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Ein magisches Buch für magische Zeiten
Zu besonderen Zeiten des Jahres wird der Schleier, der uns von der spirituellen Welt trennt, durchlässiger, und wir erkennen mehr von den Dingen, die nur dem Herzen sichtbar sind. Von jeher feiern Menschen diese heiligen Tage mit Bräuchen, Orakeln und Ritualen. Valentin Kirschgruber zeigt uns in diesem zauberhaft ausgestatteten Buch, wie wir diese uralten Feste aus christlicher und heidnischer Tradition mit neuem Sinn erfüllen können: die Rauhnächte, Lichtmess, Ostern, Walpurgis, Johanni, Sonnwend, Erntedank, Halloween oder das Julfest – sie alle öffnen uns für Freude, Neubeginn und seelisches Wachstum.
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Seitenzahl: 229
Valentin Kirschgruber
Von Sonnwend
bis Rauhnacht
Feste, Bräuche
& Rituale
im Kreislauf
des Jahres
Inhalt
Einleitung – Die Feste mit Sinn erfüllen
Was unsere Ahnen glaubten
Heidenfeste, Christenfeste
Glaube, Tradition und Natur
Die Macht der Rituale
Rauhnächte – Die Zeit zwischen den Jahren
Die Bedeutung der zwölf Rauhnächte
Einstimmung und Vorbereitung auf die Rauhnächte
Die zwölf Schritte der Seele
Karneval, Lichtmess, Imbolg – Das Erwachen des Lebens
Lichterfeste der Hoffnung
Karneval – die Sinnlichkeit beleben
Rituale, Mythen, Traditionen
Ostern und Ostara – Das Frühjahrsfest
Ostern: Woher kommt das Osterei?
Die Auferstehung aus dem Tod
Die spirituelle Bedeutung von Ostara
Rituale, Mythen, Traditionen
Pfingsten und Beltane – Das Licht empfangen
Beltane – das keltische Freudenfest
Das Herabkommen des Heiligen Geistes
Rituale, Mythen, Traditionen
Mittsommer und Johannistag – Der längste Tag
Tanz um das Feuer
Mittsommernachtsträume
Rituale, Mythen, Traditionen
Lammas und Himmelfahrt – Die Sommerfeier
Lughnasadh
Mariä Himmelfahrt und Petri Kettenfeier
Rituale, Mythen, Traditionen
Erntedank und Erntefeiern – Die Dankbarkeit pflegen
Das christliche Erntedankfest
Die Herbst-Tagundnachtgleiche
Rituale, Mythen, Traditionen
Alle Heiligen und Samhain – Der Ahnen gedenken
Das Fest der Toten
Samhain und die Anderswelt
Rituale, Mythen, Traditionen
Winterwende – Die Geburt der Hoffnung
Christkind, Nikolaus, Weihnachtsmann
Yule
Die spirituelle Bedeutung der Wintersonnwende
Rituale, Mythen, Traditionen
Silvester – Abschluss und Neubeginn
Die Kunst, das Orakel zu befragen
Die Kinder sind die Zukunft
Rituale, Mythen, Traditionen
Nachwort – Das wahre Wesen der Tradition
LOOK, München: age fotostock
Einleitung
Die Feste mit Sinn erfüllen
Wir alle kennen die großen christlichen Feste im Jahreslauf – Ostern, Weihnachten und vielleicht noch Pfingsten – wenn vielleicht auch nur, weil zu diesen Zeiten Schulferien sind. Aber wahrscheinlich denken Sie nicht nur an die Ferienzeit. Verbinden Sie mit den Erinnerungen an Ihre Kindheit nicht auch den Zauber des Weihnachtsfestes? Oder den Spaß bei der Ostereiersuche im Freien?
Wenn Sie religiös erzogen wurden, haben Sie vermutlich schon früh den tieferen Sinn der heiligen Tage kennengelernt. Weihnachten war nicht nur das Fest der Geschenke, sondern der Geburt Jesu Christi. Ostern stand nicht nur für bemalte Eier, sondern für das Selbstopfer des Erlösers. Durch das Wissen und das Spüren des Heiligen gewannen die Feste an Bedeutung. Nicht nur die großen Feste, sondern auch die kleinen, unbekannten. Immer wieder gibt es Anlässe, die uns den Alltag beiseiteschieben lassen, um zu feiern.
Immer mehr Menschen erkennen, dass der Kaufrausch zu den großen Feiertagen der Christenheit am Wesentlichen vorbeigeht. Es kann ja wohl nicht sein, dass das Geburtsfest des Gottessohnes zum Fest der Händler und Tandler geworden ist! Die Feste, die unsere Vorfahren feierten, haben eine tiefere Bedeutung – es ging und geht darum, daran zu erinnern, dass es außerhalb der Alltagssorgen und üblichen Tätigkeiten noch etwas anderes gibt.
Wenn wir uns nun in diesem Buch mit den »heiligen Tagen« beschäftigen, wird offenbar, dass die Wurzeln unserer Feste noch viel weiter zurückreichen als das Christentum selbst. Schon in vorchristlicher Zeit gab es Feiern, Mythen und Bräuche. Und diese Feste wurden nie ganz vergessen – nur umbenannt und uminterpretiert.
Ich werde Ihnen von Festen berichten, die Sie wahrscheinlich kennen, aber auch von denen, die es schon lange davor gab. Dabei werden Sie feststellen, dass auch diese »heiligen Tage« nicht zufällig etwas Besonderes waren, sondern dass ein tiefer, das menschliche Wesen berührender Sinn dahinter liegt und die alten Traditionen es wert sind, erinnert, bewahrt, neu entdeckt und weitergegeben zu werden – erst recht in der heutigen Zeit, in der uns das Gespür für das Wesentliche leider allzu leicht verloren geht.
Meine Großmutter war eine große Kennerin der alten Bräuche. Sie war tiefgläubig, doch das hielt sie nicht davon ab, auch jene Traditionen aufrechtzuerhalten, die älter sind als die christlichen Feste. Natürlich wurden alljährlich der Weihnachtsbaum geschmückt und die Krippe aufgestellt – aber auch das Ahnentischchen, wo wir dazu angehalten wurden, unserer Vorfahren zu gedenken. Wir feierten die Sommersonnwende mit einem großen Feuer und Allerheiligen mit Rübengeistern.
So erlebte ich als Kind ganz natürlich die »heiligen Tage«. Doch woher sie kamen, was ihre ursprüngliche Bedeutung war und wie wichtig sie für den Menschen von jeher sind, verstand ich erst viel später. Und noch länger dauerte es, bis ich erkannte, wie uralte »heidnische« und die bekannten christlichen Feste und Bräuche zusammenhängen und wie eng spirituelle Traditionen mit unserer Heimat verbunden sind.
Die Bräuche sind bis heute Teil des Alltags. Ja, sie werden sogar immer lebendiger, wo Menschen sich auf ihre Wurzeln und ihre ursprüngliche Spiritualität besinnen. Wir können von den »heiligen Tagen« viel lernen: wie wir das Leben heiligen, wie wir innere Einkehr pflegen, wie wir Freude und Heiterkeit in uns wecken, wie wir Licht und Dunkel schätzen lernen, wie Dankbarkeit unser Leben bereichert und wie wir uns unseren Schattenseiten stellen. Als Kind war mir das nicht bewusst, und selbst meine Großmutter hätte dafür womöglich nicht die richtigen Worte gefunden – doch all diese Dinge schwangen stets mit und bildeten das Fundament des Alltags.
Folgen Sie mir durch das Jahr, das durch den Lauf von Mond und Sonne, vom Wechsel der Jahreszeiten geprägt ist – und spüren Sie den Sinn, der allen Festen, die wir feiern oder vielleicht in Zukunft wieder feiern werden, zugrunde liegt. Traditionen sind wichtig. Doch werden sie ihrer tieferen Bedeutung beraubt und dienen eher der Belustigung, werden sie zu oberflächlichen, manchmal sogar hohlen Ritualen. Wenn wir jedoch unseren Festen wieder Sinn verleihen, werden wir unsere Seelen bereichern. Die Welt um uns wird schöner, weil wir lernen, das Wesentliche und Wunderbare zu erkennen. Und so werden wir dem Alltag gelassener begegnen. Die Begegnung mit dem Heiligen macht uns nicht zu Heiligen, aber vielleicht zu ein wenig besseren Menschen, indem sie uns innerlich wachsen lässt.
Was unsere Ahnen glaubten
Unsere Kultur ist vom christlichen Glauben durchdrungen – doch das war nicht von Anbeginn der Zeiten so. Im Frühmittelalter, vor etwa 1400 Jahren, begann die Christianisierung der Völker Mitteleuropas. Die »Heiden« lebten davor aber schon nach ihren eigenen Glaubensvorstellungen. Vor allem zwei davon, die der Kelten und der Germanen, konkurrierten mit der neuen Religion.
Schon Hunderte von Jahren vor der Entstehung des Christentums trafen Kelten und Germanen mit ihren jeweiligen Vorstellungswelten zusammen; teilweise lässt sich heute gar nicht mehr unterscheiden, welche Teile des alten Glaubens ursprünglich von den Kelten und welche von den Germanen stammten.
Die Verbreitung der Kelten
Aus: Kelten in Europa, Quartier Latin 1968, The Ogre, Dbachmann
Auch die Götter, an die sie glaubten, ähnelten sich – und niemand kann heute sagen, wo der Ursprung lag. So entsprach der germanische Gott Thor dem keltischen Taran; der germanischen Alagabiae stand die keltische Ollogabiae gegenüber. Auch ohne Sprachwissenschaftler zu sein, kann man sofort die Verwandtschaft der Namen erkennen, und auch deren Bedeutungen entsprechen sich.
Doch wie sah nun der Glaube unserer Vorfahren genau aus? So leicht ist das nicht zu beantworten – denn es gibt so gut wie keine schriftlichen Überlieferungen aus der Zeit. Was wir wissen, stammt entweder aus späteren Aufzeichnungen mündlicher Überlieferungen, die gemacht wurden, als das Christentum bereits vorherrschte, oder aus den Quellen römischer Schriftsteller.
Hinweise finden sich in christlichen Gesetzen, die sich gegen bestimmte alte Bräuche richteten. So erließ Karl der Große Vorschriften wie beispielsweise:
»Wenn einer nach heidnischem Brauch an Quellen, Bäumen oder Hainen betet, nach heidnischem Brauch Opfer darbringt oder ein Mahl zu Ehren der Götzen ausrichtet, zahlt er als Edler sechzig, als Freier dreißig und als Halbfreier fünfzehn Sol.«
So erfahren wir indirekt, dass Quellen, Haine und Bäume offenbar eine wichtige Rolle bei den Bräuchen der Kelten und Germanen spielten, dass Opfer dargebracht wurden und Festmahle zu Ehren der alten Götter veranstaltet wurden.
Viele alte Bräuche, wie beispielsweise die Feuerfeste, Maskenumzüge oder Orakel, lassen sich nicht mit dem Christentum in Übereinstimmung bringen – selbst dann, wenn sie heute christlichen Feiertagen zugeordnet sind und Namen christlicher Heiliger tragen. Und es fällt auf, dass die christlichen Feste erstaunlich deutlich mit den Sonnen- und Mondbewegungen, die den Menschen seit der Steinzeit geläufig waren, übereinstimmen.
Wenn man etwas über den Unterschied zwischen den alten europäischen Religionen und dem vergleichsweise neuen Christentum sagen kann, dann ist es wohl dies: In der Religion der Kelten und Germanen spielte die Natur eine zentrale Rolle. Die Natur war nicht einfach das, was Gott geschaffen hatte, sondern selbst belebt – und hatte eine eigene Kraft, Macht und Bedeutung. Ein Baum war nicht einfach nur eine Pflanze, sondern ein verehrungswürdiges Wesen – nicht unbedingt der einzelne Baum, sondern der Geist, der ihn belebte. Ein alter Hain trug somit noch größere Kraft. Eine Quelle war nicht nur ein besonderer Ort, an dem das lebensnotwendige Wasser zutage tritt, sondern ein mit der Kraft der Gottheit ausgestatteter magischer Platz. Sonne und Mond waren mächtige Wesenheiten, Wind und Wetter waren nicht einfach meteorologische Ereignisse, sondern hingen mit dem geheimnisvollen Wirken von Gottheiten zusammen, die der Mensch nicht völlig verstehen konnte, die aber so mit ihm in Zwiesprache traten und ihm etwas mitteilen wollten.
Uns mag das heute auf den ersten Blick als bloßer Aberglaube erscheinen, den wir belächeln. Doch es steckt viel mehr dahinter. Es ist zum einen das Anerkennen, ein Teil der Natur zu sein, zum anderen aber auch das Eingestehen, niemals alles verstehen und beherrschen zu können. Im Einklang mit den geheimnisvollen Kräften der Natur zu stehen – das macht ein gutes Leben aus.
Vieles bleibt also im Unklaren. Doch für uns hat das keine Bedeutung. Auf was es mir ankommt, ist nicht, die keltische oder germanische Religion wiederzubeleben oder das Christentum infrage zu stellen, sondern darauf, dass all die alten Bräuche, woher sie auch stammen mögen, tiefe Wurzeln haben. Wurzeln, die uns mit unseren Vorfahren und mit der Natur verbinden. Das Spirituelle in uns geht nicht vom Kopf oder Verstand aus, es ist auch nicht abhängig von einem bestimmten Glauben – es ist etwas, das aus der Tiefe unserer Seele und aus unserer Verbindung mit unserer natürlichen Wesenheit kommt – und darüber hinausgeht: Das ewig Unerklärliche, das die Menschen als Götter, Geister, Über- oder Unterirdische, als belebte Kräfte der Natur versucht haben zu verstehen.
Diese Verknüpfung zwischen Natur, Spiritualität und unserem wahren menschlichen Sein zeigt sich in den »heiligen Tagen«, um die es in diesem Buch geht, besonders deutlich – wenn wir uns darauf einlassen und in uns hineinspüren. Die alten Bräuche und Feste sind nicht »beliebig«, sie sind Ausdruck dessen, was uns vielleicht in der Moderne verloren gegangen ist und was wir in der Tiefe unserer Seele vermissen.
LOOK, München: Christoph Jorda
Heidenfeste, Christenfeste
Der Großteil der christlichen Festtage stimmt im Jahreskalender erstaunlich genau mit den »heidnischen« Festtagen der Kelten und Germanen überein.
Das trifft auf jede der acht heiligen Zeiten zu, über die ich Ihnen in diesem Buch etwas erzählen möchte:
Lichtmess und Imbolg, die Feste des Jahresbeginns Ostern und Ostara, die Feste der FrühjahrstagundnachtgleichePfingsten und Beltane, die Feste des Lebens und der FruchtbarkeitJohannistag und Mittsommerfest, die Feste des längsten TagesMariä Himmelfahrt und Lammas, die Feste des HochsommersErntedankfest und Herbsttagundnachtgleiche, die Feste der DankbarkeitAllerheiligen und Samhain, im Gedenken an die AhnenWeihnachten und Wintersonnwende, die Feier der Geburt der Hoffnung auf das Licht.Es ist kein Zufall, dass sowohl die christlichen als auch die alten heidnischen Feste in etwa auf die gleichen Tage fallen. Das liegt vor allem daran, dass es die Missionare bei der Christianisierung den Menschen leichter machen wollten und an das Bestehende anknüpften.
Das Volk feierte die Wintersonnwende und das Julfest – also legte man Jesu Christi Geburtstag, den man ja ohnehin nicht genau kennt, kurzerhand auf diesen Festtag. Die alten Bräuche wurden uminterpretiert, aber umgekehrt wurden auch die christlichen Bräuche von den alten heidnischen Ritualen beeinflusst. Wer diese Zusammenhänge kennt, dem wird einiges verständlicher, was sonst rätselhaft bliebe: Was haben beispielsweise Ei und Hase mit Jesu Tod und Auferstehung zu tun? Warum schnitzen Christen an Allerheiligen Fratzenmasken in Kürbisse oder Rüben? Warum verkleiden wir uns im Karneval?
Natürlich ist der Anlass, Weihnachten zu feiern, ein ganz anderer als der für die Wintersonnwendfeier der Kelten. Christen gedenken der Geburt des Erlösers. Die Wintersonnwendfeier dagegen feiert ein astronomisches Naturereignis. Und doch: Wenn man ein wenig tiefer blickt, werden die Gemeinsamkeiten größer. Ostern, das Fest des Todes und der Auferstehung, und Ostara, das Fest der Frühlingstagundnachtgleiche, haben etwas gemeinsam, das auch jenseits der Religion gültig ist. Es wird eine Wende gefeiert – das Alte ist vorbei, und etwas Neues kündigt sich an.
Die tieferen spirituellen Themen sind im Wesentlichen die gleichen geblieben, da wir seit Menschengedenken mehr oder weniger vor die gleichen Daseinsfragen gestellt werden. Die christlichen und die heidnischen Feste stehen so gesehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern bereichern und durchdringen einander. Was wäre Ostern ohne Ostereier? Weihnachten ohne Baum? Der Johannistag ohne leuchtende Feuer?
Wenn ich Ihnen hier einiges zu unseren alten Bräuchen und über die großen keltischen Feste erzähle, so deshalb, weil ich es Ihnen ermöglichen möchte, den besonderen Tagen des Jahres noch mehr Tiefe und Sinn zu verleihen. Dabei geht es mir nicht darum, Sie mit unnötigem Wissen zu beladen, sondern Ihnen zu zeigen, wie Sie zusätzlich an Lebensqualität und innerer Zufriedenheit gewinnen, indem Sie die Traditionen mit neuem Sinn erfüllen.
Anhand des folgenden Bildes bekommen Sie einen ersten Eindruck vom zeitlichen Zusammenhang der Feste.
Valentin Kirschgruber
Glaube, Tradition und Natur
Die acht großen keltischen Feste haben immer mit dem Himmel und der Erde zu tun. Warum mit der Erde? Nun, die Feste sind mit Vorgängen in der Natur eng verbunden: die Zeit der Aussaat, die der Blüte, die Phase des Wachstums, die dann ihren Höhepunkt erreicht, wenn die Sonne am höchsten steht und die Tage wieder kürzer werden. Dann folgt die Erntezeit, bevor der Winter naht und die Sonne ihren tiefsten Stand erreicht, von dem aus es wieder heller wird und man dem Neuen entgegengeht.
Und warum mit dem Himmel? Weil die Anzeichen für das, was auf der Erde geschieht, am Himmel zu beobachten sind. Die acht großen Keltenfeste sind vier Sonnen- und vier Mondfeste. Anhand von Mond und Sonne zeigt uns der Himmel wie auf einer großen Uhr die Jahreszeiten und die wichtigen Zeitpunkte im Jahreslauf an.
Die Sonnenfeste sind Winter- und Sommersonnwende sowie Frühlings- und Herbst-Tagundnachtgleiche – wichtige Zeiten im Jahreslauf, die Veränderungen in der Natur und auch im Seelenrhythmus ankündigen. Während der Sonnwenden sind jeweils Höhepunkte erreicht: Der Tag der Sommersonnwende ist der längste Tag. Von da an werden die Tage kürzer – bis zur Wintersonnwende, dem kürzesten Tag des Jahres. Dann ist die dunkelste Zeit überwunden, und die Tage werden wieder länger. Die Tagundnachtgleichen sind ebenfalls besondere Zeiten: An diesen Tagen sind – Sie haben es sicher schon erraten, wenn Sie es nicht ohnehin wussten – Tag und Nacht gleich lang. Das Dunkle und das Helle sind vollkommen im Gleichgewicht.
Mit den Mondfesten ist es etwas komplizierter. Jeder Vollmond war bei unseren Vorfahren ein besonderer Tag. Doch die drei großen Vollmondfeste waren Imbolg, der zweite Vollmond nach der Wintersonnwende, Beltane, der fünfte und Lammas, der achte Vollmond nach der Wintersonnwende. Schließlich gab es noch Samhain, den elften Neumond im Jahr.
Da unser Kalender ja ein Sonnen- und kein Mondkalender ist, fallen diese Feste immer wieder auf andere Kalendertage. Die meisten Menschen, die sie heute feiern, haben die Termine der Einfachheit halber auf ein genaues Datum gelegt – so dass wir heute am 1. Mai feiern, anstatt uns genau nach dem Mond zu richten. Der 1. Mai liegt ungefähr um die Zeit des fünften Vollmondes nach der Wintersonnwende. Das macht es leichter für uns zu planen. Aber es geht auch ein wenig dabei verloren, wenn die Mondfeste nicht mehr dem Lauf des Mondes entsprechen.
Das klingt etwas kompliziert. Aber Sie kennen ganz bestimmt Feste, die sich nach dem Mond richten: Alle Feste des Osterfestkreises werden über einen sogenannten Lunisolarkalender bestimmt – der Ostersonntag ist immer der Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond. Ein Blick an den Himmel genügt …
Ist es nicht erstaunlich, dass viele von uns gar nicht mehr wissen, wann Voll- und wann Neumond ist? Ich kann mich noch gut erinnern, wie meine Eltern bei allem, was auf dem Hof geschah, auf den Mond achteten. Natürlich brachten sie das nicht mit dem Glauben der Kelten in Verbindung, doch es war Teil ihrer Tradition. So hatten es schon ihre Großeltern und deren Eltern gemacht. Traditionen werden selten hinterfragt. So erfuhr ich erst viel später, dass viele unserer Bräuche uralte Wurzeln haben. Das ist nicht nur interessant, sondern hilft uns, die alten Bräuche wirklich zu verstehen. Nicht mit dem Kopf allein – warum sollten wir auch genau wissen, welche Feste die alten Kelten wann feierten? Es geht um das Verstehen mit dem Herzen: Warum feiern wir überhaupt? Was soll das in uns bewirken? Wie stehen wir mit der Natur in Verbindung?
Die Beschäftigung mit diesen Fragen ist wichtig, um uns und die Welt ein wenig besser verstehen zu können. Manche Bräuche und Traditionen erscheinen uns seltsam oder überflüssig oder abergläubisch. Dann lässt man das Feiern sein, lässt das Alte fallen oder sieht es als reine Spaßveranstaltung. Spaß ist nichts Schlechtes, aber man verliert etwas, wenn dabei die tiefe spirituelle Erfahrung leidet. Klarheit, Freude und Erkenntnis bringen uns langfristig mehr Glück als Spaß allein.
Natürlich freut sich jedes Kind über Geschenke. Auch wir haben uns als Kinder »narrisch« über die »Packerl« gefreut, die wir zu Weihnachten bekamen. Doch die eigentliche Magie lag in dem Zauber, der dem Weihnachtsfest eigen ist: das Wunder der Geburt von Jesus, die Geschichte von Maria und Josef, die schließlich in einem Stall wohnen mussten, der geheimnisvolle Besuch der Heiligen Drei Könige … Ist es nicht traurig, dass viele Kinder den Zauber des Weihnachtsfestes kaum noch kennen und sich alles nur noch darum dreht, ob das gewünschte Computerspiel unter dem Tannenbaum liegt? Ähnlich ist es mit den alten Festen, deren Bräuche heute noch mitschwingen, wenn wir Ostern oder die Sommersonnwende feiern. Wenn wir gar nicht mehr verstehen und vor allem auch nicht mehr fühlen, warum wir feiern, geht etwas verloren. Es ist freilich schön, mit vielen um das Johannisfeuer zu tanzen. Doch wenn es nur eine beliebige »Party« ist, fehlt der wahre Sinn. Und damit die tiefe Freude, das Geheimnis und die Chance zu innerem Wachstum.
iStockphoto, Calgary/Kanada: photohomepage
Das lebendige Wissen um die Zusammenhänge zwischen Mond und Natur geriet im Laufe der Zeit immer mehr in Vergessenheit. Die Technik schien anfänglich viel interessanter als die Natur zu sein. Wozu sollte man auf den Mond und die Sonne achten? Wenn es kalt wurde, drehte man eben die Heizung auf, und wurde es dunkel, das Licht. Und das ist ja auch faszinierend – wer von uns möchte schließlich die vielen Annehmlichkeiten der modernen Welt missen?
Die Frage ist aber: Wollen wir wirklich auf die Möglichkeiten verzichten, die in unseren spirituellen Traditionen verborgen liegen? Und warum sollten wir das tun? Sie stehen ja nicht im Gegensatz zu unserem heutigen Leben, sondern bereichern es. Schon möglich, dass uns manch technische Errungenschaft gar nicht mehr so wichtig erscheint, wenn wir zu feiern wissen und die Spiritualität in unser Leben einladen. Warum sollte man beispielsweise kein Mobiltelefon haben? Es ist ja mitunter sehr nützlich. Aber es ist auf jeden Fall eine gute Sache, wenn man auch ohne so ein Gerät leben kann und nicht gleich verzweifelt, wenn man mal nicht erreichbar ist …
Seit einigen Jahren schauen die Menschen wieder genauer hin. So schön, angenehm und nützlich die vielen Erfindungen auch sein mögen – man kommt nicht an der Einsicht vorbei, dass sie uns letztlich niemals allein zu glücklichen, zufriedenen, in sich ruhenden Menschen machen können.
Ich finde es sehr schön, dass sich viele Menschen wieder auf ihre Familie und ihre Gefühle ausrichten, auf ein Leben mit etwas weniger Hetze, mit etwas mehr Spiritualität. Es ist ja nicht nur so, dass der einzelne Mensch für sich gewinnt, wenn er seinem Leben spirituelle Tiefe gibt. Die Traditionen, die Feste, das gemeinsame Feiern nicht als Zwang zu sehen, sondern als Gelegenheit, seine Seele zu wärmen, verbindet Menschen und gibt ihnen, was in der modernen Welt häufig so sehr fehlt: Geborgenheit.
Die Macht der Rituale
Bei »Ritual« denken manche Menschen an etwas Unheimliches, das in der Nacht und unter großer Geheimhaltung passiert. Dabei sind Rituale lediglich achtsam durchgeführte Handlungen, die nach bestimmten Regeln ablaufen. Sie kennen sicherlich viele feierliche Zeremonien: beispielsweise den Ablauf des Gottesdienstes, einer Hochzeit oder die Weihnachtsfeier. Es gibt aber auch »kleine Rituale«, die in einer Dorfgemeinschaft, einer Familie oder auch nur von einem selbst durchgeführt werden. Wozu sind aber Rituale überhaupt gut?
Das Wichtigste ist vielleicht, dass sie Halt und Orientierung vermitteln. Nachsinnen ist sicherlich etwas Bedeutsames – doch nur in einer Welt, die ausschließlich aus Philosophen und Denkern besteht, kann das Nachdenken und Nachspüren allein ein Wegweiser sein. Rituale helfen hingegen ganz konkret dabei, die Feierlichkeit des Augenblicks zu erfahren und sich der Bedeutung intuitiv bewusst zu werden. Rituale sind Wegweiser auf dem spirituellen Weg. Jeder Mensch ist ein Individuum und als solches einzigartig – Rituale helfen aber, das Gemeinsame und Verbindende zu spüren, und erlauben es Menschen, sich mit den grundlegenden Fragen menschlicher Existenz auseinanderzusetzen.
Für Kinder sind Rituale unverzichtbar. Am Anfang jedes Lebens stehen immer das Staunen, die Neugier und der Wunsch nach Orientierung. Und daraus entsteht dann ein gefühlsmäßiges Erfassen der Welt – das Sich-Gedanken-Machen kommt erst viel später. Wenn Kinder mit Ritualen aufwachsen, fällt es ihnen leichter, die Regeln der Gemeinschaft, in der sie leben, in sich aufzunehmen. Manche Rituale helfen Kindern (und Erwachsenen!) auch einfach dabei, alltägliche Dinge in einer festen Ordnung und als gute Gewohnheit durchzuführen:
Das Zähneputzen, das Händewaschen vor dem Essen und andere kleine Rituale machen die persönliche Sauberkeit zur Gewohnheit.Das Tischgebet vor der Mahlzeit fördert die Haltung der Dankbarkeit und das Begreifen, dass Nahrung nicht selbstverständlich ist. Man verinnerlicht, nicht sofort alles Essbare in sich hineinzustopfen, sondern mit dem Essen zu warten, bis alle Familienmitglieder am Tisch sitzen.Das Gutenachtgebet und das Vorlesen einer Gutenachtgeschichte machen es Kindern leichter, sich auf das Zubettgehen zu freuen und angstfrei einzuschlafen.Auch in der Schule sind Rituale sinnvoll, um nicht jeden Tag aufs Neue vom Chaos zur Ordnung finden zu müssen. Das Aufstehen und Grüßen, wenn der Lehrer hereinkommt, setzt einen kurzen Ordnungsimpuls – und das anschließende Sprechen des Schulgebets, das früher üblich war, half Kindern, ein Stückchen innere Stille zu finden und aufnahmebereit für das Lernen zu werden.Die festlichen Rituale der heiligen Tage gehen über das Alltägliche natürlich weit hinaus. Hier stellen wir die »großen Fragen« nach den Geheimnissen des Lebens und Sterbens. Dabei hilft es den meisten Menschen, wenn sie sich nicht jedes Mal eine völlig neue Art überlegen müssen, wie sie das Weihnachtsfest gestalten sollen. Das Aufstellen des Baums, der Krippe, der Kirchgang geben einen möglichen Rahmen vor. Stellen Sie sich vor, jedes Weihnachtsfest würde anders gestaltet. Jedes Mal würde aufs Neue darüber nachgedacht, welchen Sinn es hat und wie man feiert. Sicher gehört das Nachdenken über den Sinn des Ganzen fest dazu – doch ohne Rituale geht der Zauber verloren, der das Herz berührt. Sie bereichern unser Leben.
Die Rituale, die ich Ihnen in diesem Buch vorstellen möchte, haben ihre Wurzeln teilweise im Christentum, im alten Volksglauben, in den vorchristlichen Glaubensvorstellungen der Kelten und Germanen und in Sagen und Mythen. Das bloße »Nachspielen« dessen, was früher war, genügt jedoch nicht. Die Welt ist, ob man das nun begrüßt oder bedauert, vielfältiger und verwirrender geworden. Umso mehr besteht die Herausforderung darin, nach eigenen Wegen zu suchen und dabei unsere ganz eigene Form von Zeremonien zu finden, die zu unserem Wesen und unseren Bedürfnissen passt. Rituale helfen uns dabei, sowohl Gewohnheiten auszuprägen als auch Alltagsgewohnheiten zu durchbrechen. Im Gegensatz zu der oft sehr oberflächlichen Routine des Alltags geht es im Ritual darum, durch eine symbolhafte Handlung etwas Größerem Ausdruck zu verleihen. Dadurch verbinden wir uns mit einer höheren Sphäre, ganz gleich, ob es uns dabei um den Kontakt zur Natur, zu unserem höheren Selbst oder zum Göttlichen geht. Rituale sollten einen spirituellen Charakter haben.
Bei allen Ritualen ist die innere Haltung von großer Bedeutung – und andersherum unterstützen Rituale die innere Haltung. Ein Ritual ist eine kleine Feier, die auch entsprechend würdevoll begangen und nicht »abgespult« werden sollte. Würdevoll heißt ganz bewusst, achtsam und auf das Ritual konzentriert. Das wirkt sich sehr wohltuend und reinigend auf die Seele aus: Die Sammlung und Ausrichtung auf das Ritual lässt Sorgen, Ängste und Probleme in den Hintergrund treten.
Rituale werden durch Wiederholung zu Ritualen. Es ist überhaupt nicht nötig, Perfektion in der äußeren Handlung anzustreben. Die geistige Ausrichtung ist es, die zählt. Je öfter Sie das Ritual durchführen, sei es eine Räucherung oder eine Besinnungsübung, desto mehr wird es selbstverständlich, und die Handlung selbst wird leicht. Die Aufgabe besteht dann darin, weiterhin mit ganzem Herzen dabei zu sein und das Ritual nicht zu einer leeren äußeren Pflichtübung werden zu lassen.
Denken Sie immer daran, dass ein Ritual kein Selbstzweck ist. Es hilft uns dabei, uns zu orientieren, den Geist für das Erhabene zu öffnen, unser Ich für eine Weile hintanzustellen und spirituell zu reifen. Nicht das Ritual ist heilig, sondern das, was dahintersteht.
Besinnungs-, Räucher- und Erkenntnisrituale
Ich möchte Ihnen nun kurz ein paar Formen von Ritualen vorstellen, die Sie zu ganz unterschiedlichen Gelegenheiten und nicht nur zu einem bestimmten Festtag durchführen können.
Besinnungsrituale nennt man auch »Meditation«. Ich habe in meinem Buch »Das Wunder der Rauhnächte« oft von Meditation gesprochen – und manche Leser kritisierten, dass ich fernöstliche Methoden in einem Buch über unsere Traditionen beschrieben habe. Deshalb verwende ich hier das Wort »Besinnungsritual«. Auch wenn es ein Missverständnis ist, dass die Meditation aus dem fernen Osten kommt. Menschen in allen Kulturen und zu allen Zeiten haben immer wieder erkannt, wie wertvoll es ist, sich hinzusetzen und seine umherspringenden Gedanken ruhig werden zu lassen. Es ist schon wahr, dass Meditation im Osten eine lange Tradition hat – beispielsweise im Buddhismus. Und warum nicht von anderen Kulturen lernen? Nur gibt es »Besinnungsrituale« auch schon lange bei uns. Ich bin mir sicher, auch Sie kennen eines: das Gebet. Auch Beten ist, wenn es nicht achtlos und oberflächlich abgespult wird, eine Besinnungsübung. Das meint die Bibel mit: »Sei nicht schnell mit deinem Munde und lass dein Herz nicht eilen, was zu reden vor Gott.« (Prediger 5:2) Für einen Gläubigen ist das Gebet natürlich mehr als nur Besinnung, als Meditation. Aber es ist auch Meditation – sonst ist es kein Gebet. Denn ein Gebet, das nur über die Lippen kommt, nicht aber aus dem Herzen, ein Gebet, in dem man sich nicht auf Gott oder das Göttliche in der eigenen Seele konzentriert, ist eben nur Geplapper. Und auch die christliche Übung der Kontemplation ist eine Form der Meditation.