallen waren, wurde im 19. Jahrhundert neu aufgeforstet, weshalb Deutschland glücklicherweise inzwischen wieder zu den waldreichsten Ländern Europas gehört. Auch wenn die schönsten, die großen Laubmischwälder, stetig kleiner werden und alljährlich immer noch viele Hundert Hektar vernichtet werden: Der Wald gehört zu Deutschland, er ist ein wichtiger Bestandteil unserer Kultur. In fast allen unserer deutschen Märchen kommt er vor: Ob bei Schneewittchen, Rotkäppchen, Jorinde und Joringel oder dem Schwammerlkönig … wohin man schaut, ist Wald. »Aus dem Wald ist alle europäische Kultur, die geistige nicht minder als die materielle, hervorgegangen«, wie der Soziologe und Ökonom Werner Sombart konstatierte.
Wohnstatt der Götter
Schon immer haben Bäume und Wälder eine magische Anziehungskraft auf den Menschen ausgeübt. Unseren Ahnen dienten sie nicht nur als materielle Grundlage für ihr Überleben, sondern auch als Kultstätten und Tempel der Natur. Seit jeher zeugen die religiösen Schriften alter Völker von der spirituellen Dimension des Waldes. In vielen Mythen wird der Ursprung des Menschen mit dem Wald in unmittelbaren Zusammenhang gebracht. Ob bei den geheiligten Hainen keltischer Druiden oder der weissagenden Eiche des antiken griechischen Orakels von Dodona – zu Zeiten der großen Urwälder galten Bäume den Menschen noch als Naturgeister oder wiedergeborene Götter, wurden Wälder und Bäume als heilig angesehen und verehrt.
Die Kelten sahen Bäume als beseelte Wesen an, und die germanischen Stämme verehrten die Wälder als heilige Stätten. Die Urkräfte der Natur offenbarten sich ihnen ganz konkret in Form von Göttern und Göttinnen. In der Edda aus der nordischen Mythologie wird berichtet, dass die Götter Mann und Frau aus einer Esche und einer Ulme erschufen. Yggdrasil, die Weltesche, verkörpert den gesamten Kosmos und den Schöpfungsprozess. Zugleich ist die immergrüne Esche auch Symbol für die Unsterblichkeit.
Ob Kelten, Germanen oder Slawen – für die alten Völker Europas waren Wälder und Haine heilige Orte, die vom Wirken göttlicher Mächte zeugten. Dass Wälder in der Tat eine Brücke zwischen Himmel und Erde, zwischen Menschen und »Göttern« bilden, können wir auch heute wieder erfahren, wenn wir uns nur ein wenig öffnen und bereit sind, uns auf das Mysterium Wald einzulassen.
Frieden und Stille finden in einer lauten Welt
Woher rührt das neu erwachte Interesse am Wald eigentlich? Woran liegt es, dass so viele Menschen sich heute geradezu magisch von ihm angezogen fühlen? Natürlich wissen wir alle, dass ein Spaziergang im Wald unseren Geist erfrischt und Körper und Seele entspannt – aber ist das schon alles? Wohl kaum, denn wer nur Entspannung sucht, der könnte sich ja auch einfach eine warme Badewanne einlassen oder vor dem Kamin sitzen. Doch im Grunde sehnen wir uns nach sehr viel mehr als nur nach schneller Entspannung.
Tatsächlich ist der Wald einer der letzten Orte, die vollkommene Ruhe und Frieden ausstrahlen. Wer sich nach Stille und Geborgenheit sehnt, ist hier gut aufgehoben. Als Rückzugsort in einer immer lauter werdenden Welt, deren Anforderungen manchem von uns allzu schwer auf den Schultern lasten, ist der Wald ein höchst willkommener Freund. Wenn Sie in einer Großstadt leben, werden Sie die Sehnsucht nach Ruhe und Geborgenheit wahrscheinlich nur allzu gut kennen. Im Gegensatz zur immerzu geschäftigen, überdrehten Stadt strahlt der Wald Weisheit und Stille aus, doch da ist noch mehr …
Tief in unserem Inneren können wir auch heute noch etwas von dem Zauberwald längst vergangener Zeit erahnen, und wir spüren, dass der Wald viel mehr als ein »forstwirtschaftlicher Betrieb«, nämlich ein beseeltes Wesen mit heilenden Kräften ist.
Wer vom Wald träumt, der träumt letztlich davon, seine Kraftquelle wiederzuentdecken – der träumt davon, »anzukommen« und zum Wesentlichen zu finden. Zweifellos löst jeder längere Aufenthalt im Wald Stress und senkt den Blutdruck, doch weit darüber hinaus bietet jeder längere Aufenthalt im Wald auch immer die Möglichkeit einer inneren Verwandlung und einer Neuausrichtung. Wer tief in den Wald eintaucht – nicht nur äußerlich, sondern auch geistig –, der wird in ihm einen weisen Lehrer erkennen, der die Antwort auf unsere Nöte kennt. »Ich kann mein körperliches und geistiges Wohlbefinden nur aufrechterhalten, weil ich täglich vier und oft sogar mehr Stunden vollkommen frei von allen Anforderungen der Welt durch den Wald, über Hügel und Felder streife«, sagte der amerikanische Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau.
Die Frage ist nur, wie wir uns dem Wald auf eine Weise nähern können, die es uns ermöglicht, inspirierende Erfahrungen zu machen.
Das Herz des Waldes ergründen – Die fünf Wege
In den letzten Jahren wurden einige erstaunliche wissenschaftliche Studien zum geheimen Leben der Bäume veröffentlicht. Es dürfte für jeden, der sich mit dem Wald beschäftigt, aufregend sein zu erfahren, dass Bäume über ein ausgeklügeltes Kommunikationssystem verfügen und darüber hinaus wahre Überlebenskünstler sind. Falls Sie dazu mehr wissen möchten, empfehle ich Ihnen das Buch Das geheime Leben der Bäume von Peter Wohlleben, in dem Sie alles über die Intelligenz der Bäume erfahren werden. Um die Magie des Waldes entdecken zu können, ist Wissen allerdings nur eine interessante Ergänzung. Wichtiger ist das eigene Erleben. Und der einzige Weg, das Wesen des Waldes durch eigene Erfahrungen kennen- und lieben zu lernen, führt über unser Herz.
Wenn Sie Ihr Leben »entschleunigen«, innehalten und die Kräfte des Waldes auf sich wirken lassen wollen, dann müssen Sie dem Wald das Wertvollste schenken, was Sie besitzen: Ihre Zeit. Je mehr Zeit Sie finden können, durch den Wald zu streifen, je öfter Sie eine kleine oder auch längere Auszeit einlegen können, um sich im Wald zu bewegen, zu schauen, zu horchen und zu staunen, desto größer wird umgekehrt das Geschenk sein, das Sie vom Wald empfangen.
Sie müssen nicht in den Wald ziehen und sich eine Hütte bauen, wie Henry David Thoreau das getan hat. Und natürlich müssen Sie auch nicht täglich mehrere Stunden im Wald zubringen. Schon kurze Unterbrechungen des Alltags durch »Waldbaden« können Ihnen helfen, tief in die Stille einzutauchen. Wichtig ist nur, dass Sie sich immer wieder einmal Zeit nehmen, sich mit Herz und Seele auf das Abenteuer Wald einzulassen.
Sie werden in diesem Buch Märchen, Gedichte und Sagen finden, die Ihre Seele in den Wald eintauchen lassen – und Sie werden verschiedene Übungen, erprobte Rituale und Meditationen kennenlernen, die Ihnen dabei helfen können, zur Ruhe zu kommen und Kraft in der Natur zu schöpfen. Dabei werden Ihnen immer wieder fünf Prinzipien begegnen. Sie können diese Prinzipien als unterschiedliche Wege auffassen, sich auf den Wald einzulassen, wenngleich sie an sich nahtlos ineinander übergehen und sich gegenseitig durchdringen.
1. Die Sinne öffnen und Achtsamkeit entwickeln
Über Ihre fünf Sinne können Sie den Wald auf eine sehr unmittelbare Weise erfahren. Was können Sie im Wald wahrnehmen? Was können Sie spüren, sehen, hören, riechen oder fühlen? Welche Sinne sind besonders wichtig? Und vermögen Sie vielleicht auch einen »sechsten« oder »siebten Sinn« zu entwickeln? Gibt es Möglichkeiten, etwas über Phänomene oder Wesen zu erfahren, die jenseits des Sichtbaren sind? Was kann uns das Unsichtbare zeigen?
2. Meditation
Welche Möglichkeiten gibt es, tief in die Stille einzutauchen? Kann Meditation Ihnen dabei helfen, dass »die gesamte Natur zum Gedicht und jedes Naturereignis zum Geheimnis wird«, wie Thoreau es einmal ausdrückte? Können Sie Phänomene wie Sonnenauf- und -untergang, Wind, Regen oder besondere Tiere und Bäume auf meditative Weise erleben, sodass dadurch ganz von selbst eine innere Heilung stattzufinden vermag?
3. Mitgefühl
Können Sie dem Wald mit Ihrem Herzen begegnen? Können Sie ihn als ein lebendiges Wesen wahrnehmen? Für viele Menschen ist es nicht leicht, die tiefe Verbundenheit zu spüren, die zwischen uns und den Bäumen besteht. Es gibt aber Übungen und Rituale, mit deren Hilfe man sein Einfühlungsvermögen entwickeln und sein Herz öffnen kann.
4. Erforschen und erkunden
So wichtig es auch ist, uns auf unser Herz und unseren Bauch zu verlassen – unseren Kopf müssen wir deshalb nicht gleich am Waldrand »abgeben«. Tatsächlich können wir den Wald auch erforschen und erkunden, indem wir nachdenken und unsere Neugierde erhalten: Wohin führt dieser Pfad? Was kann ich entdecken – und sei es vielleicht auch erst auf den zweiten Blick –, wenn ich verschiedene Bäume, Vogelarten, Insekten und so weiter »unter die Lupe nehme«? Gibt es Zusammenhänge, die sich in Farben oder Mustern zeigen? Was verändert sich im Wald im Lauf der vier Jahreszeiten? Welche Bräuche im Jahreskreis können wir hier begehen?
5. Rituale und Spiele
Durch einfache Rituale können wir bestimmten Handlungen einen tieferen Sinn geben. Waldrituale laden uns beispielsweise dazu ein, uns an einen Baum zu lehnen, uns auf den Boden zu legen und dabei Gefühle zuzulassen, die uns sonst kaum oder gar nicht bewusst sind. Doch es gibt auch spielerische Annäherungen an den Wald: Lassen Sie Ihrem inneren Kind freien Lauf – Sie können auf einen Baum klettern, ein Stück weit barfuß gehen, ein Zelt aus abgefallenen Ästen bauen, in einem Bach planschen, mit Formen und Farben spielen oder sich einfach treiben lassen.
Ganz gleich, welchen Weg Sie auch wählen mögen – alle Anregungen für Übungen, Meditationen und Rituale, die Sie in den folgenden Kapiteln finden werden, sind lediglich Vorschläge. Gehen Sie damit so frei und spielerisch um, wie es Ihren eigenen Bedürfnissen entspricht. Dies hier ist kein Rezeptbuch und auch kein Ratgeber mit den »Zehn besten Tipps« für oder gegen irgendetwas. Vielmehr würde ich mir wünschen, dass Sie auf den nachstehenden Seiten einige Inspirationen finden, dass Sie vielleicht Lust bekommen, ein paar Experimente im Wald auszuführen, oder sich auch einfach nur über das eine oder andere Märchen freuen, das Sie in Ihre Fantasie entführt.
Am Waldrand – Die Heilkraft des Waldes
Ich erinnere mich, dass es mich, wann immer ich traurig war, in den Wald zog. Der Wald tröstete mich auf unbegreifliche Weise; er heilte meinen Schmerz. Als Kind heilte er mich von Trauer und Wut über eine ungerechte Strafe, als Jugendlicher von Liebeskummer.
Und auch heute noch schenkt mir der Wald Trost und Geborgenheit. Nicht nur mir geht es so – offenbar wirkt der Wald wie ein kraftvolles Heilmittel. Je mehr die Hektik, der Leistungsdruck und die unbefriedigende Oberflächlichkeit der modernen Welt die Menschen belastet, desto mehr fühlen sie sich zum Wald hingezogen, zu einem der ursprünglichen Kraftorte der Menschheit.
Dazu passt auch ein Märchen, in dem die Heilkraft des Waldes eine wichtige Rolle spielt. Diese Geschichte hat meine Großmutter oft erzählt; und sie war überzeugt davon, dass es sich dabei eigentlich gar nicht um ein Märchen, sondern um eine wahre Begebenheit handelt …
GESCHICHTE
Der Hartherzige
Ein altes Bauernpaar war in die Jahre gekommen, da sie den Hof nicht mehr bewirtschaften konnten. Ihr einziger Sohn war im Krieg gestorben; und um einen Knecht zu beschäftigen, fehlte das Geld. So beschlossen sie, den Hof dem Nachbarn zu übergeben, der schon lange ein Auge darauf geworfen hatte. Sie bedangen sich nur das Wohnrecht aus, dreimal täglich etwas zu essen und, wenn sie denn sterben würden, ein anständiges Begräbnis. Der Handel ward vollzogen, und der alte Bauer schlug mit dem Nachbarn ein. Doch der war ein hartherziger Mensch. Er gedachte, den Hof möglichst schnell von den lästigen Alten zu befreien, und so gab er ihnen eine kleine zugige Dachkammer zum Schlafen, und zum Essen gab es dünnen Brei, hartes Brot und schimmeligen Käse. Es dauerte gar nicht lang, da wurden die alten Bauersleute krank und glaubten, dass es dem Ende zuginge.
So sprach der Bauer: »Liebe Frau, lass uns zum Sterben in den Wald gehen – dort ist es wohl besser, und wir sind dem Herrgott näher als hier beim Hartherzigen!«
Hand in Hand gingen die beiden in den Wald, sie gingen so weit, wie es ihre Kräfte zuließen. Und gerade als sie nicht mehr weiterkommen wollten, waren sie an der alten Buche angelangt, unter der sie sich vor langer, langer Zeit zum ersten Mal geküsst hatten.
»Hier wollen wir bleiben«, sagte die Bäurin, und der Bauer nickte. Sie ließen sich nieder, küssten sich ein letztes Mal, dann schlossen sie die Augen und warteten auf den Tod.
Doch nicht der Tod, sondern der Schlaf kam über sie. Mitten in der Nacht war ihnen, als käme eine große Frau in einem dunklen Umhang zu ihnen, streichelte ihre Köpfe und gab ihnen einen süßen Saft zu trinken. Eine Nacht und einen Tag und noch eine Nacht schliefen sie, und immer wieder kam die große Frau zu ihnen und gab ihnen ein Schälchen mit ihrem Trank. Als die Alten schließlich erwachten, stellten sie schnell fest, dass sie wohl nicht gestorben waren – es sei denn, der Himmel sähe genauso aus wie der Wald. Und als sie sich ansahen, merkten sie erstaunt, dass sie kerngesund und viele Jahre jünger erschienen. Da rauschte die Buche über ihnen, als wolle sie sagen: »Dieses Geschenk habe ich euch gegeben.« Und die Bauersleute verstanden die Buche wohl, knieten nieder und dankten dem Baum und dem Schöpfer.
Doch was sollten sie nun beginnen? Sie traten den Weg nach Hause an. Als der Hartherzige die alten Leute kommen sah, staunte er nicht schlecht und ärgerte sich sehr. Er hatte sich schon gefreut, die lästigen Kostgänger los zu sein und nicht einmal für ein Begräbnis sorgen zu müssen. Und nun waren sie wieder da und recht fidel! So bekamen die Alten wieder ihr zugiges Zimmer und schlechte Speisen.
Doch sie wurden nicht wieder krank – der Hartherzige indes bekam ein schweres Leiden und fürchtete sich vor dem Sterben. Da sprach er zu den Alten: »Hört, ihr ginget krank in den Wald zum Sterben und seid gesund und munter zurückgekommen. Ich muss wissen, was ihr dort getan habt! Es soll euer Schaden nicht sein.«
Der alte Bauer zuckte mit den Schultern und erzählte, wie es ihnen im Wald ergangen war.
»Das ist alles?«, fragte der Hartherzige misstrauisch. Doch mehr gab es nicht zu erzählen; und so musste er sich damit zufriedengeben. Sogleich machte er sich auf den Weg in den Wald. Doch er kam nicht nach zwei Tagen zurück, nicht nach dreien und auch nach einer Woche nicht. Den Alten war es recht; sie waren nun wieder kräftig genug, um die Arbeit im Hof verrichten zu können. Und so arbeiten sie, waren zufrieden und dankten dem Himmel und dem Wald jeden Tag für ihre Rettung.
Eines Tages kam ein Waisenknabe zu ihnen, der blieb erst als Knecht, dann als Ziehsohn bei ihnen. Und als die alten Bauersleute nach vielen Jahren hochbetagt ins Himmelreich eingingen, da erbte ihr Ziehsohn den Hof und ehrte die Alten, indem er seine Kinder nach ihnen benannte; und bis heute besuchen seine Nachfahren jedes Jahr die alte Buche, wo sie eine kleine Gabe niederlegen.
Von dem Hartherzigen aber hat nie wieder jemand etwas gehört.
Die Heilwirkungen des Waldes
Derzeit ist viel von den Heilkräften des Waldes die Rede. Im Grunde wissen wir alle, wie gut es uns tut, Zeit im Wald zu verbringen, und wir genießen die saubere Luft und die angenehmen Waldaromen. Manche Menschen nutzen die Naherholung in den Wäldern jedoch in erster Linie aus gesundheitlichen Gründen. Neben Spaziergängern und Joggern sind auch Radfahrer und Nordic-Walker im Wald unterwegs, Trimmpfade und Waldlehrpfade werden vielfach aufgesucht, und viele Hotels, die vom Tourismus leben, bieten inzwischen auch die Möglichkeit des »Waldbadens« an.